Step One
Obwohl es schwer war in der Dunkelheit irgendwas zu erkennen, wusste er, dass sie tot war. Da gab es nichts dran zu rütteln, es gab auch kein Zurück mehr. Von jetzt an bis in alle Ewigkeit würde sie nie wieder irgendwas machen, was ihm nicht passte. Ihr Körper würde, ebenso wie ihre verdorbene Seele, verrotten. Irgendwo in der Hölle. Dabei kannte er sie gar nicht. Ihr langes, rotes Haar hatte ihm irgendwie gefallen und auch ihr Gesicht war hübsch. Fein geschnitten mit großen, grünen Augen. Sommersprossen verlaufen dezent aber doch sichtbar über ihre Nase und unter den Augen entlang. Ihr Lächeln war offen, herzlich gewesen, ihre Bewegungen hatten stets etwas von einer Katze gehabt. Tja, jetzt lag sie da – im Dreck. So schnell konnte es gehen. Der Regen hatte den gröbsten Schmutz von ihren blassen, kalten Wangen gewaschen; ein paar dunkle Strähnchen klebten an ihrer Haut und verliefen so seltsam über die starre Totenmaske, dass es beinahe so aussah, als hätte sie ein Maul inmitten ihres Gesichtes. Das Bild brachte ihn dazu, schief zu lächeln, während er einfach nicht aufhören konnte, sie anzustarren. Der Mund war wie zum Schrei geöffnet und entblößte schneeweiße, gerade Zähne. Sie war so perfekt gewesen. Aber ihre Zunge, die er kaum ausmachen konnte, zeigte ihm klar und deutlich, wieso sie es verdient hatte nun vor ihm zu liegen mit Regenwasser im Mund einem und so sauberen Durchschuss, dass er sich vorhin sogar niedergekniet hatte, um die absolut glatten Ränder des Loches zu bewundern. Nun wirkte das Piercing absolut lächerlich und beschützt hatte es sie auch nicht. Haha. Wenn er das so dachte; wenn er sich so vor Augen führte, warum er sie getötet und das er sie getötet hatte, hielt er sich selbst für ziemlich krank. Natürlich war er das nicht. Nein, nicht wirklich. Und doch. Scheiße, er hatte vorhin sogar kurz überlegt irgendwie ein Foto von ihr zu machen und allein ihre Hässlichkeit im Moment des Todes und auch jetzt noch, hatte ihn davon abgehalten. Ach ja, und die Befürchtung, jemandes Aufmerksamkeit auf diese Szene zu lenken. Das hier war sein intimer Moment mit ihr und egal aus welchem Grund auch immer – niemand durfte ihn dabei stören! Nicht, solange er nicht mit ihr abgerechnet hatte. Aufgrund des Chaos‘ in seinem Kopf dürfte das jedoch noch eine Weile dauern. Bis zum Morgen wäre er gewiss fertig, dann wäre er verschwunden. Aber zuerst…ja, zuerst musste er sich einfach noch einmal vor Augen führen, warum sie das verdient hatte. Dieses Miststück. Eigentlich war er kein jähzorniger Mensch. Er wurde nur sehr selten wütend, es gab schließlich zehntausend andere Wege, sich zu behaupten. Dieses Mal aber hatte er einfach nicht an sich halten können. Die Frau da am Boden war ihm irgendwann einmal zufällig über den Weg gelaufen. Ihren Namen kannte er nicht und wie alt sie war, wusste er auch nicht. Obwohl die widerliche Schminke sie entstellte, schätze er sie doch auf Mitte zwanzig. Plus, minus ein Jahr. Jedenfalls hatte er an ihr Gefallen gefunden und obwohl es sonst nicht so seine Art war, hatte er alles in die Wege geleitet um sie in sein Leben zu lassen und das ihre nach Möglichkeit mit einem ‚Bitte, komm doch herein‘ betreten zu dürfen. Dennoch war es nur bei wenigen, weiteren Begegnungen geblieben und ehe er irgendwas über sie hätte herausfinden können, war der Kontakt abgebrochen. Seltsam, wenn man bedachte, dass es nicht so gewirkt hatte. Seine Narben entstellten ihn nicht, er war trotz seiner dreißig kein hässlicher, alter Mann. Und doch war sie von einem Tag auf den anderen verschwunden. Erst vor wenigen Wochen hatte er herausgefunden warum: Das Mädchen mit den roten Haaren war zu einer verfluchten Nutte geworden. War das zu fassen? Er hatte schon vieles gesehen und gehört, sein Leben war kein Paradebeispiel was fabelhafte Erziehung und eine glückliche Kindheit anging und doch – wie konnte jemand so Reines und Pures zu etwas derart Abartigen verkommen? Verächtlich hatte er sie genau das gefragt, aber ihre Antwort war eben so simpel wie dumm gewesen: Das geht dich nichts an. Tat es das wirklich nicht? Im Grunde egal, oder? Jetzt war sie ja tot. Und sie würde es bleiben. Vorsichtig und darauf bedacht, die Überzüge an seinen Schuhen auf gar keinen Fall zu verlieren, ging er um ihren Körper herum. Der Schuss dürfte in dem anhaltenden Gewitter untergegangen sein und die Häuser, die zwischen sich genug Platz für eine Gasse gelassen hatten, hatten zumindest in diese Richtung keine Fenster. Also doch, aber die waren alle blind. Holzbretter nahmen ihnen die Sicht und die Penner, die hinter ihnen hockten, dürften sich inzwischen mit geklautem oder geschnorrtem Alkohol ihr Leben schön gesoffen haben. Während er also noch einmal betrachtete, was er da zerstört hatte, fragte er sich folgendes: Würde man ihm auf die Schliche kommen? Fußspuren würde er mithilfe der Überzieher; die man in jedem Krankenhaus erhalten konnte, nicht machen. Vielleicht würden diese seltsamen Plastikdinger Abdrücke machen, aber zu was würde das führen? Zu einem Krankenhaus in Illinois – zu irgendeinem. Und wenn man dann zufällig herausfand aus welchem sie tatsächlich stammten, dann würde man was haben? Richtig – nichts! Denn tagtäglich marschierten so viele Menschen in ein Krankenhaus, dass einfach niemand auf einen mehr oder weniger unauffälligen Mann wie ihn achtete. Aber es ging noch weiter. Es ging immer weiter. Berührt hatte er sie nicht und er hatte darauf geachtet, dass auch sie es nicht tat. Der Schuss in die Stirn war anonym, jeder hätte sie einfach so von vorn erschießen können. Aber er lebte hier in Illinois. Nicht gerade an diesem Ort, nicht in dieser Stadt – aber wie lange würde es dauern, bis man vielleicht zu ihm fand? Sie war eine Prostituierte und wenn die Cops sich schon nicht für sie interessierten und den Fall zu den Akten legten, dann würden zumindest ihre Freier und Zuhälter und all das andere Pack nach ihm suchen wollen. Was hatte er schon groß zu befürchten? Er besaß einen verdammten Waffenladen und jede seiner verdammten Waffen war praktisch eine verdammte Verlängerung seines verdammten Armes! Zum ersten Mal seit dem Schuss, machte er selbst ein Geräusch: er seufzte. Sie würde ihn nicht mit sich nehmen. Komme was da wolle, wegen ihr würde er nicht einwandern. Deswegen musste er nun unbedingt von hier verschwinden um endlich von ihr befreit zu werden.
Terence Skye sah nicht mehr zurück, als er die Gasse im Schutze der Dunkelheit verließ. In seiner rechten Manteltasche befand sich die Mordwaffe und in seiner linken seine Zigaretten. Erst gefühlte fünf Kilometer vom Tatort entfernt zündete er sich eine davon an, den Filter behielt er jedoch, drückte sie sogar an einer Hauswand aus anstatt sie auf den Boden zu werfen. Die Überzieher hatte er schon kurz nach Verlassen der Gasse abgezogen – seine Schuhe waren schließlich sauber und wenn er einfach im Regen weiter lief, wie es tausende nach ihm auch tun würden, könnte praktisch jeder der Mörder sein. Irgendwann später würde er sie vernichten, mitsamt all der kleinen Details die ihn an diese Hure banden. Sein Wagen hatte unauffällig in einer Reihe anderer Autos geparkt, gegen fünf Uhr morgens stieg er ein und fuhr weg. Er würde in Illinois bleiben, natürlich. Warum auch nicht? Während er also durch die hereinbrechende Morgendämmerung fuhr, überlegte er bereits, was er zum Frühstück essen wollte. Terence, 30 Jahre alt, Besitzer eines Waffenladens und nun auch ein Mörder.
Step Two
Der weinrote Cherokee rollte träge auf der nassglänzenden Straße in Richtung Pampa. Weit und breit war nichts anderen zu sehen als weite, dürre Felder, ein paar Wäldchen und wenige Farmhäuser. Hinter der weißen Fahrbahnmarkierung lagen nicht selten totgefahrene Tiere und an den Strommasten, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt worden waren, zog sich leb- und farbloses Gras hoch. Terence hielt das mattschwarze Lenkrad fest umschlossen, während seine Augen stur gerade aus auf die Straße gerichtet waren. Kurz bevor er los gefahren war, hatte der Regen in der Stadt aufgehört und die bis dahin dichte, schwarze Wolkendecke war ein wenig aufgerissen. Hier draußen aber fuhr er kontinuierlich einer bedrohlichen Front entgegen, die mit noch stumm über den Himmel zuckenden Blitzen drohte. Dicke, schwere Tropfen prallten mit beunruhigender Geschwindigkeit auf der Windschutzscheibe auf und wurden dann nahezu brutal von sich rasch nach links und rechts bewegenden Scheibenwischern fortgerissen. Obwohl es fast schon Mittag war, musste er das Licht einschalten um nicht Gefahr zu laufen in dem dichten Regenschleier irgendwo dagegen zu fahren. Das Radio hatte er schon vor Stunden ausgeschalten, die ewige Countrymusik ging ihm nämlich gehörig auf den Zeiger. Das Gerät war schon ziemlich alt und er hatte weder die Muße noch das Geld um es durch ein neues zu ersetzen. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere und egal wie oft er an das Bild der toten Nutte dachte, die da vor ihm auf dem Boden gelegen hatte, es wollten sich einfach keine nützlichen Gedanken einstellen.
Skye war nun seit gut drei Stunden unterwegs, was ihm die Uhr an seinem Handgelenk vor etwa zwei Minuten verraten hatte. Sein Magen gab knurrende Beschwerden und eine unbestimmte Müdigkeit ergriff von ihm Besitz. Er wusste nicht, wo genau er sich befand und wohin er noch kommen würde, sollte er dem dunklen Weg durch das Unwetter folgen. Bisher hatte er jedoch noch kein Schild entdeckt, dass ihn in einem anderen Bundesstaat willkommen hieß oder gar in einem anderen Land. Grundlegend war seine Situation jedoch eine schlechte, gerade, wen man bedachte, dass er floh. Nicht nur vor eventuellen Gewissensbissen und sich selbst sondern auch vor dem Gesetz. Er hatte einen Menschen umgebracht, egal wie wertlos er ihm erschienen war und sollte jemand eine Verbindung zwischen ihnen herstellen können, so würde es ihm wohlmöglich an den Kragen gehen. Was, wenn da noch mehr dahinter steckte, als nur die Polizei? Jede Hure hatte schließlich einen Zuhälter und ja, er mag mit seinem Waffengeschäft zu jenen Kriminellen gehören. Aber das vorhin war seine erste, wirklich schlimme Tat. Nicht, dass er sie bereute – noch nicht jedenfalls – aber…Himmel, hatte er sich das wirklich überlegt?
Die Frage, die er sich selbst gestellt hatte, klang noch lange in seinem Kopf nach ohne dass er eine passende Antwort darauf fand. Und auch andere Fragen begannen langsam seine bis eben noch leeren Gedankengänge zu füllen; ja sie praktisch zu überfluten aber bevor er sie wirklich bewusst wahrnehmen konnte, tat sich am Straßenrand vor ihm etwas auf. Die Geschwindigkeit etwas drosselnd und sich leicht vorbeugend um entgegen jeder Logik besser sehen zu können, fixierten die rotbraunen Augen des Dunkelhaarigen einen länglichen…Wagon? Noch ein bisschen mehr auf die Bremse tretend, rollte er die letzten Meter zu dem unförmigen Gebilde hin und erkannte es; kurz bevor er stehen blieb; als Diner. Das Schild leuchtete nicht mehr und wäre durch die kaputten Jalousien nicht ein bisschen Licht gedrungen, er wäre wohlmöglich einfach weiter gefahren. So zögerte er nur, ehe er wieder etwas Gas gab und um das Diner herum auf einen kleinen Parkplatz fuhr. Das es überhaupt einen hatte, verwunderte schon, da man ihn von der Straße aus nicht sah und da keine Teerverbindung existierte, vermutete man so etwas auch nicht. Skye hatte auf Sicherheitsgründen einfach nur auf dem Feld dahinter parken wollen…aber so geht’s natürlich auch.
Die wichtigsten Dinge und vor allem das eigene Portemonnaie einsteckend, verließ Terence seinen geliebten Cherokee. Die Wagentür zuwerfend, löste er den Verriegelungsmechanismus aus und trottete dann abermals um den Wagon herum zum Eingang. Eine kleine Treppe musste erklommen werden, um die laut quietschende Tür zu erreichen und nachdem man den Drehmechanismus der Tür einmal verstanden hatte, konnte man das kleine Lokal auch mühelos betreten. Drinnen erwartete einen dann ein undefinierbarer Geruch den man durchaus als unangenehm hätte empfinden können, hätte man gewusst, an was er einen erinnerte. Auch sonst lud der Raum nicht wirklich dazu ein, hier zu verweilen aber unter dem fast erzürnten Blick der Bedienung – hatte er etwas falsch gemacht? – wagte Skye es nicht, sofort wieder in den Wagen zu steigen und Gott weiß wie viele Meilen abzufahren um irgendwo anders zu halten.
„Guten Tag, ich hätte gern-“ „Haben Sie denn Geld dabei?“, unterbrach die heruntergekommene Frau ihn. Ihre Stimme war rau und kratzig und ihre Worte bellte sie ihm fast ins Gesicht. Schmutzig braungraues Haar war zu einem strengen Dutt zurück gekämmt worden und obwohl sie eigentlich eine schlanke Person zu sein schien, hatte das Alter dafür gesorgt, dass an Hals und Oberarmen Haut schlaff nach unten hing. „Ja…hab ich.“, erwiderte er verblüfft über ihr unverhohlenes Misstrauen und zog seine Geldbörse hervor. Mit wenigen Handgriffen offenbarte er ihr seinen Geldvorrat und wurde trotzdem überaus skeptisch begutachtet. „Was darf’s sein?“, blaffte sie wieder und – nachdem er den ersten Impuls, sie einfach hier und jetzt über den Haufen zu schießen, unterdrückt hatte – er antwortete, er hätte gern einen Kaffee und Rührei. Kaffee könne er haben, kündigte sie im Fortgehen an. Nur Ei wäre keines mehr da. Nachdem Terence seine Bestellung also von Ei auf Speck, von Speck auf Würstchen und von Würstchen auf ein schlichtes Sandwich hatte umändern müssen, lief er deutlich angespannter zu den Toiletten und bereute es kurz darauf sofort. Der unbestimmte Geruch vorhin fand hier nämlich seinen Ursprung und Gott…hätte er irgendwas im Magen gehabt, es läge jetzt auf dem Boden. So schnell wie möglich sein Geschäft verrichtend und dankbar dafür seiend, dass zumindest das Wasser funktionierte, setzte er sich wenig später an seinen Tisch wo seine Bestellung auf ihn wartete. Die Bedienung selbst verlangte sofort das Geld und schlurfte dann wieder hinter den Tresen. Besser er nahm das Zeug so schnell wie möglich zu sich und verschwand danach auf nimmer wiedersehen…
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2011
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Widmung:
An.
Meinen.
Fetisch.