- Die Beobachtungen und Begegnisse des Einsamen-Stummen sind zugleich verschwommener und eindringlicher, als die des Geselligen, seine Gedanken schwerer, wunderlicher und nie ohne einen Anflug von Traurigkeit. Bilder und Wahrnehmungen die mit einem Blick, einem Lachen, einem Urteilsaustausch leicht abzutun wären, beschäftigen ihn über gebühr, vertiefen sich im Schweigen, werden bedeutsam, Erlebnis, Abenteuer, Gefühl. -
Mitten in der Nacht. 3:24 Uhr. Verdammte Stille. Niemand wach, außer Laura. Niemand.
Sogar die Vögel in ihrem sommerlichen Liebestaumel, die den ganzen Tag süßlich zwitschernd von Dach zu Dach springen, halten den Schnabel. Wie nett.
Wenn du deine Ruhe haben willst singen sie dir den ganzen Tag “ Ich bin glücklich, du bist es nicht! Hahaha! ” und wenn du liegst, allein und diese verdammte Stille dich aufzufressen droht, sind sie einfach weg. Stille.
Aber ist die Vorstellung an ihren verächtlichen Gesang denn nicht gleichwertig ihrem originalen Fuck-You-Soundtrack? Und worüber denke ich hier eigentlich nach? STOPP.
STOPP.STOPPSTOPPSTOPP. STOPP- ein Wort, 4Buchstaben, einer davon doppelt, die wohl meist verwendete Phrase in meinen Gedanken der letzten Wochen. Neben FUCK.
3:26 Uhr . Die neonorange , höllengrelle Anzeige meines Digitalweckers, der
mich in weniger labilen Zeiten meinerseits in schätzungsweiße fünfzig Prozent der
Fälle ganz gut mit dem ultralustigen Gute-Laune-Guido geweckt hat, schreit mich
oxymoronmäßig an, dass erst zwei Minuten seit meinem letzten todesmutigen Blick
in seine Richtung vergangen sind.
Emotionslos. So emotionslos ich könnte mich nicht mal umbringen. .Ja, ich wäre gern so richtig schön scheisse traurig. Ehrlich. Doch ich fühle nichts. Ich mach mir Gedanken über Suizidgedanken, aber Suizidgedanken habe ich nicht.
Schneidet mir eine Glatze, tötet meine Familie, disst mich wie Bushido es tun würde, werft mich auf die Straße, spuckt mich an… es interessiert mich nicht.
Du könntest mir meine Katze mit Apfelrotkohl und Herzoginnenkartoffeln zum Mittagessen servieren und ich würde nicht ein Wort darüber verlieren. Ja, ich weiß, ich bin ein grausamer Mensch.
Willkommen in Freakhausen. Schön, dass sie uns erneut besuchen. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass unsere Gefühlsachterbahn wegen Überlastung großen Verschleiß erlitten hat und derzeit außer Gefecht gesetzt ist. Gern legen wir Ihnen aber unsere neueste Attraktion ans Herz: Das schwarze Loch.
Falls der kleine Hunger aufkommt können sie gut und günstig zur Rechten des Einganges Hot Cats bekommen- Herzoginnenkartoffeln natürlich auch, ja.
STOPP.
3:29 Uhr. Es ist vergebens, Gevater Schlaf hat mich endgültig verlassen. Nachdem wir jahrelang eine innige Liebesbeziehung hegten, hat er mich eiskalt sitzen lassen. Scheisstyp. Und nun? FUCK.
[WAS RAUSGELASSEN;AM ENDE ETWAS MIT BEZUG AUF DAS FERNSEHEN]
Nicht so viel Realität, bitte. Früher war ich sehr daran interessiert wie Nadja ab del Faragh sich ihre mikroskopisch kleinen Operlippenhärchen mit dem neuestem Super-Ultra-Ultra-Soft- Eppilierer entfernt oder Ramona Drews still Muttermilch aus ihren operierten Silikontüten spritzen kann. Ja, ich wusste immer, wer bei Big Brother mit wem und auch danach, und Hochzeit und Trennung und sowieso. Möchtest du wissen, ob der Size-Zero-Wettbewerb of the year an Vic oder Nicole geht? Frag Laura!
Jetzt gerade in diesem Moment könnte Naddel in einem eklatanten Bitch-Fight mit ihrem hypermodernen Verkaufsschlager Frau Drews’ Brüste aufschneiden und deren Milch in die gebotoxten Mäuler der skinny bitches füllen und es würde mich ungefähr so sehr tangieren wie der allseits-beliebte und ultra-witzige Sack Reis in China.
[WAS RAUSGELASSEN]
Ich liege also da und fühle nichts. Und tue nichts. Warum tue ich nichts? Ich mache ein Geräusch. Ich räuspere mich. Ich mache “Mhhh…”. Ganz nach dem Motto “Silence i kill you” , nur weniger aussagekräftig. Und sehr leise. Was tue ich hier? Ich fühle nichts und mache “Mhhh.” Warum zur Hölle erinnert mich das an das leiterförmige Nervensystem eines Regenwurmes? STOPP.
Leise zitiert mir mein Hirn eine Zeile aus einem Fanta-4-Song. Es muss lange her sein, dass ich ihn gehört habe, denn Musikhören ist aktuell unter den Top Ten meiner “ Don’t Liste”. “ Herzlich willkommen am Arsch, ich weiß nicht wie es so weit kommen konnte.”
Danke, Hirn, halt’s Maul. FUCK. STOPP.
[WAS RAUSGELASSEN]
Und ich notierte in mein Buch:
Tiere haben keine Moral, deswegen erwarten wir keine von ihnen und lieben sie.
Menschen haben eine Moral, deswegen erwarten wir sie. Da aber kein Mensch diese zeigt, hassen wir sie.
Auf der nächsten Seite zitiere ich Camus:
[WAS RAUSGELASSEN]
Ich werde lernen und lernen, bis ich einen Abschluss habe. Dann werde ich einen Job annehmen, der mir nicht gefällt, aber der Geld bringt. Danach finde ich einen Mann, dann heiraten, dann... dann... blabla. Man kennt es ja.
Warum, warum zur Hölle nur, sollte ich ein Leben leben, dass sowieso vorher bestimmt ist? Und wen interessiert mein leben? Und warum sollte es mich interessieren?
[etwas rausgelassen]
"Nehmen Sie erstmal eine halbe Tavor und legen Sie sich ins Bett, Frau Seelig." Tavor? Tavor. Tavor. Tavor. Ist hier denn für alles Tavor die Lösung? Trotz allem gehe ich auf Schwester Angelika zu, streife ihre weiche Brust, weil ich so zittere, lasse mir die blaue Tablette auf die Zunge legen, drücke sie erfahren und gekonnt gegen meinen Gaumen, versuche Schwester Angelikas pinken Lippenstiftrest auf ihren Raucherzähnen zu fixieren, drehe mich um, gehe in mein Zimmer, lege mich in mein Bett, fühle mich allein, alleingelassen, bemerke, wie mein Herz aufhört wild zu pochen, wie meine Augen sich zuziehen und dann- unnatürlich schnell- schlafe ich ein."
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2011
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