Ich kauere in meiner Nische und winkle meine Beine an. Zitternd schlinge ich meine Arme um mich und versuche meinen Atem zu kontrollieren. Draußen ertönen wieder Schüsse und ich fahre automatisch zusammen. Durch ein eingeschlagenes Fenster weht ein Luftzug zu mir herüber und bereitet mir Gänsehaut. Meine Augen verharren auf der angelehnten Holztür. Schon seit Tagen warte ich darauf, dass sie mich holen. Doch seit Tagen blieb die Tür verschlossen. Meine Mutter hat es mir versprochen. Sie meinte, sie würde jemanden schicken, wenn es sicher genug für mich wäre zu fliehen.
Aber wann würde es sicher genug sein? Wahrscheinlich würde ich hier noch Wochen herumlungern und schlussendlich verhungern. Ich glaube nicht daran, dass es irgendwann aufhören würde.
Erst wenn alle Widerständler beseitigt wären, würde die neue Regierung Ruhe geben. Und ich weiß nur zu gut, dass die Menschen nicht gleich aufgeben. Sie würden um jedes kleinste Stück Land kämpfen. Denn das, was uns nach dem Krieg droht, will keiner miterleben.
Tyrannen haben unser einst so friedliches Land gestürmt und die Regierung gestürzt. Sie wollen nur eins: Eine Welt, die ihnen zu Füßen liegt.
Doch ich weiß, dass dies niemals soweit kommen darf. Sie würden uns quälen und schließlich doch alle töten.
Regentropfen prasseln durch ein Loch im Dach auf den Holzboden. Durch die Nässe wölbt er sich leicht. Der Duft von Verwitterung lässt mich erneut würgen. Ich halte mir eine Hand unter die Nase, um den Geruch wenigstens etwas abzuschirmen.
Ein Grummeln ertönt und verschluckt für einen kurzen Moment die Stimmen des Krieges. Kurz darauf erleuchtet ein heller Blitz für einige Sekunden die kleine Hütte.
Ich ziehe meinen Kopf ein und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Schon seit Tagen hat sich die Sonne nicht mehr blicken lassen. Es ist, als wende sich auch die Natur gegen die Regierung. Nur leider bereitet dieses auch den Flüchtlingen Schwierigkeiten.
Der Wind nimmt zu und pfeift durch alle Ritzen. Das Unwetter zieht weiter auf. Grollend nähert es sich dem kleinen Dörfchen in dem ich mich befinde. Ich drücke meinen Körper noch fester gegen das modrige Holz und bange darum, dass mich das Schicksal verschonen möge.
Doch das Grummeln schwillt weiter an und das Dorf wird schon fast sekündlich in Licht getaucht.
Die Schüsse verklingen langsam und ich bete, dass sie vom Gewitter verschluckt werden. Denn würden die Truppen weiter ziehen, würde dies bedeuten, dass hier kaum mehr Leben herrsche.
Die Eisamkeit wird schon fast unerträglich. Immer wieder frage ich mich, warum mich meine Mutter nicht mitgenommen hat. Ich wage es nicht einmal mir in meinen kühnsten Träumen auszumalen, was ihr alles widerfahren sein konnte.
Auch wenn es Unsinn ist, mache ich mir immer noch Hoffnung. Ich träume von einer besseren Zeit. In der alle Menschen wieder in Frieden miteinanander leben können. In der Kinder wieder lachen können. In der die Sonne am Himmel strahlt. Ich träume von einer besseren Welt.
Doch letzendlich ist alles nur ein Traum.
Ich verschränke meine Finger in einander und wippe hin und her, um die Kälte, die sich einen Weg in meinen Körper bahnt, zu vertreiben. Ein ohrenbetäubender Lärm lässt mich zusammen zucken. Ich halte augenblicklich die Luft an. Der Weltuntergang, schießt es mir kurzeitig durch den Kopf.
Und dann passiert alles ganz schnell.
Ein grelles Licht blendet mich. Dann erschüttert eine gewaltige Kraft den Boden. Ich wäre nach hinten geschleudert worden, säße ich nicht schon an der Wand. Vor meinen Augen tauchen plötzlich Erinnerungen an meine Mutter auf. Es sind verschwommene Bilder von einem Abend, als sie mir erzählt hatte, wie sie mal ein Erdbeben miterlebt hat.
Glühende Hitze schlägt mir entgegen und reißt mich abrupt in die Gegenwart zurück. Ein Schrei entweicht meiner Kehle und ich springe auf die Beine. Dabei stoße ich mit voller Wucht gegen einen Balken. Mein Kopf dröhnt und ich kann alles nur noch ganz verschwommen wahrnehmen.
Vor meinem Augen tanzen Flammen. Sie fressen sich in die schon halb von Motten zerfressen Gardinen und zerstören sie vollendig. Danach bahnen sie sich einen Weg zu den Möbeln und verschlucken sie. Es dauert nur ein paar Sekunden, dann reißen sie auch schon die ersten Holzbalken zu Boden.
Ich muss zur Seite springen, um nicht getroffen zu werden. Dabei verliere ich das Gleichgewicht und falle zu Boden. Ein Fluch verlässt meine Lippen und ich rappel mich wieder auf. Ich muss hier raus!
Das Feuer verschont nichts. Es nimmt alles mit sich. Das Schwindelgefühl setzt langsam aus und wird durch nackte Panik ersetzt. Überall um mich herum brennt es. Schweißtröpfchen bilden sich auf meiner Haut. Hektisch suche ich mit meinen Augen nach einem Ausgang, doch ich finde ihn nicht.
Hätte ich schon vor ein paar Tagen gewusst, dass ich heute sterben würde, wäre ich mit meiner Mutter gegangen. Selbst wenn sie es mir verboten hätte, wäre ich ihr heimlich gefolgt. Doch ich habe ihr immer vertraut und gedacht sie würde mich holen lassen.
Und nun stehe ich dem blanken Tod gegenüber. Eigentlich hätte ich mich mit dem Gedanken schon abfinden müssen, doch das habe ich nicht.
Ein Funke springt auf mein Kleid über und es fängt sofort Feuer. Wie gelähmt stehe ich da und beobachte, wie der Stoff verschmorrt. Doch als die Flammen auch meine Wade mitreißen wollen, fange ich an zu schreien und winde mich. Der Schmerz ist gewaltig. Er frisst sich bis tief in mein Fleisch.
»Runter verdammt.«, schreit jemand und im nächsten Moment werde ich mit zu Boden gerissen. Knapp über meinem Kopf stürzt ein in Flammen stehender Balken herunter. Er verfehlt mich nur um ein paar Millimeter.
Ich würde erleichtert aufseufzen, würde mein Körper nicht gerade verbrennen. Die Gestalt neben mir scheint dies auch zu bemerken, denn im nächsten Moment legen sich Stofffetzen auf meine Haut und ersticken das Feuer.
Ein Wimmern entweicht meiner Kehle, als mich die Person am Arm nach oben zerrt. Der Rauch macht das Sehen und Atmen fast ganz unmöglich. Ich huste und versuche zu humpeln, doch meine Beine fühlen sich wie versteinert an.
»Scheiße. Was machst du da?«, ruft eine verzweifelte Stimme dicht bei mir. Außer einem Husten bringe ich nicht mehr viel zu Stande. Meine Sinne sind vernebelt und die Ohnmacht scheint so verlockend für mich. Doch wenn ich ihr jetzt nachgeben würde, würde ich sterben.
Zwei starke Hände greifen nach mir und zerren mich zu einem starken Typen. Trotz der Rauchfahnen erkenne ich sofort seine stählerne Brust, an die er mich nun drückt. Wie gebannt starrte ich den Kerl vor mir an. Warum war er in meinen brennendem Haus? War er der Jenige, der mich holen und zu meiner Mutter bringen sollte? Vielleicht war ja doch gar nicht alles so hoffnungslos wie es schien.
Er hält mich an der Hüfte fest und stützt mich beim Laufen. Immer wieder gibt er die Richtung vor, in die wir laufen müssen. Ich vertraue ihm. Schließlich will auch er hier wieder lebendig herauskommen.
Als ich die Haustür erblicke, kann ich nur mit Mühe einen Jubelschrei unterdrücken. Gleich sind wir draußen. Ich löse mich von meinem Retter. Die letzten Schritte kann ich auch alleine gehen.
Gerade als ich loslaufen will, erklingt ein Schrei hinter mir und ich werde wieder zurückgerissen. Das Dach stürzt direkt vor mir ein und versperrt uns den heiß ersehnten Ausweg. Mein Atem geht noch flacher. Hätte er mich nicht aufgehalten, läge ich nun verschüttet unter den brennenden Ziegeln.
Verzweifelt blicke ich ihn an. Was sollten wir denn jetzt tun? Wir waren so nah dran gewesen. Und nun schien all meine Hoffnung mit einem Mal zu platzen. Er sieht sich hektisch um und schiebt mich dann vorwärts. Bevor ich richtig realisieren kann, wo er mich hinführt, höre ich ein Klirren. Wie in Trance nehme ich war, wie Glasscheiben um uns herum fliegen. Blut spritzt durch den Raum und landet auf meinen Kleidern.
Ich will schreien, doch habe gar keine Zeit dazu, da schubst mich mein Retter schon durch das Fenster. Unsanft lande ich auf dem verdürrten Gras. Kurze Zeit später landet der Typ neben mir. Von seiner Hand tropft noch immer Blut. Er hat tatsächlich die Scheibe zerschlagen.
Bevor ich das ganze nocheinmal Revue passieren lassen kann, hilft er mir schon wieder auf und zieht mich weiter. Erst jetzt nehme ich meine Umgebung war. Alles ist karg und dunkel. Keine Blume wächst mehr am Straßenrand. Die Gegend ist wie leergefegt. Die Häuser sind entweder zerstört oder verlassen.
Er greift nach meiner Hand und zieht mich weiter. Ich stolpere über Mauerreste und reiße ein paar lose Bretter herunter. Bei jedem kleinsten Geräusch zucke ich zusammen und mein Begleiter schüttelt darüber nur den Kopf. Er hebt einen Rucksack, der hinter einem Stein steht, auf und schultert ihn. Ich sehe mich immer wieder panisch um, doch wir sind die Einzigen hier.
Der Regen durchnässt unsere Kleidung und macht den Boden glitschig. Nur mit Mühe kann ich verhindern, dass ich ausrutsche. Mein Retter führt mich aus dem kleinen Dorf. Ich werfe einen letzten Blick zurück. Von meinem, noch immer brennendem, Haus steigt Rauch auf. Alles ist zerstört. Es sieht grausam aus.
»Komm!«, sagt eine raue angenehme Stimme hinter mir und seine Hand legt sich beruhigend auf meine Schulter. Nickend kehre ich meiner Heimat den Rücken zu. Was wohl meine Mutter gefühlt hat, als sie die vertraute Umgebung zurückließ?
Mich überkommt Angst. Mir scheint alles so unvertraut. Aber auch Neugierde bahnt sich einen Weg in meinen Körper. Ich möchte Unbekanntes entdecken.
Dicht an dicht laufen wir einen Feldweg entlang. Überall auf den Wiesen liegen Überreste von dem Krieg, der hier gewütet hat. Doch es macht mir keine Angst. Eher bin ich wütend darüber, was die Regierung alles zerstört hat.
Mein Begleiter stößt ein Knurren aus. Ich spüre, wie sich seine Muskeln anspannen und er sich verkrampft. Unsicher blicke ich mich um, doch ich kann nichts Ungewöhnliches erkennen.
»Warst du im Sommer schon einmal hier?«, fragt er mich und ich sehe mich genauer um. Wir stehen auf einem kleinen Hügel. Ein Rinnsal fließt ein paar Meter weiter entlang einer Weide. Auf der anderen Seite erstreckt sich ein riesiger Wald. Dieser Ort ist mir unbekannt, aber ich kann mir gut vorstellen, wie schön es im Sommer hier war.
Ich schüttel den Kopf und er seufzt. »Setz dich hin.«, fordert er mich sanft auf und ich gehorche ihm. Er kniet sich neben mich und zerreißt mein Kleid an den Beinen. Stumm folgen meine Augen jeder seiner Bewegungen. Ich traue mich nichts zu sagen, denn er sieht ziemlich konzentriert aus.
Eine Falte zieht sich über seine Stirn und er beugt seinen Kopf ein wenig zur linken Seite. Seine Hände falten den Stoff meines Gewands und tunken ihn in eine Salbe. Danach legt er es auf meine Wunden und macht mir einen Durckverband.
Ich schenke ihm ein Lächeln und er lässt sich neben mich nieder. Seine rabenschwarzen Haare kleben ihm auf der Haut und ich bin versucht ihm eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Aber meine Hände bleiben wie angewurzelt neben mir liegen. Seine grasgrünen Augen blicken in die Ferne und ich überlege, woran er wohl gerade denkt.
»Hat dich meine Mutter geschickt?«, flüstere ich. Er sieht mich eine Weile stumm an. Dann schüttelt er ganz langsam, aber bedacht, den Kopf.
»Wieso hast du mich dann gerettet?«, frage ich etwas verblüfft und starre ihn an. Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.
»Ich bin kein Monster. Dein Schrei hat mich auf dich aufmerksam gemacht. Schon seit ein paar Tagen verweile ich in dieser Gegend. Ich habe gehofft mal wieder auf Leben zu treffen. Auf reines Leben.« Er verstummt, aber ich verstehe, was er meint.
Er ist ein Widerständler. Immer auf der Reise. Aber nie über die Grenzen.
Ich rutsche noch ein Stück an ihn heran, sodass sich unsere Hände berühren. Ein warmes Prickeln überzieht meinen Körper und ich spüre, wie sich meine Wangen rötlich verfärben.
»Wie ist dein Name?« Meine Stimme ist nur ein Hauch. Ich spüre, wie sich seine Finger mit meinen verschränken und werde nervöser. Ob es daran liegt, dass ich seit Tagen alleine war?
»Liam.«, antwortet er und bei seiner wohligen Stimme stellen sich meine Nackenhaare auf. Wenn ich ihn genauer betrachte, stelle ich fest, dass mein Retter ziemlich gut aussieht.
»Avery.«, stelle ich mich vor.
»Ein schöner Name.«, schmeichelt er. Meine Wangen fangen an zu glühen. Seine Anwesenheit ist ungewohnt, aber schön.
Langsam rappelt er sich auf. Er reicht mir eine Hand, um mir hochzuhelfen.
»Wir müssen weiter.«, sagt er und sieht mich liebevoll an.
Ich weiß, dass ich auf ihn angewiesen bin, wenn ich jetzt mit ihm gehe. Außerdem steht es in den Sternen, ob ich dann je meine Familie wieder sehen werde. Aber ich weiß auch, dass ich ihm mein Leben zu verdanken habe und ihm vetrauen kann.
Es ist an der Zeit mein altes Leben hinter mir zu lassen. Eigentlich hätte ich das schon viel früher begreifen müssen. Seit unser Land unter der Herrschaft von Tyrannen steht, ist es nicht mehr dasselbe.
Wahrscheinlich wird es nie wieder so sein, wie es einmal war. Vielleicht werden wir alle sterben. Aber vielleicht werden wir auch gewinnen.
Die Zukunft ist ungewiss. Sie kann sich jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde ändern.
Aber nun stehen wir hier. Wir leben. Und wir können uns entscheiden, was wir tun.
Entweder wir geben auf und verlieren oder wir kämpfen und haben eine Chance zu gewinnen. Wir sollten jede einzelne Gelegenheit nutzen, die unser Leben für uns bereit hält. Denn wir wissen nie, was noch geschehen wird.
Die Wolkendecke bricht auf und ein Sonnenstrahl beleuchtet meinen Retter. Er sieht mich erwartungsvoll an und ich ergreife lächelnd seine Hand. Mit einem Ruck zieht er mich auf die Beine.
Nun bin ich ein Widerständler. Genau wie er.
Ich fühle mich stark, denn er gibt mir Kraft. Ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Und vielleicht gibt es noch mehr von uns da draußen. Vielleicht sind es nicht viele. Aber es sind genug.
Wir werden mit unserem Leben für den Frieden auf Erden kämpfen.
Und das macht uns so stark.
Ich schnappe mir Liams Hand und renne los.
Zusammen werden wir unbesiegbar sein.
Texte: Das sind meine eigenen Texte und ich bitte sie nicht zu kopieren. ..bla bla..
Bildmaterialien: Annibunny
Lektorat: Folgt..
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme das Buch meiner allerliebsten Annibunny, der ich auch das Cover zu verdanken habe. Außerdem widme ich es meiner Familie. Aber vorallem widme ich es dir. Weil du so lieb warst und meine Kurzgeschichte gelesen hast. Was wäre sie schon ohne dich? Nur ein paar Zeilen, die nichts bewegen. Ich hoffe ich konnte dich mit der Geschichte erreichen. Denn das ist alles, was ich will! *-*