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Erster Abend


Alles fing an einem dunklen und verregneten Abend an. Ich hatte mir erhofft, es wird ein Abend wie jeder andere auch: ein gemütlicher Fernsehabend, etwas telefonieren und vielleicht noch chatten... Eventuell noch etwas Haushalt und mit Franz, meiner Katze das Aportieren üben...
Es war etwas ungewöhnlich, dass ich mit meinen 14 Jahren alleine in einer Wohnung lebe. Das lag daran, dass ich "eigentlich" bei meinem Vater in Waiblingen lebte. Mein Vater allerdings hielt sich die ganze Zeit über in Benningen bei seiner Freundin auf. Er kam nur ein mal in der Woche kurz vorbei, um mir Geld für Essen, Trinken und was ich sonst noch zum Leben benötigte zu geben.
An diesem Abend jedenfalls veränderte sich mein ganzes Leben...

Wie jeden machte Abend ich mir um 19 Uhr mein Abendessen. Salat mit Vegeta, einer rein Vegetarischen Gemüsebrühe, die es in verschiedenen Geschmacksrichtungen gab. Ich schaltete das TV an. "Simpsons" lief. Diese Episode kannte ich schon...
Dann halt noch der PC... Also fuhr ich meinen Computer hoch, da ich zu faul war, meinen Laptop aus meinem Schlafzimmer zu holen. In letzter Zeit bin ich ziemlich faul geworden...
Als erstes schaute ich nach, ob ich neue Mails erhalten habe. Nichts besonderes. Nur mal wieder von meiner Mutter. Sie schrieb mir immer das selbe. Die Bedingungen, unter denen ich hier leben musste, wären nicht altersgerecht, ihr tut Leid, was passiert ist und ich möge doch bitte zu ihr zurück kommen...
Doch da ich das nicht vorhatte, löschte ich mal wieder ihre Mail.
Ich beschliss mal zu gucken, ob in den Foren etwas wichtiges passiert ist. Und das war es auch.
Ich sah sofort, dass ich eine neue Nachricht bekommen habe... Von einer Misery... Sie ist mir schon länger aufgefallen. Ich mochte sie richtig gern. Orgendetwas an ihr zog mich an, aber ich wusste noch nicht genau, was das war...
Meine Katze miaute abermals und sah mich mit einem Blick an, den ich bei ihm noch nie zuvor gesehen habe.
Wenn Franz reden könnte, so würde er wahrscheinlich das gleiche zu mir sagen, wie der Blick es jetzt auch tat: "Tu das, was du für richtig hältst. Ich werde immer auf deiner Seite sein. Ganz egal, wie du dich entscheidest, du wirst mir immer gleich viel wert sein. Aber entscheide dich. Ich kann deine Zerissenheit nicht mit ansehen..."

Der Betreff lautete: Klinik
"Hey Kleines", schrieb sie. "Habs grad in deiner Signatur gelesen. Ist ja n starkes Ding, dass du meinen Rat befolgt hast. Hat aber wohl nicht so sehr geholfen, wie wir es uns erhofft haben. Möchtest du mir maldie ganze Sachlage erzählen? Natürlich nur, wenn du auch bereit dazu bist."

Was die Klinik betrifft, so was es einfach zu erklären- Ich hatte eine Magersucht. Vor einigen Wochen noch habe ich mich nur von "Vegeta" ernährt. "Vegeta" ist rein vegetarische Gemüsebrühe, die es in den verschiedensten Geschmacksrichtungen gab (da ich ja vegetarisch lebte, verweigerte ich Hühnerbrühe). Irgendwie kamen wir im Forum auf das Thema Essen und ich erzählte, dass ich es nicht immer wirklich hinkriege mit dem "richtig essen".(Ich war ziemlich offen, was bestimmte Dinge in meinem Leben anging) Misery meinte, ich sollte es mit einer Klinik versuchen (Später, als ich erfuhr, wie sie zu solch einer Klinik wirklich stand, wunderte ich mich über diese Aussage von ihr). Als es nicht mehr anders ging, versuchte ich es auch mit der Klinik. Allerdings wurde ich dort zwangsernährt, was mir nicht so behagte. Meiner Meinung nach musste es auch anders gehen... Schon nach wenigen Wochen habe ich meinen Versuch, meine Magersucht mithilfe eines Klinikaufenthaltes zu bekämpfen, abgebrochen. Aber immerhin wurde es besser. Später ernährte ich mich von Tee, einem Salat am Tag und "Vegeta".
Als ich von der Klinik draußen war, hatte ich das Gefühl, Misery erzählen zu müssen, dass ich ihren Rat befolgt habe. Oder es zumindest versucht habe.
Die Frage war nur wie... Eine Nachricht wollte ich ihr nicht schreiben. Am Ende nervte ich sie gar damit. Also entschloss ich mich statt der aktiven Benachrichtigung zur passiven: Ich entschloss mich dazu, etwas in meine Signatur zu schreiben. Das konnte sie lesen... Oder auch nicht... Das lag ganz in ihrer Hand...
Ich schrieb: "War länger nicht da. Sorry. Habe Miserys Rat in die Tat umgesetzt. Hat leider nicht so geklapt :("
Und schon 3 Tage später kam ihre Nachricht.
Ich überlegte lange, ob ich antworten sollte. Einerseits wollte ich ja unbedingt. Ich wollte den Kontakt zu ihr nicht wieder verlieren. Damit, dass sie mir eine Nachricht geschrieben hat, ist eine Sucht in mir aufgetaucht: Die Sucht, mit ihr Kontakt zu halten (Diesen Drang spürte ich noch ziemlich oft...)
Doch auf der anderen Seite hatte ich eine riesige Angst. Angst vor Misery`s Reaktion, wenn sie von meiner Geschichte, meiner Vergangenheit erfährt. Sie könnte sich zu viele Sorgen um mich machen. Oder sie könnte sich gar von mir abwenden. Nein, das wollte ich wirklich nicht...

Ein klagendes "Miau" riss mich aus meinen Gedanken. Franz, meine junge und auch kleine beige-weiße Hauskatze sprang empört auf meinen Schoß. Er sah mich erwartungsvoll an. Gedankenverloren fuhr ich ihm mit meiner rechten Hand durch sein weiches Fell. Franz begann zu schnurren. Ich grinste.
Plötzlich sprang meine Katze von meinem Schoß runter und rannte mit voller Geschwindigkeit in die Küche. Langsam folgte ich ihm. Wahrscheinlich wollte er Futter. Ich nahm seinen Napf und füllte ihn mit Trockenfutter.
"Na Franz, was meinst du?", fragte ich ihn. Ich redete oft mit ihm. Es war so beruhigend und er schien es auch zu mögen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Katze ganz genau wusste, was ich zu ihr sagte... "Soll ich ihr antworten?"
Ich vertraute meiner Katze. Mehr als so manch anderer Person...
Mein vertrauen wurde in der Vergangenheit einfach viel zu oft missbraucht. Ich wurde viel zu oft enttäuscht, verraten. Ich habe nie gelernt, jemandem zu vertrauen, geschweige denn anzuvertrauen. Wenn ich jemanden ein Geheimnis erzählte, wurde es immer weitererzählt. So hatte ich keine Chance vertrsauen überhaupt zu lernen. Geschweige denn zu spüren, wie
Franz sah mich angestrengt an. Wenn Franz reden könnte, so würde er wahrscheinlich das gleiche zu mir sagen, wie der Blick es jetzt auch tat: "Tu das, was du für richtig hältst. Ich werde immer auf deiner Seite sein. Ganz egal, wie du dich entscheidest, du wirst mir immer gleich viel wert sein. Aber entscheide dich. Ich kann deine Zerissenheit nicht mit ansehen..."
Mich für das richtige entscheiden... Wie sollte ich das nur anstellen? Ich wusste es nicht? Wie ging das, sich für das richtige zu entscheiden? Und wusste man es sicher, wann man sich für das richtige entschied? Warum merkte man es erst zu spät, wenn man sich falsch entschieden hat? Das war doch einfach unfair...
Mein Herzu kämpfe richtig gegen meinen Kopf an... Ich konnte mich jetzt beim besten Willen nicht entscheiden...
Ich ging zum Küchenschrank und holte ein Glas heraus. Ich stellte das Glas ab und ging ins Bad.Ich betrachtete mich im Spiegel... Ich sah ziemlich fertig aus. Etwas dünn, andere würden viel zu dünn sagen, aber ich sah mich immer noch als fettes Monster. Meine Augenringe sah man sofort. Mein Blick war traurig und leer. Er beschrieb meine gesamte Situation. Mein Kleiderstil hat sich auch voll verändert. Eher zum schlechten hin. Nicht mehr so schick wie früher...
Ich sah auf meine Arme herab. Total vernarbt. Und es wurden jeden Tag mehr.
Das konnte so nicht mehr weitergehen. Mit mir. Ich ertrug es einfach nicht mehr. Eine kleine Träne ran meine linke Wange hinunter...

Nun habe ich mich entschieden. Ich werde Misery antworten. Ich werde ihr alles erzählen. Ich werde ihr sagen, dass ich es alleine nicht mehr schaffe. Und ich werde sie um Hilfe bitten. Misery MUSS mir helfen... Sonst sehe ich schwarz. Misery...

Hilferuf


Ich überlegte lange, wie ich anfangen sollte und am Ende saß ich die ganze nacht daran.
Doch das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen

"Hey Misery", schrieb ich ihr meine Antwort. "Danke für deine Nachricht. Ich hätte nicht damit gerechntet, eine Nachricht von dir zu bekommen. Du bist so anders.
Aber kommen wir mal zu deinem Anliegen, ehe ich noch lange um den heißen Brei herumrede... Gerne erzähle ich dir die ganze Sachlage.
Ich glaube, ich habe Magersucht. Jedenfalls haben die in der Klinik so ein ekliges Zeug gegeben, was sonst nur die Magersüchtigen kriegen. HAt mit dem Zeug nicht so gut geklappt, deshalb hab ich's abgebrochen, weißte.
Mittlerweile lebe ich von Vegeta und Salat. Vorher war es nur Vegeta.
Falls dich meine Lebensumstände interessieren: Meine Eltern sind getrennt, ich lebe zusammen mit Franz, meiner Katze bei meinem Vater, der aber nie hier ist...
Ich sags dir offen und ehrlich: Ich brauche hilfe. Ich pack das alleine nicht mehr. Habe keine Kraft mehr. So kann das nicht weitergehen mit mir. ICh habe Angst. Große Angst. Davor, mich zu verlieren. :( "

Ich las es mir mehrmals nochmals und abermals durch, ehe ich endlich den Befehl zum senden gab.
Und dann begann meine Angst. Was würde sie nun nur von mir denken? Würde sie Angst vor mir bekommen? Und wie wird ihre Reaktion ausfallen? Wird sie mich ignorieren oder wird sie mir antworten?
Fragen über Fragen über Fragen. Und niemand wusste die Antwort. Nicht einmal ich. Jedenfalls war es zu diesem Zeitpunkt noch so.

Es gab jetzt nur eines, was ich tun konnte: Warten. Auf eine Antwort von ihr. Von Misery. Ansonsten war ich machtlos. Für den Moment.
Mit jeden Tag mehr, an dem ich wartete, mit jeden Tag, an dem keine Antwort kam, wurde ich unruhiger. Mit jeden Tag, an dem ich unruhiger wurde, wurde ich unkonzentrierter. Ich wurde wieder strenger zu mir selber. Das hatte die Folgen, dass ich noch strenger auf meine Figur achtete. Ich ging wieder zur blanken "Vegeta" über. Verlor die Motivation, irgendetwas zu tun und wurde sogar von Tag zu Tag immer schwächer.
Ein paar Tage lang habe ich sogar überhaupt nichts gegessen.
Am nächsten Tag in der Schule war mir total schlecht. Alles drehte sich in mir. Diese Veränderung blieb natürlich nicht unbemerkt bei Katha. Ich wusste nicht, ob Katha mich verarschte oder ob sie mich wirklich mochte.
In meiner alten Klasse wurde ich immer nur verarscht und gemobbt. Das war keine besonders schöne Zeit für mich. Diese Zeit hat mich eines gelehrt - Ich musste vorsichtiger sein. Deshalb vertraute ich keinen meiner Mitschülern mehr. Anderen Menschen vertraute ich wesentlich schneller.
In der Pause kam Katha zu mir. Katha war ein wenig größer als ich. Sie hatte braune Augen und lange, zottelige schwarze Haare. Katha hatte einen Ring als Lippenpiercing und ein Augenbrauenpiercing. Sie trug immer auffällige Kleidung und sah auch so richtig gut aus. Katha war einfach hübsch, beliebt und klug. Sie hatte alles, was man sich nur wünschen konnte.
"Na Maus alles klar?", fragte sie micht grinsend. Sie fuhr mit ihrer hand lachend durch mein langes, blondes Haar. Mir kam das alles als provokant vor, also schlug ich ihre Hand weg. "Lass mich doch einmal in ruhe", zischte ich und lief weg.
Doch Katha lief mir hinterher.
"Katha! Lass mich ein für alle mal in Ruhe!", zischte ich. Ich war wirklich wütend. Immer machten sie so etwas mit mir.
Katha vernahm die Rufe ihres Freundes und wendete sich ab. "Man sieht sich, maus!", grinste sie.

Als Katha endlich weg war, ging ich zur Toilette und schloss mich dort ein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.10.2011

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