Tausend Spiegel die die Wahrheit zeigen
Kein Grund länger im Nichts zu bleiben
Endlos sich drehn
Nichts zu verstehn
Ein letzter Blick über Wagnisse hinweg
Tausend Spiegel im Dunklen versteckt
Verkrochen, vergessen... im Schattenlicht
Kaum hörbar wenn ein weiterer Spiegel zerbricht
(C) by Rei
Prolog: Herz aus Eis
Ihr Herz war kalt, so kalt wie Eis.
Niemand konnte es erwärmen, seit hundert Jahren, gefangen im Körper einer Unsterblichen.
Und so lag unendliche Finsternis in ihrer Seele, die Liebe war aus ihr gewichen.
Die Welt hinter dem Spiegel war trostlos und leer.
Ihre Augen waren der klare Himmel, seltsam schön wie eine Nacht ohne Sterne.
Die vollen Lippen schienen nie zu lächeln, doch die Menschen erinnerten sich noch an ihr glockenhelles Lachen.
Sie erinnerten sich an ihr blondes Haar, wie es im Sonnenlicht zu scheinen begann, obwohl sie sich nicht sicher waren, jemals ohne Winter gelebt zu haben.
Die Bewohner der Spiegelwelt schlossen manchmal nachts die Augen und es war, als hörten sie wieder ihre sanfte Stimme in ihren Herzen.
Sie wünschten sich nichts sehnlicher, als zu leben.
Doch die Menschen wussten eines über sie nicht.
Etwas, was sie vergessen hatten, als hätten sie es nie gehört.
Es war ihr Name.
Und ohne den Namen zu wissen, konnten sie das Mädchen nicht aus dem ewigen Eis wecken.
Und es würde niemals wieder die Sonne scheinen.
Das Mädchen war die Prinzessin.
Prinzessin der Spiegelwelt, die Spiegelwelt Alamar.
Und das Mädchen schlief.
Kapitel Eins: Die Entscheidung
Sie träumte.
Träumte von ihm.
Sie war wieder dort, dort wo alles begann.
Er lachte warm und herzlich.
Wickelte ihr Haar um seine Finger, seine wunderschönen schmalen Finger.
Seine Augen waren von einem frischen grün, saftiges grün, so wie das Gras in den Tälern.
<<Was wäre, wenn wir etwas spielen, etwas, was mehr Gefahr bringt, als alles andere>>
,
flüsterte er ihr zu. Er fuhr fort.
<<Was wäre, wenn wir eine Welt erschaffen, ein Welt jenseits der Fantasie, eine Welt, die du und ich beherrschen, die besser ist als die unsere>>
Es hatte sie gepackt. Diese Idee. Ihre eigene Welt.
<<Prinz Raven und seine Prinzessin. Die Menschen würden dich lieben und vergöttern, wir wären Richter über Gut und Böse, Herrscher über alles. Wir haben die Fäden in der Hand>>,
murmelte er weiter, versuchte sie zu betören.
Ihre Gedanken wussten vor ihr selbst, was sie wollte, waren schneller als jede Vorsicht.
<<Ja>>
, flüsterte sie, gierig und von der Liebe zu ihm geblendet.
Sie hatte sich entschieden. Nun gab es kein Zurück mehr.
<<Wie?>>
, fragte sie wissbegierig, hoffend.
<<Folge mir hinter den Spiegel>>
, waren seine Worte.
Der Traum veränderte sich.
Das Mädchen und dieser Junge Raven standen vor einem Spiegel, der so unglaublich fremdländisch wirkte.
Sein Rahmen war silbern, gespickt mit Blumenranken und Dornen, die, obwohl sie nicht echt waren, zum Schneiden scharf aussahen.
Seine Hand fuhr über das verschlungene Muster, sein Blick schnellte zu ihr.
Angst schwang in ihrer Stimme mit, als sie sagte:
<<Bist du sicher, dass das funktioniert Raven?>>
Er nickte und umfasste ihre Hand.
Beide streckten ihren Arm aus um die kühle Oberfläche zu berühren, fassten jedoch ins Nichts.
<<Es ist so weit. Das Spiel beginnt in der Nacht des Erschaffens. Komm, meine Prinzessin>>
, rief er aus und trat mit ihr durch den Spiegel.
Wieder veränderte sich der Traum.
Das Mädchen saß auf einem Thron, an ihrer Seite Raven.
<<Du wirst zu übermütig, Raven, du musst deine Grenzen kennen>>
, redete sie auf ihn ein.
Sein einst so strahlender Blick war ausdruckslos, dunkle Augenringe zeichneten sich auf seinem Gesicht ab.
Er schüttelte den Kopf.
<<Es fehlt nur noch eine Sache, bis diese Welt vollkommen ist>>
, murmelte er, <<Unsterblichkeit>>
Ihr Blick war irr, als sie antwortete, etwas zerbrach in ihr.
War dieses Leben ihm nicht genug?
<<Du machst einen Fehler, Raven. Du und deine Seele würden es nicht überleben.
Und ich auch nicht, Raven, hörst du? Ich würde schlafen um dieser Qual zu entfliehen, bis einer mich weckt, mit einem unendlichen Zauber!
Mein Name, Raven! Nur du kennst meinen Namen, den Wahren. Durch dich werde ich sterben, Geliebter>>
, weinte sie.
Er drehte sich zu ihr, schaute sie an.
<<Den Namen, Prinzessin? Es würde mich umbringen>>
Seine Worte waren schön, bedeuteten Liebe, aber gesprochen mit Kälte.
Es war nicht mehr der Raven von einst.
Er nahm sie in den Arm, hielt sie fest, sodass sie sein totes Herz unter seiner Brust schlagen hörte. Raven lächelte sie an, wie durch eine verzerrte Maske, das Lächeln war angsteinflößend, doch sie sah es nicht.
<<Ich tue nichts, was du nicht auch willst>>
, log er sie an.
Damit brach er ihren Willen.
Ihr Herz war blind, von ihm geblendet.
<<Mein Name, Raven, ich würde innerlich sterben>>
, wiederholte sie noch ein letztes Mal, als sie einschlief. Auf ewig.
Kapitel 2: Der Junge
Er fröstelte. Es war kalt, eiskalt.
So lange er sich erinnern konnte war es so gewesen.
Mit Fingern taub vor Kälte kratzte er an der steinharten Oberfläche des kleinen Gemüsebeets herum.
Gefrorenes Blut lief herunter, über seine von der Kälte rissigen Hände.
Was sein Bruder ihm wieder für Märchen aufgetischt hatte.
Etwas von einer Prinzessin, die auf ewig schlief und für diese Kälte verantwortlich war, seit ihr Prinz, mit dem Namen Raven sie alle unsterblich gemacht hatte.
Unsterblich waren sie alle, dass stimmte, aber hier im Dorf glaubte niemand mehr so Recht daran.
Und dass, wenn nur jemand ihren Namen wüsste, könnte man sie wecken und die Sonne wieder hervorbringen.
Nur hatte man seit ewig nicht mehr was von Prinz Raven gehört.
Man munkelte, er sei an seiner verdorbenen Seele verrottet.
Alles nur Ammenmärchen, hatte er gedacht.
Bis jetzt.
Dabei maß er seinen Träumen nie viel Bedeutung bei.
Nun, er wusste immer, wenn ein Unglück geschah, dadurch.
Aber dieses Mal, da war alles anders gewesen.
Er hatte sofort gewusst, dass dies ein wahrer Traum ist.
Da war ein Mädchen.
Ein wunderschönes Mädchen, eines wie Jungen wie er niemals auch nur berühren konnten.
Ihr blondes Haar schaukelte im Wind und ihre dunkelblauen Augen strahlten ihn an.
Ihr Mund öffnete sich leicht, sie lächelte.
<<Endlich habe ich dich gefunden, Jonathan>>
, flüsterte ihre wunderschöne Stimme.
<<Endlich. Jonathan, du kennst ihn, meinen Namen. Er ist in dir, ich erkenne es.
Es ist ein altes Wort, gegeben von der Sonne. Weck mich, Jonathan, weck mich>>
, fuhr sie weiter fort.
Dann lief sie weg, und lachte ihn über ihre Schulter an.
Sie hatte ihn direkt angesprochen.
Woher kannte sie seinen Namen, und, was noch viel wichtiger war, wo war sie, wie sollte er das machen und was.
Was war ihr Name?
Seine Gedanken trugen ihn fort, sodass er nicht bemerkte, dass etwas im Schatten des verdorrten Baumes stand.
<<Endlich habe ich dich gefunden. Es ist Zeit dich zu töten, mein lieber Jonathan>>
, flüsterte der Junge im Schatten.
Er lächelte, sein Blick war irr.
<<Niemals darfst du die Prinzessin wecken. Sie ist mein, für immer mein. Niemals>>
Er redete mit sich selbst, dies tat er schon lange. Zu lange um sich zurück zu erinnern.
<<Aber mach dich auf den Weg, kurz vor Ende, da mach ich dir das Vergnügen, die Ehre von mir umgebracht zu werden>>
Seine einst so grünen Augen waren tot, wie die Erde unter dem ewigen Eis.
Und Jonathan wusste nichts davon, was sich hinter seinem Rücken abspielte.
Er war sicher.
Für den Moment.
Kapitel Drei: Woanders, die richtige Welt
Die vom Alter gezeichnete Frau hustete. Es war kalt und ihr gefrorener Atem hing bleiern und schwer in der Luft. Ihr zappelnder Enkel hing an ihrem Arm, dessen rundliche Wangen wegen dem peitschenden Wind rot leuchteten.
Ihr Blick glitt hinauf in den schwarzen Nachthimmel, es war schon spät.
Das sanfte Sternenlicht spiegelte sich in ihren grauen Augen und ihr Mundwinkel zuckte, bereit sich einem klanglosen Lachen zu ergeben.
Der kleine Junge zog und zerrte an ihrem Arm, um sie weiterzubedeuten, die braunen Augen voller Ungeduld.
Die Frau lockerte den Griff des Kleinen und schaute weiterhin in die endlose Nacht, das langersehnte Lachen rang sich zwischen ihren spröden Lippen durch und endete in einem leisen Glucksen.
Verständnislos stand der Junge in der Kälte, sein Kopf wanderte immer wieder von seiner Oma und dem dunklen Himmel hin und her.
Eine schwarzgekleidete Krähe fiel mit einem letzten aufreibenden Krächzen vor ihre Füße, sie beugte sich langsam zu dem toten Tier.
Die knochige Hand der vom Leben ausgezehrten Alten berührte den Vogel an seinem gefiederten Köpfchen, strich behutsam die Federn glatt.
<<Du hast es gespürt, hmm?>>
, flüsterte sie der Krähe zu.
Noch immer stand der Junge verständnislos im weißen Schnee, der noch immer so unberührt dalag, als sei er erst frisch gefallen, denn keine Spuren zierten ihn, nur die seiner kleinen Füße.
Die Alte warf den Kopf in den Nacken, flüsterte Worte, Worte die nur die Seelen des Winds und der Wolken hören konnten.
Ihre raue Stimme wurde lauter, drängender, und doch voll blinder Hoffnung erfüllt.
<<Du hast es gespürt, nicht war? Ich wusste, es passiert, es geschieht wieder>>
, rief sie in die Stille, dann gingen ihre Worte in einem aufkommenden Keuchen unter.
Sie spürte die Worte auf ihrer Zunge, sie lagen da und doch wollten sie nicht raus, waren wie festgewachsen, wie um sie auf die Folter zu spannen, gekrümmt und festgekrallt.
Das Geheul des Jungen tönte durch die Nacht, als die Frau zu Boden sank, immer noch nach Luft schnappend, Schreie lösten sich aus seinem Weinen.
<<Oma!!>>
, gellte es durch die Nacht.
Doch er konnte ihr nicht helfen, und nun spürte er zum ersten Mal in seinem kurzen Leben, wie es war Panik zu haben, in der Hilflosigkeit zu versinken.
Doch die Frau hörte ihn nicht mehr, sie tastete nach ihrer plötzlich so stillen und leeren Brust, und dunkelrotes Blut lief zwischen ihren Fingern hinab, tropfe auf die Erde, dickflüssig wie verklumpte Tinte.
Ja, das Blut war aus Worten gemacht, aus gelogenen Worten, verführerischen.
Wie ein verbotener Apfel hatten diese Worte auf sie gewirkt, so verboten.
Trotzdem lächelte sie noch, auch als sie den Mund öffnete und das Blut bei jedem Versuch, Sätze herauszubringen, nur umso mehr sprudelte.
<<Mein… Junge…>>
, flüsterte sie gebrochen.
Sofort eilte der Knabe mit schnellen Schritten zu ihr und seine kleinen Hände strichen über ihr zerfurchtes Gesicht.
<<Der…>>
, setzte sie an.
<<Der was, Oma, was, ich tue alles Oma!?>>
, schluchzte er und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase, eine Angewohnheit, wie sie Kinder so oft hatten.
<<Der… Spiegel, er öffnet sich in der Nacht des Erschaffens. Mein lieber… Junge, es… es ist soweit, sie wird Aufwachen>>
, waren ihre letzten Worte, eine Spur von Blut kroch ihr das Kinn runter.
Sie erschauderte.
<<Bald bin ich wieder daheim, hinter dem Spiegel, es ist so wunderschön dort>>,
flüsterte sie glücklich, dann schlossen sich ihre Augen.
Niemand hörte, wie der Junge schrie.
Texte: Copyright Text: MIR. Mirror Thorn.
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme diese Geschichte meiner Mutter, meiner Seelenschwester und meiner besten. Damit ihr den Moment weiterlebt.