Es regnete, als wolle der Himmel auf die Erde stürzen. Bereits seit Tagen peitschten die Wassermassen auf die Stadt ein, verwandelten Plätze in schmutzige Tümpel und Straßen und Wege in schlammige Sumpflandschaften. Tief in Gedanken starrte die Königin aus dem Fenster und zog das Laken enger um ihre Schultern. Valerio schlief. Barfuß schlich sie ans Bett heran und betrachtete die vollkommenen Linien der Schultern und der schlanken, muskulösen Arme, die sich in regelmäßigen Atemzügen hoben und senkten, die Flut der dunklen Locken, die sich wie ein Wasserfall über das Kissen breitete. Vorsichtig strich sie über die matt glänzende, hellbraune Haut des Schlafenden. Ihr blieben nur drei Tage, weniger als drei Nächte, die Frist, die König Seyfried ihr gesetzt hatte. Drei Tage, um zu tun, was man von ihr verlangte, was man für ihre Pflicht als Königin hielt. „Um ein Bündnis einzugehen, das ihrem gequälten Volk endlich Frieden bringen wird, Majestät,“ sagten ihre klugen Berater. „Drei Tage, um all dies aufzugeben, sagte ihr Herz. Ihre Liebe und ihre Freiheit zu opfern, für ein Leben als Sklavin an der Seite dieses Unholds. Was wusste schon das Volk von den Leiden seiner Königin? Eine Entscheidung musste fallen, damit hatten sie recht. Doch es würde eine freie Entscheidung sein, die getroffen wurde – ihre Entscheidung. Vorsichtig zog sie die Decke über die entblößte Schulter des Schlafenden und schlüpfte leise in ihre Kleider. Die Kapuze des Mantels tief ins Gesicht gezogen, huschte sie wie ein Schatten hinaus in das Unwetter.
Das Klopfen klang energisch, nach der Hand eines Menschen, der es gewöhnt war, anderen Befehle zu erteilen. Fragend sah Eusebio seinen Meister an, doch dieser blickte nur kurz von dem Buch auf, in dem er im Schein der Kerze las, nickte ihm zu und wies mit der Hand auf die Tür. Lustlos schlurfte der Lehrling zum Eingang und entriegelte die Klappe. In der Finsternis erkannte er die Umrisse einer verhüllten Gestalt. „Wer da?“ fragte er mürrisch durch die Luke.
„Öffnet,“ ertönte es draußen. Ich bringe eine Nachricht im Auftrag eurer Königin!“
Eusebio erstarrte. Eilig zerrte er an den schweren Riegeln und zog die Tür auf, die sich widerwillig quietschend öffnete. Der Bote der Königin wandte sich suchend um, als wolle er sicherstellen, dass ihm niemand gefolgt war. Mit einer ausladenden Geste raffte er seinen wasser- und schmutztriefenden Umhang zusammen und trat ein, zusammen mit einer Welle aus Nässe, Kälte und Straßenschlamm.
„Meister Zacharias!“ Ohne Umschweife trat die Gestalt vor das Lesepult des berühmten Magiers und zog die schwarze Kapuze aus der Stirn. Fassungslos erkannte Eusebio die hinreißend schönen Gesichtszüge seiner jungen Königin, die schneeweiße Stirn, die glänzenden Augen und vollen roten Lippen, den sanften Schwung ihrer ebenmäßigen Nase. Niemals zuvor, wusste er gewiss, hatte er eine prächtigere Frau gesehen. Hatte er die Herrscherin bisher nur wenige Male von Ferne bewundern dürfen, wenn sie mit ihrem Gefolge durch die Stadt ritt, war er nun wie geblendet vom unverhofften Erscheinen so großer Schönheit im Haus seines Meisters. Wie von selbst fiel er ehrfürchtig auf die Knie. Kaum wagte er, sie anzusehen und konnte seine Augen doch kaum von ihrer beeindruckenden Erscheinung lassen.
„Ihr seid also tatsächlich gekommen!“ stellte Zacharias ungerührt fest und sah nur langsam von seinem Buch auf. Umständlich trat er dann hinter seinem Pult hervor und deutete mit einem kleinen Ächzen eine Verneigung an.
„Ihr verzeiht, aber mein Rücken plagt mich. Leider hat gegen diese Art von Übel bislang noch niemand ein Zaubermittel erfunden.“
„Ihr könnt ihn rufen, nicht wahr? Ihr habt das Wissen dazu?“
Zacharias seufzte.
„Nicht alles Majestät, was wir tun könnten, sollten wir tatsächlich tun!“
„Meister Zacharias! Ich bin Eure Königin. Ich kann es Euch befehlen!“
„Das könntet Ihr! Doch auch ein Fehler per Befehl bleibt ein Fehler!“
„Schattenfeuer ist unsere einzige Hoffnung, das wisst Ihr!“
„Nicht die einzige. Es gibt einen anderen Weg, den Ihr kennt!“
Die Königin warf den Kopf zurück und schnaubte.
„Ihr wagt es? Ich soll bei diesem Barbaren liegen und ihm Kinder gebären? Die Herrschaft über mein Reich mit ihm teilen? Wie könnt Ihr mir so etwas vorschlagen?“
Eusebio hielt die Luft an. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Zacharias einen Schritt auf die Herrscherin zutrat und ihr mit festem Blick ins Gesicht schaute. Im Schein der Kerze erschien Eusebio der Meister plötzlich größer und breiter.
„Majestät, es geht hier nicht nur um Euch! Es geht um Euer Volk, das Euch vertraut, das keine andere Wahl hat, als Euch zu vertrauen. Euer Volk, das seit Monaten vom Krieg verzehrt wird. Euer Volk, das vom Feind bedroht wird, der vor den Toren der Stadt liegt. Und es liegt an Euch, dies zu beenden – indem Ihr das Opfer bringt, das Ihr Eurem Volk schuldig seid und das Blutvergießen beendet! Herrschen ist kein schlichtes Privileg, sondern Verantwortung!“
„Ein Volk mit einer unglücklichen Herrscherin ist ebenfalls zum Unglück verdammt!“
„Nein, ist es nicht! Wenn Euer Verzicht zum Wohl Eures Volkes ist, sollte es das ein, was Euch glücklich macht. Unglücklich ist der Herrscher, der sein Land aus Selbstsucht ins Verderben stürzt!“
„Spart Euch die unnützen Worte. Meine Entscheidung ist gefallen, Meister Zacharias. Ihr werdet tun, was ich Euch befehle!“
Eusebio zuckte verschreckt zusammen, als Zacharias sich umdrehte und seine Faust donnernd auf die Tischplatte schlug. Seine Augen blitzten, als er erneut vor die Königin trat.
„Befehlen, ja? Gut, dann befehlt mir! Befehlt mir und rennt in Euer Verderben! Denn Schattenfeuer, Eure Majestät, ist zu mächtig, um sich von einer gekrönten Göre befehlen zu lassen, die selbstverliebt ihr Volk ins Elend stürzt, um ihr Bett weiter mit einem tanzenden Lustknaben teilen zu können. Ihr seid empört über meine Rede? Bitte, seid empört – lasst mich hinrichten, wenn es Euch beliebt – und seht zu, wie Ihr alleine mit Schattenfeuer zurechtkommt. Ein Drache, werte Königin, ist kein Schoßhündchen. Und wenn wir den Zauber umkehren, der ihn nun so lange glücklich schlafen ließ, wird er alles von Euch verlangen. Gebt ihm Gold und Schätze, opfert ihm die Jungfrauen Eures Volkes, lasst die geliebten Töchter Eurer Untertanen von ihm abschlachten als Preis für Eure Eitelkeit, für Eure Besessenheit von einem hübschen Sklaven. Schattenfeuer hat nie genug. Es ist ein Elend, dass dieses Scheusal am Leben bleiben durfte. Bereits Euer Urgroßvater hätte ihn töten sollen, als die Magierzunft endlich den Zauber gefunden hatte, der ihn schlafen ließ. Er tat es nicht! Auch er war von der Macht berauscht, von den Möglichkeiten, die der Drache seinem Haus eines Tages als Waffe eröffnen könnte. Doch ein Drache ist kein Mittel zum Zweck. Ein Drache steht nur auf seiner eigenen Seite – und jeder, der sich mit ihm einlässt, wird seinen Preis bezahlen. Auch Ihr, Königin! Gerade Ihr!“
Eusebio, der noch immer am Boden kniete, wagte nicht, sich zu rühren. Zu sehr hatte ihn das Gehörte aufgebracht, zu schrecklich waren für ihn die Worte, die der alte Meister an die junge, anbetungswürdige Herrscherin zu richten wagte. Die Königin sagte kein Wort. Im Schein der Kerze leuchtete ihr Gesicht weiß und kalt wie gefrorener Schnee. Viel schrecklicher erschien Eusebio dieses Schweigen, als der Streit, den er gerade mit angehört hatte. Er schloss die Augen, als er sah, wie sie mit der Hand rasch unter ihren Umhang fuhr, einen Stab mit einer metallbeschlagenen Spitze hervorzog und ausholte.
„Ich erwarte Euch morgen bei Einbruch der Dunkelheit am Schattenfelsen, Meister! Das Opfer für den Drachen wird bereit sein. Ich erwarte, dass auch Ihr bereit seid!“
Mit diesen Worten wandte sie sich um und verließ mit eiligen Schritten das Haus. Erst als die schwere Holztür hinter ihr ins Schloss fiel, wagte es Eusebio, die Augen zu öffnen. Eine tiefrote Linie schnitt das Gesicht des Meisters von der Stirn abwärts in zwei Hälften. Der Alte stand still an derselben Stelle wie zuvor. Ein Blutstrom rann über Kinn und Hals und färbte sein Hemd, doch er verharrte unbewegt, ohne einen Laut des Schmerzes und rührte keinen Finger, um die Blutung zu stoppen.
„Und ich werde bereit sein Majestät,“ murmelte er mit glasigem Blick. „Oh ja, ich werde bereit sein!“
„Junge, lauf' und hol' mir Grimbold. Ich muss ihn sprechen.“ Der Knappe verneigte sich und eilte hinaus. Kurz darauf verrieten dem König die schweren Schritte vor seinem Zelt die Ankunft des Herzogs von Landrien. Grimbold der Hüne trat, leicht gebückt, den Helm in der Hand, ein und verneigte sich. „Mein König?“
„Was denkt Ihr, mein Bester?“ fragte dieser ohne Umschweife. „Wie lange noch?“
Grimbold hob seine gewaltigen Schultern und schob das regennasse Haar aus der Stirn.
„Um ehrlich zu sein – ich weiß es nicht. Wenn sie vernünftig ist, geht sie eher heute als morgen auf Euer Angebot ein. Die Stadt ist belagert, niemand ihrer alten Verbündeten wird ihr zu Hilfe eilen.“
„Seid Ihr sicher?“
„Sicher. Kendrick verachtet ihre Politik, seine Loyalität galt nur ihrem Vater, Gunnwin hat sich mit Walonis verbündet. Sie ist allein, soviel steht fest.“
„Und warum sollte sie dann nicht vernünftig sein?“
„Nun... man munkelt von einer Liebschaft, die sie davon abhält, auf Euer Angebot einzugehen.“
„Ein Fürst?“
„Mitnichten. Ein höfischer Lustsklave, ein Tänzer, soll es ihr angetan haben.“
Grimbold lachte finster. Der König sah ihn ungläubig an, ehe er ebenfalls zu lachen begann. Er lachte noch immer, als der Botenjunge eilig in sein Zelt stürzte.
„Majestät, Majestät!“
„Was gibt es nun wieder?“
„Ein Mann aus der Stadt wünscht Euch zu sprechen.“
„Endlich ein Bote der Königin?“
„Nein. Ein Magier. Er... er sagt ER wird angreifen. Bei Einbruch der Dunkelheit!“
Der Schreck fuhr Eusebio durch alle Glieder, als ruckartig die Tür aufflog. Er atmete auf, als er den Meister erkannte, der seinen vollgesogenen Umhang von sich warf. Der junge Lehrling hatte seit dem Morgen mit wachsender Unruhe gewartet, Stunde um Stunde, wie Zacharias es ihm aufgetragen hatte. Nun geschah alles Schlag auf Schlag.
„Pack' deine Sachen!“ sagte der Alte kurz angebunden.
„Nur das Notwendigste, ein kleines Bündel mit deinen persönlichen Dingen, Essen für drei Tage.“
Er drückte ihm zwei Goldstücke und einige Silbermünzen in die Hand.
„Das dürfte reichen!“
„Wofür, Meister?“
„Für deine Flucht! Du wirst bei Einbruch der Dunkelheit die Stadt verlassen.
„Meister, die Stadt ist belagert?“ „
War belagert. König Seyfried zieht seine Truppen ab. Er gibt dir freies Geleit. Doch du musst schnell fort sein, so schnell es geht.“
„Meister, meine Lehre bei Euch?“
„Geh' nach Walonis, zu Meister Degenhart. Ich empfehle dich. Hier hast du mein Wappen. Zeig' es ihm – und den Männern König Seyfrieds, falls nötig. Und nun mach', dass du fortkommst.“ Mit diesen Worten eilte er die Treppe hinauf in seine Kammer und ließ Eusebio, das silberne Siegel des Magiers in der Hand, ungläubig zurück. Es dauert einige Minuten, ehe er sich genug gefasst hatte, um das weitere Vorgehen zu planen. Er eilte in seine Kammer, um seine wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel zu schnüren, holte sich aus der Vorratskammer etwas Brot und geräucherten Speck und warf seinen Umhang über. Mit einem letzten wehmütigen Blick verabschiedete er sich von dem Ort, der seit dem Tod seiner Eltern sein Zuhause gewesen war. Dann trat er hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Der Regen hatte etwas nachgelassen, trotzdem war die Stadt wie ausgestorben. Die wochenlange Belagerung zehrte an ihr wie eine langwierige Krankheit. Eusebio eilte die Hauptstraße entlang in Richtung Turmtor, dem einzigen Ausgang aus der Stadt. Er erstarrte, als er die Geräusche an der Abzweigung in Richtung Schattenfels vernahm. Und dann sah er sie: Ochsenwagen, über und über beladen mit Gold und Schätzen, die sich langsam den Berg hinaufwälzten. Eusebio hörte das angstvolle Muhen und Brüllen und die Schreie der Fuhrleute, die ihre Peitschen über den Köpfen der Tiere knallen ließen, um die Wagen in Bewegung zu halten. Was vorher eine vage Ahnung gewesen war, schien sich erst jetzt, in der verzweifelten Angst des Viehs, in seinem ganzen Ausmaß zu bestätigen. Noch ehe er die gefesselten Mädchen auf dem letzten Wagen entdeckte, hatte die Katastrophe seinen Kopf erreicht. Er erkannte Agnes, die Tochter des Schuhmachers, Elsa, die Braut des Bäckersohns – und er rannte, rannte von Grauen erfasst um sein Leben. Endlich erreichte er das Tor, das zu seiner Überraschung offen stand. Wächter und Soldaten waren verschwunden, ebenso wie das feindliche Lager vor den Mauern der Stadt, von dessen Existenz nur noch der Unrat und die verlassenen Feuerstellen zeugten. Eusebio lief und lief, erst nach Kilometern wagte er sich umzudrehen und starrte ungläubig in den blutroten Feuerschweif, der in der Ferne über der Stadt seine Kreise zog.
„Was, was willst du noch? Mehr Gold? Mehr Mädchen? Hast du nicht schon genug von mir bekommen? Dafür, dass du eigentlich nichts getan hast? Nicht einmal das Lager musstest du ausräuchern, weil Seyfried schon vorher die Flucht ergriffen hatte!“
Schattenfeuer lächelte breit und entblößte dabei einen Palisadenzaun lanzenartiger Raubzähne.
„So aufgeregt, kleine Königin?“ fragte er amüsiert.
Geschmeidig wie ein verspieltes Kätzchen richtete sich der riesige, pechschwarze Drache zu seiner ganzen Größe auf, stellte sich auf die Hinterbeine und schüttelte seine gewaltigen Schwingen mit der Eleganz eines Schwans.
Die Königin wich vom Rand der Höhle zurück, deren Versiegelung Zacharias nach so vielen Jahren aufgebrochen hatte, um die Bestie aus ihrem Zauberschlaf zu holen. Nun war Zacharias, der einzige, der ihr helfen konnte, spurlos verschwunden. Sie hatte nach seinem Lehrling suchen lassen, um diesem den Verstand aus dem Leib zu foltern, doch auch dieser war vor Tagen zuletzt in der Stadt gesehen worden.
„Du bist gewöhnt, deinen Willen zu bekommen, nicht wahr? Doch weißt du was, meine Kleine? Ich auch! Wir sind uns ähnlicher, als du denkst. Und weißt du, was noch? Ich bin ein wenig böse auf dich, weil du mir nicht verraten willst, warum ich so lange geschlafen habe. Denn ich bin mir sicher, dass dahinter eine widerwärtige kleine Gemeinheit steckt, über die du näheres weißt. Und trotzdem schenkst du mir nichts, außer etwas verstaubtem Gold und einigen verschreckten Bauernmädchen. Hätte jemand wie ich nicht ein Geschenk verdient, dass eines Herrschers würdig ist?“
Der Drache blinzelte sie listig aus gelben Augen an.
„Doch weißt du, was wir beide noch gemeinsam haben, hm? Bündnissen mit uns ist nicht zu trauen. Wenn du mich nicht genügend belustigen kannst, hole ich mir bei anderen, was ich möchte. Wetten, dass ich es bekomme?“
Der Drache griff hinter sich in eine Felsspalte.
„Und nun sieh' nur, was deine Untertanen mir Hübsches geschenkt haben! Ist er nicht eine Augenweide? Ein echtes Schmuckstück für Herrscher!“
Die Königin spürte, wie mit einem Schlag alle Kraft aus ihrem Körper wich, als sie Valerio erkannte, dessen makellosen Leib der Drache wie ein Spielzeug in seiner Raubvogelklaue hielt.
„Der Schuhmacher und die anderen lassen dich schön grüßen, junge Dame. Manchmal müsse man für ein höheres Ziel eben ein kleines Opfer bringen, richten sie dir aus.“
Schattenfeuer betrachtete verzückt den jungen Mann, der in seiner Umklammerung zappelte wie ein gefangener Sperling. „So ein Schmuckstück zum Zeitvertreib ist eine schöne Sache. Leider gehen diese zarten kleinen Dingelchen immer so schnell kaputt.“
Niemals würde die Königin Valerios aufgerissene Augen vergessen können, die sie auch dann noch unentwegt anstarrten, als der Drache bereits mit einer winzigen Bewegung seiner Faust die Knochen ihres Geliebten zermalmt hatte.
„Die Königin ist angekommen, Majestät“, hatte der Bote verkündet. Unruhig seinen Bart zwirbelnd ging Seyfried im Zelt auf und ab.
„Ich verstehe Euch nicht, Meister Zacharias! Warum um alles in der Welt habt Ihr dieses Untier überhaupt zum Leben erweckt, wenn Ihr wusstet, welchen Schrecken es verbreiten wird?“
Zacharias lächelte listig.
„Nun, ich wünschte mir wohl, dass zwei Scheusale auf einen Streich besiegt werden.“
„Ihr sprecht von der Königin?“
„Nennt sie nicht Königin. Nennt sie Teufelin, nennt sie törichtes Weib. Alles ist sie, nur keine Königin. Doch genau das wäre sie ohne Schattenfeuer für viele Jahre geblieben. Erst seit der Erweckung des Drachen sind ihre Untertanen bereit alles zu tun, um sie zu stürzen. Sie werden den als König annehmen, der den Drachen dieses Mal endgültig erschlägt.“
„Was ist mit ihrer Leibgarde, ihren Lehnsleuten?“
„Werden keinen Finger mehr für sie rühren! Und selbst wenn: Was würde es viel nutzen?“
König Seyfried hob seine buschigen Augenbrauen.
„Was schlagt ihr vor?“
„Einen Pakt. Ihr jagt sie mittellos zur Stadt, zum Land hinaus. Mein Zauber schenkt dem Drachen goldene Träume, Euer Schwert verhindert ein erneutes Erwachen – und der Drachentöter wird neuer König des Landes.“
Seyfried lächelte. Dann rief er nach seinem Boten.
„Lasst sie hereinkommen!“
Es war später Abend, als Eusebio die fremde Stadt erreichte und die Straßen müde nach einer Unterkunft absuchte. Jahre der Wanderschaft waren vergangen, seit der Zauberer als junger Lehrling seine Heimat verlassen hatte. Zu spät bemerkte er an diesem Abend, in welches Viertel er geraten war. „Seid gegrüßt mein Freund. Ihr seid auf der Suche? Ich könnte Euch einen großen Gefallen erweisen!“
Die verhüllte Frauengestalt, die aus einer dunklen Gasse geschlüpft war, öffnete ihren zerschlissenen Mantel und zog ihre Kapuze zurück. Mit einem Schauder des Entsetzens wandte Eusebio sich ab und eilte davon, als er in den durch Alter, Gram und Trunksucht entstellten Gesichtszügen das Antlitz seiner früheren Königin erkannte.
© Birgit Schulz
Tag der Veröffentlichung: 19.02.2019
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