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Außerhalb


Inzwischen war sie vollkommen durchgeweicht. Nass bis auf die Knochen, wenn man so will. Ihre Haut war kalt, ihr Haar dunkel und schwer. Es hing formlos herunter, klebte an ihren eingefallenen Wangen und juckte in ihrer Stirn und im Nacken. Immer wieder blinzelte sie gegen die harten Regentropfen an, die unaufhaltsam auf sie nieder gingen, aber ihre kurzen Wimpern hatten keine Chance. Deswegen sah es so aus, als würde sie weinen. Es wirkte, als würde sie tatsächlich bedauern, was passiert war. Aber das täuschte. Sie bedauerte nichts. Sie empfand nichts. Nicht mehr

.

Langsam, beinahe träge hob sie die Zigarette an, die vielleicht irgendwann einmal an gewesen sein musste. Ihre Spitze war schwarz; zeigte, dass man das Papier und den Tabak angezündet hatte. Jetzt aber hatte sie sich vollgesogen, was die klammen Finger nicht davon abhielt sie zu spröden Lippen zu führen, wo ein bitterer Mund den viel zu weichen Filter umschloss und an ihm sog. Im Bestreben, giftigen Rauch in unfreiwillig funktionierende Lungenflügel zu pumpen. Natürlich tat sich nichts, aber falls sie es registriert hatte, ließ sie es sich mit keiner noch so banalen Regung anmerken. Ganz schlicht senkte sie die Hand einfach wieder, als hätte sie bekommen, wonach sie gesucht hatte. Und ihr Blick, ganz verschwommen durch das himmlische Wasser, ging nach wie vor stur gerade aus, irgendwas fixierend, das nur sie sehen konnte. Sie als abwesend zu bezeichnen würde ihrem Zustand eher schmeicheln, als dass es wirklich zutraf. Von ihr zu verlangen, sich zu bewegen oder zu erzählen, was mit ihr los sei, würde sich als hoffnungsloses Unterfangen herausstellen. Deswegen gingen die Menschen, die sich in ihrer Nähe befanden, einfach an ihr vorbei. Keiner nahm von ihr Notiz und wenn sie bei Sinnen gewesen wäre, so hätte sie sich vielleicht darüber geärgert. Sie hätte sich gefragt, warum sich so wenige für ihr Wohl und ihr Leid interessierten. War es nicht normal zu fragen ob alles in Ordnung sei? Konnte sie von ihren Mitmenschen nicht wenigstens so viel erwarten? Das hätte sie sich wohl gefragt, wenn ihr nicht alles so furchtbar gleichgültig gewesen wäre. Nichts drang zu ihr durch und nichts, was wohlmöglich noch in ihr war, drang nach außen. Sie hatte einfach zu gemacht und tat nichts weiter, als auf dem Bordstein sitzen und atmen.

Ihre Füße, nackt und ebenso kalt wie der Rest ihres Körpers, standen im kleinen Strom des Regenwassers, welcher den Rinnstein erobert hatte und jeglichen Unrat in die Gullys spülte, die in die Seiten des Bordsteins eingelassen worden waren. Mit dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hielt sie die Kippe, die im Begriff war entzwei zu brechen und sich den verbrauchten Filtern bereits gerauchter Zigaretten anzuschließen, während die rechte mit dem Handrücken auf ihren angezogenen Beinen lag. Der Saum ihrer Hose hatte sich durch das Schmutzwasser verfärbt und wenn sie aufstehen würde, würde der Stoff auch am Hintern schmutzig sein. Ihre Fingernägel, die ohne jeden Lack und ohne jede pflegende Behandlung waren, hatten sich durch die Kälte violett verfärbt und der Dreck unter ihnen, sowie der in ihrem Gesicht, der hartnäckig an ihrer Haut festhielt, ließ sie alles in allem zu einer sehr bemitleidenswerten Kreatur werden. Die sich selbst dann nicht regte, als aus dem immer wieder abbrechenden Fluss an Autos eines mit solch auffälliger Geschwindigkeit ausbrach und auf sie zuraste, dass es ihr unmöglich hätte sein müssen es nicht zu bemerken. Laute Sirenen erklangen, panische Schreie wurden laut und Hektik brach los. Leben, so wild es auch sein mochte, traf die heruntergekommene Gegend und apathische Seelen erwachten aus ihrer ignoranten Starre. Nur sie nicht. Sie blieb sitzen und so fuhr der Wagen – herumgerissen vom Fahrer – schlichtweg…durch sie hindurch.




Fortsetzung folgt...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich. widme. es. dem. Leben.

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