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Prolog

Es ist kühl. Ich zittere am ganzen Körper und schiebe immer wieder das Leinentuch über meine Schulter. Meine nackten Füßen fühlen das weiche Gras. Ich atme die kalte Nachtluft ein. Hinter mir höre ich im Wald einige Vögel noch zwitschern. Der Wind fegt über das Flachland. Ich blicke auf den kleinen Bach, der die Wiese von einem Acker trennt. Ein Stock treibt mit der leichten Strömung. Ich seufze.

Als es hinter mir raschelt drehe ich mich nicht um. Ich wusste, dass er mich suchen würde. Der menschliche Geruch bahnt sich in meine Nase. Meine Kehle wird rau und mein Magen grummelt leicht. Wir sind schon viel zu lange keiner anderen Menschentruppe mehr begegnet.

"Du wirst noch erfrieren.", haucht er an mein Ohr und meine Härchen stellen sich auf. "Ich konnte nicht schlafen.", sage ich nur. Er umschlingt mit seinen Armen meine Hüfte. Ich spüre seine Körperwärme und lehne mich an ihn. Ganz deutlich kann ich sein menschliches Herz schlagen hören. Sein Duft erfüllt mich. Nimmt mich ein. Ich stoße mit meiner Zunge an meine spitzen Eckzähne. Meine Zunge fühlt sich schon rau an. Ich höre sein Blut durch die Adern pulsieren.

"Ich auch nicht.",flüstert er an meinen Hals und küsst ihn dann. Mich durchfährt ein wohliges Schaudern.

Plötzlich ertönt ein Knall hinter uns. Wir fahren herum. Früher hätte ich geschrien und wäre weggerannt. Heute schnappe ich mir seine Hand und gemeinsam schleichen wir zurück zum Waldrand. Wir folgen nicht dem kleinen Holperweg, sondern nehmen den Weg durch den dichten Wald. Die Bäume geben uns Schutz. Nahe am Waldrand können wir die kleine Lichtung erblicken, wo unsere drei Wohnwagen und das eine schon kaputte Zelt steht. Ich sehe Ronja aufgeschreckt herumrennen. Sie stößt einen spitzen Schrei aus, als sie von einem Mann mit einer Knarre gepackt wird. Ich halte mir eine Hand vor den Mund. Mein Blick streift den von ihm. Er sieht mich an und seine dunklen Augen finden meine. Er streicht mir eine zerzauste Strähne hinters Ohr. Dann schauen wir wieder zurück. Unsere ganze kleine Familie läuft nun aus der Lichtung. Die Männer fallen über sie her. Mir weicht die ganze Farbe aus meinem sonst schon so blassen Gesicht, als ich das Zeichen auf der Jacke des einen Kämpfers erblicke. Die königliche Garde. Ich sehe wie Roger den einen Typen zu Boden ringt. Ich bekomme aus dem Augenwinkel mit, wie er sich auf den Weg zur Lichtung macht. "Nein.", hauche ich. Sie haben doch keine Chance. Sie sind doch nur Menschen. Eine Träne kullert mir über die Wange. Sollte ich dieses freie Leben für meine kleine Familie aufgeben? Ich sehe, wie er sich auf den Typen stürtzt, der meine kleine Schwester festhält. "Ronja.",jammere ich. Mein Herz klopft mir bis zu den Ohren, als ich mich aus dem Schatten der Bäume wage. Ich breite mein Unda aus, sodass es die ganze Lichtung mit einem Schlag ausfüllt. Es ist eine Macht, die jeden Vampir einschüchtert und wissen lässt, dass eine mächtige Vampirin anwesend ist, die dazu im Stande ist jeden Vampir zu vernichten. Sofort hört jeder Krieger auf zu kämpfen. Sie alle starren mich an. Auch die Blicke meiner kleinen Familie ziehe ich nun auf mich.

Ich sehe nicht gerade königlich in meinen Lumpen und den sich nicht mehr bändigen Haaren aus. Doch sie erkennen mich trotzdem. "Saphrina.", sagt ein Krieger verwundert und tritt einen Schritt auf mich zu. Er blickt mich an und sieht dann zu der königlichen Garde. Im nächsten Moment stürzt er sich auf den Typ, der meinen Namen genannt hatte. "Nein.", sage ich kühl und er hört sofort auf. "Was..", fragte er verwirrt, doch ich brachte ihn mit einer wagen Handbewegung zum Schweigen. "Ich werde mitkommen. Aber lasst die armen Leute frei.", sage ich und keiner traut sich mir zu widersprechen. Ein paar Krieger holen die Pferde und die anderen ziehen sich zusammen um sich zu besprechen. Ich renne in menschlicher Geschwindigkeit zu Ronja und helfe ihr auf die Beine. Sie schlingt ihre zierlichen Arme um meine Hüfte und schluchst. "Verlässt du uns jetzt?" Sie sieht mich mit ihren braunen Kulleraugen an. Ich muss mich zusammreißen um nicht in Tränen auszubrechen. Ich nicke zaghaft und sie vergräbt ihren Kopf an meinen Bauch. Ich streiche ihr durch ihr braunes langes zerzaustes Haar. Mein zerfetztes Kleid wird nass. Ihre Tränen tränken es. Ich spüre ihn schon viel früher als er mich erreicht. "Sag einfach nichts.", bitte ich ihn. Er stellt sich direkt hinter mich und vergräbt seinen Kopf in mein Haar. Seine Hände wandern über meine Arme an meine Hüften und hinterlassen ein prickelndes Gefühl. Er zieht mich an sich. Ich lehne meinen Kopf zurück. Eine Träne stielt sich aus meinem Auge und wandert langsam über ein Gesicht. "Ich liebe dich.", haucht er mir ins Haar und küsst meinen Scheitel. So lange habe ich auf diese drei Worte gewartet. Und nun sagt er sie. Mein Herz wird schwerer. Ich dich auch, will ich sagen, doch mein Mund öffnet sich und formt die Wörter, "Mach es nicht noch schwerer." Dann entferne ich mich von den zwei Menschen, die ich am meisten liebte. Sie waren mein Leben. Das ich für ihr Leben nun zurück lassen musste. Ich drehe meiner Ersatzfamilie den Rücken zu. Ihre Blicke durchbohren mich. Es ist schlimmer als Pfeile. In diesem Moment bricht alles für mich zusammen. Wir hätten hier unser Lager nicht aufschlagen dürfen. Wir hätten weiter ziehen müssen, wie es Roger gesagt hatte. Nur ich war dagegen gewesen. Und ich hatte damit alles zerstört.

Ein Krieger hilft mir aufs Pferd. Und dann reiten wir los. Ich höre wie er uns hinter herrennt und meinen Namen ruft. "Ich gebe dich nicht auf.", schreit er und dann verschluckt der Wind seine Worte. Ich sehe nicht zurück. Ich weiß, dass ich dort mein Leben zurückließ. Aber ich tat es für sie. Ich weiß, dass sie sonst gestorben wären. Tränen kullern mir über die Wangen und tränken dann mein Kleid. Mein Herz zerbricht. Ich würde sie nie wieder sehen. Nie wieder.

Kapitel 1.

Meine Füße steckten in samtweichen Ballerinas. Ich trug ein Tüllkleid, aus hellblauer Seide. Aus meinen blonden Haaren hatte meine persöhnliche Dienerin Maya einer komplizierten Hochsteckfrisur gemacht. Ich ging in übermenschlicher Geschwindigkeit die Gänge bis zum Speisesaal entlang. Mein Krieger folgte mir auf Schritt und Tritt. "Sorry.", entschuldigte ich mich, als ich durch die Tür zum Saal schlüpfte. Meine ganze Familie saß schon an der Tafel. Ich senkte meinen Blick und huschte an meinen Platz. Meine Mutter Claire schüttelte den Kopf. "Saphrina. So geht das nicht weiter." Meine Fluchtinstinkte machten sich bemerkbar. "Das stimmt.", erhob auch nun mein Großvater Cameron, auch als König bekannt, das Wort. Ich blickte meine Schwester Ailean hilfesuchend an, doch ihr Blick war kühl auf ihren Mann Nathan gerichtet. Meine Großmutter Rowena sah mich nicht an, als mein Vater Stewart das Wort ergriff, "Du wirst in einem Monat deinen Zukünftigen Alec heiraten." Mir entglitten jegliche Gesichtszüge. "Alec?", fragte meine Cousine Blair schockiert. Ich sah in die Runde. Außer meinem Cousin Ian, der mich mitfühlend ansah, widmeten sich alle wieder ihrem Essen. "Das geht nicht.",sagte ich. Der Mann meiner Schwester Fiona erwiderte, "Du wirst bald 18. Was sollte daran nicht gehen?" Ich sprang von meinem Stuhl auf. "Kennan. Sag doch was." Er blickte zu mir herauf. "Was soll ich dazu sagen Schwester? Es wird seine Gründe haben." Ich klappte meinen Mund fassungslos auf. Sie wollten mich an einen fremden Mann, den ich nicht mal kannte binden. Was war nur in sie gefahren? "Mutter, Diana, wollt ihr das alle nicht nochmal überdenken? Sie ist doch noch so jung.", meinte Blair. Sie war ein Jahr älter als ich und mit ihrem Bruder Ian und mir die einzigen, die noch unverheiratet waren. Aber bei mir würde sich das anscheinend bald ändern. "Nein.", sagte meine Tante. Das war das Letzte! Ich stürmte aus dem Raum.

Sofort heftete sich Niall mein Krieger und bester Freund an meine Fersen. "Wusstest du davon?", schrie ich ihn an und hielt mir dann sofort die Hand vor den Mund. Ich wollte die Wut nicht an unschuldigen Personen rauslassen. Ich war schließlich immer noch eine vornehme Prinzessin. "Phina..", seufzte er. Ich blieb ruckartig stehen. "Du wusstest es?", fauchte ich. Prinzessin hin oder her! Er hielt neben mir an. "Alec ist ein guter Mann.", sagte er und beantwortete mir damit meine Frage indirekt. "Oh mein Gott. Oh mein Gott.", brachte ich hervor und dann rannte ich los. Ich stürmte in mein Gemach und knallte die Tür hinter mir zu. Ich schloss sie ab und bat meine Zofe, die mich verdattert an sah, mir eine Tasche aus meinem Kleiderzimmer zu holen. Sie war schlau genug nicht zu fragen. "Phina!", schrie Niall von draußen, doch ich ignorierte ihn. Maya kam mit einer großen Tasche wieder in mein Zimmer. Ich nickte ihr dankbar zu und gab ihr dann frei. Sie schlüpfte nach draußen. Ich ging zu meinem Kleiderschrank und stopfte mir zwei paar bequeme Ballerinas und unmengen von Kleidern in die Tasche. Es folgten mein Pass, mein Handy, Geld, ein Schlüsselbund und andere kleine Dinge. Ich zerrte an dem Reißverschluss herum und zog ihn dann zu.

Mein Entschluss stand fest. Er war unüberlegt. Leichtsinnig. Zu eilig. Aber er war gut. Ich konnte meine Familie eh noch nie richtig leiden. Eigentlich lebten wir alle aneinander vorbei. Aber wenigstens konnte ich bis jetzt immer alles tun und machen was ich wollte und nun sollte ich einen Mann lieben lernen und ich würde immer was mit ihm zusammen machen müssen. Ich fand es ja schon manchmal schrecklich, dass Niall wie eine Klette war.

Ich stopfte meine Tasche unter das Bett und ging dann aus dem Zimmer. Mein bester Freund seufzte erleichtert. "Lass uns einen Spaziergang machen.", sagte ich. Er nickte und gemeinsam schritten wir über den Hof. Als wir an den Stallungen ankamen, befahl ich meinem Krieger hier auf mich zu warten. "Nick?" Er kam sofort herbei geeilt. Er trug wie immer eine Reiterhose und Reiterstiefel. Seine blonden langen Haare hatte er sich zu einem Zopf nach hinten gebunden. Seine grünen Augen strahlten, als sie mich erblickten. Er trug ein rotes T-Shirt und hielt gerade eine Bürste in der Hand. "Störe ich?" Er lachte auf. "Wie kommen Sie darauf, Prinzessin Saphrina?" Ich knuffte ihn und er stöhnte gespielt auf und rieb sich den Arm. "Ich hätte da eine Bitte an dich." "Ich bin ganz Ohr.",antwortete er. Ich holte einmal tief Luft. "Sattelst du ein Pferd für mich?" Er grinste. "Klar. jetzt?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Um dreiundzwanzig Uhr." Er sah mich fragend an. "Was..?" Ich schnitt ihm das Wort ab. "Frag bitte nicht." Nick verzog gekränkt das Gesicht. "Du kannst mir vertrauen.", meinte er. Ich nickte. "Ich weiß, mein Lieber. Ich weiß." Und ich wusste es auch. Aber noch mehr wusste ich, dass wenn er mir bei der Flucht helfen würde, dass er in großen Schwierigkeiten stecken würde. "Vertrau mir einfach.", sagte ich und verschwand.

Der Tag verging schleppend, aber er verging. Nach dem Essen folgte ich noch ein Weilchen Blair. Es tat gut ein letztes Mal mit ihr zu reden. Zum Schluss drückte ich sie nocheinmal ganz fest. Sie nahm es wohl so auf, dass ich jetzt nachdem ich von der Hochzeit wusste jemanden brauchte. Ich dankte ihr still dafür, dass sie nichts dazu sagte. Als ich in meinem Gemach ankam, ging ich erst einmal unter die Dusche. Als ich wieder herauskam, ging die Sonne gerade unter. Ich nahm die Flasche mit frischem Blut, die ich immer auf dem Nachttisch zu stehen hatte und leerte sie mit großen Schlücken. Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte, föhnte ich mir die Haare. Als ich fertig war, war die Sonne schon längst verschwunden. Ich ging in mein Kleiderzimmer und zog die einzige Hose,die ich hatte, heraus. Es war eine schwarze Reiterhose mit roten Streifen an der Seite. Dazu schlüpfte ich in ein langärmligen Pullover und eine Sportjacke. Dann zog ich meine Ballerinas aus und tauschte sie durch edle Reiterstiefel. Ich band meine Haare zu einem einfachen Zopf zurück und schulterte meine Tasche. Und danach lauschte ich. Das tat ich eine ganze Weile. Ich wartete bis ich keine Laute mehr wahrnehmen konnte und öffnete meine Balkontür. Ich trat heraus und mich ließ sofort eine frische Brise frösteln. Ich sah hinunter. Es waren genau drei Meter, die mich von dem Boden trennten. Ich wusste, dass ich dort locker runter kam, doch als Prinzessin hatte ich das nie gedurft. Ich schwang mich übers Geländer und fiel dann in die Tiefe. Etwas unsanft kam ich auf dem Boden auf und musste meine Hände zur Hilfe nehmen, um den Fall abzufangen. Als ich wieder richtig stand schlich ich im Schatten der Nacht zu den Stallungen. Die ganze Zeit sah ich mich um, ob mir jemand folgte, doch niemand schöpfte Verdacht.

Nick hatte sein Wort gehalten. In einer Box wartete ein gestriegeltes Pferd auf mich. Ohne groß zu überlegen schwang ich mich auf das Tier und ritt los. Mein Atem ging flach und meine Augen schweiften in der Gegend herum. Ich führte das Pferd zum Westtor, da ich wusste, dass es abends unbewacht war. Es lag im Wald und fast keiner kannte es und eigentlich hatte auch niemand einen Schlüssel, weshalb sich keiner Sorgen machte. Doch ich besaß ihn und konnte deshalb ungestört den Hof verlassen. Als das Tor hinter mir ins Schloss fiel, seufzte ich erleichtert auf. Eigentlich war die Flucht viel zu einfach gewesen, aber niemand rechnete mit so etwas Unüberlegtem. Vorallem nicht von einer Vampirprinzessin.

Fast lautlos ritt ich mit dem Pferd durch die Nacht. Schwerelos galoppierten wir über den feuchten Waldboden. Bei Sonnenaufgang musste ich Lamia hinter mir gelassen haben. Es war eine Stadt, in der nur Vampire lebten. Danach würde ich nur noch auf Menschenstädte treffen, in denen sich nur einzelnde Vampire aufhielten.

Als sich schon die ersten Sonnenstrahlen blicken ließen, trabte ich in die Stadt ein. Meine Augen waren schwer und ich wollte nur noch schlafen, aber ich hielt sie offen und ritt weiter. Eigentlich war Lamia eine Stadt wie jede andere auch. Ich war hier schon öfter auf Konferenzen gewesen. Bis auf die Blutbank gab es keine sonderlichen Unterschiede.

Ein paar Vampire, die gefeiert hatten und gerade erst nach Hause gingen, musterten mich interessiert, doch ich beachtete sie einfach nicht und trieb das Tier an, noch schneller zu reiten.

Und so schaffte ich es tatsächlich bei Sonnenaufgang Lamia hinter mir zu lassen. Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht. Ich war frei. Frei von Verantwortung. Frei von allen Pflichten. Vorerst zumindest.

 

Etwas kitzelte mich am Bein und riss mich aus meiner Traumatmosphäre. „Lass das, Niall.“, lachte ich und schlug meine Augen auf. Doch ich erblickte meinen besten Freund nicht. Dafür aber viele Sträucher und Wiesen. Ich sah an mein Bein, wo drauf eine Fliege lief. Ich schnipste sie weg und räkelte mich. Mein Rücken schmerzte und die Sachen waren von der feuchten Erde durchweicht. Mein Kopf brummte. Mein Blick wanderten zu dem Grauschimmel, der seinen Kopf gesenkt hielt und graste. Ich hatte ihn an einen Baum gebunden und mich kurzer Hand, so müde wie ich war, davor hingelegt und war eingeschlafen. Ich stand auf und machte ein paar Dehnungen, in der Hoffnung die Schmerzen würden dann weggehen. Doch es war vergeblich.

 

Als ich ein paar Stimmen wahrnahm, riss ich sofort meine Tasche an mich und band das Pferd los. Es blähte seine Nasenflügel auf, um mir zu sagen, dass er es gar nicht gut fand, dass ich ihn beim Essen störte. In dem Moment hörte ich den Kirchturm von Lamia. Seine Glocken schlugen vier mal. In der Ferne konnte ich noch gut die Stadtmauern erkennen. Weit hatte ich es nicht unbedingt geschafft. Die Schritte verklangen und ich stieg auf das Pferd. Wenn ich noch vor Sonnenuntergang in der nächsten Stadt sein wollte, musste ich mich sputen. Ich wählte den Weg über die Weiden, da wir dort eher ungestört waren. Die Hufe von meinem Pferd flogen nur so über das Gras. Ich machte das Gummi aus meinem Haar heraus und ließ meine blonde Mähne dann im Wind wehen. Ich sah nach rechts und erblickte ein Reh, dass friedlich vor sich hin graste. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als das Niall neben mir herritt.

 

„Gefällt es dir, Prinzessin Saphrina?“ Ich lächelte und blickte in seine blauen Augen. „Hör auf damit.“, erwiderte ich nur und genoss die frische Luft, die ich gierig in meine Lunge aufsog. Es war herrlich mal nicht von einer Schlossmauer eingeschlossen zu sein. Sonnenstrahlen blendeten meine Sicht und ich kniff die Augen zusammen. Mondlicht wieherte und galoppierte über die weiten Wiesen. Ich konnte mir ein befreiendes Lachen nicht verkneifen. Die Freiheit umhüllte mich und gab mir ein geborgenes Gefühl. „Womit soll ich aufhören?“, fragte mein bester Freund belustigt. „Ich bin keine Prinzessin.“ „Oh doch. Meine Prinzessin.“ Ich grinste einfach nur, weil er mich immer damit neckte. Ich wollte mein ganzes Leben schon keine Prinzessin sein. Ich wollte ein einfaches Stadtkind sein, dass immer so tolle Ausflüge wie diese hier machen konnte. Doch das war ich nicht. Leider. „Ich hol dich da schon raus.“, sagte er auf einmal ernst. Ich griff in die Mähne meines Pferdes und brachte es zum Stehen. „Niall.“ Ich seufzte. Er hielt ebenfalls neben mir an. Mondlicht senkte den Kopf und fraß. Ich streichelte ihm durchs Fell. „Versprich so etwas nicht.“, sagte ich und blickte ihm in seine stechenden Augen. Er stieg von seinem Pferd und kam zu mir. Seine Hände fuhren über die nackte Haut an meinem Bein. „Du weißt, dass wenn ich es könnte..“ „Du würdest es tun.“, beendete ich seinen Satz. Oh ja. Das wusste ich. Ich wusste, dass er mich wie seine Schwester liebte und alles für mich tun würde. Ich rutschte von Mondlichts Rücken. „Glaub mir, wenn ich frei wäre..“ „Dann würdest du mich mitnehmen.“ Seine Mundwinkel zuckten nach oben und das Lächeln erreichte seine Augen. „Komm mit.“, sagte er und nahm meine Hand. Und ich ging mit ihm mit. Einfach nur, weil ich ihm vertraute und ihm überall hin folgen würde.

 

Und jetzt war er nicht hier. Ich hatte ihn nicht mitgenommen.

 

 

Wir hatten die Weiden überquert und ritten in einen Wald. Ich hörte hoch oben in den Bäumen die Vögel zwitschern. Ab und zu kreuzte auch ein Fuchs unseren Weg. Es war nicht gerade leicht, ein Pferd durch die dichten Bäume zu lenken, doch ich wollte kein Risiko eingehen und einen Sandweg nehmen. Nach einer Weile musste ich eine Pause einlegen, damit sich das Tier ein wenig schonen konnte. Ich band es wieder an einen Baum und vertrat mir dann ein bisschen die Beine. Es war kühl, aber ich fror noch nicht. Ein paar Osterglöckchen bahnten sich gerade ihren Weg durch die Erde. Ich bückte mich und hob ein bisschen Waldboden auf. Dann schnupperte ich daran. Vor nicht allzu langer Zeit musste hier jemand lang gegangen sein. Panik durchflutete mich. Waren sie schon auf der Suche nach mir? Bestimmt. Ich war kurz davor, wieder zurück zu rennen, da hörte ich ein kleines Mädchen lachen. Meine Sinne schärften sich und ich hörte trotz der Entfernung das Blut, dass durch ihre Adern gepumpt wurde. Meine Augen färbten sich rötlich und meine Gedanken schalteten sich ab. Ich hatte seit fast einem Tag nichts mehr zu mir genommen. Mein Jagdinstinkt machte sich bemerkbar und ich folgte dem Geruch von menschlichem Blut. Ich leckte mir über die Lippen. Wie ein Raubtier schlich ich mich schnell, aber verschmolzen mit dem Schatten der Bäume, bis zu einer kleinen Lichtung. Schon kaputte Zelte waren dort aufgeschlagen. Auf einem Baum, der durch einen Sturm mal umgefallen sein musste, saßen ein paar Menschen und aßen gerade ein Stück Brot. Sie trugen Lumpen und waren schon etwas abgemagert. Ich erblickte das Mädchen, dass gelacht hatte. Sie ließ sich gerade die Haare von ihrer Mutter flechten. Sie waren arm, aber schienen glücklich zu sein. Ein Ruck durchfuhr mich. Blut. Ich brauchte Blut. Aber andererseits konnte ich doch nicht eine glückliche Familie zerstören. Ich holte tief Luft und der menschliche Geruch bahnte sich einen Weg in die Lungen. Schließlich drehte ich mich jedoch um und verschwand wieder im dichten Wald. Ich wusste nicht wie ich es geschafft hatte. Aber nun saß ich wieder auf dem Rücken meines Pferdes.

 

Ein paar Stunden später lichteten sich die Bäume und gaben den Blick auf eine Kleinstadt frei. Die Sonne leuchtete schon rot, hinter einem Hügel. Ich spannte die Zügel und überwand die letzten Kilometer. Angekommen schwang ich mich vom Pferd und schritt über die Zugbrücke. Ein paar Wächter musterten mich kurz, ließen mich jedoch gewähren ohne meinen Pass zu fordern. Hinter mir wurden die Tore geschlossen. Ich hatte es gerade noch so geschafft. Die Hufe meines Pferdes klapperten auf dem unebenen Pflastersteinen. Ich wanderte durch kleine Gassen. An meinen Seiten ragten zweistöckige Reihenhäuser in die Höhe. Manche Fenster waren hier schon eingeschlagen und die Gardinen wirkten schäbig. Das musste wohl das Armenviertel sein. Ein unangenehmer Geruch stieg mir in die Nase und ich beeilte mich die Gassen hinter mir zu lassen. Ich erreichte den kleinen Marktplatz gerade, als sich die Nacht hereinbrach. Der Platz war verlassen. In der Mitte stand ein kleiner Springbrunnen. Ich drehte mich unschlüssig im Kreis. Dann entdeckte ich ein kleines Schild auf dem „Kleine Scholle“ stand. Ich band mein Pferd an einen Metallring, der in der Wand eingelassen war und betrat die kleine Stube. Ein etwas älterer Mann blickte überrascht hinter einem Tresen auf, als die Türglocke schellte. Ich lächelte und trat auf ihn zu.

 

„Habt ihr zufällig noch ein Zimmer frei?“

 

Der Mann war klein und hatte schon graue Haare und einen weißen Bart. Sein Bauch war zu einer kleinen Kugel geformt. Er trug eine schon schmutzige Schürze.

 

„Natürlich, Ma´am. Es ist jedoch nur ein kleines.“

 

Ich winkte ab. „Das ist nicht schlimm.“, sagte ich und folgte dem Wirt, der mich durch die Flure zu einer Zimmertür begleitete. Er drückte mir die Schlüssel in die Hand und ich schloss auf. Die Tür ließ sich nur schwer öffnen und knarrte. Als ich in den Raum eintrat, gaben die Dielen unter meinem Gewicht ätzend nach. Der Raum war staubig, klein und dunkel. Durch ein winziges Fenster konnte man die dunklen Gassen der Stadt erahnen.

 

„Zufrieden?“, fragte der alte Mann und ich nickte. Ich hustete als er die Tür hinter mir schloss und Staub aufgewirbelt wurde. Erst einmal hatte ich so einen Raum betreten und das war schon Jahre her.

 

 

 

„Mutter?“ Sie nahm meine kleine Hand.

 

„Ja, Schatz?“ Ich sah mich in dem schäbigen Raum um.

 

„Hier wohnt doch keiner oder?“ Sie sah mich an und strich mir über meine rundlichen Wangen. „Nein, mein Schatz.“, sagte sie, doch ich wusste, dass sie log. Hinter mir kam Blair in den Raum. Ihr Mund klappte auf, aber sie brachte nichts heraus. Und dann öffnete sich eine Seitentür. Heraus kam ein junges Mädchen. Es war hübsch, aber auch schäbig. Sie trug keine Schuhe und an ihren Füßen klebte Dreck. Notdürftig bedeckte ein zerrissenes Kleid ihren Körper. Ihre Haare waren verfilzt. Aber sie war schön. Ich sah das Mädchen leicht verwundert an und zog meine kleinen Ballerinas aus.

 

„Was machst du da, mein Schatz?“, fragte meine Mutter, doch ich lächelte ihr nur zu und ging zu dem Mädchen. Die Dielen knarrten und als ich bei ihr war, waren meine weißen Söckchen schon dreckig. Ich reichte ihr stolz meine Schuhe. Sie lächelte mich an und blickte dann unsicher zu meiner Mutter. Schließlich bückte sie sich dann aber und nahm meine Schuhe entgegen.

 

„Danke. Das ist sehr lieb von dir, Prinzessin Saprhina.“

 

Ich hatte ihr nur mein schönsten Lächeln gezeigt und gesagt, „Sie werden dir viel mehr stehen. Du bist echt hübsch und genauso eine Prinzessin.“

 

Daraufhin hatte sie mir eine Haarsträhne hinters Ohr gestrichen. „So etwas nettes hat noch nie jemand zu mir gesagt. Du hast ein großes und reines Herz, Prinzessin Saphrina.“

 

Ich schnappte mir ebenfalls eine Strähne von ihr und ließ sie durch meine kleinen Finger gleiten. „Das sollte man dir öfter sagen..“ Doch dann hatte mich meine Mutter geschnappt und war mit mir aus dem Haus gestürmt. Ich hatte angefangen zu weinen und zu schreien. Doch wir waren einfach zurück zum Schloss gefahren und ich hatte es einfach nicht verstanden.

 

 

 

Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante und blickte aus dem Fenster. Ein Mensch huschte gerade durch die Gasse und sofort fing mein Magen an zu knurren. Also stand ich wieder auf und verließ die Gaststube. Draußen war es inzwischen schon kalt geworden. Ich sah in den Himmel. Wolken verschleierten ihn, sodass man keine Sterne erblicken konnten. Ich roch Menschen und sofort wurde ich wieder zu einem Raubtier. Ich schlich ganz leise und schnell durch die Gassen, bis ich entdeckte, wo mich meine Nase hinführte. Vor mir torkelte ein Mann. Ein ganz normaler betrunkener Mann. Schade. Dann war das ja viel zu einfach.

 

Ich musste mich gar nicht groß verstecken, sondern schnitt ihm einfach den Weg ab. Er sah mich mit glasigen Augen an.

 

„Wen haben wir denn da.“, lachte ich und er sah mich einfach nur weiterhin an. Ich legte meine Hand an seine Brust und spürte sein Herz schlagen. Mein Verstand stellte sich ab. Ich hörte nur noch das Blut durch seine Adern fließen. Es war wie ein Rausch. Ich neigte meinen Kopf an seine Hals beuge und bevor er irgendwas sagen konnte, durchbohrten meine Reißzähne schon seine Haut. Sofort schoss Blut in meinen Mund und ich schluckte es eilig. Widerlich. Er hatte viel zu viel Alkohol zu sich genommen. Aber ich hatte Hunger und so schluckte und schluckte ich immer wieder sein verdorbenes Blut.

 

Als ich einigermaßen gesättigt war ließ ich von ihm ab. Er sackte in sich zusammen. Ich schaute abfällig auf ihn herunter. Seine Kleidung war dreckig und an seinem Ärmel klebte nun Blut. Seine Haare standen ihm in alle Richtungen ab und von seiner Haut perlten Schweißtropfen. Doch ich besaß dann noch den Anstand mich zu ihm herunter zu beugen und mit der Zunge über die Bisswunden zu fahren. Das Blut hörte auf zu fließen und die Heilung begann. Zwar würden Narben zurückbleiben, aber spätestens in einer Woche wäre alles andere verheilt. Er würde überleben. Zufrieden machte ich mich wieder auf den Weg in die Pension. Ich begrüßte den Wirt, der immer noch hinter dem Tresen stand und gerade eine junge Frau bediente, mit einem Nicken und verschwand dann auf mein Zimmer.

 

Diese Nacht schlief ich schlecht, aber immerhin besser als am Tag zuvor. Die ersten Sonnenstrahlen weckten mich und ich stand auf. Da ich vor hatte so schnell wie möglich weiter zu reisen, wusch ich mein Gesicht und schnappte mir dann meine Sachen. Da so früh am Morgen noch keiner wach war, legte ich ein bisschen Geld auf den Tresen und verließ dann die Stadt.

 

So ging das einige Tage lang weiter. Tagsüber ritt ich über Wiesen und durch Wälder und nachts übernachtete ich in schäbigen Wohnungen. Ich ernährte mich von meist besoffenen Leuten, aber brachte keinen um, da das zu viel Aufsehen erregen würde.

 

Als ich Dembar schon am Mittag erreichte, gönnte ich mir eine Pause in der Stadt und ging zu einer Scheune, um mein Pferd unterzustellen. Dembar war eine etwas größere Stadt. In der Mitte ragten zwei Türme in die Höhe. Sie waren so rot wie Blut gepflastert und ein echtes Augenmerk. Die Hufe von Laire, so hatte ich das Pferd getauft, klapperten auf dem unebenen Pflaster. Ich betrat die Stallungen und sofort kam eine Magd zu mir gelaufen. Sie trug ein braunes Kleid und Sandalen. Ihre Haare hatte sie sich unter ein weißes Tuch gesteckt. Ihre Augen waren dunkelbraun und strahlten mich an. Sie war etwas kleiner und magerer als ich. Außerdem hatte sie hohe Wangenknochen, was sie noch schmaler wirken ließ.

 

„Was kann ich für Sie tun, Miss?“ Sie deutete einen Knicks an.

 

„Ich würde gerne mein Pferd unterstellen.“, antwortete ich und schwang die Zügel in meiner Hand hin und her. Die Magd musterte Laire und streckte ihre Hand aus, um kurz danach ihr über ihren Nasenrücken zu streichen.

 

„Ein schönes Exemplar.“, staunte sie. Ich lächelte sie nur an und drückte ihr das Band in die Hand. Sie nahm es entgegen und schenkte mir ebenfalls ein knappes Lächeln.

 

„Wann wollen Sie ihr Pferd wieder abholen?“, fragte sie schon halb im Gehen.

 

„Morgen in aller Frühe.“, erwiderte ich und verabschiedete mich mit einem Winken, bevor ich die Stallungen wieder verließ.

 

Ich schlenderte zuerst am Rande einer etwas größeren Straße entlang, auf der ich immer wieder einige Autos vorbei fahren sah. Dann bahnte ich mir jedoch einen Weg durch die etwas kleineren Gassen. Hier war es nicht mehr so laut, dafür aber umso voller. Ab und zu steckte ich sogar mitten in einer Menschenmenge fest. Nach kurzer Zeit schon fing ich an zu schwitzen. Ich schnappte kurze Gesprächsfetzen auf und stellte fest, dass heute Markt war. Also quetschte ich mich durch die Massen hindurch bis ich auf dem Marktplatz stand. Hier tummelten sich noch mehr Menschen. Die Händler schrien, um Werbung für ihre Ware zu machen, während die anderen von einem zum anderen Stand gingen. Ich lehnte mich an eine Hauswand und beobachtete das rege Treiben. Eine alte Dame kaufte gerade zwei grüne Äpfel bei einem Stand in meiner Nähe. Sie trug einen grauen Hut mit einer blauen Feder. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Der sah echt abscheulich aus.

 

Neben mir aus der Gasse kam gerade ein junges Paar spaziert. Sie waren ungefähr in meinem Alter. Der Junge steckte in einer blauen Hose und einem roten T-Shirt. Seine rabenschwarzen Haare hatte er sich im Nacken zu einem Zopf gebunden. Seine Freundin hatte trug ihre Haare genauso. Generell sahen sie sich ziemlich ähnlich. Anstatt der Hose, trug das Mädchen allerdings einen Rock. Ihre Hände hatten die beiden ineinander verschränkt.

 

„..willst du das denn nicht?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll und sah mit ihren eisblauen Augen zu ihm herauf. Er lächelte und legte seine Hand um ihre Hüfte und zog sie noch näher an sich heran. „Solange du bei mir bist, ist mir alles andere egal.“, raunte er. Ich hörte sie noch auflachen, dann verschluckte sie die Menschenmenge.

 



 

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Bildmaterialien: Google
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2014

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Ich widme dieses Buch allen meinen Lesern. Thank youu :D

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