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Prolog

Sie lag in Tränen aufgelöst in ihrem schmalen Bett. Ihr kleiner, zarter Körper bebte. Ihr Kissen war nass.

Jemand berührte ihre Schulter.

„Oh, mein armer, kleiner Liebling. Was ist denn nur passiert?“, vernahm sie die warme, besorgte Stimme ihrer Mutter.

„Ach Mommy“, heulte sie und warf sich in die ausgebreiteten Arme ihrer Mutter. Mit sanften Berührungen streichelte Amanda den bebenden Rücken ihrer Tochter und tröstete sie über ihren Schmerz hinweg, bis sie sich soweit beruhigt hatte, dass sie erzählen konnte, was sie so verletzt hatte.

Es dauerte einige Minuten, bis die Schluchzer ihres kleinen Mädchens verstummten.

„Willst du mir jetzt sagen, was passiert ist, Annie?“

„Ich hasse ihn so sehr, Mommy. Er ist immer so gemein zu mir und hänselt mich wegen meiner Haare. Ich kann doch nichts dafür, dass sie so sind!“ Ihre Unterlippe zitterte, ein neuerlicher Tränenstrom stieg ihr in die Augen.

Amanda wusste sofort, von wem die Rede war.

Ihre liebe, kleine Anna war schon wieder von einem der größeren Junges geärgert worden. Sie fragte sich immer wieder, warum ausgerechnet er sie einfach nicht in Ruhe lassen konnte.

Wieder strömten Tränen über Annas verquollenes Gesicht.

Ihre Mutter blieb bei ihr und tröstete sie, wie sie es in den letzten beiden Jahren schon so oft getan hatte.

Jemand klopfte hart gegen die hölzerne Tür.

Ohne eine Aufforderung ging die Tür auf und ihr Sohn kam hereingestürmt.

„Was ist passiert?“, keuchte er entsetzt.

Anna versteifte sich in ihren Armen und hob ihr tränenüberströmtes Gesicht.

„Hat er dich wieder belästigt, Annie?“

Stumm nickte das Mädchen.

„Ohh, diesem Mistkerl werde ich morgen ein paar Manieren beibringen!“

Kampflustig hob Brian seine geballten Fäuste.

Doch am nächsten Morgen war er verschwunden, er hatte das Dorf verlassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Rückkehr des Albtraums

10 Jahre später

 

„Ben, hast du die Unterlagen und das Manuskript von unserem Neuzugang?“

„Sicher, ist alles hier.“

Ben sah seinen besten Freund und Kollegen amüsiert an.

„Mensch, du sitzt ja wie auf glühenden Kohlen, Alex. Ist er wirklich so wichtig?“

„Verdammt Ben, er ist international bekannt und er will ausgerechnet zu uns! Weißt du, was das für unseren Verlag bedeutet? Investoren, Ben, haufenweise Investoren.“

„Jetzt komm mal wieder runter, mein Freund.“

„Ach, ich kann deinen Gleichmut einfach nicht nachvollziehen. Sieh zu, dass du in der nächsten halben Stunde etwas mehr Enthusiasmus findest und unseren neuen Autoren gebührend begrüßen kannst.“

Ben lachte.

„Na sicher. Ich gehe mal rüber zu meiner Schwester. Ich bin rechtzeitig wieder da, keine Sorge. Und bitte, lauf mir keine Spur in den Teppich, der war teuer.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Ben von seinem Freund und verließ das Gebäude, das sie für ihren Verlag gemietet hatten.

Die Tanzschule in der seine jüngere Schwester unterrichtete, war nur einen Block von dem Verlag entfernt und so spazierte er munter vor sich her grinsend zu dem roten Backsteingebäude. Musik drang an sein Ohr und er grinste.

Anna war wohl gerade mitten in einer Übungsstunde.

Er liebte es, sie beim tanzen zu beobachten.

Ben beschloss, sich in einer hinteren Ecke des Tanzsaales niederzulassen und ihr zuzuschauen.

Kaum hatte er jedoch den saalartigen Raum betreten, kam seine Schwester in einer Wolke aus weiß und schwarz auf ihn zugestürmt und fiel ihm zur Begrüßung um den Hals.

„Huch, woran liegt es bloß, dass ich mich nie hereinschleichen kann, Annie?“

Liebevoll strich er ihr über das schneeweiße Haar, das ihr in einem Zopf bis zur schmalen Taille reichte. Es war in den letzten Jahren nachgewachsen und sie hatte keinen Grund mehr gehabt, es sich abzuschneiden.

„Weil ich immer weiß, wann du kommst“, lächelte sie zu ihm hinauf.

„Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass Alex dir keine Nachricht schreibt, dass ich mich gerade auf dem Weg zu dir gemacht habe“, grummelte er gespielt beleidigt.

„Als ob Alex mir diesen Gefallen tun würde.“

Sie ließ von ihm ab und drehte sich einmal um ihre eigene Achse.

Ihr Zopf flog und sie lachte ausgelassen.

Jetzt erst bemerkte er, dass der Raum leer war.

„Keine Unterrichtsstunde heute?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Nein, leider. Die Tanzschule wird in der nächsten Woche für genau vierzehn Tage geschlossen. Zwei der Tanzsäle werden erneuert.“

„Und was wirst du währenddessen tun?“

„Mimi hat mich zu Urlaub verdonnert. Ich soll ausgehen und ausnahmsweise Mal nicht tanzen.“ Anna verzog wiederwillig das Gesicht.

„ja, das ist auch gut so. Ich bin froh, dass Mimi noch ein Auge auf dich hat, sonst würdest du wahrscheinlich nie mehr nach Hause kommen.“ Brian lachte.

Anna grinste.

„Ist heute nicht viel los, oder warum bist du nicht bei der Arbeit?“

„In ein paar Minuten bekommen wir Besuch von einem sehr angesagten Autoren, der von unserem Verlag verlegt werden möchte. Alex ist völlig aus dem Häuschen.“

„Und was machst du dann hier?“

„Ich wollte doch nur mein süßes, kleines Schwesterherz sehen.“

Anna schnaubte.

„Du siehst mich jeden Tag, Bri. Also erlöse den armen Alex, sonst musst du dir wieder einen neuen Teppich zulegen und ich werde auf keinen Fall nochmal einen mit dir aussuchen.“

Brian zog beleidigt eine Schnute, wie er es seit Kindertagen tat.

Sie lächelte belustigt und tätschelte ihm gutmütig die Wange.

„Geh und begrüße deinen neuen Autoren. Dann kannst du ja wiederkommen.“

„Wenn du meinst“, seufzte er.

Dann gab er ihr noch einen leichten Kuss auf die Wange und machte sich auf den Weg zurück zum Verlag.

Die Luft wurde langsam kühler. Der September war kühler als gewöhnlich und er ermahnte sich, Anna an eine Jacke zu erinnern. Sie würde noch mit abgeschnittenen Jeans durch kniehohen Schnee laufen, nur weil sie an einer neuen Choreographie arbeitete. Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. Sie war in den letzten zehn Jahren merklich aufgeblüht, hatte sich zu einer regelrechten exotischen Schönheit entwickelt.

Ihr weißes Haar trug sie nun lang, nicht mehr wie früher stoppelkurz.

Ihr Körper war nach wie vor zierlich und klein und doch so wohlproportioniert wie er nur sein konnte. Das Tanzen hatte sie stark gemacht und sie bewegte sich mit geschmeidiger Eleganz.

Ihre schwarzen Augen bildeten einen wundervollen Kontrast zu ihrer hellen Haut und dem außergewöhnlichen Haar, umrahmt von langen, schwarzen Wimpern.

Er seufzte.

Würde sie sich mehr unter Leute trauen, könnte sie sogar etwas selbstbewusster werden.

Alex kam ihm aufgeregt entgegen, als er den Verlag betrat.

„Verdammt Bri, du bist drei Minuten zu spät“, rief Alex aufgebracht.

„Beruhige dich, Alex. Ist unser Wunderknabe schon hier?“

Sein Freund schüttelte seinen massigen Kopf.

Mit seiner Statur konnte Alex glatt als Preisboxer durchgehen. Nur wenige wussten, dass hinter seiner harten Schale ein zarter Kern steckte. Hinzu kam noch, dass Alex seine Schwester verehrte und sie liebte, als ob sie seine eigene Schwester wäre.

„Na also. Halb so wild. Setzten wir uns auf die Couch im Empfangsbereich und warten dort. Du machst mich noch ganz wild. Wie viel Kaffee hattest du heute schon?“

Sein Freund hatte eine Vorliebe für Kaffee, Unmengen an Kaffee.

„Ich glaube an die zwei Kannen“, murmelte Alex abwesend. Sein Blick hing praktisch an der verglasten Eingangstür, als könnte sein Wille allein, den Autor zum auftauchen zwingen.

Sie setzten sich auf die weiche Sitzgelegenheit und musterten den geschmackvoll eingerichteten Eingangsbereich. In den fünf Jahren, den sie den Verlag nun schon führten, hatten sie aus ihm eine rentable Einnahmequelle gemacht. Sie konnten ihren fünfzehn Angestellten ein großzügiges Gehalt zahlen und ihre Autoren waren mit ihren Leistungen mehr als zufrieden. Seit einiger Zeit spielten sie sogar mit dem Gedanken, ein zweites Geschäft zu eröffnen, da ihre Aufträge sich häuften und sie kaum noch hinterherkamen.

Die Tür glitt mit einem leichten Surren auseinander und Brian und Alex erhoben sich gleichzeitig.

Der Mann, der auf sie zu kam, war groß, fast ebenso groß wie Alex mit seinen beinahe zwei Metern Körpergröße. Seine Augen verbarg er hinter einer dunklen Sonnenbrille und sein schwarzes, modisch langes Haar, umrahmte ein markant männliches Gesicht. Sein Körper war muskulös und doch geschmeidig.

„Hallo“, begrüßte sie der Fremde.

Lächelnd reichte er ihnen die Hand.

Das war ihr Autor?

Nun, er sah eher wie ein Fotomodel aus. Tja, der Schein trügt, dachte Brian schmunzelnd.

Der Händedruck war fest, doch nicht unangenehm.

Ein unbekanntes Gefühl breitete sich in Brians Magengrube aus.

Er kannte diesen Mann von irgendwoher.

Dann nahm der Autor die Sonnenbrille ab und Bri erstarrte.

Die silbergrauen Augen hätte er unter Millionen wiedererkannt.

„Liam O´Roake“, fauchte er.

Der Mann sah ihn überrascht an.

Dann musterte er Bri genauer.

„Brian Flannery“, rief er verblüfft.

Mit einem umwerfenden Grinsen betrachtete er Bri.

„Mensch, du hast ja wirklich was aus dir gemacht. Aus dem schlaksigen Jungen ist wirklich was geworden.“

Bri erwiderte sein Grinsen mit verkniffenem Mund.

Nur Alex bohrender Blick hielt ihn davon ab, sich auf den Mann zu stürzen, der das Leben seiner Schwester zur Hölle gemacht hatte.

„Liam, wie geht es dir. Sag nicht, du bist unser Goldjunge?“

Liam nickte immer noch schmunzelnd.

Er hatte bereits gewusst, dass Brian hier in diesem Verlag arbeitete. Das war auch der Grund, war er sich für diesen Verlag entschieden hatte, obwohl er sich an weitaus exklusivere hatte wenden können. Er wollte Brians Schwester Anna wiedersehen, wollte sehen, was aus diesem verstörten Mädchen geworden war.

„Ihr kennt euch?“, fragte Alex überflüssigerweise.

„Wir sind im selben Dorf aufgewachsen“, murmelte Bri.

„So ist es. Er und seine kleine Schwester waren damals wirklich sehr beliebt.“

Brian ballte die Hände zu Fäusten.

Alex betrachtete seinen Freund stirnrunzelnd.

Bri konnte diesen Kerl auf den Tod nicht ausstehen.

Und Alex schwante, dass Anna der Grund dafür war.

„Kommt, wir setzen uns in mein Büro und besprechen alles Nötige“, schlug er vor. Er konnte Brians Abneigung zwar gut nachvollziehen, dennoch konnten sie es sich nicht leisten, einen international bekannten Autor abzuweisen.

Bri schien zu demselben Entschluss zu kommen, denn er entspannte sich und setzte sogar ein Lächeln auf.

Gemeinsam gingen sie in Alex´ Büro und ließen sich von Nancy ihrer Sekretärin, die Liam förmlich mit ihren Blicken verschlang, einen Kaffee bringen.

Sie unterhielten sich ausschließlich über Liams neuestes Manuskript und seinen Vorstellungen. Sehr schnell einigten sie sich und sehr zu Bris Freude, war dieses Gespräch schneller beendet, als er geplant hatte.

Er wollte Liam so schnell wie möglich loswerden und nur das Nötigste mit ihm zu tun haben.

Nancy klopfte an die Tür, als sie sich gerade erhoben hatten, um sich zu verabschieden.

„Brian, Ihre Schwester wartet unten auf Sie.“

Bri erstarrte, ebenso wie Liam.

Oh verdammt, dachte er zähneknirschend.

So ein verfluchter Mist.

Mit versteinerter Miene stürmte Bri aus dem Büro.

Liam brauchte etwas länger um sich von seiner Überraschung zu erholen. Anna war hier, nur ein paar Meter von ihm entfernt.

Freude durchströmte ihn und hastig folgte er Bri, ohne Alex weiter zu beachten, der ihm auf dem Fuße folgte.

„Anna, was machst du hier?“, fuhr Brian seine Schwester an.

„Auch schön dich zu sehen, Bri“, zischte sie.

Ihre dunkeln Augen blitzten.

„Was ist denn los mit dir? Ist das Gespräch nicht so gelaufen, wie du es wolltest?“

Bri schüttelte den Kopf.

„Anna, es wäre besser, wenn du jetzt gehen würdest.“

„Aber, ich dachte, wir könnten zusammen etwas Essen. Mimi hat mich für heute nach Hause geschickt.“

Das Bild zauberte beinahe ein Lächeln auf seine Lippen.

„Später vielleicht, Annie. Wieso gehst du nicht schon nach Hause und ich bringe etwas von deinem Lieblingsitaliener mit?“ Jetzt hob Anna erstaunt die Brauen. Bri hasste italienisches Essen. Beschwörend packte er sie bei den Schultern und schob sie förmlich in Richtung Ausgang.

„Verdammt Bri, was ist denn nur mit dir los?“

„Das kann ich dir jetzt nicht erklären“, sagte er leise. Seine braunen Augen blickten sie beschwörend an.

„Warum lässt du sie noch eine Weile hier, damit wir unsere Bekanntschaft etwas auffrischen können?“, erklang da eine amüsierte, tiefe Stimme neben ihnen. Die beiden Geschwister erstarrten. Gleichzeitig wandten sie sich dem Sprecher zu.

Bri fluchte innerlich. Er hatte es nicht geschafft, Anna rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu bringen.

Anna war wie erstarrt. Erinnerungen, die sie längst verdrängt geglaubt hatte, stürmten nun auf sie ein.

Vor ihr stand Liam, ihr Albtraum aus Kindheitstagen. Derjenige, der die Schuld in ihrem seelischen Trauma trug.

Er sogar noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Sogar unverschämt gut.

Liam hingegen betrachtete die zarte Gestalt vor ihm mit regem Interesse.

Sie war schon immer schlank und grazil gewesen, schon immer klein. Doch jetzt hatte sie sich zur Frau entwickelt mit genau den richtigen Kurven an den richtigen Stellen. Trotz des Schocks, der zweifellos in ihren Gliedern steckten, waren die wenigen Bewegungen die sie gemacht hatte, geschmeidig und fließend, wie die einer Tänzerin.

Ihr Haar war nun länger und glänzte in einem dicken Zopf. Es hatte ihn seit jeher fasziniert und er war versucht, sein Gesicht in der seidigen Fülle zu vergraben.

„Liam“, unterbrach Anna die angespannte Stille.

Ihre Stimme fuhr ihm durch den ganzen Körper.

Seidig, Rauchig.

Als ob sie gerade aus dem Bett kam, nachdem sie stundenlangen Sex genossen hatte.

Guten Sex.

Bei diesem Gedanken regte sich sein Geschlecht.

Oh ja, dachte er. Sie hatte noch immer eine ungeheure Wirkung auf ihn.

„Hallo Anna“, hauchte er mit seiner tiefen, vibrierenden Stimme.

Schmerz

Alex stand ein paar Schritte hinter Liam und ließ seinen Blick zwischen den Geschwistern und dem Mann hin und her wandern. Er spürte die Spannung die zwischen den Dreien herrschte und stellte sich nun dazwischen.

„Wie ich sehe, kennen Sie Brians Schwester Anna ebenfalls?“, fragte er betont beiläufig.

„Nun, wie ich bereits erwähnte waren die Beiden ungeheuer beliebt in unserem kleinen Dorf.“ Liam verzog seine Lippen zu einem süffisanten Grinsen.

Anna nach all den Jahren wiederzusehen traf ihn, sogar härter, als er es erwartet hatte. Ebenso wie der eiskalte Blick, mit dem sie ihn bedachte.

„Ich werde jetzt besser gehen“, murmelte sie leise und wandte sich ab.

„Ach, bleib doch noch. Wäre es nicht schön, wenn wir unsere Bekanntschaft bei einem Abendessen auffrischen würden?“

Entsetzt blieb sie stehen und auch Brian sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an.

„Danke, ich verzichte“, zischte sie und stürmte aus dem Gebäude.

Mit Bedauern sah er ihr nach.

Nun, es wäre wohl auch zu viel des guten gewesen, wenn sie sich freudestrahlend in seine Arme geworfen hätte, nach allem, was er ihr angetan hatte.

Er seufzte tief und wandte sich dann an Alex.

„Ich würde mich dennoch freuen, wenn wir unseren Abschluss mit einem Abendessen feiern. Brian, ich würde es sehr begrüßen, wenn Anna dich begleiten würde. Wir sehen uns dann um sieben im Hotel.“

Mit diesen Worten schlenderte er hinaus und schlug den Weg zur Tanzschule ein. Er wusste bereits, dass Anna dort unterrichtete und manchmal gar nicht aus dem Saal zu bekommen war. Sie hatte das Tanzen schon immer geliebt. Mit einem wehmütigen Lächeln erinnerte er sich an ihre erste Begegnung. Er hatte sie einem Engel gleich an dem seichten Flussufer durch das Wasser tanzen sehen. Obgleich ihre Bewegungen noch etwas ungelenk waren, hatten ihn ihre außergewöhnliche Schönheit und ihre Freude an der Bewegung in ihren Bann gezogen. Er war damals gerade mal siebzehn gewesen und als er erfahren hatte, dass er ein dreizehnjähriges Mädchen regelrecht angehimmelt hatte, hatte er sich zutiefst geschämt und sein Vater hatte ihn mehr als nur einmal deswegen bestraft. Liam hoffte, dass er sich ihr irgendwann erklären konnte. Im Augenblick war er froh, dass sie ihre Haare wieder hat wachsen lassen. Sie hatten ihn von je her fasziniert und als sie eines Morgens in der Schule mit diesen kurzen Stoppeln auf dem Kopf erschienen war, war er entsetzt gewesen.

Er liebte ihre seidige Mähne.

Ungesehen betrat er die Tanzschule und schlich sich zu einem der Tanzsäle aus dem ihm die Musik entgegen strömte. Anna wirbelte auf dem glänzenden Parkett herum, ihr graziler Leib bog und wand sich zu den Klängen. Ihr Zopf hatte sich gelöst und wirbelte als weiße Fülle um sie herum.

Anna konnte noch nicht lange tanzen, doch ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen blitzten. Als sie ihn entdeckte, blieb sie abrupt stehen. Ihr Atem ging stoßweise und ihr Haar lag wie ein Schleier um ihre Schultern. Genervt strich sie es zurück.

„Was willst du hier, Liam?“

„Nun, ich war neugierig. Anscheinend hast du fleißig geübt, damit du nicht mehr ganz so steif beim tanzen bist.“

Ihre schwarzen Augen funkelten ihn wütend an.

„Da du dich nun davon überzeugen konntest, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du jetzt verschwinden würdest.“

Anna war froh, dass ihre Stimme trotz ihrer Anspannung fest und kalt klang.

Liam wiederzusehen schmerzte sie sehr und sie hatte das Bedürfnis sich irgendwo zu verstecken. Zu tief saßen seine Worte in ihren Knochen. Hatten sich regelrecht in ihre Seele gebrannt.

„Nicht so unfreundlich Annie.“

„Nenn mich nie wieder Annie“, zischte sie bedrohlich.

„Anna, ich würde mich wirklich freuen, wenn du uns heute Abend begleiten würdest. Deinem Bruder und seinem Verlag würde es jedenfalls sehr gut bekommen.“

Er traf ihn, wie ganz selbstverständlich. Ihren wunden Punkt.

„Du erpresst mich?“

„Ich würde es nicht erpressen nennen. Sagen wir einfach, ich gebe dir einen kleinen Anstoß in die richtige Richtung.“

„Du Bastard!“

„Schon immer gewesen, meine Liebe“

Langsam kam er auf sie zu, streichelte behutsam mit einer Hand über ihre Wange und musste sich krampfhaft davon abhalten, ihre bebenden Lippen mit seinem Mund zu erobern. Es war noch zu früh.

„Wir sehen uns heute Abend, Anna.“ Mit diesen Worten ließ er sie stehen und ging.

Anna sah ihm wie erstarrt nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann gaben ihre Knie nach und sie sank auf den Boden. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und weinte.

Sie wollte ihn nicht wiedersehen und schon gar nicht wollte sie zu diesem Abendessen gehen. Doch er hatte ihre Schwachstelle getroffen. Sie würde es tun und wenn es sich umbrächte. Für Brian, für ihren Bruder und für Alex.

Nach geraumer Zeit, rappelte sie sich auf und schlich müde und verzweifelt durch die überfüllten Straßen zu ihrer Wohnung, die genau gegenüber der Wohnung ihres Bruders lag.

„Anna, verdammt, ich warte schon fast eine Ewigkeit auf dich“, empfing sie ihr Bruder in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte Brian bei ihrem Einzug einen Zweitschlüssel gegeben für Notfälle, jedoch ging er bei ihr ein und aus.

„Was ist passiert?“

Panisch suchte er sich nach etwaigen Verletzungen ab.

„Es ist nichts weiter, Bri“, versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Liam?“

Sie nickte.

„Es tut mir so leid, Annie. Ich hatte keine Ahnung, dass er es sein würde.“

„Schon gut.“

Sie holte tief Luft.

„Er möchte ich bei dem Abendessen dabei haben.“

„Ich weiß. Ich werde ihm einfach sagen, dass du dich nicht wohlfühlst.“

„Nein, ich werde dich begleiten.“

Brian sah sie überrascht an.

„Bist du dir sicher?“

„Liam hat mich schon einmal fertiggemacht. Ein weiteres Mal werde ich es ihm nicht gestatten.“

Bri schloss sie übermütig in seine Arme.

„Mach in fertig, Maus.“

„Du solltest jetzt gehen. Ich muss mich fertig machen.“

„Ich hole dich um halb sieben ab.“

Anna nickte und schloss hinter Brian die Tür. Ihr blieben noch fast zwei Stunden um sich zurechtzumachen.

Sie stieg schnell unter die Dusche, föhnte dann ihr Haar trocken und stand schließlich vor ihrem Kleiderschrank. Sie hatte nicht viele Kleider. Ihr Blick viel auf eine Kleiderfolie. Brian hatte ihr dieses Kleid zu ihrem 23. Geburtstag geschenkt. Mit einem kleinen Lächeln entfernte sie die Folie und besah sich das eisblaue Kleid. Es war perfekt.

Schlicht gehalten, schmiegte es sich eng an ihren Oberkörper, betonte ihre Hüften und ließ durch einen weiten Schlitz ihr Bein hervor blitzen. Ihre Schultern blieben unbedeckt, ihre Arme jedoch steckten in langen Ärmeln.

Zufrieden mit ihrer Wahl, zog sie sich schnell an und schminkte sich etwas. Ihr Haar kämmte sie auf eine Seite und ließ sie in einem lockeren geflochtenen Zopf über ihre Schulter fließen.

Zuletzt vervollständigte sie ihr Outfit mit kleinen Ohrringen und einer Kette, die den Blick auf ihr Dekolleté lenkte. Pünktlich um halb sieben klingelte Brian bei ihr. Ihm sackte der Unterkiefer nach unten, als er sie sah.

„Wow…“, war alles, was er herausbrachte.

„Du willst ihn umbringe, oder?“

„Wird es mir gelingen?“

„Zweifelsohne.“

Lächelnd verließen sie das Gebäude und fuhren den Weg zum Hotel in Brians Porsche, den er sich zur Gründung ihrer Firma geleistet hatte.

Alex und Liam standen bereits vor dem Hoteleingang und warteten auf sie.

„Dein großer Auftritt, Maus.“

Sie nickte nervös.

Brian stieg aus und eilte um den Wagen herum, um seiner Schwester beim aussteigen behilflich zu sein. Anmutig stieg sie aus und den beiden Männern blieb die Luft weg.

Liam fühlte sich wie erschlagen, als er Anna in ihrem Kleid sah. Verdammt, das Kätzchen fuhr die Krallen aus. Und wie. Er musste gegen den Drang ankämpfen, zu ihr zu laufen und sie zu einem stürmischen Kuss in seine Arme zu ziehen. Verdammt, jedes männliche Wesen in diesem Hotel würde ihr hinterher starren. Er ballte die Hand zur Faust und würde am liebsten bei Alex anfangen, so wie er Anna gerade mit seinem Blicken auszog.

„Alex!“, rief Anna freudig und ließ sich von ihm in eine Umarmung ziehen. Liam knirschte mit den Zähnen.

„Liam“, begrüßte sie nun ihn mit merklich kühlerer Stimme.

Sie reichte ihm ihre Hand zum Gruß und er führte sie an seine Lippen.

„Wie ich sehe, hast du dich in den letzten Jahren sehr gemacht, Prinzessin.“

„Das ist mit Sicherheit nicht dein Verdienst.“

Sie wandte sich wieder an Alex.

„Wollen wir?“

Grinsend nahm er ihren Arm und führte sie zu dem Restaurant.

Alex wusste zwar nicht, was genau zwischen Liam und Anna vorgefallen war, doch so, wie sie jetzt ihre Krallen zeigte, konnte es nichts Gutes sein. Er würde Bri nachher darüber ausquetschen müssen. Mit stolzgeschwellter Brust schritt er mit Anna an seinem Arm zu dem Restaurant und ließ sich dann von einem Kellner zu ihrem Tisch führen.

Anmutig ließ sich Anna auf ihren Stuhl sinken und war froh, als sich Brian neben sie setzte. Allerdings hatte Alex keine Gnade mit ihr und hielt Liam den Platz vor ihr frei, so dass sie gezwungen war, ihn während des Essens immer wieder anzusehen.

Kaum hatten sie sich alle gesetzt, stellte ein Kellner eine Champagnerflöte vor Anna ab. Verwirrt sah sie ihn an.

„Von dem Herrn an der Bar vorne“, erklärte er mit leiser Stimme.

Suchend sah sie sich um und entdeckte einen gutaussehenden Mann mittleren Alters an der Bar lehnen und ihr mit einem Whiskeyglas in der Hand zuprosten. Lächelnd erwiderte sie den Gruß und nippte an ihrem Getränk. Prickelnd rann ihr die kühle Flüssigkeit die Kehle hinab und berauschte sie. Anna trank nur sehr selten Alkohol und vertrug demnach nicht viel.

„Na so was aber auch. Kaum fünf Minuten sind wir hier und schon suchst du dir männliche Gesellschaft. Reichen wir drei dir etwa nicht?“, fragte Liam gehässig.

Seine silbrig, grauen Augen blitzten wütend und sie musste schlucken, bevor sie mit kalter Stimme antworten konnte.

„Jedenfalls habe ich mir gleich den interessantesten Mann in diesem Restaurant angelacht. Nichts für ungut, Alex.“

Alex schmunzelte nur und nickte ihr zu.

Liam war bleich geworden vor Zorn.

„Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass du dich so leicht hergibst und das noch an wildfremde Männer!“, zischte er leise.

„Liam!“, rief Brian und sah ihn wütend an.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich zurück.

Annas Hände zitterten und sie versteckte sie schnell in ihrem Schoß.

Der Kellner brachte ihnen die Speisekarte und sie bestellten.

Als ihnen ihre Getränke serviert wurden, stießen sie auf eine gute Zusammenarbeit an.

Das Gespräch plätscherte vor sich hin, hauptsächlich quetschte Alex Liam über dessen Karriere aus.

Als er ihn fragte, wie er sich seine Zukunft vorstellte, sah Liam ihr direkt in die Augen.

„Ich hoffe, dass ich bald die Frau, die ich nie vergessen konnte zum Altar führen kann.“

Anna verschluckte sich an ihrem Salatblatt und Brian klopfte ihr beruhigend auf den Rücken.

Irritiert schaute Alex sie an. Seine Neugier stieg von Minute zu Minute.

„Ist alles in Ordnung, Anna?“, fragte Liam unschuldig.

„Verzeih, aber die Vorstellung, du könntest ein Herz besitzen, dass auch noch zu solchen Gefühlsregungen fähig ist, war einfach ein zu großer Schock“, erklärte sie leicht atemlos.

Wenn du nur wüsstest, dachte Liam.

„Du tust mir Unrecht, meine Liebe.“

„Das bezweifel ich“, kam ihre kühle Antwort.

Die leeren Teller wurden abgeräumt und ihnen wurde ihr Hauptgang serviert.

Liam, Brian und Alex freuten sich über ihr Steak, während sich Anna an eine kleine Portion der ausgezeichneten Spagetti hielt.

Schweigend aßen sie einige Minuten lang, dann versuchte Alex sich wieder als Alleinunterhalter. Schließlich wurde es ihm zu viel und er bat Brian kurz vor die Tür. Perplex folgte Bri ihm und wurde kurz darauf auch schon von ihm in die Mangel genommen. Seufzend berichtete er von ihrer gemeinsamen Vergangenheit mit Liam O´Roake.

Währenddessen herrschte zwischen Anna und Liam eisiges Schweigen.

Zwar versuchte er immer wieder ein Gespräch mit ihr zu beginnen, doch sie blockte ab und als sie es nicht mehr aushielt, stand sie auf und flüchtete auf die Toilette.

Dort stand sie einige Minuten vor dem Spiegel. Liams Anwesenheit brachte sie dazu, sich schmutzig und hässlich zu fühlen. Unerwünscht. Sie musste gegen den Drang ankämpfen, ihre Haare unter einer Mütze zu begraben und ihre Augen hinter einer Sonnenbrille zu verstecken. Ihre Augen blitzen traurig und in ihnen lag ein jahrelanger Schmerz.

Entschlossen straffte sie ihre Schultern.

Sie würde sich nicht wieder von Liam fertig machen lassen. Und heute würde sie damit anfangen. Anna wusste, dass sie viele Männer schön fanden. In den letzten Jahren hatten viele mit ihr geflirtet und versucht sie in ihr Bett zu locken, auch wenn es bis jetzt noch keinem in ihrem Leben gelungen war.

Es war an der Zeit endlich damit anzufangen.

Vielleicht wäre der Mann von der Bar eine ganz nette Abwechslung.

Mit festen Schritten verließ sie die Toilette und ging zu der Bar.

Keine Sekunde später stand der gutaussehende Mann neben ihr.

„Noch ein Drink?“, fragte er mit seiner angenehm tiefen Stimme.

„Sehr gern“, antwortete sie lächelnd.

Der Barkeeper stellte auf das Zeichen des Herren zwei Gläser vor sie und füllte sie mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit.

„Langer Abend?“, fragte er.

„Mein Bruder, sein bester Freund und der Mann, den ich aus tiefstem Herzen verabscheue“, antwortete sie seufzend.

„Oha, das klingt nach einem kompletten Reinfall.“

Sie musterte ihn.

Großgewachsen, athletisch mit sehnigen Muskeln. Braune, warme Augen und blonde Haare.

„Nun, als kompletten Reinfall würde ich diesen Abend nicht bezeichnen.“

Ein strahlendes Lächeln trat auf seine Lippen und entblößte perfekte, weiße Zahnreihen.

Sie erwiderte es, ohne nachzudenken.

„Ich bin Matt“, stellte er sich schließlich vor.

„Anna, freut mich sehr, Matt“, sie ließ seinen Namen über ihre Zunge rollen und sah, wie er schluckte.

Gott, das war so einfach…

Matt gefiel ihr zwar, doch sein Gesicht war ihr ein wenig zu weich und sie mochte es, wenn ein Mann etwas breiter war und muskulöser. So wie Liam…

Schnell verdrängte sie den Gedanken und schenkte ihrem Gegenüber ihre ganze Aufmerksamkeit.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Liams Blick. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und seine Augen glühten. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie das unheilvolle Glitzern darin erkennen.

„Nun, Matt, ich muss mich leider wieder zu meiner Begleitung gesellen.“

Enttäuscht sah er sie an.

Dann kramte er in seinem Jackett und reichte ihr eine Visitenkarte.

„Ruf mich an, ich würde mich freuen, wenn ich dich wiedersehen könnte.“

Sie lächelte ihn an und nickte dann.

Langsam schlenderte sie mit schwingenden Hüften an ihren Tisch zurück.

„Nette Bekanntschaft gemacht?“, giftete Liam auch schon los, kaum dass sie wieder auf ihrem Stuhl saß.

„Sehr nett“, gurrte sie.

Er presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und ein Muskel begann in seiner Wange zu zucken.

Alex und Brian sahen sie beide etwas verwirrt an.

Sie waren während ihres Flirts mit Matt wieder hereingekommen.

Der Kellner servierte ihr Dessert, doch Anna stocherte nur lustlos darin herum. Liams Anfeindungen lagen ihr schwer im Magen und sie hatte ein schlechtes Gewissen, da sie nur mit Matt geflirtet hatte, um Liam zu vergessen.

Sie ließ die Gespräche an sich vorbeiziehen und antwortete nur, wenn sie gefragt wurde.

Ein Räuspern unterbrach das Gemurmel im Restaurant.

Eine kleine Band hatte sich unbemerkt auf der Bühne platziert.

Es wurden ein paar Songs angekündigt und nach den ersten Takten gesellten sich bereits vereinzelte Paare auf die Tanzfläche.

Als dann ein Tango gespielt wurde, ergriff Brian die Hand seiner Schwester und zog sie mit sich. Langsam nahmen sie ihre Position ein und begannen zu tanzen. Er hatte jahrelang mit ihr geübt und schon bald formte sich eine kleine Gruppe um sie, die sie fasziniert bestaunte.

Bri wirbelte sie über das Parkett und Annas Augen leuchteten begeistert.

Am Rand nahm sie wahr, dass Liam und auch Matt um sie herumstanden und sie beobachteten. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich nur auf die Musik und ließ sich von Brian führen. Als der Song endete, lächelte sie.

Bri zog sie in seine Arme und strich ihr liebevoll über ihr Haar.

„Das sollten wir wirklich öfters machen“, flüsterte er leise und sie nickte begeistert.

Grinsend führte er sie unter dem Applaus aller Anwesenden zurück zu ihrem Tisch und verlangte dann die Rechnung. Anna wartete kurz und sah sich die tanzenden Paare an. Schließlich entdeckte sie Liam, der eng umschlungen mit einer hinreißenden rothaarigen einen langsamen Walzer tanzte. Ihr Magen verkrampfte sich.

Er hatte sich in all den Jahren nicht verändert. Rannte noch immer jedem Rock hinterher.

Enttäuscht verließ sie das Restaurant, ohne sich von Alex oder Liam zu verabschieden. Brian folgte ihr kurz darauf.

Gemeinsam schlenderten sie zu Bris Wagen.

„Mann, bin ich froh, dieses Essen hinter mir zu haben“, stöhnte er erschöpft.

Sie nickte nur.

„Ich habe Alex alles erzählt“, sagte er dann leise.

Überrascht sah sie ihn an.

„Er hat mich vorhin ausgequetscht und ich fand er sollte es wissen.“

„Schon gut“, murmelte sie nur.

Schweigend fuhren sie nach Hause und wünschten sich an ihren Wohnungstüren noch eine gute Nacht.

Anna ließ sich vollkommen erschöpft auf ihre Couch sinken und schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. Jemand klopfte an ihrer Tür. Verwundert rappelte sie sich auf und ging zur Tür, in der Annahme Brian hätte etwas vergessen. Als sie jedoch erkannte, wer da vor ihrer Tür stand, wollte sie sie sofort wieder schließen, doch eine Hand hinderte sie daran.

Liam drückte die schwere Holztür auf und schlüpfte in ihre Wohnung.

„Was willst du hier?“, fragte sie ihn wütend.

„Du hast dich nicht verabschiedet“, grinste er.

„Deswegen bist du hier? Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?“

„Ich weiß so einiges, Anna.“

Langsam kam er auf sie zu, drängte sie gegen die Wand ihres Flurs.

„Bekomme ich einen gute Nacht -  Kuss?“

Sie riss ungläubig ihre Augen auf.

Hatte sie gerade richtig gehört?

„Verschwinde, O´Roake.“

„So abweisend? Womit habe ich das nur verdient?“

„Das weißt du ganz genau und jetzt geh endlich!“

Plötzlich lag seine Hand an ihrer Wange und er sah ihr tief in die Augen.

Sie musste den Kopf in den Nacken legen, da sie ihm gerademal bis zur Schulter reichte.

Seine Augen verschlangen sie förmlich und ihr viel das Atmen schwer.

„Liam…“, wisperte sie unsicher.

Sie wollte nicht von ihm berührt werden, wollte nicht, dass er sie so ansah.

„Anna“, flüsterte er rau. Langsam schüttelte er seinen Kopf und ließ sie los. Erleichtert und ein wenig enttäuscht atmete sie auf.

„Ich sollte jetzt gehen. Wir werden uns sicher bald wiedersehen.“

Mit diesen Worten verließ er ihre Wohnung und ließ sie verwirrt alleine zurück.

Draußen angekommen ließ er sich von der kühlen Nachtluft umfangen und langsam beruhigte er sich wieder.

Anna in diesem Kleid zu sehen, wie sie mit einem anderen flirtete, wie sie tanzte, hatte hart an seiner Selbstbeherrschung gezerrt und als sie vorhin seinen Namen geflüstert hatte, wäre es um ein Haar zu spät gewesen. Er wollte sie küssen, wollte sie in seine Arme ziehen, ihren zarten Körper an seinem spüren.

Verdammt, sie war so verflucht schön.

Wenn er sich nicht anstrengte, dann würde er sie verführen noch eher sie ihm verziehen hatte.

Bilder von ihr in seinem Bett, Nackt und erregt, tanzten vor seinem inneren Auge und er stellte entsetzt fest, dass sich allein schon bei der Vorstellung sein Penis aufrichtete und unangenehm gegen seine Hose rieb. Das würde eine verdammt lange Nacht werden. Er seufzte.

Anna lag noch lange wach und wälzte sich unruhig in ihrem Bett hin und her.

Bilder aus ihrer Kindheit quälten sie und ihr liefen die Tränen über das Gesicht. Am Morgen stand sie komplett gerädert auf, ging duschen und nach einem kurzen Frühstück lief sie zu der Tanzschule. Dorf wurde sie von einer freudestrahlenden Mimi empfangen.

„Rate mal, wer mich heute Morgen angerufen hat“, zwitscherte sie fröhlich.

„Nun, ich kann leider noch nicht Hellsehen“, sagte sie genervt.

Mimi runzelte verwirrt die Stirn, ließ sich jedoch nicht beirren.

„Der Manager der hiesigen IT – Firma will, dass wir auf dem alljährlichen Firmenfest auftreten und etwas vorspielen. So richtig mit Rolle und Kostümen! Die Kosten sind dabei nebensächlich, hat er gesagt. Kannst du dir das vorstellen?“ Sie klatschte begeistert in die Hände und sah damit eher weniger wie eine fast fünfzigjährige, gestandene Frau aus.

„Das ist wirklich großartig“, versuchte Anna begeistert zu sein.

Mimi sah sie missbilligend an.

„Ich hoffe du findest zu Hause etwas mehr Enthusiasmus. Ich erwarte eine astreine Choreo. Ab, ab mit dir. Ich will dich heute nicht mehr hier sehen. Vielleicht solltest du dir auch noch eine Mütze Schlaf gönnen.“

Sie scheute Anna aus dem Gebäude und verwirrt blieb diese kurz stehen, ehe sie sich achselzuckend auf den Weg zu Brian machte.

Träume und Wut

 

Im Verlag stieg sie schnurstracks die Treppen hinauf und betrat ohne anzuklopfen das Büro ihres Bruders, blieb dann jedoch abrupt stehen.

Liam stand mit dem Rücken zu ihr vor der Fensterfront und telefonierte.

„Sean, ja ich habe sie gefunden.“

Er lauschte seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung.

„Nein, natürlich ist sie nicht gut auf mich zu sprechen!“, rief er aufgebracht und raufte sich die Haare, die wild von seinem Kopf abstanden.

Neugierig zog Anna die Tür wieder zu, ließ sie jedoch einen spaltweit offenstehen und lauschte interessiert dem Gespräch.

„Was denkst du denn? Verdammt, Sean, ich hab es endlich geschafft, da kann sie sich noch so sehr sträuben, ich werde sie bekommen. Egal, was ich dafür tun muss.“

Wieder trat Stille ein.

„Sie hasst mich und ich kann es ihr noch nicht mal verübeln. Wenn sie mich wenigstens erklären lassen würde, warum ich es getan habe.“

Anna lehnte sich noch etwas mehr gegen die Tür.

„Ich liebe sie Sean, schon seit ich sie das erste Mal gesehen habe. Ich liebe sie einfach.“

Liams Stimme klang beinahe…verzweifelt.

Sie runzelte die Stirn.

Wer war sie, dass sie es schaffte, ihn so zu verzaubern, dass er an seinen Gefühlen verzweifelte?

Sie verspürte einen kleinen Stich in ihrem Herzen und verwundert sah sie auf ihre Brust.

War sie etwa eifersüchtig?

Hastig schüttelte sie ihren Kopf. Das war unmöglich.

„Anna?“

Sie zuckte zusammen.

Alex kam mit großen Schritten auf sie zu.

„Was machst du denn hier?“

„Ich wollte zu Bri.“

„Er ist gerade bei einem Klienten. Komm, lass uns in meinem Büro ein Kaffee trinken. Du siehst so aus, als könntest du eine ordentliche Portion Muntermacher vertragen.“

„Du hast ja keine Ahnung“, seufzte sie und ließ sich von ihm fortführen.

„Nancy, würden Sie uns bitte einen Kaffee bringen? Danke“, sagte Alex an ihre Sekretärin gewandt.

„Aber sicher doch“, lächelte sie und verschwand hastig.

„Setzt dich, meine Kleine.“

„Wirst du je aufhören, mich so zu nennen?“

Er grinste, was seine topasfarbenen Augen zum Leuchten brachte.

„Niemals!“

Sie seufzte.

„Womit habe ich das nur verdient?“

„Nun, du bist eben klein, Anna“, kam prompt die Antwort.

„Ich bin nicht klein!“

„Du bist winzig.“

„Ich bin 1,65 m!“

„Ja? Klein eben.“

„Es ist eine normale Größe. Es kann ja nicht jeder ein solcher Riese wie du oder Brian sein.“

Sie verzog wiederwillig das Gesicht. Sie hasste es, wenn sie jemand als klein bezeichnete.

„Oh Annie“, lachte Alex jetzt nun.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sie ließ sich auf dem Sessel ihm gegenüber sinken.

Nancy brachte ihnen ihren Kaffee und verschwand dann wieder. Nicht jedoch, ohne Alex einen schmachtenden Blick zuzuwerfen.

Schmunzelnd registrierte Anna, wie auch Alex der davoneilenden Gestalt einen hungrigen Blick zuwarf.

Er trank einen Schluck.

„Wie lange läuft das schon mit deiner Sekretärin?“, fragte sie beinahe beiläufig.

Alex verschluckte sich an dem heißen Getränk. Hustend tastete er nach einem Taschentuch. Lächelnd reichte sie ihm eins.

„Verdammt Anna, willst du mich jetzt schon ins Grab bringen?“ Er fluchte.

„Vielleicht.“

Alex sah sie durchdringend an.

Dann schloss er seine Augen und seufzte.

„Eine Weile“, antwortete er schließlich.

„Was heißt eine Weile?“

„Drei oder vier Monate.“

Sie machte große Augen.

„Wow, du bist ja ein echter Aufreißer. Und sie muss wirklich eine Granate sein, wenn du noch immer bei ihr bist.“ „Was soll das denn heißen?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Nun ja Alex, du bist nicht gerade für deine langen Beziehungen bekannt“, schmunzelte sie.

„Verdammt Anna, ich werde mit dir jetzt nicht über mein Sexleben reden!“

„Du redest, ich höre bloß zu.“

Er seufzte leidgeprüft.

„Du bist der Teufel.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Darauf ein Amen.“

Er grinste.

„Weswegen warst du eigentlich so früh hier?“

„Mimi hat mich rausgeschmissen, weil ich nicht begeistert genug über unseren neuesten Auftrag war. Und weil ich mir eine Choreo ausdenken soll.“

„Ein neuer Auftrag?“

„Ja, irgendeine IT-Firma will, dass wir ein Stück vortanzen. So richtig mit Schauspiel und Kostümen.“

„Aber das ist doch toll?“

„Ja schon, ich bin bloß einfach müde.“

Er musterte sie stirnrunzelnd.

„Wie lange hast du eigentlich geschlafen?“

„Zwei oder drei Stunden schätze ich mal.“

Alex schloss seufzend die Augen.

„Dann leg dich, um Himmels Willen, hin, Anna und ruh dich noch aus.“

„Ich will jetzt noch nicht zurück in meine Wohnung. Da würde ich nur rumsitzen und an Schlaf wäre gar nicht zu denken.“

„Warte kurz.“

Er verließ sein Büro und kam kurze Zeit darauf mit einer Decke in der Hand wieder.

„Leg dich hier ein wenig hin. Ich bin für ein paar Stunden weg und ich werde Nancy Bescheid geben.“

Sie nickte leicht.

Es hatte keinen Sinn mit Alex zu diskutieren, wenn er dieses Funkeln in den Augen hatte.

„Na komm, Annie.“

Gehorsam ließ sie sich auf der ledernen, schwarzen Couch im hinteren Teil von Alex Büro sinken.

Er deckte sie zu und sie schloss ihre Augen. Entgegen ihrer Erwartung, war sie kurz darauf tief und fest eingeschlafen.

So bemerkte sie auch nicht, wie Alex das Büro verließ und jemand anderes es betrat.

Liam sah sich in Alex´ Büro um und entdeckte dann Annas schlafende Gestalt auf der Couch.

Etwas überrascht kam er näher.

Sie lag zusammengerollt da, eine Hand neben ihrem Kopf, die Lippen leicht geöffnet, das Haar, wie ein Heiligenschein um sie verteilt.

Er schluckte.

Sollte er es wagen?

„Anna?“, fragte er leise.

Sie regte sich nicht.

Er sah sich kurz um, dann beugte er sich zu ihr hinunter.

Kurz vor ihren Lippen hielt er inne, dann presste er seinen Mund auf ihren. Er musste ein Stöhnen unterdrücken. Das Gefühl ihrer sanften, weichen Lippen auf seinen durchzuckte ihn und ließ ihn hart werden. Sein ganzer Körper verlangte nach ihr und so ließ er den Kuss andauern, bewegte seine Lippen auf ihren und fuhr mit seiner Zunge über ihre Unterlippe.

Sie seufzte leise.

Dann erwiderte sie seinen Kuss und er musste an sich halten, um sie nicht an sich zu reißen.

Langsam löste er sich von ihr und verließ hastig das Büro. Gegen die Tür gelehnt musste er erst mal tief Luft holen und sich etwas beruhigen. Seine Hose konnte seine Erregung nicht verbergen und er wollte den Angestellten in diesem Verlag nicht unbedingt einen Grund zum tuscheln geben.

Gott, es war nur ein einfacher Kuss und doch hatte er ihn so mitgerissen, dass er versucht war seine Selbstbeherrschung zum Teufel zu schicken und sich zu Anna auf die Couch zu gesellen.

„Bald“, murmelte er zu sich selbst.

„Mr. O´Roake, Sie sind noch hier?“, fragte ihn Nancy, als sie an ihm vorbeilief.

„Ich wollte gerade gehen.“

Sie nickte und eilte davon.

Er holte noch einmal tief Luft und verließ dann den Verlag.

 

„Hey, Annie, komm schon. Wach endlich auf, ich will nach Hause.“

Brad rüttelte seine Schwester sanft an der Schulter.

Murrend öffnete sie endlich ihre Augen und blinzelte ihn verwirrt an. Dann setzte sie sich hastig auf.

„Oh Gott, wie spät ist es?“

„Beinahe sieben. Du hast den ganzen Tag verschlafen. Hast wohl einen richtig tollen Traum gehabt?“, schmunzelte er.

„Gott Bri, warum hast du mich nicht eher geweckt.“

„Alex meinte, du hättest letzte Nacht nicht wirklich viel Schlaf abbekommen.“

Anna seufzte.

Sie befreite sich von der Decke, die sich um ihre Beine gewickelt hatte und stand auf. Sie streckte sich und hörte ihre Knochen knacken.

„Sag mal, wie lange hast du denn auf dieser Couch gelegen?“

„Ich war um acht Uhr hier.“

Er sah sie überrascht an.

„Okay, dann ab mit dir. Wir fahren jetzt nach Hause und ich werde zusehen, dass du ins Bett kommst.“

„Hey, ich habe gerade fast elf Stunden geschlafen. Heute Nacht werde ich garantiert kein Auge zu machen können. Außerdem muss ich mir noch eine Choreo ausdenken.“

Brian seufzte.

„Wie du meinst. Lass uns gehen.“

Anna folgte ihm zu seinem Wagen.

„Ich verstehe echt nicht, warum du nicht zum Verlag läufst. Es ist nun wirklich nicht weit.“

„Anna, ich weiß ja, dass du gerne deine Umgebung um dich herum vergisst, aber wie bis jetzt jeder feststellen konnte, wir haben Herbst und es wird immer kälter.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ja und? Dann ziehst du dir eben etwas mehr an. Das ist doch kein Grund.“

„Es kann nicht jeder im Winter mit Hotpants und Top rumlaufen, so wie du.“

„Das ist bis jetzt nur einmal vorgekommen und es war auch gar nicht so kalt.“

„Es lagen verdammte zwei Meter Neuschnee vor unserer Einfahrt und du sagst, es war nicht so kalt? Jeder hat dich angestarrt, als ob du der Teufel persönlich wärst.“

„Mir war nicht kalt. Was kann ich dafür, dass ihr alle solche Frostbeulen seid?“

„Wir sind normal.“

Er schüttelte ungläubig seinen Kopf.

„Manchmal glaube ich echt, du bist nicht von dieser Welt. Du bist mit deinen Ballerinas durch den Schnee gestapft. Wie konntest du es nicht merken? Deine Füße waren danach blau!“

„Ich war eben in Gedanken.“

„Wenn ich nicht auf dich aufpassen würde, wärst du wahrscheinlich schon tausendmal im Schnee erfroren.“

„Nur, weil ich keine solche Frostbeule bin, heißt das noch lange nicht, dass ich so etwas nicht gemerkt hätte“, schnaubte sie empört.

Mittlerweile standen sie vor der Haustür und Brian kramte in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel.

Hastig öffnete er die Tür und schloss sie wieder um die kalte Luft auszuschließen.

„Es kann ja auch nicht jeder mit offener Balkontür schlafen, wenn draußen Minusgrade sind.“

„Ach, jetzt übertreibst du.“

„Na na, ihr zwei. Ihr unterhaltet das ganze Haus mit eurem Streit.“

Elle, ihre Vermieterin, kam lächelnd auf sie zu und begrüßte sie beide mit einer herzlichen Umarmung.

„Wir streiten nicht. Ich versuche meiner Schwester bloß klar zu machen, dass nicht jeder die Kälte so gut verträgt, wie sie. Es ist fast schon unnatürlich. Sie merkt ja noch nicht mal, dass es kalt ist, wenn sie mit kurzer Hose bis zur Hüfte im Schnee steckt.“

Elle winkte ab.

„Solange sie es verträgt, wird ihr die Kälte schon nicht schaden.“

„Siehst du?“

Bri zog einen Flunsch.

„Wieso musst du sie auch noch unterstützen, Elle?“

„Anna ist nun wirklich alt genug, um auf sich selbst aufzupassen.“

Brian warf die Arme in die Luft und seufzte resigniert.

„Ach, dann macht doch, was ihr wollt. Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht.“

„So früh?“, fragte Anna verwundert.

„Hatte einen stressigen Tag.“ Mit diesen Worten verschwand er in seiner Wohnung.

„Ich werde mich dann auch nochmal hinlegen“, sagte Anna zu Elle und unterdrückte ein herzhaftes Gähnen.

„Mach das, Kindchen.“

Elle tätschelte ihre Wange und lief den Flur entlang, bis sie um eine Ecke verschwand.

Müde öffnete Anna ihre Tür und zog sich ihre Schuhe aus.

Ihre dünne Jacke hängte sie an einen Hacken und lief in die Küche. Sie machte sich einen Tee und setzte sich auf ihre Couch.

Die Beine an den Körper gezogen trank sie das heiße Getränk und starrte ins Leere.

Das Gespräch mit Brian hatte sie vorhin von ihrem Traum abgelenkt, doch nun sah sie die Bilder wieder vor ihrem inneren Auge.

Sie sah die dunkle Gestalt des Mannes vor sich, spürte noch seinen Kuss auf ihren Lippen.

Es hatte sich so echt angefühlt. Noch immer glaubte sie seinen Mund auf ihrem zu spüren. Gedankenverloren strich sie mit ihren Fingern über ihre Unterlippe.

Der Druck der warmen, rauen Lippen war immer noch da.

War es überhaupt möglich, so real zu träumen?

Heftig schüttelte sie ihren Kopf, um die Gedanken an ihren Traum zu vertreiben.

Mimi vertraute darauf, dass sie eine Choreo zusammenstellte, die die Mitarbeiter der IT – Firma von ihren Sesseln holte.

Sie beschloss, sich ein wenig über ihren Auftraggeber zu informieren. Anna schaltete ihren Laptop an und setzte sich im Schneidersitz auf ihre Couch.

Sie öffnete das Internet und gab den Namen der Firma ein.

Kurz darauf öffnete sich die Homepage und sie begann interessiert zu lesen.

Demnach wurde die Firma vor fünf Jahren gegründet worden, von einem jungen Geschäftsmann. Sein talentierter Umgang mit seinen Mitarbeitern und der Konkurrenz hatte sie in der kurzen Zeit zu einer der führenden Firmen auf dem Markt gemacht.

Nun war Annas Neugier geweckt.

Mimi hatte erwähnt, dass der Manager der Firma sie beauftragt hatte.

Sie klickte sich durch die zahlreichen Informationen, bis sie die Mitarbeiterliste erreichte.

Der Manager hieß Sean MCGee.

Sie runzelte die Stirn.

Der Name kann ihr irgendwie bekannt vor, sie konnte sich nur nicht daran erinnern woher.

Laut dem Verzeichnis stand nur noch der Geschäftsführer über dem Manager. Gespannt scrollte sie runter und erstarrte.

Liam O´Roake lächelte ihr entgegen.

Unter seinem Bild stand in großer Schrift „Geschäftsführer“.

Anna begann vor Zorn zu zittern.

Blind vor Wut stellte sie ihren Laptop auf den Couchtisch und sprang auf. Sie wollte diesen verlogenen Mistkerl zur Rede stellen. Und zwar sofort.

Ohne sich Großartig um ihr Outfit, dass nur aus einem bauchfreien Top und einer sehr kurzen Hose, die kaum ihren Hintern bedeckte, bestand, zu scheren, verließ sie ihre Wohnung und hastete zu ihrem Wagen. Er war nicht ganz so protzig wie der Wagen ihres Bruders, doch er hatte ihr schon immer gefallen.

Sie startete den Motor und fuhr los.

Ihr erster Anhaltspunkt war das Restaurant, in dem sie zu Abend gegessen hatten. Dort angekommen, stürmte sie aufgebracht zur Rezeption und ermahnte sich dann zur Höflichkeit. Wenn sie hier wie eine Furie auffuhr, würde sie niemals Liams Zimmernummer erfahren.

Sie setzte ihr charmantestes Lächeln auf und schlenderte die wenigen Meter zum Tresen, hinter dem ein junger Mann saß.

„Guten Abend“, hauchte sie.

Der Mann hob den Kopf und sie konnte seinen Adamsapfel hüpfen sehen.

Soweit, so gut.  

„Ich hatte mich gefragt, ob sie mir vielleicht weiterhelfen könnten“, ein unschuldiger Augenaufschlag folgte ihren Worten.

Der Mann sprang hektisch von seinem Stuhl und stotterte:“ Aber sicher doch. Was kann ich denn für Sie tun?“

„Ich suche einen gewissen Liam O´Roake. Ist er zufällig Gast bei Ihnen?“

Die Augen des jungen Mannes zuckten hektisch hin und her. Er war sichtlich hin und hergerissen.

„Es tut mir leid, aber ich darf Ihnen keine Auskunft über einen unserer Gäste geben.“

„Also wohnt er zurzeit hier?“

Er nickte kurz, schüttelte dann doch den Kopf. Sie hatte ihre Antwort. Der Mistkerl war hier.

„Ich will sie wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen, aber ich bräuchte wirklich seine Zimmernummer. Wissen Sie, wir waren verabredet, doch wir haben uns verpasst und nun möchte ich ihn ein wenig überraschen.“

Noch ein unschuldiger Augenaufschlag.

„Ich kann wirklich nicht…“

„Ich bitte Sie. Lassen Sie mich nicht verzweifeln.“

Sie bemühte sich und schaffte es, einige Tränen in ihre Augen zu zaubern. Niemand musste wissen, dass es Tränen des Zorns waren.

„Nicht doch“, rief der junge Mann verzweifelt und setzte sich vor seinen Computer.

„Mr. O´Roake wohnt im sechsten Stock. Seine Zimmernummer ist die 612.“

Sie lächelte strahlend.

„Sie sind wirklich eine gute Seele, danke.“

Sie beugte sich kurz vor, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und ging dann zu den Lifts.

Kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, drückte sie zornig auf die Taste, die den Lift direkt in den sechsten Stock befördern würde.

Ein paar Sekunden darauf, öffneten sich die Türen wieder und sie stieg auf. Kurz darauf stand sie vor der Zimmertür mit der 612 darauf.

Sie klopfte.

Eine Zeitlang konnte sie nichts hören, doch dann vernahm sie Schritte, die sich der Tür näherten.

Liam öffnete die Tür, nur mit einer langen Jogginghose bekleidet und starrte sie verwundert an.

„Anna?“

„Mistkerl“, zischte sie und schlug ihn mit der geballten Faust auf die Brust.

Verwirrt trat er einen Schritt zurück. Sofort drängte sie sich an ihm vorbei ins Zimmer.

„Was zum Teufel…“, setzte er an, wurde aber von einer weiblichen Stimme unterbrochen.

„Liam, Schatz, wer ist denn da?“

Anna erstarrte und wandte sich ganz langsam um.

Aus einem angrenzenden Zimmer trat eine wunderschöne, nur leicht bekleidete Frau.

Das lange, blonde Haar war zerzaust. Offenbar, war sie gerade erst aus dem Bett gestiegen.

Sie wandte sich wieder Liam zu.

„Du scheinst sie ja gefunden zu haben.“

Sie wollte an ihm vorbei gehen, doch er hielt sie am Arm fest.

„Lass mich los“, zischte sie.

„Erst sagst du mir, was du hier willst!“, zischte er zurück.

„Ich weiß, dass du die Tanzschule damit beauftragt hast, ein Spiel für dich zu organisieren. Du scheinheiliger Mistkerl! Du weißt ganz genau, dass ich dort arbeite und für das Stück die Choreo gestalten muss. Was bezweckst du damit?“

Ein schiefes Lächeln schmückte seine Lippen.

„Ich dachte, ihr könntet diese kleine finanzielle Spritze gut vertragen. Das Haus ist schon etwas verfallen.“

„Du Arsch!“

Anna riss sich von ihm los.

„Du läufst weg, kleine Annie?“

„Nenn mich nicht so.“

„Sag, Anna. Bist du zu feige? Traust du dich nicht, dieses Stück für meine Firma zu choreographieren?“

Sie straffte ihre schmalen Schultern.

„Ich werde die Choreo machen. Immerhin können deine Mitarbeiter nichts dafür, dass ihr Chef ein sadistisches Arschloch ist.“

Mit diesen Worten stolzierte sie mit hoch erhobenem Haupt davon.

Liam starrte ihr hinterher und musste sich am Türrahmen festklammern, um sie nicht zu packen und in sein Schlafzimmer zu bringen. Er wollte ihre Haare auf seinem Bett ausgebreitet sehen, auf rotem Satin.

Ihre knappe Kleidung machte ihm den Mund wässrig.

Er schluckte.

Sarah kam zu ihm und schlang ihm die Arme um die Taille.

„Das ist sie also?“

Er nickte abwesend.

„Sie ist wirklich außergewöhnlich“, schnurrte sie amüsiert.

„Sie hasst mich.“

Liam schloss seine Augen.

Wenn Anna nur wüsste, was sie ihm bedeutete und immer bedeutet hatte.

„Nun, du kannst es ihr nicht verdenken. Nach allem, was Sean mir erzählt hat, wäre es ein Wunder, wenn sie dich nicht hassen würde.“

„Ich weiß.“

„Sie denkt, wir waren zusammen im Bett“, amüsierte sie sich.

„Du hast ja auch nichts getan, um ihren Verdacht zu zerstreuen!“, brauste er auf und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.

„Nun, woher soll sie auch wissen, dass ich die Frau deines besten Freundes und gleichzeitig deine beste Freundin bin?“

Sie schmunzelte.

„Morgen ist auch noch ein Tag.“

Sarah ging zurück ins Schlafzimmer und schloss die Tür.

Liam blieb mit geballten Fäusten im Raum stehen.

Oh Anna, dachte er verzweifelt.

 

Anna erwachte am nächsten morgen vollkommen gerädert, doch mit einem Plan ihrem Alptraum Liam O’Roake  endgültig den gar aus zu machen.

Sie hatte sich eine so fesselnde Choreo ausgedacht, bei der ihm die Worte fehlen würden.

Er würde an ihnen ersticken und direkt zur Hölle fahren.

Zielstrebig machte sie sich auf zur Tanzschule.

„Anna, mein Täubchen!“

Freudestrahlend wirbelte sie herum und warf sich in die ausgebreiteten Arme des Mannes hinter ihr. Er wirbelte sie herum.

„Steph!“, jauchzte sie überglücklich.

„Mein Täubchen, erzähl wie geht es dir?“

Er drückte ihr jeweils einen Kuss auf beide Wangen.

„Jetzt wieder besser“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

Seitdem sie in der Tanzschule arbeitete, war Stephen Carthy ihr bester Freund. Er wusste alles von ihr. Von ihrer Kleidergröße bis hin zu ihren geheimsten Ängsten und Wünschen. Auch ihre Vergangenheit kannte er.

„Was ist geschehen, seitdem ich weg war?“ Steph kannte sie einfach zu gut.

„Liam O´Roake“, sagte sie leise. Er verstand sofort und zog sie fester in seine muskulösen Arme.

„Oh Täubchen.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Wir sollen für seine IT – Firma einen Auftritt organisieren. Mit Kostümen, Schauspiel und allem drum und dran.“

Er hob überrascht eine Augenbraue. Seine blaue Augen strahlten regelrecht.

„Und so, wie ich dich kenne, hast du bereits eine Choreo, die ihn direkt in die Hölle schicken wird?“

„Oh ja. Worauf du dich verlassen kannst.“

Er grinste diabolisch.

„Was stehen wir dann noch hier rum? Lass uns die anderen zusammentrommeln und anfangen.“

Sie lächelte.

„Ach Steph, warum kannst du mich nicht lieben.“

„Aber ich liebe dich doch, meine Blume!“

„Warum bist du dann nicht bereit, für mich das Ufer zu wechseln?“, fragte sie schmollend.

„Ach, meine Süße, du weißt doch, dass ich nicht schwimmen kann. Außerdem stehe ich auf harte Sachen.“ Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.

„Oh, du bist so verflucht pervers!“

Sie boxte ihn auf den Oberarm und er tat so, als krümme er sich vor Schmerzen.

„Aber Anna…“

Sie lachte.

„Jetzt geh schon, ich warte auf euch im Saal.“

Er grinste und marschierte federnden Schrittes davon.

Sie sah ihm nach und seufzte dann.

Wäre Steph nicht schwul, könnte sie sich glatt in ihn verlieben.

Anna lief in den Saal und streifte sich die dünne Jacke von den Schultern, an die Brian sie noch hastig im vorbeigehen erinnert hatte. Er war mal wieder zu spät dran gewesen. Alex würde ihn köpfen, so wie er es jedes einzelne Mal bei Gott und allen Mächtigen schwor, wenn Bri mal wieder zu spät kam.

Sie stellte die Musik an und begann sich aufzuwärmen. Sie durfte vor so einem großen Auftritt keinen Muskelriss oder eine Zerrung riskieren.

Jemand klatschte hinter ihr und sie drehte sich verwirrt um.

Liam stand im hinteren Teil des Saals, halb im Schatten verborgen.

Sie seufzte.

„Was willst du hier?“

„Ich will sehen, wie die Hauptattraktion unseres diesjährigen Firmenfestes entsteht. Immerhin investiere ich eine beachtliche Summe in dieses Projekt.“

„Es ist nicht üblich, dass wir bei unseren Proben beobachtet werden. Ich kann dir garantieren, dass unser Auftritt alle von dir gesetzten Erwartungen erfüllen wird.“

Er wollte gerade antworten, als die Tür aufging und Steph mit den Anderen den Saal betrat.

„Meine Blume, wie ich sehe, hast du schon ohne uns angefangen.“ Steph kam auf sie zu und wirbelte sie einmal im Kreis herum.

Dann drückte er sie fest an sich und strich ihr über den bebenden Rücken. Erst dann wandte er sich an den anderen Mann, der mit geballten Fäusten und zorniger Miene im Raum stand.

„Und Sie sind?“

„Ich bin der Auftraggeber.“

„Sie sind Liam O´Roake?“

Er nickte, seine Augen waren weiterhin auf Anna gerichtet, die in den starken Armen des anderen Mannes beinahe verschwand. Liam wollte sie aus dessen Armen reißen und sie fest in die Seine schließen. Und sie nie mehr loslassen.

„Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich mich freue, Sie kennenzulernen, aber wir werden schon klarkommen. Wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir jetzt gerne unsere Choreo besprechen.“

„Ich hatte Anna bereits gesagt, dass ich den Proben beiwohnen werde.“

„Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber der Zutritt zu diesen Proben ist nur den mitwirkenden Tänzern gestattet.“

Liam richtete die Kraft seines Blickes auf Steph.

„Und Sie sind?“

„Stephen Carthy. Ich werde Annas Partner in diesem Stück spielen.“

„Ich verstehe.“

Sein Blick glitt wieder zu der Frau in Stephs Armen. Sie hatte den Kopf an dessen Schulter vergraben und strich selbstvergessen über dessen Arm.

Liam zwang sich, seine Wut runterzuschlucken und vorerst den Rückzug anzutreten.

Wie Sarah so weise gesagt hatte, morgen war auch noch ein Tag.

Er verließ den Saal und marschierte direkt zu dem Büro von Miranda Cartland. Annas Chefin.

„So, dann lasst uns mal anfangen“, rief Steph, nachdem Liam den Raum verlassen hatte.

Anna atmete erleichtert aus. Liams Präsenz nahm ihr die Luft zum atmen.

Sie klatschte in die Hände, schüttelte kurz den Kopf und erklärte dann den Anderen, was sie sich vorgestellt hatte. Ihr Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen. Schnell waren die Rollen verteilt und die Proben begannen.

Sie hatten nur zwei Wochen, bis die Firma ihr Fest veranstaltete und von ihnen unterhalten werden wollte.

Die ganze Gruppe arbeitete hart und nähte in ihrer knapp bemessenen Freizeit die Kostüme.

Anna sah Liam während der gesamten zwei Wochen nicht und sie war mehr als froh darüber.

Sie ahnte nicht, dass er sich mit jedem Tag an dem er sie nicht sah, mehr nach ihr verzehrte. Er sehnte sich nach ihr, wollte sie sehen, ihren Duft riechen und ihre Stimme hören. Ihren Körper an dem seinen.

Doch er zwang sich, auszuhalten. Zwang sich dazu, seinem Verlangen nicht nachzugeben. Er vergrub sich in seiner Arbeit, kam früh am Morgen ins Büro und ging erst in der Nacht.

Je näher der Tag nahte, desto mehr freute er sich, desto nervöser wurde er.

Am Abend des Festes stand er vor seinem Spiegel und betrachtete sich. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, die das Grau seiner Augen zum glühen brachte. Sein Haar war etwas zerzaust. Sein Körper steckte in T- Shirt und Jeans. Es war keine formelle Feier.

Jemand klopfte an seiner Tür.

Ohne auf eine Antwort zu warten, trat Sean ein und betrachtete seinen Freund. Er wusste, wie sehr Liam auf diesen Abend gewartet hatte. Sein Freund sah müde aus und vibrierte doch vor Anspannung.

„Es ist soweit“, sagte er einfach.

Liam nickte, zupfte nochmal an einer Strähne, die ihm  in die Stirn fiel und wandte sich dann ab.

„Auf geht´s“, murmelte er und verließ das Zimmer.

Bald würde er Anna wiedersehen.

Der Saal, den sie für diesen Abend gemietet hatten, erstrahlte in einem feurigen Glanz. Der Veranstalter hatte sich selbst übertroffen. Rote und orangene Banner flatterten und verdeckten die Decke. Überall standen Schalen mit Flammen darin. Lichter flackerten durch den Raum. Sean und Liam blieben einen Augenblick lang stehen und ließen den Saal auf sich wirken.

„Wow“, murmelte Sean.

„Oh ja.“

Liam grinste. Direkt in der Mitte des Raumes war eine Bühne aufgebaut, vor dem die Tische verteilt waren. Nachdem das Essen aufgetischt worden wäre, würde die Show beginnen.

Er zitterte vor Freude, vor Lust und vor Aufregung.

Bald würde Anna auf dieser Bühne stehen.

Bald.

„Na komm. Lass uns die besten Plätze suchen. So wie ich dich kenne, willst du den besten Blick auf die Bühne haben.“

Sarah saß bereits an einem der hinteren Tische, die halb im Dunkeln verborgen standen und winkte ihnen übermütig zu. Liam schüttelte den Kopf und ging dann auf sie zu.

„Warum sitzt du hier hinten?“

„Nun, glaub bloß nicht daran, dass wir uns direkt vor die Bühne hocken. Ich hab die Kostüme gesehen. Die Kleine will dich umbringen. Von hier hinten brauchst du länger bis zur Bühne und Sean kann dich unbemerkt daran hindern, wie ein wollüstiger Racheengel auf sie zuzustürmen.“

Liam stutzte.

„Was?“

„Setzt dich und genieße den Abend.“

Sean ließ sich neben Sarah nieder und klopfte auf seine andere Seite. Liam seufzte und setzte sich auf den Stuhl. Bis zu Annas Auftritt würde es nicht mehr lange dauern.

Noch mehr Leute strömten in den Saal und gaben Laute des Erstaunens von sich, ehe sie sich ihre Plätze suchten.

Sarah hatte Recht gehabt. Von hier hinten hatte er einen perfekten Blick auf die Bühne.

Nachdem nun alle ihre Plätze gefunden hatten, betrat ein etwas untersetzter, beleibter Mann die Bühne.

„Guten Abend, meine Damen und Herren. Herzlich Willkommen zu dem diesjährigen Firmenfest.“

Seine Stimme hallte, verstärkt durch das Mikro, durch den Saal.

„Da ich annehme, Sie sind alle mit leerem Magen gekommen, werden wir sobald ich meine kleine Ansprache hier beendet habe, zum Menü übergehen. Danach darf ich Ihnen eine kleine Tanzgruppe aus unserer bescheidenen Gemeinde vorstellen, die ein Schauspiel für Sie vorbereitet hat. Anschließend dürfen Sie dann selbst das Tanzbein schwingen. Die Bar ist ab sofort geöffnet. Ihnen noch einen guten Abend.“

Der Mann verließ die Bühne und fast augenblicklich schwangen die Türen zu der Küche auf und uniformierte Kellner brachten Teller über Teller an die Tische. Hungrig wurde das ausgezeichnete Essen herunter geschlungen. Liam selbst aß nur sehr wenig. Sein Magen war zu verkrampft, als dass er viel hätte zu sich nehmen können. Sarah betrachtete ihn mit einem Schmunzeln. Er hatte ihr einmal von seiner Vergangenheit erzählt, als er betrunken war. Seitdem lag sie ihm in den Ohren, wann sie denn nun diesen Engel, von dem er immer gesprochen hatte, kennenlernen würde. Sean war sogar mit ihm im selben Dorf aufgewachsen und kannte die ganze Geschichte daher aus erster Hand.

Beide wussten, wie sehr er sich all die Jahre nach Anna gesehnt hatte.

Und warum er damals so mit ihr umgesprungen war.

Doch hätte er seine Zuneigung zu ihr offen gezeigt, dann hätte sie Anna vernichtet.

Er seufzte.

Liam nahm kaum wahr, wie der letzte Gang serviert wurde und auf der Bühne langsam aufgebaut wurde. Er war zu sehr in seinen Gedanken vertieft.

Sarah stieß ihm unsanft den Ellbogen in die Rippen.

„Au, was…?“

Sie zeigte wortlos auf die Bühne.

Dort war mittlerweile eine blaue Welt entstanden, die ihn an das Meer erinnerte.

Dann wurde plötzlich das Licht gedämpft und alle Scheinwerfer richteten ihr Licht auf die Bühne. Leise Musik erklang. Die Töne waren sanft und schwappten über sie hinweg. Dann strömten Männer und Frauen, in farbenprächtigen Kostümen auf die Bühne und bewegten sich zu der Musik.

Liam schluckte.

Die Männer waren nur mit einer Hose bekleidet, die Oberkörper bemalt und gefiederte Ringe um die muskulösen Oberarme. Die Frauen hingegen trugen ihr Haar offen, Ohrringe aus Federn und sonst nur einen geschmücktes BH- ähnliches Oberteil und einen kurzen, knappen Rock.

Anna hatte er noch nicht erkannt.

Doch plötzlich teilte sich die Gruppe und er erkannte in dem Mann, der jetzt die Bühne betrat, ihren Tanzpartner Stephen Carthy. Er tanzte mit einigen der Frauen und legte dann ein beeindruckendes Solo aufs Parkett. Liam musste zugeben, dass der Mann wirklich gut aussah und in ihm kochte Eifersucht hoch. Waren die beiden ein Liebespaar? So wie sie miteinander umgingen, war es nicht unmöglich. Er ballte die Hände zur Faust.

Die Szene auf der Bühne änderte sich.

Niemand war mehr zu sehen.

Doch dann erspähte er eine im Schatten verborgene Gestalt, die nun langsam die Bühne betrat. Ein blauer Stoff stellte einen Fluss auf dem Boden dar und grüne Bahnen zeigten den Wald. Liam fühlte sich an den Tag vor zwölf Jahren zurückversetzt, als er Anna zum ersten Mal gesehen hatte. An jenem Fluss.

Nun konnte er die Frau erkennen.

Ihr weißes Haar flatterte um ihre zierliche Gestalt.

Ihr Körper wurde nur von diesem knappen Bh – Oberteil bedeckt, das mit Pailletten und Federn verziert war und in einem prächtigen Blau erstrahlte. Der Rock war in demselben Farbton gehalten und bedeckte kaum ihren Hintern. Ihr nackter Bauch zierte ein Bauchnabelpiercing. Die Oberarme schmückten Ringe, ähnlich wie bei den Männern. Zugleich hatte man ihre Augen so stark betont, dass das Schwarz ihrer Iris ihn förmlich verschlang. Ihre Haare waren zerzaust und vereinzelte Federn steckten darin.

Oh Gott, dachte Liam erstickt. Schauer der Erregung überliefen ihn. In den Augenwinkeln nahm er wahr, wie die anderen Männer im Saal gebannt auf Anna starrten, manche mit roher Wollust in den Augen. Sofort überkam ihn die Eifersucht.

Sie begann sich zu bewegen, tanzte selbstvergessen über die Bühne, ließ sich von der Musik treiben. Ihr Körper wandte und drehte sich und Liam konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie sich zwischen seinen Laken bewegen würde. Unter ihm. Auf ihm.

Ihm wurde heiß und er wurde hart.

Verdammt.

Sarah hatte nicht zu viel gesagt, als sie meinte, Anna würde ihn umbringen.

In diesem Augenblick begegneten sich ihre Augen und das übermütige Blitzen in Annas Augen zeigte ihm, dass sie genau diese Reaktion beabsichtigt hatte.

Steph kam auf sie zu und begann sich mit ihr zu bewegen.

Sie tanzten so mühelos miteinander, dass deutlich zu sehen war, wie sehr sie einander vertrauten. Ab und an strichen seine Hände über ihre Wange und sie schmiegte ihre Wange in seine Handflächen.

Sarah packte ihn mahnend am Handgelenk. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er aufgesprungen war. Sean sah ihn stirnrunzelnd an. Liam schüttelte leicht seinen Kopf und setzte sich wieder.

Steph und Anna beendeten ihren Tanz und nun kam eine Szene, die zeigte, wie Steph einer anderen Frau versprochen wurde. Anna stand mit verzweifelter Miene daneben. Ihre Blicke begegneten sich, doch Steph wandte sich der anderen Frau zu und küsste sie, schloss sie in seine Arme.

Anna wollte sich auf ihn stürzen, doch zwei Männer hielten sie fest.

Dann änderte sich die Szene abermals. Anna stand einsam und verlassen auf der Bühne. Hinter ihr wogten blaue Stoffbahnen, die das unruhige Meer darstellten. Sie hatte ihre Arme um ihren Körper geschlungen. In einer dunkleren Ecke der Bühne sah man Steph und die Frau in liebevoller Umarmung dastehen.

Annas dunkle Augen trafen auf seine.

Eine Träne löste sich aus ihren Wimpern, lief über ihre Wange.

Dann lächelte sie leicht, streckte die Hand nach Liam aus…

Und ließ sich nach hinten in die wogenden Bahnen fallen.

Schmerz durchfuhr sein Leib und er bemerkte erst, dass er nicht mehr am Tisch saß, als Seans Arme ihn an der Schulter packten und in eine dunkle Ecke des Saals zogen.

Nun wurde eine Hochzeitsfeier auf der Bühne gezeigt, dann endete der Auftritt.

Alle Tänzer traten auf die Bühne und ließen sich beklatschen.

Die Mitarbeiter seiner Firma waren hellauf begeistert.

Liam konnte Anna nirgendwo erkennen.

Fast schon panisch suchten seine Augen den ganzen Raum ab.

Dann entdeckte er sie, wie sie still und heimlich durch eine Tür schlüpfte, die vor den anderen verborgen war. Er konnte sie nur sehen, weil er etwas abseits stand. Er befreite sich aus Seans Armen und hastete ihr hinterher.

Anna lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und presste ihre Stirn gegen die kühle Wand. Ihre Hände hatte sie flach dagegen gepresst.

Er knurrte.

Erschrocken fuhr ihr Kopf hoch und ihre Blicke begegneten sich. Sie hatte noch mehr Tränen vergossen. Klare Spuren führten über ihre Wangen.

Langsam ging er auf sie zu und strich ihr behutsam über die Wange.

Sie schluckte, ihre Lippen zitterten.

Er zog ihren bebenden Körper mit dem Rücken an seine Brust und streichelte über ihre nackten Oberarme. Sie bekam eine Gänsehaut.

Langsam drehte er ihren Kopf zu sich und presste dann endlich seinen Mund auf ihre Lippen. Sie schloss seufzend die Augen und er umschlang ihren schlanken Körper, drückte sie gegen die Wand und hielt sie gefangen mit seinem Körper.

Endlich war er ihr ganz nahe.

Anna wurde von ihren Gefühlen überwältigt.

Als ihr Auftritt endete, konnte sie ihre Tränen nicht mehr unterdrücken.

All die Emotionen, die sie in den letzten zwei Wochen unterdrückt hatte, die Erinnerungen, drängten mit aller Macht nach oben. Deshalb war sie geflüchtet. Doch als sie Liam auf sich zukommen sah, so groß und stark, hatte sie gegen den Drang ankämpfen müssen, sich ihm in die Arme zu werfen.

Seine Lippen jetzt auf ihren zu spüren, seinen Körper an ihren gepresst, machte sie schwach.

Es fühlte sich so gut…so richtig an.

Aber dies hier war Liam. Ihr Schrecken aus Kindheitstagen.

Es durfte sich nicht so gut anfühlen. Er hatte kein Recht, sie so im Arm zu halten. Sie versuchte, den Kopf wegzudrehen, sich gegen ihn zu stemmen. Doch Liam packte sie nur noch fester und vertiefte den Kuss noch.

Seine Zunge drängte gegen ihre Lippen, verlangte fordernd Einlass. Sie weigerte sich. Langsam strich seine Hand über ihren nackten Bauch. Erschrocken keuchte sie auf und er nutzte die Gelegenheit und ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten.

Sie stöhnte.

Oh Gott, was machte er bloß mit ihr?

Ihre Haut kribbelte und in ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Seine starken Finger strichen federleicht über die nackte Haut ihres Bauches und ihrer Seite. Immer wieder, bis sie erbebte.

Anna konnte sein zustimmendes Knurren durch ihren ganzen Körper vibrieren fühlen, als sie begann, mit den Händen über seine Arme zu streicheln.

Abrupt drehte er sie zu sich um und presste sie wieder an sich. Der Körperkontakt war schockierend intim. Sein Bein drängte sich zwischen ihre Schenkel und sie konnte ganz deutlich etwas Hartes an ihrem Unterleib spüren. Doch obgleich sie seine allzu deutliche Erregung hätte abstoßen müssen, verstärkte sie nur das Brennen zwischen ihren Schenkeln.

Ihr entfuhr ein erregter Seufzer und Liam presste sie noch enger an sich.

Sie so nah an seinem Körper zu spüren war wie ein Traum.

Wie lange hatte er sich schon nach ihr verzehrt?

Nach ihr gesehnt, wenn er alleine in seinem Bett lag?

Er bemerkte, wie sie versuchte nach Luft zu schnappen, doch seine Lippen hinderten sie daran. Wiederwillig ließ er von ihr ab und gab ihr die Gelegenheit, zu Atem zu kommen. Doch nur kurz, denn er war bereits süchtig nach ihrem Geschmack und wie sie auf seinen Kuss reagierte.

Ihr Körper schmiegte sich perfekt an seinem und durch den Stoff seiner Jeans konnte er die Hitze zwischen ihren Beinen spüren. Das ließ seinen Schwanz vor Sehnsucht pochen.

Gott, wie würde es erst sein, wenn er sich in ihr vergraben konnte?

Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde er es herausfinden.

Stimmen drangen durch den Nebel in Annas Hirn.

Erschrocken riss sie die Augen auf.

Steph und die Anderen waren auf dem Weg zu den Umkleidekabinen. Und dazu mussten sie an Anna und Liam vorbei. Fast panisch riss sie ihren Mund von Liams Lippen und stieß dabei heftig mit ihrem Kopf an die Wand.

„Scheiße, Anna!“, entfuhr es Liam besorgt.

Dann ruckte sein Kopf in die Richtung, aus der er die Stimmen vernommen hatte.

Doch bevor er von Anna ablassen konnte, waren Steph und ein paar der anderen Tänzer bereits durch die Tür gekommen und blieben nun wie angewurzelt stehen, als sie Liam und auch Anna entdeckten.

Anna wünschte sich, der Boden würde sich unter ihren Füßen auftun.

Gott, warum ausgerechnet jetzt?

Doch zu allem Überfluss stand Brian neben Steph und sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Wut und maßloser Verblüffung. Schnell nutzte sie Liams locker gewordenen Griff und entfernte sich hastig von ihm und stürmte in eine der Umkleidekabinen. Betretene Stille folgte.

„Kommt, wir sollten aus den Klamotten raus“, durchbrach Steph schließlich das Schweigen und ging allen voran an Liam vorbei und verschwand dann in einem der Räume. Brian blieb jedoch stehen und seine dunklen Augen blitzten vor unterdrücktem Zorn.

„Was war das, O´Roake?“

„Das, wonach es aussah“, antwortete Liam gelassen, den Blick immer noch fest auf die Tür gerichtet, hinter der Anna verschwunden war.

„Verdammt, was sollte das?“, fuhr Bri nun auf.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er hatte große Mühe, nicht auf Liam loszugehen.

„Ich wollte sie küssen und sie hat mich nicht abgewiesen.“

Brian sah Rot.

Mit einem wütenden Schrei stürzte er sich auf Liam und verpasste ihm einen Kinnhaken, der diesen zurücktaumeln ließ. Doch er fing sie schnell wieder und wich gekonnt Brians nächstem Schlag aus und platzierte einen wohlüberlegten Treffer auf dessen rechte Schulter.

„Du hast in den letzten Jahren etwas dazugelernt, Flannery“, stichelte Liam. Er erinnerte sich noch gut an die Schlägereien mit Brian, wenn Anna mal wieder heulend nach Hause gelaufen war. Doch hatte Annas Bruder immer den kürzeren gezogen. Jetzt war er ein ernst zu nehmender Gegner.

Plötzlich unterbrach ein schockierter Schrei ihren Faustkampf und beide Männer wirbelten synchron herum.

„Was macht ihr da?“, fragte Anna, dessen Stimme vor Panik ein paar Oktaven nach oben gerutscht war.

„Verdammt, Anna, das geht dich nichts an“, zischte Brian.

Liam starrte sie nur an. Sie hatte sich umgezogen, trug einen knielangen Rock und einen dünnen Pullover mit V – Ausschnitt.

„Es geht mich sehr wohl was an!“, kam es von ihr zurück.

Sie musterte ihren Bruder aus schmalen Augen.

„Ich will nicht, dass du dich wieder meinetwegen prügelst. Das ist nicht mehr nötig.“

„Aber…“ Sie schnitt Bris Protest mit einer Bewegung ihrer Hand einfach ab.

Verdutzt starrte ihr Bruder sie an.

„Und nun zu dir, Liam.“

„Oh, ich bin ganz Ohr“, erwiderte er spöttisch. „Ich werde jedoch nicht so leicht kuschen, wie dein geliebtes Brüderchen.“

„Zum Teufel…“, fuhr eben dieser auf, verstummte jedoch, als Anna ihn stirnrunzelnd ansah.

„Ich brauche niemanden, der sich für mich prügelt. Ich schlage meine Schlachten lieber alleine.“

Liam hob nur eine Augenbraue.

„Das gerade wird nicht noch einmal vorkommen. Ich will nicht, dass du mich noch einmal anfasst. Vor allem nicht, wenn ich weiß, dass du hier bist um deine Frau zu finden und ich dich vor ein paar Wochen noch mit einer anderen im Hotelzimmer gesehen habe!“

Er lächelte sanft.

„Da du deine Ansage nun offensichtlich gemacht hast, kann ich ja jetzt auch meinen Senf dazugeben.“

Anna presste die vollen Lippen aufeinander und Liam hatte nicht übel Lust, seine wieder darauf zu pressen.

„Die Frau, die bei mir im Zimmer war, ist Sarah, meine beste Freundin. Keine Sorge, wir haben in getrennten Betten geschlafen.“

Er musterte sie kurz.

„Bist du etwa eifersüchtig?“

Sie wurde knallrot.

„Niemals!“

Liam schmunzelte.

„Und zu der Frau, für die ich hier her gekommen bin. Sie steht direkt vor mir.“

Mit diesen Worten ging er an den beiden Geschwistern vorbei und kehrte in den Saal zurück.

„Was…?“, entfuhr es Anna ungläubig.

Brian starrte noch immer mit offenem Mund auf den leeren Platz, an dem Liam gerade eben noch gestanden hatte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.08.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Unterstützung, die über dem Möglichen hinausgeht

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