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Vorwort



Donnerstag, 2002, Herbst –
am Samstag findet meine Vernissage statt.
Bin nicht vorbereitet –
habe noch keine Eröffnungsrede geschrieben.

Donnerstag um die Mittagszeit –
ich krieche in meine Stammkneipe.
In meinem Mantel ein Schreibblock.
Nach dem drittem Bier und sechs Obstlern
fange ich zu schreiben an.

Okay –
70, 80 Seiten DIN A 5 sind fertig geschrieben.
Titel:
„Die Wüste des Wartens“.
16 Uhr –
soll ich jetzt heim?
Aber nein –
jetzt ist’s sowieso viel zu spät.
Ich trinke lieber noch einen,
und korrigiere meine Schrift.

Donnerstag ca. 21 Uhr
treffe ich mich mit meinem „Mädchen für alles“.
Claus ist sein Name –
er wird meine Niederschrift Heute Nacht noch drucken,
und sie für den Samstag vorbereiten.

Freitag am Abend ist alles fertig.
Claus drückt den Text meinem Sprecher Gerd in die Hände:
„Mach das Beste draus!“.

Am Samstag läuft alles nach Plan;
Alkoholfalten im Gesicht –
Müdigkeit auf der Zunge.
Gerd vor den Gästen
mit meinem wirren Text –
Tatyana am Klavier.

Alles verläuft bestens.
Nicht bloß die Bilder –
meine Schrift wird ebenso gekauft,
auch wenn sie kaum jemand versteht.


Die Wüste des Wartens



Als das Kind noch Kind war,
lief zum Kleiderschrank hin -
wühlte da rum,
suchte nach Leben.
Fand eine schwarze Uniform,
zog sie an
und wurde Poet.

Als das Kind noch Kind war -
begreift es keiner?
- Die Essenz
- Die absolute Verdorbenheit
und schrillste Dissonanz
der Existenz!

- Herausforderung für jeden Menschen!

Inhaltslose Gespräche,
besitzergreifend und vulgär,
kämpfen sich durch das eroberte Land -
das unmittelbare Terrain.
- Bahnen von Sandpapier streicheln den leeren Körper.

- Ein Sklave mit gefalteten Händen,
empfindsam gegen Verletzung,
hingekritzelt im Sand.

In der Wüste des Wartens -
Bekenntnis,
ich lese dich,
wie den Willen der Bibel.
Sehe -
du offenbarst dich unerschöpflich,
wie ein langer Strahl der Sonne.

Ich hasse und hasse
das ewiggespaltene und amoralische Herz.
Leergepumpte Kammern des Lebens -
einst ein Palast eines maskierten Schlosses;
ein Platz,
wo man sich zurückzog.
Ein Platz,
wo man sich in Kreise drehte,
sich total verdrehte.
Nun ein Skelett in verdrehter Stellung.

Die Augen treffen sich -
keine Zeit für Küsse.
Der Himmel ist zurückhaltend und süß,
als sich Leidenschaft wie Haut vom Fleische schält.
Im Profil der Bewegung,
manifestiert sich Liebe als Freske.

Die blauen Wände des Lebens,
schließen mich ein.
Ziehen mich zwischen flüssige Schatten.
- Azurblaue und hinkende Schatten
erwarten meinen Nacktauftritt.
- Trauer sondert eine Substanz ab:
eine große nasse Träne.
Ein prosaisches Gefäß,
das ein zerstäubtes Hirn umschließt.

Weißer Tunnel -
Jahre der Wiederkehr / des Wissens.
Die Bürde und Wahrheit,
in den glatten Venen der Zukunft.

In der Wüste des Wartens -
begreift es keiner?
Ich bitte dich;
lass mich ziehen!
Halt mir auf deinem kleinen Schiff
keinen Platz frei.
Lass mich ziehen
von Leben zu Leben
um zu leben,
mit einer handvoll Federn.
- Ich sehne mich nicht nach deinem Schicksal.
Die Geister einer Liebe,
sie vertrocknen
oder sterben,
oder noch viel schlimmer!

Sigrid, tauche tief in die Seele
und suche mich.
Öffne das Herz,
das Gefühle ausstrahlt,
der Rede,
ebenso des Schweigens.

Ich schwing' mich hinaus
über meine Dominanz,
hebe die Blätter des Lebens auf,
die bei heutigen Schritten
so langsam vergehen.

Nun bekämpfe ich die Angst,
die Eisgefilde des Zweifels.
- Ich besteige den Felsen
des verlorenen Hoffens.

O, steile Leiter der Luft -
ich im Schraubenflug,
wie ein Adler,
so flieg' ich weiter.

Dort, wo das Herz aufhört zu schlagen;
keine Siege,
ebenso Niederlagen -
dort flieg' ich weiter.

Dort finde ich,
weit hinter den Wolken des Sinnes,
die verlorene Menschlichkeit
und den Pfad ins Leben zurück.

Dort sehe ich das Licht.
Fühle dich!

Ohne Hast
berühre ich dich,
bewege den Strom der Rast.

Dem Blick zugeordnet,
dem Moment bewusst -
strömt dort leise
vor sich ein Fluss.

Dort gleite,
breite meine Flügel aus,
über der irdischen Weite.

Dort bezwinge ich
die grenzlosen Gezeiten,
die kein Adler
jemals erreicht.

Dort -
im Strome der Liebe,
suche ich nach verlorengegangenen Höhen.

Dort -
ist doch ein Jahr vergangen.
Ich sehe es an den vielen neuen Linien,
die sich über meine Hand ziehen.
In der Mitte meiner Handfläche
ist eine Spirale,
wenn ich lange genug draufstarre,
beginnt sie sich zu drehen.

Ein Jahr ist vergangen -
ich bin Sigrid nicht mehr begegnet,
kein Brief,
kein Anruf -
noch hat sie sich in irgendeiner Form
an mich gewandt.

Ein Jahr ist vergangen.
Die Tage sind reine Routine,
doch das Leben,
das ich nachts in meinen Träumen führe,
ist weit prächtiger
und erfüllter.

An diese Doppelexistenz
habe ich mich gewöhnt.
Doch in letzter Zeit -
in letzter Zeit spüre ich die Nacht,
die Last.

Ein Jahr ist vergangen.
Ich mache einen Spaziergang am Fluss entlang -
bleibe stehen
und beobachte mein Spiegelbild,
wie es sich kräuselt
und bricht
und glitzert.
- Aber es ist nicht mein Gesicht!

Ein Jahr ist vergangen.
Und hier bin ich
als Kind,
als Poet in seiner Zelle.

Ich schaue hinauf zum Himmel.
Sehe die Bilder der Befreiung.
- Wolken als Wellen eines Flusses,
und am Ufer sitzt Gott,
und schlägt mit einem Stein
meine Wäsche tot.

Als Poet in meiner Zelle,
zapfe ich das kostbare Blut
meines Lebens -
ein Träumer,
der sein Traumhaus
zum toten macht.

Siberne Schatten
vertrauter Gesichter / Gestalten,
sind in mir eingeritzt.
- Worte der Macht.
- Worte aus licht.
- Worte der Frauen,
der lachenden Wunden.
- O, die strahlenden Gesichter
der Königinnen
und Huren!

Als Poet in meiner Zelle,
sehe ich die Huren am Ufer des Flusses,
und Gott bei der Arbeit
auf seinem und meinem Feld.

- O, da draußen,
ist es nicht wunderbar,
wieder blauen Himmel zu sehen?
Sonnenschein
nach zwei Wochen
und einem Jahr
Kälte und Regen.

Es lastete auf einem,
wie eine schwere Decke
und drückte einen nieder.

Und nun dieses Blau -
ich wandere in ihm herum!

Ist es nicht wunderbar,
blaue und weiße Wolken?
Ich muss immer wieder hinschauen,
einfach aus Freude darüber.
- Ich habe das Gefühl,
als hätte ich es übergezogen.

Ist es nicht wunderbar,
das Gras;
ein unglaubliches Grün.

Und das Gefühl!

Was für ein Gefühl.
Was für eine Freude,
dass es so jemanden wie Sigrid,
(auch wenn sie momentan nicht anwesend ist)
auf dieser Welt gibt!
- Sie verschwendet nichts,
weder Worte,
Zeit,
Gedanken,
noch an Fremde
ihr Gefühl!

Ihre ungeheure Macht über Menschen -
unbewusst,
nicht gewollt.
Jede Handlung aufrichtig,
direkt.

Ihre Wirkung,
wenn sie in einen Raum kommt,
ihn verlässt;
ungewollt,
nicht bewusst.

Ihre Wirkung auf Menschen -
im Leben stehende,
welterfahrene Menschen;
gewollt,
bewusst!

Würde -
die Harmonie all ihrer Bewegungen im Leben,
ihrer Jugend.
Die Wendigkeit
und Treffsicherheit
ihres Denkens
und Handelns.

Was für ein Gefühl.
Was für eine Freude,
dass es so jemanden auf der Welt gibt!

- Ich werde sie vielleicht nie wiedersehen.
Und sie wird mich vielleicht
nicht mehr beachten,
aber dass so ein Mensch lebt,
dass es so einen Menschen gibt,
und ich auf dieser Erde,
in dieser Zeit,
sie kennengelernt habe,
Gott,
für dieses Gefühl bin ich dir dankbar!

Ja, für dieses Gefühl,
auch wenn ich vielleicht
nie wieder Island sehen werde.
Auch wenn mir das Herz
niemals aufhört zu hüpfen!

O, ihre Blondheit,
ihre Form,
während sie den Körper zu verlassen scheint.
Wie sie geht,
sich bewegt.
Wie sie schwebt und gleitet,
die Freude ausbreitet
und abdreht.

Mindestens viele Jahre
werde ich ohne Pause wachen,
unterm Himmel langgestreckt -
ohne Speise
und Trank
und ganz allein.

Hinter Sigrid werde ich herkommen.
- Nach ihr halte ich Ausschau;
Jahrelang!
- Möge ich am seidenen Faden hängen
und vertrocknen
wie heute.

Der Mangel an Schlaf,
Nahrung
und Zärtlichkeit
fordert seinen Tribut.

In versunkener Ruhe.
In den Augen eines Tieres;
ein rosiger Lichtstrahl,
der die Kälte umschließt.

- Reiner Schrott.
Nichts als ein lebloser Haufen Fleisch!

Das taube,
lähmende Gefühl,
wenn das Nordlicht
durch meinen Körper schießt.

Eine Welle von Erregung.
Licht und Dunkelheit -
Bezahlung: Eis!

Ich versuchte von ihr
keinen Abschied nehmen.
Auch wenn es nur
für eine kurze Zeit sein sollte.

Abschiednehmen
ist für mich wie eine Amputation:
ein Glied wird ausgerissen,
ohne das ich nicht leben kann.
- Und dennoch,
es geschieht einfach.
Doch das Leben flutet weiter,
reicher,
intensiver,
voller in die Leere zurück.

Es ist,
als habe man durch Trennung
wirklich einen Arm verloren.
Und dann wächst
wie beim Seestern
ein neuer nach.
- Man ist wieder ganz:
Vollkommen und abgerundet,
sogar mehr als zuvor.

- Der andere Mensch,
einer wie sie,
besaß von mir
doch nur Teile.

Und so hänge ich hier
über dem Boden,
auf dem Deck eines Schiffes -
der Mast wird zum Flügel.

Die Nacht,
sie lacht nur
und brüllt.

Hier oben war ich schon mal,
auf dieser heißen Tour.

Meine Finger schmelzen -
aber die brauch' ich eh nicht mehr.
Wenn man's genau überlegt,
dann ist die Kunst so arrangiert,
dass der ganze Blütestand
mit einer einzigen blühenden Farbe
zum Leben erwacht.

- Aber jetzt bin ich am Ende.
Nein,
schon bin ich am Ende!
Ist das nicht seltsam,
ausgerechnet ich?

Ein Lichtstrahl
trottet dahin,
auf so beschwerlichen Pfaden.

- Ein Kind watet im Wasser.
- Ein Kind wartet in schwarzem Gewässer,
fasziniert vom Bild der Zukunft,
das davonschwimmt.

- Das Kind,
als,
als ob das Leben da gewesen wär'!

In der Wüste des Wartens -
begreift es keiner?
Ich bitte dich,
lass mich ziehen
von Leben zu Leben,
um dich und mich
wieder zu erleben!


Impressum

Texte: Copyright 2002 by Mirek Kuzniar
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An Hummelflug

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