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Wahrgewordene Legenden

Dark Kingdom Band 1

 

Die Legende der Vampire:

Vor Jahrhunderten schufen drei Hexen eine Stadt, verborgen vor dem menschlichen Auge. Dort sollten all jene Zuflucht finden, die von dem Mensch verfolgt und gejagt wurden. Um diese Stadt zu beschützen, webten sie einen Bann, um ihn wie ein Netzt über die Stadt zu spannen. Jedoch forderte dieser Zauber eine große Menge an Energie.

Nicht gewillt eine ihrer Schwestern zu opfern um dem Bann die nötige Kraft zu geben, berieten sie sich drei Tage und drei Nächte und formten schließlich ein Wesen, mächtig genug, um den Zauber aufrecht zu erhalten. Niemals sollte es sterben und es würde aus dem Blut seiner Spender genug Kraft schöpfen können, um den Bann für alle Ewigkeit zu nähren. Auch sollte es weitere seiner Art erschaffen, um mehr Städte und Dörfer von gleicher Machart beschützen zu können. Es sollte seine Feinde jagen und töten können.

Und so erschufen sie den ersten Wächter, einen der mächtigsten ihrer Welt.

Den Vampir.

 

Die Legende der magischen Wesen:

Als die Götter die Welt nach ihren Vorstellungen schufen, hinterließ einer von ihnen einen Tropfen seiner Macht in einem kleinen Teich. Vor Uhrzeiten, kostete eine junge Frau von diesem Wasser. Ihr Kind, welches sie unter ihrem Herzen trug, verinnerlichte die Macht des Gottes in sich. Obwohl noch nicht lange in dem Leib der Mutter, gebar die junge Frau nach drei Monaten eine einzigartig Tochter. Zeit ihres langen Lebens verfügte sie über magische Kräfte und wurde von den Menschen aus Furcht gemieden. Um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, belegte sie sich selbst mit einem Zauber und gebar einen Sohn und eine Tochter. Beide hatten die Magie ihrer Mutter geerbt und sollten den Beginn ihrer magischen Welt begründen.

 

 

 

Knirschend grub sich die metallene Pfeilspitze in das weiche Holz. Der schmale Schaft vibrierte noch von der Wucht des Aufpralls.

Leise fluchend ließ die Schützin den Bogen sinken.

„Worauf hast du eigentlich gezielt, Mädchen?“, erklang die dröhnende Stimme ihres Großvaters.

Er zog den Pfeil aus dem Baum, vor der sich hinter ihm in die Höhe wuchs. Der Apfel, ihr eigentliches Ziel, fiel dabei aus seiner Hand und rollte ihr vor die Füße.

Wütend trat sie nach dem Obst und beförderte ihn über den kleinen Hügel, den Abhang zum See hinunter. Dabei murmelte sie unaufhörlich leise Verwünschungen vor sich her. Frustriert warf sie ihren langen Zopf über die Schulter.

Stirnrunzelnd betrachtete William seine Enkelin, die zornig auf und ab schritt. Er seufzte.

„Kind, hör mit diesem Gefluche auf.“

Erschöpft ließ er sich an den Baumstamm gelehnt in das weiche Gras sinken und sah zum Himmel hinauf, der mittlerweile in den leuchtenden Farben des Sonnenuntergangs erstrahlte.

Er rieb sich über seine müden Augen und stütze seinen Kopf in die Hand.

Kyra unterbrach ihr wütendes auf und ab schreiten und betrachtete ihren Großvater. Dunkle Schatten lagen unter seinen trüben Augen und er war trotz der körperlichen Anstrengung ihres Trainings in den vergangenen Stunden, blass.

Besorgt setzte sie sich neben ihn und zupfte ruhelos an der Bogensehne.

„ Kein guter Tag heute“, murmelte sie leise.

Er hob die Schultern.

„Welcher Tag ist schon gut und welcher schlecht“, meinte er.

Sie runzelte die Stirn.

Er hatte nicht verstanden, worauf sie sich bezogen hatte. Ihr war es recht. Kyra wusste, dass er sich um sie sorgen würde und sie wollte ihm in seinem geschwächten Zustand nicht auch noch die Last der Sorge um sie aufbürden. Ihre empfindlichen Augen schmerzten von dem Sonnenlicht, in das sie immer wieder hatte gucken müssen, um Williams Schwerthieben auszuweichen. Auch fiel es ihr zunehmend schwerer, die Geräusche ihrer Umgebung auszublenden und sich auf ihr Ziel zu konzentrieren.

Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr waren diese Absonderheiten vermehrt aufgetreten und häuften sich mit der Zeit.

Ihre Sinne waren um ein vielfaches besser, als die ihres Großvaters oder irgendeines anderen Menschen, den sie kannte. Sie war stärker und schneller und konnte zudem in der Nacht genauso gut sehen, wie am Tag. Ihr Geruchsinn verriet ihr ihre Beute schon um Meilen voraus. Sie konnte sogar deren Nähe spüren, selbst jetzt noch.

„Geht es dir nicht gut, mein Kind?“, unterbrach William ihr Schweigen.

Sie zuckte zusammen.

„Ich bin wohl einfach nur müde“, sagte sie ausweichend.

Er tätschelte väterlich ihr Knie und wandte sich dann wieder dem Sonnenuntergang über dem kleinen See zu.

Der spätsommerliche Abend war recht kühl und vom naheliegenden Meer wehte eine frische Brise zu ihnen herüber und kühlte ihre erhitzte Haut. Die saftig, grünen Grashalme tanzten in der abendlichen Brise. Langsam verstummten die Vögel, als sie sich zur Nachtruhe in ihre Nester begaben. Selbst der Wald, der das kleine Dorf umgab, wurde stiller und nur vereinzelte Laute drangen an ihre Ohren.

Leises Stimmengemurmel wehte zu ihnen herüber und verriet, dass die Menschen aus dem Dorf ihre Arbeit niederlegten und zu einem Krug Met in das Wirtshaus einkehrten.

Es war ein kleines Dorf, nahe der schottischen Grenze an der Westküste Englands. Etwas erhöht auf einem Berghang gelegen, war es von einem dichten Wald umgeben, der den Berg bis zu seiner zerklüfteten Spitze bedeckte. Etwas abseits hatte sich im Laufe der Jahrhunderte ein kleiner See gebildet, der hinter einem kleinen Hügel versteckt lag. Von dort konnte man über schmale Klippen hinweg auf die Wälder und das Meer blicken.

Die Dorfbewohner waren einfache Leute, die unter sich blieben, eine eingeschworene Gemeinde. Niemals verließ jemand diesen Ort. Das Land bot ihnen alles, was sie zum überleben brauchten. Es gab sogar eine kleine Miene, in der Metall geschürft wurde, aber nicht um verkauft zu werden. Der Dorfschmied verarbeitete es zu Töpfe und Werkzeuge. Einige der Frauen nähten Kleider, wenn neue gebraucht wurden.

Jeder im Dorf hatte seine Aufgabe.

Kyra und ihr Großvater jagten in den Wäldern und brachten das Wild dann in das Dorf um es gegen Nahrung oder Stoffe zu tauschen. Obwohl sie seit fast zwei Jahrzehnten am Waldrand lebten und oft mit den Dorfbewohnern verhandelten, wurden sie nach wie vor wie Außenstehende behandelt.

Sie wollte es vor William nicht zugeben, aber die Abneigung der Dorfbewohner machte ihr zu schaffen. Sie gaben ihr zu verstehen, dass sie hier nicht willkommen war. Diese Zeit machte ihr besonders zu schaffen. Jedes Jahr wurde im Spätsommer ein Fest veranstaltet. Dann wurde eine lange Tafel auf dem Dorfplatz aufgebaut und einige Lagerfeuer entzündet, auf denen die verschiedensten Braten gegrillt wurden. Kyra konnte die himmlischen Düfte des gebratenen Fleisches riechen und das fröhliche Gelächter hören und jedes Mal schmerzte ihre Brust.

Sie sehnte sich nach Abwechslung, nach Menschen in ihrem Alter, nach einem Mann, der ihre geheimsten Sehnsüchte stillen würde. Auch wenn sie ihrem Großvater aus ganzem Herzen liebte, so konnte er doch das quälende Verlangen in ihr nicht verstehen.

Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie ihm zu erklären versucht, wie sie sich fühlte. Er hatte nur verwirrt die Stirn gerunzelt und ihr gesagt, dass sie nicht wie die anderen Menschen. Würden die Menschen von ihren Absonderheiten erfahren, wäre das ihr Tod.

Der Gedanke erschreckte sie. Kyra wusste, dass sie als Monster gebrandmarkt und als solches auf dem Scheiterhaufen landen würde. Für die Jagd mit ihrem Großvater waren ihre zusätzliche Körperkraft und ihre Schnelligkeit von Vorteil, doch darüber hinaus, musste sie sie verleugnen und verstecken.

Sie seufzte.

„Welche Gedanken grämen dich so sehr, dass du aufseufzen musst, Kyra?“, fragte William.

Für einen kurzen Augenblick schlossen sich ihre Augen.

„Ich denke an das Fest und an die viele Arbeit, die uns in den nächsten beiden Tagen erwartet. Hat der alte Harrison schon seine Bestellung aufgegeben?“

„Du sollst ihn doch nicht so nennen, Kind. Das ist respektlos“, tadelte sie ihr Großvater, ehe er im sanfteren Tonfall fortfuhr:“ Er will zwei Hirsche und noch ein halbes Dutzend Kaninchen. Es wird jedes Jahr mehr.“

Er schüttelte den Kopf.

„Dann müssen wir morgen die Hasenfallen aufstellen und mindestens einen der Hirsche erlegen.“

„Ja.“

Langsam stand er auf.

„Deshalb sollten wir jetzt zurückgehen und uns schlafen legen. Wir müssen morgen vor dem Morgengrauen raus.“

„Geh du nur schon vor, ich will mich noch im See waschen. Es wird mir gut tun, damit ich morgen bei Kräften bin.“

William sah sie besorgt an.

„Geht es dir nicht gut?“

„Doch, doch, aber meine Muskeln schmerzen ein wenig“, beeilte sie sich ihn zu beruhigen. Es war zwar nicht die Wahrheit, sie war noch nie in ihrem Leben krank gewesen, dennoch schien William ihr zu glauben.

Besänftigt lächelte er sie an.

„Bleib nicht zu lange. Der Wald ist nachts zu gefährlich, selbst wenn du in der Nähe des Dorfes bist.“

Kyra musste unwillkürlich grinsen.

Anders als sie, glaubte ihr Großvater an die Mythen und Legenden der Gegend von blutsaugenden Monstern und Menschen, die sich bei Vollmond in Wölfe verwandelten.

„Du weißt, dass diese Wesen eher mich fürchten sollten, als ich sie.“

Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu.

Ein unbekannter Ausdruck flackerte auf seinem Gesicht auf, verschwand aber zu schnell, als dass sie ihn hätte deuten können.

„Bleib nicht zu lange“, mahnte er nochmal und wandte sich dann ab.

Kyra blickte ihm noch lange nach. Seine Gestalt zeichnete sich schmal und gebeugt vor den Umrissen der Häuser ab. Er hatte in den vergangenen Monaten viel an Gewicht verloren, auch seine unerschütterliche Ausdauer hatte sich erschöpft. Er wurde immer wieder von erschreckenden Hustenanfällen geplagt, bei denen er nun immer öfter auch Blut hustete.

Zwar zeigte er es ihr nie, aber sie konnte das faulig, süßliche Aroma seines Blutes riechen. Es war das Blut eines Totgeweihten und es zerriss ihr das Herz. Sie konnte es nicht ertragen, ihn so gebrochen zu sehen und noch weniger konnte sie den Gedanken ertragen, dass er bald nicht mehr bei ihr sein und sie von da an ganz allein auf der Welt stehen würde.

Tief in Gedanken versunken, lief sie den flachen Hügel zum See hinab und suchte sich eine Stelle, von der aus man sie nicht heimlich vom Dorf aus beobachten konnte.

Dann streifte sie ihr einfaches Leinenkleid ab und watete ins kühle Nass. Die Kälte beruhigte ihre angespannten Muskeln und spülte den Schweiß von ihrer milchig, weißen Haut.

Sie tauchte den Kopf unter und wusch auch ihr langes rotes Haar, nachdem sie ihren Zopf gelöst und die schlimmsten Knoten mit den Fingern herausgekämt hatte. Als sie zufrieden war, ließ sie sich noch ein wenig im Wasser treiben und genoss die Stille unter Wasser, da dort die Geräusche ihrer Umgebung nur noch gedämpft an ihr Ohr drangen.

Jetzt nahm sie umso stärker eine ihr unbekannte Präsenz in dem dunklen Wald wahr.

Sie war irgendwie…bedrohlich.

Aber nicht so offensichtlich, wie die eines Raubtieres, sondern eher unterschwellig, als ob in dem Wesen eine Bestie lauerte.

So etwas hatte sie noch nie vorher gespürt. Sie war neugierig, doch zugleich zögerte sie. Irgendwas warnte sie davor, ihre Neugier zu stillen. Diese Präsenz wurde alles bisher Gekannte übertreffen.

Sie schüttelte verwirrt den Kopf. Ihre Sinne mussten mit ihr durchgehen.

Kyra war wohl erschöpfter, als sie gedacht hatte.

Sie schwamm zum Ufer, zog sich rasch ihr Kleid über ihren tropfnassen Körper und flocht ihr Haar wieder zu einem Zopf, der ihr bis zur Taille reichte. Sie hasste ihr langes Haar, doch jedes Mal, wenn sie es abschnitt, wuchs es innerhalb einer Handvoll Tagen nach. Schließlich hatte sie es einfach aufgegeben und es so belassen.

Sie schnappte sich ihren Bogen und lief schnellen Schrittes zum Dorf. Dort angekommen überlegte sie kurz, ob sie den Umweg durch den Wald zur Hütte ihres Großvaters nehmen oder direkt durch das Dorf laufen sollte. Sie entschied sich für Letzteres.

Die meisten Dorfbewohner saßen im Wirtshaus oder waren bereits in ihre Häuser zurückgekehrt, so dass sie nicht Gefahr lief, von jemand gesehen zu werden. Sie konnte das Lachen hören, das aus dem Schankraum dröhnte und wünschte sich sehnlichst einmal in ihrem Leben ein Teil davon zu sein. Mit anderen so lachen zu können, dass sie Bauchschmerzen bekam. Doch dann musste sie an ihre Absonderheiten denken und sie verdrängte den Wunsch, bis er ganz tief in ihr begraben lag.

Kyra ging an dem Wirtshaus, an kleinen Häuschen mit bunten Blumen und der Schmiede vorbei. Sie waren ein Heim mit den Geschichten ganzer Generationen. Von Familien mit Kindern. Von Müttern und Vätern. Sie konnte sich an ihre eigenen Eltern nicht mehr erinnern. Ihr Großvater hatte ihr erzählt, dass sie bei einem Brand ums Leben kamen, als sie noch ein Baby gewesen war. Manchmal fragte sie nach ihnen und bekam dann immer wieder nur nichtssagende Antworten. Sie hätte gerne gewusst, wie ihre Eltern gewesen waren und ob sie auch mit diesen anormalen Eigenschaften zu kämpfen hatten.

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte sich damit abgefunden, dass diese Fragen niemals Antworten finden würden. Jedenfalls versuchte sie es sich einzureden.

Abrupt blieb sie stehen.

Kyra hatte etwas gehört, ihre sensiblen Ohren zuckten.

Da war jemand…direkt hinter ihr.

Sie wirbelte herum.

Keine zwei Schritte von ihr entfernt lehnte eine dunkle Gestalt an einer Hauswand.

Trotz der Dunkelheit, konnte sie sein Gesicht ausmachen und erkannte ihn. Es war James. Er war zwei älteste Sohn des Schmiedes und der heimliche Frauenheld des Dorfes.

Er kam mit langsamen, kleinen Schritten auf sie zu. Sein grobes Gesicht zierte ein lüsternes Grinsen, sein Blick schweifte über ihren schlanken Körper, an dem der Stoff ihres feuchten Kleides klebte. Hastig wich sie zwei Schritte zurück, als er die Hand nach ihr ausstreckte.

„So spät noch unterwegs?“, fragte er mit samtweicher Stimme.

Sie schluckte nervös.

„Ich wollte gerade zurück…“

„Zurück?“, unterbrach er sie. Wieder kam er auf sie zu.

„Jetzt, wo wir mal unter uns sind, willst du gehen?“

Sie zog die Brauen zusammen.

„Ich habe nicht das Bedürfnis mit dir allein zu sein“, sagte sie kalt. Kyra hatte keine Angst vor ihm. Sie war stärker als jeder Mann, der ihr bis jetzt begegnet war.

„Ich weiß, dass du lügst, Kyra. Ich weiß, dass du dich nach mir sehnst.“

Seine Hand strich über seinen Schaft, der sich deutlich unter seiner feinen Lederhose abzeichnete.

Sie wich angeekelt zurück.

Selbst wenn sie sich nach der Zärtlichkeit eines Mannes sehnte, so hatte sie sich jedoch nie nach der Berührung durch seine Hand gesehnt. James widerte sie an.

„Du bist angetrunken“, sagte sie leise.

Er grinste.

„Nicht sehr. Komm, meine Schöne. Ich weiß etwas, mit dem wir uns beide eine Freude machen können.“ Sein leichter schottischer Akzent verstärkte sich. So nah an der Grenze zu dem sagenumwogenen Land war dies kein Wunder.

„Ich verzichte“, zischte sie und wandte sich wieder um.

Seine Hand packte ihren Oberarm und zerrte sie durch die Häuser hindurch in den Wald hinein, bevor sie überhaupt begriff, was er da tat. Hastig riss sie sich los, als er sie so tief hineingezogen hatte, dass niemand sie mehr vom Dorf aus sehen konnte und sie nicht Gefahr lief, beobachtet zu werden, falls sie sich gegen ihn zu Wehr setzen musste.

„Fass mich ja nie wieder an!“, rief sie drohend und sah ihn wütend an.

Wieder packte er sie und zerrte sie an seine Brust. Sie stieß ihn von sich, so heftig, dass er gegen den nächsten Baum prallte und benommen auf den Boden sank. Blut rann aus seinem Mundwinkel.

Erschrocken starrte sie auf ihre Hände.

„Du Miststück“, brüllte er, außer sich vor Zorn.

James rappelte sich auf und wischte sich über den Mund. Sie starrte ihn entsetzt an.

Oh Gott, hatte er etwa gemerkt, dass sie kräftiger war, als es ihrer schlanken, zarten Gestalt zuzutrauen wäre? Furcht überkam sie. Ihre Gedanken überschlugen sich.

Drohend kam er auf sie zu.

„Dafür wirst du büßen!“

Kyra wusste, dass sie keine körperliche Auseinandersetzung mit ihm riskieren durfte, also tat sie das einzige, was ihr noch übrig blieb.

Sie flüchtete tiefer in den Wald hinein.

Da sie fast jede Unebenheit auf dem Waldboden erkennen konnte, musste sie ihre Geschwindigkeit mit der sie durch die Dunkelheit rannte, kaum zügeln.

Jedoch hatte sie James unterschätzt. Sein drahtiger Körper war flink und er kannte die Wälder wie seine Westentasche. Er war ihr dicht auf den Fersen. So dicht, dass sie es nicht riskieren konnte, zu der Hütte ihres Großvaters zu rennen, also lief sie weiter durch das dichte Unterholz.

Plötzlich spürte sie wieder diese seltsame Präsenz.

Und zwar direkt vor ihr.

Sie warf einen prüfenden Blick über ihre Schulter, um festzustellen, ob sie James bereits abgehenkt hatte und sie endlich die Richtung ändern konnte. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie den Baum, der vor ihr auftauchte, zu spät. Sie prallte gegen ihn und wäre gefallen, wenn nicht starke Hände ihre Schultern ergriffen hätten und sie vor einem Sturz bewahrten.

Hände?

Verwirrt blinzelte sie und starrte auf den Baum, nur dass der Baum gar keiner war.

Vor ihr stand ein Hüne.

Ein riesiger Mann, der mit schwarzen Augen auf sie hinuntersah.

Wie hypnotisiert starrten sie einander an. Selbst als James keuchend durchs Unterholz brach, rührten sie sich nicht.

„Ah, hast du endlich eingesehen, dass es sinnlos ist, vor mir zu fliehen?“, keuchte er

Er kam auf sie zu und schien erst jetzt den Fremden zu bemerken.

„Wer ist das denn?“, zischte er, so dass der Speichel flog.

Kyra zuckte zusammen und löste sich aus dem Griff des Mannes und drehte sich zu James um. Sie brachte jedoch kein Wort heraus.

James ballte die Hände zu Fäusten.

„Verschwinde! Du hast hier nichts zu suchen.“

Der Mann schien von James nur wenig beeindruckt zu sein. Er wandte sich an sie.

„Geht es dir gut, Mädchen?“ Seine tiefe Stimme brachte ihren Körper zum zittern.

Sie starrte ihn nur aus weitaufgerissenen Augen an. Immer noch brachte sie kein Wort heraus.

James ging auf den Fremden los. Mit hoch erhobenen Fäusten stürzte er sich auf ihn und zielte auf das Gesicht des Mannes. Er kam jedoch nicht mal in dessen Nähe. Die Bewegung des Fremden waren so schnell, dass selbst Kyra Schwierigkeiten hatte, seinen Händen zu folgen, die James am Kragen packten und gegen den nächsten Baum rammten.

„Du wagst es, dich mit mir anzulegen?“, fragte er. Seine Stimme glich fast einem Knurren.

Kyra erschauerte.

James riss sich los und taumelte davon, jedoch nicht eher ihr ein paar unflätige Worte zurief.

Dann verschwand er im Wald.

Sie versuchte ihre Sprache wiederzufinden, um dem Fremden für seine Hilfe zu danken, als er ihr eine seiner großen Hände auf ihre Schulter legte.

„Geht es dir gut?“, wiederholte er seine Frage.

Sie nickte und schluckte.

„Vielen Dank…“, begann sie, stockte dann aber, als ihr etwas bewusst wurde.

Diese unheimliche Präsenz, die sie gespürt hatte, ging von ihm aus. Er war das Wesen, von dem sie sich fernhalten wollte. Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen einen Baum stieß.

„Du bist es“, flüsterte sie.

Er trat auf sie zu, bis er über ihr aufragte.

„Was?“

„Du bist es…“

Sie schluckte nochmal und blickte auf seine Brust.

„ Wer bin ich?“

„Du bist diese Präsenz, die ich in den letzten Tagen gespürt habe.“

Er hob überrascht die Brauen.

„Du hast mich gespürt? Wie?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich weiß es nicht…Wer bist du?“

Er legte einen Finger an ihr Kinn und zwang sie ihn anzusehen.

„Ich frage dich noch einmal. Wie konntest du mich spüren?“ Seine Stimme klang drohend.

Schlagartig wurde sie sich ihrer Situation bewusst.

Sie befand sich mitten in der Nacht im Wald und über ihr ragte ein Fremder auf, dem sie gerade auch noch unbewusst mitgeteilt hatte, dass sie nicht normal war.

„Ich muss gehen.“

Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, musste aber feststellen, dass dies nicht so einfach war.

Er war stark und hielt sie mühelos fest.

„Beantworte meine Frage, dann lasse ich dich vielleicht gehen.“

Sie schnappte nach Luft.

Was für ein arroganter Mann. Zorn keimte in ihr auf.

Kyra erinnerte sich an einen Trick den ihr Großvater ihr gezeigt hatte.

Mit verdrehten Augen ließ sie ihren Körper schlaff zu Boden sinken. Er fing sie auf und zog sie an sich. Blitzschnell packte sie seine Hände und drehte sie herum, bis sie es knacken hörte. Aus seinem Griff befreit, lief sie auf direktem Weg zu ihrer Hütte.

Sie hörte ihn hinter sich brüllen, wie ein verwundetes Tier, dem seine Beute abhanden gekommen war. Ein eiskalter Schauer rann ihr über den Rücken. Sie lief noch schneller.

Hinter sich vernahm sie das Krachen eines brechenden Astes. Sie schaute über ihre Schulter zurück, konnte jedoch nichts erkennen. Heftig atmend wandte sie ihren Blick wieder nach vorne.

Der Mann stand vor ihr.

Sie kam schlitternd zum stehen und starrte ihn fassungslos an.

Das konnte doch nicht sein! Wie war er so schnell hierhergekommen? War sie so langsam gewesen? Nein, sie war in vollem Tempo durch das Unterholz gestürmt.

„Wie...“, keuchte sie. Vor Schreck schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Mit hartem Griff packte er ihre Oberarme und zog sie ruckartig an sich.

Hatte sie ihm nicht die Handgelenke gebrochen?

„Damit wirst du nicht ungestraft davonkommen!“

Sein fremdartiger Akzent war nun ausgeprägter.

Der Fremde schüttelte sie kräftig. Sie schrie schmerzerfüllt auf, fast schon glaubte sie ihre Knochen brechen zu hören. Er lockerte seinen Griff.

„Wer bist du?“

„Die Frage sollte ich dir stellen“, zischte sie, nicht gewillt, ihrer Furcht nachzugeben.

Er zog überrascht eine Augenbraue nach oben.

„Du…“ Mit lautem Krachen stieß sie mit dem Kopf gegen seine Nase, als er sich zu ihr herunterbeugte.

Er heulte wütend auf.

Wieder lockerte sich sein Griff und sie riss sich los. Kaum hatte sie sich befreit, war sie auch wieder gefangen.

Sie fluchte frustriert.

Als er sie zu sich umdrehte, glühten seine schwarzen Augen vor Zorn. Aus seiner gebrochenen Nase strömte Blut. Kyra wurde wie magisch von diesen karmesinroten Tropfen angezogen. Sie hörte nicht mal mehr, was er zu ihr sagte, in ihr rauschte es und ein unbeschreibliches Hungergefühl nagte in ihrem Inneren.

Mit begehrlichen Augen betrachtete sie den Tropfen, der sich an seinem markanten Kinn sammelte. Unfähig sich zu zügeln, stellte sie sich auf die Zehnspitzen und reckte sich ihm entgegen. Er verstummte, wurde ganz starr. Zwischen ihnen schien es zu vibrieren, die Luft flirrte.

Kyras Zunge huschte hervor und leckte den roten Tropfen von seinem Kinn. Als der Geschmack sich in ihrem Mund ausbreitete und ihre Geschmacksknospen reizte, schloss sie vor Wonne die Augen.

Sein Blut schmeckte unglaublich und es stillte den Hunger, den sie seit Jahren in sich verspürte.

Sie riss die Augen auf.

Oh Gott, was hatte sie getan?

Der Mann starrte sie ebenso verwirrt an.

Beide waren wie gelähmt.

Sie war die erste, die sich aus ihrer Starre lösen konnte, machte sich los und floh.

Diesmal folgte er ihr nicht.

Kyra knallte die Tür hinter sich zu und verriegelte sie, ehe sie sich gegen das Holz gelehnt auf den Boden sinken ließ. Ihr Körper zitterte und sie fuhr sich immer wieder mit der Zunge über die Lippen. Aufschluchzend stütze sie den Kopf in die Hände.

„Kind, was ist denn mit dir passiert?“

William kam die Treppe herunter und hockte sich neben sie.

Tröstend nahm er sie in die Arme und wiegte sie hin und her. Sie konnte einfach nicht aufhören zu zittern.

„Ruhig, Kyra. Beruhige dich“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Langsam verebbte ihr Beben und sie wurde still.

„So ist es gut. Jetzt erzähl mir, was genau dich so aufgewühlt hat.“

Sie schluckte ein paar Mal, ehe sie begann zu erzählen. Den Fremden im Wald verschwieg sie jedoch. Selbst in ihrem aufgewühlten Zustand konnte sie das Blut riechen, das er erst kürzlich ausgehustet hatte.

„Dieser verfluchte James!“, rief ihr Großvater.

Er stand auf und wollte die Tür aufreißen, doch sie hielt ihn zurück.

„Ich hab mich nur erschrocken.“ William sah sie prüfend an.

„Er hätte mir nie etwas tun können, das weißt du ganz genau. Ich hab mich einfach nur erschrocken, nichts weiter.“

Er war immer noch nicht überzeugt, ließ sich aber wieder neben ihr sinken.

„Wenn du es sagst…“

Sie lächelte ihn etwas gezwungen an. Dann richtete sie sich langsam auf.

„Wir sollten schlafen gehen. Es ist schon spät und ich bin hundemüde.“

„Geh du nur schon, ich komme gleich nach.“

Sie stieg die Treppe hinauf, auf den Dachboden. Dort standen an den gegenüberliegenden Wänden zwei einfach Betten aus grobem Holz. Kyra wusch sich noch das Gesicht. Durch ihre Flucht durch den Wald war sie verschwitzt, aber um nichts in der Welt würde sie heute Nacht die Hütte verlassen. Sie legte sich hin und war auch bald darauf eingeschlafen.

William wartete, bis er hörte, wie sie sich in ihr Bett legte, dann holte er aus einer kleinen Schublade einen groben Leinenbeutel und öffnete ihn. Sofort verbreitete sich der Duft verschiedenster Kräuter. Er streute sie in einer feinen Linie vor die Fenster und die Tür und murmelte leise ein paar Worte. Zufrieden ließ er den Beutel wieder in der Schublade gleiten und ging ins Bett.

 

Aidan stand immer noch wie erstarrt im dunklen Wald. Seine Nase war mittlerweile verheilt und hatte aufgehört zu bluten, aber er konnte sich immer noch nicht rühren. Wer war sie?

In seinem Inneren rangen Faszination und Wut miteinander.

„Aidan?“, erklang eine weibliche Stimme hinter ihm.

Er schüttelte den Kopf und drehte sich um. Seine Schwester schnappte erschrocken nach Luft.

„Was ist denn mit dir passiert?“

Behutsam tupfte sie das Blut mit einem Tuch ab. Er rührte sich nicht und ließ sie gewähren. Jeglicher seiner Proteste wären in dieser Angelegenheit ignoriert worden.

„Und?“, fragte sie, als sie fertig war.

„Was und?“

Sie verdrehte die Augen.

„Du stehst hier blutend im Wald. Was ist hier geschehen?“

„Ein Mädchen…“

„Ein Mädchen?“, fragte sie amüsiert.

„Ja, sie hat mir die Handgelenke und die Nase gebrochen.“

Man musste ihr zugutehalten, dass sie es zumindest zu unterdrücken versuchte. Heiteres Lachen sprudelte aus ihr hervor und sie hielt sich den Bauch.

„Du willst mir allen Ernstes weimachen, dass ein kleines Mädchen dir die Handgelenke und auch noch die Nase gebrochen hat?“, fragte sie, als sie sich etwas beruhigt hatte.

„Ja, das will ich“, knurrte er.

Sie grinste.

„Natürlich. Trotzdem müssen wir zurück.“

Er nickte knapp, warf aber noch einen letzten Blick in die Richtung in die das Mädchen geflüchtet war. Aidan hatte verschwiegen, dass sie von seinem Blut gekostet hatte und dass ihre kleine Zunge ihm einen Schauer über den Rücken gejagt hatte.

„Das hat sie geschafft?“, brüllten seine beiden Brüder, ehe sie in lautstarkes Gelächter ausbrachen, nachdem Aidan ihnen die Geschehnisse geschilderte hatte.

Er starrte die Beiden finster an.

„Ich verstehe nicht, was daran so komisch sein soll.“

„Nun“, keuchte Ian, “ Du, der große, starke, mächtige, grimmige Krieger, wird von einem kleinen Menschenmädchen verprügelt.“

„Ich bezweifle, dass sie nur ein Mensch ist. Sie ist zu stark.“

Gregor runzelte die Stirn.

„Sie lebt im Dorf?“, fragte er.

„In der Hütte am Waldrand.“

„Die Hütte des Jägers?“

Aidan nickte bestätigend.

„Darüber wollte ich noch mit dir sprechen. Wir können nicht in die Nähe der Hütte gehen. Ein Bann liegt über der Gegend.“

„Ein Bann?“

„Ich hab es heute bemerkt, als ich dort unterwegs war.“

„Wie stark?“

„Selbst ich konnte ihn nicht durchdringen.“

Gregor war der älteste und mächtigste der Geschwister. Dass er nicht in der Lage war den Bann zu durchbrechen verhieß nichts Gutes.

„War sonst noch irgendwo ein Bann?“

Ian schüttelte, ebenso wie Gregor, den Kopf.

„Dann machen wir um die Hütte einen Bogen. Die Dorfbewohner scheinen sie ebenso zu meiden.“

Es wunderte ihn, dass der alte Mann und die junge Frau dort allein lebten und auch sonst immer unter sich blieben. Seine Neugier war geweckt und das war an sich schon ein Wunder, da ihn seit Jahren nichts mehr wirklich interessiert hatte.

„Wir werden die Dorfbewohner morgen noch beobachten und schlagen dann wie geplant zu.“

Zustimmendes Gemurmel.

Die Geschwister trennten sich und begaben sich jeder in ihre Zelte, um den Tag abzuwarten und in der Nacht zu jagen.

Dennoch blieb Aidan noch lange wach und grübelte über die Frau nach.

Ihre Kraft und ihre Schnelligkeit waren nicht menschlich gewesen und auch wie sie von seinem Blut gekostet und es begehrlich betrachtet hatte.

Wer war sie nur?

Er beschloss, dieser Frage auf den Grund zu gehen und schon am Mittag zur Hütte zu gehen und sie zu beobachten.

 

 

Kyra erwachte schlagartig aus einem kurzen, unruhigen Schlaf. Sie setzte sich auf und blinzelte verwirrt. Für einen kurzen Augenblick wusste sie nicht, wo sie war.

Sie hatte geträumt, was so gut wie nie geschah. Der seltsame Fremde war durch ihre Träume geschlichen und hatte sie mit seinen unheimlichen Augen angestarrt. Das Wunderliche an dem Ganzen war, dass sie nicht erwachsen gewesen war, sondern ein Baby. Als ob es eine Erinnerung gewesen wäre und kein Traum, was natürlich völlig unmöglich war.

Sie schüttelte heftig den Kopf, um ihre verwirrenden Gedanken zu vertreiben.

Da stieg der süßlich, faulige Geruch von Blut in ihre Nase und sie hörte das unterdrückte Husten ihres Großvaters. Mit einem Satz war sie auf den Beinen, zog sich ihr Kleid und stürmte die Treppe hinunter.

„So munter heute Morgen?“, begrüßte William sie und ließ verstohlen das blutige Tuch in seinem Beutel verschwinden, den er immer um die Hüfte gebunden trug.

„Ich habe gut geschlafen“, log sie.

Er nickte und holte eine einfache Holzschale aus dem Regal und schöpfte etwas Haferschleim hinein und reichte sie ihr.

Ihr Magen verzog sich vor Protest, doch sie zwang sich, wenigstens ein paar Schlucke zu nehmen. Ihr wurde übel und sie konnte den Blutgeruch nicht ignorieren, der ihn umgab. Sie verspürte….Appetit.

Kyra war schockiert.

Das Blut lockte sie?

Oh Gott, was ist bloß los mit mir, fragte sie sich verzweifelt.

„Hast du keinen Hunger?“, fragte William.

Sie schüttelte den Kopf, ihr war übel.

„Du musst essen, Kind. Du wirst die Kraft brauchen.“

„Es geht mir gut.“ Sie stellte die Schüssel weg und lief unruhig auf und ab.

William sah ihr stirnrunzelnd zu. So aufgeregt kannte er sie nicht, doch er schrieb ihr Verhalten den Geschehnissen der letzten Nacht zu. Er wusste, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte, aber er würde nicht nachbohren. Das Mädchen würde früher oder später zu ihm kommen.

„Wollen wir aufbrechen?“, fragte sie.

Er nickte bestätigend.

Gemeinsam traten sie aus der Hütte und holten sich ihre Ausrüstung für die Jagd aus einem kleinen Verschlag.

Kyra nahm sich einen der Bögen, da sie ihren im Wald verloren hatte und einen Köcher mit Pfeilen, sowie ein Messer und ein paar Seile. William tat es ihr gleich und sie machten sich auf, um zur Futterstelle zu laufen, die sie vor Jahren im Wald errichtet hatten. Dort verteilten sie getrocknetes Gras um das Wild anzulocken, da sie so einfacher ihre Spuren verfolgen konnten.

An der besagten Stelle mussten sie jedoch enttäuscht feststellen, dass es keine frischen Spuren von größerem Wild gab. Kyra murmelte leise vor sich hin. Sie wollte die Jagd schnellhinter sich bringen, da ihr Großvater immer blasser wurde und leicht schwankte.

„Wir müssen zum Fluss. Hier werden wir nichts finden“, sagte er schwach.

„Warum teilen wir uns nicht auf, Großvater. Ich werde zum Fluss gehen und du stellst die Hasenfallen auf“, schlug sie vor.

Im ersten Moment schien er wiedersprechen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders.

„Ich bin einverstanden.“

Sie trennten sich und Kyra machte sich in zügigem Tempo auf zum Fluss. Ohne ihren Großvater kam sie sehr schnell voran, musste dies jedoch auch, da der Fluss einige Meilen entfernt lag.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als sie die grasgesäumten Ufer des kleinen Flusses erreichte. Ihre Augen schmerzten von dem einfallenden Licht und sie bückte sich, um sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Dann wertete sie die Spuren aus, die sie im schlammigen Untergrund einer besonders flachen Stelle fand. Sie fand Hirschspuren und seufzte erleichtert.

Kyra rückte ihren Bogen zurecht und folgte den Spuren. Immer wieder drehte sie sich um und betrachtete ihre Umgebung. Sie hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Mit knappem Schulterzucken schüttelte sie das bedrückende Gefühl ab und lief noch schneller.

Nach zwei weiteren Stunden fand sie endlich eine kleine Herde. Ein Revierkampf war zwischen zwei Rivalen ausgebrochen und die beiden Tiere stiegen auf, um sich gegenseitig die Hufen und Geweihe in den Körper zu rammen.

Kyra wartete kurz, bis der Kampf beendet war, dann schlich sie dem Verlierer hinterher. Sie würde den weiblichen Tieren nicht ihren Beschützer nehmen.

Als große Hirsch stehenblieb und schnaufte, legte sie einen Pfeil an und zielte. Hinter ihr raschelte es.

Das Tier versteifte sich, zog witternd die Luft ein und floh.

Sie fluchte leise und folgte ihm.

Eine Meile weiter, beruhigte es sich wieder und wieder legte Kyra den Pfeil an. Wieder raschelte es, aber sie schoss den Pfeil blitzschnell ab. Getroffen brach der Hirsch zusammen und blieb regungslos auf der kleinen, grasbewachsenen Lichtung liegen. Erst jetzt musterte sie nochmals prüfend ihre Umgebung, konnte aber weder etwas spüren, noch riechen. Schulterzuckend begab sie sich zu dem toten Tier und machte sich daran, das Tier zu zerlegen, um es dann auf einer selbstgebauten Trage zur Hütte schleifen zu können.

Den heimlichen Beobachter, der in den Bäumen über ihr hockte, bemerkte sie nicht.

Aidan betrachtete sie verstohlen und runzelte die Stirn.

Als er am Mittag zu der Hütte gegangen war, hatte er festgestellt, dass sie bereits seit Stunden weg waren. Er folgte ihrem Duft und holte sie in dem Moment ein, als sie das Ufer des Flusses erreichte.

Jetzt, wo er sie genauer anschauen konnte, stellte er fest, dass sie wunderschön war. Langes, rotes Haar war zu einem Zopf geflochten und ihre Meergrünen Augen betrachteten Aufmerksam ihre Umgebung. Als sie sich umdrehte und stirnrunzelnd in seine Richtung gespäht hatte, war er tiefe ins Unterholz gekrochen und hatte sich verborgen, sodass sie ihn weder mit den Augen, noch mit ihrem Geist aufspüren konnte. Es hatte ihn verwirrt, wie geschmeidig und lautlos sie durch den Wald gelaufen war. Die junge Frau war eindeutig nicht menschlich, aber was war sie dann?

Seine Verfolgung hatte mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet.

Jetzt zerlegte sie mit kühler Präzision den Hirsch und schnitt junge Weiden ab um daraus eine Trage zu binden. Als sie das Fleisch auf die Trage gepackt hatte, senkte sich die Sonne bereits und der Mond stand schon hoch am Himmel. Fast mühelos zog sie die mindestens dreißig Pfund schwere Trage durch den Wald. Sie schien nervös zu sein und den Rückweg sogar noch schneller zurückzulegen, als vorher. Er hatte Mühe ihr zu folgen, da er von Ast zu Ast sprang, um auf den Boden keine Spuren zu hinterlassen.

Unvermittelt wirbelte sie herum. Er konnte gerade noch verhindern, dass er ihr direkt vor die Füße sprang.

Ihre Augen flogen fast panisch durch den Wald und durchdrangen die Dunkelheit, sahen aber nichts, was sie hätte beunruhigen können. Es war nichts zu spüren, so wie in der vergangenen Nacht, dennoch hatte sie dieses…Gefühl nicht mehr alleine zu sein.

Ihr Atem ging flach und sie zitterte leicht.

Dann schüttelte sie den Kopf und rannte fast schon durch den Wald.

Aidan blieb zurück und grübelte über ihr seltsames Verhalten nach. Hatte sie etwa doch gespürt, dass er sie verfolgte? Es war unmöglich. Und doch war sie nervös gewesen. Lag es vielleicht an seinem Blut? Sicher, es war nur ein Tropfen gewesen und sie war nicht von seiner Art, dass Blut hätte bei ihr nichts bewirken können.

Er seufzte. Zum ersten Mal seit Jahren verspürte er Interesse an etwas anderem, außer seiner Mission. Außerdem verspürte er immer noch Ärger über sie. Immerhin hatte sie ihm die Handgelenke und die Nase gebrochen. Als Mensch wäre es ihr niemals möglich gewesen.

Er hatte nie viel übrig gehabt für diese Rasse. Sie waren zu viele und zu laut, zu primitiv.

Es gab nur wenige Menschen, denen sein Respekt gehörte. Sie könnte eine davon werden, vorausgesetzt sie war einer, was er bezweifelte.

 

Kyra schob die Trage mit dem Fleisch in die Hütte. William kam ihr entgegen und nahm das Fleisch herunter.

„Ich spüre förmlich dein Verlangen nach einem Bad. Geh ruhig, ich werde das hier fertig machen.“ Sie zögerte.

Ja, sie wollte sich unbedingt waschen und das Blut von ihrem Körper waschen, da dieser Duft ihren Hunger nur noch verstärkte. Jedoch hatte sie den Fremden nicht vergessen und die Sonne war bereits untergegangen.

Schließlich siegte ihr Verlangen über ihre Angst und sie ging zum See, wobei sie es sorgsam vermied, dem Dorf zu nahe zu kommen.

Erschöpft kniete sie am Ufer und wusch sich die blutigen Hände, dann schlüpfte sie aus ihrem Kleid und ging ins Wasser, wo sie ihre Haut schrubbte, bis sie gerötet war und schmerzte.

Ihr Hunger hatte etwas nachgelassen, nachdem sie nicht mehr von dem Geruch des Blutes umgeben war. Sie stieg aus dem Wasser, zog sich an, blieb jedoch im Gras sitzen und vergrub den Kopf in ihren Händen.

„Oh Gott, was stimmt bloß nicht mit mir?“, fragte sie sich selbst.

„Das wüsste ich auch nur zu gern“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihr.

Erschrocken sprang sie auf und wirbelte herum. Hinter ihr stand der Fremde. Sie erstarrte. Sie hatte ihn weder gespürt noch kommen hören.

„Was machst du hier?“ Ihre Stimme zitterte. Wie…ungewohnt.

Er ignorierte ihre Frage und kam auf sie zu. Sie wich zurück, bis sie mit den Füßen im Wasser stand.

Seine Augenbrauen zuckten nach oben.

„Du gehst freiwillig ins Wasser, um mir zu entkommen?“

„Du bist stark“, ihre Augen blitzten auf, “Ich kenne niemanden der stärker ist als ich.“

Ein leichtes Grinsen breitete sich auf seinen vollen Lippen aus. Seine markanten Gesichtszüge blieben jedoch unerbittlich.

Sie wich weiter zurück. Nun war auch ihr Saum im Wasser.

„Gestern warst du nicht so schreckhaft, als du mir die Handgelenke und die Nase gebrochen hast.“

Ihr Blick zuckte zu seinen Händen.

„Sie sind…verheilt“, flüsterte sie.

„Vollständig“, sagte er.

„Wie ist das möglich? Knochen heilen niemals so schnell.“

Er zog eine Grimasse.

„Du vergleichst mich mit diesen Menschen aus dem Dorf.“

„Mit wem sollte ich dich denn sonst vergleichen?“

„Es sind schwache Kreaturen“, sagte er einfach.

„Kreaturen? Du hältst dich für was Besseres?“ Ihr Gesicht konnte ihre Abscheu nicht verbergen.

„Mein erster Eindruck war also doch richtig. Du bist unheimlich arrogant.“

„Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Es ist eine Tatsache“, stellte er wütend klar.

Seltsam, dass ihn dieses Mädchen seine eiskalte Selbstbeherrschung vergessen ließ.

Er trat ins Wasser. Seine schweren, ledernen Stiefel saugten sich voll und hingen schwer an seinen Füßen.

Jetzt spiegelte ihr Gesicht Panik wieder. Sie wich jedoch nicht weiter zurück, so als ob sie vor ihm nicht klein beigeben wollte.

Aidan trat auf sie zu, bis er ganz dicht vor ihr stand. Sie legte den Kopf in den Nacken und reckte ihr Kinn vor. Störrisches Frauenzimmer.

„Du hast deinen Mut gefunden?“

„Ich weigere mich vor einem arroganten Kerl wie dir zu flüchten.“

„Dann bist du entweder sehr mutig oder sehr dumm“, stellte er fest.

Ihre grünen Augen blitzten wütend auf.

Ah, ein aufbrausendes Temperament.

„Ich bin nicht dumm, ich vertraue einfach meinem Instinkt und der sagt mir, dass ich nicht vor dir fliehen sollte. Du würdest es nur genießen.“

Er hob überrascht eine Augenbraue.

„Instinkt? Du hast einen Instinkt und vertraust auch noch darauf?“

Sie runzelte die Stirn.

„Warum sollte ich nicht?“

„Du bist ein Mensch…“

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht und ihre Augen trübten sich.

Fast schon bedauerte er seine Worte.

„Ich werde jetzt gehen.“

„Du bleibst.“

„Das werde ich nicht!“, zischte sie und watete aus dem Wasser, er folgte ihr.

Als sie endlich auf festem Grund stand, packte er ihren Arm. Sie zuckte zusammen.

„Du tust mir weh“, rief sie und versuchte sich loszureißen.

Aidan ignorierte sie und begann sie mich sich zu ziehen.

Kyra war frustriert.

Sie hatte sich nach jemanden gesehnt, der sie an Kraft und Geschwindigkeit noch übertraf und jetzt hatte sie Jemanden gefunden.

Nur war dieser jemand ein äußert arroganter Kerl.

Wieder versuchte sie sich loszureißen, zerrte heftig an seinem Arm.

„Lass mich los!“

Keine Antwort.

Sie schrie wütend auf. Außer sich vor Zorn versenkte sie ihre Zähne in seinem Arm. Er blieb abrupt stehen.

„Was zur Hölle…“, zischte er.

Er packte sie an ihrem langen Zopf und zog einmal daran. Sie biss noch fester zu, so fest, dass sie Blut schmeckte. Beide wurden ganz still.

Ihre Zunge fuhr über die Wunde und nahm die Blutstropfen auf.

Eine nie gekannte Gier überkam sie und sie biss nochmal zu um ihm eine neue Wunde zu schlagen. Ihre Zähne senkten sich in seinen muskulösen Arm. Sie saugte gierig an seiner Haut und der oberflächlichen Wunde.

Gerade als er ihren Kopf näher an sich ziehen wollte, zuckte sie zurück und betrachtete entgeistert seine Wunde, die vor ihren Augen zu verheilen begann.

Blut rann aus ihrem Mundwinkel und er streckte die Hand aus um ihn ihr abzuwischen.

„Oh Gott, was habe ich getan?“, flüsterte sie entsetzt.

„Zumindest weiß ich jetzt, was du bist.“

 

William sorgte sich.

Seine Enkelin war immer noch nicht zurückgekehrt und es war bereits mitten in der Nacht.

Normalerweise machte er sich darüber keine Gedanken, aber er wusste, dass unheimliche Wesen in dem Wald lauerten und selbst wenn Kyra stark war, war sie doch nicht stark genug, um es mit einem dieser Kreaturen aufzunehmen.

Er überprüfte abermals den Bannzauber, den er jeden Abend um die Hütte zog.

Er war ungebrochen.

Aufgewühlt fuhr er sich mit der Hand durch sein schneeweißes Haar.

Ihm war bewusst, dass er nicht mehr lange auf dieser Erde weilen würde und er hatte Kyra noch immer nicht die Wahrheit über ihn und ihre Eltern erzählt.

Seine Zeit lief ab und er konnte sich immer noch nicht dazu zu überwinden.

Nochmals überprüfte er alles.

Wo blieb sie nur?

 

Kyra starrte den Mann fassungslos an.

Was ich bin?“

Er nickte.

Ihre Atmung wurde immer flacher, ihr Herz raste.

„Was bin ich?“

„Du bist wie ich. Jedenfalls zu einem gewissen Teil“

Ein hysterisches Lachen entfuhr ihrer Brust.

„Wie du? Niemals!“

Er sah sie zornig an.

„Sei froh, dass du keine dieser niederen Menschen bist.“

„Ich will aber eine dieser Menschen sein!“, schrie sie. Dann stutzte sie.

Wollte sie wirklich wie sie sein?

Seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln.

„Zu spät. Dann hättest du nicht so gierig mein Blut trinken sollen.“

Sie wurde blass.

„Aber..ich…ich hab doch gar nicht…“

Schwindel überfiel sie und sie schwankte.

„Was…?“

Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen und nahmen ihr die Sicht. Flüssiges Feuer schien durch ihre Adern zu branden. Sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Ihre Haut kribbelte, als ob abertausende von Insekten über sie hinweg krabbeln würden. Die Geräusche ihrer Umgebung drangen mit doppelter Wucht an ihr Ohr, so dass sie gezwungen war, ihre Ohren mit den Händen zu bedecken, um diese Flut zu stoppen. Unmengen an unbekannte Gerüche stiegen in ihre Nase und verwirrten ihren angegriffenen Verstand. Kyra versuchte verzweifelt dieser Unmenge an Sinneseindrücken zu entkommen und presste sich immer weiter an den Mann vor ihr. Er war wie eine ruhige, stille Insel inmitten dieser lauten Welt. Sein männlicher Duft beruhigte ihre Nase und seine Hände, die er schützend auf ihre Schultern gelegt hatte, hielten sie sicher und fest.

Ein ohrenbetäubender Knall ließ sie schmerzverzerrt aufschreien. Blut sickerte aus ihren empfindlichen Ohren. Nicht mehr fähig, sich länger dagegen zu wehren, verlor sie das Bewusstsein. Fast schon erleichtert hieß sie die alles umfassende Dunkelheit willkommen.

Aidan fing sie auf, bevor sie zu Boden stürzen konnte und nahm sie auf die Arme. Er runzelte die Stirn. Sie war viel zu leicht und fühlte sich eindeutig zu gut in seinen Armen an.

Vor sich hin brummend lief er in den Wald, weg vom Dorf.

Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter und sein Blick wanderte immer wieder zu ihrem zarten Gesicht. Das Blut lief noch immer aus ihren Ohren und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, die einen auffallenden Kontrast zu ihrer blassen, zarten Haut bildeten. Die langen, schwarzen Wimpern warfen einen Kranz auf ihre durchscheinenden Wangen. Ihr Atem ging stoßweise und ihre weichen Lippen wirkten nahezu blutleer. Ihre kleinen Hände hatten sich in seinem seidenen Hemd gekrallt, die Knöchel weiß vor Anspannung. Besorgt verzog er die Brauen.

Er hätte ihr niemals gestatten dürfen, nochmal von seinem Blut zu kosten, selbst wenn er davon überzeugt war, dass sie zum Teil seiner Art angehörte.

Nach allem, was er in der Vergangenheit erlebt hatte, musste ihm doch bewusst sein, was sein Blut bei Anderen anrichten konnte. Sie musste von der Wucht ihrer verbesserten Sinne schier verrückt geworden sein.

Aidan hoffte, dass sie dieser Flut Herr werden würde.

Mit diesem Gedanken, trat er in die Lichtung, auf der sein Lager lag.

„Aidan, wo warst du…“

Anna stockte, als sie das Mädchen auf den Armen ihres Bruders sah.

„Das ist doch das Mädchen aus dem Wald.“

Er nickte.

„Wieso hast du sie mit hierher gebracht?“

„Wir sind uns im Wald über den Weg gelaufen.“

Sie hob überrascht eine Braue. Es sah Aidan gar nicht ähnlich, sie anzulügen. Vor allem, da sie immer merkte, wenn ihr jemand etwas vorschwindelte. Anna beließ es jedoch dabei. Wenn er ihr etwas verheimlichen wollte, dann hatte er sicher einen guten Grund dafür.

„Wo bringst du sie hin?“

„In mein Zelt“, kam die knappe Antwort.

„Du kannst sie doch nicht einfach so in dein Zelt bringen. Sie ist eine Frau!“

Er warf ihr einen Blick zu.

„Und?“

„Es geht einfach nicht, Aidan. Bring sie zu mir.“

Erst wollte er wiedersprechen, dann besann er sich. Vielleicht war es besser, wenn sie in der Gegenwart einer Frau erwachte und nicht in der spartanischen Umgebung des Zeltes, in dem er fast sein ganzes Leben verbracht hatte.

„Gut“, stimmte er schließlich zu.

Anna ging ihm voraus und er folgte ihr.

Zuvorkommend hielt sie ihm die Zeltklappe mit einem leichten Lächeln auf den Lippen auf.

Wie gut, dass seine jüngere Schwester niemals ihren Sinn für Humor verlor.

Seine Mundwinkel zuckten und er hatte Mühe, seine ernste Miene bei zu behalten. Das verwirrte ihn. Aidan hatte seit Jahren nicht mehr das Bedürfnis verspürt zu lächeln, geschweige denn zu lachen.

Nun, Wunder geschahen eben fast schon alltäglich in seiner Welt.

„Leg sie auf die Felle.“

Er tat wie ihm geheißen.

Die schlanke Gestalt der jungen Frau wirkte wie verloren auf dem dunklen Hintergrund und er war versucht sich neben sie zu legen und ihren Körper wieder in die Arme zu nehmen, um sie vor all dem Unheil in dieser Welt zu bewahren.

„Was ist mit ihr geschehen?“

„Sie…“, er stockte.

Sollte er Anna berichten, was vorgefallen war?

Er seufzte.

„Sie hat von meinem Blut getrunken.“

Seine Schwester schnappte erschrocken nach Luft und presste sich eine zarte Hand auf die bebende Brust.

„Du hast es zugelassen? Du weißt doch, was unser Blut bei Menschen anrichten kann!“

„Sie ist kein Mensch. Nicht zur Gänze.“

Er wandte sich ihr zu.

„Ein Mensch hätte niemals vermocht mir die Handgelenke zu brechen. Außerdem hat sie schon damals im Wald von meinem Blut gekostet, als sie mir die Nase zertrümmert hat.“

Anna zog überrascht die Augenbrauen hoch.

Deswegen war er also wie erstarrt gewesen, als sie ihn im Wald gefunden hatte.

Ihr älterer Bruder war überrascht gewesen.

Na, das ist nun wirklich eine Überraschung.

„Was geschieht jetzt mit ihr?“

„Wir werden sie mitnehmen und herausfinden, wer sie ist.“

„Du willst sie gegen ihren Willen aus ihrer gewohnten Umgebung reißen? Selbst wenn sie zu unserer Welt gehört, so ist sie doch wie ein Mensch aufgezogen worden. Sie könnte zerbrechen. Sieh nur, wie zart sie ist.“

„Sie wird es überleben. Das Mädchen ist eine Kämpferin.“

Anna sah ihn besorgt an.

„Was macht dich so sicher, dass sie nicht gegen dich kämpfen wird?“

Nichts.

Doch ihm blieb keine andere Möglichkeit.

Da sie von ihm getrunken hatte, war er nun für sie verantwortlich.

„Sie wird unsere und auch ihre Welt kennenlernen. Danach wird sie sich nicht mehr danach sehnen, zurückzukehren.“

Nicht, dass sie eine andere Wahl gehabt hätte.

Er war noch einen letzten, besorgten Blick auf die schlafende Gestalt, dann verließ er das Zelt. Seine Schwester würde sich gut um sie kümmern, während er das eigentliche Ziel seiner Mission verfolgte.

Im Morgengrauen würden sie zuschlagen.

 

Anna befühlte immer wieder die Stirn der jungen Frau. Sie wusste, dass Menschen unter großem Stress Fieber bekommen konnten.

Sie schien jedoch nicht heiß zu sein.

Mit einem feuchten Lappen hatte sie das Blut abgewischt und ein weißes Tuch um ihre Ohren gebunden. Zum Glück floss kein neues nach. Ihre Wunde verheilte schnell. Schneller als es normal gewesen wäre.

Die Augen hinter den Liedern bewegten sich unruhig, so als ob sie träumte. Ihrer gequälten Miene nach war es ein Albtraum.

Wovon so ein junger Mensch wohl träumte?

Kopfschüttelnd richtete sie sich auf und durchsuchte einen ihrer Truhen um eines ihrer einfacheren Kleider rauszusuchen. Sie würde sich umziehen wollen, nach dem ihr Leinenkleid mit Blut besudelt war.

Sie vermutete, dass sie dieses Kleid schon seit Jahren trug, denn es war ihr zu kurz, bedeckte nicht mal ihre schlanken Fesseln. Anna konnte sich nicht mal vorstellen, wie es war, sich nicht jedes Kleid kaufen zu können, das sie ansprach.

Wie primitiv die Menschen doch waren.

Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

Endlich fand sie ein einfaches, blaues Kleid aus feinster Seide, dass sie bis jetzt nur einmal getragen hatte. Warum sie es ausgerechnet auf diese Reise mitgenommen hatte, wusste sie nicht mehr. Jetzt war sie froh darüber. Es würde der jungen Frau ausgezeichnet stehen.

Sie legte es zurecht und kniete sich wieder neben dem Lager.

Behutsam tupfte sie den Schweiß von der Stirn der jungen Frau.

Ihre Augenlieder flatterten und sie zog die Augenbrauen zusammen. Sie kam wieder zu Bewusstsein.

Anna hatte nicht mal mehr die Gelegenheit den Mund zu öffnen. Blitzschnell packte das Mädchen sie am Hals und drückte sie gegen den Stützpfosten in der Zeltmitte.

Jetzt öffnete sie die Augen und sie schnappte entsetzt nach Luft. Ihre Augen waren silbern. In ihnen flackerten tausende von kleinen Flammen und ihr rotes Haar wogte um ihre zarte Gestalt. Scheinbar mühelos hob sie Anna an und schnürte ihr mit einer Hand die Kehle zu. Die Kraft über die sie verfügte war furchteinflößend. Und nicht menschlich.

Aidan hatte recht gehabt. Was auch immer sie war, ein Mensch war sie nicht.

Die junge Frau zischte und verzog die Lippen.

Große Lima, waren das etwa Fänge?

Anna schrie kurz auf, als der Griff um ihre Kehle fester wurde und ihr die Luft abschnürte, sodass sie kaum atmen konnte.

Die Zeltklappe wurde abrupt geöffnet und ihre drei Brüder standen in der Öffnung. Sie stürmten in das Zelt und blieben dann verdutzt stehen.

Sie konnte sich denken, wie der Anblick auf sie wirken musste.

Kyra fühlte sich unglaublich gut. Stark und unbesiegbar.

Wie im Rausch drückte sie die Frau an den Pfosten und lächelte diabolisch.

Dann fiel ihr Blick auf Aidan.

„Du!“, zischte sie.

„Ich…“

Weiter kam er nicht mehr. Kyra stürzte sich mit einem Wutschrei auf ihn und grub ihm ihre Fingernägel in den Arm, als er sich zu verteidigen versuchte. Tiefe, blutige Furchen prangten auf dem gebräunten, muskulösen Unterarm.

Tief in ihrem Inneren wunderte sie sich, wie ihre Fingernägel solch tiefe Wunden hinterlassen konnten, doch ihr ganzes Sein konzentrierte sich darauf, dem Mann der sie in dieses Zelt gebracht haben musste so viele Schmerzen wie nur möglich zuzufügen.

Es dauerte einige Augenblicke, bis es Aidan gelang ihre Handgelenke zu packen und sie hoch über ihrem Kopf festzuhalten. Beide keuchten.

Kyras Beine gaben unter ihr nach und nur sein unnachgiebiger Griff hielt sie auf den Füßen. Sie starrten sich wütend an.

„Aidan, du darfst ihr nicht wehtun!“

Sein wilder Blick traf den seiner Schwester.

„Geht es dir gut?“

„Mir ist nichts passiert. Sie hat sich nur verteidigt.“

Sein Kopf ruckte wieder zu Kyra.

Sie blinzelte und versuchte die Situation zu verstehen. Erst jetzt schien sie aus ihrer Trance zu erwachen.

Drei Männer eine Frau.

Was war hier los?

Die Frau trat jetzt auf sie zu und löste Aidans Griff. Sie massierte wütend ihre Handgelenke. Schon jetzt bildeten sich blaue Flecken.

„Wie geht es dir?“, fragte die Frau sie.

Sanfte, rehbraune Augen betrachteten aufmerksam ihr Gesicht.

„Ich…ich weiß nicht.“

Mit entschlossenem Blick wandte sich die Frau an die drei Männer.

„Raus, sofort.“

Zu Kyras Erstaunen, gehorchten ihr die Männer. Aidan warf ihr noch einen warnenden Blick zu. Sie verstand die Botschaft.

„So“, sie dreht sich zu ihr um und klatschte in die Hände.

„Du willst dich sicher waschen und was anderes anziehen, nicht wahr?“

Nun, dass war nicht unbedingt das Erste was ihr in den Sinn kam, aber für den Anfang war es nicht schlecht. Sie runzelte die Stirn.

„Ich habe nichts anderes zum anziehen.“

Die Frau winkte ab.

„Ich hab dir eins von meinen Kleidern rausgesucht. Du kannst es tragen, es müsste dir passen. Jedenfalls besser als deines.“

Kyra errötete verlegen.

Weder sie noch ihr Großvater konnten nähen und die Schneiderin im Dorf weigerte sich für sie ein neues Kleid zu schneidern, ganz gleich wie viel sie ihr geboten hatten.

Ihr Blick wanderte zu dem Kleid, das ausgebreitet auf einer der beiden Truhen lag.

„Das kann ich nicht anziehen“, rief sie entsetzt.

So einen zarten Stoff hatte sie noch nie gesehen. Feine Stickereien zogen sich von dem Saum bis zu der Brust nach oben, bis zu einem silberfarbenen Gürtel, der unter der Brust gebunden wurde. Lange Ärmel und ein tiefer, runder Ausschnitt vollendeten das filigrane Gewand.

Anna winkte ab.

„Die Farbe steht mir nicht besonders und ich überlege schon lange, es wegzugeben.“

Kyra warf ihr einen überraschten Blick zu. Sie konnte es sich leisten ein so kostbares Gewand einfach so zu verschenken?

Sie schluckte.

„Dann will ich es annehmen.“

„Fein. Zieh dich aus, dann kann ich dir beim ankleiden helfen.“

Wieder wurde sie rot. Noch nie hatte sie jemand nackt gesehen, nicht seitdem sie sich selbstständig ankleiden konnte.

„Ich…“

„Nun gut, ich sehe, dass es dir nicht behagt. Ich warte draußen, werf mir dein Kleid einfach raus. Ich werde es dann entsorgen.“

Kyra nickte.

Kurz bevor die Frau das Zelt verließ, wandte sie sich nochmal zu ihr um.

„Bevor ich es vergessen, mein Name ist Anna. Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.“

Sie schlüpfte ins Freie, ehe Kyra ihr antworten konnte.

Verwirrt schlüpfte sie aus dem Leinenkleid, wusch sich kurz aus einer Schale mit frischem Wasser und streifte dann das seidige Kleid über. Der zarte Stoff fühlte sich unglaublich auf ihrer nackten Haut an. Es betonte ihre hohen, vollen Brüste und ließ einen Anflug von ihnen in dem tiefen Ausschnitt erahnen, ohne jedoch zu verwegen zu wirken. Die Robe glitt bis zu ihren Füßen und bedeckte sie.

Kyra fühlte sich wie eine Prinzessin.

Als sie das Band unter ihrem Busen zuknoten wollte, musste sie feststellen, dass dies nicht so einfach war.

„Anna?“

„Ja, meine Liebe?“

„Ich kann das Band nicht zubinden.“

„Oh, natürlich.“

Anna betrat das Zelt und blieb bei ihrem Anblick stehen.

„Große Lima, du siehst wunderschön aus.“

Sie errötete.

Lächelnd trat Anna hinter sie und band den Gürtel zu einer feinen Schleife auf ihrem Rücken. Dann betrachtete sie kritisch das Ergebnis.

Der hellblaue Stoff schmeichelte der hellen Haut der jungen Frau und betonte ihre meergrünen Augen, die immer zwischen Blau und Grün zu wechseln schienen. Die silbernen Borten an den Ärmeln und dem Saum, sowie die silbernen Stickereien und der Gürtel, brachten ihr leuchtend rotes Haar zum strahlen.

„Hervorragend.“

Sie nickte zufrieden.

„Komm und setzt dich. Du hast sicher viele Fragen.“

Beide setzten sich an einen kleinen Runden Tisch, der in einer Ecke des großen Zeltes stand.

„Wie ist dein Name?“, fragte Anna.

„Ich heiße Kyra“, antwortete sie langsam.

Sie war noch immer vollkommen überwältigt von dem Kleid. Immer wieder strich sie mit den Fingern über den Seidenstoff.

„Nun Kyra, du fragst dich bestimmt, warum mein Bruder dich zu uns gebracht hat.“

„Er ist Euer Bruder?“, fragte sie entsetzt. Diese sanfte Frau passte so gar nicht zu dem arroganten, groben Mann.

„Ich glaube, der formelle Umgang ist hier nicht vonnöten. Ja, Aidan ist mein Bruder. Genau wie die beiden Anderen.“

Sie seufzte.

„Ich weiß, wir sehen uns gar nicht ähnlich, doch so ist es nun einmal.“

Ihre Augen musterten forschend ihr Gesicht.

„Du scheinst…entsetzt zu sein.“

„Dein Bruder hat sich mir gegenüber nicht gerade sehr zuvorkommend verhalten.“

„Oh, wie ich Aidan kenne, war das noch eine Untertreibung.“ Sie lächelte belustigt.

„Aidan?“

„Das ist sein Name.“

„Oh“, machte Kyra nur. Sie wollte Anna nicht unbedingt beichten, dass sie diesen Namen schon immer gemocht hatte.

„Ihr habt euch das erste Mal im Wald gesehen, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte sie.

„Mein Bruder hat mir erzählt, du hättest ihm die Handgelenke gebrochen… und die Nase“, fügte sie nach einer amüsierten Pause hinzu.

„Ich bin stark und dein Bruder wollte mich nicht gehen lassen.“

„Oh, ich sage ja nicht, dass es nicht lustig gewesen war. Es ist nur so, dass kein Mensch dazu in der Lage ist.“

Da war sie wieder.

Diese komische Behauptung, dass es keinem Menschen möglich wäre.

„Du triffst dieselbe Aussage, die auch er mir an den Kopf geworfen hat. Mir stellt sich da die Frage, wer denn dazu fähig ist.“

„Nun, alle, die zu unserer Welt gehören.“

„Eurer Welt?“

„Ja.“

Kyra hob fragend eine Augenbraue.

„Es tut mir leid, aber es ist nicht an mir, dich mit unserer Welt bekannt zu machen. Aidan muss diese Aufgabe übernehmen. Immerhin hat er dich zu uns gebracht und plant dich mitzunehmen.“

„Mich mitnehmen? Wohin?“, fragte sie panisch.

„In unsere Heimatstadt.“

„Ich werde nicht mitkommen.“

Anna seufzte bedauernd.

„Leider wirst du keine andere Möglichkeit haben. Aidan wird es nicht zulassen, dass du hierbleibst. Nicht nachdem du von seinem Blut gekostet hast.“

„Er kann mich nicht dazu zwingen mit ihm zu gehen. Und was hat das Ganze mit seinem Blut zu tun?“

„Unser Blut ist bindend. Wenn du es einmal genommen hast, ist es dir nicht mehr erlaubt weiter unter den Menschen zu leben. So verlangt es unser Gesetz.“

Kyra wurde blass.

„Ich kann nicht gehen. Ich kann meinen Großvater nicht hier alleine lassen.“

„Du hast leider keine andere Wahl, Kyra.“

Ihr stockte der Atem.

 

Aidan fuhr sich zum wiederholten Male mit der Hand über seine Augen.

Eigentlich sollte er sich auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren. Es fiel ihm jedoch zunehmend schwerer seine Gedanken von der jungen Frau in dem Zelt seiner Schwester loszureißen.

Große Lima, wie sie ausgesehen hatte.

Bei ihrem Anblick war ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache weggeblieben. Und wie schmal und zerbrechlich sich ihre Handgelenke in seiner Hand angefühlt hatten. Er konnte noch immer den weichen Druck ihrer Haut an seiner spüren.

Seine Wunden, die sie ihm mit ihren Klauen gerissen hatte, waren wieder verheilt und er hatte sich ein anderes Hemd übergestreift. Seine verdammten Brüder hatten bei diesem Anblick nur gelächelt.

„Die Kleine hat dir ganz schön zugesetzt, nicht wahr?“, lautete ihr Kommentar.

Wenn sie wüssten.

In seinem ganzen Leben hatte ihn bisher nur eine Frau so sehr fasziniert.

Und diese hatte sich für einen Anderen entschieden. Aidan trauerte noch immer um ihren Tod und hatte sich geschworen, niemals mehr das Glück einer neuen Liebe zu finden. Deswegen frustrierte es ihn ungemein, dass er jetzt ständig an die junge Frau denken musste.

Ihr Anblick glich dem seiner geliebten Elizabeth so sehr.

Beide Frauen hatten dieses wunderschöne, rote Haar und auch ihre Augen ähnelten sich. Beths Augen waren dunkelgrün gewesen und bei dem Mädchen waren sie mal blau, mal grün.

Er schüttelte den Kopf. En war keine Zeit um die beiden Frauen zu vergleichen.

Aidan kauerte sich noch tiefer hinter einem Busch von dem aus er den See beobachten konnte.

Die Sonne ging bereits auf und im Dorf herrschte geschäftiges Treiben.

Heute würden sie ihr alljährliches Dorffest veranstalten. Nur das dieses etwas anders ablaufen würde, als die Male zuvor.

Eine kleine Gruppe junger Frauen lief gerade den kleinen Hügel zum See hinunter. Sie kicherten hinter vorgehaltener Hand. Eine der Frauen schritt voran und hatte das Haupt königlich erhoben. Sie musste die Anführerin sein. Die Anderen folgten ihr.

„Du wirst in deinem neuen Kleid wunderschön aussehen, Helena.“

„Natürlich, es hat mich ja auch ein Vermögen gekostet.“

„Wohl eher deinen Vater“, kicherte Melissa.

„Nun, er hat ja auch einen Ruf zu verlieren, wenn ich nicht perfekt gekleidet bin.“

Die Frauen nickten zustimmend.

Helena war die Tochter des Bürgermeisters. Als solche hatte sie einen Stand zu vertreten und tat dies auch mit königlicher Würde.

Sie blieben am Ufer des kleinen Sees stehen.

„Hört jetzt auf mit diesem Geschnatter. Wir müssen uns zurecht machen. Heute Abend werde ich mir Sebastian schnappen.“

Sebastian war der älteste Sohn des Schmiedes und ein ganz netter Anblick. Und außerdem der begehrteste Junggeselle des ganzen Dorfes.

Sobald Helena ihn geheiratet hätte, würde sie mit ihm dieses Dorf verlassen und in einem wunderschönen Palast leben und von Dienern nur so umschwärmt werden.

„Oh, das Wasser ist so kalt“, quietschte Melissa.

„Stell dich nicht so an!“, zischte Helena.

Die Frauen traten mit kleinen, spitzen Schreien in das Wasser.

Dort wuschen sie sich die Haare und schrubbten ihre Haut ab.

Das Fest war das gesellschaftliche Ereignis und sie wollten alle ein Stück vom Kuchen abhaben, wobei Helena sich das größte Stück einverleiben würde.

Ihr goldblondes Haar glänzte in der aufsteigenden Sonne und ihre gebräunte Haut war makellos. Sie hatte sich mit allen möglichen Kräutern eingerieben, um so verführerisch zu duften, dass kein Mann ihr wiederstehen konnte.

Weiter Frauen kamen zum See und gesellten sich zu ihnen ins Wasser.

Alle sprachen über das Fest.

Plötzlich schrie jemand auf und Helena drehte sich um, um sie zurechtzuweisen, hielt jedoch abrupt inne.

Am Ufer standen ein gutes Dutzend Männer. Alle waren dunkel gekleidet und großgewachsen. Einer jedoch überragte die Anderen noch. Sein langes, schwarzes Haar wehte in der leichten Brise und er hatte die Augen vor dem einfallenden Sonnenlicht zusammengekniffen, so dass sie deren Farbe nicht erkennen konnte.

Er sah unglaublich gut aus. Seine muskulöse Gestalt hob sich dunkel vor dem hellen Himmel ab.

„Kommt aus dem Wasser“, befahl er ihnen knapp.

Alle Mädchen starrten Helena an, als ob sie darauf warteten, dass sie seinen Befehl bestätigte. Der Mann wandte sich nun direkt an sie.

„Komm und bring die Anderen mit.“

Ohne zu zögern stieg sie aus dem Wasser und blieb nackt vor ihm stehen.

Seine Augen verirrten sich nicht mal zu ihr. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den Frauen, die jetzt nach und nach das Wasser verließen.

Die Männer traten auf sie zu und befahlen ihnen sich rasch anzukleiden.

Helen ignorierte alle und strich mit einem Finger über seine Brust.

„Du bist nicht von hier.“

Er antwortete nicht, drehte sich um und rief über die Schulter hinweg:“ Zieh dich an.“

Wie vor den Kopf gestoßen, befolgte sie seinen Befehl.

Aidan wandte sich wieder um und betrachtete das Dutzend Frauen, die ihnen ins Netz gegangen war.

„Fesseln und wegbringen“, befahl er seinen Männern. Mit den Gedanken war er wieder bei der jungen Frau.

Was sie wohl gerade tat?

Die Frauen kreischten entsetzt. Panisch versuchten sie den Männern zu entkommen, sie hatten jedoch nicht die geringste Chance. Als alle mit einem Seil an den Handgelenken aneinandergebunden waren, führten sie die Menschen in den Wald hinein. Seine Brüder sorgten dafür, dass niemand ihrer Spur folgen konnte.

Immer wieder schrie eine der Frauen auf oder stolperte über dem unebenen Boden.

Aidan rieb sich frustriert die Stirn. Er hatte sich noch nie für hilflose Frauen interessiert. Er bevorzugte starke Frauen.

Wie Elizabeth.

Sie war so sanft und sich trotzdem niemals zu schade gewesen, ihre Meinung kundzutun.

Der Trupp kam nur langsam voran und ihr Lager war weit entfernt. Sie hatten es am anderen Ende des Berges errichtet, damit die Menschen es nicht fanden.

Ihn drängte es, so schnell wie nur irgendwie möglich zum Lager zurückzukehren.

Er traute der jungen Frau nicht und sorgte sich um seine Schwester.

Jedenfalls redete er es sich ein.

Dass er den Wunsch verspüren konnte, einfach nur diese Frau wiederzusehen, schob er weit von sich.

„Aidan, wir müssen kurz Rasten. Die Frauen sind es nicht gewohnt so lange über den unwegsamen Waldboden zu laufen“, ertönte Ians Stimme.

Er drehte sich zu seinem Bruder um.

Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er seinen Männern mit ihrer Last ein ganzes Stück voraus gegangen war.

„Also gut“, lenkte er ein.

Die Frauen seufzten erleichtert auf, als sie sich alle samt auf den Boden sinken ließen. Viele von ihnen beklagten ihre zerschundenen Füße in den weichen Schuhen, die nicht für eine lange Wanderung geeignet waren. Aidan verzog verächtlich den Mund. Jammernde Frauen raubten ihm immer wieder die Nerven. Wenn sie nicht so dringend diesen Nachschub an weiblichen Wesen gebraucht hätten, hätte er viel passendere Frauen ausgesucht, als die erstbesten zu nehmen, an die sie leicht rankamen. Für ihre Mission war dieses Dorf perfekt gewesen, nur über die Qualität ließ sich streiten.

Wasserflaschen wurden herumgereicht.

Die Frau, die sich am See vor hin hingestellt hatte, betrachtete ihn mit verhangenen Augen. Sie leckte sich über den rosigen Schmollmund.

Sie keine derjenigen gewesen, die sich beklagten. Sie blieb stumm und hatte die blonden Brauen zusammengezogen, als grübelte sie über etwas nach.

Sie war auf eine klassische Art schön und großgewachsen.

Vielleicht konnte er sich eine Kostprobe genehmigen, nur um diesen rothaarigen Teufel aus seinen Gedanken zu vertreiben.

„Wir gehen weiter“, befahl er.

Lautes Stöhnen erklang und er kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

Ohne eine weitere Pause führte er die Frauen zum Lager. Die Sonne ging wieder unter, als er endlich auf die Lichtung trat.

Sofort kamen seine Männer auf ihn zu und brachten die jungen Frauen zu dem Zelt, das sie ausschließlich für sie errichtet hatten.

Zehn der Männer bezogen Posten vor dem Zelt, um zu verhindern, das jemand fliehen konnte.

Aidan machte sich auf, um zu seiner Schwester zu gehen. Und ihrem Gast.

 

Für Kyra schien die Welt einen Augenblick lang stillzustehen.

„Ich habe keine andere Wahl?“, wiederholte sie Annas Worte.

„In unserer Welt gibt es Gesetze. Unsereins ist es verboten unter den Menschen zu leben.“

„Ich gehöre aber nicht zu eurer Welt!“, schrie sie frustriert.

Aidans Worte kamen ihr wieder in den Sinn.

Du bist wie ich, hatte er gesagt.

„Doch, das gehörst du.“

„Dann erkläre mir wie.“

„Das kann ich nicht. Es tut mir leid.“

Kyra sprang auf ihre Füße und wollte zu der Zeltklappe stürzen, doch bevor sie nur blinzeln konnte, packte Anna ihren Knöchel und sie hörte etwas zuschnappen.

Metallene Fesseln?

Wo hatte sie schnell diese Fesseln herbekommen?

Sie zog einmal heftig an der Kette, konnte sie jedoch keinen Millimeter weit bewegen.

„Du kannst diese Fesseln nicht sprengen. Sie sind durch einen Zauber verstärkt.“

„Einen Zauber? So etwas gibt es doch gar nicht“, schrie sie und riss wie wild an der Kette. Blut rann an ihrem Knöchel entlang und hinterließ karmesinrote Tropfen auf dem Teppichboden.

Verzweifelt sank sie zu Boden.

„Kyra, du solltest dich beruhigen. Wir werden dir nichts tun, das kann ich dir versprechen.“

Sie schluchzte auf.

„Genau in diesem Augenblick, nehmt ihr mir alles, wofür ich gelebt habe.“

Anna sah sie bestürzt an.

Kyra ließ den Kopf hängen. Ihr langes Haar ergoss sich über ihre Schultern und ihre Brust und verdeckte ihr Gesicht.

Tränen tropften auf ihren Schoss.

„Nicht doch, Kyra. Ich…“

„Wenn du nicht bereit bist, mich gehen zu lassen, dann will ich nichts mehr hören.“

Anna schluckte. Mitgefühl für die junge Frau keimte in ihr auf.

„Es sind unsere Gesetze. Wir können sie nicht brechen.“

„Lass mich allein“, flüsterte sie erschöpft.

Kyra spürte, wie Anna kurz zögerte, dann jedoch ihrem Wunsch nach kam und das Zelt verließ. Erst jetzt gestattete sie sich aufzuschluchzen und ihre Tränen hemmungslos fließen zu lassen.

Bald verwandelte sich ihre Hilflosigkeit in Entschlossenheit.

Sie würde einen Weg finden, um zu fliehen. Und dann würde sie zu ihrem Großvater zurückkehren.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis Anna wiederkehrte. In der Hand hielt sie eine hölzerne Schale mit einer Art Eintopf. Dampf stieg daraus empor und ein würziges Aroma kitzelte in ihrer Nase.

Ihr Magen knurrte vernehmlich.

„Ich habe mir schon gedacht, dass du Hunger haben könntest.“

Sie stellte die Schale auf den Tisch und klopfte auf einen der beiden Stühle. Kyra überlegte kurz, das Essen zu verschmähen, doch der Hunger nagte an ihr und so beschloss sie, ihre Flucht mit vollem Magen weiterzuplanen.

Sie setzte sich an den Tisch und nahm einen Löffel voll von dem heißen Mahl.

Dann schloss sie vor Verzückung die Augen.

Der Eintopf schmeckte köstlich.

„Schmeckt es dir?“

Sie nickte bedächtig, nicht gewillt ihrem Gegenüber jegliche Art von

Freundlichkeit entgegenzubringen.

„Das freut mich. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben.“

„Du hast es gekocht?“

Anna nickte eifrig.

„Meine Mutter hat es mir vor langer Zeit mal beigebracht.“

„Ist sie tot?“

Sie riss überrascht die Augen auf.

„Oh nein, ganz und gar nicht. Wir essen nur nicht. Jedenfalls nicht, wenn wir ein gewisses Alter erreicht haben.“

„Ihr esst nichts?“, fragte Kyra erstaunt.

Anna schüttelte den Kopf.

„Aber, wie ist das möglich? Wie könnt ihr dann überleben?“

„Wir…ernähren uns…von etwas anderem.“

„Von was?“

„Von…“, weiter kam sie nicht mehr.

Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen und Aidan stürmte herein.

„Anna!“, rief er warnend.

Seine Schwester sprang auf und wich einige Schritte zurück.

„Geh, die Menschen brauchen etwas zu essen.“

Sie nickte und verließ das Zelt.

Aidan wartete, bis Anna das Zelt verlassen hatte, dann wandte er sich an die junge Frau. Sie hatte eines von den Kleidern seiner Schwester angezogen und ihr Haar fiel ihr offen über den Rücken. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Lippen glänzten feucht.

Hatte sie etwa geweint?

„Was hat sie dir erzählt?“

Die Frau presste aufsässig ihre Lippen aufeinander.

Volle, rote Lippen, die einen Mann geradezu darum anbettelten, von ihnen zu kosten. Er war versucht, genau das zu tun. Hastig wandte er den Blick ab.

Denk an Elizabeth.

„Beantworte meine Frage.“

„Sie sagte, dass ihr mich mitnehmen würdet. Dass es gegen eure Gesetze gehen würde, wenn ihr mich hierließet.“

Aidan nickte bedächtig.

„Mehr nicht?“

„Sie sagte, ich würde zu eurer Welt gehören. Was genau meinte sie damit?“

„Du gehörst wenigstens zur Hälfte unserer Art an.“

„Was ist denn eure Art?“

„Hat sie dir das gebracht?“, wechselte er das Thema und deutete auf die Schale, die sie fast gelehrt hatte.

„Ja.“

„Es ist ein beliebtes Gericht, bei den Heranwachsenden unserer Art.“

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus.

„Warum?“

„Es ist Nahrung, aber es enthält auch Blut.“

Ihr Gesicht verlor mit einem Schlag jegliche Farbe.

„Blut?“

Er nickte.

Kyra würgte und sie glaubte, dass sich ihr Magen bald zusammenkrampfen würde, um seinen Inhalt von sich zu geben. Er tat es jedoch nicht, stattdessen verspürte sie immer noch einen leichten…Hunger.

„Du scheinst überrascht zu sein. Hat sie es dir nicht gesagt?“

Sie schüttelte den Kopf und schwankte leicht.

„Wieso gebt ihr mir Blut zu essen?“

„Alle bekommen diese gemischte Nahrung, wenn sie kurz vor der Wandlung stehen.“
„Was für eine Wandlung?“

„Ich werde es dir irgendwann erklären.“

„Nein, ich will es sofort wissen!“

Sein Brauen zogen sich zusammen.

„Später“, knurrte er wütend.

Aidan wandte sich zum gehen, doch bevor er das Zelt verlassen konnte, umfasste sie seine Hand mit ihren.

Sie waren so klein im Gegensatz zu seiner. Und voller Schwielen von der Jagd mit dem Bogen.

„Bitte, Aidan. Du weißt, warum ich so anders bin. Bitte sag es mir“, flehte sie und sah ihn bittend an. In ihren Augen glänzten Tränen und ihre Unterlippe bebte.

Er wollte sie nicht so sehen. Seine Brust schmerzte bei ihrem Anblick.

„Du kennst meinen Namen?“

„Anna hat ihn mir gesagt.“

„Es wäre nur gerecht, wenn ich auch den Deinen kennen würde.“

Sie runzelte die Stirn.

„Darum geht es doch jetzt überhaupt nicht.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Miene sagte ihr deutlich, dass er keine ihrer Fragen beantworten würde, wenn sie nicht gewillt war, ihm dafür ihren Namen zu nennen.

„Kyra“, murmelte sie schließlich.

Sie ließ ihn los und sah ihn dann wieder an.

„Nun?“

„Also gut. Setzt dich.“

Sie tat wie ihr geheißen. Er stellte sich vor den Tisch und fuhr sich mit der Hand über den Mund.

„Du bist stärker als alle, die du kennst, nicht wahr?“

Sie nickte langsam.

„Du bist zudem noch schneller und hast einen besseren Geruchsinn als sie. Deine Wunden heilen um ein vielfaches schneller als die der Anderen. Dein Gehör ist schärfer und du kannst im Dunkeln genauso gut sehen, wie am Tag.“

Er hielt kurz inne.

„Außerdem verspürst du Hunger, wenn du Blut riechst. Dein Verlangen danach wird immer stärker.“

Sie schluckte.

„Habe ich irgendwas vergessen?“

„Ich konnte deine Anwesenheit in dem Wald fühlen und in mir hat mich alles davon abgehalten, in deine Nähe zu kommen.“

Mit leiserer Stimme fügte sie hinzu:“ Was ich auch besser getan hätte.“

„Also besitzt du zudem noch geistige Fähigkeiten, die des Menschen noch übertreffen.“

Seine schwarzen Augen bohrten sich in ihre.

„Hast du dich nie gefragt, warum du so anders bist?“

„Sehr oft sogar.“

„Und dein Großvater hat es dir nie erzählt?“

Sie zögerte einen Augenblick, dann gab sie zu: „Er ist diesem Thema immer ausgewichen.“

„Dann weiß er, was du bist. Wir haben einen starken Bann rund um eure Hütte wahrgenommen.“

„Einen Bann? Was ist das?“

„Eine Art magisches Feld, das meine Art davon abhält, den Ort zu betreten, der von ihm bewacht wird. Es fühlt sich an, als ob man im Eis eingeschlossen wird.“

Lag es daran, dass Kyra in letzter Zeit immer ein eisiger Schauer überlief, wenn sie die Hütte betrat?

„Was bin ich?“

Sie fürchtete sich vor der Antwort, doch um alles in der Welt, wollte sie endlich den Grund für ihre anormalen Eigenschaften erfahren.

Er seufzte, dann sah er sie direkt an.

„Du gehörst zu den Wese des Lichts und du gehörst meiner Art an.“

„Wesen des Lichts? Deiner Art? Was willst du damit sagen?“

Er holte tief Luft.

„Du bist eine der Wächter. Wir wurden erschaffen um zu beschützen und zu kämpfen.“ Sie benetzte ich Lippen, ihre Kehle war staubtrocken.

„Was genau sind Wächter?“

Sein dunkler Blick bohrte sich in sie.

„Wir sind Vampire.“

Kyras Herz blieb vor Schreck stehen.

 

Ian betrachtete mit einem Grinsen die Menschen, die dicht aneinandergedrängt auf dem Boden des Zeltes saßen und leise miteinander flüsterten.

Seine ganze Aufmerksamkeit galt einem kleine, schüchternen Mädchen, dass von allen etwas abseits saß und bis jetzt noch keinen Laut von sich gegeben hatte.

Ihr Gesicht versteckte sie hinter ihrem langen, dunkelbraunen Haar und sie zitterte.

Ihre grauen Augen huschten hin und her und sie bemühte sich, sich noch weiterzusammen zu kauern und sich noch kleiner zu machen.

Sie war jünger als die Anderen, vielleicht gerade mal fünfzehn Jahre alt.

Er selbst konnte sich kaum noch an dieses Alter erinnern. Es lag bereits seit Jahrhunderten hinter ihm.

Die Menschen amüsierten ihn und er liebte es, ihre Spielchen zu beobachten.

Jetzt trat eine hochgewachsene Frau an das Mädchen und stupste sie mit dem Fuß an.

Er runzelte die Stirn. Es gefiel ihm gar nicht.

Die Beiden sprachen kurz miteinander, wobei die blonde Frau sie eher wütend anzuzischen schien.

Eingeschüchtert reichte sie ihr schließlich ihre Schale und zog sich noch weiter an die Zeltwand zurück.

Ihre Augen schwammen in Tränen und sie biss sich tapfer auf die Unterlippe, um nicht anzufangen zu weinen.

Ian seufzte hingerissen.

Die Kleine war wirklich süß.

Er befahl einem der Männer ihr eine neue Schale zu bringen. Als er sich wieder umwandte, sah ihn das Mädchen an. Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Augen, bevor sie hastig ihren Blick abwandte.

Fast schon bedauertes er es, nicht mehr den Blick in ihre großen, klaren, grauen Augen genießen zu können.

Er holte tief Luft und ging dann zurück zu dem Zelt seines älteren Bruders Gregor.

Er fand ihn zusammen mit Anna auf einem der zusammengerollten Matten sitzen. Sie unterhielten sich.

„Wie geht es unserer kleinen Neuentdeckung?“

„Aidan spricht gerade mit ihr.“

„Unser kleiner Bruder hat sich wirklich ein nettes Ding zugelegt. Sie ist eine richtige Schönheit.“

„Ich glaube fast, sein Interesse geht über eine gewisse Faszination hinaus.“

„Wird langsam auch mal Zeit, dass er sich etwas Spaß gönnt.“

Seit dem Tod seiner geliebten Elizabeth und ihrer ganzen Familie, hatte er sich in seine Arbeit gestürzt und wurde immer wieder von ihrem Wächter zu Missionen ausgesandt. Er tat alles, egal wie gefährlich es auch werden mochte.

Die junge Frau war die Erste, die ihn seit fast zweiundzwanzig Jahren in Versuchung führte.

„Anna hat mir gerade erzählt, dass diese Kleine“, Gregor warf seinem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu, “ sein Blut getrunken hat.“

„Sie hat was?“ Ian sprang auf.

„Er hat es zugelassen?“

„Aidan war selbst überrascht. Immerhin hatte sie ihm gerade die Handgelenke und die Nase gebrochen und dann auch noch von seinem Blut gekostet.“

„Und als er sie zu uns brachte?“

„Sie hat ihn gebissen.“

„Dann ist sie ein Vampir?“

„Wir vermuten, dass sie ein Mischling ist.“

„Oh oh, das wird ja immer interessanter. Fast schon beneide ich unseren kleinen Bruder.“

„Nun, ich bin eher froh, dass er aus seiner Lethargie gerissen wurde.“

„Das war aber auch wirklich an der Zeit.“

„Ihr wisst doch, wie sehr er Elizabeth und ihre kleine Tochter geliebt hat. Ihr Tod hat ihn schwer getroffen.“

„Dennoch hat sie seine Gefühle nicht in dem gleichen Maße erwidert, sondern unseren Freund Bryant geheiratet.“

Anna nickte langsam.

„Aidan hatte sich damit abgefunden. Immerhin hatte sie eine Tochter in die er ganz vernarrt war. Doch beide wurden ihm genommen.“

Sie stand auf und lief auf und ab.

„Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie ihn ihr Verlust geschmerzt haben muss.“

„Jetzt scheint es mit ihm wieder bergauf zu gehen.“

Die Drei nickten einstimmig. Jeder von ihnen war insgeheim mehr als nur erleichtert, dass ihr Bruder endlich wieder Interesse nach etwas anderem, als seine Missionen zeigte.

 

Aidan musterte aufmerksam das Mienenspiel von Kyras ausdrucksstarkem Gesicht.

Erst hob sie verblüfft die Brauen, dann verzog sie ihren Mund und schließlich kniff sie ihre Augen zusammen.

„Vampire leben nur in den Legenden und Mythen, die sich irgendjemand ausgedacht hat! Sie existieren gar nicht.“

Jetzt war es an ihm, sie wütend anzustarren.

Kyra lief aufgeregt im Zelt herum.

„Das ist ja wirklich die Höhe! Ich bin von einer Gruppe geistesgestörter Irrer entführt worden.“ Sie schlug sich ihre Hand gegen die Stirn.

Abrupt wurde sie herumgerissen und starte in Aidans wutverzerrtes Gesicht.

Seine Augen waren nun nicht mehr schwarz sondern leuchteten in einem feurigen Grau. Als er seine Zähne fletschte und sie anknurrte, entdeckte sie in seinem Mund…Fänge.

Seine Eckzähne wurden immer länger und schärfer und ragten bedrohlich herab.

„Glaubst du immer noch, wir wären Irre, die an solche Hirngespinste glaubten?“

Sie schluckte ängstlich.

Die Veränderung in seinem Gesicht war zu offensichtlich, als dass sie es hätte übersehen können. Bei einem Menschen wuchsen keine Fänge und auch seine Augenfarbe wechselte nicht.

„Das…das ist einfach nicht möglich“, stotterte sie.

Seine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen.

„Du glaubst mir immer noch nicht“, knurrte er.

„Wie könnte ich?“

Sie versuchte sich aus seinem Griff zu lösen und nach einigen Augenblicken ließ er es zu.

„Du willst mir allen Ernstes glauben machen, dass Vampire tatsächlich

existieren?“

„Glaub es oder nicht.“

Er wandte sich zum gehen.

„Du lässt mich hier alleine, nachdem du mir offenbart hast, dass ich ein Vampir bin?“ Sie schaute ihn ungläubig an.

„Ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest und jetzt würde ich mich gerne stärken und ein wenig schlafen. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.“

„Was hast du gemacht?“ Wieder keimte Panik in ihr auf.

„Was macht eine Gruppe Vampire hier in der Nähe eines kleinen, unbedeutenden Dorfes?“

„Wir jagen.“

Sie wurde bleich.

„Jagen?“

Er rieb sich die Augen, die wieder ihre normale, schwarze Färbung angenommen hatten.

„Unser Auftrag war es, Frauen in unsere Heimatstadt zu bringen.“

„Ihr habt die Frauen entführt? Aus dem Dorf?“

„Sie brauchen dich nicht zu kümmern. Du bist keine von Ihnen und du bist mit keiner von ihnen befreundet. Sie meiden dich und deinen Großvater.“

„Woher..?“

Er warf ihr einen geringschätzigen Blick zu.

„Wir beobachten euch schon seit einigen Tagen.“

„Deshalb warst du in dem Wald.“

Er nickte.

„Oh Gott“, sie sank auf ihre Knie, “ das ist alles nur ein böser Alptraum. Das kann gar nicht wahr sein.“

„Glaub es, denn nun bist du ein Teil davon und du wirst nie wieder zurückkehren. Gewöhne dich besser daran.“ Mit diesen Worten verließ er das Zelt und ließ Kyra zitternd allein zurück.

Sie wusste nicht, wie lange sie in dieser Position hocken blieb. Nach einiger Zeit wurde ihr eine Decke über die bebenden Schultern gelegt und jemand half ihr beim aufstehen.

„Oh Kyra, was ist denn bloß geschehen.“

Anna sah sie bestürzt an.

Behutsam führte sie die junge Frau auf ein Lager mit Fellen und half ihr, sich hinzulegen.

„Erzähl mir, was passiert ist.“

„Er sagte, ich wäre ein Vampir…“

„Ja, das stimmt.“

Kyra schloss die Augen.

„Wieso ich?“

„Das wissen nur die Götter.“

Nach einem kurzen Schweigen fragte Anna:

„Weißt du, wer deine Eltern sind?“

„Nein. Mein Großvater erzählte mir, dass sie gestorben sind, als ich noch ein Säugling war.“

Anna runzelte die Stirn.

Diese Geschichte kam ihr seltsam vertraut vor, doch das Kind, an das sie dachte, konnte niemals überlebt haben.

„Es war sehr viel heute, Kyra. Du musst dich ausruhen. Ich werde solange bei dir bleiben.“

„Du bist auch einer, nicht wahr?“

„Ja.“

Sie keuchte auf.

„Aidan meinte, ihr seid hier, um Frauen zu entführen.“

Anna nickte traurig.

„Meine Art braucht weibliche Vampire um sich fortzupflanzen. Auf unseren Schultern lastet eine große Bürde. Die Menschen haben die meisten Frauen getötet und seit Jahren ist kein weibliches Kind mehr geboren worden.“

„Aber es sind doch Menschen.“

„Sie werden gewandelt, sobald wir zurückgekehrt sind.“

„Ihr entscheidet einfach so für sie?“

„Wir haben keine andere Wahl.“

„Ihr seid Monster!“

„Wir versuchen nur, unser Überleben zu sichern. Vampire wurden erschaffen um bestimmte Orte zu beschützen. Wir dürfen nicht aussterben!“

„Das gibt euch aber noch lange nicht das Recht, einfach so Menschen gegen ihren Willen gefangen zu nehmen und sie in blutsaugende Monster zu verwandeln!“

Anna richtete sich steif auf.

„Das mag sein, aber denke darin: Du bist auch eines dieser blutsaugenden Monster.“ Sie drehte sich um und ging hinaus.

Kyra blieb verzweifelt allein zurück.

Ihr Verstand weigerte sich, die Informationen zu verarbeiten, die Aidan und Anna ihr gegeben hatten.

In diesem Moment, war ihr einfach alles zu viel.

Aufschluchzend vergrub sie ihr Gesicht in dem Fell und weinte sich in den Schlaf.

Es war früh am Morgen, als sie erwachte. Kyra hatte tief und traumlos geschlafen und im ersten Augenblick, dachte sie, dass die Geschehnisse der letzten Nacht ein Traum gewesen wären. Dann schlug sie die Augen auf und sah die Zeltdecke vor sich.

Doch kein Traum.

Sie schloss ihre Augen wieder und betete um irgendwas, das sie aus diesem Alptraum befreite.

Mühsam richtete sie sich auf. Ihr ganzer Körper schmerzte an den

verschiedensten Stellen.

Auf ihren Handgelenken prangten blaue Flecke, ihr Knöchel fühlte sich wund an, nachdem Sand und Metall ihr die Haut aufgescheuert hatten. Ihre Wimpern waren von den vielen salzigen Tränen verklebt, ihre Augen geschwollen.

Selbst ihre Schultern schmerzten, nachdem Aidan sie mit diesem

unbarmherzigen Griff umfasst hatte.

Großer Gott, der Mistkerl hatte härter zugepackt, als nötig gewesen wäre. Es war ja nicht so, als ob sie sich gegen ihn wehren konnte.

Sie stand auf.

Ihr Blick fiel auf den kleinen Tisch. Die Schale mit dem Eintopf war

verschwunden. Jemand musste ihn gestern noch weggenommen haben. Als sie schlief. Ihr behagte es gar nicht, dass sie jemand so gesehen hatte, wie sie schwach und verletzlich schlief. Verschwommen konnte sie sich an eine sanfte, männliche Stimme erinnern. Und eine große Hand, die ihr sanft das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte. Aber sie hatte nicht geträumt, was hieß, dass wirklich jemand bei ihr gewesen war.

Konnten sie diese Monster nicht mal im Schlaf in Frieden lassen?

Hatten sie wohlmöglich…?

Panisch betastete sie ihren Hals und ihren Nacken, konnte aber keine Wunden, die auf einen Vampirbiss hindeutete, entdecken.

Erleichtert ließ sie die Hände wieder sinken.

Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen und Aidan betrat das Zelt, ganz in schwarz gekleidet. Und es stand ihm ausgezeichnet, musste sie zugeben. Die Sein Leinenhemd schmiegte sich an seine muskulöse Brust und umschloss seine kräftigen Arme. Die Lederhose presste sich an seine festen Schenkel. Seine große, muskulöse Gestalt füllte den Zelteingang vollkommen aus.

Langsam glitt ihr Blick zu seinem Gesicht.

Er unterzog sie genauso einer ausführlichen Musterung, wie sie ihn.

Was er sah schien ihm zu gefallen. Sie errötete verlegen.

Kyra hatte nie länger als ein paar Worte mit einem Mann gewechselt, geschweige denn, war sie so begehrlich angestarrt worden, wie Aidan sie jetzt zu verschlingen schien. Sie nahm eine Locke ihres langen Haars in die Hand und drehte sie nervös in ihrer Hand. Aidan trat auf sie zu, legte eine Hand an ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Zartes Rosa überzog ihre hohen Wangenknochen.

Ihre Lippen öffneten sich leicht. Ihr Herz raste und sie begann zu zittern. Irgendetwas geschah mit ihnen, etwas, dass sie nicht genau zu benennen wusste. Ihr war nur eines allzu deutlich bewusst. Aidan spürte es auch.

Aidan betrachtete ihr zartes, elfengleiches Gesicht. Ihre Wangen glühten, ihre Augen strahlten. Ihre kleine Zunge schnellte hervor und leckte über ihre trockenen Lippen.

Er konnte dem Drang, sie zu küssen nicht mehr wiederstehen. Sie hatte unglaublich süß ausgesehen, als sie geschlafen hatte. Fast eine Stunde lang hatte er mit sich gekämpft, sich zu ihr herunterzubeugen und seine Lippen auf diesen zarten Mund zu pressen.

Er zog sie fest an sich und senkte nun endlich seinen Mund auf ihren. Sie keuchte und erstarrte. Sein Verlangen pulsierte in ihm, ihr Herzschlag hallte in seinem Inneren. Ohne ihre Reaktion auf seine Berührung zu achten, beugte er sich zu ihr.

Kaum hatten sich ihre Lippen berührt, stöhnte er auf und presste sie fest an seinen Körper. Sie drückte ihre Hände gegen seine Brust, wollten ihn von sich stoßen. Doch dann überwogen die angenehmen Gefühle und ihre Finger krallten sich ein seine Schultern. Kyra stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm noch näher zu sein. Zögernd löste sie ihren Griff, mit dem sie sich an ihn geklammert hatte und ließ ihre Hände über seine Brust gleiten und er knurrte zustimmend, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte.

Er küsste sie noch wilder, drängte seine Zunge in ihren Mund und strich über die Ihre. Ihr Geschmack berauschte ihn. Er konnte nicht genug von ihr bekommen.

Sie stöhnte auf. Dieser kleine, unglaublich feminine Laut fuhr ihm direkt in die Lenden und er presste seinen Unterleib an sie. Sie keuchte.

Kyra hatte nicht gewusst, dass ein Kuss sich so gut anfühlen würde, dass die Berührung eines Mannes ihr ungeahnte Wonnen bereiten würden. Im Dorf hatte sie ab und zu ein Ehepaar beobachtet, wie es sich geküsst hatte und sich schmerzlich danach verzehrt, auch solche Zärtlichkeiten zu erfahren.

Jetzt wusste sie es und sie wollte mehr. Aidans Berührungen, seine Hände, die über ihren Rücken strichen, ließen ihren Körper vor Erwartung summen.

Ihre Fingernägel gruben sich in seine Schulter und sie zog ihn enger an sich.

Er unterbrach den Kuss kurz, um sie anzusehen. Ihr Augen waren dunkel vor Leidenschaft, ihre Lippen von seinem Kuss leicht geschwollen und gerötet. Seine Hände ruhten auf ihren Rücken, eine umschloss ihre Taille, die andere drückte ihren Hintern eng an sich.

Ein Lächeln reinster männlicher Genugtuung umspielte seinen Mund und er senkte den Kopf, um ihren Kuss fortzusetzen.

„Aidan, bist du…“ Anna stockte, als sie die Beiden erblickte.

„Oh“, sagte sie und errötete verlegen.

Kyra und Aidan sprangen auseinander.

Beide atmeten heftig.

„Oh“, machte Anna nochmal.

Ihr Bruder sah sie wütend an, die junge Frau betrachtete eingehend den Boden. Ihr zartes, schmales Gesicht hatte eine tiefrote Farbe angenommen.

„Was willst du hier?“

„Zufällig ist dies hier mein Zelt, die Frage müsste ich eigentlich dir stellen, Bruder.“ Das letzte Wort betonte sie und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

Aidan schwieg. Dann zuckte er mit den Schultern.

„Du hast nichts Besonderes unterbrochen. Ich habe nur etwas überprüft und bin enttäuscht worden.“ Mit diesen Worten ließ er die beiden Frauen alleine.

Kyra starrte ihm entsetzt nach.

Die unglaublichsten Gefühle, die sie bei seinem Kuss verspürt hatte, waren ihm wohl fern geblieben. Sie biss die Zähne zusammen. Er war ihr Feind, sie sollte froh sein, dass er ihren Kuss so herunterspielte.

„Nun“, begann die Vampirin.

Kyra winkte ab.

„Du brauchst nichts zu sagen. Er hat recht. Ich hab schon bessere Küsse erhalten.“

Es war zwar eine Lüge, aber niemals würde sie zugeben, dass sie seine Worte getroffen hatten.

„Oh, na gut.“ Anna schien nicht so recht zu wissen, was sie nun sagen sollte.

„Hast du Hunger?“, fragte sie schließlich, um das unbehagliche Schweigen zu brechen.

„Würde ich wieder einen mit Blut versetzten Eintopf vorgesetzt bekommen?“

Anna konnte sich gerade noch davon abhalten, zusammenzuzucken.

„Du würdest keine normale Nahrung vertragen. Ist dir davon nicht in letzter Zeit übel geworden?“

Kyra nickte wiederwillig.

„Möchtest du eine Schale?“

Sie kämpfte kurz mit sich und nickte dann abermals.

Anna lächelte.

„Was für ein Blut ist in dem Eintopf?“

„Tierblut.“

Sie war erleichtert. Anna verschwand kurz und kehrte dann mit einer dampfenden Schale zurück.

„Bitte sehr“, sagte sie und stellte ihr das Gericht auf den Tisch.

Kyra nahm auf dem Stuhl Platz und tauchte den einfach Holzlöffel in den Eintopf.

Seufzend genoss sie den ersten Bissen.

Die beiden Frauen schwiegen, bis Kyra ihr Mahl beendet hatte.

„Bist du satt?“

Sie nickte.

„Gut. Dann sollten wir uns langsam fertig machen.“

„Fertig machen? Warum?“

„Wir brechen auf.“

Kyra erschrak. Sie hatte geglaubt, dass sie noch einen Tag hierbleiben würden.

Sie schluckte.

„Heute schon?“

Anna nickte.

„Wir können es nicht riskieren, von den Menschen entdeckt zu werden.“

„Ich werde nicht ohne Gegenwehr mit euch gehen.“

„Damit habe ich gerechnet. Aidan hat befohlen, dass du mit der Kette gefesselt bleibst.“

„Aber woran wollt ihr mich dann festbinden?“

„Nun ja, an ihm.“

„Was?“

„Er gibt hier nun mal die Befehle.“

„Ich werde an diesen grausamen Kerl gefesselt sein?“

Damit schwanden ihre Chancen auf eine Flucht. Wie konnte sie ihm entkommen?

Wie sollte sie seine Nähe ertragen nach dem Kuss, nachdem sie seinen harten Körper an ihrem gespürt hatte? Allein schon bei dem Gedanken schien ihr ganzer Körper zu kribbeln.

Sie rieb sich über ihre Stirn.

Anna betrachtete sie mitfühlend. Sie konnte die Verzweiflung in der jungen Frau spüren und glaubte auch zu wissen, woher diese kam.

„Es wird dir in unserer Heimatstadt gefallen.“

„Darum geht es doch nicht!“, brach es aus Kyra heraus.

„Ich kann meinen Großvater nicht alleine lassen. Nicht jetzt, wo ich so viele Fragen an ihn habe und er todkrank ist.“

Angst um ihn schnürte ihr die Kehle zu.

„Könnt ihr mich nicht einfach hierlassen, bis ich alles geklärt habe? Ich könnte doch dann nachkommen.“

„Wer sollte bei dir bleiben und sicherstellen, dass du auch wirklich kommst?“

„Du könntest bei mir bleiben.“

Anna schüttelte bedauernd den Kopf.

„Ich möchte nach Hause zu meinem Sohn.“

„Du hast ein Kind?“ Kyra starrte sie verblüfft an.

„Ja“, Annas Gesicht wurde bei dem Gedanken an ihren kleinen Damien ganz weich.

„Er ist ein richtiger, blonder Engel. Genau wie sein Vater.“

Die junge Frau verspürte Neid in sich aufsteigen. Wie oft hatte sie sich eine eigene Familie mit Kindern und einem liebevollen Ehemann gewünscht?

„Ich würde ihn dir gerne vorstelle.“

„Sehr gerne“, sagte Kyra, bevor sie sich davon abhalten konnte.

„Also gut, dann lass uns anfangen.“

Kyra war erstaunt, wie schnell alles eingepackt und auf die Pferde verladen wurde. Innerhalb von zwei Stunden war das Lager abgebaut und die Männer waren bereit, aufzubrechen.

Erst jetzt hatte Kyra einen Blick auf die Gefangen werfen können.

Helena war unter ihnen gewesen, eine hochnäsige, eingebildete Frau, die Kyra nicht leiden konnte. Auch hatte sie Jasmin gesehen. Sie war noch recht jung und Helenas Stiefschwester. So wie Helena eingebildet und arrogant war, war Jasmin schüchtern und ängstlich.

Fast schon bemitleidete sie das arme Mädchen, dem so ein grausiges Schicksal zuteilwurde.

Sie stand mit Anna vor ein paar riesigen Pferden und betrachtete verstollen die Tiere. Sie war noch nie auf einem geritten und fürchtete sich etwas davor.

Aidan trat zu ihnen. Sie hatte ihn ein paar Mal gesehen, wie er seinen Männern Befehle zurief. Er war so groß und stark und insgeheim seufzte sie auf. Dann rief sie sich wieder zur Räson. Er hielt sie von ihrem kranken Großvater fern!

„Seid ihr bereit?“, fragte er.

Anna nickte und er half ihr, auf eines der Pferde zu steigen.

Dann wandte er sich Kyra zu.

Seitdem er das Zelt verlassen hatte, waren seine Gedanken ständig zu ihr abgeschweift und er musste an ihre warmen, weichen Lippen denken. Er war kaum in der Lage gewesen, an etwas anderes zu denken. Sie an sich zu ketten war die beste Möglichkeit, einen Fluchtversuch ihrerseits zu unterbinden. Jedenfalls wollte er sich es gerne einreden.

„Jetzt du“, sagte er barsch zu ihr.

Sie wich einen Schritt zurück. Mühsam unterdrückte sie ein Erschauern.

Er runzelte verärgert die Stirn.

„Dein Zögern wird dich auch nicht davor bewahren, dieses Dorf zu verlassen.“

„Darum geht es mir im Moment eher weniger“, sagte sie zögernd. Ihr starrer Blick war noch immer auf das Tier geheftet.

Plötzlich verstand er.

„Du bist noch nie auf einem Pferd geritten, oder?“

Sie schüttelte heftig den Kopf.

Er fluchte.

Dann befahl er seinen Männern das Tier wegzubringen und es den Menschen zuzuteilen.

Sein eigener schwarzer Hengst trottete zu ihm herüber, als er leise mit der Zunge schnalzte. Er schwang sich auf den Rücken des Pferdes.

Kyra sah unheimlich erleichtert aus, bis er sich zu ihr hinunter beugte, sie um die Taille packte und sie vor sich auf das Tier hob.

Sie saß stocksteif vor ihm, halb auf seinem Schoß, den Rücken durchgedrückt.

„Du musst dich entspannen“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Mit einer knappen Handbewegung veranlasste er den Trupp, aufzubrechen. Er blieb zurück, um sie daran zu gewöhnen auf einem Pferd zu sitzen.

Mühelos hob er sie etwas hoch und rückte sie auf dem Pferderücken zurecht. Ihre Finger krallten sich in seinen Arm.

„Beruhige dich, Kyra.“

Sie schluckte heftig.

Langsam beruhigte sie sich und schmiegte ihren Rücken an seine Brust. Jetzt war er es der schlucken musste. Sie fühlte sich so unglaublich gut an seinem Körper an.

Sie stieß den Atem aus und legte dann zögernd ihre Hände auf die schwarze Mähne seines Hengstes. Ihr Gesicht spiegelte ihr Erstaunen wieder.

Freudig lächelnd drehte sie sich zu ihm um. Ihre Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt und diesmal erstarten beide. Die Welt um sie herum schien stillzustehen. Dann runzelte sie die Stirn und drehte sich wieder um. Ihre Reaktion verwirrte ihn.

„Was..?“

„Ich habe nicht das Verlangen danach, nochmal einen so langweiligen Kuss von dir zu bekommen.“

Ihm blieb der Mund offenstehen.

Langweiliger Kuss?

Hatte sie das gerade eben wirklich gesagt?

„Du solltest dich beeilen, sonst verlieren wir noch deine Geschwister.“

Er presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen.

Stumm grub er dem Tier die Fersen in die Flanke, heftiger, als es nötig gewesen wäre. Das Pferd schoss mit einem Satz nach vorne und verfiel in einen schnellen Galopp. Kyra wurde gegen ihn gepresst und wieder krallte sie sich an ihm fest.

Bald hatten sie zu der Gruppe aufgeschlossen und ritten an den Menschen vorbei. Einige liefen, andere Ritten auf den großen Tieren, auf die sie einige Blicke hatte werfen können, als sie die Zelte verluden.

„Wieso haben nicht alle Frauen ein Pferd zum reiten? Wenn sie laufen kommt ihr doch viel langsamer voran.“

Er wartete kurz, bis sie zu seinen Brüdern aufgeschlossen hatten, die an der Spitze ritten.

„Wir haben nicht so viele Pferde, aber einen Tagesmarsch von hier warten noch ein paar Männer mit Planwagen.“

„Warum bin ich nicht bei den gefangenen Menschen?“

„Du bist kein Mensch und du wirst auch nicht gezwungen werden, dich uns anzuschließen.“

Sie schüttelte traurig den Kopf.

„Nein, ich bin ebenso gegen meinen Willen entführt worden. Und ich werde gegen meinen Willen gezwungen, euch zu begleiten.“

Aidan sagte nichts. Sie hatte Recht.

 

 

Fragen der Vergangenheit

Kyra war tief in Gedanken versunken. Immer wieder entwarf und verwarf sie Fluchtpläne. Ihr war bewusst, dass ihre Eigenschaften, die ihr auf der Jagd zum Vorteil gereicht hatten, nun nichts nützten. Die Vampire waren sogar noch schneller und um ein vielfaches stärker als sie.

Anna versuchte einige Male ein Gespräch mit ihr aufzubauen, doch sie würgte es jedes Mal ab. Zum einen wollte sie sich nicht mit ihren Entführern unterhalten und zum Anderen lenkte sie die breite Brust in ihrem Rücken zu sehr ab.

Seit gut drei Stunden saß sie nun schon vor Aidan auf den Schoss und sie fühlte seit einer geraumen Ewigkeit eine Härte an ihrem Hinterteil, die sie sich nicht so recht erklären konnte. Ein Dolch konnte es jedenfalls nicht sein.

Er schwieg die ganze Zeit über, sie hörte ihn nur ein ums andere Mal eine Verwünschung ausstoßen und knurren. Sie war versucht, ihm zu sagen, dass er sie ja nicht vor sich auf dem Pferd reiten lassen musste, wenn es ihm nicht behagte. Doch über ihre Lippen drang kein Wort.

Seit Jahren sehnte sie sich nach Berührungen und jetzt wurde ihr Wunsch erfüllt, wenn auch unfreiwillig und mit einem Mann, den sie verachtete.

Kyra beschloss, die Berührung zu genießen, den Mann an sich aber zu ignorieren.

Anna lenkte ihr Pferd neben sie.

„Kyra, würdest du gerne zu mir aufs Pferd steigen? Wir könnten uns dann ein wenig absetzen und uns unterhalten.“ Ihre Augen blickten sie hoffnungsvoll an.

Bevor Aidan auch nur ein Wort über die Lippen bringen konnte, sprang Kyra einfach von seinem Hengst und ergriff Annas ausgestreckte Hand.

Er konnte noch gerade rechtzeitig ihre Kette aus seiner Hand lösen, mit der sie noch immer am Knöchel gefesselt war.

Kyra saß mit gespreizten Beinen hinter Anna auf ihrem Pferd, so dass er einen ausgiebigen Blick auf ihre nackten, weißen Schenkel werfen konnte. Ebenso wie seine Männer, die leise, bewundernde Pfiffe ausstießen. Er knurrte sie mit ausgefahren Fängen an.

Seine Schwester lenkte ihr Pferd von ihm weg und ritt einen schmalen Pfad den Wald hinauf. Er konnte sie zwar immer noch sehen und auch hören, was sie sagten, doch ihm behagte es ganz und gar nicht, Kyra so weit von sich weg zu wissen. Sie konnte Anna immer noch überwältigen und fliehen. Er beschloss, in ihrer Nähe zu bleiben und seinem Bruder Gregor vorerst das Kommando zu übertragen.

Anna schwieg eine kleine Weile lang, dann sagte sie schmunzelnd: „Aidan hat so ausgesehen, als ob er kurz davor stünde einen Wutanfall zu bekommen.“

„Tat er das?“, sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie wichtig ihr die Antwort war.

Anna nickte.

„Oh ja und wenn ich mich nicht irre, reitet er ein paar Meter hinter uns her und belauscht uns. Zweifellos redet er sich ein, dass du versuchen könntest zu fliehen. Obwohl er genau weiß, dass du mit der Kette gar nicht fliehen kannst“, die letzten Worte rief sie etwas lauter. Hinter ihnen ertönte ein leises Knurren.

Beide Frauen schwiegen kurz und lachten dann laut los.

Kyra hatte sich noch nie so lange mit einer anderen Frau unterhalten und sie genoss es. Blühte richtiggehend auf.

Anna war witzig und sie verstand es, sie immer wieder zum Lachen zu bringen, selbst dann noch, als sich ein leises Schuldgefühl in ihr regte. Hier war sie, lachte wie nie zuvor in ihrem Leben und ihr Großvater war in diesem Augenblick krank vor Sorge um sie oder lag bereits im sterben.

Dieser Gedanke versetzte ihrer ausgelassenen Stimmung einen Dämpfer.

„Woran denkst du gerade?“, fragte die Vampirin sie, als ob sie zu spüren schien, dass ihr etwas nicht behagte.

„Ich mache mir Sorgen um meinen Großvater“, antwortete Kyra. Es war beinahe unmöglich, Anna nicht zu mögen und sie war ihr dankbar für die vergangene Stunde.

„Er ist krank, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete sie erstickt.

„Es tut mir leid, Kyra.“

„Ich möchte einfach nur zurück zu ihm.“

Sie senkte den Kopf und flüsterte leise: „Mein ganzes Leben habe ich mit ihm in dieser Hütte zugebracht und er hat mir alles beigebracht, was ich weiß.“

Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort.

„Er könnte mir vielleicht sogar Antworten auf meine Fragen geben.“

„Ich kann dich verstehen, aber wenn wir unsere Gesetze brechen, steht darauf die Todesstrafe. Wir können es nicht riskieren.“

Kyra verstand ihre Beweggründe, dennoch konnte sie sie nicht akzeptieren.

„Ich werde unter allen Umständen versuchen zurückzukehren. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich es nicht täte.“

Anna nickte bedächtig. Die Beiden schwiegen nun.

Aidan hatte ihre Unterhaltung mit Interesse verfolgt. Kyras Lachen war ihm durch den ganzen Körper gefahren und hatte seinen erregten Schaft noch steifer werden lassen. Sie über drei Stunden auf seinem Schoss sitzen zu haben, war für ihn eine süße Qual gewesen. Der Anblick ihrer strammen Schenkel hatte ihm schwer zugesetzt. Fast ohne Unterlass waren ihm Gedanken durch den Kopf gegeistert, die er sich nicht erlauben durfte. Doch jetzt verspürte er einen leichten Stich irgendwo in seinem Herzen. Er bedauerte es, ihr ihre einzige Familie zu nehmen, die sie je gekannt hatte, außerdem war auch er neugierig darauf, wer sie war.

Sie war die Tochter eines Menschen und eines Vampirs, ein Mischling mit noch ungeahnten Kräften und Fähigkeiten.

Vielleicht sollte er doch mit ihr ihren Großvater aufsuchen und seine Neugier befriedigen.

Dann schüttelte er seinen Kopf, dafür blieb ihnen keine Zeit.

Als die Frauen schwiegen, schloss er zu ihnen auf.

„Wir werden bald eine Rast machen müssen. Die Menschen können nicht solange wandern.“

Kyra warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Seine Schwester nickte

verständnisvoll.

Anna lenkte ihr Pferd wieder zu ihren Brüdern. Ian betrachtete Kyra anerkennend und sie runzelte erst die Stirn, dann lächelte sie zaghaft.

Aidan hätte seinem Bruder am liebsten die Augen aus dem Kopf gerissen.

Oh Große Lima, nicht mal bei Elizabeth hatte er so heftig reagiert.

Was hatte diese Frau bloß an sich?

Sie rasteten an einer kleinen Lichtung, durch die sprudelnd ein kleiner Bach floss.

Sie Frauen seufzten erleichtert, spritzen sich das kühle Wasser in die Gesichter und tranken gierig aus den zu Kellen geformten Händen. Kyra stand etwas abseits und rieb sich nervös die Hände. Ihr Blick glitt immer wieder zu den Menschen und dann wieder zu Anna.

Versuchte sie gerade, sich zu entscheiden, wohin sie gehen sollte?

Diese Entscheidung würde sie nie mehr treffen müssen. Von nun an würde sie für alle Zeit zu ihnen gehören.

Mit großen Schritten ging er auf sie zu. Sie starrte ihm unsicher entgegen.

Sein Herz schmolz dahin.

Wie verloren sie in diesem Augenblick aussah.

Wütend über sich selbst, verdrängte er diesen Gedanken und verzog das Gesicht.

Kyra kam sich völlig fehl am Platze vor. Die Menschen hatten sie ihr Leben lang gemieden und zu den Vampiren wollte sie nicht gehen. Anna versuchte sie immer wieder zu sich zu winken, doch sie ging nicht auf ihre Einladung ein, sich zu ihr zu gesellen.

Als Aidan auf sie zukam, wusste sie nicht, ob sie erleichtert sein sollte, oder besorgt. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer schwach und klein und sie hasste dieses Gefühl.

Plötzlich stieß eine der Frauen einen Schrei aus und stürzte sich auf Kyra.

Von der Wucht des Aufpralls gingen beide Frauen zu Boden. Die Frau schlug zu und zerkratzte Kyras Gesicht. Sie jedoch wehrte sich nicht, aus Angst Helena wehzutun.

„Du verdammte Hure!“, kreischte sie.

„Du hast sie zu uns gebracht, damit sie uns entführen können!“ Helena keuchte vor Anstrengung.

„Du bist schuld daran, dass ich Sebastian nicht heiraten kann! Sie werden uns zwingen ihre Kinder auszutragen!“

Ihre Worte ergaben keinen Sinn und trotz des Schmerzes runzelte Kyra verwirrt die Stirn.

Starke Hände packten Kyras Schultern und rissen sie hoch, gleichzeitig hob jemand Helena von ihr herunter. Ian hielt die sich noch immer heftig wehrende, junge Frau fest und zog sie ohne viel Federlesens zu den Anderen zurück.

Kyra zuckte zurück, als jemand ihre blutende Wange berührte.

Sie drehte sich um und starrte in Aidans wutentbranntes Gesicht. Seine Augen glühten in diesem feurigen Silber und seine Fänge wurden mit jedem harschen Atemzug sichtbar.

Sie erschauerte.

Anna kam auf sie zugeeilt.

„Aidan, beruhige dich“, rief sie entsetzt.

Sein wilder Blick richtete sich auf sie und er knurrte sie an. Dann sah er wieder Kyra an, packte sie am Arm und zerrte sie mit sich in den Wald. Anna und seine Brüder sahen ihnen besorgt nach.

Kyra stolperte hinter ihm her und flehte ihn an, endlich langsamer zu gehen.

Ihr Fuß blieb an einer Wurzel hängen und sie fiel gegen seinen Rücken. Knurrend hob er sie einfach auf seine Arme und marschierte weiter. Sie trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust ein, hörte sogar etwas knacken, doch er setzte seinen Weg ungerührt fort.

Erst, als sie außer Hörweite an einem kleinen Teich ankamen, hielt er an und setzte Kyra ab.

Sie blieb heftig atmend und blutend vor ihm stehen. Lange Zeit sahen sie sich an, dann zog er mit einer einzigen, knappen Bewegung sein Hemd über den Kopf, bückte sich, um es im Wasser anzufeuchten und bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen.

Sie tat es und er begann damit, ihr das Blut abzuwischen. Ihre Wangen waren von Helenas Fingernägeln zerkratzt und brannten.

„Warum hast du dich nicht gegen sie gewehrt?“, fragte er nach einer Weile.

Sie wandte den Blick von seinem nackten, muskulösen Oberkörper ab.

„Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich hätte ihr ausversehen die Hände brechen können.“

Er zog eine schwarze Augenbraue nach oben.

„Sie hätte es verdient.“

Kyra schüttelte so heftig ihren Kopf, dass ihr langes Haar flog.

„Ich kann sie verstehen.“

„Darum geht es doch gar nicht. Sie hat dich verletzt.“

„Doch, darum geht es! Du hast sie entführt und sie gegen ihren Willen ihren Familien entrissen. Ist es da nicht verständlich, dass sie außer sich geraten?“

„Warum ist sie dann auf dich losgegangen, wie eine Furie?“

„Helena hat mich schon immer gehasst und macht mich dafür verantwortlich, warum Sebastian ihr noch keinen Heiratsantrag gemacht hat. Sie glaubt, er wäre in mich verliebt.“

Den Drang diesem Unbekannten den Kopf abzureißen überkam ihn. Als ob ein Mensch gut genug für sie wäre. Kyra verdiente etwas Besseres. Verdiente…ihn?

Heftig schob er diesen Gedanken von sich.

Für ihn hatte es immer nur Elizabeth gegeben und er würde keiner anderen Frau sein Herz schenken. Nicht mal, wenn sie ihn so in Versuchung führte wie Kyra.

Er schwieg und konzentrierte sich ganz darauf, dass Blut von ihrem Gesicht und ihrem Dekolleté zu waschen.

Innerlich verfluchte er sich, dass er seinen gerade getroffenen Schwur zum Trotz bemerkte, wie hoch und voll sich ihre Brüste gegen den Stoff drängten und wie süß ihr Blut duftete. Seine Fänge verlängerten sich wieder, dieses Mal jedoch nicht aus Wut sondern aus Hunger. Er wollte seine Zähne in ihren weichen Hals graben und ihren Geschmack tief in sich aufnehmen. Er wollte von ihrem Blut kosten und wollte, dass auch sie von ihm trank.

Er biss die Zähne aufeinander, um sich daran zu hindern, seine Gedanken in die Tat umzusetzen.

Kyra betrachtete seine angespannte Miene. Sein Blick klebte förmlich an ihrem Hals und auch sie spürte, wie ihre Augen immer wieder zu seinem Hals wanderten. Sie sehnte sich danach, nochmal von seinem köstlichen Blut zu kosten und eine Stimme in ihrem Kopf gebot ihr sogar, sein Blut zu nehmen, damit ihre Wunden schneller heilen würden.

Sie schluckte und beugte sich etwas zu ihm hin, den Mund leicht geöffnet. Er erstarrte. Wartete gespannt darauf, was sie nun tun würde. Kyra lehnte sich an ihn, legte ihre Hände auf seine Brust und strich mit den Lippen über die Haut, an der sie seinen heftigen Puls schlagen hören konnte. Aidan überlief ein Schauer der Erregung, seine Arme schlossen sich um ihren bebenden Körper und zogen sie enger an sich, sodass sie zwischen seinen gespreizten Knien saß. Ihre Brust drückte sich an ihn und er konnte spüren, wie ihr Körper auf ihn reagierte.

Er konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken.

Ihre Zunge fuhr über seinen Hals und er spürte diese Berührung in seinem ganzen Körper. Dann sanken ihre zierlichen Fänge in seine Haut und er ließ den Kopf in den Nacken fallen. Aidan presste sie heftig an sich, unfähig, sich zurückzuhalten.

Sein eigener Blick war auf den dunkler werdenden Himmel über ihnen gerichtet. Sein Schaft pulsierte vor Erregung und sein Hunger brüllte ihn ihm auf. Er zwang sich, Kyra von sich zu lösen. Sie wehrte sich kurz, leckte noch einmal über die kleine Wunde, die sie ihm geschlagen hatte und sah ihn dann mit silbrig glänzenden Augen und blutroten Lippen an. Er konnte nicht mehr wiederstehen. Sein Mund senkte sich auf ihren.

Sie hieß ihn willkommen, ihre Lippen teilten sich für ihn und sofort fuhr er mit seiner Zunge in ihren köstlichen Mund. Kostete sie, labte sich an ihr.

Ihr Geschmack gemischt mit dem seines Blutes berauschte ihn, machte ihn süchtig. Etwas so köstliches hatte er noch nie zuvor gekostet.

Sie stöhnte an seinen Mund und er antwortete ihr mit einem Knurren. Er löste seine Lippen von ihren und bahnte sich mit federleichten Küssen einen Weg zu ihrem Hals. Ihr Blut strömte verführerisch unter der samtweichen Haut. Er versenkte seine Fänge in ihrem zarten Fleisch. Dann schloss er vor Wonne seine Augen. Ihr Blut benetzte seine Zunge und der Geschmack trieb ihn bis zur Schwelle des Höhepunkts und er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten. Seine Zunge strich über ihre Haut und ihre Finger verkrampften sich in seinem Haar. Sie rief seinen Namen, ihr Körper wand sich an seinem und mit erstaunen, erkannte sie, dass sie ebenso wie er kurz davor stand, sich zu verlieren.

Dieser Gedanke trieb ihn noch weiter an, seine Hände wanderten zu ihren Brüsten, umschlossen sie und rieben über ihre harten Brustwarzen.

Nichts in seinem ganzen, langen Leben hatte sich so gut, so richtig angefühlt.

Rein gar nichts hatte ihn auf Kyra vorbereitet.

Nicht einmal seine geliebte Elizabeth.

Sein Kopf ruckte hoch und er starrte heftig atmend auf sie hinab. Ihre Lieder waren vor Begehren halb geschlossen, sie atmete in kleinen, flachen Atemzügen und er konnte ihre kleinen, Fangzähne aufblitzen sehen.

Er schob sie von sich und rieb sich über den Mund.

Was hatte er getan?

Kyra sah ihn fragend an, sie zog ihre Augenbrauen zusammen und glitt dann mit einer Hand über den Hals. Als sie das Blut an ihren Fingern sah, wirkte sie entsetzt.

„Du..du hast mich gebissen?“, fragte sie stockend.

Aidan musste sich zwingen, seiner Stimme einen schneidenden Tonfall zu geben.

„So, wie du mich.“

Sie erbleichte, richtete sich schwankend auf.

Vorsichtig machte sie einen Schritt von ihm weg. Als ihre Beine sie trugen, sah sie ihn mit vor Wut blitzenden Augen an. Ihre Farbe wechselte von dem intensiven Meergrün und den flammenden Silber hin und her.

„Das beweist nur, dass ich ebenso ein Monster bin, wie du.“

Mit diesen Worten ließ sie ihn am Teich stehen und ging durch den Wald zurück zu den Anderen.

Er starrte ihr nur sprachlos hinterher.

Kyra lief so schnell sie konnte durch den unebenen Waldboden. Sie keuchte und in Gedanken ließ sie die vergangenen Minuten Revue passieren. Sie fühlte, dass sie aufgrund des Geschehenen Entsetzen verspüren müsste, tat sie aber nicht. Sie fühlte sich…gut.

Sogar besser als nur gut. Ihre Kratzer brannten nicht mehr und ihr Körper summte vor Kraft. Sie fühlte sich stark. Ihre Sinne waren sensibel, sie konnte die verschiedensten Tiere in dem Wald hören und auch riechen, wie sie erstaunt bemerkte.

Dann blieb sie abrupt stehen.

Sie konnte fliehen!

So schnell und stark wie in diesem Augenblick, war sie noch nie gewesen und Anna hatte ihr die Kette abgenommen, als sie zur Rast angehalten hatten. Sie war frei. Aidan war ihr nicht gefolgt und seine Brüder und Anna würden sie nicht suchen, da sie annahmen, dass sie bei ihm war.

Zielsicher wandte sie sich in die Richtung, in der die Hütte ihres Großvaters lag und erstarrte.

Aidan stand keine drei Schritte von ihr entfernt.

Seine dunklen Augen waren unverwandt auf sie gerichtet, doch er machte keinerlei Anstalten, sich ihr zu nähern. Wie ein Raubtier, das seine Beute beobachtete, stand er bewegungslos da. Sie maßen einander mit Blicken. Er ahnte, was sie vorgehabt hatte, sie sah es an seinen zusammengezogenen Brauen. Sie schloss frustriert die Augen, so viel zu ihrem Fluchtversuch. Zornig wandte sie sich wieder um und ging weiter. Leise verfluchte sie ihn, bedachte ihn mit äußerst phantasievollen Ausdrücken. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie innehalten. Hatte er da gerade etwa gelacht? Sie wirbelte herum, konnte ihn jedoch nicht sehen. Sie setzte ihren Weg fort.

Aidan kauerte über ihr in den Bäumen und hielt sich eine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzulachen. Sie war wirklich kreativ, was die Wörter anging, mit dem sie ihn bedachte.

 

Anna betrachtete die Menschen, die in einer Gruppe auf dem Gras saßen. Etwas abseits konnte sie ein junges Mädchen entdecken. Sie wunderte sich, dass sie keine Anstalten machte, sich zu den Anderen zu gesellen. Sie wusste, dass Menschen die Gemeinschaft liebten und die Einsamkeit nur sehr schwer ertrugen.

Sie zuckte mit den Schultern. Es war nicht ihre Aufgabe, sich um ein einzelnes Mädchen zu sorgen. Sie musste die Frauen wieder zum Abmarsch bereit machen. Aidan würde auf der Stelle aufbrechen wollen, wenn er zurückkehrte.

Sie hoffte, dass es Kyra gut ging und ihr Bruder nicht zu hart zu ihr gewesen war.

Anna erhaschte einen Blick auf ihren Bruder Ian, der völlig hingerissen das junge Mädchen beobachtete, das selbstvergessen ein paar Blumen pflückte und sie zu einem Kranz flocht.

Ian interessierte sich für diesen Menschen?

Nun, ihr Bruder liebte Frauen und sie liebten ihn, aber das Mädchen war noch viel zu jung und entsprach auch nicht seinem bevorzugten Frauentyp.

Sie schüttelte den Kopf.

Männer, dachte sie schmunzelnd.

Anna befahl den Männern, die Frauen wieder aneinander zu fesseln und einige von ihnen auf die Pferde zu setzen.

Als das junge Mädchen von einem der Männer auf eines der Tiere gesetzt wurde, zerrte die Frau, die auch Kyra angegriffen hatte, herunter und ließ sich selbst auf den Rücken heben. Sie warf dem am Boden liegenden Mädchen einen gehässigen Blick zu.

Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie Ian die Hände zu Fäusten ballte, doch er ging nicht auf die Beiden zu, sondern drehte sich in die andere Richtung und ging davon.

Das war nun wirklich außergewöhnlich.

Normalerweise interessierte Ian sich nur für Frauen, solange sie in seinem Bett lagen oder er mit ihnen flirtete.

Abermals schüttelte sie ihren Kopf. Diese Reise war wohl für zwei ihrer Brüder etwas anders, als sie zuvor geglaubt hatten.

Sie sah, wie Kyra die Lichtung betrat. Sie war wütend, ihr Haar peitschte um ihren Rücken. Sie lief ihr eilig entgegen.

„Was ist geschehen?“, fragte sie die junge Frau.

Kyra blieb stehen und betrachtete sie einige Augenblicke lang.

„Wieso bist du nur so anders, als dein Bruder. Bei dir könnte ich fast vergessen, was du bist.“

Dann ließ sie Anna stehen und ging auf eines der Pferde zu.

Die Vampirin schaute ihr verdutzt hinterher.

Waren dass etwa Bisswunden an Kyras Hals?

Aidan trat zu ihr, sein Blick war auf Kyras Rücken geheftet.

„Du hast sie gebissen?“, fragte Anna.

Er ignorierte sie, wandte sich an seiner Männer und erkundigte sich, ob sie aufbrechen konnten.

„Aidan!“, rief seine Schwester.

Er knurrte etwas, das wie ein „Ja“ klang. Sie starrte ihn an.

Wirklich außergewöhnlich.

Kyra ließ sich von Ian auf das Pferd helfen, wirkte etwas unsicher, fing sich jedoch schnell und lauschte seinen Erklärungen. Dann lächelte sie zaghaft und er tätschelte brüderlich ihr Knie, worauf ihr die Röte in die mittlerweile verheilten Wangen stieg.

Aidan knurrte und Ian warf seinem jüngeren Bruder einen vielsagenden Blick zu. Dann saß er selbst auf, schnappte sich die Zügel von Kyras Pferd und führte sie an die Spitze des Trupps. Aidan schwang sich nun ebenfalls auf seinen Hengst und gesellte sich zu George, der etwas abseits den Aufbruch bewachte.

„Hab es irgendwelche Probleme?“

„Aidan, du warst nur etwa eine halbe Stunde weg. Was hätte da schon großartig passieren können?“, erkundete sich sein Bruder amüsiert.

Er zuckte mit den Schultern. Aidan wollte sich so gut es ging von Kyra ablenken. Zu sehr steckte ihm noch der Schock über das Geschehene in seinen Gliedern.

„Du hast von ihr gekostet“, stellte Gregor fest. Seinem Ton war keinerlei Emotion zu entnehmen.

Er nickte.

„Es ist lange her, dass du von einer Frau getrunken hast. Was hat dich dazu gebracht, es zu tun?“

„Sie ist…“, er stockte.

„Kyra hat etwas an sich, dass mich alles um mich herum vergessen lässt.“

„So wie bei Elizabeth?“

Aidan zuckte zusammen. Nein, noch viel mehr, doch er antwortete nicht.

Sein Bruder blickte ihn kurz prüfend an, dann nickte er.

„Ich würde gerne wissen, wer sie ist. Ich habe nur selten von menschlichen Mischlingen gehört. Der letzte, der geboren wurde, war Elizabeths Tochter.“

„Du glaubst doch wohl nicht…“ begann er, doch Gregor unterbrach ihn.

„Ihre Leiche wurde nie gefunden und sie wäre jetzt in Kyras Alter. Sie ähnelt Elizabeth sogar.“

Daran hatte Aidan tief in sich auch schon gedacht, doch es war unmöglich, dass der Säugling das Feuer überlebt hatte.

„So wie es aussieht, werden wir wohl nie Antworten auf unsere Fragen bekommen.“ Er wollte sich gerade abwenden, als Gregor sagt:“ Ihr Großvater könnte es. Du müsstest nur mit ihr zurück zum Dorf reiten.“

Aidan erstarrte.

Sein älterer Bruder hatte Recht. Sein Blick glitt zu der jungen Frau. War es wirklich möglich, dass sie Elizabeths Tochter war?

Den ganzen Weg bis zum Lager seiner Männer, die dort auf ihn warteten, ließ ihn dieser Gedanke nicht mehr los.

Was sollte er tun?

Seine Männer begrüßten ihn und verluden dann immer sechs Frauen in einen der Planwagen.

Drei waren es insgesamt und er hatte vor, Kyra und Anna in dem letzten unterzubringen. Seine Schwester war erschöpft und Kyra saß immer noch etwas unsicher auf dem Pferd, auch wenn sie sich jetzt um einiges geschickter anstellte, als zuvor.

„Anna, komm her.“

Seine Schwester ritt auf ihn zu. Sie war blass und schwankte leicht in dem Sattel. Er sah sie besorgt an.

„Fühlst du dich nicht wohl?“

Sie winkte ab.

„Ich bin dieses wochenlange Reisen wohl einfach nicht mehr gewohnt.“

Der misstrauische Ausdruck in seinen Augen blieb.

„Was ist mit diesem Wagen?“

„Ich habe beschlossen, dich und Kyra in diesem Wagen unterzubringen.“

Sie wirkte beinahe…erleichtert.

Ohne irgendeine Widerrede ließ sie sich aus dem Sattel gleiten und stieg in den Wagen. Der Holzboden war mit weichen Fellen belegt und an zwei Wänden lagen zwei Matratzen aus Wolle und Leinen. Anna klatschte begeistert in die Hände.

Ein kleiner Tisch und ein Hocker vervollständigten das Bild.

„Kyra“, rief sie, “ komm her. Wir haben unseren eigenen Wagen!“

Die junge Frau kam zögernd auf sie zu. Sie warf einen kurzen Blick in das Wageninnere und blickte dann Aidan zornig an. Sie hatte die metallene Verankerung für ihre Fußfessel entdeckt.

„Steig ein“, befahl er ihr streng.

Sie gehorchte, wenn auch widerwillig.

Er ließ die Kette um ihren schmalen Knöchel zuschnappen und befestigte das andere Ende an der Befestigung. Sie sah ihn nicht an, ließ sich auf eine der Matratzen fallen und seufzte.

„Wir reiten weiter“, verkündete er noch, dann verließ er den Wagen und befahl seinen Männern aufzusitzen.

Kurz danach ruckte der Wagen an und sie fuhren los. Anna setzte sich auf die Matratze ihr gegenüber und grinste sie an.

„Ich bin froh, endlich von diesem Pferderücken runter zu sein. Mein Hintern ist so etwas eindeutig nicht mehr gewöhnt.“

Kyra sah sie verblüfft an.

Solch eine vulgäre Sprechweise hätte sie der Vampirin niemals zugetraut.

„Jetzt sieh mich nicht so an“, lachte Anna.

Sie richtete sich wieder auf und ging zu dem kleinen Tisch. Dort hockte sie sich vor einen kleinen Spiegel und betrachtete stirnrunzelnd ihr Äußeres.

„Oh je, ich sehe schrecklich aus!“, rief sie entsetzt.

Sie holte einen Kamm aus ihrer Rocktasche und kämmte sich das lange, goldblonde Haar. Sie band sie zu einem Zopf und nickte sich dann im Spiegel zu.

„Jetzt du“, sagte sie vergnügt.

Kyra versteifte sich, als sie sich neben sie auf die Matratze fallen ließ.

„Lässt du mich dein Haar kämmen? Ich habe bis jetzt nur einmal solch rotes Haar gesehen. Es ist wunderschön.“

Zögernd nickte sie die junge Frau.

Also begann sie durch die dichten Locken zu streichen und Kyra stellte fest, dass dies gar nicht so unangenehm war. Lange Zeit saßen sie so da, Anna strich immer noch durch ihr Haar und Kyra sah aus dem Wagen in die Dunkelheit hinaus. Es war beinahe friedlich wie sie so dasaßen.

Die Ruhe wurde von lauten Rufen unterbrochen.

Der Wagen hielt an.

Am Horizont über den Baumgipfeln sah sie bereits die ersten hellen Strahlen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Nacht bereits zum Tage geworden war.

„Wir werden hier rasten und am späten Nachmittag weiterfahren“, ertönte Aidans Stimme in ihrer Nähe.

Anna stand auf und streckte sich.

„Dann werde ich mal das Essen kochen. Die Frauen haben sicher Hunger. Möchtest du auch etwas?“

Kyra zögerte, nickte dann aber. Sie hatte keinen wirklichen Hunger, doch das Essen würde ihr helfen, nicht ganz den Bezug zum Menschen zu verlieren.

„Möchtest du mir helfen?“, fragte Anna begeistert.

Kyra deutete auf ihre Fußfessel.

„Ich kann ja kaum den Wagen verlassen“, sagte sie bedauernd.

„Das haben wir gleich.“

Anna kniete sich neben die Kette, hielt ihre Handflächen über dem Metall und murmelte ein paar Worte. Kyra traten fast die Augen aus dem Kopf, als sich die Kette streckte und länger wurde. Glied um Glied verlängerte sie sich, bis sie fast doppelt so lang war.

„Wie…wie?“, keuchte sie entsetzt.

Die Vampirin lächelte entschuldigend.

„Magie“, sagte sie.

Kyra schluckte. Sie zwang sich, ihren Blick von der Kette loszureißen. Etwas unbeholfen stand sie auf und stieg aus dem Wagen. Dort betrachtete sie erstaunt die drei Zelte, die wohl in aller Eile aufgebaut worden waren.

Die Frauen standen zwischen den Zelten, jede von ihnen trug eine ähnliche Fußfessel wie Kyra und sie alle führten in einen der beiden Wagen hinein.

Von ihnen konnte auch keine fliehen, dachte sie traurig.

Anna ging an ihr vorbei und befahl einem der Männer, ein großes Feuer zu entfachen, auf dem sie einen großen Kessel aufhängen sollten.

„Jetzt müssen wir nur noch die Vorräte plündern“, sagte sie verschmitzt.

Sie ging zu einem der Pferde und kramte in dessen Satteltaschen herum. Sie zog etwas Gemüse und ein paar Kartoffeln heraus, suchte weiter und verzog enttäuscht den Mund.

„Wir haben kein Wild mehr“, teilte sie Kyra mit.

„Können wir etwas jagen?“, fragte sie begeistert.

„Aidan?“

Kaum hatte sie ihn gerufen, stand er neben ihr.

„Wir brauchen Fleisch. Wir haben keines mehr und die Menschen müssen etwas Kräftiges essen.“

Er nickte.

„Ich werde die Männer auf die Jagd schicken.“

„Kann ich nicht…?“

Kyra verstummte, als sie sein schwarzer Blick traf.

„Du willst jagen?“

Sie nickte.

Er schien kurz zu überlegen, nickte dann.

„Gut, dann gehen wir beide auf die Jagd.“ Kyra freute sich so sehr, dass sie nicht einmal daran Anstoß nahm, dass er mit ihr kam. Sie liebte die Jagd, es sprach etwas Wildes, Animalisches in ihr an.

Ein Mann brachte ihm einen Bogen und ein Köcher. Aidan zog kurz den Dolch aus dem Heft an seiner Hüfte, prüfte ihn kurz, dann steckte er ihn wieder ein.

Er warf ihr den Bogen zu und sie fing ihn sicher auf.

Dann machte er sich an ihrer Kette zu schaffen, bis er das andere Ende um seinen eigenen Knöchel schlang.

Sie seufzte genervt.

„Wir sind bald zurück“, teilte er seiner Schwester mit, dann führte er Kyra tiefer in den Wald hinein.

Zielsicher wandte er sich westwärts und lief weiter.

„Willst du nicht auf die Spuren achten?“, fragte sie verwirrt.

Aidan blieb kurz stehen.

„Wir sind Vampire. Ich kann hören und riechen, wohin die Hirsche und Hasen gerannt sind.“

Er betrachtete sie stirnrunzelnd.

„Du könntest es auch. Versuch es mal. Schließ die Augen.“ Sie sträubte sich kurz, doch ihre Neugier siegte. Sie schloss ihre Lieder und konzentrierte sich auf die Geräusche um sie herum. Sie könnte die Stimmen der Männer aus dem Lager hören. Das Knacken von Ästen, wenn ein großes Tier über sie trat. Entfernt konnte sie sogar das Rauschen der brechenden Wellen des Meeres hören, obwohl sie in nordöstliche Richtung geritten waren.

Erstaunt öffnete sie ihre Augen und sah ihn sprachlos an. Sie hatte hören können, dass ganz in ihrer Nähe eine kleine Gruppe Rehe grasten.

Er lächelte sie an.

„Du hast sie auch gehört, nicht wahr?“

Sie nickte, immer noch nicht fähig, dass gerade erlebte in Worte zu fassen.

Aidan ging weiter und sie folgte ihm.

Sie schlichen fast eine halbe Stunde durch den Wald, ehe sie die Tiere erreichten.

Die Beiden kauerten sich in das Unterholt und betrachteten die Rehe, die friedlich das Gras von der Wiese zupften. Kyra seufzte lautlos. Die Jagd war ihr Element und sie liebte es, die Tiere zu beobachten.

Dann schüttelte sie kurz den Kopf und machte sich daran, eines der Tiere auszuspähen, dass weder ein Kitz noch sehr jung war.

Sie machte ein etwas älteres Reh aus, welches ein wenig abseits graste. Kyra legte Pfeil und Bogen an, schloss kurz die Augen, zwang ihren Körper ganz ruhig zu werden, dann ließ sie die Bogensehne los.

Aidan nahm die Veränderung in ihrem Körper war. Als sie den Bogen anlegte, verlangsamte sich sogar ihr Herzschlag. Er starrte sie bewundernd an, als sich der Pfeil in den Hals des Rehs grub und es auf den Boden sank.

Die Anderen stoben auseinander und flüchteten in den Wald.

Kyra entspannte sich und ging auf das tote Tier zu.

Er folgte ihr, zückte sein Messer und begann damit, das Tier zu häuten und zu zerlegen. Sie hockte neben ihm und betrachtete seine Bewegungen. Er arbeitete schnell und kurze Zeit später lagen große Fleischbrocken auf dem Gras. Sie sah sich um, suchte nach einem jungen Baum, dessen Stamm sie mit Lederbändern zusammenbinden konnte um daraus eine Trage für das Fleisch zu bauen.

Doch er packte das Fleisch einfach in einem großen, ledernen Tuch zusammen und lud es sich auf die Schulter.

Seine Kleidung war mit Blut bespritzt, es klebte sogar an seiner Wange und doch sah er für sie unglaublich gut aus. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Jeder von ihnen war sich des Anderen nur allzu deutlich bewusst.

Den Weg zurück legten sie sehr viel langsamer zurück. Das Schweigen lastete schwer zwischen ihnen. Unbewusst fuhr Kyra sich über die bereits verheilte Bisswunde. Er sah es und wandte zornig den Blick ab. Ihm war sein Biss noch allzu deutlich im Gedächtnis. Noch immer spürte er ihre Haut unter seinen Lippen, konnte ihr Blut auf seiner Zunge schmecken. Nur mit Mühe konnte er ein stöhnen unterdrücken, als er für sie hart wurde.

„Soll ich dir etwas abnehmen?“, unterbrach Kyra das Schweigen.

Er sah sie etwas verdutzt an.

Sie streckte die Hand nach dem Fleisch aus, als er nicht reagierte.

„Ich bin um einiges stärker als du. Wie kommst du darauf, dass ich deine Hilfe benötigen könnte?“, fuhr er sie an. Den Drang ihre Hand zu packen und sie an sich zu ziehen, kämpfte er nur mit Mühe nieder.

Erschrocken riss sie ihre Hand zurück und wandte sie wieder um. Steif lief sie weiter und er verfluchte sich. Er hätte sie nicht so anfahren müssen.

„Kyra…“, begann er.

Sie wirbelte zu ihm herum, ihre Augen blitzten.

„Lass es. Du hast mehr als deutlich gemacht, wie sehr du mich hasst. Ich brauche dafür keine Erklärung. Selbst jemand wie ich kann es aus deinem Verhalten ablesen.“

Aidan starrte sie sprachlos an. Er konnte nichts sagen, was sie vom Gegenteil überzeugen könnte und doch wusste er, dass er sie nicht hasste. Er begehrte sie, verzehrte sich nach ihr. Nur der Gedanke an Elizabeth hielt ihn davon ab, sofort über sie herzufallen und sie an Ort und Stelle zu nehmen. Um sie weiter von sich zu stoßen und damit sein Verlangen nach ihr zu unterdrücken, zwang er sich sie mit einem grausamen Blick zu bedenken.

„Ich hatte schon befürchtet, ich müsste es dir aufschreiben“, sagt er eisig.

„Kannst du überhaupt lesen?“

Schallend klatschte ihre Handfläche an seine Wange und von der Wuchte flog sein Kopf zur Seite. Verblüfft sah er sie an. Tränen standen in ihren Augen.

„Ich hasse dich“, rief sie.

Kyra wollte am liebsten so schnell wie möglich von ihm weg, die Kette hinderte sie jedoch daran.

So musste sie sich damit begnügen, ihm vorrauszugehen. Sie spürte seinen starren Blick in ihrem Rücken, weigerte sich aber, ihm ihrerseits nur einen Blick zu gönnen.

Kyra hätte fast vor Erleichterung geseufzt, als sie die Planwagen erreichten und Anna ihnen entgegen gelaufen kam. Sie nahm Aidan das Fleisch und nachdem er sich gebückt hatte, auch Kyras Kette ab. Beide Frauen gingen zum Feuer und machten sich daran, das Fleisch zu zerteilen und in den Kessel zu werfen.

Schon bald verteilte sich das köstliche Aroma des gebratenen Fleisches und mischte sich mit dem der Kartoffeln und des Gemüses. Es dauerte nicht lange und die entführten Frauen gesellten sich zu ihnen und setzten sich in einem Kreis um das Feuer.

Jasmin setzte sich vertrauensvoll neben Kyra und zupfte sie am Ärmel. Als sie sich dem jungen Mädchen zuwandte, reichte es ihr eine Kette aus bunten Blumen. Verwirrt nahm sie sie entgegen und setzte sie sich auf ihr Haar. Jasmin lächelte sie an.

„Du siehst wunderschön damit aus, wie eine Waldelfe.“

Es war das erste Mal, dass Kyra mit ihr sprach. Ihre Stiefschwester sah sie von der gegenüberliegenden Seite des Feuers her finster an. Ihre Lippen hatte sie zusammen gekniffen und das flackernde Licht warf dunkle Schatten auf ihr Gesicht. In diesem Augenblick sah sie wie das bösartige Weibsbild aus, dass sie ihn ihrem Inneren auch war.

Jasmin zuckte zusammen und schwieg, als sie Helenas Blick bemerkte. Kyra tat das Mädchen leid und sie versuchte sie in ein Gespräch zu verwickeln. Zögernd ging sie darauf ein und sie redeten über die verschieden Blumen, die um sie herum wuchsen und Jasmin zeigte ihr, wie sie sie zu einer Kette binden konnte, wie sie die junge Frau auf dem Kopf trug.

Bald zierte auch Annas Haar eine Blumenkette und die drei lachten ausgelassen. Die Vampirin setzte sich neben Jasmin und gemeinsam aßen sie den Eintopf, wobei sie ihn Kyras Schale heimlich ein paar Blutstropfen gemischt hatte. Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, gesellte sich Ian zu ihnen und quetschte sich zwischen seine Schwester und Jasmin auf den Boden. Das Mädchen erstarrte und rückte näher zu Kyra, was ihm nicht entging.

„Bekomme ich auch so eine Blumenkette?“, fragte er Jasmin. Sie nickte, wagte es aber nicht, dass Gesicht zu heben und ihn anzusehen. Sie pflückte ein paar Blumen und begann damit sie aneinander zu binden. Kyra fragte Anna nach ihrem Sohn, um das unbehagliche Schweigen zu unterbrechen, das zwischen ihnen entstanden war. Anns Gesicht begann zu leuchten, als sie von den Streichen erzählte, die Damien mit Vorliebe ausheckte und damit sie und ihren Mann in den Wahnsinn trieb. Ein ums andere Mal mussten sich lachen und selbst Jasmin kicherte, verstummte jedoch sofort wieder, wenn sie merkte, dass Ian sie anstarrte. Sie beendete ihr Werk und wollte ihm die Kette reichen, doch er beugte seinen Kopf und gab ihr damit zu verstehen, sie ihm auf das hellblonde Haar zu legen. Zögernd tat sie es und als er sich wieder aufrichtete, grinste er sie an. Sie senkte den Blick.

„Danke.“ Sie nickte.

„Na, Schwesterchen, sehe ich damit nicht wie ein junger Gott aus?“

Anna lachte und stieß ihn mit der Schulter an. Auch Kyra musste lachen und ein paar Frauen wandten sich ihnen zu. Sie hatten sich nach dem Essen etwas abseits um Helena gescharrt und als sie merkte, dass sie die Aufmerksamkeit der Frauen verlor, zischte sie ihnen etwa zu, worauf sich alle wieder umdrehten.

Jasmin wandte sich an Kyra.

„Stimmt es, was Helena auf der Lichtung gesagt hat?“, fragte sie leise.

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Sie haben mich genauso gefangengenommen, wie euch.“

Wie um ihre Worte zu bestätigen, hob sie ihren Fuß, an dessen Knöchel die Fußfessel lag. Jasmin sah sie bestürzt an.

„Was wird mit uns geschehen?“, flüsterte sie.

Kyra kam nicht dazu, ihr zu antworten.

Aidan trat zu ihnen und starrte das Mädchen an, das sich noch enger an Kyra drängte und vor Schreck erstarrte. Sie funkelte ihn wütend an und machte sich dann daran, Jasmin zu beruhigen.

„Wir sollten uns schlafen legen. In ein paar Stunden brechen wir wieder auf“, mit diesen Worten ging er davon.

Mit zusammengezogenen Brauen, sah Kyra ihm nach.

Anna stand auf und sah sie an.

„Komm, wir können uns ja noch in dem Wagen etwas unterhalten.“

Kyra zögerte kurz.

„Kann Jasmin heute Nacht bei uns schlafen?“

Die Vampirin stutze kurz, wandte sich dann unbehaglich an ihren Bruder. Dieser nickte, ohne den Blick von dem jungen Mädchen zu nehmen.

Jasmin schenkte ihnen ein dankbares Lächeln. Gemeinsam stiegen die Drei in den Wagen. Dort legten sich Jasmin und Kyra auf eine der Matratzen, während Anna sich auf die andere niederließ.

Das junge Mädchen war erschöpft und schlief sofort ein. Zögernd strich Kyra ihr durch das dunkle Haar. Jasmin kuschelte sich an sie.

Etwas unbehaglich sah Kyra die Vampirin an.

„Du bist so etwas nicht gewöhnt, oder?“, fragte diese sanft.

„Nein. Wir wurden von den Dorfbewohnern gemieden.“

Anna verzog bestürzt die Miene.

„Du warst all die Jahre nur mit deinem Großvater zusammen? Keine Freundin? Keinen…nun ja, Verehrer?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Mein Großvater ist nach dem Tod meiner Eltern mit mir in dieses Dorf gezogen. Er sagte immer, dort würde uns niemand etwas antun.“

Sie holte tief Luft.

„Die Frauen haben mich gehasst. Ich habe nie verstanden warum und die Männer“, sie stockte kurz, „ sie haben mich angestarrt, wenn sie glaubten, ich würde es nicht bemerken. James war der Erste, der sich mir genähert, bis…“ Kyra verstummte. Anna verstand jedoch auch so.

Bis mein Bruder kam.

Also hatte die junge Frau völlig abgeschieden gelebt.

„Du hattest mir gesagt, das Aidan nicht der Einzige gewesen wäre, der dich geküsst hätte.“

„Er war der Einzige, aber er hat sich so abwertend über den Kuss geäußert. Ich wollte nicht, dass er merkte, wie sehr es mich getroffen hat.“

Anna nickte. Selbst sie, war bestürzt über die Reaktion ihre Bruders gewesen.

Kyra unterdrückte ein Gähnen.

„Wir sollten uns schlafen legen.“

Die Frauen legten sich hin und waren auch kurz darauf eingeschlafen.

Ihren unfreiwilligen Zuhörer bemerkten sie beide nicht.

 

Aidan wollte gerade nach Kyra sehen, als er ihr Gespräch vernahm. Neugierig lauschte er und was er über die junge Frau erfuhr zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg.

Er war der Erste gewesen?

Und dann hatte er sie so behandelt. Sie konnte nichts dafür, dass er sich selbst verachtete, weil er eine andere Frau begehrte als Elizabeth, obwohl sie seine Gefühle nie erwidert hatte. Er hatte ihr geschworen, nur sie und ihre Tochter zu lieben. Insgeheim hatte er sogar gehofft, ihre Tochter zu heiraten, sobald diese alt genug gewesen wäre. Dann hätte er wenigstens einen kleinen Teil von Elizabeth besessen. Er konnte sich nur zu gut an den ersten Augenblick erinnern, in dem er das neugeborene Baby gesehen hatte. Sie hatte so winzig in ihrer Liege ausgesehen und brabbelte vor sich hin, wie es Kinder oft taten.

Dann hatte sie ihre kleinen Händchen nach ihm ausgestreckt und sich einen seiner Finger geschnappt und darauf herum gekaut. Aidan hatte sich vom Fleck weg in sie verguckt. Sie besaß den gleichen ungekünstelten Charme wie ihre Mutter. Als Elizabeth ihm ihre Tochter in den Arm gelegt hatte, war er so besorgt gewesen, ihr wehzutun, dass er sich verkrampft hatte und es einige Augenblicke dauerte, bis er es einfach genoss, das winzige Bündel in den Armen zu halten.

Diese Erinnerung war noch immer so frisch in ihm und er war noch längst nicht über ihren Tod hinweg.

Der Gedanke, Kyra könnte Elizabeths Tochter sein, erfüllte ihn mit neuer Hoffnung. So töricht es letztendlich auch sein mochte. Konnte es sein, dass ein Teil von seiner geliebten Elizabeth zu ihm zurückgekehrt war?

Was wäre, wenn sie es nicht wahr? Würde er es ertragen, nachdem seine Hoffnungen geweckt worden waren?

Er schüttelte den Kopf um seine Gedanken zu vertreiben.

Aidan musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren. Nur das wusste er mit absoluter Sicherheit. Sein Wächter und die Stadt verließen sich auf ihn und er würde ihn nicht enttäuschen.

Hastig wandte er sich ab und verließ die Frau, die ihn so sehr reizte. Er durfte sich unter gar keinen Umständen ablenken lassen, nicht nur wegen Elizabeth, sondern auch wegen der Aufgabe, die schwer auf seinen Schultern lastete.

Er betrat eines der Zelte.

Seine Brüder schliefen bereits. Fast schon war er enttäuscht. Er hätte gern mit einem von ihnen über seine aufgewühlten Gefühle sprechen. Sie hatten gewusst, wie sehr ihn der Tod Elizabeths mitgenommen hatte. Aidan zuckte mit den Schultern. Er konnte das Gespräch auch zu jedem anderen Zeitpunkt führen.

Erschöpft ließ er dich auf die Felle sinken und schloss die Augen.

Es dauerte jedoch lange, bevor er seinem schmerzenden Körper die Ruhe gönnen konnte, die dieser so dringend benötigte. Sein Schaft war noch immer hart und ließ ihn schier umkommen vor Verlangen. Es war lange her, dass er so frustriert gewesen war. Früher hatten sich die Frauen scharenweise um ihn gedrängt und nun versagt er sich die Einzige, die er um alles in dieser Welt haben wollte.

Er wusste, dass sie alles bisher da gewesene übertreffen würde.

Nur mit Mühe konnte er ein Stöhnen unterdrücken und drehte sich auf die Seite.

Langsam fühlte er, wie ihn der Schlaf übermannte und er hieß ihn willkommen, wollte in ihm wenigstens für ein paar Stunden das Vergessen finden.

 

Kyra schlief unruhig. Träume quälten sie, Flammen die nach ihr schlugen, an ihren Beinen leckten. Ihr Großvater, der sie vor dem Feuer rettete und ihr Bedürfnis in dieses Feuer zurückzukehren, weil dort jemand war, den sie liebte.

Sie wollte sich wehren, wollte schreien, doch kein Laut drang über ihre Lippen. Jemand war in diesen Flammen, den sie retten wollte…retten musste.

Ein stummer Schrei nach dem Anderen verließ ihre trockene Kehle.

Warum nur brachte er sie fort? Hörte er denn nicht, dass jemand vor Schmerzen schrie.

Erst jetzt brach der Bann, der sie am Schreien gehindert hatte und sie schrie aus vollem Halse. Tränen brannten in ihren Augen ihr Hals schmerzte.

„Kyra! Wach auf!“

Jemand rüttelte an ihrer Schulter.

Verwirrt blinzelte die junge Frau.

Wo war sie?

Irgendwas stimmte mit ihren Augen nicht. Sie konnte alles nur sehr verschwommen wahrnehmen.

„Was…?“

„Oh Große Lima, du bist wach!“, rief Anna erleichtert.

Sie ließ sich neben Kyra sinken und lockerte ihren Griff um ihre schmalen Schultern.

Die junge Frau befühlte ihre Wangen.

„Habe ich etwa...geweint?“

Die Vampirin nickte.

„Und geschrien. Du wolltest zurück in die Flammen.“

Schlagartig kehrte die Erinnerung an ihren Traum zurück. Ihr zarter Körper bebte und sie zog ihre Knie an die Brust, schlang ihre Arme darum.

„Möchtest du mir erzählen, wovon du geträumt hast?“

In diesem Augenblick wurde die Plane weggerissen und Aiden betrat mit wildem Blick den Wagen.

„Was ist passiert?“

Sein silbriger Blick fiel auf Kyra.

„Bei den Drei Mächtigen“, zischte er.

„Sie hatte einen fürchterlichen Alptraum“, erklärte seine Schwester.

Mit weichen Knien vor Erleichterung ließ er sich neben der jungen Frau nieder und zog ihren zitternden Leib in seine Arme.

Sanft flüsterte er ihr tröstende Worte ins Haar und wiegte sie leicht an seiner Brust. Der Schreck steckte ihm noch tief in den Gliedern. Als ihr Schrei ihn geweckt hatte, war ihm der Magen bis in die Knie gesunken. Selbst wenn sie sich jetzt beruhigen sollte, brauchte er diese Berührung für seinen eigenen Körper, dessen heftiges Zittern er nur mit Mühe unterdrücken konnte. Kyras Schrei hatte ihn in die Nacht vor beinahe zweiundzwanzig Jahren zurückversetzt, in der sein Leben eine so drastische Wendung genommen hatte.

Anna warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Ich werde mich um das Essen kümmern“, sagte sie und ließ die Beiden alleine.

Aidan hob Kyra zwischen seine Beine, umschlang ihren Körper fest mit seinen Armen. Er wusste, dass sein Griff zu stark war, aber er konnte ihn auch nicht lösen.

Sie schluchzte und bebte, er spürte, wie ihre Tränen sein ledernes Hemd benässten.

„Sch, beruhige dich“, murmelte er.

Nach geraumer Zeit hob sie den Kopf, bei ihrem Anblick verzog sich sein Herz. Sie sah so verzweifelt aus.

„Er hat mich einfach mitgenommen“, schluchzte sie.

„Wer, meine Kleine?“ Er legte seine Hände an ihr Gesicht und strich mit den Daumen ihre Tränen weg. Ihre Unterlippe bebte und sie schluckte heftig.

„Mein Großvater. Er hat mich einfach mitgenommen.“

Ihre Worte ließen ihn erstarren.

„Wovon hast du geträumt, Kyra?“

Ihre Augen musterten ihn, nahmen ihn erst jetzt richtig wahr. Hastig rückte sie von ihm ab und er ließ es zu.

„Was machst du hier? Wo sind Anna und Jasmin?“

„Sie ist draußen und bereitet das Essen zu, wo das Mädchen ist weiß ich nicht. Sie war nicht im Wagen, als ich hereinkam. Ich bin hierhergekommen, weil ich dich schreien gehört habe.“

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.

„Oh“, machte sie nur.

„Erzählst du mir jetzt, wovon du geträumt hast?“

Sie sah ihn an. Ihre Augen blitzten.

„Nein.“

Er starrte sie ungläubig an.

„Nein?“

Kyra nickte.

Blitzschnell schossen seine Hände hervor, packten ihre Oberarme und zogen sie eng an sich. Ihre Hände landeten in einer abwehrenden Haltung auf seiner Brust.

Er knurrte bedrohlich.

„Du wirst mir jetzt sofort erzählen, was du geträumt hast, dass dich dazu veranlasst hast, das ganze Lager zusammenzuschreien!“

„Ich werde dir bestimmt nicht erzählen, wovon ich geträumt habe!“, antwortete sie ebenso heftig wie er.

Aidan starrte sie eine Weile an, dann schob er sie von sich.

„Fein“, knurrte er.

„Aber ich warne dich, wenn du noch einmal so schreist, dann werde ich dich dazu zwingen, es mir zu erzählen.“

„Ich weiß nicht, ob ich dir den Gefallen tun kann“, sagte sie mit samtweicher Stimme.

Wütend zeigte er mit einem Finger auf sie, öffnete dem Mund, sicher um ihr seine Meinung kundzutun, doch dann schloss er ihn wieder und stieg aus dem Wagen. Sie könnte ihn zornig knurren hören und hätte fast gelächelt.

Aber eben nur fast. Ihr Alptraum steckte noch immer in ihren Knochen und sie zitterte noch leicht. Der Wunsch zu ihrem Großvater zurückzukehren wurde immer stärker. Sie wollte endlich Klarheit haben. Kyra blieb auf dem Boden des Planwagens sitzen und wartete, bis der Duft es aufgewärmten Eintopfes ihre Nase kitzelte. Nach dieser Aufregung hatte sie großen Hunger, also stand sie auf und verließ den Wagen. Anna kam ihr mit einer vollen Schale entgegen und betrachtete prüfend ihr Gesicht. Kyras Wagen füllten sich rau an, nachdem die salzigen Tränen über sie gelaufen waren. Ihr Mund war trocken, ihre Augen geschwollen.

„Hast du dich etwas beruhigt?“

Sie nickte.

„Möchtest du nach dem Essen über deinen Traum reden?“

Diesmal schüttelte sie den Kopf, sie war noch nicht bereit dazu.

„Gut. Ich möchte nur, dass du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen und mit mir darüber sprechen kannst.“

Kyra lächelte sie dankbar an.

Sie hatte die freundliche Vampirin bereits ins Herz geschlossen. Sie stellte sich gerne vor, dass sich so eine ältere Schwester benahm.

Anna reichte ihr die Schale und sie setzten sich auf die Stufen des Wagens.

Die junge Frau aß mit großem Appetit. Sie hatte sich an den leichten Blutgeschmack und dessen Aroma gewöhnt und es mundete ihr sogar. Mittlerweile war sie von dem Wahrheitsgehalt von Aidans Aussage, sie wäre ein Vampir, überzeugt. Jetzt wollte sie aber umso mehr erfahren, wer ihre Eltern gewesen waren. Der Einzige der ihr diese Frage und somit ihre Neugier stillen konnte, war William. Ihr Großvater.

Sie schämte sich ein wenig, weil sie zugeben musste, dass sie zu ihm zurückkehren wollte, weil sie ihn in Bezug auf ihre Herkunft fragen wollte und nicht vorrangig weil sie sich sorgen um ihn machte. Sie war wohl eine schlechtere Enkelin, als sie dachte. Kyra seufzte auf.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragte Anna besorgt.

„Nein, nein. Das ist es nicht.“

Sie blickte die blonde Vampirin an.

„Ich habe nur gedacht, dass es sich so anfühlen muss, eine große Schwester zu haben.“

Anna blinzelte gerührt.

„Das freut mich.“

Jasmin kam zu ihnen hinüber. Auf ihrer Wange prangte ein blauer Fleck, fast Handgroß.

„Was ist mit dir passiert?“, fragte Kyra, sie hatte einen Verdacht.

„Helena hat es nicht gepasst, dass ich in der Nacht bei euch geblieben bin. Sie sagte, ich würde versuchen einen besseren Stand als sie bei den Männern zu bekommen.“ Das junge Mädchen schaute zu Boden und malte mit der Spitze ihrer Schuhe Kreise in den Boden. Ihre Schuhe waren aus leichtem Leder gefertigt und mit einer silbernen Schnalle verziert. Sie waren flach, besaßen keinen Absatz. Kyra wusste, dass die Mode außerhalb des Dorfes aufwendiger und prunkvoller war. In der eingeschlossenen Gemeinde hatte sich jedoch ein eigenes Modebewusstsein entwickelt. Die Frauen trugen oft diese leichten Schuhe mit einer dünnen Sohle und einer größeren Öffnung, sodass ein großer Teil des Spanns frei lag. Die Kleider bestanden zu meist aus gebleichtem Leinen und waren gelegentlich, je nach Stellung in der Gemeinde, mit seidenen Bändern verziert. Nur wenige trugen Strumpfbänder und Unterwäsche, die aus zu Dreiecken geformten Stoffteilen genäht wurden, sowie ein Leibchen, dass den Busen stützte und den ganzen Oberkörper bedeckte und einen tiefen Ausschnitt besaß, damit der Ausschnitt des jeweiligen Kleides nicht verunziert wurde. Kyra selbst hatte nur ein paar dieser leichten Schuhe besessen und ein weiteres, gröberes Paar, mit denen sie auf die Jagd gehen konnte. Alles was sie nun trug, einschließlich der Unterwäsche, Leibchen und der Schuhe, hatte sie von Anna geschenkt bekommen. Die Strumpfbänder hatte sie abgelehnt.

„Geht es dir besser? Anna hat mir erzählt, du hättest schlecht geschlafen“, sagte Jasmin leise.

Kyra betrachtete weiter stirnrunzelnd den blauen Fleck des jungen Mädchens.

„Es geht mir wieder besser. Du hast vermutlich auch nicht ganz so gut geschlafen?“

Jasmin nickte.

„Ich konnte noch nie lange durchschlafen.“

Kyra nickte verständnisvoll. Sie selbst kannte dieses Gefühl.

Die Sonne neigte sich ihrem Ende. Sie konnte ihre verblassenden Strahlen durch das Blätterdach der Bäume sehen. Seltsamerweise schien sie das Sonnenlicht in den Augen nicht mehr so zu schmerzen wie zuvor.

Bevor sie Aidans Blut getrunken hatte.

Ian kam auf sie zu.

„Wir brechen auf. Ich rate euch, in den Wagen zu steigen und nehmt die Kleine mit. Sie wird von nun an von den Frauen getrennt.“ Ein leichter Hauch von Wut schwang in seiner Stimme mit. Sein grüner Blick lag auf der geschwollen Wange des Mädchens und sie wand sich sichtlich unbehaglich.

Anna verstaute die Schale in einer Satteltasche, nachdem sie sie ausgespült hatte. Dann gesellte sie sich zu Kyra und Jasmin, die schon beide im Wagen saßen. Kyras Fußknöchel juckte wie verrückt und sie bemühte sich, mit ihren Fingern auch unter die Kette zu gelangen, damit sie die wunde Haut von dem Sand befreien konnte, der ihr Selbige aufscheuerte.

„Warte“, sagte Anna und befreite sie von der Fußfessel. Dann reichte sie ihr ein feuchtes Tuch und Kyra wusch sich ihren Knöchel. Die Haut war gerötet, an einigen Stellen sogar aufgerissen. Bestürzt betrachte Anna den Knöchel und verfluchte ihren Bruder. Er konnte manchmal ein wirklich herzloser Klotz sein.

Jasmin saß stumm in einer Ecke und betrachtete die beiden Frauen.

„Wieso bist du zu Helena gegangen?“, fragte Kyra sie.

„Sie ist meine Stiefschwester. Ich wollte wissen, wir es ihr geht.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern. Kyra hatte Mitleid mit dem jungen Mädchen. Jasmin war so lieb und hatte sogar ihr, Kyra, hin und wieder ein scheues Lächeln geschenkt, wenn sie im Dorf war.

„Aidan wird es nicht zulassen, dass sie noch länger bei uns bleibt. Sie ist eine Gefangene.“

Jasmin zuckte sichtlich zusammen und kauerte sich noch tiefer in die Ecke des Wagens.

Kyra warf der Vampirin einen strafenden Blick zu.

„Sie bleibt bei mir. Du hast doch selbst gesehen, dass die Frauen sie schlecht behandeln.“

„Das mag ja sein. Er wird sie dann einfach in dem anderen Wagen unterbringen.“

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Nicht, wenn ich es verhindern kann.“

Anna betrachtete sie kurz, dann seufzte sie.

„Ich werde versuchen, mit ihm zu reden.“

Jasmin lächelte sie dankbar an. Dann runzelte sie die Stirn.

„Geht es dir nicht gut? Du hast heute noch nichts gegessen und gestern auch nicht“, fragte sie die Vampirin.

Kyra und Anna wechselten einen schnellen Blick. Beide waren sich einig, dass sie Jasmin noch nicht erzählen konnten, von wem genau sie entführt wurde. Und weswegen.

„Ich hatte nur keinen großen Hunger. Ich bin etwas anderes gewöhnt, als solche Kost“, antwortete sie ausweichend. Nun, es war zumindest keine Lüge.

Jasmin nickte und Kyra schmunzelte.

Sie mochte das Mädchen. Sie war so niedlich, wie sie sie mit ihren großen, grauen Augen ansah und vertrauensvoll ihre Hand nahm. Sie konnte nicht begreifen, warum Helena so grausam zu ihr war und wieso Jasmin sich dennoch um die Zuneigung ihrer Stiefschwester bemühte.

Dem jungen Mädchen fielen langsam die Augen zu und Kyra bettete sie auf die Matratze, auf der sie gesessen hatte. Liebevoll streichelte sie ihr über das Haar.

„Du scheinst sie zu mögen.“

„Sie erinnert mich ein wenig an mich selbst.“

„Inwiefern.“„Ich war mein ganzes Leben lang nur mit meinem Großvater zusammen. Jasmin hatte im Dorf keine Freunde und da hast gesehen, wie ihre Stiefschwester mit ihr umgegangen ist. Sie ist wohlmöglich genauso einsam, wie ich.“

„Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Ich hatte immer meine Brüder und auch ein paar Bekannte, mit denen ich allerlei Unsinn anstellen konnte.“

Kyra sah sie an.

„Du liebst deine Brüder wohl sehr.“

Anna nickte.

„Sie haben mir mehr als nur einmal aus einer verzwickten Lage geholfen und als Aidan zu uns kam, hatte ich sogar jemanden, der sich mit mir in die unmöglichsten Situation hineinmanövriert hat.“

„Er ist zu euch gekommen?“

Anna zuckte schuldbewusst zusammen.

„Ich…“

„Er ist gar nicht dein leiblicher Bruder?“

„Nein. Er wurde von meinen Eltern adoptiert, nach dem seine Familie getötet wurde.“

„Seine Eltern wurden ermordet?“

Anna nickte.

„Sie und sein jüngerer Bruder.“

Dann stockte sie.

„Oh, ich hätte dir das nie erzählen dürfen.“

Kyra verzog die Lippen. Ihre Neugier war geweckt.

„Bitte vergiss, was ich dir gerade erzählt habe.“

„Ich glaube nicht, dass es mir möglich sein wird.“ Auf Annas bestürzten Blick lenkte sie ein.

„Ich werde niemanden verraten, dass ich es weiß.“ Die Vampirin ergriff ihre Hand.

„Danke.“ Kyra lächelte.

„Möchtest du jetzt über deinen Alptraum reden?“

Sie zögerte kurz, beschloss dann aber, dass sie wirklich jemanden gebrauchen konnte, der mit ihr durch das Chaos in ihrem Kopf durchstieg.

„Es war schrecklich und es hat sich nicht mal wie ein Traum angefühlt“, begann sie zögernd. Anna drückte ermutigend ihre Hand. Der Griff war seltsam tröstlich.

„Überall war das Feuer, es kam auf mich zu, bis mich mein Großvater auf den Arm genommen hat. Er trug mich aus dem Haus, aber ich habe das verzweifelte Bedürfnis verspürt, noch jemanden aus dem Haus zu holen. Jemanden der mir sehr wichtig war. Ich konnte auch nicht schreien, erst, als wir außer Reichweite des Feuers waren und dann bin ich aufgewacht.“ Anna starrte sie sprachlos an.

„Oh du große Lima…“, flüsterte sie.

„Was hast du?“

„Du könntest es wirklich sein.“

„Wer?“ Sollte sie nun endlich die Antworten auf ihre Fragen erhalten?

„Von wem redest du, Anna?“

Die Vampirin schluckte heftig und begann dann zu erzählen.

„Vor etwa dreiundzwanzig Jahren, lernten wir eine junge Menschfrau kennen. Obwohl es uns verboten war, freundeten wir uns mit ihr an und Bryant, ein sehr guter Freund meiner Brüder, verliebte sich in sie. Und sie sich in ihn.“

Sie machte eine kurze Pause, ihre Augen blickten in Kyras.

„Sie bekamen eine kleine Tochter. Doch kurz nach ihrer Geburt, ging ihr Heim in Flammen auf und sie kamen in dem Feuer um. Man hat allerdings nie die verkohlten Überreste ihrer Tochter gefunden.“

War es wirklich möglich?

„Mein Großvater hat mir mal erzählt, dass meine Eltern bei einem Feuer ums Leben kamen.“

Die Beiden starrten sich eine Weile schweigend an.

„Ist es möglich, dass dies alles nur ein Zufall ist?“, fragte Kyra leise.

Anna schüttelte heftig den Kopf.

„Es ist zwar möglich, aber es gibt zu viele Parallelen. Du könntest wirklich die verschollene Tochter sein.“

Tränen sammelten sich in ihren Augen. Würde sie endlich erfahren, wer sie war? Wo sie herkam?

„Oh Kyra.“ Anna schloss sie in die Arme.

„Wir müssen überprüfen, ob es auch so stimmt, was dein Großvater dir erzählt hat.“„Ich muss zurück“, flüsterte die junge Frau.

Anna sah sie an.

„Aidan wird dich niemals freiwillig gehen lassen.“

Sie sahen sich bestürzt an.

Dann trat ein entschlossener Ausdruck auf Annas Gesicht.

„Ich habe einen Plan.“

Kyra sah sie neugierig an.

„Ich werde deine Fesseln lösen, sobald wir wieder rasten und dafür sorgen, dass ein Pferd für dich bereitsteht. Dann musst du nur noch schneller sein, als mein Bruder. Er wird dir folgen, sobald er deine Flucht bemerkt.“

„aber ich kann doch nicht so gut reiten…“

„Es ist deine einzige Möglichkeit. Wenn du zu Fuß fliehst, würde er dich viel zu schnell einholen. Du hast vielleicht drei Stunden Vorsprung.“

„Ich höre hier etwas von einer Flucht. Vor wem fliehen wir denn?“

Die Beiden erstarrten, als Ian zu ihnen in den Wagen schlüpfte.

„Ähm…“, machte Anna.

„Ähm…“, echote Kyra.

„Ihr seid wirklich mutig, hier so offen über eine Flucht zu reden. Euer Glück, dass Aidan sich hingebungsvoll mit George streitet und nicht auf euer Geplauder achtet.“

„Oh Ian, du darfst ihm nichts davon erzählen“, flehte ihn seine Schwester an.

„Mitnichten, liebe Schwester, ich werde euch helfen.“

Kyra sah ihn überrascht an.

Man höre und Staune.

Er zeichnete ein paar ihr unbekannte Symbole in die Luft und sie fuhren fort, ihren Fluchtplan zu verfeinern. Kyras Herz klopfte laut vor Aufregung. Ihre Hände zitterten und sie kniff sich heimlich ein paar Mal in den Arm. Sie hatte das Gefühl, zu träumen.

Endlich würde diese quälende Unsicherheit, die sie ihr ganzes Leben lang begleitet hatte, ein Ende nehmen. Kyra würde am liebsten auf der Stelle aufbrechen, doch sie wusste, dass dies unmöglich war.

Ihr viel es schwer, ihre aufgewühlten Gefühle zu verbergen. Aidan beobachtete sie aus zusammengekniffenen Augen, als sie kurz rasteten um zu essen und zu trinken. Sie lenkte sich ab, in dem sie darüber nachgrübelte, wie sich die Vampire nährten. Bis jetzt hatte sie keinen von ihnen Blut trinken sehen. Sie fragte Anna danach, doch sie riet ihr, sich darüber keine Sorgen zu machen. Vampire bräuchten nicht täglich Blut zu trinken, erklärte sie ihr.

Als Kyra ungeduldig die Sonne anstarrte und sie durch schiere Willenskraft dazu zwingen wollte, endlich ihren Zenit und somit das Ende eines weiteren Tages der Reise zu erreichen, tätschelte Anna aufmunternd ihre Schulter.

„Bald“, flüsterte sie.

Seit ihrer Rast wich Aidan kaum von ihrer Seite. Sein Hengst lenkte er dicht neben ihren Wagen und sie wusste, dass er jedem Wort lauschte, das sie sprachen. Er wusste, dass etwas im Busch war, konnte jedoch nicht benennen, um was es sich genau handelte.

Als er Anna darauf ansprach, wechselte sie einen schnellen Blick mit Kyra und teilte ihm dann mit, dass es ihn als Mann nichts anginge. Er stutzte verblüfft. Obwohl er früher viele Frauen gekannt hatte, wusste er kaum etwas über deren Körper und dessen Geheimnisse. Er hielt abrupt inne.

Konnte es sein, dass seine Schwester wieder ein Kind erwartete?

Er beschloss, sie darauf anzusprechen, sobald die Menschen schliefen.

Auch würde er es unterbinden, dass das junge Mädchen weiterhin bei ihr schlief. Sobald sie ihr Ziel erreicht hatten, würde sie einem Vampir gegeben werden, der sie wandelte und sich mit ihr vereinigte.

Er wusste, dass dies ein grausames Schicksal für ein so jungen Menschen war, dennoch ging es hier um das Überleben seiner Rasse.

Aidan sah die Sonne immer höher steigen. Schließlich befahl er seinen Männern an einer lichten Stelle im Wald zu rasten, an der sich ein strömender Bach durch das Gras grub.

Die drei Wagen bildeten eine Art Halbkreis und die Frauen stiegen aus, streckten ihre verkrampften Glieder. Einige betrachteten das Wasser mit begehrlichen Blicken. Er befahl ihnen, sich zu waschen. Kyra lächelte bei dieser Aussicht und sie suchten sich eine Stelle, die etwas abseits von den Männern lag und zogen sich bis auf ihre Unterwäsche aus. Anna und Jasmin taten es ihr gleich und gemeinsam wateten sie ins kühle Nass. Die Frauen folgten ihnen zögernd und seufzten dann erleichtert auf, als sie den Schweiß von ihrer Haut spülten. Kyra wusch ihr Haar und warf dann ihren Kopf in den Nacken, dass das Wasser nur so spritze. Anna kreischte auf und spritzte nun ihrerseits Wasser in Kyras lachendes Gesicht. Schon bald entbrannte eine erbitterte Wasserschlacht. Selbst di Menschen beteiligten sich an dem fröhlichen Treiben und das erste Mal seit dem Tag ihrer Entführung herrschte fast so was wie Ausgelassenheit. Nur Helena hielt sich abseits und betrachtete alles mit säuerlichem Gesichtsausdruck.

Angelockt von dem Lärm, kamen Aidan und seine Brüder auf die Frauen zu. Dann blieben alle drei wie angewurzelt stehen, ob der Szene, die sich ihnen bot.

Kyra hatte den Kopf in den Nacken gelegt und lachte aus vollem Halse, dann schleuderte sie Wasser in Annas Richtung. Sie kreischte auf und revangierte sich.

Jasmin tollte zwischen ihnen durch das Wasser, warf die Arme in die Luft und kicherte vor Vergnügen. Allen Drei klebte ihre seidene Unterwäsche an den Körpern. Aidan starrte mit begehrlichem Blick auf Kyras Brüste, die sich hoch und voll unter dem nahezu durchsichtigen Stoff abzeichneten. Ihr Haar klebte dunkel an ihrem Gesicht und floss in Kaskaden über ihren Rücken bis zu ihrer Taille.

Sein Schaft drückte gegen seine Hose und er zwang sich seinen Blick von ihr loszureißen. Diese Frau ging ihm unter die Haut.

Ian selbst war wie vor den Kopf gestoßen. Sein silbriger Blick haftete an Jasmin. Das Leibchen enthüllte ihre knospenden Brüste und er wollte seinen Mund auf ihre blasse Haut pressen. Bevor er seinem Verlangen nachgeben konnte, räusperte er sich und schlug seinem jüngeren Bruder auf die Schulter.

„Es ist an dir, diesen Kampf zu beenden.“ Dann wandte er sich um und ging wieder zurück, aber nicht, bevor er nicht noch einen Blick auf das junge Mädchen zu werfen. Sie zog gerade die Nase kraus und lächelte dann strahlend. So süß.

Auch Gregor verließ ihn und ging zu den Männern zurück.

Kyra tauchte noch mal ihren Kopf unter Wasser und als sie auftauchte, sah sie Aidan mit nacktem Oberkörper am Ufer stehen. Sein heißer Blick glitt über sie und sie musste gegen das Bedürfnis ankämpfen, ihre Arme vor ihrer Brust zu verschränken. Sein Haar und seine Haut glänzten feucht. Hatte er auch ein Bad genommen?

„Raus aus dem Wasser“, befahl er laut. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als die Frauen nun zögernd und mit hochrotem Gesicht aus dem Wasser traten und hastig ihre Kleider überstreiften. Sie waren noch immer an den Füßen gefesselt. Sie verhedderten sich in den Ketten, mit denen sie aneinandergebunden waren.

Er knurrte vor Verärgerung.

Kyra stand aufrecht neben Jasmin und half ihr beim ankleiden, während sie keinerlei Anstalten machte, ihre Blöße zu bedecken. Ihr Anblick schmerzte ihn.

Seine Zähne pochten vor Sehnsucht sich wieder in ihrem zarten Hals zu versenken, seine Hände wollten die Fülle ihrer weichen Brust spüren.

Er ging auf sie zu.

Kyra sah ihn auf sich zu stampfen, sein Körper vibrierte vor Anspannung, seine Muskeln waren steinhart. Sie hatte beschlossen, ihn auf eine äußerst königliche Art und Weise zu ignorieren.

„Zieh dich an!“, zischt er ihr zu.

Sie sah ihn nicht mal an, schloss das Mieder von Jasmins Kleid.

Er packte ihren Arm.

„Ich sagte dir, du sollst was anziehen! Ich werde nicht zulassen, dass du so unter die Augen meiner Männer trittst und sie ablenkst!“

Sie schluckte heftig.

Was bildete sich dieser arrogante Kerl nur ein?

Als er sich umdrehte und wegging, vergaß sie ihren Vorsatz, bückte sich und nahm eine Handvoll Schlamm auf. Ohne zu überlegen schleuderte sie ihn auf den Vampir und traf ihn mit einem lauten Platschen an der Schulter. Erstaunt schaute sie auf den dunklen Fleck auf seiner gebräunten Haut.

Nun, das hatte wirklich gut getan.

Langsam drehte er sich zu ihr um, sein Blick war mörderisch.

Die Frauen kreischten entsetzt auf und beeilten sich, zu den Wagen zurückzugehen. Anna und Jasmin folgten ihnen, sahen Kyra aber immer wieder besorgt an.

Selbst der Vampirin war ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen, als sie die tödliche Miene ihres Bruders sah.

Kyra wartete, bis die Frauen verschwunden waren, dann nahm sie sich noch eine Handvoll Schlamm.

„Wage es nicht. Einmal könnte ich dir vergeben.“ Seine Stimme war leise, drohend. Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich verzichte mit Freuden auf deine Vergebung.“

Sie warf und traf ihn an der Brust. Sie kicherte, als der Schlamm mit lautem Platschen auf seinem Oberkörper landete. Dann flüchtete sie, als er auf sie zukam, die Hand zur Faust geballt.

Starke Finger griffen in ihr Haar, zogen sie an eine harte Brust. Sie kreischte überrascht auf, als eine große Hand den Schlamm auf ihrem Bauch verteilte.

„Nun müssen wir beide wohl noch mal ins Wasser“, knurrte er an ihrem Ohr. Sie wehrte sich heftig, doch er hob sie mühelos hoch und trug sie ins Wasser. Mit Schwung ließ er sie ins Wasser fallen und folgte ihr dann.

Sie tauchte auf, schnappte überrascht nach Luft. Mit hastigen Bewegung strich sie sich das Haar aus dem Gesicht, konnte Aidan aber nirgends entdecken. Er packte ihre Taille und wieder wurde sie an seine Brust gezogen. Dann begann er, mit sanften, kreisenden Bewegung ihr den Schlamm von dem Bauch zu waschen. Als er damit fertig war, drehte er sie zu sich um.

„Jetzt bist du an der Reihe.“ Seine Augen hatten sich vor Begehren silbern verfärbt.

Zögernd legte sie ihm ihre Hände auf die Brust. Ihre Haut hob sich hell von seiner ab. Sie rieb über die glatte Brust und wischte den Schlamm weg, genoss zugleich den Hautkontakt. So fühlte es sich also an, einen Mann zu berühren.

Sie schöpfte etwas Wasser über seine Haut, dann rieb sie mit den Handflächen über seine Brustwarzen. Als er erstarrte und knurrte, versteifte sie sich und riss ihre Hände weg. Sofort packte er sie und zog sie auf seinen Körper zurück.

„Mach weiter“, sagte er mit einer vor Erregung bebenden Stimme

Etwas mutiger rieb sie noch mal über die harten Brustwarzen. Sie faszinierten sie. Er stöhnte, sein Körper spannte sich an. Kyra genoss die Härte seiner Muskeln unter der glatten Haut. Sie wusste, dass bei Männern Haare auf der Brust wuchsen und war angenehm überrascht, dass es bei ihm nicht der Fall war. Nichts störte die perfekte Sinnlichkeit seiner Haut.

Aidan biss die Zähne fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Sonst hätte er sie wohlmöglich in seine Arme gerissen und sich genommen, was er so sehr begehrte. Doch er wollte, dass sie sich mit seinem Körper vertraut machte. Er wollte und konnte sich nicht mehr gegen das Verlangen nach ihr verschließen. Sein Körper gierte nach ihrer Berührung. Ihre Hände auf seiner Haut brachten ihn fast um den Verstand.

Ob sie spürte, wie sehr sie ihn in Versuchung führte?

Sie knabberte an ihrer Unterlippe.

Ihre Zunge glitt hervor und leckte über die Stelle, die sie zuvor mit ihren Zähnen gereizt hatte. Sein Blick hing wie gebannt an ihren zarten, rosafarbenen Lippen. Er wollte sie küssen, wollte sich in ihrem heißen, süßen Mund verlieren.

Unfähig, sich noch länger dagegen zu wehren, beugte er sich vor und streifte ihre Lippen mit seinem Mund. Sie seufzte, lehnte sich an ihn.

Doch dann erstarrte sie plötzlich.

Kyra war es, als ob ein Schwall eiskaltes Wasser ihren Rücken hinunter rann.

Die Erinnerung an seine Worte, die er ihr zugeknurrt hatte, als sie gemeinsam auf der Jagd gewesen waren, brachen mit einer Heftigkeit in ihr vernebeltes Bewusstsein, dass es sie erschütterte.

Sie stieß ihn von sich.

Verblüfft starrte er sie an.

„Was..?“

„Ich habe keine Lust mehr“, log sie. Sie verging fast vor Sehnsucht.

Aidan starrte sie an, als könne er nicht begreifen, dass sie das eben gesagt hatte. Sein harter Schaft pochte vor schmerzendem Verlangen.

„Du hast keine Lust mehr?“, brachte er mühsam hervor. Sein Verlangen nach ihr wütete in ihm, wie ein eigenständiges Wesen. Drängte ihn dazu, zu beenden, was sie angefangen hatten.

„Nein, ich bin mit dir fertig.“

Sie wandte sich ab, watete ans Ufer.

„Das kann nicht dein Ernst sein!“, brüllte er hinter ihr her.

„Oh doch!“

„Du willst es wirklich nicht…“, murmelte er fassungslos.

Sie drehte sich nochmal zu ihm um, musterte ihn mit eiskaltem Blick, als sie seine Worte wiederholte: „ Ich hatte schon befürchtet, ich müsste es dir aufschreiben.“ Mit einem boshaften Grinsen fügte sie hinzu: „Kannst du überhaupt lesen?“

Kyra ließ ihn stehen, schnappte sich ihr Kleid und ging hoch erhobenen Hauptes und nur mit ihrer nassen Unterwäsche bekleidet zum Lager zurück.

Aidan blieb sprachlos und immer noch heftig erregt allein zurück.

Er konnte immer noch nicht begreifen, was gerade geschehen war.

Kyra hatte ihm seine eigenen Worte beinahe mit gerechter Genugtuung an den Kopf geworfen. Er hatte nicht gewusst, dass sie so kalt sein konnte und es bestürzte ihn, dass er sie dazu getrieben hatte.

Ihre Enthüllung, er wäre der Erste gewesen hatten ein elementares Bedürfnis in ihm wachgerufen. Er wollte der Erste und der Einzige sein.

Selbst bei Elizabeth hatte er es überwunden, als sie Bryant gewählt hatte. Doch wenn er sich Kyra mit einem anderen Mann vorstellte, geriet er in Wut. Niemals würde er zulassen, dass andere Hände als die Seinen über ihren Körper streiften. Niemals würde sie einen anderen Mann kennen, außer ihm.

Und das würde er ihr begreiflich machen.

Mit einem grimmigen Lächeln stieg er aus dem Wasser und stapfte zum Lager zurück. Er würde noch heute damit anfangen.

Elizabeth würde er vielleicht nicht zurückbekommen, aber er würde sich niemals um die Gelegenheit bringen lassen, seinem Leben wieder einen anderen Sinn zu geben, als seine Missionen. Und dafür würde er beinahe alles tun.

 

Kyra lief mit rubinroten Wangen, aber hoch erhobenem Kinn zu dem Wagen, vor dem Anna und Jasmin saßen und sie mit großen Augen anstarrten. Ohne ein Wort der Erklärung, stieg sie hinein und ließ sich auf die Matratze sinken. Sie entwirrte ihr Bündel. Anna und das junge Mädchen gesellten sich zu ihr. Wortlos nahm die Vampirin Kyra ihr Kleid aus der Hand und forderte sie auf, sich auf zu richten. Sie gehorchte und Anna half ihr, sich anzukleiden.

Erst als sie wieder in das hellblaue Kleid gehüllt war, begann sie leise zu zischen.

„Dein Bruder ist ein verfluchter Mistkerl.“

Anna schwieg. Sie hätte auch nichts darauf erwidern können.

„Was ist geschehen“, fragte Jasmin leise. Sie hatte damit begonnen, Kyra zögernd und linkisch über ihren Rücken zu streicheln um sie zu beruhigen, da die junge Frau vor Entrüstung zitterte.

Kyra berichtete ihnen, was zwischen ihr und Aidan vorgefallen war.

„Ich verstehe ihn einfach nicht“, schloss sie.

Sie sah Anna an, verlangte stumm eine Erklärung für das Verhalten ihres Bruders.

„Jasmin, würdest du uns etwas zu Essen bringen?“

Das junge Mädchen nickte und verließ den Wagen.

„Aidan ist… nun ja, kompliziert.“

Kyra zog eine Augenbraue hoch.

„Er hasst die Menschen. Sie haben damals seine Familie ermordet. Auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

Das würde seine anfängliche Verachtung erklären.

„Dann hat er Elizabeth kennengelernt. Sie war ein Mensch hatte aber besondere Gaben. Sie war etwas ganz Besonderes für ihn. Er hat sie geliebt, Kyra.“

Sie schluckte.

„Sie ist …gestorben?“

Anna sah sie mit einem bedeutungsvollen Blick zu.

„Sie war vermutlich deine Mutter.“

Kyras Herz blieb stehen.

„Er… er hat meine Mutter geliebt?“

Die Vampirin nickte.

„Elizabeth hatte sich jedoch für deinen Vater entschieden und Aidan beschloss, sie aus der Ferne zu lieben. Als sie ihre Tochter gebar, war er so glücklich. Er stand oft stundenlang über die Wiege gebeugt und hat das Baby betrachtet und leise mit ihm gesprochen.“

Annas Blick richtete sich in die Ferne und die lächelte sanft, als sie sich daran erinnerte. Dann trübten sich ihre Augen.

„Elizabeths Tod hat ihn sehr mitgenommen. Ihm blieb nicht mal ihre Tochter.“

Kyra rannen Tränen über die Wange.

Fast schon meinte sie, den Schmerz, der in seiner Brust wüten musste, zu spüren.

„Seit dem war er nie mehr derselbe. An ihren Gräbern hat er geschworen, dass er niemals mehr eine Andere wollen würde. Er wollte Elizabeth und ihrer Tochter immer treu bleiben. Verstehst du, Kyra?“

Die beiden sahen sich an.

„Er war seinem Schwur immer treu, seit ihrem Tod. Bis du kamst.“

Sie schluckte. Auch wenn sie sich dagegen wehrte, konnte sie ihn dennoch verstehen.

„Glaubt er… glaubt er, dass ich ihre Tochter bin?“ Sie konnte sich nicht überwinden Elizabeths Namen auszusprechen.

„Ich glaube er hat eine Vermutung.“

„Oh Gott, das ist doch der reinste Wahnsinn!“ Aufgewühlt lief Kyra in dem kleinen Raum auf und ab.

Anna nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich.

„Ich bitte dich, finde heraus, ob du wirklich Elizabeths Tochter bist. Ich kann die Hoffnung in seinen Augen nicht ertragen mit der Angst, dass sie zerstört werden könnte. Er ist an dem Tag gestorben, an dem sie beerdigt wurde.“

Kyra schluckte. Der Gedanke, dass Aidan seit nun mehr zweiundzwanzig Jahren litt, schnitt ihr ins Herz.

„Ich werde die Antworten finden. Aber nicht seinetwegen, sondern

meinetwegen.“Anna nickte.

„Ich werde alles vorbereiten. DU musst dieses Dorf erreichen, bevor er dich wieder einfangen kann.“

Jasmin kehrte mit den dampfenden Schalen zurück. Kyra war jedoch zu aufgewühlt, um etwas zu essen. Nur auf Annas mahnenden Blick hin, aß sie ein paar Bissen.

Es war ein ruhiger Nachmittag und ohne das sie Aidan noch einmal sah, legten sie sich für die Nacht nieder. Während Anna und Jasmin schliefen, lag Kyra wach und wartete darauf, dass Ian sich in ihren Wagen schlich, um sie zu wecken.

Jemand rüttelte an ihrer Schulter. Sie erschrak und unterdrückte mit purer Willenskraft einen Schrei.

„Zeit zum Aufbruch, Kyra“, zwitscherte Ian leise.

Sie nickte.

Langsam verließ sie den Wagen. Niemand war in der Dunkelheit zu sehen. Etwas abseits vom Lager stand eines der Pferde, die Satteltaschen vollbeladen.

Sie zögerte kurz.

„Ich soll darauf reiten?“, fragte sie ängstlich.

„Ja, sie ist schnell und sanft. Sie wird dich schon nicht beißen.“ Er kniff ihr aufmunternd in die Wange. Dann half er ihr auf den Rücken des Tieres und versetzte ihm einen Klaps auf die Flanke.

Das Pferd machte einen Satz und trug sie zurück zu ihrem Dorf. Erst unsicher, dann zunehmend selbstsicherer, spornte sie das Tier an. Sie musste so schnell wie möglich zurückkehren. Kyra wusste, dass sie keinen großen Vorsprung hatte, sobald Aidan ihre Flucht bemerkte.

Die Dunkelheit machte ihr nichts aus. Sie sah jetzt sogar noch klarer, als zuvor. Ihre Augen waren schärfer denn je. Ihre sensiblen Sinne durch pflückten die Nacht und sie lenkte das Tier sicher durch den Wald.

Ein lautes Gebrüll durchschnitt den Wald und schreckte jedes Tier in der Umgebung auf.

Aidan verließ den Wagen, in dem seine Schwester und Kyra schliefen.

Nur das Kyra nicht da war. Ihre Kette lag achtlos auf dem Boden und eines der Pferde fehlte. Anna sah ihm nicht in die Augen, als sie nun ebenfalls den Wagen verließ. Ihre Hände waren verkrampft.

„Wo ist sie“, schrie er sie an.

Sie schwieg.

„Anna“, knurrte er warnend.

„Es tut mir leid, Aidan. Kyra wird ihre Fragen beantworten und ich lasse es nicht zu, dass du sie daran hinderst.“

„Sie wird auch ohne diese Antworten leben können!“

Seine Schwester schüttelte den Kopf.

„Du weißt, wer sie sein könnte. Ich will es wissen. Wenn sie wirklich Elizabeths Tochter ist…“

„Du hast es ihr erzählt?“

Anna hob angriffslustig das Kinn.

Er fluchte.

Aidan brüllte einen seiner Männer an. George kam auf ihn zu.

„Ich will, dass du die Frauen in die Stadt bringst.“

„Du wirst ihr folgen?“

„Oh ja, und dann werde ich sie zur Not auch zurückschleifen.“

„Aidan, das darfst du…“

„Lass es einfach, Anna. Ich werde sie zurückholen und so wütend wie ich gerade bin, bete ich darum, dass sie sich weigern wird.“

Seine Schwester erbleichte.

Ein junger Vampir führte seinen Hengst an den zügeln zu ihm und Aidan schwang sich mit einem Satz auf dessen Rücken.

Ohne ein weiteres Wort, ritt er los, folgte Kyras Duft.

Sie war wirklich geflohen. Und er hatte sich dazu entschieden, sie für sich zu gewinnen. Seine Hände schlossen sich fester um die ledernen Zügel. Er würde sie mitnehmen, ganz gleich wie und dann würde er sie in seinem Haus einsperren.

 

Kyras Augen waren gereizt. Sie war müde und ihre Muskeln schmerzten höllisch wegen der ungewohnten Bewegung. Dennoch gönnte sie sich keinerlei Rast, seitdem sie vor einem Tag aus dem Lager geflohen war.

Sie wusste, dass sie noch einen und einen halben Tagesritt von dem Dorf entfernt war. Aidan folgte sicherlich bereits ihrer Spur. Er würde nicht eher Ruhen, bevor er sie nicht eingeholt hatte.

Sie fürchtete sich davor, fürchtete sich davor, niemals ihre Fragen zu beantworten. Sie musste es einfach wissen!

Kyra würde kämpfen, mit allem was sie hatte.

Ihr Griff lockerte sich. Fast wäre sie vom Pferd gefallen. Das Tier war schweißgebadet. Sie musste es trinken und grasen lassen.

Sie zügelte das Tier und saß ab.

Heftig schnaubend ließ das Pferd seinen Kopf sinken, die kräftigen Beine zitterten.

Mitfühlend tätschelte den schweißnassen Hals der Stute.

Ganz in ihrer Nähe sprudelte ein kleiner Bach und grünes, saftiges Gras wuchs um ihn herum.

Dankbar trank das Tier und begann dann an den Grashalmen zu zupfen. Kyra schöpfte sich etwas Wasser ins Gesicht und in den Nacken. Ihr Kleid klebte an ihrer Haut und sie sehnte sich danach, den Schweiß von ihrem Körper zu waschen. Doch ihr blieb keine Zeit dazu. Kyra beschloss, ihr und dem Pferd eine halbe Stunde Ruhe zu gönnen. Erschöpft lehnte sie sich an einen Baum und schloss ihre Augen. Sie seufzte. Noch vor wenigen Tagen hatte sie sich nach Abwechslung gesehnt, hatte gehofft, die bleierne Routine in ihrem Tagesablauf durchbrechen zu können. Und jetzt floh sie vor einem wütenden Vampir durch den Wald und stand kurz davor, das Geheimnis um ihre Herkunft zu lösen. Mit einem ironischen Lächeln musste sie sich eingestehen, dass ihr Wunsch mehr als nur erfüllt wurde. Ein wenig zu gut, nach ihrem Geschmack.

Wie oft hatte sie ihren Großvater spöttisch angelächelt, wenn er von den Legenden mythischer Wesen gesprochen hatte. Und jetzt war sie selbst ein Teil davon. Sie stützte ihren Kopf in die Hände.

In dem Unterholz neben ihr raschelte es.

Sie erstarrte und lauschte gespannt.

Sie hörte etwas durch den Wald schleichen. Kein Mann, wie sie erleichtert feststellte, sondern Tiere. Leises Knurren drang an ihr Ohr.

Wölfe!

Hastig sprang sie auf die Beine und rannte zu dem Pferd. Sie schwang sich auf dessen Rücken und grub dem Tier die Fersen in die Flanken. Es bäumte sich auf, wieherte protestierend und galoppierte dann in den dunklen Wald.

Kyra lauschte auf die Wölfe, doch sie folgten ihr nur langsam. Jetzt war sie Ian dankbar um das schnelle Pferd. Schon bald hatte sie die gerissenen Tiere abgehängt, wusste aber, dass sie ihrer Beute oft durch deren Spuren folgten. Das Pferd schnaufte. Sie verlangsamte die Geschwindigkeit, mit der sie durch das Unterholz brachen. Etwas langsamer trabten sie voran. Kyra lauschte nach etwaigen Verfolgern, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches hören. Erleichtert atmete sie aus. Selbst mit ihrer Stärke und Schnelligkeit, hatte sie kaum eine Chance gegen ein ganzes Rudel Wölfe.

Die Stute lief mit hängendem Kopf durch den Wald und Kyra bekam Mitleid mit dem Tier. Es war genauso erschöpft wie sie selbst, verstand jedoch nicht, warum es zu solchen Qualen gezwungen wurde. Aufmunternd tätschelte sie den Hals des Pferdes und erntete ein leises Schnauben.

„Wenn wir erst bei der Hütte meines Großvaters sind, werde ihr dir so viele Möhren geben, wie du fressen kannst“, versprach sie dem Tier.

Die Ohren stellten sich auf, als ob sie die Worte der jungen Frau verstanden hätte. Kyra lächelte.

Sie ritten weiter, bis die Sonne aufging und selbst Kyra zu erschöpft war, um weiterzureisen. Sie betrachtete aufmerksam ihre Umgebung, nahm aber nichts wahr, dass sie beunruhigt hätte. Sie band die Zügel der Stute an einem herunterhängenden Ast fest und lehnte sich dann gegen den Baum. Sie reichte dem Tier etwas von dem Gemüse, dass sie in ihrer Satteltasche gefunden hatte. Dankbar fraß das Tier von ihrer flachen Hand.

Kyras Augen schlossen sich und sie konnte sich nicht mehr länger wach halten. Sie war so müde, ihr ganzer Körper schmerzte und selbst ihr Pferd würde keinen weiteren Schritt mehr gehen können. Beide brauchten dringend Schlaf. Ihre Augen fielen zu und sie war sofort eingeschlafen. Kein Traum störte ihre Ruhe und die dunklen Schatten unter ihren Augen wurden leichter. Ihre Atemzüge waren tief und sie hatte ihren Mund leicht geöffnet.

Das Wiehern eines nahenden Pferdes hörte sie nicht mehr.

 

 

Erleichternde Erkenntnis

Aidan fand sie schlafend an den Baum gelehnt.

In den letzten eineinhalb Tagen war seine Wut gewachsen und jetzt gärrte sie dicht unter der Oberfläche. Jetzt fand er sie friedlich schlafend, während in seinen Knochen eine bleierne Müdigkeit steckte. Er knurrte. Dann fluchte er, doch selbst als er sich neben sie setzte, wachte sie nicht auf. Er runzelte die Stirn. Sie hatte keine sichtbaren Verletzungen. Prüfend betrachtete er ihre Brust. Sie hob und senkte sich unter tiefen, regelmäßigen Atemzügen. Etwas erleichtert schloss er seine Augen. Sie war weiter gekommen, als er gedacht hatte.

Sein Hengst stand zitternd neben der Stute.

Er hatte ihm alles abverlangt, um sie einzuholen. Sie konnte nicht länger als eine Stunde hier sein. Sie wirkte immer noch erschöpft und ihre Wangenknochen stachen stärker hervor.

Hatte sie etwa nichts gegessen?

Er witterte kurz.

Sie hatte reichlich Nahrung in ihren Satteltaschen.

Seine Wut kochte in ihm hoch und er rüttelte sie unsanft an der Schulter.

Sie riss ihre Augen auf.

„Was…?“ Ihr Blick fiel auf ihn und eine ganze Reihe an Emotionen glitten über ihr zartes Gesicht. Überraschung, Angst, Wut und schließlich Entschlossenheit. Sie wollte aufspringen, doch er packte ihr Handgelenk und zog sie an sich.

„Es hat mich wirklich einige Mühe gekostet, dir zu folgen“, knurrte er.

„Die Mühe hättest du dir sparen können“, zischte sie.

„An deiner Stelle würde ich mich nicht weiter reizen. Ich stehe kurz davor, dich einfach übers Knie zu legen.“

Sie keuchte schockiert auf.

Er grinste höhnisch.

„Ich würde vorschlagen, du gönnst mir eine kleine Verschnaufpause, ehe wir umkehren.“

Sein stahlharter Griff umklammerte weiterhin ihren Arm. Knurrend zog er sie an seine Brust und stütze sein Kinn auf ihren Kopf. Sie in Sicherheit zu wissen, erleichterte ihn auf eine Art und Weise, über die er lieber nicht nachdenken wollte. Sie sträubte sich, bewirkte aber nur, dass er sie noch fester an sich zog.

Sie verharrte, seufzte dann.

„Ich kann noch nicht zurück“, flüsterte sie leise.

Er runzelte die Stirn.

„Und ob du kannst.“

Sie schüttelte ihren Kopf.

„Ich muss zu meinem Großvater zurück. Ich will endlich wissen, wer ich bin.“

„Wir werden Nachforschungen anstellen, sobald wir bei mir zuhause sind.“

„Aber da könnte es schon zu spät sein! Mein Großvater ist sehr krank, wohlmöglich bereits tot!“, rief sie heftig.

Sie hob den Kopf und sah ihn mit diesen meergrünen Augen an.

„Ich kann es einfach nicht riskieren.“

Er sah sie lange an. Der Kampf der in ihm tobte, war ihm deutlich anzusehen.

„Ich bitte dich Aidan. Nimm mir nicht meine einzige Möglichkeit, herauszufinden, wer ich wirklich bin.“

„Es gibt andere Möglichkeiten.“

„Welche? Welche könnte es geben, die meine Fragen genauso schnell beantworten könnten, wie mein Großvater?“

Keine und das wussten beide.

Er schloss die Augen, lehnte den Kopf an den Stamm.

Dann stieß er die Luft aus.

„Wirst du mir versprechen, dass du freiwillig mit mir kommst, sobald du deine Antworten hast?“

Sie stutzte kurz, nickte dann aber.

„Ich werde dich begleiten und sobald wir alles wissen, kehren wir zurück zu mir.“

Sie öffnete erstaunt den Mund, Tränen sammelten sich in ihren Augen, was er bestürzt zur Kenntnis nahm. Dann warf sie ihm die Arme um den Hals und drückte sich an ihn.

„Danke“, flüsterte sie erstickt.

Ihre Reaktion brachte ihn durcheinander. Er hätte nicht gehofft, dass sie ihm deswegen dankbar sein könnte. Er legte seine Arme um sie.

„Du musst wissen, dass auch ich wissen will, wer du bist. Ich möchte endlich verstehen, warum ich auf dich so anders reagiere, als auf jede andere Frau.“

Sie sah ihm in die Augen, versank in den schwarzen Tiefen.

„Auch als…Elizabeth?“

Er erstarrte.

„Ich werde dir diese Frage nicht beantworten“, sagt er leise. Aidan löste seine Umarmung, schob sie von sich.

„Wir sollten und etwas ausruhen, bevor wir weitereiten.“

Verwirrt über seine Reaktion, nickte sie nur und lehnte sich wieder an den Baum, diesmal ein gutes Stück von ihm entfernt. Jedoch fand sie nicht so schnell in den Schlaf wie zuvor. Dieser Mann verwirrte sie und sie dachte noch lange über ihn nach. Er musste Elizabeth wirklich sehr geliebt haben, wenn ihn allein schon die Nennung ihres Namens erstarren ließ.

Aidan lauschte auf ihren Atem, sobald er wusste, dass sie eingeschlafen war. Das Geräusch beruhigte ihn.

Warum musste sie Elizabeth auch ausgerechnet in diesem Augenblick erwähnen.

Sofort war er von einem starken Schuldgefühl befallen worden.

Verdammt, wie er diese Gefühle haste.

Wenn Kyra wirklich Elizabeths Tochter war, konnte er sie umarmen, ohne sich schuldig zu fühlen. Weil er dann eine Teil von ihr in den Armen hielt.

Er hoffte, seit langer Zeit wieder, dass sie es war. Dann würden diese quälenden Gefühle in ihm endlich verstummen.

Langsam dämmerte er in einen leichten Schlaf.

Die Sonne weckte ihn. Der morgendliche Duft kitzelte seine Nase.

Er öffnete die Augen, überprüfte die Umgebung mit all seinen Sinnen. Kyra schlief noch, ihre Augen zuckten hinter den geschlossenen Liedern. Er wollte sie nicht wecken, wollte, dass sie sich noch erholte. Die dunklen Schatten unter ihren Augen waren noch nicht ganz verschwunden.

Er band die beiden Tiere los, wobei er die Zügel der Stute an dem Sattelknauf seines Sattels befestigte. Sanft hob er die junge Frau auf seine Arme. Ihm gelang sogar das Kunststück, sich auf den Rücken des Pferdes zu setzen, ohne das sie aufwachte.

Er barg ihre zarte Gestalt an seine Brust und trieb sein Pferd zu einem leichten Schritt an.

Sie kuschelte sich an ihn, ihre Hand lag sanft auf seiner Brust und er spürte ihre Hitze selbst durch den Stoff seines Hemdes hindurch.

Sein Schaft pochte vor unerfüllter Sehnsucht. Selbst eine so kleine Berührung, vermochte ihn zu erregen.

Ihr Hinterteil ruhte auf seinem Schoss und er zog ihren Rücken an seine Brust. Ihr Kopf fiel auf seine Schulter und sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals.

Sie musste hungrig sein, denn ihre kleine Zunge schnellte hervor, leckte über die Haut an seinem Hals. Er versteifte sich.

Würde sie von ihm trinken? Sich von seinem Blut nähren?

Ihre Fänge schabten über seinen Hals, sein Blut floss schneller, als ob es sie locken wollte.

Die Zähne versanken in seinem Fleisch.

Seine Erektion pochte, der Stoff seiner ledernen Hose engte ihn ein, schmerzte ihn.

Ihre Hände gruben sich in seinen Arm, der die Zügel hielt.

Ihre Klauen sanken, ebenso wie ihre Fänge, in sein Fleisch.

Er stöhnte, presste sie fester an sie.

Kyra riss ihre Augen auf.

Trank sie etwa sein Blut?

Hastig riss sie sich von ihm los und wäre beinahe vom Pferd gefallen.

„Oh Gott…“, stöhnte sie, als sie sich gerade noch an ihm festhalten konnte.

„Kyra!“, rief Aidan.

„Wieso hast du es zugelassen?“

„Du musstest dich stärken. Ich nehme an, du hast nichts gegessen, seitdem du geflüchtet bist?“

Stumm schüttelte sie den Kopf.

„Ich möchte nicht von dir trinken.“ Kyra wandte sich auf seinem Schoß hin und her, reizte seinen schmerzenden Schaft.

„Lass mich hinunter, ich kann selbst reiten.“

Er schüttelte ablehnend den Kopf, sein Griff wurde stärker. Sie stöhnte frustriert auf.

„Aidan!“, rief sie empört.

„Du brauchst Ruhe, Kyra.“

„Ich habe genug geruht. Ich will endlich runter von diesem Pferd.“

Er seufzte ergeben. Dann ließ er sie hinunter gleiten. Ohne jegliches Zaudern, stieg sie auf den Rücken der Stute. Sie tätschelte den Hals des Tieres und lächelte. Noch vor wenigen Tagen hatte sie noch nie auf einem dieser Tiere gesessen und nun ritt sie, als ob sie im Sattel geboren worden wäre. Hastig wandte er seinen Blick ab. Sie saß mit gespreizten Beinen da und der Rock des Kleides hatte sich über ihre Schenkel nach oben geschoben. Wie gerne er diese zarte, weiße Haut gekostet hätte!

Er spornte seinen Hengst an.

„Dann lass uns etwas schneller reiten. Ich will so schnell wie möglich zurückkehren.“ Seine tiefe Stimme klang belegt.

Warum musste er ausgerechnet bei ihr vor Verlangen vergehen?

„Gut“, stimmte sie tonlos zu.

Diese Reise würde eine Qual für ihn werden.

Sie schwiegen eine geraume Zeit, besprachen nur das Nötigste miteinander. Sie hatten kurz gerastet, um die Pferde am Wasser trinken zu lassen und selbst etwas zu sich zu nehmen. Kyras Magen protestierte lautstark, doch sie zwang sich, etwas von dem Brot zu verspeisen, das sie in ihrer Satteltasche gefunden hatte. Aidan war kurz in dem Unterholz verschwunden, er hatte sich seine Mahlzeit gejagt.

Sie sagte sich, dass sie froh sein konnte, dass er ihren Hals nicht als Mahl beansprucht hatte. Und doch fühlte sie einen kleinen Stich. Das einzige Mal, wie er sie gebissen hatte, war sie vor Verlangen außer sich gewesen, dieses Gefühl hatte ihren ganzen Körper durchströmt.

Kyra bemerkte kaum, wie die Sonne unter und wieder aufging. Ihre Sicht veränderte sich kaum und sie verspürte nicht das Bedürfnis, ihren Stand durch das Blätterdach hindurch zu überprüfen.

Nach einem längeren Ritt einigten sie sich darauf, auf einer kleinen Lichtung zu rasten, um zu schlafen. Es war bereits später Nachmittag und am nächsten Tag würden sie das Dorf endlich erreichen.

Mit jedem Schritt, den sie näher kamen, wurde sie nervöser. Ihre Hände zitterten unkontrolliert und sie schluckte um den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, zu vertreiben.

Wollte sie wirklich die ganze Wahrheit erfahren?

Sie war sich nicht mehr so sicher, da sie befürchtete, dass sie etwas erfahren würde mit dem sie niemals gerechnet hätte.

Dann vertrieb sie jedoch ihre Gedanken. Sie würde sich jetzt nicht verrückt machen.

Unruhig drehte sie sich auf dem harten Boden um. Keine Minute später wälzte sie sich wieder herum.

„Kannst du nicht einschlafen?“ Aidans Stimme ließ sie erstarren, es klang so, als ob er sich direkt neben sie gesetzt hatte.

„Es ist nichts“, murmelte sie. Ihr Körper erhitzte sich in seiner Nähe.

Seine Hand legte sich auf ihre Schulter, er drehte sie zu sich herum.

„Bist du nervös, wegen dem, was morgen geschehen wird?“

Traurig sah sie ihn an, unfähig, es zu leugnen.

Da sie sich seinem Griff nicht entzog, hob er sie vorsichtig hoch und setzte sie zwischen seine gespreizten Beine. Ihren schmalen Rücken bettete er an seine Brust, ihren Kopf an seine Schulter gelehnt.

Sie versteifte sich kurz, ließ seine Berührung dann zu, als er mit den Händen sanft über ihre Schultern rieb. Ihre Augen schlossen sich und sie seufzte erleichtert. Kyra schwieg, genoss seine Berührung und fragte sich gleichzeitig, warum die Anziehungskraft sie jedes Mal anzog, obwohl er sie mit seinen Worten von sich stieß. Warum tat er das? Ihre Gedanken wurden immer schwerer, so wie auch ihre Lieder. Sie entspannte sich merklich.

„Wieder besser?“

„Hmmm.“

Er grinste.

Seine Hände wanderten von ihren Schultern über ihre Arme und legten sich dann um ihre Taille und zogen sie enger an sich. Sie murmelte etwas, beruhigte sich dann wieder. Schon bald schlief sie tief und fest und er genoss das Gefühl, sie einfach nur in den Armen zu halten. Dort war ihr Platz. Genau dort gehörte sie hin.

Dieser Gedanke war so machtvoll in ihm, dass es ihn regelrecht erschütterte.

Er schluckte.

Aidan legte seine Wange an ihr Haar. Es war warm und weich und roch leicht nach Lavendel. Er wusste, er würde ihren einzigartigen Duft immer wiedererkennen. Er würde sie immer finden. Schon nach dieser kurzen Zeit war er davon überzeugt. Aidan war ein Jäger, einer der besten seines Volkes. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Der Duft beruhigte ihn. Nun fielen auch ihm die Augen zu und er glitt in einen tieferen schlaf hinein, als er seit Jahren gehabt hatte.

Kyra wusste beim aufwachen einen Augenblick lang nicht, wo sie war.

Dann gewahrte sie die Arme, die um ihren Leib geschlungen waren und sie an eine breite, muskelbepackte Brust schmiegten. Sie versteifte sich, doch als sie Aidans gleichmäßige Atemzüge vernahm, gestattete sie sich, dieses Gefühl in seinen Armen zu liegen einfach nur zu genießen. Sie ließ ihre Hände zaghaft über seine Unterarme gleiten. Er reagierte, in dem er sie enger an sich presste und mit einer Hand langsam ihren Oberkörper hinauf glitt und die Unterseite ihrer Brust streichelte. Sie erschauerte, eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Kyra hielt gespannt den Atem an. Seine Lippen pressten sich auf die weiche Haut an ihrem Hals und sie stöhnte leise auf.

„Oh, Elizabeth“, flüsterte er an ihrem Ohr.

Sie erstarrte.

Elizabeth?

Dachte dieser Mistkerl etwa an sie, während er ihren Körper berührte.

Sie riss sich aus seinen Armen los, sprang auf die Füße und entfernte sich hastig ein paar Schritte von ihm. Aidan riss die Augen auf, starrte sie verwirrt an.

„Was…?“, murmelte er leise.

Sie konnte die Wut, die in ihrem Inneren kochte nur mit Mühe unterdrücken. Kyra ballte ihre schmalen Hände zu Fäusten und hielt sie krampfhaft an ihrer Seite, um sich nicht auf ihn zu stürzen.

„Hattest du einen schönen Traum?“, fragte sie mit ruhiger Stimme durch zusammengebissene Zähne hindurch.

Er runzelte die Stirn. Er hatte tatsächlich geträumt und zwar von Elizabeth, die in seinen Armen dahingeschmolzen war. Plötzlich begriff er.

„Kyra, ich…“

Sie hob die Hand, wandte den Kopf zur Seite.

„Erspar mir deine Erklärungen. Ich will sie nicht hören.“

Mit vor Wut glühenden, silbrigen Augen sah sie ihn an. Ihr Blick schnitt ihm ins Herz.

„ Wage es ja nicht mehr, mich zu berühren, Aidan. Ich will deine Hände nie mehr auf mir spüren.“

Jetzt geriet auch er in Wut.

„Ich habe dein Gespräch mit Anna gehört! Ich weiß dass du dich nach Berührungen sehnen musst.“

Sie schloss kurz vor Scham die Augen, doch dann öffnete sie wieder und die Eiseskälte die in ihnen lag, erschreckte ihn.

„Das mag sein“, gab sie zu.

„Doch das heißt noch lange nicht, dass ich von einem Mann berührt werden möchte, der dabei an eine andere Frau denkt, die wohlmöglich sogar meine Mutter ist!“, schloss sie heftig.

Aidan sagte nichts, es gab nichts, dass er dazu hätte sagen können.

Schweigend wandte sich Kyra ab und band die Stute los. Sie saß mit einer geschmeidigen Bewegung auf, ritt in den Wald. Er folgte ihr.

Das Schweigen lastete schwer zwischen ihnen und Aidan hätte ihr am liebsten irgendetwas gesagt, dass sie beruhigt hätte. Doch sie würde nichts annehmen.

Die Gefühle die ihn während seines Traumes bestürmt hatten, waren so real gewesen, so mächtig, dass er am liebsten für alle Ewigkeit geschlafen hätte, nur um bei Elizabeth bleiben zu können. Durch seine Selbstsucht und seiner verzweifelten Sehnsucht hatte er nun die einzige Frau verletzt, die ihm wohlmöglich von Elizabeth geblieben war. Seine einzige Verbindung zu ihr. Ihre Tochter.

Beide waren in tiefe Gedanken versunken. Den halben Tag lang ritten sie über den unebenen Waldboden und näherten sich immer weiter dem Dorf. Langsam erkannte Kyra den Wald, der das Dorf umgab, roch die salzige Meerluft. Ihr Herz pochte vor Aufregung.

Schon bald gewahrte sie die vertraute Umgebung, die die Hütte ihres Großvaters umgab. Sie saß ab, führte das Pferd an den Zügeln.

Ihr Atem war hektisch und ihre Hände zitterten. Aidan betrachtete sie mit besorgter Miene. Am liebsten hätte er sie beruhigend in die Arme genommen, er wusste jedoch, dass sie es nicht zulassen würde. Nicht nachdem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Kyra blieb unschlüssig stehen, als sie die Hütte erblickte.

„Ich habe Angst“, flüsterte sie leise. Sie schloss die Augen.

„Kyra.“

Aidan trat hinter sie, legte die Hände auf ihre schmalen Schultern. Sie zuckte zusammen, entzog sich seinem Griff jedoch nicht. Ihr Körper bebte.

„Beruhige dich, meine Kleine.“

Er spürte, wie sie tief Luft holte, dann entzog sie sich seinem Griff und er musste sich davon abhalten, sie wieder in seine Arme zu ziehen.

Entschlossen straffte sie ihre Schultern und ging dann langsam auf die Hütte zu.

Doch kurz bevor sie die Tür öffnen konnte, blieb sie stocksteif stehen.

Eine Eiseskälte fuhr über ihren Körper und sie konnte sich nicht mehr bewegen.

„Aidan!“, rief sie entsetzt.

Sofort war er bei ihr und zog sie an sich.

„Das ist der Bann. Er hindert uns daran, die Hütte zu betreten.“

„Nein“, schluchzte sie.

Zitternd legte sie die Hand an die unsichtbare Mauer.

„Ich konnte doch sonst immer die Hütte betreten.“

„Du hast dich seitdem verändert, Kyra.“

„Oh Gott“, keuchte sie auf.

Sie wusste, was er meinte. Sie war mehr und mehr zu einem Vampir geworden und nun hielt sie dieser Bann davon ab, ihr Heim zu betreten. Entschlossen hob sie den Kopf. Sie würde diese Hütte betreten und alles tun, was dafür nötig war.

„Ich gehe rein“, sagte sie leise.

„Du kannst diesen Bann nicht durchbrechen.“

„Ich werde es.“

Mit diesen Worten legte sie beide Hände auf die eiskalte Mauer und drückte sich mit ihrer ganzen Kraft dagegen.

„Du wirst mich daran hindern, mein Zuhause zu betreten. Niemand wird das!“, zischte sie entschlossen.

Sie fühlte, wie der Bann etwas nachgab.

„Kyra!“, rief Aidan, doch sie ignorierte ihn, blendete ihn aus ihrem Bewusstsein aus.

Sie begann ihre Hände über den Bann zu reiben, glaubte kleine Erhebungen zu spüren, drückte sie mit aller Kraft.

Langsam trat sie einen Schritt vor und dann noch einen.

„Niemand“, flüsterte sie leise immer und immer wieder.

Immer weiter drückte sie den Bann zurück, spürte ihn schwächer werden, dünner.

Mit einem Aufschrei stieß sie ihre Hände in den Bann und riss sie auseinander. Sie hörte ein reißendes Geräusch und stand plötzlich genau vor der hölzernen Tür der Hütte.

Erschrocken drehte sie sich um und starrte Aidan an.

Er sah sie genauso schockiert an.

„Der Bann…er ist weg“, sagte sie. Langsam breitete sich ein freudiges Lächeln auf ihren Lippen aus. Aidan starrte sie immer noch an.

Keinem seiner Brüder war es möglich gewesen, diesen Bann zu durchbrechen und ausgerechnet diese kleine Frau hatte es geschafft.

Die magische Kraft in ihr musste stark sein. Genau wie es bei Bryant gewesen war.

Kyra drehte sich um und öffnete die Tür.

„Großvater?“, rief sie, bekam aber keine Antwort.

Besorgt suchte sie das Innere mit den Augen ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. Auch in seinem Bett lag er nicht, als sie hastig nachsah.

„Er ist nicht hier.“

Aidan sog witternd die Luft ein.

„Hier ist schon seit fast einem Tag niemand mehr gewesen.“

Sie erbleichte.

„Oh Gott, wohlmöglich sucht er nach mir, irgendwo in den Wäldern. Kannst du ihn aufspüren?“ Sie blickte ihn mit großen, flehentlichen Augen an. Sein Herz zog sich zusammen. Er schloss die Augen, konzentrierte seine Sinne auf den Geruch nach Blut und Krankheit in der Hütte. Er nahm ihn überall in der Umgebung wahr, dann bemerkte er noch etwas. Jemand war hier gestorben. Der Gestank des Todes wurde von den anderen Gerüchen beinahe überlagert. Er öffnete die Augen, sah sie an. Kyra zog scharf den Atem ein. Sie hatte in seiner Miene gelesen, was er nicht auszusprechen wagte.

„Nein“, flüsterte sie, die Hand auf ihre Brust gepresst. Aidan streckte den Arm nach ihr aus. Sie zuckte vor ihm zurück.

„Er sucht nach mir, irgendwo dort draußen.“

Die Verzweiflung in ihrer Stimme brach ihm das Herz.

„Ich kann den Tod in dieser Hütte wahrnehmen. Jemand ist hier drinnen gestorben.“

Sie schüttelte heftig den Kopf.

„Kyra, er war krank. Er hätte nicht mehr lange gelebt und das wusstest du.“

Ihre blaugrünen Augen blitzten und hefteten sich auf ihn. Der Hass in ihnen schockierte ihn zutiefst.

Ohne ein Wort lief sie den schmalen Pfad zu dem Dorf entlang. Er folgte ihr in einigem Abstand.

Sie betrat den kleinen Dorfplatz und lief geradewegs zu dem Wirtshaus, aus dem sie Stimmen vernahm. Ruckartig öffnete sie die Tür und betrat den Schankraum.

Sie fünf Männer drehten sich zu ihr um, ihre Augen weiteten sich bei ihrem Anblick vor Überraschung.

Kyra spürte, wie sich Aidan direkt hinter ihr aufbaute. Er füllte den Türrahmen mit seiner Gestalt zur Gänze aus, obwohl dieser nicht gerade klein war.

„Wo ist mein Großvater?“, fragte sie die Männer.

Der Wirt ging einen Schritt auf sie zu. Unter seinen Augen, sowie denen der anderen Männer, lagen dunkle Schatten, die von schlaflosen Nächten zeugten.

„Kyra“, murmelte er verblüfft.

„Wir dachten, du wärst auch entführt worden.“

Ihr gelang es gerade noch, eine überraschte Miene aufzusetzen.

„Entführt?“, fragte sie und hoffte, ihre Stimme verriet sie nicht.

„Jemand hat unsere Mädchen entführt“, stieß der alte Harrison wütend hervor.

Seine Faust donnerte auf den massiven Holztisch und Kyra schrak zusammen.

Sie durfte auf keinen Fall preis geben, dass sie wusste, wer die jungen Frauen und Mädchen entführt hatte.

„Es tut mir Leid, das wusste ich nicht“, sagte sie leise.

„Wer ist der Kerl hinter dir?“

Kyra überlegte fieberhaft.

„Ich habe ihn im Wald getroffen und er hat mich mit in sein Dorf genommen“, schwindelte sie, wobei sie sich so nah wie möglich an die Wahrheit hielt.

„Ein Fremder“, knurrte der Wirt.

„Wo ist mein Großvater?“, wiederholte Kyra ihre Frage.

Aidan legte ihr eine Hand auf die Schulter.

James trat aus dem Kreis der Männer, seine Miene drückte tiefe Genugtuung aus.

„Wir haben ihn gestern früh begraben. Lag mausetot in der Hütte.“

Kyra keuchte entsetzt auf.

„Er ist tot?“

„So tot wie das Wild, dass ihr jagt“, sagte James mit einem Grinsen.

Ihr wurde übel und sie konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Aidan legte einen Arm um ihre Taille, zog sie an seine Brust. James musterte ihn, als ob er sich an ihn erinnerte.

„Dein Großvater gab mir einen Brief für dich. Ich sollte ihn dir geben, falls ihm etwas zustoße.“

Mr. Harrison ging auf sie zu.

Mitfühlend tätschelte er ihre Schulter.

Im geheimen hatte er die junge Frau immer bewundert, die mit bemerkenswerter Stärke ihr Schicksal ertrug.

Er ging ihr voran zu seinem kleinen Haus. Kyra und Aidan warteten vor der Tür. Der alte Mann kam aus dem Haus und gab ihr ein gefaltetes Stück Papier.

Kyra runzelte verwirrt die Stirn.

„Woher hatte er das Papier?“

„Er hat es mir vor Jahren einmal abgekauft.“ Harrison ließ sie beide alleine und gesellte sich zu den Männern, die das Wirtshaus verlassen hatten und die junge aus der Entfernung beobachteten.

Kyra schluckte und faltete das Blatt Papier auseinander.

Ihr traten die Tränen in die Augen, als sie die Handschrift ihres Vaters erkannte. Sie war leicht verzerrt, als ob er schmerzen beim Schreiben gehabt hätte.

Langsam begann sie zu lesen.

 

Mein geliebtes Kind,

 

ich habe etwas Schreckliches getan und nun bin ich nicht mehr auf dieser Welt, um es dir zur erzählen. In der Vergangenheit habe ich dir nie die Wahrheit über mich und deine Eltern erzählt und ich habe es auch nie über mein Herz gebracht. Ich habe dich geliebt, wie meine Tochter, die vor so vielen Jahren von grausamen Kreaturen getötet wurde.

Lass mich von Anfang an erzählen.

Vor beinahe fünfundzwanzig Jahren war ich verheiratet und lebte mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter in einer kleinen Stadt. Ich war Hauslehrer und liebte mein Leben. Bis blutsaugende Monster meine Familie wie Vieh abschlachteten und mir alles nahmen, was ich hatte.

Getrübt von der Trauer schloss ich mich einer Gruppe an, die sich zum Ziel gesetzt hatte, diese Monster zur Strecke zu bringen.

Mehrere Jahre lang tötete ich Vampire und andere Kreaturen, bis wir einen gutbezahlten Auftrag erhielten. Wir wurden auf eine Familie angesetzt.

Wir wussten, dass der Mann ein Vampir war, die Frau jedoch nicht. Wir wussten nur nicht, dass sie bereits ein Kind hatten.

Dieses Kind, Kyra, warst du.

Meine Männer töteten deine Eltern, doch als ich vor deiner Wiege stand, konnte ich es nicht übers Herz bringen, deinem jungen Leben ein Ende zu setzen. Du hast mich so sehr an meine kleine Lisa erinnert.

Ich nahm dich aus deiner Wiege, täuschte meinen eigenen Tod vor und floh mit dir in dieses Dorf, um dort ein neues Leben mit dir zu beginnen.

Auch wenn ich deine Eltern nicht selbst getötet habe, bin ich doch mit für ihren Tod verantwortlich und ich weiß, dass ich mit dieser Sünde leben muss.

Mir ist bewusst, dass du dich dein ganzes Leben lang gefragt hast, warum du so anders bist. Es liegt daran, dass du zur Hälfte ein Vampir bist. Ich hatte immer gehofft, dass du nie zu einem dieser blutrünstigen Monster wirst und ich bete immer noch dafür. Ich weiß, du wirst mir meine Tat nicht verzeihen, doch ich bitte dich darum.

Ich liebe dich, Kyra.

Ich habe dich immer wie meine Tochter geliebt und ich bin froh, dass ich diese Zeit mit dir verbringen durfte.

Lebe wohl, geliebtes Kind.

 

Tränen tropften auf das Papier und die Tinte verschwamm leicht.

Kyra schluchzte auf, schlug die Hände vor das Gesicht. Aidan nahm sie zärtlich in die Arme, drückte ihren Kopf an seine Brust. Sie bebte am ganzen Körper und ihre Tränen durchnässten sein Hemd.

Das Papier lag in ihrer zur Faust geballten Hand.

Vorsichtig entwand er ihr den Brief und las ihn nun selbst.

Das, was dort geschrieben stand, riss ihm den Boden unter den Füßen weg.

Oh Große Lima, sie war es.

Kyra war Elizabeths Tochter!

Er presste sie fester an sich, er zitterte nun ebenfalls.

Aidan hatte nicht zu hoffen gewagt und doch war ein Teil von Beth zu ihm zurückgekehrt.

Abrupt vernahm er schwere Schritte, die sich ihm näherten. Sein Kopf ruckte nach oben und er sah James vor sich stehen.

„Ich kenne dich“, sagte er zornig.

Kyra verstummte und krampfte sich in seinen Armen zusammen.

„Du warst der Kerl in dem Wald!“, rief er nun.

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, sagte Aidan leise, drohend.

„Ey, Harrison. Dieser Kerl hier, ist ein paar Nächte vor der Entführung der Mädchen in dem Wald um unser Dorf geschlichen.“

Aidan hatte dem Mann am liebsten erwürgt. Er verfluchte sich, dass er nicht mehr an den Mann gedacht hatte, der Kyra durch den Wald gejagt hatte.

„Stimmt das, James?“

Die Männer kamen drohend näher.

Kyra sah sie an.

„Nein, das ist nicht wahr“, sagte sie. Ihre Stimme war rau vom weinen.

„Oh doch! Ich habe ihn gesehen. Er gehört zu den Männern, die Helena und die anderen entführt haben. Und diese Schlampe hat ihnen dabei geholfen“, zeterte James.

„Seht euch doch ihr feines Kleid an! Bist wohl recht gut für deine Hilfe bezahlt worden!“

Kyra keuchte erschrocken.

„Das stimmt nicht.“

Aidan zog sie hinter sich und schirmte sie vor den Männern ab.

Sie kamen bedrohlich näher. In ihren Händen lagen Messer und Harrison öffnete einen kleinen Lederbeutel. Der Duft, der aus ihm empor stieg, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Diese Kräutermischung diente dazu, Vampire zu betäuben, sodass sie sich nicht wehren konnten.

„Kyra, lauf zurück zu den Pferden und flieh“, zischte er ihr leise zu.

„Was geht hier vor?“ Ihre Stimme war leise, beinahe schläfrig. Die Kräuter entfalteten bereits ihre Wirkung.

„Verdammt!“, flüsterte er.

Er wirbelte herum und packte ihre Schultern, rüttelte sie heftig.

„Flieh“, rief er. Dann stieß er sie von sich.

Die Männer stürzten sich mit lautem Gebrüll auf ihn.

Der Beutel wurde an seine Nase gedrückt und sein Körper erschlaffte. Kraftlos sank er auf den Boden, zwei Männer über ihm.

„Aidan“, schrie Kyra.

Sie stand noch immer neben ihm.

James näherte sich ihr mit einem boshaften Grinsen.

„Du kleine Hure, jetzt kannst du nicht mehr fortlaufen.“

Seine Hände packten sie, rissen an sich. Sein Mund presste sich auf ihren, bevor sie den Kopf abwenden konnte.

Ihr Körper schien gelähmt zu sein, sie konnte sich kaum noch bewegen.

„Aidan“, rief sie schwach. Kyra begriff nicht, was gerade geschah, zu viel passierte auf einmal.

Aidan kämpfte gegen die Männer an, konnte sich aber nicht befreien. Die Kräuter betäubten ihn und sie hielten ihn mühelos fest.

„Wo sind die Mädchen?“, fragte einer von ihnen.

Er antwortete nicht. Sein Blick war auf Kyra gerichtet, die von James zu Boden gestoßen wurde. Ihr panischer Gesichtsausdruck versetzte ihm einen Stich. Er musste zu ihr und sie befreien. James welzte sie herum. Sein lüsterner Blick glitt über ihre zarte Gestalt.

„Antworte mir, du Bastard!“, schrie ein Mann.

„James, lass die Schlampe in Ruhe und hilf uns hier“, rief ein anderer.

„Vergiss es, ich werde mir das hier nicht entgehen lassen!“

„Dann mach es nicht hier, die Frauen könnten dich sehen. Bring sie in den Wald.“

James hob Kyra auf seine Arme und trug sie in den dunkler werdenden Wald.

„Kyra“, brüllte Aidan. Angst stieg in ihm auf.

Er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß.

Ein Schlag traf ihn mitten ins Gesicht. Blut füllte seinen Mund. Aidan fluchte.

„Wo sind sie?“, fragte Harrison ihn. Seine Stimme war beinahe ruhig.

Aidan funkelte ihn mit silbrigen Augen an.

„Oh Gott“, flüsterte der alte Mann.

„Er ist ein Monster!“, schrie er dann.

„Was?“, kreischten die anderen einstimmig.

Aidan bleckte seine Fänge und schlug sie in die Hand, die seinem Gesicht am nächsten war.

Der Mann schrie schmerzverzerrt auf und riss seine Hand zurück. Eine große, klaffende Wunde prangte auf seinem Handrücken. Blut tropfte auf den Boden.

Die Männer lockerten ihren Griff und Aidan konnte sich losreißen. Er kämpfte sich auf die Füße, schnappte sich den Beutel mit den Kräutern und warf ihn so weit von sich, wie es ihm möglich war. Die Männer starrten dem davonfliegenden Kleinod hinterher.

Nach und nach kehrte seine Stärke zurück und die Taubheit verließ seine Glieder.

„Tötet in!“, befahl Harrison und die Männer stürzten sich mit gezückten Messern auf ihn.

Aidan wehrte ihre Angriffe ab und versetzte ihnen ein paar Schläge und Tritte und die Männer taumelten getroffen zurück.

Mit übermenschlicher Geschwindigkeit packte er Harrison an der Kehle und versenkte seine Fänge in seinen Hals.

Der alte Mann keuchte auf, als Aidan gierig trank, bis er sich nicht mehr bewegte.

Aidan ließ den Mann zu Boden sinken. Dann rannte er in den Wald. Er konnte Kyras leise Schreie hören.

James hatte ihren Rock über ihre Beine nach oben geschoben und kniete zwischen ihren gespreizten Beinen. Mit schwachen Fäusten trommelte sie auf seine Brust ein, doch sie war noch zu betäubt. Die Kräuter hatten sie gelähmt und sie war nicht nicht stark genug, deren Wirkung schnell abzuschütteln.

James war gerade dabei, seine Hose zu öffnen. Aidan riss ihn zurück und brach ihm mit einem befriedigenden Knacken sein Genick. James blieb regungslos auf dem Waldboden liegen, die Hose geöffnet.

„Kyra!“, rief Aida und kniete sich neben sie.

„Aidan“, sagte sie schwach. Sie versuchte sich aufzurichten, sank jedoch kraftlos zurück.

Schwere Schritte näherten sich ihnen.

Hastig hob er Kyra auf seine Arme und rannte tiefer in den Wald. Sie beide waren nicht in der Verfassung, sich den Männern zu stellen.

Er lief auf direktem Weg zu der Hütte. Dort angekommen, riss er die Zügel seines Hengstes von dem Ast, an dem er sie befestigt hatte, schwang sich auf den Rücken des Tieres und trieb ihn zu einem harten Galopp an. Die Stute ließ er zurück, er musste so schnell wie möglich diesen Ort verlassen.

Kyra hatte die Augen geschlossen und lag schlaff in seinen Armen. Ihr Atem war leicht und flach.

„Kyra, bleib wach!“, rief er.

Sie öffnete ihre Augen, ihr Blick war unstet.

„Ich bin müde“, sagte sie leise. Ihre Lieder schlossen sich wieder.

„Verdammt!“

Er ritt noch schneller. Er konnte die Männer hinter sich nicht mehr hören und wusste, dass sie sie nicht mehr verfolgten. Sicherheitshalber ritt er noch gut eine Stunde, bevor er sein Pferd zügelte und anhielt.

Er saß ab und ließ sich kraftlos gegen einen Baum gelehnt auf den Boden sinken, Kyra auf seinem Schoß. Seine Augen schlossen sich und er wusste, dass er schlafen musste, bevor er weiterreiten konnte. Doch das, was er gerade erfahren hatte, hielt ihn wach. Sein Verstand konnte noch immer nicht ganz begreifen, dass Kyra wirklich die Tochter von Elizabeth und Bryant war. Das kleine Mädchen, das ihn so süß angelächelt hatte, als er sich über ihre Wiege gebeugt hatte und mit winzigen Händchen seine Finger ergriffen und auf seiner Haut herumgekaut hatte. Wie sie vor Freude gequietscht hatte, als er sie auf seinen Armen hielt und sie am Bauch kitzelte.

Er sah auf Kyra hinab, die friedlich an seine Brust gelehnt schlief. Ihre langen, schwarzen Wimpern bildeten einen fächerförmigen Kranz auf ihren blassen Wangen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Sie war so zart und klein.

Und sie war sein.

Die Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Schlages.

Sie war Elizabeths Tochter und durch sie war ein Teil von ihr zu ihm zurückgekehrt. Er hatte zu ihrer Tochter immer eine besondere Bindung gespürt, als hätte er gewusst, dass sie, sobald sie erwachsen gewesen war, die Seine werden würde. Und jetzt hielt er sie in seinen Armen.

Er grinste, hauchte einen zarten Kuss auf ihr Haar.

„Endlich, habe ich dich wieder.“

Nun könnte er endlich die Schuldgefühle abschütteln, weil er eine andere Frau begehrte als Elizabeth. Kyra war ihre Tochter und durch diesen Umstand, würde er seiner geliebten Beth nicht untreu werden.

Aidan drückte ihre schlafende Gestalt fester an sich.

Bald fielen auch ihm die Augen zu und er sank in einen leichten Schlaf, um die betäubende Wirkung der Kräuter, die noch immer in seinem Körper nachklang, abzuschwächen. Er würde ihnen beiden nur etwa zwei Stunden Ruhe gönnen und dann würden sie sich beide auf den Weg in sein Heim, in ihrer beider Heim, machen.

 

Kyra erwachte schlagartig.

Die Schwäche, die sich ihrer bemächtigt hatte, war von ihr abgefallen und sie versuchte sich aufzurichten. Musste jedoch etwas entsetzt feststellen, dass sie eng an Aidan geschmiegt dasaß. Er schlief noch, wachte auch nicht auf, als sie behutsam seine Arme von ihrem Leib löste und aufstand. Sie trat zu dem schwarzen Hengst, strich behutsam über den schlanken Hals.

Ihr Großvater war Tod.

Nur, dass er gar nicht ihr leiblicher Großvater war, dachte sie benommen. Er hatte sie aus dem brennenden Haus ihrer ermordeten Eltern entführt und ihr somit das Leben gerettet. Konnte sie ihn deswegen hassen?

Nein, das konnte sie nicht.

Er hatte sie gerettet, sich um sie gekümmert und ihr alles beigebracht, was er wusste. Und nun war er nicht mehr da. Ihr Großvater war vollkommen alleine in der kleinen Hütte verstorben mit der Sorge um sie, da sie nicht von ihrem Bad zurückgekehrt war. Wie musste er sich gefühlt haben?

Ihr Blick fiel auf den schlafenden Mann.

Aidan hatte sie entführt, sodass sie nicht bei ihrem Großvater sein konnte und er seinem Ende allein entgegentreten musste.

Hass brodelte in ihrem Inneren.

Niemals würde sie ihm verzeihen, dass er sie daran gehindert hatte, William in seiner schwersten Stunde beizustehen.

Tränen traten in ihre Augen und sie schmiegte ihr Gesicht an den Hals des Pferdes. Der Hengst schnaubte leise und drehte den Kopf zu ihr, als ob er sie trösten wollte.

Starke Hände legten sich auf ihre Schultern.

Sie schrak zusammen, versteifte sich und wich vor der Berührung zurück.

„Kyra…“, sagte Aidan leise, doch sie schüttelte nur den Kopf.

„Ich habe dir gesagt, dass du mich nie wieder anfassen sollst“, murmelte sie leise.

„Ich dachte…“

Wütend wirbelte sie zu ihm herum, die Augen silbrig blitzend.

„Was dachtest du? Dass ich es nicht ernst gemeint habe?“

„Nach dem was wir erfahren haben, ja, das dachte ich“, erwiderte er zornig.

„Es ändert rein gar nichts.“

Der Ausdruck in ihren Augen schnitt ihm ins Herz.

„Mein Großvater ist deinetwegen ganz alleine in seiner Hütte gestorben. Du bist schuld daran, dass ich nicht bei ihm sein konnte.“

„Verdammt, du weißt doch, dass er gar nicht dein leiblicher Großvater ist“, brauste Aidan auf.

„Er war die einzige Familie, die ich je gekannt habe. Er hat mir alles beigebracht, was ich heute weiß und er hat mir immer wieder gut zugeredet, wenn ich mich verletzt hatte. Mein Großvater ist zwar nicht mit mir blutsverwandt, aber er ist dafür um so vieles mehr als nur das.“

Beide atmeten schwer vor unterdrückter Wut.

„Hast du etwa vergessen, dass er an dem Mord deiner Eltern beteiligt war?“

„Oh, anscheinend hast du etwas vergessen, Aidan“, zischte sie.

„Er hat sich gegen seine Befehle gestellt und mich gerettet. Außerdem wurden sie beauftragt meine Eltern zu ermorden.“

Mit einem eisigen Blick fügte sie hinzu:

„Meine Eltern kenne ich nicht. Ich weiß nicht, wer sie waren und selbst wenn, würde ich um nichts in der Welt die Zeit mit meinem Großvater eintauschen wollen.“

Kyra wandte sich ab und ließ ihn sprachlos stehen.

„Du würdest so etwas niemals behaupten, wenn du wüsstest, wie Elisabeth gewesen ist!“

„Es geht hier aber nicht nur um Elisabeth!“, schrie sie zurück.

„Du vergisst meinen Vater. Und ich weiß, was meine Mutter dir bedeutet hat. Sie hat sich aber für Bryant entschieden, nicht für dich. Und ich werde es ebenfalls nicht tun.“

Aidan erstarrte.

„Was willst du damit sagen?“

„Das soll heißen, dass ich nicht von dir berührt oder sogar verführt werden möchte. Sobald wir bei Anna und den anderen sind, werde ich mir einen Mann suchen, den ich lieben kann und der mich um meiner selbst willen haben will und nicht weil ich die Tochter der Frau bin, an der sein Herz hängt.“

„Verdammt, ich wollte dich schon, bevor ich wusste, dass du ihre Tochter bist!“

„Und dennoch hast du mich immer wieder von dir gestoßen, sobald der Name meiner Mutter fiel, oder leugnest du es? Und was ist mit William, mit meinem Großvater? Kannst du es abstreiten, dass dein Verhalten mich daran gehindert hat, bei ihm zu sein, während er starb?“

Er schluckte. Er konnte es nicht.

„Wusste ich es doch.“

Sie löste die Zügel von dem Ast und hielt sie ihm hin.

„Lass uns aufbrechen. Ich will so schnell wie möglich zu Anna zurück.“

Mit zusammengepressten Lippen nahm er die Zügel und schwang sich auf den Rücken des Hengstes. Als er sich jedoch zu ihr herunterbeugen wollte, um sie vor sich auf den Sattel zu ziehen, wich sie ihm auf.

„Ich werde nicht mit dir auf einem Pferd sitzen. Ich laufe.“

Mit diesen Worten ging sie los.

Er fluchte ausgiebig. Dann folgte er ihr, packte sie um die Taille und zog sie zu ihm hinauf. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, doch sobald sie sicher auf dem Sattel saß, schwang er sich von dem Hengst und führte das Pferd an den Zügeln.

„Ich laufe, du brauchst Ruhe.“

„Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.“

„Ich habe Elisabeth einmal geschworen, auf dich aufzupassen, sollte ihr etwas zustoßen.“

Ihr Blick bohrte sich in seinen Rücken, er konnte es förmlich spüren.

„Wo warst du dann die letzten zweiundzwanzig Jahre meines Lebens?“

Die Muskeln in seinem Rücken verkrampften sich

„Ich dachte, du wärst mit deinen Eltern zusammen in ihrem Haus verbrannt.“

Sie schwieg.

Der dunkle Himmel wurde von den hellen Strahlen der aufgehenden Sonne aufgebrochen. Der Morgen graute. Kyra sog tief die frische Luft ein, um sich daran zu hindern, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Der Schmerz über den Tod ihres Großvaters wütete in ihrem Inneren, gemischt mit dem Hass auf den Mann, der vor ihr herging. Ihr Gefühlschaos wurde noch von der Erleichterung darüber, dass sie endlich wusste, wer ihre Eltern war, durchdrungen. Sie wollte mehr über sie erfahren, doch sie weigerte sich, Aidan zu fragen. Ohne jeglichen Grund, durchfuhr sie jedes Mal ein scharfer Stich, wenn er mit zärtlicher Miene von ihrer Mutter sprach. Selbst wenn sie ihren Hass überwinden könnte und sich ihm hingab, würde sie immer im Schatten ihrer Mutter stehen. Sie wollte, dass er sie um ihrer selbst Willen liebte, nicht weil sie war, wer sie war.

Hastig schüttelte sie den Kopf.

Sie würde Aidan niemals lieben.

Kyra könnte sich in der Stadt, von der er gesprochen hatte, ein neues Leben aufbauen und vielleicht würde sie sogar jemanden finden, mit dem sie die Familie gründen konnte, nach der sie sich so sehr sehnte.

Ein langer, durchdringender Schrei unterbrach ihre Gedanken.

„Was war das?“

Aidan zuckte mit den breiten Schultern.

„Es klang nach einem Menschen.“„Willst du nicht nachsehen, warum er geschrien hat?“

„Warum sollten wir? Unsereins mischt sich nicht in menschliche Angelegenheiten ein.“

„Aber er könnte verletzt sein!“

„Falls ihn jemand angegriffen hat, hatte er vermutlich einen guten Grund dafür.“

Sie sah ihn entsetzt an.

„Du bist so kalt“, flüsterte sie.

Ein weiteres Schulterzucken.

„Ich habe zuviel erlebt, um zu wissen, dass es besser ist, sich nicht in die Angelegenheiten von anderen einzumischen. Du wirst es auch noch lernen.“

Arroganter Mistkerl.

Mit mürrisch verzogenem Mund lehnte sie sich auf dem Pferderücken zurück. Sie konnte ihn nicht verstehen. William hatte sie gelehrt, ihren Mitmenschen gegenüber immer hilfsbereit zu sein, da sie nie wissen konnte, wann sie deren Hilfe benötigen würde.

Sofort wurde sie von neuerlicher Trauer überflutet. Ihr tat es leid, was ihrem Großvater wiedefahren war.

Außerdem fragte sie sich, wer ihn beauftragt haben konnte, ihre Eltern zu ermorden. Würde sie es je ihn Erfahrung bringen? Nun, zumindest würde sie alles dafür tun.

„Warum konnte ich mich nicht bewegen, als die Männer aus dem Dorf uns angegriffen haben?“, unterbrach sie das eisige Schweigen.

„Dieser Harrison hatte einen kleinen Lederbeutel, in dem befanden sich verschiedene Kräuter, die eine lähmende Wirkung auf unsereins haben.“

„Warum konntest du dich dann befreien? Du bist kein Mischling so wie ich.“

„Die Wirkung war bei dir stärker, weil du noch nicht stark genug bist, um solche Betäubung schnell abzustreifen.“

„Wieso bist du dann überhaupt zu Boden gegangen?“

„Sie haben mir die Kräuter direkt unter die Nase gehalten.“

„Als James mich in den Wald gebracht hatte, konnte ich mich trotzdem nicht bewegen. Ich hab mich so hilflos gefühlt. „

Ruckartig wirbelte er zu ihr um, sah zu ihr hinauf.

„So etwas werde ich nie mehr zulassen, ob du meinen Schutz nun willst oder nicht. Du bist nun in meiner Obhut, bis wir die Stadt erreichen.“

Sie sagte nichts, sah ihn einfach an, ihr Blick durchdringend.

„Ich weiß rein gar nichts, über die Welt außerhalb dieses Dorfes. Und jetzt ist diese unbekannte Welt sogar noch merkwürdiger geworden, als sie schon war.“

Er nickte.

„Aidan, ich will herausfinden, wer meinen Großvater beauftragt hat, meine … Eltern zu ermorden.“

Er hatte das leichte Zögern in ihrer Stimme nicht überhört.

„Du kannst es immer noch nicht glauben, nicht wahr?“

„Wenn man mal bedenkt, dass ich in den letzten Tagen entführt wurde, von der Existenz legendärer Wesen erfahren habe und auch noch feststellen musste, dass ich zur Hälfte eben dieser Wesen angehöre. Zudem ist in dieser Zeit mein Großvater gestorben und alles, was bisher mein Leben ausgemacht hat, liegt nun hinter mir und ich stehe im nichts, auf dem Weg zu einem Ort, den ich mir noch nicht mal vorstellen kann. Ich finde, dafür schlage ich mich sogar ganz gut.“

„Das ist wohl wahr.“

Traurig lächelnd ging er weiter.

„Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie ich reagieren würde, wäre ich in derselben Situation wie du.“

„Ich wünsche es niemandem. So von den Menschen losgelöst habe ich mich nicht mal gefühlt, als sie mich gemieden haben.“

Nach kurzem zögern fügte sie hinzu:

„Ich wünsche es noch nicht mal dir.“

Abrupt blieb er stehen, wirbelte zu ihr herum.

„Nicht einmal mir?“ Seine Stimme war ruhig.

„Ja“, bestätigte sie einfach.

„Ich bin nicht dein Feind, Kyra“, knurrte er.

„Du hast dich in den letzten Tagen aber wie ein solcher verhalten!“, rief sie aufgebracht.

Aidan hob sie vom Pferd und presste sie fest an sich.

„Ich werde niemals dein Feind sein!“

„Lass mich los!“, schrie sie aufgebracht, gefährlich nahe, an einem neuerlichen Tränenausbruch.

„Niemals, Kyra. Ich werde dich niemals gehen lassen. Du wirst die Meine sein, ganz gleich, wie sehr du dich dagegen sträubst.“

Sein Mund senkte sich auf ihren, erstickte ihren Protest.

Zornig drängte sich seine Zunge in ihren Mund, wollte sie seine Überlegenheit spüren lassen, wollte sie unterwerfen.

Mit den Fäusten trommelte sie wütend auf seine Brust, konnte etwas brechen spüren. Und dennoch ließ er nicht von ihr ab. Sein Kuss wurde inniger, verführte sie, ihm zu antworten, sich ihm hinzugeben. Ihr Wiederstand erlahmte, ihre Hände streichelten nun seine Brust und er knurrte zustimmend. Kyra schmiegte sich an die Härte seines Körpers, genoss die Gefühle die sie durchströmten. Sie fühlte sich lebendig. Die Trauer überkam sie, der Schmerz wütete in ihrem Inneren. Tränen rannen über ihre Wangen.

Aidan schmeckte die plötzliche Salzigkeit in ihrem Kuss. Er hob den Kopf und sah ihr in die tränenfeuchten Augen. In ihren meergrünen Tiefen lag ein solcher Schmerz, dass es ihn zerriss. Tröstend barg er ihren Kopf an seiner Brust und streichelte behutsam ihren bebenden Rücken.

Leise murmelte er ihr beruhigende Worte in ihr Ohr, obgleich er nicht mal hätte sagen können, was genau er ihr zuraunte. Allmählich ebbte das Beben in ihrem schlanken Körper ab und ihre Schluchzer verstummten. Kyra löste sich aus seiner Umarmung.

„Danke“, sagte sie leise.

Er ergriff ihre Hände.

„Jederzeit.“

Sie entzog sich seinem Griff und beinahe hätte er geseufzt. Er würde ihren Wiederstand langsam durchbrechen müssen, jeder ihrer Schwächen ausnützen müssen, um sie zu berühren.

Kyra blickte in den Himmel. Die Sonne senkte sich bereits und es wurde immer dunkler.

„Können wir eine Rast einlegen? Wir brauchen beide Schlaf.“

„Ja, ich wollte eben selbst eine Pause vorschlagen.“

Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre geschwollenen Lippen. Er wollte sie am liebsten gleich noch einmal küssen, wusste aber, dass sie seine Berührung dieses Mal nicht zulassen würde. Sie hatte sich wieder gefangen.

„Was würde ich für ein richtiges Bett geben. Ich bin diesen Waldboden langsam leid“, murmelte sie.

„Wir könnten und einen Gasthof suchen und dort übernachten.“

Sie sah ihn verblüfft an.

„Wirklich? Aber ich dachte uns ist es verboten, mit Menschen zu kommunizieren.“

„Besondere Umstände“, erklärte er mit einem schiefen Grinsen.

„Sehr gern“, sagte sie nach kurzer Überlegung.

„Sitz auf, wir verlassen den Wald und suchen auf den Wegen nach einem Gasthof.“

„Wirst du laufen? Dann werden wir wohl kaum noch in dieser Nacht ein weiches Bett zu Gesicht bekommen.“

„Nun, das lässt sich wohl nicht ändern.“

„Doch, ich werde hinter dir auf dem Pferd reiten.“

Er sah sie überrascht an.

„Ich dachte…“

„Besondere Umstände. Im Augenblick würde ich für ein Bett selbst barfuß durch ein Feuer laufen.“

Er schüttelte gespielt betroffen den Kopf.

„So dringend willst du ein Bett?“Sie nickte.

„Nun gut“, seufzte er.

Mit einem geschmeidigen Satz saß er auf und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie ergriff sie und ließ sich von ihm hinter sich auf das Pferd ziehen. Haltsuchend schlang sie die Arme um seinen Leib und drückte ihre Brust an seinen Rücken. Er sog scharf die Luft ein, als die Lust ihn überkam.

Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich wieder soweit unter Kontrolle hatte und nach einem geeigneten Gasthof Ausschau halten konnte. Ihm war gar nicht wohl bei den Gedanken, den schützenden Wald zu verlassen, doch Kyras Wunsch nach einem Bett wollte er unter allen Umständen nachkommen.

Sein wachsamer Blick glitt über seine Umgebung, als sie endlich das schützende Dickicht verließen und auf einem getrampelten Pfad entlang ritten. Zu ihrem Glück, musste er nicht lange nach einer passenden Unterkunft suchen.

Ein kleiner Gasthof hob sich hell erleuchtet vor dem dunklen Hintergrund des Waldes und des Nachthimmels ab.

Mehrere Pferde und sogar zwei Kutschen befanden sich vor ihm.

„Halten wir dort?“

Er nickte. Ihre Stimme klang schläfrig und er wusste, dass er nicht noch länger nach einem anderen Gasthof suchen konnte. Das Haus war gepflegt und die Hecken gestutzt.

Er lenkte seinen Hengst zu einem aus Holz gebauten Stall und saß ab. Dann hob er Kyra hinunter und hielt sie eng an seiner Seite, als ein Stallknecht ihm die Zügel abnahm um versprach, sich gut um sein Pferd zu kümmern. Er führte Kyra zum Eingang und betrat mit ihr den Gasthof.

Im Inneren roch es nach Met und gebratenem Fleisch. Er konnte Kyra schlucken hören. Offenbar war sie hungrig. Er verfluchte sich, weil er nicht an das Essen gedacht hatte.

Ein kleiner, pausbäckiger Mann kam auf sie zu und wischte sich die Hände an einer fleckigen Schürze ab. Neugierig musterte er die Kleidung der Fremden. Sie sahen eindeutig nach Geld aus.

„Womit kann ich den Herrschaften dienen?“

„Wir brauchen ein Zimmer mit zwei Betten und ein Abendmahl.“

„Oh, ich bedaure sehr, Sir. Wir sind fast vollkommen ausgebucht. Ich kann ihnen nur noch ein einzelnes Zimmer mit einem Bett anbieten.“

Kyra sah ihn fragend an.

Er seufzte.

„In Ordnung, ich nehme es. Das Essen würde ich gerne auf das Zimmer bestellen.“

„Sehr wohl, Sir. Wenn Ihr mir bitte folgen würde.“ Der Mann ignorierte Kyra geflissentlich. Anscheinend hatte er keine hohe Meinung von Frauen.

Sie stiegen eine einfach gezimmerte Holztreppe hinauf in den ersten Stock. Dort führte er sie einen langen Gang mit mehreren Türen entlang und blieb schließlich vor der letzten Tür stehen.

„Bitte sehr“, sagte er und öffnete die Tür.

In dem kleinen Raum war es dunkel und kalt.

„Ich werde eines der Dienstmädchen hinaufschicken. Sie wird das Feuer im Kamin entfachen.“

Mit diesen Worten, verließ sie der Wirt, um seine Befehle zu erteilen.

Kyra betrat das Zimmer und sah sich um.

Ein kleiner Kamin, der dem breiten Bett gegenüberlag. Zwei zierliche Stühle, ein kleiner Tisch. Ein mannshoher Paravent, hinter dem eine schmale Wanne verborgen lag. Sie klatschte erfreut in die Hände. Der Gedanke an ein schönes, heißes Bad belebte ihre müden Glieder.

„Willst du ein Bad nehmen?“, fragte Aidan sie. Er hatte das erfreute Glitzern in ihre Augen bemerkt.

„Wenn es machbar wäre, ja sehr gern.“

„Ich werde eines bestellen.“

Sie lächelte erfreut.

„Danke.“

Dann stutzte sie.

„Hast du überhaupt genug Geld dafür?“ Sie sah ihn besorgt an.

„Ich bin nicht gerade arm, falls es das ist, was dich beunruhigt.“

„Oh, dann ist es ja gut.“

Etwas verlegen wandte sie sich ab. Aidan ergriff ihre Hand.

„Du musst dir um nichts sorgen machen.“

„Es ist… so ungewohnt“, gestand sie leise.

„Ich weiß.“ Langsam zog er sie in seine Arme. Sie ließ es geschehen.

Erleichtert atmete er aus. Kyra so fest an sich gedrückt zu halten, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl.

Es klopfte.

Hastig wandte sie sich aus seinen Armen und trat ein paar Schritte von ihm weg.

„Herein“, rief er, ungehalten von der Störung.

Ein junges Mädchen betrat schüchtern das Zimmer. Sie trug ein paar Holzscheite in den Armen.

„Ich bin hier, um das Feuer zu entfachen, Sir“, sagte es leise.

Er bedeutete ihr mit einer gebieterischen Geste, ihrer Aufgabe nachzugehen.

Kurz darauf brannte ein kleines Feuer in dem Kamin und das Mädchen verließ hastig das Zimmer.

Kyra hockte sich vor die Flammen und hielt ihre klammen Finger an die Hitze.

Er setzte sich neben sie.

„Ich hoffe, das Essen kommt bald. Ich bin am verhungern.“

Wie um ihre Worte zu bestätigen, knurrte ihr Magen laut und vernehmlich. Kyra wandte beschämt das Gesicht ab und Aidan lachte leise.

„Es wird bald fertig sein. Ich kann hören, wie der Wirt seinen Koch zur Eile antreibt.“

Sie sah ihn überrascht an, dann legte sie den Kopf schief und lauschte ebenfalls.

„Stimmt, ich kann es auch hören.“ Leise kicherte sie.

„Was ist?“, fragte er argwöhnisch.

„Es ist so ungewohnt. Ich konnte früher schon sehr gut hören, aber jetzt…“ Sie verstummte.

„Es ist fast ein wenig unheimlich, nicht wahr?“

Sie nickte bedächtig.

„Aber zum ersten Mal in meinem Leben, fühle ich mich deswegen nicht wie ein Monster. Zumindest nicht wegen meiner Fähigkeiten.“

„Nun“, begann er langsam, „ ich kann nicht nachvollziehen, wie du dich gefühlt haben musst. Ich wurde schon als Vampir geboren und ich bin unter meinesgleichen aufgewachsen. Als bei mir vermehrt die Eigenschaften der Vampire auftraten, halfen mir meine Eltern bei der Wandlung.“„Wandlung? Sagtest du nicht, du wärst ein geborener Vampir?“

„Ja, aber zum Beginn unseres Lebens unterscheiden wir uns kaum von den Menschen. Wir müssen Nahrung zu uns nehmen, um zu wachsen und trinken noch kein Blut. Je älter wir werden, desto stärker treten die vampirischen Eigenschaften zu Tage, bis zu dem Tag an dem wir uns vollständig wandeln und uns nur noch von Blut ernähren.“

„So ähnlich war es bei mir. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich festgestellt, dass ich immer stärker wurde und auch besser sehen und hören konnte, als je zuvor.“

Aidan nickte.

„Die Gene deines Vaters sind sehr stark. Elizabeth war zudem auch kein einfacher Mensch. Wir vermuteten, dass eine ihrer Vorfahren ein magisches Wesen gewesen sein musste.“

„Inwiefern war sie kein…normaler Mensch?“

„Sie besaß starke Magie. Sie war in der Lage, unseren Bann zu durchbrechen und unsere Stadt zu betreten. So haben wir sie kennengelernt.“

„Magie…“, murmelte sie leise.

„War es mir deswegen möglich, den Bann zu brechen, den mein Großvater um die Hütte gelegt hatte?“

„Es wäre die naheliegenste Erklärung.“

Es klopfte an der Tür.

„Herein“, rief Aidan und richtete sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf.

Zwei Mägde kamen in das kleine Zimmer, voll beladen mit Tabletts, die sich unter der Last der Speisen bogen. Sie luden sie auf den Tisch und traten dann zurück, auf weitere Anweisungen wartend.

„Nach dem Essen wollen wir ein Bad nehmen. Sorgt bitte für heißes Wasser.“

Die Mädchen nickten und verließen hastig das Zimmer.

Aidan reichte Kyra eine Hand und half ihr beim aufstehen. Dann führte er sie zu dem Tisch. Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken und betrachtete ehrfurchtsvoll die Speisen. Gebratenes Fleisch mit gedünstetem Gemüse, Fleischpasteten, köstlich duftendes Brot und Kartoffeln, sowie eine saftige Kirschpastete.

„So viel kann ich nie im Leben essen“, sagte sie verblüfft.

Aidan ließ sich auf den Stuhl neben ihr nieder.

„Iss, bis du satt bist. Den Rest können wir mitnehmen, wenn wir morgen aufbrechen.“

Sie nickte und nahm sich dann etwas von dem gebratenen Huhn. Zaghaft biss sie hinein und schloss dann seufzend die Augen. Ihr Gesicht zeigte eine solche sinnliche Verzückung, dass Aidan versucht war, ebenfalls von dem Essen zu kosten.

„So gut?“, fragte er schmunzelnd.

„Besser“, antwortete sie und aß weiter. Etwas Bratensaft rann ihr Kinn hinab und er streckte die Hand aus, um den Tropfen mit dem Daumen aufzufangen. Dann hielt er ihn ihr hin. Langsam streckte sie die Zunge aus und leckte ihn ab. Sein Blick wurde durchdringend, seine Augen wurden silbrig.

„Nicht, Aidan“, sagte sie leise.

Wiederstrebend löste er den Blick von ihr.

Schweigend beendete sie ihr Mahl. Kaum hatte sie den Teller von sich geschoben, klopfte es erneut.

Diesmal brachten drei starke Burschen Eimer voll dampfendem Wasser. Sie füllten die kupferne Wanne und ließen sie dann wieder allein.

„Bitte sehr. Ein heißes Bad.“

Zuvorkommend schob er den Paravent vor die Wanne, damit sie vor seinen Blicken geschützt ihrem Bad nachgehen konnte.

Dankbar lächelte sie ihn an und verschwand hinter dem Sichtschutz.

Kleidung raschelte, dann warf sie das zartblaue Kleid über den Paravent. Aidan versuchte, nicht daran zu denken, dass sie nackt in einer Wanne saß und dass keine zwei Schritte von ihm entfernt. Er ließ sich auf das weiche Bett sinken und legte sich zurück, schloss die müden Augen. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie erschöpft er war. Hunger nagte an ihm. Er würde wohl noch einmal auf die Jagd gehen müssen, bevor sie aufbrachen.

Wasser platschte und Kyra stöhnte leise. Sein Unterleib zog sich verlangend zusammen. Ob sie wohl wusste, wie sehr sie ihn in Versuchung führte?

Wohl eher nicht. Sonst würde sie sich kaum nackt nicht weit von ihm entfernt im Wasser vergnügen.

Sie quietschte leise.

In der nächsten Sekunde war er auf den Beinen und stand vor dem Paravent, die Hand erhoben, um den Sichtschutz beiseite zu schieben. Verdammt, dieser kleine Laut hatte ihn fast seine ganze Selbstbeherrschung gekostet. Lautlos zog er sich zurück und hoffte, dass sie nicht bemerkt hatte, wie nahe er daran gewesen war, sich zu ihr zu gesellen.

Wieder hörte er das Wasser schwappen und dann das Tropfen von Wasser auf Holz.

„Aidan, ich brauche etwas zum abtrocknen“, erklang Kyras leise Stimme.

Er sah sich suchend um, bis er einen Stapel Handtücher neben sich auf dem Bett liegen sah. Mit abgewandtem Blick reichte er ihr eins über den Sichtschutz.

„Danke“, murmelte sie.

Verkniffen ignorierte er die Geräusche hinter dem Paravent.

Stoff raschelte und sie fluchte kurz.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt.

„Es geht schon“, kam die erstickte Antwort.

Wieder ein äußerst undamenhafter Fluch.

„Bist du dir sicher?“, erkundigte er sich, halb amüsiert, halb besorgt.

„Ja“, knurrte sie ungehalten.

Er konnte sich nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen, als sie mit nassem, ungebändigtem Haar und offenem Kleid hinter dem Paravent hervor kam.

„Ich bekomme es nicht zugezogen“, sagte sie und wandte ihm ihren nackten Rücken zu.

Er schluckte.

Dann machte er sich daran, die Bänder zuzuschnüren und die Knöpfe darüber zu schließen. Es war nicht so leicht, wie gedacht, da der Stoff an ihrer feuchten Haut klebte, zudem behinderte ihn ihre lange, rote Mähne.

Als er es schließlich geschafft hatte, wandte sie sich ihm wieder zu.

„Vielen Dank“, sagte sie und lächelte ihn schüchtern an.

„Du musst dein Haar trocknen.“

„Es trocknet von allein.“

Er schüttelte den Kopf, nahm sich ein weiteres Handtuch und setzte sich auf das Bett. Mit weit gespreizten Beinen bedeutete er sie sich vor ihn zu setzen. Protestierend hob sie die Hände, doch er packte nur ihr Handgelenk und zog sie aufs Bett. Dann machte er sich daran, ihr Haar zu trocknen und mit den Fingern durch die feuchten Strähnen zu fahren. Zufrieden mit dem Ergebnis ließ er schließlich seine Hände sinken.

„So ist es besser“, sagte er mit belegter Stimme.

Sie seufzte leise und stand auf. Dann drehte sie sich zu ihm um. Ihre Miene war ausdruckslos. Unbehaglich rutschte er auf dem Bett herum und mied ihren Blick. Ihre Nähe hatte ihn erregt und er wollte nicht, dass sie es bemerkte.

„Ich möchte jetzt schlafen“, bemerkte sie leise.

Sofort schoss er von dem Bett hoch und entfernte sich ein paar Schritte. Mit der Hand deutete er darauf.

„Bitte sehr“, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf.

„Wo wirst du schlafen?“

„Auf dem Stuhl.“

Sie presste ihre vollen Lippen zusammen. Dann schnappte sie sich zwei der verbliebenen Handtücher und zwei der Kissen und zog mit ihnen in der Mitte des großen Bettes eine Art Wall.

„So können wir beide in dem Bett schlafen. Ich nehme an, du bist den harten Boden ebenso leid, wie ich es bin?“

Er seufzte, nickte dann jedoch wiederstrebend.

Kyra legte sich hin und zog die dünne Decke bis zu ihrem Kinn hoch.

Aidan drehte sich um.

Glaubte sie wirklich, diese Kissen und Tücher könnten ihn davon abhalten, sie in seine Arme zu ziehen, wenn ihn das Verlangen übermannte?

Nun, anscheinend schon.

Er wartete, bis sie tief und fest schlief, dann verließ er das Zimmer und machte sich auf die Suche nach einer passenden Beute. Er fand sie in einem der Stallknechte, der durch die Dunkelheit zu dem hinter dem Haus gelegenen Bach schlich.

Kurz bevor der junge Mann das Wasser erreichte, packte Aidan ihn und sah ihm mit silbrigen Augen an. Sofort erlahmte die Gegenwehr des Mannes und er zog ihn an sich und biss ihm in den Hals. Das Blut, das in seinen ausgehungerten Mund strömte, war nicht annähernd so köstlich wie Kyras, doch es belebte seinen müden Körper.

Nachdem er gesättigt war, strich er dem Mann mit einer Hand über die Stirn um die letzten Augenblicke aus seiner Erinnerung zu löschen. Die Wunde hatte sich, dank des Sekrets in seinen Fängen, bereits geschlossen.

Aidan vergewisserte sich aus einigem Abstand, dass der Mann wieder seinem Vorhaben nachging. Er beschloss, es ihm gleich zu machen und ebenfalls ein Bad zu nehmen. Obwohl er lieber ein heißes Bad genommen hätte, traute er sich nicht, dieses Risiko einzugehen. Hastig streifte er sich seine Kleider ab und watete ins kühle Nass. Der Schock der Kälte traf ihn bis ins Mark und er hieß den Schock willkommen. Die brennende Begierde erlosch und sein Körper entspannte sich. Er blieb länger, als es nötig gewesen wäre, ehe er sich wieder anzog, das nasse, lange Haar kurz ausschüttelte und zu Kyra zurückkehrte.

Er öffnete leise, die knarrende Tür.

Sie schlief.

Ihr zarte Körper lag nur mit dem dünnen Kleid bedeckt zusammengerollt auf der einen Seite des Bettes. Sie hatte sich im Schlaf von der Decke befreit.

Ihre weichen Rundungen, die sich unter dem seidenen Stoff abzeichneten, erregten ihn aufs Neue. Fluchend zog er die Decke wieder über sie. Einen kurzen Augenblick später, befreite sie sich wieder davon. Dabei rutschte der Saum ihres Kleides ihr Bein hinauf und schmiegte sich um ihre Oberschenkel. Er erstarrte und wäre am liebsten erneut in das kalte Wasser gesprungen. Aidan wandte den Blick ab und legte sich auf die andere Seite des Bettes, wohl wissend, dass dies kein gutes Unterfangen war, doch er brauchte Schlaf und sie hatte ihm erlaubt, in dem Bett zu schlafen. Er legte sich mit dem Rücken zu ihr an die Bettkante und schloss die Augen.

Fast sofort übermannte ihn der Schlaf.

 

Kyra brannte.

Nicht in einer unangenehmen Weise. Es fühlte sich gut an, kuschelig, geborgen. Sie hielt ihre Augen geschlossen und kuschelte sich enger an diese einladende Wärme. Jemand brummte zustimmend und sie spürte, wie etwas sie umfing und enger an diese Wärme presste.

Erschrocken riss sie die Augen auf.

Als Erstes erblickte sie die glatte, gebräunte Haut von Aidans Hals.

Großer Gott, sie hatte sich im Schlaf an ihn geschmiegt. Dann bemerkte sie, dass sie Beide in der Mitte des Bettes lagen. Nun, anscheinend hatten sie sich gegenseitig angezogen.

Ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter und eines seiner Beine hatte sich zwischen ihre Schenkel geschoben, einen Arm hatte er um ihre Taille geschlungen. Etwas Hartes presste sich an ihren Unterleib und ließ sie auf eine ganz andere Art brennen. Sie hatte dieses Gefühl schon einmal erlebt, als Aidan sie geküsst hatte. Vorsichtig versuchte sie sich, aus seinem Griff zu lösen, obwohl alles in ihr dagegen protestierte und sie sich wieder an ihn schmiegen wollte.

Aidan knurrte und zog sie fester an sich.

Sie schloss die Augen und gestattete sich, seine Umarmung zu genießen. Sein männlicher Duft kitzelte ihre Nase und sie verspürte Hunger, jedoch nicht auf Nahrung, sondern auf sein Blut. Ihre Fänge verlängerten sich und ihre Nägel bogen sich zu zierlichen Klauen. Selbst ihr Duft veränderte sich, wurde intensiver, heißer. Zum aller ersten Mal, registrierte sie die Veränderungen an ihrem Körper und beobachtete sie mit regem Interesse.

Aidan schlug die Augen auf.

Die silbrig funkelnden Augen bohrten sich in ihre. Er öffnete leicht den Mund und sie konnte die Spitzen seiner Fangzähne erkennen.

Blitzschnell rollte er sie auf den Rücken und beugte sich über sie. Sein Hals schwebte direkt über ihrem hungrigen Mund und dann presste er seine Haut an ihre Lippen. Stöhnend schloss sie die Augen und legte mit der Zunge über die Stelle, an der sie sein Blut rauschen hörte.

Er knurrte, packte ihren Hinterkopf und presste sie enger an sich.

Überwältigt von dem Geschmack seiner Haut, leckte sie noch einmal über die Stelle und bohrte dann ihre Fänge in sein Fleisch. Sein Blut schoss heiß und würzig in ihren Mund und sie trank gierig. Sein harter Körper presste den ihren auf die weiche Matratze und er neigte den Kopf, um ihr das Trinken zu erleichtern. Viel zu schnell riss er ihren Kopf zurück, damit sie nicht zu viel trank. Einen quälenden Augenblick lang starrten sie sich in die Augen, dann legten sich seine Lippen auf ihren Mund.

Ihre Zungen umschlangen sich in wilder Gier. Sie stöhnten, pressten sich enger aneinander. Ihre erhitzten Körper verschmolzen miteinander. Kyra öffnete ihre Schenkel weiter, damit sie mehr von Aidan spüren konnte, rieb ihr Becken an seinem. Ein wildes Knurren drang aus seiner Kehle, ehe er den Mund von ihren Lippen löste und auf die brennende Haut ihres Halses heftete. Seine Zunge kostete ihre Haut und Kyra keuchte leise. Ihre Finger verkrallten sich in seinem langen Haar. Sein Mund wanderte tiefer zu dem Ausschnitt ihres Kleides und dem Ansatz ihrer Brüste. Die weiche Haut hieß seinen gierigen Kuss willkommen und seine große Hand schloss sich um eine ihrer Brüste. Die harte Spitze pulsierte an seiner Handfläche.

Kyra bog den Rücken durch, reckte sich seiner Berührung entgegen. Die süße Qual, die von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte, ließ sie alles um sie herum vergessen. Ihr ganzes Sein strebte ihm entgegen, wollte ihn Haut an Haut mit sich spüren, in ihr. Heftig zerrte sie an seinem Hemd, zerriss den leichten Stoff. Sie fuhr mit beiden Händen über seine glatte Brust. Die heiße, weiche Haut machte sie schwindelig, die harten Muskeln darunter, ließen sie erbeben. Unter seiner muskulösen, großen Gestalt fühlte sie sich verletzlich und so ganz und gar als Frau, dass sie sich wünschte, er sie für alle Zeit unter sich begraben und sie liebkosen.

Die Härte in seinem Schritt rieb sich an ihrer empfindlichsten Stelle, ließ sie feucht werden. Sie grub ihre Klauen in seine Schulter, bewegte sich mit wilden, verlangenden Bewegungen unter ihm.

Ein leises Lachen kitzelte ihr Ohr.

Aidan genoss Kyras sich windenden Körper. Trotz ihrer zarten Gestalt, passte sie so perfekt zu ihm, wie er es noch nie erlebt hatte. Nicht einmal, als er Elizabeth in seinen Armen gehalten hatte.

Der Gedanke an Kyras Mutter ließ ihn erstarren. Wie ein Schwall eiskaltem Wasser überkam ihn die Erkenntnis. Er war auf dem besten Wege dabei, Kyra zu entehren und ihr die Unschuld in einem einfachen Gasthof zu rauben.

Ruckartig befreite er sich aus ihrem Griff und stand nun keuchend vor dem Bett. Kyra starrte ihn aus großen, silbrigen Augen an. Der Saum ihres Rockes war ihr bis auf die Oberschenkel gerutscht, der Ausschnitt heruntergezogen. Der Ansatz ihrer Brüste war gerötet von seinen Bartstoppeln, ihre Lippen von seinen wilden Küssen geschwollen. Er musste sich mit aller Gewalt daran hindern, einfach wieder zu ihr ins Bett zu steigen und zu beenden, was sie so unbedacht angefangen hatten.

„Was ist?“, fragte sie mit samtweicher Stimme. Ihr Klang fuhr ihm direkt in die Lenden.

„Wir sollten das nicht tun“, sagte er leise. Er wollte seine Augen abwenden, doch sie schienen an ihr zu kleben. Wie gebannt starrte er sie an.

„Warum nicht?“ Langsam richtete sie sich auf und streckte die Hand nach ihm aus. Obwohl ihn alles zu ihr hinzog, trat er einen Schritt zurück.

„Ich werde nicht mit dir schlafen und damit das Gedenken deiner Mutter beschmutzen.“ Es waren die falschen Worte, er wusste es sofort, als er sah, wie ihre Augen wieder diesen durchdringenden Meergrünen Ton annahmen.

Ihre Schultern strafften sich.

„Wie bitte?“

Es war zu spät, um sich noch eine andere Ausrede auszudenken, zumal der größte Teil seines Blutes weit entfernt von seinem Hirn seine Lenden füllte.

„Ich werde dich nicht hier in diesem Gasthof nehmen. Und schon gar nicht solange du keine ehrbare Frau bist.“

Rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus und ihre Augen blitzten gefährlich.

„Du willst nicht bei mir liegen, wegen meiner Mutter? Und deinem Ehrgefühl?“

Sie sprang aus dem Bett und baute sich vor ihm auf.

„Nur zu komisch, dass dich das alles nicht interessiert hatte, als du noch nicht wusstest, dass ich Elizabeths Tochter bin!“

Ihre Worte trafen ihn, die Wahrheit in ihnen konnte er nicht leugnen. Wäre sie nicht die, die sie war, hätte er sie irgendwann genommen, trotz seiner Schuldgefühle.

Ihr Finger bohrte sich in seine Brust.

„Du bist ein verfluchter Heuchler, Aidan“, sagte sie leise und ihr Ton unterstrich ihre heftigen Worte nur noch.

Vor Wut und Frustration antwortete er heftig.

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Kyra! Sagtest du nicht, du würdest dich mir niemals hingeben?“

Sie zuckte mit den Schultern, tat seine Worte mit dieser einfachen Geste ohne viel Federlesens ab.

„Ich sehne mich nach Berührungen, ohne die Angst, jemanden durch meine Kraft zu verletzen. Selbst du erscheinst mir im Moment als eine… angenehme Alternative.“

„Angenehme Alternative?“, echote er betroffen.

Ihr Blick bohrte sich in seinen.

„Da dich nun auf einmal dein Ehrgefühl übermannt, werde ich einfach warten, bis wir die Stadt erreichen. Ich bin sicher, dort werde ich jemanden finden, der mir meine geheimsten Wünsch erfüllen kann. Und das mit Freuden.“ Sie wandte sich ab. Seine Hand schoss hervor, packte ihr Handgelenk und zog sie an sich.

„Es wir außer mir niemanden für dich geben, Kyra. Ich bin deine einzige Wahl und ich werde dich erst nehmen, wenn ich dich zu meiner Gefährtin gemacht habe.“

Ihr Körper versteifte sich. Sie befreite sich aus seinem Griff.

„Du musst dir deiner Sache ja sehr sicher sein, wenn du auch nur im Traum daran glaubst, ich würde mich auf irgendeine Art und Weise an dich binden!“„Entweder ich oder gar keiner.“

„Zu meinem großen Glück, stehe ich nicht unter deiner Obhut und brauche auch keinen Vormund mehr. Ich kann tun und lassen was und mit wem ich will, Aidan. Und dazu brauche ich weder deine Zustimmung, noch will ich sie.“

Er drängte sich an sie, ließ sie seine Erregung spüren, die trotz der Wut, die in ihm brodelte, noch heiß und stramm gegen seine Hose drückte.

„Wage es, dich einem Anderen zu schenken und du wirst seinen abgetrennten Kopf in den Händen halten.“Sie schluckte.

„Was willst du damit bezwecken?“

Ihre Augen weiteten sich, als ihr ein Gedanke kam.

„Wenn du die Mutter schon nicht haben konntest, dann begnügst du dich eben mit der Tochter, ist es nicht so? Lass mich dir eines versichern: Ich werde niemals die Deine sein!

„Du warst schon die Meine, an dem Tag, an dem du geboren wurdest!“

„Oh Aidan, aus dir spricht nur dein verletzter Stolz.“

Abermals wandte sie sich ab und er war zu zornig, dass er ein paar Sekunden brauchte, um wieder nach ihr zu greifen.

Sie wich ihm aus.

„Fass mich nicht an!“, zischte sie und er ließ die Hand sinken.

Vor Wut keuchend standen sie sich gegenüber.

Ein leises Klopfen ließ sie herumfahren.

„Herein“, bellte Aidan ungehalten.

„Sir“, meldete sich eine der Mägde, „ Ich soll Euch das Frühstück servieren.“

Beim Anblick des noch gedeckten Tischs, blieb das Mädchen abrupt stehen. Das vollbeladene Tablett auf ihrem Arm schwankte bedrohlich.

„Oh, verzeiht, Sir. Ich werde es sofort abräumen und Euch für die Reise einpacken“, flüsterte es beschämt.

Aidan betrachtete das Essen auf dem Tisch, dass mittlerweile von Fliegen umschwärmt wurde.

„Nein, bring es weg, wir werden uns etwas anderes besorgen.“

„Wie ihr wünscht, Sir.“

Sie machte sich daran, die Speisen von dem Tisch zu räumen und mit Tellern voll frischem Brot, kaltem Fleisch und Früchten zu ersetzen.

Kyra zog sich währenddessen hinter den Paravent zurück und streifte sich wieder ihr Leibchen und ihre Unterwäsche über, ehe sie wieder ihr Kleid anzog und es mit viel Mühe und einigen Verrenkungen wieder zuschnürte. Unter keinen Umständen, würde sie Aidan um seine Hilfe bitten.

Seine Worte dröhnten noch in ihrem Kopf.

Seine Gefährtin werden? Niemals. Selbst dann nicht, wenn er der Einzige verfügbare Mann in diesem Land wäre. Dann würde sie mit Freuden die Einsamkeit willkommen heißen.

Die Tür wurde ins Schloss gezogen und Kyra beendete ihre Morgentoilette.

Der Duft der Speisen ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen, da sie nun ihren Hunger nach Blut gestillt hatte.

Sie setzte sich an den Tisch, nahm sich etwas von dem warmen Brot und biss hinein. Der Geschmack von Gewürzen und Kräutern breitete sich in ihrem Mund aus und sie seufzte. Köstlich.

Sie nahm sich etwas von dem Fleisch.

Es zerging ihr auf der Zunge.

Bei dem Obst war es genauso.

Die Aromen explodierten in ihrem Mund und sie genoss ihr Mahl auf beinahe sinnliche Art und Weise. Kyra war sich Aidans bohrendem Blick nur allzu deutlich bewusst, ignorierte ihn jedoch geflissentlich.

Als sie endlich satt war, erklang seine barsche Stimme neben ihr.

„Bist du fertig? Wir müssen aufbrechen.“

„Gut“, sagte sie nur und erhob sich.

Da sie kein Gepäck dabei hatten, verließe sie das Zimmer. Der Wirt kam ihnen auf halbem Weg zur Tür entgegen und überreichte ihnen etwas Proviant, eingehüllt in ein einfaches Tuch.

„Ich wünsche Euch eine gute Reise, Mylord, Mylady. Bitte beehrt uns bald wieder.“

Nachdem er seinen Spruch aufgesagt hatte, geleitete er sie zur Tür.

„Ihr habt nicht zufällig noch ein Pferd, das ihr mir verkaufen könntet?“, erkundigte sich Aidan beim dem Wirt.

Der Mann stolperte vor Überraschung über seine eigenen Füße, fing sich jedoch schnell wieder.

„Aber sicher, Mylord. Bitte folgt mir.“

Er führte sie zu den Stallungen und zu einer der hinteren Unterstände. Mit einer unterwürfigen Geste deutete er auf einen Hengst, der sie mit wachsamen Augen musterte. Sein Fell war beinahe silbern, ähnlich Aidans Augen, wenn er zornig oder erregt war. Die Mähne war lang und Schwarz. Der lange Schweif zuckte wild, um die Fliegen zu vertreiben.

Kyra verliebte sich im selben Augenblick in dieses stolze Tier.

„Es ist das einzige Pferd, das ich zurzeit entbehren kann.“

Ein scharfer, durchdringender Geruch stieg ihr in die Nase.

Er lügt, dachte sie erstaunt.

Aidan betrachtete den Hengst mit skeptischer Miene. Offenbar hatte er es ebenfalls bemerkt. Dann zuckte er jedoch mit den Schultern.

„Wie viel?“

„Oh, nur drei Pfund, mein Herr.“

Kyra keuchte entsetzt.

Aidan zückte jedoch ungerührt einen kleinen, schwarzen Lederbeutel und ließ den Betrag in die gierigen Hände des Wirtes fallen.

„Vielen Danke, Mylord.“

„Sattelt ihn und bringt ihn nach draußen“, befahl Aidan und wandte sich ab. Kyra folgte ihm wiederstrebend. Sie konnte es kaum erwarten, sich auf den Rücken des Tieres zu schwingen.

Vor dem Stall stand bereits Aidans schwarzer Hengst.

„Sitz auf“, befahl er ihr knapp.

Sie sah ihn verwirrt an.

„Ich dachte, ich würde den silbernen Hengst reiten.“

„Er ist zu wild für eine unerfahrene Reiterin.“

Sie stemmte trotzig die Hände in die Hüfte.

„Ich werde ihn reiten.“

Drohend kam er auf sie zu.

„Oh nein, das wirst du nicht“, sagte er leise.

Sie ignorierte ihn.

Der Hengst wurde aus dem Stall geführt. Er scharrte mit den Hufen, seine Augen rollten. Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen näherte sie sich dem nervös tänzelnden Tier.

„Oh, du bist ein wunderschönes Pferd“, flüsterte sie.

„Kyra!“, zischte Aidan hinter ihr. Abermals reagierte sie nicht auf ihn.

Der Hengst stellte die Ohren auf, seine Augen fixierten sie.

Sie hob die Hand, hielt sie dicht über seine Nüstern, überließ ihm die Entscheidung. Weich und seidig schmiegte er seine Nüstern in ihre Hand und schloss kurz die Augen. Zufrieden lächelnd nahm sie dem staunenden Stallknecht die Zügel aus der Hand. Sie legte eine Hand an den Sattelknauf und schwang sich anmutig auf den Sattel. Der Hengst tänzelte nervös, doch sie tätschelte beruhigend seinen schlanken Hals. Die Augen aller Anwesenden waren auf sie gerichtet, nicht zuletzt deswegen, da ihr Rock nach oben gerutscht war und ihre Beine den begehrlichen Blicken der Männer darbot. Mit einem sanften Druck ihrer Schenkel, lenkte sie das Pferd zu Aidans Hengst und sah ihn herausfordernd an. Verblüfft bemerkte sie, dass ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel spielte, als er sich auf den Rücken seines Hengstes schwang und mit ihr den Hof verließ.

Als sie außer Sichtweite waren wurde sie übermütig und trieb den silbernen Hengst an.

Seine Kraft vibrierte unter ihr, als er in einen geschmeidigen Galopp verfiel. Sie jauchzte fast vor Freude.

„Kyra, sei vorsichtig“, erklang Aidans warnende Stimme hinter ihr.

Sie folgten dem Weg eine Weile und bogen dann auf einen schmalen Pfad in den Wald hinein ab.

„Ich würde ihm gerne einen Namen geben“, sagte sie leise.

„Er gehört nun dir. Such dir einen aus.“

„Aber, du hast ihn doch gekauft.“

„Nun, offensichtlich mag er dich, sonst würde er dich niemals auf sich reiten lassen.“

Sie lächelte ihn strahlend an.

„Hat dein Hengst einen Namen?“

„Shadow.“

„Shadow? Schatten?“

Aidan nickte.

Kyra betrachtete den schwarzen Hengst.

„Er passt zu ihm“, sagte sie schließlich.

„Hast du dir schon einen Namen ausgesucht?“

Sie überlegte kurz, etwas überrascht von seinem abweisenden Ton.

„Fade“, sagte sie dann.

„Fade?“„Ja.“

Aidan erwiderte nichts. Offenbar wollte er nicht reden. Kyra zuckte mit den Schultern, ihr war es nur Recht.

Als der Pfad sich zu einem breiten Weg öffnete, konnte sie dem Drang nicht mehr wiederstehen und lockerte die Zügel. Fast sofort schoss Fade mit voller Geschwindigkeit über den Waldboden. Sie lachte, genoss den Wind in ihrem offenen Haar. Mit ihren Schenkeln trieb sie ihn weiter an.

Aidan rief ihr hinterher, doch sie hörte nicht auf ihn.

Sie vernahm laute Hufschläge neben sich. Aidan galoppierte an ihr vorbei. Er und Shadow schienen miteinander verschmolzen zu sein. Ihre Geschwindigkeit war atemberaubend.

Sie beugte sich zu Fades Ohr.

„Komm, mein Lieber. Das wirst du dir doch nicht gefallen lassen.“

Fade wieherte und schoss davon. Seine Hufe schienen den Boden nicht mehr zu berühren, er flog geradezu durch den Wald. Schon bald hatte er Shadow und Aidan eingeholt und sie galoppierten nebeneinander her.

Hinter eine Kurve tauchte plötzlich und umgekippter Baumstamm vor ihnen auf.

Aidan zügelte seinen Hengst und wich dem Hindernis aus.

„Kyra, nein!“, brüllte er, doch es war schon zu spät.

Kyra drückte sich näher an Fade, schmiegte sich an seinen Körper und mit einem geschmeidigen Bewegung setzte der Hengst über den Baumstamm hinweg. Dann erst verlangsamte sie das Tier und drehte sich mit glänzenden Augen zu Aidan um.

„Hast du das gesehen?“

Ihre Stimme zitterte vor Freude.

Mit zorniger Miene ritt Aidan auf sie zu.

„Verdammt, du hättest stürzen können!“

„Ich weiß, aber Fade wollte es unbedingt. Ich habe es gespürt.“

Seine zornige Miene wich leichter Belustigung.

„Ich weiß, was du meinst, trotzdem mach so was nicht noch einmal.“

Sie grinste ihn nur an und ritt weiter.

Etwas hatte sich zwischen ihnen verändert. Der wilde Galopp hatte sie Beide befreit. Das Gefühl der Freiheit, dass sie durchströmt hatte, machte sie euphorisch. Nun konnte sie verstehen, warum Ian so von einem guten, temperamentvollen Pferd geschwärmt hatte. Nichts in ihrem bisherigen Leben ließ sich mit diesem Gefühl vergleichen. Es war, als ob man durch die Luft flog.

Es war herrlich und sie beschloss, Fade so bald wie möglich wieder die Zügel schießen zu lassen, doch im Moment war der Hengst zufrieden mit dem leichten Galopp und sie wollte ihn nicht zu sehr anstrengen.

Fragen der Zukunft

Aidan lenkte seinen Hengst neben sie und schenkte ihr ein verschmitztes Grinsen. Sie grinste zurück, vergessen war die bedrückende Spannung zwischen ihnen. Kyra genoss die vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich durch das Dickicht der Blätter kämpften. Ihr Haar strahlte ihn dem Licht und ihre Wangen glühten rosig.

Aidan konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Als sie übermütig ihr Pferd angetrieben hatte, war ihm vor Schreck beinahe das Herz stehen geblieben. Doch als er sah, wie sie sich mit den geschmeidigen Bewegungen des Tieres bewegte, war er…stolz gewesen. Sie bewegte sich mit der Anmut einer erfahrenen Reiterin.

Kyra sog tief die frische, klare Luft ein.

„Es gibt hier so viele Gerüche“, bemerkte sie leise.

Er nickte zustimmend.

Der Wald beheimatete eine Fülle an Tieren und Pflanzen und jedes Lebewesen verströmte seinen ganz  eigenen Duft. Das Gras, die Bäume, sogar das Sonnenlicht, welches die grünen Blätter küsste.

Neben ihnen raschelte es im Unterholz.

Ein Vogel antworte mit seinem hellen Singsang.

Es war so friedlich hier, als ob nichts diese Idylle stören könnte.

Der Wald lichtete sich zu einer kleinen Lichtung, die mit solch saftigem, dunkelgrünem Gras bewachsen war, das es wie ein magischer Ort anmutete. Kyra lenkte Fade in die Mitte der Lichtung. Durch die schweren Schritte des Pferdes aufgeschreckt flatterten aberhunderte von grünen Schmetterlinge in die Luft und umflirrten Kyra in grünen Wolken. Fade bäumte sich auf und drehte sich einmal um sich selbst. Sie lachte vor Freude und streckte die Hände in die Luft. Einige der zarten Insekten setzen sich auf ihre Hände und ihre Arme, bedeckten ihr Haar und ihre Schultern. Einige wagten sich sogar auf Fades schwarze Mähne.

Aidan stand in dem Schatten des Waldes und betrachtete hingerissen die Szenerie vor ihm. Kyra wirkte so unwirklich, so überirdisch schön, dass sich sein Herz schmerhaft zusammenzog. Sie war eine Elfe. Ihre zarten Züge leuchteten in dem hellen Sonnenlicht und ihr Haar glänzte. Er wagte nicht, zu ihr zu gehen, da er fürchtete, er könnte diesen magischen Moment zerstören.

Die Schmetterlinge verließen die Lichtung, stiegen als Schwarm in die Luft und flatterten von dannen. Kyra sah ihnen nach, immer noch lächelte sie verzückt. Sie konnte noch die zarten Füßchen auf ihrer Haut spüren, die zarten Berührungen ihrer Flügel.

„Kyra“, erklang Aidans leise Stimme hinter ihr.

Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn immer noch lächelnd an.

Er lenkte Shadow ganz nah an sie heran, dann beugte er sich zu ihr hinüber und hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Wange, so zart wie die Flügel der Schmetterlinge. Sie sah ihn überrascht an.

„Warum…?“

„Danke.“

„Aber…“

„Lass uns weiterreiten.“

Er trieb sein Pferd an und sie folgte ihm.

Sie wunderte sich über ihn, konnte ihn nicht verstehen.

Erst an diesem Morgen hatten sie seine Worte wie ein Messer in die Brust getroffen und jetzt küsste er sie, als ob sie das kostbarste auf der Welt wäre.

Was hatte das zu bedeuten?

Hatte er nicht ihre Mutter geliebt?

Wollte er sie, weil sie Elizabeths Tochter war?

Kyra sehnte sich so sehr danach, dass sie jemand um ihrer Selbstwillen wollte, nicht weil sie war, wer sie nun einmal war.

Sie seufzte.

Vermutlich würde ihr dieses Glück nie vergönnt sein.

Dennoch würde sie die Hoffnung niemals aufgeben.

Sie schwiegen wieder, ritten im gemächlichen Tempo nebeneinander her. Die Vögel zwitscherten, im Unterholz raschelte es, als kleine Tiere auf der Suche nach Nahrung durch das Gebüsch streiften.

Kyras Magen gab ein gut vernehmliches Knurren von sich und sie errötete verlegen.

Aidan sah sie stirnrunzelnd an.

„Lass uns etwas essen“, sagte er nur und saß ab.

Sie tat es ihm gleich und schon bald saßen sie nebeneinander auf einen umgestürzten Baumstamm und Kyra verspeiste etwas von dem kalten Hühnchen und frisches Brot. Es war noch genauso köstlich wie am Morgen.

Aidan betrachtete sie aufmerksam und sie wusste, dass sich ein Schmunzeln hinter seiner Hand verbarg.

Verdammt, dieser Kerl machte sie wirklich wahnsinnig.

Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken, als den Mann neben sich.

Wie sah wohl ihre Zukunft aus?

Was würde mit ihr geschehen?

Hatten ihre Eltern noch etwas zurückgelassen? Irgendwelche Erinnerungsstücke?

So viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum und sie wusste nicht, ob sie alle jemals würde beantworten können.

Kyra war sich bewusst, dass sie einem neuen, völlig fremden Leben entgegen sah und sie nichts zurückließ, was es wert war, zurückzuschauen.

Ihr Großvater war Tod und die Dorfbewohner hatten sie nie wirklich akzeptiert.

Würde sie in der Stadt aufgenommen werden? Könnte sie dort ein Teil der Gemeinschaft sein? Jemanden finden, der sie sogar lieben konnte?

Anna fiel ihr ein. Die Vampirin hatte sich ihr gegenüber immer nett und großzügig erhalten, selbst als Kyra sie angegriffen hatte.

Sie schämte sich für ihre unbedachten Worte, doch Anna hatte verstanden, dass sie zu diesem Zeitpunkt unter Schock stand.

Ja, in Anna würde sie eine sehr gute Freundin finden und sie war sich sicher, dass die Vampirin sie in der ersten Zeit unterstützen würde, bis sie sich eingelebt hatte. Vielleicht könnte sie sogar Jasmin zu sich nehmen. Das Mädchen war noch viel zu jung, um von einem Mann genommen zu werden. Sie könnten in ihrem eigenen Haus wohnen, schöne Kleider tragen und Gesellschaften besuchen, tanzen und gemeinsam mit Anna lachen.

Ihre Brut wurde eng und sie wünschte es sich so sehr, dass sie schlucken musste.

„Bist du fertig?“, fragte Aidan sie und deutete auf das halbgegessene Brot. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie aufgehört hatte, zu essen. Sie nickte. Die Angst vor der Zukunft ließ sie jeglichen Appetit verlieren.

Er half ihr beim Aufsitzen und schwang sich dann auf Shadows Rücken. 

Aidan trieb sie an und sie ritten immer tiefer in den Wald und immer näher in eine unbekannte Zukunft. Würde sie Aidan jemals wiedersehen und mit ihm reden, wenn sie erst das Ziel ihrer Reise erreicht hatten?

Seine Worte fielen ihr wieder ein.

„Ich bin deine einzige Wahl und ich werde dich erst nehmen, wenn ich dich zu meiner Gefährtin gemacht habe.“

Würde er seine Worte wahr machen? Und was würde sie tun, wenn er es tatsächlich tat?

Sie musste sich eingestehen, dass sie die Aussicht, Aidans Gefährtin zu werden längst nicht so verschreckte, wie es der Fall sein sollte. Sie warf ihm einen Blick zu.

Könnte sie sich ein Leben an seiner Seite vorstellen?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.08.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Zum Dank an die, die sich immer mit Freuden hinter mich stellt und mir in den Allerwertesten tritt, wenn ich mal wieder steckenbleibe.

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