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Kapitel 01

Ein wenig skeptisch stand ich vor dem großen Haus, das etwas abseits der Stadt, vor einem Wald zu finden war – abseits von London. So weit außerhalb von London waren wir noch nie gewesen. Es sah schon ziemlich heruntergekommen aus und ich war mir sicher, dass darin keiner mehr wohnen würde – jedenfalls kein Mensch. Dachschindeln fehlten, an einigen Stellen bröckelte der Putz ab (außen, von innen konnte ich das noch nicht beurteilen) und das rechte Geländer der Treppe die zur Veranda hinaufführte, fehlte ganz. Die Fenster waren so verdreckt, dass man nur erahnen konnte, was sich dahinter befand. Einige hatten sogar Löcher.Kurz gesagt, dieses Haus war eine Katastrophe und eigentlich nur noch abrissbereit. Selbst wenn man versuchen würde es zu renoviert, würde das gar nichts bringen. Garantiert war nicht mal Wasser oder Strom vorhanden. Plus, es sah gruselig aus.»Man sollte es abreisen«, sprach ich meine Gedanken aus. »Außerdem, wieso müssen wir immer an solche gruselige Orte gehen? Reicht es nicht, dass wir schon gegen Dämonen kämpfen müssen?«
»Hast du etwa Angst FannyBunny?«, fragte mein Partner neckisch.
Noah Castor.
Einer, von vielen, der beliebtesten Schüler unserer Schule, gutaussehend, top Noten, unglaublich talentiert und charmant. Das würde jedes Mädchen über ihn sagen, doch ich weiß es besser als die Modepüppchen. Wenn man ihn einmal richtig kennengelernt hat, weiß man, dass das Prinz-Charming Getue nur Fassade ist.Und genau das geht mir auf den Keks.
In Wirklichkeit ist Noah Castor, der eingebildetste, hochnäsigste, arroganteste, besserwisserischste Typ des ganzen Planeten und leider auch mein Partner.
Auch wenn er es nur gut meinte, bringt es mich oft aus der Fassung und treibt mich bis zur Weißglut. So nervig und eingebildet er auch manchmal sein mag, hat mir Noah schon einige Male das Leben gerettet und ab und an, vor allem in schlimmen Situationen, in denen ich sehr emotional werden kann, kommt eine einfühlsame Seite von ihm zum Vorschein.
Trotzdem war er mir in mancherlei Hinsicht immer noch ein Rätsel. Er konnte Launen haben, wie wir Mädchen, wenn unsere Regel einsetzte. Allerdings waren seine Launen immer begründet.
Wenn er nicht gerade der nervige Schüler war, der mit mir zur selben Schule ging, waren er und ich Mitglieder einer Gesellschaft die sich ›Traumjäger‹ nennen. Unsere Missionen beschränkten sich meist auf das jagen von bösen Geistern und Dämonen, die auch Traumfresser genannt werden und diese zu reinigen. Dabei können wir in den Träumen von anderen agieren oder in der Zwischenebene zur Geisterwelt. Ich nenne diese Ebene den ›Schleier‹, weil es zur Hälfte das eine, aber zur anderen auch das zweite ist. Also nicht genau definierbar.
Als Traumjäger konnte Noah manchmal noch unausstehlicher werden, als er es in Wirklichkeit (also als Schüler) schon war. Ständig musste er es mir auf die Nase binden, dass er schon viel weiter und besser war als ich. Wobei der Teil mit dem besser sein nicht ganz stimmte. Ich habe extrem krasse Fähigkeiten, die ganz schön ausarten und eine ganze Horde von Traumfressern lahm legen oder sie bei bloßer Berührung reinigen können. Einziger Nachteil an der Sache, ich kann sie noch nicht wirklich kontrollieren.
Bei dem reinigen handelte es sich um das befreien von bösen Eigenschaften oder Energie, die die Traumfresser in sich aufnehmen (ihre Nahrung könnte man auch sagen). Manchmal wachsen diese Viecher beim konsumieren solcher Eigenschaften auf das doppelt oder vielfache (echt angsteinflößend). Aber genauso schnell schrumpfen sie auch wieder wenn man sie gereinigt hat. In Wirklichkeit sind sie nur kleine Dämonen, die so an Stärke gewinnen können, welche man ihnen aber auch wieder entziehen kann.
Alles ganz schön kompliziert und verwirrend – so fühlte ich mich jedenfalls, als man mir es versuchte das erste Mal zu erklären.
Zugegeben Noah hatte ab und zu seine liebe Not mit mir, aber nichts destotrotz war er schlimmer – für mich. Und in diesem Moment war es auch nicht anders.
»Von Angst kann hier keine Rede sein«, erwiderte ich auf seine provokative Frage. »Beeilen wir uns lieber und finden den Störenfried, bevor es dunkel wird.«
»Endlich mal ein kluger Vorschlag von dir.« Ich warf Noah einen warnenden Blick zu und schritt auf das Haus zu.
Zurzeit befanden wir zwei uns im Schleier. Unsere Körper lagen zurzeit sicher in einem unserer Verstecke und wir rannten gerade in unseren Geisterformen durch die Kante. Die Umgebung hatte sich leicht verändert und war etwas düsterer geworden. Dennoch schimmerten in der Luft schwache farbige Schwaden, die ihre Bahnen zogen. Ich glaube so ähnlich konnte man sich die Nordlichter oder einen Rauschzustand vorstellen. Nur mit dem Unterschied, dass das hier real war und kein Hirngespinst der Fantasie.
Die erste Treppenstufe knarrte bedrohlich, als ich einen Fuß auf sie setzte. Instinktiv griff ich nach dem noch heilen Geländer, aus Angst, die Treppe würde unter meinen Füßen nachlassen. Doch kaum hatte ich das rostige Ding auch nur leicht berührt, krachte es in sich zusammen. Vor Schreck machte ich einen Schritt zurück, verfehlte die Treppe und verlor das Gleichgewicht.
Eine Hand fing meinen Sturz ab und schob mich wieder zurück in die 90° Haltung.
»Du machst vielleicht Sachen.« Noah seufzte und ging an mir vorbei. »Egal wo wir hingehen, mit dir passiert immer was.« Ohne das bei ihm was passierte ging bis zum Ende der Treppe hoch, bis er vor der Tür stand – typisch. Er drehte sich zu mir um und hielt mir seine Hand hin. »Na komm. Nicht das du mir noch hinfällst.« Er machte sich nur lustig über mich und das machte mich sauer – jedes Mal.
»Nein danke.« Ich schritt die letzte Stufen hinauf und wollte mich gerade innerlich freuen, dass nicht passiert war, als unter meinem einen Fuß der Boden krachend nachgab.
Das darf doch wohl nicht wahr sein!
Auch wenn ich mich im ›Schleier‹ befand und Menschen mich für einen Geist halten würden, so war ich nicht aus luftähnlicher Existenz und konnte durch alles hindurchschweben (diese Gestalten sind ein anderes Kaliber, Tip und Top sind zum Beispiel welche). Jedes lebende Wesen hat eine Seele, die im ›Schleier‹ sichtbar wird. Gegenstände sind in beiden Welten existent. Wie stark der Einfluss auf diese Gegenstände von einem selbst ist, hängt je nach Stärke der Seele ab.
»Du hast auch nur Pech.«
»Haha. Sehr witzig Noah. Hilf mir lieber raus«, murrte ich und streckte ihm meine Hand hin. Mit einem Ruck zog mein Partner mich aus dem Loch. Meinem Fuß ging es zum Glück gut, er schmerzte nur leicht.
»Du solltest meine Hilfe eher annehmen, dann würde dir auch so was nicht passieren.« Na klar. Mr Klugscheißer wusste auch alles besser.
»Gut. Dann bitte nach dir.« Ich wagte es nicht als Erste vorzugehen und mich als Zielscheibe für diverse Missgeschicke zu machen und zwangsläufig Noahs Spott.
Quietschend ging die Tür auf und Noah trat ohne zu zögern ein. Ich folgte ihm – langsam. Durch die Eingangstür kam man gleich in eine Art Vorhalle oder Empfangshalle. Einen Flur konnte man es schon gar nicht mehr nennen. Doch auch wenn es noch so groß und schön gewesen wäre, zeigten sich bereits hier schon extreme Spuren des Verfalls. Morsche Balken, Spinnenweben, Löcher im Dachstuhl und eine zwei Zentimeter dicke Staubschicht – mindestens.
»Die Putze hatte wohl frei die letzten 10 Jahre.« Noah fuhr mit dem Finger über die Oberfläche einer Kommode. Er schaute sich das Ergebnis auf seiner Hand an und klopfte den Schmutz wieder an seiner Kleidung ab.
»Worauf du wetten kannst«, stimmte ich ihm zu. »Was mich auch bei dem Haus irgendwie nicht wundert.«
»Vergiss nicht warum wir hier sind. Bis jetzt hab ich noch keine schwarze Präsenz wahrgenommen.«
Die ›schwarze Präsenz‹ ist so etwas wie eine Ausstrahlung von böser Energie, die meist Traumfresser und andere Wesen, die nichts Gutes im Sinn haben, besitzen. Wir Traumjäger können diese Präsenz mit unserem, sagen wir mal, ›sechsten Sinn‹ aufspüren. Dies benötigt allerdings ein hohes Maß an Konzentration und ist bei jedem anders stark ausgeprägt.
Ich habe zum Glück nicht das Problem, da ich anscheinend mit dieser Gabe bereits geboren wurde. Das war auch einigermaßen das Einzige womit ich vor Noah prahlen konnte. Allerdings lässt meine Konzentration in Sachen Materialisieren (Dinge durch bloße Vorstellungskraft herbei zu rufen) zu wünschen übrig. Ebenso wie meine Kampfkünste. Das wiederum hielt mir Noah vor und verbesserte mich wo er nur konnte. Ich hoffte nur das der heutige Traumfresser kein schweres Kaliber war und leicht zu händeln.
»Hier unten scheint nichts zu sein. Bleibt nur noch das Obergeschoss. Am besten wartest du hier unten, sozusagen als Backup. Ich bin gleich wieder da.« Noah wollte gerade die Treppe, die in den ersten Stock führte, besteigen, als ich ihn am Arm festhielt.
»Bist du wahnsinnig? Du kannst mich doch nicht hier alleine lassen.« Er runzelte verständnislos die Stirn.
»Warum nicht?«
»Hast du nie einen Horrorfilm gesehen? Wenn man sich da trennt, ist das der sichere Tod.« Ich hasste Horrorfilme und hatte bisher nur einen einzigen in meinem Leben gesehen – nie wieder- Danach hat es sehr lange gebraucht, bis ich meine Angst in der Dunkelheit teilweise überwunden habe. Sogar heute bekam ich noch etwas Angst.
»Hat da jemand etwa Angst?«, fragte Noah und in seinen Augen lag dieses überhebliche, aber auch amüsierte etwas, was ich überhaupt nicht leiden konnte. Er hielt sich für etwas Besseres als ich – in meiner Interpretation. »Von wegen. Ich mach mir nur Sorgen um dich. Seitdem was letztes Mal passiert ist, kann ich dich nicht mehr alleine lassen.« ›Letztes Mal‹, war unser Auftrag letzte Woche. Da ist uns unser Problemtraumfresser, bei Nacht und Nebel in einem Gewirr aus Gassen geflüchtet. Da hatte Noah auch diese ›total tolle Idee‹ gehabt, dass wir uns aufteilen. Hätte ich nicht gespürt wie er von dem Vieh fast getötet wurde, wäre er vermutlich nicht mehr in einem Stück. Wie gesagt, war alles seine Idee. Und anscheinend hatte er nicht daraus gelernt.
»Wie süß. Du machst dir also Sorgen um mich.« Noah nahm eine Haarsträhne und wickelte sie um seinen Finger.
»Bilde dir bloß nichts darauf ein.« Ich schlug seine Hand weg. »Ich will ja nicht, dass mein Cousin seinen Sandkastenfreund verliert. Und fass mich nicht ständig ungefragt an, ich habe bereits einen Freund.« Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen.
»Ach ja. Hätte ich fast vergessen. Zu Schade, dass er mir zuvor gekommen ist.« Ich runzelte die Stirn. Was sollte das denn heißen?
»Als ob du je Interesse an mir in der Richtung gezeigt hättest«, murmelte ich unverständlich.
»Ich bin gleich wieder da.«
»Fünf Minuten«, sagte ich nur.
»Keine Minute länger.« Er grinste mir noch zu, als er sich von mir entfernte.
Noah stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock, wobei beinahe jede einzelne Treppenstufe verräterisch knarrte. Als er nicht mehr zu sehen war horchte ich angestrengt in die Stille hinein. Die Minuten zogen sich für mich von der Stelle zu bewegen. Anfänglich war mir Noah egal gewesen und ich schimpfte noch in Gedanken über ihn. Eigentlich konnte er mir ja egal sein, aber seit dem letzten Erlebnis, habe ich mir geschworen nie wieder jemanden wegen mir in Gefahr zu bringen. Und vor allem nicht meinen Partner. Auch wenn er ein arroganter Idiot war.
Die fünf Minuten waren meines Wissens nach schon um und langsam wuchs die Sorge in mir. »Noah?«, rief ich hinauf und trat auf die erste Stufe. Sofort gab diese ein lautes Knarren von sich, sodass ich unweigerlich zusammen zuckte. »Noah?« Die Hälfte hatte ich schon hinter mir. Als ich oben ankam erstreckte sich ein langer Korridor vor mir, mit fünf Türen auf jeder Seite.
Es war totenstill. Das machte es mir unmöglich zu erahnen, hinter welcher Tür sich Noah befand. »Noah?«, rief ich erneut. Meine Stimme hatte etwas Zaghaftes und man konnte deutlich die Angst hören, die ich nicht mehr länger verbergen konnte. »Noah das ist nicht witzig.«
Ich öffnete eine der vielen Türen und schaute hinein.
Nichts. Alles dunkel.
Ich machte einen Schritt hinein und konnte langsam erkennen, was sich in der Dunkelheit verbarg. Die Fenster waren zugehangen, doch in dem leichten Licht, was von draußen durch den Vorhängen schien, konnte ich ein paar verstaubte Möbel erkennen und einige ausgestopfte Tiere. Der vorherige Besitzer, war anscheinend ein großer Tierliebhaber oder Fan der Großwildjagd.
Ich verzog angewidert das Gesicht. Ich mochte Tiere, keine Frage, aber nicht, wenn sie ausgestopft in der Ecke eines Zimmers stehen, sondern draußen in der Wildnis.
Es waren viele Tiere vertreten. Unter anderem auch bizarre Kreaturen, wie man sie aus Fantasy Romanen kannte. Skurrile Verschmelzungen von verschiedenen Tierarten waren auch dabei, nur kein Noah.
Ich drehte mich um und wollte wieder gehen, als ich plötzlich ein dunkles Knurren hinter mir vernahm. Ich zuckte heftig zusammen. Ich spürte wie warmer Atem mir in den Nacken geblasen wurde. Der Atem von etwas sehr großem und obendrein gefährlichem. »Ich will mehr«, brummte eine tiefe Stimme hinter mir.
Das war einer dieser Momente, in denen ich wusste, dass mein Leben auf Messers Schneide stand. Denn bei so einem Monster, wie es sich hinter mir um eins handelte, galt die Regel: Sei schnell, stark und behalte die Oberhand.
Aber aufgrund der lähmenden Angst, die sich in meinen Beinen festgesetzt hatte, war ich nur noch im Stande mich umzudrehen, als mich etwas traf und mit ungeheurer Wucht wegschleuderte. Das splittern von Holz erklang in meinen Ohren und gleichzeitig schmerzte fast mein ganzer Körper.
Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und ich nahm fast gar nichts mehr wahr. Erst als jemand meine Namen rief und an meiner Schulter gerüttelt wurde, kamen meine Sinne langsam wieder zurück.  Mein Blickfeld war nicht mehr so verschwommen und ich sah Noahs besorgtes Gesicht.
»Fanny alles klar bei dir?«, fragte er mich. Das konnte ich ihm im Moment aber nicht genau sagen, weil sich mein ganzer Körper irgendwie taub anfühlte.
»Ich will meeeeehr!« Die Stimme des Traumfressers durchbrach unser Gespräch.
»Oh man das geht ja richtig ab«, meinte Noah und half mir auf die Beine.
Er hörte nichts von dem, was das Monster sagte, sondern nahm es nur als Brüllen wahr. Ich hingegen hatte das Vergnügen diese Biester zu verstehen. Das hatte ich nach einigen Missionen bemerkt und mir Gewissheit verschafft, als ich meinen Partner gefragt habe, ob er das auch hören könne. Warum das so ist weiß ich auch nicht. Es hat anscheinend irgendwas mit diesen besonderen-Gaben-scheiß zu tun, von dem keiner etwas zu verstehen scheint – nur oberflächlich.
»Warte siehst du das?« Mein Partner zeigte auf den Kopf des Biestes. Wenn man genauer hinsah, konnte man eine dunkle Flamme erblicken. Sie hüllte den kompletten Körper ein, war aber am Kopf stärker konzentriert.
»Er hat eine Seelenflamme«, sagte ich.
»Jetzt ergibt sein Gerede auch einen Sinn. ›Er will mehr‹, also noch eine Seelenflamme.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre ihm noch eine zu geben«, meinte Noah und zog mich zur Seite, als der Traumfresser erneut zu einem Schlag ausholte.
Seine Erscheinung war eine Mischung aus Bärenkörper, Schlangenschwanz und Stierkopf. Solche Fusionen waren in der Geisterwelt völlig normal. Natürlich gab es nicht immer solche komischen Kreaturen. Einige sahen auch ganz normal aus und man konnte sie kaum von den Wesen unserer Welt unterscheiden. Heimtückisch, nicht wahr?
Aber es gab nur wenige Traumfresser die auch wirklich Grips hatten. Dieser zählte zum Glück nicht dazu. Er war ungeduldig und temperamentvoll. Mit der Seelenflamme fühlte er sich überlegen und wurde gierig. Wir konnten ausweichen, aber nicht auf Dauer. Noah versuchte mit seinem Katana das Vieh zu schwächen, aber es war schneller als sonst und seine Reflexe die eines wachsamen Panthers.
»Ich krieg ihn einfach nicht zu fassen«, sagte er und sprang zwei Schritte zurück, um nicht vom Schlangenschwanz erschlagen zu werden. Plötzlich schnellte ein Schatten von irgendwoher in die Richtung des Monsters und wenige Millisekunden später war ein ohrenbetäubendes und schmerzerfülltes Jaulen zu hören. Ich glaubte mir würde gleich das Trommelfell platzen. Ein Typ in Kapuzenshirt und zwei Schwertern in den Händen (sie waren dem von Noah sehr ähnlich) stand unmittelbar neben uns. Ich schaute mir ihn genauer an. Aber ich konnte keine schwarze Energie von ihm ausmachen, demnach musste er also nicht zu den Schattenkämpfern gehören. Aber was sollte dann dieses schwarze Outfit?
»Wer ist das denn?«, fragte ich Noah. Doch ehe ich eine Antwort bekam, schnellte Kapuzenjunge nach vorn und schaltete das Monster mit zwei Schwerthieben außer Gefecht. Ich wollte schon protestieren, denn die Seelenflamme würde bei seiner Aktion draufgehen und man bekäme sie nicht mehr zurück, doch da griff der Typ in die Tasche seines Kapuzenshirts und pustete dem Traumfresser so etwas wie hellen Staub zu. Dieser hüllte das Biest ein und reinigte es. Ich war vollkommen baff als ich das sah.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte ich ihn, aber er sagte nichts und griff sich die Seelenflamme. Wortlos wandte er sich zum Gehen, als sich Noah ihm in den Weg stellte. »Damit solltest du lieber nicht verschwinden, mein Freund.« Er hielt ihm die Klinge an den Hals. »Ich glaube kaum, dass du dasselbe damit vorhast wie wir.«
»Noah jetzt sei doch nicht gleich so unfreundlich«, mahnte ich ihn. »Vielleicht kämpft er ja für die Gleiche Sache wie wir.«
»Nein, tut er nicht«, sagte Noah mit fester Stimme.
»Und warum bist du dir da so sicher?« Die Frage hätte ich mir sparen können, denn kaum hatte Noah eine Millisekunde zu mir gesehen, hatte der Fremde blitzschnell eines seiner Schwerter gezogen und attackierte Noah damit Non-Stop. Mein Partner war darauf nicht gefasst, weshalb ihm einige seiner Parierschläge misslangen und er Bekanntschaft mit dem Schwert des Unbekannten machte.Ich wollte Noah erst helfen, doch dann fiel mir ein, dass ich ja keine Waffe bei mir hatte. Generell war ich die einzige der ganzen Gilde, die noch keine Waffe gefunden hatte. Das war nicht nur peinlich, sondern auch total unpraktisch. Ich konnte Noah ja nicht mit meinen glühenden Händen helfen, die ich manchmal bekam, wenn ich Traumfresser reinigen musste oder ich extreme Angst bekam. In dieser Hinsicht war ich noch unstabil mit meinen Kräften. Mit Schutzschilden konnte ich da schon eher dienen.
»Jetzt reicht es!« Ich warf mich zwischen die beiden Kampfhähne und erzeugte eine Barriere auf beiden Seiten. Die Waffen der beiden prallten daran ab und beide taumelten ein paar Schritte zurück. »Können wir das nicht klären wie vernünftige Menschen?«
Aber offenbar war der Fremde da nicht meiner Meinung. Er holte einen kleinen Ball aus seiner Tasche und warf ihn zu Boden. Es knallte und ein grelles Licht erschien, gefolgt von Rauch. Ich kniff die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffnete, war der Kapuzentyp weg.
»Was war das denn?« Ich hustete und stürzte aus der Tür um besser Luft zu bekommen. »War das ein Ninja oder was?«
»Nein. Der war etwas ganz anderes.« Noah und ich schauten im ganzen Haus nach und auch draußen, aber wir hatten ihn verloren.
»Na super«, sagte mein Partner. »Das war ja mal ein Reinfall.«
»Na ja, nicht ganz. Immerhin wurde der Traumfresser gereinigt und das Haus steht auch noch.« Im gleichen Moment krachte etwas hinter uns und das halbe Verandadach stürzte in sich zusammen. »Oder sagen wir die Hälfte davon.«

Kapitel 02

 Ein bisschen frustriert über unseren Misserfolg kehrten Noah und ich zurück zur Geheimen Bibliothek. Es ist ein Versteck der Traumjäger und beinhaltet sämtliche Bücher über die Menschen die in London leben. Diese dienen jedoch nicht als Informationsquelle über die Menschen, sondern sind eine Art Verbindungstür zu deren Träume. Somit können wir sie von unserem Versteck aus betreten und den Menschen helfen, wenn sie Alpträume haben und von Traumfressern heimgesucht werden, die versuchen sie mit negativen Gedanken zu füllen, um zu wachsen.  
Meine erste Erfahrung mit den Viechern war nicht gerade so wie ich es mir im Nachhinein gewünscht hätte und selbst danach hatte ich immer noch Schwierigkeiten ihnen gegenüber zu stehen, ohne das mir die Knie vor Angst schlotterten. Aber mittlerweile konnte ich gut mit ihnen umgehen, was auch teilweise daran lag das Noah bei mir war und ich mir keine Sorgen machen musste, dass ich doch eventuell verlieren könnte. Noah war und ist, einer der besten Traumjäger die ich je kennengelernt habe. Bei ihm kann ich mich immer sicher fühlen. Auch wenn wir unsere Differenzen haben, habe ich großen Respekt vor sein Können und vertraue ihm.
»Oh schon zurück?« Mattimeo schaute von seinem Buch auf, als wir aus dem Zimmer hinauskamen, in denen unsere Körper all die Zeit gelegen hatten.
»Es ist nicht gerade so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt hatten.« Noah ließ sich auf einen Stuhl an dem großen runden Tisch fallen.
»Aber der Traumfresser ist weg. Damit ist die Mission doch schon mal erfüllt.«
»Also was das angeht …«, setzte ich an und überlegte wie ich unserem Mentor erklären sollte, dass nicht wir es waren die es geschafft haben.
»Wir waren es nicht die ihn gereinigt haben«, sagte Noah direkt heraus. »Es war jemand schneller als wir und sind ihm in die Quere gekommen«
»Ein Schattenkämpfer?«, fragte Mattimeo, doch Noah schüttelte den Kopf.
»Nein, er war etwas anderes.«
»Er hatte auch nicht die Aura eines Schattenkämpfers«, warf ich ein. »Seine Existenz konnte man kaum spüren. Sie war so … einfach nicht besonders, fasst schon als ob er sich tarnen würde.« Kaum hatte ich das gesagt, legte Mattimeo sein Buch zur Seite und  sah mich und Noah an.
»Dann kann das nur eines heißen. Ihr seid einem Seelenjäger begegnet.«
»Das habe ich mir auch schon gedacht«, meinte Noah. Kurz und knapp schilderte er unsere Begegnung mit ihm.
Offensichtlich wussten die beiden was dies hieß, nur ich war mal wieder der Depp und hatte keine Ahnung was ein Seelenjäger sei. Ich hatte immer noch eine Menge zu lernen.
»Seelenjäger?«, fragte ich und hoffte man würde mir nun erklären was man darunter versteht.
»Seelenjäger gehören in die Grauzone. Im Gegensatz zu uns und den Schattenkämpfern stehen sie auf keiner Seite – zumindest der meiste Teil von ihnen. Sie sind eine Art Söldner und können angeheuert werden, von Traumjägern, sowie Schattenkämpfern. Üblicherweise werden sie dazu eingesetzt Seelen zu finden, die von Traumfressern gestohlen werden, um sie entweder den Besitzern wieder zu geben oder um schlimmeres damit anzustellen. Ich kenne einige von ihnen und sie arbeiten auch gut mit uns zusammen, dennoch gibt es in jedem großen Unternehmen immer schwarze Schafe. Doch dazu muss man sagen, dass die Schattenkämpfer überzeugende Dinge einem bieten können, woraufhin man nur schwer Ablehnen kann. Jeder hat einen anderen Grund, aber sie alle wollen meist etwas dafür haben.«
»Also können sie sowohl gut, als auch böse sein«, schlussfolgerte ich aus dieser Erklärung.
»Ganz genau. Ich werde mich nach eurem Seelenjäger mal umhören. Aber so wie ihr ihn beschrieben habt, kann es gut möglich sein, dass er nicht gerade Gutes im Schilde führt.« Mattimeo strich sich nachdenklich über den Bart. »Na ja hoffen wir das Gegenteil. Führt heute könnt ihr gehen. Ich habe keine weiteren Aufträge für euch. Verletzt seid ihr nicht?«
»Nur ein paar Kratzer«, sagte Noah.  
Wir verabschiedeten uns von Mattimeo und marschierten durch die Gänge, rechts und links lauter Bücherregale. Alle Bücher hatten unterschiedliche Umschläge und Formate, was jedes einzigartig machte. Ich mochte den Ort, auch wenn man nichts zu lesen hatte, spürte ich hier eine Atmosphäre, wie in einer richtigen Bücherei und das liebte ich.
»Wenigstens haben wir den Rest des Tages frei«, sagte ich zufrieden und streckte mich. Noah lief still schweigend neben mir her. Er sah sehr nachdenklich aus. »Alles in Ordnung bei dir?« Ich stupste ihn an. Er zuckte kurz zusammen und sah für einen Moment ertappt aus, als hätte ich etwas bemerkt, doch dann setzte er seinen üblichen Gesichtsausdruck auf.
»Ja alles klar. Ich habe nur nachgedacht.«
»Sag bloß du willst dich an den Typen rächen«, sagte ich scherzhaft. Noah sagte nichts, stattdessen verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck etwas. »Voll ins Schwarze, wie?«
»Ich lasse mir nicht gerne einen Auftrag von einen Dreikäsehoch versauen«, sagte er entschlossen. Ich schmunzelte innerlich.
»Jetzt übertreib mal nicht. Vielleicht hatte er auch gute Absichten.«
»Ja klar, deswegen hat er auch- Vorsicht!« Ich hatte Noah bei unserem Gespräch von der Seite angesehen und somit nicht nach vorne geschaut. Als ich meinen Blick gerade 45° nach links wandte, sah ich nur noch wie ein Stapel Bücher auf mich zuflog. Eine Kollision war unvermeidlich.
»Bücherbote im Anflug!«, war das einzige was ich hörte und dann bekam ich schon die ersten schweren Wälzer an den Kopf. Nicht überraschend, riss mich das natürlich zu Boden, knockte mich aber zum Glück nicht aus. Stattdessen tat mir nur der Kopf weh und ich ertastete eine leichte Beule am Kopf, als ich mich schimpfend wieder aufsetzte.
»Wieso muss immer mir sowas passieren?«
»Das frag ich mich auch.« Noah stand lachend neben mir.
»Schön zu sehen dass einer von uns wenigstens lachen kann. Hilf mir mal ja«, sagte ich ein bisschen mürrisch und ließ mich von meinem Partner auf die Beine ziehen.
»Ich war ja wohl kaum zu übersehen, oder?«, schimpfte eine freche hohe Stimme.
»Es ist zwar schwer zu glauben Top, aber ich habe dich nicht gesehen«, sagte ich zu dem kleinen roten Drachen, der dabei war die ganzen Bücher wieder zusammenzusammeln. Nachdem Tip und Top (meine beiden Beschützergeister, angeheuert von meinem besorgten Partner – ohne mein Wissen) ihren Job erledigt haben und mir keine potenzielle Gefahr mehr drohte, beschlossen sie in der Geheimen Bibliothek zu bleiben und halfen ein bisschen. Hier konnte jeder sie sehen, anders außerhalb dieses Raumes. Ich weiß immer noch nicht, warum nur ich sie sehen kann in der Menschenwelt und auch andere Geister und Gestalten. Dafür hatte ich bisher noch keine Erklärung gefunden.
»Du solltest mal einen Führerschein machen. Einfach so in der Gegend rumfliegen mit Gegenständen in der Hand ist nicht ungefährlich.«
»Ja ja, was auch immer«, äffte Top. »Hilf mir lieber mal. Ich krieg nicht alle von allein aufgehoben.«
»Was willst du mit diesen Büchern?«, fragte Noah und legte zwei auf den Stapel, den der rote Geisterdrachen schon in den Krallen hielt.
»Ich helfe aufräumen. Eigentlich hätte ich ja was Besseres zu tun, aber das ist meine Strafe.«
»Also hast du wieder was angestellt«, schlussfolgerte ich daraus.
»So schlimm war es nicht mal. Kann ich doch nichts für wenn die Flaschen mit den farbigen Inhalten in so einem unstabilen Schrank stehen.«
»Oje. Das gab bestimmt eine schöne Mischung. Aber die Aufgabe ist gar nicht mal so schlecht für dich. Wer hat sie dir denn aufgebrummt?«
»Ich war das.« Kaleb kam den Gang entlang, auf den Arm ebenfalls Bücher. Tip schwebte neben ihm her und trug auch welche. »Vielleicht denkt er dann mal über seine ungestüme Art nach, die ihn immer so schnell in Schwierigkeiten bringt.«
»Wenn er nichts anstellen würde, wäre er nicht Top«, meinte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Du bist die Einzige die mich versteht, Fanny.«

»Endlich Zuhause.« Ich streckte mich ausgiebig, als ich durch die Eingangstür ging.
»Herzlich Willkommen Zuhause Miss Fanny. Ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Tag.« Humble stand rechts neben der geöffneten Tür und hatte eine leicht gebeugte Haltung als Begrüßung eingenommen.
»Humble wie oft soll ich es denn noch sagen. Bitte nicht Siezen, da fühl ich mich gar nicht wie eine Oberschülerin, sondern eher wie eine Vollerwachsene.«
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Miss Fanny, dass das lediglich eine höfliche Form der Anrede ist, die uns Butlern bis aufs schärfste beigebracht wurde. In der etwas höheren Gesellschaft zählt das zum Standard der Etikette.« Er nahm mir meine Jacke ab und wollte auch schon meinen Rucksack nehmen, doch ich lehnte dankend ab.
»Danke, aber den brauch ich noch. Ich glaube nicht das wir so schnell zum Du kommen werden«, meinte ich seufzend.
»Ich bedaure sehr Miss Fanny«, entschuldigte sich Humble.
»Schon gut. Ich werde euch alle noch umkrempeln, da schöre ich drauf.« Lachend lief in mein Zimmer hoch. Humble war nicht der Einzige mit den ganzen Höflichkeitsfloskeln, jeder Angestellte in Haddington Hall redete die Familienmitglieder oder Gäste so an. Gut bei Gästen ist das schon angebracht, wenn sie einen nicht von sich aus das Du anbieten, aber ich bin jetzt schon seit knapp einem viertel Jahr hier und wurde immer noch mit Sie und Miss angeredet.
Aber mal was ganz anderes. Es war Anfang Dezember und das hieß … Weihnachten steht – wie jedes Jahr – vor der Tür!
Ich hatte mich immer wahnsinnig auf die Feiertage und Feste generell, immer gefreut – jedes Jahr. Jedoch mischte sich dieses Jahr ein bisschen die Vorfreude mit der Trauer.
Das wäre das erste Weihnachten ohne meine Eltern.
Ohne Mamas leckeres Weihnachtsmenü und Papas lustigen, neu komponierten Weihnachtsliedern. Es fehlte mir jetzt schon, aber das womöglich neue Weihnachtsmomente auf mich warteten, stimmte mich nicht allzu traurig.
Dennoch war Grandpa ein bisschen spät mit der Dekoration, wie ich bemerkte. Das ganze Anwesen sah überhaupt nicht nach Weihnachtsstimmung aus. Aber vergessen haben konnte er das doch nicht. Bestimmt ist nur etwas dazwischen gekommen, beruhigte ich mich.
Ich betrat mein Zimmer und warf mich zuallererst auf mein riesengroßes Bett und streckte mich ausgiebig. Das war mal wieder ein anstrengender Tag. Je öfter man seinen Körper verlässt, umso deutlicher werden die Nachwirkungen. Bis jetzt bin ich manchmal einfach nur müde oder körperlich total erschöpft. Manchmal bekomme ich auch Kopfschmerzen – das ist aber eher selten.
Mattimeo meinte, dass mein Körper und meine Seele sich erst noch daran gewöhnen müssten. Wenn es so weit ist, würden die Nachwirkungen auch wieder aufhören.
Ich seufzte. Fraglich war nur, wie lange das dauern würde.
»Anstrengender Tag?«, fragte mich eine Stimme aus dem Nichts.
»Kann man wohl sagen Quasi.« Quasimodo ist mein anderer Beschützergeist. Er hat sich selbst und als Erster dazu ernannt und seit unserer Begegnung ein Auge auf mich. Meist hörte ich seine Stimme nur in Situationen die schwierig oder gefährlich für mich waren, doch in letzter Zeit unterhalten wir uns fast täglich miteinander.
Seine Unsichtbarkeit war anfangs immer ein Problem für mich – man kommt sich einfach doof vor, wenn man mit der Luft redet – aber mittlerweile hatte ich mich auch daran gewöhnt. Trotzdem versuche ich ihn immer wieder zu überreden, sich endlich sichtbar zu machen. Und jeden neuen Tag war ich mir ein Stückchen sicherer, dass ich ihn bald so weit hatte.
»Sag mal Qusi, kennst du Leute die sich Seelenjäger nennen?« Dieser Junge bei der heutigen Mission ging mir schon die ganze Zeit nicht mehr aus dem Kopf.
»Die gibt es schon so lange wie die Traumjäger. Bist du einem heute begegnet?« Das war ja hoch interessant. Offenbar kannte sich Quasimodo auch gut aus.
»Jap. Er hat Noah und mir die Mission vermasselt und sich eine Seelenflamme unter den Nagel gerissen. Noah ist total sauer. Aber vielleicht wollte er auch etwas Gutes tun, ich bin mir da nicht so sicher. Mattimeo sagte, sie seien so etwas wie Söldner. Ist es denn möglich, dass sie auch für die Schattenkämpfer arbeiten? Eigentlich müssten sie doch wissen, dass die nichts Gutes im Schilde führen.«
»Seelenjäger machen was ihnen gefällt. Da ist jeder von ihnen unterschiedlich. Einige arbeiten für die Traumjäger und andere wiederum für sich selbst oder andere von denen sie bezahlt werden.«
»Das heißt, entweder hat der Typ für die Schattenkämpfer die Seelenflamme geholt oder benutzt sie für seine eigenen Zwecke«, schloss ich aus den Informationen.
»Möglich«, sagte Quasimodo.
»Was ist eigentlich so besonders an den Seelenflammen? Ich weiß, dass sie die Antriebskraft eines Menschen sind und ihn erst zu etwas machen, aber kann man mit ihnen überhaupt etwas anstellen wenn man sie hat?«
»Die Kraft einer Seelenflamme darf man nie unterschätzen. Traumfresser können mit ihr auf eine große Kraftquelle zugreifen. Wenn Menschen sie in die Hände bekommen, ist fast alles möglich. Es kommt immer auf die Größe und Kraft an. Aber wenn man viele Seelenflammen zusammensammelt, könnte man im Alleingang ein ganzes Kampfheer ausschalten. Natürlich ist dafür Fachwissen nötig. Ein Laie kann damit nichts anfangen.« Was Quasimodo mir erzählte hörte sich unglaublich an und ich konnte mir es gar nicht so richtig vorstellen. Aber in einer Sache war ich mir total sicher, die Seelenflammen durften auf keinen Fall in die Hände von den Schattenkämpfern fallen. Sie würden bestimmt etwa Schlimmes damit anstellen.
»Das heißt also ich soll mich vorsehen und Seelenjägern nicht so einfach zu vertrauen«, schloss aus diesen ganzen Fakten über diese Gruppe von Leuten.
»Es wäre fürs erste das Beste«, stimmte mir Quasimodo zu. »Wenn du weißt welchen Leuten du vertrauen kannst, grenzt das natürlich den Kreis der möglichen Handlanger ein, aber bis dahin sollte man immer vorsichtig sein.«
»Hm«, machte ich. »Ich werde mir das merken.« Ich begann meinen Rucksack zu entleeren und meine Schulsachen für den morgigen Tag hineinzulegen. Schade, der Sonntag ist ganz schön schnell rumgegangen. »Nun aber mal was anderes«, sagte ich und legte meine Schulbücher in die Tasche. »Du kannst nicht immer Unsichtbar vor mir bleiben, das weißt du doch hoffentlich.« Quasimodo schwieg auf meine Aussage hin. »Natürlich musste ich mich irgendwie daran gewöhnen mit einer Stimme aus dem Nichts zu sprechen, auch wenn mich einige für verrückt halten. Aber in manchen Situationen wäre es doch besser, ich könnte dich sehen. Wie soll ich denn sonst merken, dass du da bist. Wenn du mich aus heiterem Himmel irgendwo ansprichst und ich bin nicht darauf gefasst, könnte ja wer weiß mit mir passieren – da gibt es endlose Möglichkeiten. Deshalb wäre es schön, wenn du deine Scham endlich ablegen könntest. Ich habe dir schon oft gesagt das es schon schlimmeres gab, das ich gesehen habe und du weißt, dass ich sowieso nicht mit diesem Thema aufhören werde, bis du dich wenigstens einmal gezeigt hast.«
Quasimodo schwieg immer noch auf meinen Vortrag hin.
»Okay. Wie wär‘s wenn wir es so machen … Du machst dich von nun an sichtbar – und nur im Notfall mal nicht – und darfst dir dafür etwas von mir wünschen. Ich mache alles was du willst.«
Nach einer Weile des Schweigens glaubte ich schon, dass auch dieser Vorschlag bei Quasimodo auf Granit stoßen würde, aber ich war sichtlich überrascht, als ich ein »Ja« hörte.  

Kapitel 03

 Unausgeschlafen saß ich unten in der Küche und löffelte mein Müsli in mich rein. Ich hatte so gut wie kein Auge zu getan und war deshalb schon früh wach, um frühstückte gemütlich. Oder sagen wir, ich brauchte eine Menge Zeit um zu frühstücken. Denn der Nebeneffekt von einer schlaflosen Nacht ist immer, dass man nach Tagesanbruch ungeheuer müde ist und andauernd droht einzuschlafen an Ort und Stelle. Und das gemütliche sitzen am Tisch förderte meinen Drang einzuschlafen sehr. Doch spätestens wenn man fast mit dem Gesicht in die Müslischüssel fällt, ist man wieder hellwach. Liebend gern würde ich mich wieder in mein Bett verkriechen und den ganzen Tag nicht mehr raus kommen, aber in einer halben Stunde müsste ich sowieso aufstehen, denn schließlich musste ich heute in die Schule.
Die Lion-Gate Academy. Eine Schule für Kinder aus gutem Hause, so groß wie eine ganze Uni und voll von schwärmerischen Mädchen, die nichts anderes interessierte als gutaussehende Jungs – wovon es an der Schule viele gab, erschreckenderweise. Natürlich gibt es immer Leute die voll in Ordnung sind und mit denen ich super klar komme. Wie zum Beispiel Maggie. Sie zählte zu meinen normalen Freunden und hatte nichts mit dem ganzen Traumjäger-Zeug zu tun. Das ließ mich ab und zu noch wie eine normale Schülerin fühlen, aber auch nur für kurze Momente. Das waren dann meist schöne und sorgenfrei. Zu diesen Momenten zählte auch mein Freund. Nathan Grimm. Er weiß ebenfalls nichts von meinen übernatürlichen Fähigkeiten, aber das braucht er auch nicht. So wie mein Leben zu diesem Zeitpunkt ist, ist es gut so und ich bin glücklich mit ihm.
»Nanu Fanny. Schon wach?« Ethan betrat die Küche und schaute mich überrascht an. Mit mir hatte er wohl nicht zu so einer frühen Stunde nicht gerechnet. Verständlich. Normalerweise schlafe ich so lange es geht und schaff es noch irgendwie mich in 10 Minuten fertig zu machen, ehe wir losfahren, um noch pünktlich zur Schule zu kommen.
»Ich konnte nicht gut schlafen«, sagte ich und stocherte in meinem Müsli rum.
»Aber doch nicht wegen Traumfresser, oder?« Ethan steuerte die Kaffeemaschine an.
»Nein, wegen was anderem.«
»Willst du mir nicht sagen was?« Er holte sich eine Tasse aus einen der vielen Schränke und brachte die Maschine in Gang.
»Ist nicht wichtig«, winkte ich ab. »Nur was belangloses.«  
»So belanglos, dass es dich die ganze Nacht wach hält?« Er zog fragend eine Augenbraue hoch – er konnte das fast so gut wie Noah. »Wenn es wieder was mit dem zu tun hat was wir als Traumjäger tun dann-«
»Nein hat es nicht«, unterbrach ich ihn. »Ein Freund hat mich um einen Gefallen gebeten. Also eigentlich habe ich ihn um einen Gebeten, aber bevor er mir den erfüllen kann, muss ich im Gegenzug etwas für ihn erledigen. Nur hätte ich mir das nicht so schwer vorgestellt.«
»Was ist es denn?«, fragte Ethan neugierig und nippte an seinen fertig aufgebrühten Kaffee. Er trank ihn ganz schwarz. Ich fand das irgendwie eklig. Für mich wäre das viel zu bitter, aber es war bestimmt ein guter Muntermacher.  
»Kann ich dir nicht sagen, mein lieber Cousin. Das muss ich leider alleine herausfinden.«
»Also ist es ein Rätsel.« Ich ließ den Löffel in die Schüssel fallen.
»Woher weißt du das?« Fassungslos starrte ich ihn an. Konnte er meine Gedanken lesen?
»Du hast gesagt ›herausfinden‹? Ich nahm an, das du eine Art Aufgabe oder etwas in der Art lösen musst. Das mit dem Rätsel war nur ein Schuss ins Blaue.«
»Aber ein verdammt guter. Ich sollte in Zukunft aufpassen was ich sage.«
»Du kannst ja nichts dafür wenn du so einen intelligenten Cousin hast«, meinte Ethan in geschwollenem Ton, woraufhin ich schmunzeln musste.


»FANNY! GUTEN MORGEN!«
Eigentlich war ich der Meinung, dass der Tag nicht schlimmer hätte anfangen können, aber da hatte ich auch Summer vergessen mit einzukalkulieren.
»Summer«, stöhnte ich. »Bitte nicht so laut.« Gähnend marschierte ich mit meiner Freundin und Traumjägerkollegin zur Schule. Holly begleitete uns stillschweigend und ganz in ein Buch vertieft.
»Was denn bist du müde? Hast du schlecht geschlafen? Man, dabei haben wir heute Nachmittag Sport und ich habe mich schon so darauf gefreut dich mal wieder herauszufordern.« Summer ist die Sportskanone unserer Schule und ist unschlagbar – egal in was. Sie fordert gerne andere Leute heraus und hält viele Sportrekorde der Schule. Nicht verwunderlich das ihr Lieblingsfach Sport ist. »Leg dich doch einfach den Vormittag ins Krankenzimmer und dann kommst du zum Sportunterricht«, schlug sie vor.
»Wenn schon dann sollte sie Sport ausfallen lassen«, kommentierte Holly die Unterhaltung.
»Was?! Auf keinen Fall! Das wäre doch genau das Gegenteil und ich hätte nichts davon«, protestierte Summer.  
»Wenn der Körper aber trotz Müdigkeit weiter strapaziert wird, kann es zu einem Zusammenbruch kommen und man kollabiert.«
»Wer kollabiert?« Juliette, Randy und Jayden stießen zu uns.
»Fanny«, sagte Summer sofort.
»Nein tu ich nicht«, widersprach ich ihr.
»Doch sie wird kollabieren, weil sie müde ist«, erklärte Summer weiter.
»FannyBunny wird kollabieren? Was hast du denn letzte Nacht gemacht, dass du so wenig Schlaf bekommen hast.« Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Nun waren auch noch Noah und Ethan zu uns gestoßen.
»Vielleicht hättest du doch Zuhause bleiben sollen«, meinte Ethan mit sorgenvoller Miene. »Sie wäre schon beim Frühstück eingeschlafen.«
»Ja, das war heute Früh. Nun bin ich wach, dank der vier Tassen Kaffee. Durch meine Venen fließt Koffein.« Zugegeben hat der Kaffee grauenvoll ohne Milch und Zucker geschmeckt, aber dadurch bin ich wenigstens etwas munterer geworden.
»Zu viel Koffein führt zu Schlaflosigkeit«, riefen plötzlich zwei Stimmen im Chor hinter mir. Die Zwillinge Jamy und Jeremie waren nun auch eingetroffen. Ich ließ ein genervtes Stöhnen von mir hören.
»Das stimmt«, pflichtete Holly den Zwillingen bei. »Außerdem können auch Folgen von zu viel Koffein Kopfschmerzen, Ruhelosigkeit oder Reizbarkeit-«
»Ja ich hab’s verstanden!«, unterbrach ich sie barsch.
»Was in deinem Fall wohl zutrifft.« Juliette musterte mich eindringlich.  
»Okay, jetzt sind wir ja alle beisammen, dann kann ich es ja ein für alle Mal sagen. Ich werde nicht kollabieren! Okay? Heute nicht, Morgen nicht, gar nicht. Wenn ich etwas haben sollte, dann werde ich mich melden.«
»Man merkt dir total an das du Schlafentzug hast«, sagte Noah. »Du bist ja noch kratzbürstiger als sonst.«
»Was?!«
»Noah«, flüsterte Ethan im tadelnden Ton.
»Was denn ist doch so. Hast du neben deinem Schlafentzug noch deine Tage? Man bin ich froh kein Mädchen zu sein.«
»Du blöder … Du hast doch keine Ahnung wie schlimm das ist.«
»Wenn du das sagst«, stachelte Noah weiter und entfernte sich langsam. Dieser …. Ich könnte ihn …
»Er meint es nicht so Fanny«, entschuldigte sich Ethan für seinen Freund und lief ihm hinterher.
»Natürlich meint er es so«, murmelte ich. Die Schulklingel beendete die Diskussion um meinen Schlafmangel und Holly zog mich zum Unterrichtsraum.
Die Mittagspause verbrachte ich nicht in der Cafeteria, sondern in der Bibliothek  in der Ecke, zwischen zwei Bücherregalen. Einerseits weil ich immer noch sauer auf Noah war und andererseits weil es mir dort einfach zu laut war.
Seufzend lehnte ich mich gegen die Wand und ließ mich nach unten gleiten. Mein Schädel dröhnte und ich hatte gerade mal zwei Schulstunden hinter mir. Aber viel Zeit um auszuruhen hatte ich nicht. Ich musste ein Rätsel lösen und das war nicht gerade einfach. Wer hätte aber auch ahnen können, dass Quasimodo einen so schweren Wunsch haben würde.
Ich kramte den Zettel heraus, auf dem ich mir den genauen Wortlaut des Rätsels aufgeschrieben hatte. Lange Zeit starrte ich die Zeilen an, so als ob sie mir nach intensiven starren mir von alleine die Antwort verraten würden, doch sie blieben still an ihrem Platz stehen.

Hell und strahlend, weder Sonne noch Mond,
Melodie erklingt, Erinnerungen an dich,
stumme Blicke, kein Augenschlag,
gut versteckt, doch sichtbar für alle,
ganz allein, niemand da,
alles tot, verschlossen, immer fort,
finde mich

Es reimte sich nicht, noch machten die Verse einen Sinn. Die Wörter schienen einfach wahllos aneinander gereiht worden zu sein. Und doch musste sich etwas Logisches dahinter verbergen. Denn das was ich suchte war weder ein Gegenstand noch etwas lebendiges, sondern einen Geist.
Quasimodo suchte diesen Geist schon seit Jahren, aber er war hinter das Rätsel gekommen, das er ihm gegeben hatte, bevor er verschwand. Und nun sollte ich es versuchen.
Auch wenn eine Hand die andere wäscht, bei so was hatte ich doch gar keine Chance. Ich wusste ja schließlich gar nichts über den Geist und hatte somit gar keinen Vorteil. Ich steckte den Zettel wieder weg. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als Quasimodo noch mal zu fragen, um mehr über diese Person in Erfahrung zu bringen.
Ich rieb mir die Augen und gähnte herzhaft. An einem ruhigen Ort zu sein hatte zwar seine Vorteile, aber dafür war es umso verlockender einzuschlafen, da man sich gewiss sein konnte, nicht gestört zu werden. Meine nächste Stunde ging erst in einer halben Stunde los. Da dürfte ein 10 Minuten Nickerchen noch drin sein. Ich gähnte erneut und lehnte meinen Kopf gegen ein paar dicke Bücher. Meine Augen waren schon die ganze Zeit über schwer und so empfand ich es als ungeheure Entspannung, als ich sie nun endlich für eine Weile schließen konnte.
Nur ein bisschen. Für ein paar Minuten …

Meine Schlafphase kam mir so kurz vor, doch als ich die Augen aufschlug und mein Blick die große Uhr in der Bibliothek streifte, musste ich mit schrecken feststellen, dass die letzte Unterrichtsstunde schon längst begonnen hatte.
»Verdammt!« Ich sprang auf, packte meine Sachen zusammen und rannte los. Die Gänge waren nicht besonders voll. Vereinzelt liefen Schüler umher, kramten in ihren Spinden oder unterhielten sich über irgendetwas.
Ich bog um eine Ecke und stieß mit einer Tür zusammen, die sich gerade öffnete. Prompt wurde ich abgebremst und ließ meine Tasche fallen. Mir selbst war nichts passiert. Nur der Schreck war in meine Glieder gefahren, denn damit hatte ich nicht gerechnet.
»Entschuldigung«, sagte ich und hob meine Tasche wieder auf. »Ich hab die Tür zu spät geseh-«
»Na wenn das mal nicht die furchtlose Fanny ist«, erklang eine amüsierte Stimme. Mir stockte der Atem jedes Mal wenn ich sie hörte und rief in mir unliebsame Erinnerungen wach, die ich eigentlich so schnell wie möglich vergessen wollte.
In der Tür stand niemand anderes als Maya. Die Maya die versucht hatte mir meine Seele zu nehmen und Cupcake für ihre Zwecke missbraucht hatte. Im Eifer des Gefechts hatte ich ihr ihre Fähigkeiten genommen – auch wenn ich immer noch nicht weiß wie – und seit diesem Vorfall, hat sich ihre äußere Erscheinung um 180° radikal geändert. Von dem kleinen schüchternen Mädchen war nichts mehr zu sehen. Sie trat selbstbewusst auf und begegnete anderen meist mit düsterer Miene. Niemand erkannte sie wieder.
Trotz dem Verlust ihrer Kräfte, spielte sie immer noch die Überlegene.
»Hallo Maya«, versuchte ich so neutral wie möglich zu sagen. Ich wollte ihr nicht feindselig gegenüber treten, da ich, meiner Meinung nach, keinen Grund mehr haben sollte – aufgrund ihrer fehlenden Kraft – aber es fiel immer noch schwer, nicht an das Geschehene zurückzudenken, wenn ich sie sah. Und da kochte natürlich die Wut etwas in mir hoch.
»Du brauchst dich nicht zu verstellen meine Liebe«, säuselte Maya. Sie lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und schaute mich mit einem herablassenden Blick an, den nur sie zustande brachte. »Ich weiß genau was in dir vorgeht, wenn du mich siehst. Und glaub mir es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, indem du und ich uns gegenüberstanden – du weißt schon was ich meine.« Oh ja und wie ich das wusste. Sie stieß sich leicht vom Rahmen ab und ging an mir vorbei während sie an mir vorbeiging, zischte sie mir zu: »Und das nächste Mal solltest du nicht zögern mich zu töten. Das würde dir eine Menge Ärger ersparen.« Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich mochte es nie wirklich zugeben, aber Maya machte mir Angst. Auch ohne ihre Kräfte konnte man spüren welche Bosheit in ihr schlummerte.
Alle aus dem P.U.S.P. Klub waren derselben Meinung, dass sie etwas im Schilde führte, oder zumindest noch Kontakt zu den Schattenkämpfern hat und man sie weiterhin im Auge behalten sollte. Doch das war leichter gesagt, als getan. Auch wenn Maya mit ihren besonderen Fähigkeiten nicht mehr andere an der Nase herumführen kann, so schafft sie es auch als ganz ›normales‹ Mädchen keinerlei verdächtige Aktionen auszuführen und wenn, dann ging sie so vorsichtig dabei vor, dass uns nichts auffällig vorkam. Selbst wenn das für einige wenig besorgniserregend erschien, so waren Mattimeo und auch alle anderen da anderer Meinung. Und ich ebenso.

Der Unterricht hatte schon längst begonnen und mir war klar, dass mich großen Ärger erwarten würde. Die Standpauke die mir die Sportlehrerin hielt fiel nicht gerade milde aus und als ich ihr den Grund für meine Verspätung erklärte, schickte sie mich in den Sanitärbereich der Schule, wo ich mich einmal durchchecken lassen sollte, ob nicht eventuell eine Krankheit für meine Müdigkeit verantwortlich sei.
Auch wenn ich von dem Vorschlag nicht sonderlich begeistert war, hörte ich auf die Anweisungen meiner Lehrerin und begab mich ins Krankenzimmer.
»Ich kann beim besten Willen keine Anzeichen einer Erkältung oder anderen Krankheit feststellen. Schläfst du denn auch genug?«, fragte mich die Ärztin und sah mich eindringlich an.
»Ja … also …«, stotterte ich vor mich hin, doch die kluge Frau vor mir wusste schon bescheid.
»Kommt das öfter vor?«
»Nein, das war nur gestern so … und vielleicht ab und zu davor«, gab ich zu. Denn auch wenn ich es nicht zugegeben hatte, als mich die anderen darauf angesprochen hatte, machte es mir immer noch Angst Nachts einzuschlafen, da mich manchmal die schrecklichen Geschehnisse von jener Nacht wieder einholten. Mayas düstere Gestalt und Cupcake, der vollkommen von Sinnen und in ein Monster verwandelt war, ließen nicht sehr lange auf sich warten und tauchten schon nach wenigen Tagen in meinen Träumen auf.
Zunächst bekam ich immer wieder Hilfe von meinen Freunden, die mich fast abwechselnd, jeder einmal vor den Traumfressern in den Horrorgestalten, retteten. Doch nach einer Woche war es mir einfach unangenehm – das ständige Aufwachen mitten in der Nacht, mit den furchtbaren Alpträume zerrten an meinen Nerven – und ich bediente mich einiger Schlaftabletten, die ich im Medizinschrank fand. Ich hatte mir vorher natürlich die Packungsbeilage durchgelesen und war somit gut über die Anwendung und Nebenwirkungen informiert. Und sie halfen auch vorrübergehend. Meine Nächte waren Traumlos und ich konnte endlich wieder richtig durchschlafen. Eine Woche lang.
Letzte Nacht war eine Ausnahme, in der ich nur über das Rätsel gegrübelt hatte und deshalb nicht zum Schlafen gekommen bin. Sonst hätte ich bestimmt die Schlaftablette eingeworfen und bis zum Morgen durchgeschlafen. Nur die Müdigkeit tagsüber, daran hätte sich nichts geändert. Denn auch wenn ich mithilfe der Schlaftabletten eine ruhige Nacht hatte, so musste ich mich anstrengen den nächsten Tag nicht auch schlafend zu verbringen. Müdigkeit, auch Hang-Over-Effekt genannt, war eines der Nebenwirkungen.
»Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach ich der Ärztin.
»Ich denke wenn du dich die nächsten Tage nicht sonderlich überanstrengst und dich erholst, wird sich alles wieder richten. Falls nicht solltest du nochmal vorbeikommen.«
Den Rest des Unterrichtes durfte ich schon »frühzeitig« nach Hause gehen, wobei ich sowieso auf Ethan warten musste. Also begab ich mich wieder in die Bibliothek, wo es ruhig und still war. Ich streifte durch die Regalreihen, auf der Suche nach einem geeigneten Plätzchen, als mir plötzlich die Augen von hinten zugehalten wurden.
»Du bist ein sehr böses Mädchen, Fanny Haddington«, flüsterte mir eine Stimme ins Ohr. »Einfach den Unterricht zu schwänzen.« Ich grinste.
»Und was ist mit dir? Nathan Grimm. Du nimmst dir wohl auch ein Beispiel an dem bösen Wolf. Willst du mich jetzt vom Weg abbringen, mir schöne Blumen zeigen, damit du meine Großmutter während meiner Beschäftigung fressen kannst?« Ich drehte mich um und blickte in zwei braune Augen.
»Ich denke das Rotkäppchen reicht mir voll und ganz.« Er beugte sich zu mir hinunter und gab mir einen leichten Kuss zur Begrüßung.
»Der Wolf scheint aber heute ganz schön schüchtern zu sein«, sagte ich, schlang meine Arme um ihn und zog ihn so noch näher an mich heran. »Oder hat er durch das Böse in sich vergessen wie man richtig küsst.«
Nathan grinste und küsste mich erneut, nur diesmal mit mehr Leidenschaft, sodass meine Beine weich wurden und ich mich an meinen Freund festhalten musste. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ließ ich von ihm ab. »Hast den Test bestanden mein Wölfchen.«
Nathan lächelte ebenfalls, doch dann wandelte sich seine Miene und er blickte besorgt drein. Mit einer zärtlichen Geste strich er mir eine Haarsträhne hinters Ohr und schaute mir in die Augen.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte er. »Du siehst so blass aus.« Also bemerkte er es auch, seufzte ich innerlich.
»Ich bin nur etwas müde«, gestand ich.  

Kapitel 04

 

Den Rest der letzten Unterrichtsstunde verbrachte ich damit zu, noch ein bisschen zu schlafen. Den Kopf auf dem Schoss meines Freundes gebettet, fand ich eine gute Stunde erholsamen Schlaf in der Bibliothek.

Sanftes streicheln an meiner Wange holte mich sachte wieder zurück in die Realität. Ich ließ ein wohliges Seufzen von mir und drehte meinen Kopf zu der Hand. Das war die schönste Art geweckt zu werden. Plötzlich spürte ich zwei warme Lippen, die sich sanft auf die meinen legten. Okay, ich korrigiere meine Meinung. DAS ist die schönste Art geweckt zu werden.

Lächelnd öffnete ich meine Augen. »Na? Ausgeschlafen?«, grinsten mich zwei braune Augen an.

»Ja. Danke, jetzt geht’s mir schon besser.« Ich setzte mich auf und streckte mich. »Das hatte ich dringend nötig.«

»Du siehst besser aus.« Nathan streichelte meine Wange und lächelte. »Endlich hat dein Gesicht wieder mehr Farbe.«

»Tut mir leid, dass du dir Sorgen machen musstest. Aber jetzt bin ich wieder top fit.« Ich sprang auf und schulterte meine Tasche. Zu meinem Glück hatte ich einen traumlosen Schlaf gehabt und bin somit nicht von unheimlichen Alpträumen heimgesucht worden.

»Die letzte Stunde ist schon vorbei. Irgendwelche Pläne für den Nachmittag?«, fragte mich mein Freund.

»Eigentlich nicht«, sagte ich und meinte in Gedanken ›Eigentlich doch‹. Das Rätsel musste noch gelöst werden und laut Plan musste ich heute ins Hauptquartier, um eine Schicht als Traumjägerin zu absolvieren. Aber ich wollte mal wieder nicht an solche Sachen denken und einfach nur das Leben genießen.

»Gut dann … Hast du Hunger?«

»Ein bisschen.«

»Ich kennen einen super tollen Laden, mit Leckereien, die genau deinem Geschmack entsprechen werden«, versprach mir Nathan.

»Oh, na da bin ich aber mal gespannt. Du weißt ich habe eine Schwäche für süße Sachen – egal ob essbar oder nicht.«

»Deswegen konntest du ja auch mir nicht widerstehen.«

 

»Crêpes?« Begeistert schaute ich auf die Auswahl. »Du bist der Beste. Ich liebe dich dafür.« Zusammen waren wir in die Innenstadt gegangen und sind auf einem Marktplatz an unserem Ziel angekommen. Ein kleiner Stand auf Rädern, in einem schönen Blau und der französischen Flagge an der Seite wehen, präsentierte mir Nathan als unsere Essensquelle. Ich war ganz aus dem Häuschen. Crêpes zählte zu den Sachen die ich super gerne esse und hatte es auch schon lange nicht mehr getan. Schnell gab ich Nathan einen Kuss auf die Wange und widmete mich wieder der Auswahl. Ich konnte mich nie und nimmer für eine Sorte entscheiden.

»Wie soll ich denn das bitte verstehen«, sagte mein Freund ein bisschen beleidigt.

»Jetzt sei doch nicht so. Ich will ich einen mit Schokolade … oder doch besser Sahne … aber Apfelmus hört sich auch nicht schlecht an. Was die haben auch Erdbeeren?! Ahhhh man, ich kann mich einfach nicht entscheiden. Nathan was würdest du denn nehmen?« Doch Nathan sagte nichts. Stattdessen schaute er mich an und lächelte Seelig. »Was ist denn? Hab ich was im Gesicht? Dabei haben wir doch noch gar nichts gegessen.« Ich bekam einen Kuss auf die Nase.

»Und genau das liebe ich an dir«, sagte er zu mir. Ich lief knallrot an.

Nathan organisierte für mich einen Crêpe, der Schokolade, Sahne und Erdbeeren beinhaltete. Ich war rundum glücklich, als ich meinen ersten Bissen machte. Doch irgendwie kamen plötzlich Erinnerungen in mir hoch.

Ein Kinderlachen, warme Hände rechts und links, Leierkastenmusik, der Duft von süßen Dingen in der Luft, bunte Lichter überall.

»Schmeckt er dir nicht?«, riss mich Nathan aus meinen Gedanken.

»Was?« Ich hatte dir ganze Zeit auf den Crêpe gestarrt. »Nein, ich musste nur gerade an Früher denken.«

»An Früher?«

»Ja. Damals bin ich mit meinen Eltern oft, zur Adventszeit, auf den Weihnachtsmarkt gegangen. Ich konnte nie genug bekommen von den ganzen Leckereien. Einmal habe ich es so übertrieben, dass ich am Abend darauf ganz schlimme Bauchschmerzen bekam.« Ich musste lachen, als ich daran dachte.

»Ihr scheint als Familie wirklich sehr viel Spaß gehabt zu haben.«

»Ja, das waren wirklich verrückte Zeiten. Ich hätte sie dir gerne vorgestellt. Sie waren wirklich tolle Eltern.«

»Ja das wäre schön gewesen«, meinte Nathan und legte einen Arm um mich.

»Aber du hast doch Eltern, oder?« Ein wenig verdutzt schaute mich mein Freund an.

»Äh ja, hab ich.«

»Darf ich sie mal kennen lernen?«, fiel ich sofort mit der Tür ins Haus. »Wir waren noch nie bei dir, jetzt wo ich so darüber nachdenke. Wann wäre es denn gut?« Im Kopf ging ich meinen Terminplan für die nächsten Tage durch.

»Fanny …«

»Oh ich weiß. Donnerstag habe ich nicht so viele Stunden, da könnten wir Nachmittags zu dir gehen.«

»Fanny hör mal …«

»Denkst du deine Eltern freuen sich über Blumen? Oder doch lieber Pralinen. Ich habe keine Ahnung von so etwas.«

»Fanny es geht nicht!«, unterbrach mich Nathan energisch. Ich wurde ganz still und schaute ihn an. Ein Seufzen entfuhr meinem Freund. »Ich möchte nicht, dass du zu mir nach Hause kommst.«

»Ja … aber warum denn nicht?« Ich verstand ihn nicht. War ich ihm etwa peinlich? Oder hatten seine Eltern etwas gegen Mädchen, die er mit nach Hause brachte?

»Glaub mir du möchtest nicht zu mir nach Hause kommen«, beschloss Nathan.

»Das entscheide immer noch ich. Sag mir warum? Ich verstehe es sonst nicht.« Wieder seufzte Nathan.

»Das ist nicht so leicht zu erklären. Ich weiß nicht ob du es verstehen würdest.«

»Versuch es doch wenigstens und dann werden wir sehen ob ich es verstehe oder nicht. Aber ich möchte zumindest einen Grund dafür hören, warum ich nicht zu dir nach Hause kommen darf.«

»Fanny. Ich will nicht das du meine Familie so siehst, wie sie jetzt ist.« Ich schaute ihn mit einen fragenden Blick an und er erzählte weiter. »Mein Vater liegt schon seit langer Zeit in einer Art Wachkoma. Er liegt nicht ansprechbar im Bett und ist 24 Stunden lang an eine Maschine angeschlossen. Meine Mutter muss Doppelschichten arbeiten, damit sie das nötige Geld aufbringen kann, um die Kosten für das Medizinische Equipment aufzubringen und meiner kleinen Schwester und mir noch ein einigermaßen erträgliches Leben zu ermöglichen.«

»Oh«, brachte ich nur heraus. »Das tut mir leid. Ich wusste das nicht.«

»Woher denn auch. Aber jetzt verstehst du doch, warum ich dich nicht unbedingt zu mir nach Hause mitnehmen will.« Ich nickte. »Ich fühl mich einfach nicht wohl dabei, wenn du siehst wie es gerade in meiner Familie aussieht. Und wenn ich ihnen sage, dass du kommst, dann werden sie ein gezwungenes Gesicht aufsetzen und für dich eine heile Familie spielen. Aber das will ich nicht. Ich will das es echt ist und nicht gespielt.«

»Ich verstehe dich schon«, versicherte ich Nathan. »Aber gerade weil ich deine Freundin bin, will ich alles mit dir teilen. Gute wie auch schlechte Zeiten. Das hört sich vielleicht total kitschig an, aber ich meine das total ernst. Also sag deiner Familie einfach nichts und wir machen einen Überraschungsbesuch daraus. Das wird sie zwar total überrumpeln, aber ich will auch nicht mit gespieltem Lächeln willkommen geheißen werden.«

»Du bist echt unglaublich«, sagte Nathan lächelnd.

»Na das will ich doch hoffen. Ich glaube nämlich das ich ziemlich gute Chancen habe, eine Superheldin zu werden.«

»Das bist du jetzt schon. Meine Superheldin.«

 

»Wo warst du?«, begrüßte mich mein Partner vorwurfsvoll, als ich im Hauptquartier eintraf.

»Ich hatte noch etwas wichtiges zu erledigen«, grüßte ich zurück. »Sorry für die Verspätung.« Ich stellte meine Sachen in eine Ecke ab und spazierte zurück in den großen Saal und an den runden Tisch, wo locker alle Traumjäger unseres Clubs Platz finden würden. Mattimeo war auch da.

»Ich habe wieder einen Auftrag für euch, der sich in der Stadt befindet. Es handelt sich hierbei wieder möglicherweise um einen Traumfresser, der es von der Geisterebene in den Schleier geschafft hat.«

»Kann man also davon ausgehen, dass dieser auch eine Seelenflamme gefressen hat?«, fragte Noah interessiert.

»Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Traumfresser die es ohne Seelenflamme bis zum Schleier schaffen, sind eigentlich sehr selten. Dafür müssten sie sehr lange und sich von spezieller Angst ernähren, um eine solche Kraft entwickeln zu können. Ihr müsst also vorsichtig sein.«

»Schon klar«, sagte ich. Bei welchem Traumfresser muss man denn bitteschön nicht vorsichtig sein?

»Nimm die ganze Sache verdammt nochmal ernst! Das hier ist kein Spiel, bei dem man einfach wieder den Reset-Button drücken kann!« Noah funkelte mich wütend an. Seine Stimme klang sauer und wütend. Ich wusste, dass es ihm nicht gefiel, dass ich alles so locker nahm. Aber wenn ich mir dauernd den Ernst der Lage vor Augen halten würde, käme mein Kopf damit nicht mehr klar und ich würde unter dem Druck zusammenbrechen. Das wusste ich. Und ich wusste von allen am allerbesten, dass das hier kein Spiel war. Ein fataler Fehler und es hieß »Game Over«. Und das machte mir am meisten Angst.

»Denkst du das weiß ich nicht!« Ich schlug mit den Händen flach auf den Tisch. »Falls du es vergessen hast war ich diejenige die schon X-Mal dem Tod von der Schippe gesprungen ist und mir fast meine Seele aus dem Leib gerissen wurde. Seit dem Tod meiner Eltern passieren nur noch merkwürdige Dinge und nichts ist mehr normal. Ich sehe Kreaturen die eigentlich nicht da sein sollte, höre Stimmen, die nicht zu Menschen gehören und kann Nachts kaum noch schlaffen, weil ich immer wieder diese Horrorszene im Park durchleben muss, wo mir fast mein Innerstes entrissen wird und ihr könnt mir nicht helfen. Ich weiß ganz genau, dass ein Fehler meinen Tod bedeuten kann. Also erzähl mir nicht, dass ich die ganze Sache ernst nehmen soll.« Nun hatte ich mir all meinen Frust von der Seele geredet, auch wenn das nicht geplant war. Aber in diesem Moment ist etwas in mir einfach explodiert.

Ich setzte mich wieder und atmete für zwei Sekunden ruhig ein und aus.

Dass ich mich endlich ausgesprochen hatte, löste in mir eine tiefe Ruhe aus und der aufgewühlte Sturm in mir legte sich. »Also, wo finden wir den Traumfresser.«

 

»Herzlich Willkommen zurück, Miss Fanny.« Humble begrüßte mich wie immer, wenn ich nach Hause kam. Er war quasi eine perfekte gestellte Uhr. Wenn es um Pünktlichkeit ging, konnte keiner Humble das Wasser reichen. Und ein super Gespür schien er auch noch zu haben. Die Gäste oder Familienmitglieder, sind noch nicht mal aus dem Wagen gestiegen, da steht Humble schon empfangsbereit vor der Tür.

Irgendwie gruselig.

»Hallo Humble«, begrüßte ich den Diener etwas fertig.

»War die Jagd erfolgreich?« Er nahm mir meinen Mantel ab. Draußen war es inzwischen ganz schön kalt geworden. Eigentlich kein Wunder, bei Anfang Dezember. Aber leider blieb der Schnee immer noch aus.

»Ging so.« Humble ist als engster Vertrauter und Berater meines Großvaters, über fast alles in Kenntnis gesetzt. So auch meinen »Job« als Traumjäger. »Wo ist Grandpa? Ich muss mit ihm sprechen.«

Wir marschierten beide durch die Empfangshalle, als plötzlich jemand »Fore!« schrie und im nächsten Moment etwas aus dem Nichts angeflogen kam und mich am Kopf traf. Der weiße Golfball rollte einige Meter über die Fließen und kam dann zum Stehen.

»Ich glaube die Frage hat sich erübrigt«, sagte ich und rieb mir die Stelle an der mich der Ball getroffen hat. Und schon wieder hatte ich eine Beule kassiert.

»Ah Fanny, du kommst genau richtig.« Grandpa erschien ganz oben auf der Treppe. »Lust auf ein kleines Spiel?«, fragte er und schwang herausfordernd den Golfschläger.

»Du spielst Golf? Hier drinnen?« Ich war überrascht und verdutzt zugleich.

»Das ist das Beste gegen Langeweile.«

»Ich kann aber kein richtiges Golf«, gestand ich. In Deutschland hatte ich nur ein paar Mal Minigolf gespielt – bei Kindergeburtstagen oder kleinen Feiern.

»Das spielt keine Rolle. Du brauchst nur den Schläger zu schwingen und den Ball ins Loch zu schießen – ganz einfach.«

Ganz einfach also. Ich überlegte zwei Sekunden lang, doch dann sagte ich zu. Warum sollte ich nicht einfach alles beiseitelegen und mal ein bisschen Spaß haben. Auch wenn ich mir nicht sicher war, wie man »Hausgolf« spielt. Gab es überhaupt explizite Regeln?

»Und? Wie läuft die Schule?« Grandpa legte den Golfball auf einen Tee, der am unteren Ende abgeflacht war und eine breite Fläche hatte, damit er auf dem Boden stehen konnte. Wir waren ins erste Geschoss gegangen und hatten uns die große Eingangshalle als Ziel festgelegt.

»Gut«, sagte ich und sah genau zu, wie Grandpa in Stellung ging, den Ball fixierte, dann die Richtung in der er ihn schlagen wollte, ausholte und mit einem gekonnten Schwung den Ball durch den Flur, gegen eine Ritterrüstung prallte und um die Ecke verschwand. »Guter Schlag, Grandpa.«

Zufrieden schwang er seinen Schläger. »Gekonnt ist gekonnt. Du bist dran.« Ich machte alles so, wie er es getan hatte und ging in die Schlagposition.

»Ist dieses Spiel eine Art Familientradition?«, fragte ich und fixierte den Ball.

»Es ist in einer Regenphase entstanden, um die Langeweile zu vertreiben. Deine Füße müssen noch ein Stückchen auseinander, Schultern locker, etwas zurück, Rücken gerade.« Ich versuchte alle Anweisungen so gut es ging zu befolgen. »Stell dir die Flugbahn des Balls vor, dann holst du aus und-« Ich tat alles was er sagte, holte aus, traf den Ball, welcher im hohen Bogen den Flur entlang flog, über den Teppich rollte und kurz vor der Ecke zum Stehen kam.

»Na das war doch schon ganz gut.« Grandpa klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Wir gingen beide mit den Schlägern bis zum Ende des Ganges.

»Darf ich dich was fragen Grandpa?«

»Immer.«

»Warum ist das Haus noch nicht geschmückt? Es ist doch bald Weihnachten. Sollten wir da nicht langsam damit anfangen?« Auf einmal wurde Grandpa richtig still und angespannt. »Grandpa?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen«, sagte er nur. »Belassen wir es dabei. Außerdem werden wir außerhalb bei anderen etwas feiern, bevor die Feiertage beginnen, dass sollte dann für dieses Jahr reichen.«

»Was?! Und wir werden nicht eine Familienfeier machen? Sie muss doch noch nicht mal groß sein und ich kann mich auch um alles kümmern, wenn es wegen dem Aufwand ist-«

»Nein, darum geht es nicht Fanny. Lassen wir das Thema jetzt.« Und damit war das letzte Wort gesprochen. Ich traute mich während der ganzen Partie und auch den Rest des Tages, dieses Thema noch einmal anzusprechen.

Doch eines stand für mich fest. Weihnachten, hatte sich damit noch lange nicht für mich erledigt.

Kapitel 05

 Bücher stapelten sich um mich herum, wie Wolkenkratzer in New York – nur in der Miniaturausgabe. Mein Magen grummelte vor Hunger, aber das ignorierte ich, denn ich war schon seit Stunden dabei etwas herauszufinden und würde nicht eher gehen, bis ich wenigstens ein bisschen weitergekommen bin. Ich war mir sicher, dass der Geist, den Quasimodo suchte, irgendetwas mit der Familie zu tun haben musste. Denn Quasi suchte erst seit knapp fünf Jahren nach dem Geist und er konnte mir außerdem noch sagen, dass er schon seit 10 Jahren in diesem Anwesen wohnte. Die Bibliothek war groß und bot eine Menge Informationen an, aber die Richtigen herauszusuchen war das Schwierigste dabei.
»Hast du schon was gefunden?«, fragte Quasimodo aus dem Nichts.
»Nein«, antworte ich mit einem Seufzer und warf ein Buch, das ich durchgeblättert hatte auf einen der Stapel, der schon bedrohlich wackelte. »Und du kannst mir wirklich nicht sagen wie er oder sie hieß? Das würde mir wirklich weiterhelfen.«
»Sie, so viel kann ich sagen. Ich würde dir gerne mehr erzählen wenn ich könnte, aber ...«
»Ja ich weiß, aber es ist irgendwie seltsam, dass so etwas überhaupt möglich ist. Das nur durch ein Versprechen es einem nicht mehr möglich ist über diese Person zu sprechen. Irgendwie hört sich das komisch an, wenn man es laut ausspricht«, sagte ich und schlug das nächste Buch auf. Ein Fotoalbum.
»Er tat es nur um sie zu schützen, so viel weiß ich.« In dem Album waren viele Bilder. Aber ich erkannte keinen auf den Bildern.
»Er?« Jetzt verstand ich gar nichts mehr. »Sprechen wir nun von einer ›Sie‹ oder einem ›Er‹?«
»Sowohl als auch.«
»Was soll das werden? Heiteres Ratespielen?« Langsam machte das keinen Spaß mehr und ich war schon drauf und dran lieber dem Ruf meines Magen zu folgen und für heute aufzuhören.
»Man hat mir verboten darüber zu reden und dieses dumme Versprechen lässt mich nicht reden, auch wenn ich wöllte. Ich kann nichts dafür«, meinte Quasi ein bisschen beleidigt.
»Du wurdest also verzaubert, wenn man es so sehen will. Ich gebe dir ja auch nicht die Schuld dafür, dass ich bis jetzt nicht weitergekommen bin, aber es ist echt schwer mit gar nichts anzufangen. Und dieses komische Rätsel kann ich nicht lösen, wenn ich nicht weiß, von wem es ist. Außerdem solltest du laut unserem Deal jetzt nicht mehr die ›Stimme aus dem Nichts‹ spielen. Ich bin schon dabei meinen Teil zu erfüllen, aber bei dir hat sich noch nichts getan.« Ich vernahm ein Seufzen, welches nicht gerade nach Begeisterung schrie.
»Okay«, sagte Quasi. »Aber du musst mir versprechen nicht zu schreien oder dergleichen. Ich weiß, dass mein Anblick nicht der Schönste sein muss, aber du willst es ja nicht anders.«
»Ja, ja. Jetzt komm schon«, drängte ich und sah interessiert in die Richtung aus der die Stimme kam.
Ich fixierte meinen Blick auf einen Punkt. Zuerst sah ich nichts, doch dann bildeten sich feine Konturen in der Luft ab, die sich von der Umgebung abhoben und langsam konnte man das Wesen als Ganzes erkennen oder zumindest die Umrisse davon.
»Jetzt schalt schon deinen Unsichtbarkeitsmodus ab oder bist du ein Chamäleon? Ich werd auch nicht schreien oder sonst was machen«, versprach ich erneut.
Quasimodo erwiderte nichts und schon begann sich der Tarnkappenmodus zu lichten und das wahre Wesen kam zum Vorschein. Fell, mit einer interessanten Zeichnung, die nur die Hälfte des Körpers einnahm, zwei kleine Hörner zierten den Kopf, die Ohren waren groß und erinnerten mich an einen Wüstenfuchs, eine niedliche Nase, wie die einer Katze, große Augen und der Schwanz glich der einer Wüstenmaus, mit einem buschigen Ende. Je von der Seite aus verliefen drei … man konnte es kaum beschreiben, Stacheln? Fühler? Auf alle Fälle wirkten sie merkwürdig und mysteriös. Aber diese Aussage traf ja wohl auf das ganze Wesen zu.
Ich sagte erst nichts und sah es mir genau an. Es ähnelte einer Maus, mit Mischung einer Katze und Haltung eines Menschen. Es sah fast so aus wie die fantasievollere Version des Marsupilamis. Von der Größe her, kam es an ein zweijähriges Kind heran.
»Wow«, brachte ich nun hervor. »Du bist …«
»Unheimlich, abstoßend, Angsteinflößend? Sag ruhig was du denkst.« Quasi wandte den Blick ab und wartete nur auf meine verletzenden Worte.
»Bist du noch ganz bei Trost?!«, sagte ich und konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Du siehst total abgefahren aus! So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen! Sind das echte Hörner?« Ich konnte es mir nicht verkneifen und musste die kleinen Miniexemplare auf seinem Kopf anfassen. »Der Wahnsinn! Auf eine gewisse Art und Weise wirkst du sogar ganz niedlich.« Mein kleiner Geist wurde rot und starrte zu Boden.
»Das sagst du doch nur so«, murmelte er.
»Nein ehrlich. Du bist echt das coolste was ich je gesehen hab. Wie kamen die anderen Menschen, die dich sehen konnten, nur darauf, du wärst angsteinflößend?«
»Die letzten Personen die mich vor deiner Zeit gesehen haben, waren Menschen vor vielen Jahren – wenn nicht sogar Jahrhunderte. Da werden Wesen wie ich als Monster oder Dämonen bezeichnet  bösartige Wesen halt. Niemand will mit so etwas zu tun haben.« Die Ohren hingen traurig hinab und die großen Augen, sprachen Bände des Leids und Schmerzes der letzten Jahrhunderte. Man konnte die Einsamkeit und Verletzlichkeit dieses armen Wesens greifbar spüren. Es ging mir so nah, dass mir selbst eine Träne aus den Augenwinkeln entfloh.
»Du bist keineswegs Angsteinflößend oder abscheulich. Dein Aussehen ändert nichts daran, dass du ein wunderbar warmherziges Wesen bist, mit einem guten Charakter. Das Äußere sagt noch gar nichts über einen aus. Und glaub mir, ich muss es wissen, denn schließlich bin ich voll auf Maya reingefallen. Wenn du so bist wie ich dich kennengelernt habe, wüsste ich nicht, warum dein Aussehen plötzlich etwas an unserer Freundschaft ändern sollte. Du gefällst mir sehr gut.« Ich lächelte ihn an und hielt ihn meine Hand hin. »Jetzt kann ich angeben, dass ich einen außergewöhnlichen Freund habe.«
Er ergriff meine Hand und das erste Mal fühlte ich mich diesem Wesen richtig verbunden. Wir waren nun richtige Freunde, mit einem unzerstörbarem Band.
»Diese Worte kommen mir so vertraut vor«, sagte Quasimodo und sein Mundwinkel zuckte leicht nach oben. Versuchte er gerade zu lächeln?
»Dann bin ich also nicht die erste Person, die dich so akzeptiert wie du bist. Das ist doch schön.«
»Ja«, stimmte mir der kleine Geist zu.
»Fanny?«, kam es plötzlich von der Tür. Erschrocken drehte ich mich um.
»Ethan«, sagte ich überrascht freudig und ein bisschen peinlich berührt. Hatte er mich etwa gehört? »W-was machst du denn hier?«  Mein Cousin sah nur mich an, den kleinen Geist nahm er nicht wahr. Offenbar konnte er Quasimodo auch nicht sehen, wenn dieser sich sichtbar machte. Das fand ich höchst interessant. Ich schien also wirklich die Einzige zu sein.
»Ich bin an dem Zimmer vorbeigegangen und … führst du Selbstgespräche?«
»Äh … vielleicht?«, antwortete ich und wurde rot.
»Und was ist mit den ganzen Büchern. Bist du unter die Leseratten gegangen?«
»Kann man so sagen.« Ich lachte verlegen.
»Ah ich weiß schon. Es ist wegen diesem Rätsel. Stimmt’s?«
»Du überrascht mich immer wieder, lieber Cousin.«
»Ich bin halt ein Genie«, sagte er und setzte sich neben mich. »Oh ein Fotoalbum. Von wem ist es?«
»Ähh … ich glaube von der Familie. Also deiner … oder Grandpa?« Ich schaute mir den Einband an. Keine Hineweise. Nur die Aufschrift ›Fotoalbum‹ in schön geschwungener Schrift. »Ich habe keine Ahnung.«
»Zeig mal her.« Ethan blätterte durch das Album und schaute sich die Fotos an. »Oh«, sagte er und musste grinsen. »Die sind noch vor unserer Zeit. Das ist Grandpa mit seiner Frau.« Er blätterte weiter. Und das ist dein Vater und meine Mutter, da waren sie noch jünger gewesen.« Ethan zeigte auf ein Bild, auf dem drei Kinder zu sehen waren, die frech in die Kamera grinsten, während sie zusammen spielten.
»Wer ist das da?« Ich zeigte auf den jüngsten der drei Kinder.
»Onkel Robert. Er ist das dritte Kind und heute immer noch Junggeselle.« Als wir ein paar Seiten weiter blätterten, stieß Quasimodo plötzlich einen überraschten Ausruf aus, der mich zusammenzucken ließ. »Stimmt was nicht?«, fragte Ethan.
»Nein alles okay.« Aufgeregt kam der kleine Geist zu uns und zeigte auf ein Foto. Darauf war ein kleines Mädchen zu sehen, wie es hier in der Bibliothek saß und las. »Wer ist das?«, fragte ich interessiert und deutete auf das Bild.
»Emma«, seufzte Ethan mit einem wehleidigen Unterton. »Sie war das vierte und jüngste Kind der Familie.« In seinem Blick lag Trauer und Schmerz, so als ob die Erinnerung an sie nicht gerade die schönste war.
»Was ist aus ihr geworden?«
»Sie starb. Vor fünf Jahren bei einem Unfall. Seitdem hat sich viel verändert, vor allem für Grandpa.«
»Es muss schwer gewesen sein für ihn sie zu verlieren. Wie alt war sie?«
»So alt wie wir.«
»16?!«
»Ja. Es war furchtbar für Grandpa. Erst verlor er seine Frau bei ihrer Geburt und dann verlor er seine Emma 16 Jahre später. Das Einzige was ihm von Grandma geblieben war, hatte er nun auch verloren und das makabre an der Sache war, dass sie ihrer Mutter so sehr ähnelte. Für ihn war es so, als würde er sie zweimal verlieren.«  Ich schwieg. Was hätte ich auch dazu sagen können. Langsam verstand ich Grandpa immer besser, doch als ich dachte schlimmer war es für ihn nicht gekommen, setzte Ethan noch eins oben drauf. »Emmas Geburtstag und Weihnachten sind dann für ihn immer besonders schlimm. Denn da hatte er die liebsten Menschen in seinem Leben verloren.«
Plötzlich fiel bei mir der Groschen.
»Deswegen will er auch kein Weihnachten feiern«, flüsterte ich leise, mehr zu mir selbst.
»Genau. Es erinnert ihn viel zu sehr an die Tragödie, die damals passiert ist.«


»Also ist Emma der Geist nachdem ich suchen muss«, schlussfolgerte ich aus dem was ich herausgefunden hatte. Quasimodo saß auf einem der Bettpfosten und sah mir dabei zu, wie ich hin und her ging. »Sie war es vermutlich auch, die dir das Rätsel aufgegeben hat. Aber warum in Rätseln? Vielleicht konnte sie es ebenfalls nicht frei heraussagen, wie du.«
»Ich sagte ja schon, sie tat es nur, um sich zu schützen.«
»Das heißt wir müssen nach Dingen suchen, die Emma gehörten oder mit Emma in Verbindung gebracht werden können. So finden vielleicht des Rätsels Lösung.« Ich war hochmotiviert. Endlich schien ich einen Schritt weitergekommen zu sein und es kribbelte mich schon in den Fingerspitzen, den nächsten Hinweis zu finden. »Quasi das wird richtig toll, wie eine Schatzsuche. Aber eine Frage beschäftigt mich noch. Nach was suchen wir eigentlich genau? Hat es nur etwas mit Emma zu tun, oder etwas das ihr gehört hat? Emma selbst kann es ja wohl nicht sein, denn die liegt-« Plötzlich sprang Quasimodo von dem Bettpfosten und fuchtelte ganz wild mit seinen Armen in der Luft herum. Er hatte mich fast zu Tode erschreckt mit seiner Aktion.
»Quasi was ist denn? Ich hab fast einen Herzinfarkt bekommen!« In seinem Blick lag etwas ganz aufgeregtes.
»Das was du gerade gesagt hast, das war …« Er versuchte seinen angefangenen Satz zu Ende zu reden, doch aus irgendeinem Grund, kamen ihm die Worte nicht über seine Lippen. Stattdessen sah es so aus, als würde etwas verhindern seinen Mund zu öffnen, damit er die Worte sagen konnte.
»Wow, das muss ja ein beschissener Zauber sein, dem du da erlegen bist. Und du hast auch noch selber zugestimmt.«
»Zu ihrer Sicherheit!«, sagte er sauer.
»Ja ja, schon gut. Du wolltest mir mit deinem Gezappel doch klar machen, dass ich schon ganz nah dran war an der Lösung oder?« Quasi nickte heftig. »Also suchen wir was von Emma?«
»Nein, das danach.«
»Danach, was hab ich denn danach gesagt? Irgendwas mit ›Emma selbst‹.« Quasimodo fing wieder an aufgeregt zu zappeln und mir entgleisten alle Gesichtszüge. »Nein«, presste ich hervor.
»Doch.«
»Aber wie soll das möglich sein? Sie ist tot, Quasi. Tot!«
»Nhhh…..nhhh … « Quasimodo bemühte sich anscheinend das Wort »Nein« auszusprechen, doch sein Versprechen hinderte ihn daran.
»Sie ist also nicht tot. Aber wer soll dann bitte auf dem Friedhof liegen?«
»Miss Fanny?« Alice stand in der Tür. Ich hatte sie nicht einmal anklopfen hören, geschweige denn die Tür öffnen.
»Was gibt’s denn Alice?«
»Ich sollte sie daran erinnern, dass sie sich fertig machen sollen für das Weihnachtsdinner bei ihrer Großtante.« Das Dinner. Ich hatte es vollkommen vergessen.
Auch wenn Grandpa nicht Weihnachten feiern wollte, galt das nicht für den Rest der Familie Haddington. Und ganz besonders nicht für Großtante Abigal, die, wie ich schon bei meiner Ankunft von Ethan erfahren hatte, sehr viel Wert auf Traditionen legte. Und Trauer hin oder her, Grandpa hatte gefälligst beim alljährlichen Weihnachtsdinner mit dabei zu sein – das war zumindest ihre Meinung zu dem Thema.
Alice legte mir mein Kleid raus, was ich für die Festlichkeiten anziehen soll. Tante Abigal war bei allem sehr traditionell und streng. Sogar bei der Kleiderordnung.
Nicht zu aufreizend und klassisch.
Aber das schlimmste daran, Tante Abigal suchte die Kleider raus.
Ich fand das Kleid furchtbar.
Für meinen Geschmack war es einfach zu altmodisch. Es sah schon so schlimm genug aus, doch als ich es angezogen hatte, sah es noch schlimmer aus. Quasimodo kringelte sich vor Lachen.
»Ich seh furchtbar aus«, bestätigte ich mir selbst.
»Das ist ein bisschen übertrieben«, versuchte Alice mir zu versichern. »Es ist natürlich nicht mehr ihre Zeit, aber in gewisser weise sieht es ganz … außergewöhnlich aus«, rang sie nach den passenden Worten. Aber ich glaubte ihr nicht ein Wort.  
Die Tür ging auf und Ethan trat ein. Und als es nicht peinlich genug wäre, dass mein Cousin mich in so einem schrecklichen Fummel sieht, zog er Noah im Schlepptau hinter sich her.
»Wow.« Noah musterte mich. »Du siehst scheußlich aus.«
»Was hab ich gesagt«, sagte ich an Alice gewandt. »Das zieh ich auf keinen Fall an.« Ich marschierte ins Umkleidezimmer, um das Ungeheuer von Kleid wieder auszuziehen.
»Das wird Tante Abigal garantiert nicht gefallen«, sagte mir Ethan hinterher.
»Das ist mir so was von egal«, rief ich zurück. »Sie muss auch damit klar kommen, dass nicht jeder nach ihrer Pfeife tanzt.«
»Und was willst du dann anziehen?«, fragte Noah interessiert.
»Meine Schuluniform.«
»Das langweilige Ding?«, rief mein Partner erstaunt.
»Entweder das oder ich gehe gar nicht.«
»Da würde ich an deiner Stelle gar nicht gehen«, murmelte Ethan.

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Hallöchen meine lieben Leser,

da ich mal davon ausgehe, dass sich keiner von euch so richtig vorstellen kann wie Quasimodo denn jetzt aussehen soll (und das obwohl ich ihn schlecht versucht habe zu beschreiben) möchte ich euch einige Bilder von ihm zeigen, die ich selbst gemalt habe
eigentlich möchte ich euch nicht die fantasie nehmen, aber ihr müsst ja auch nicht reinschauen, also wer will, nur zu ^^

Link -> Update folgt noch  

Kapitel 06

 Zu Tante Abigail war es erstaunlicherweise nicht weit mit dem Auto. Erschreckender war dagegen ihr Haus - oder Palast besser gesagt. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ein einzelner Mensch so viel Platz benötigte. Soweit ich wusste war Tante Abigail nicht verheiratet und wohnte somit alleine, wenn man mal die Bediensteten außer Acht ließ, von denen aber die meisten garantiert eine eigene Wohnung in der Stadt hatten. Zwei Stockwerke umfasste die Villa und wahrscheinlich einem Keller. Der große Garten und die dort hinausführende Terrasse umfassten allein schon 2/3 des Grundstücks aus. Darüber hinaus war die Hälft des Gartens voll mit kunstvoll gestutzten Büschen, exotischen Blumen (zumindest denen, die dem kalten Wetter noch standhielten und noch nicht schlafen gegangen waren), einem mittelgroßen Springbrunnen, einer Vogeltränke und einem Garten- und Gewächshaus.
Man hörte schon vom Eingangstor das die »Party« längst begonnen hatte.
»Wir sind zu spät«, seufzte Großvater, als wir in der Eingangstür standen und uns unsere Mäntel abgenommen wurde.
»Du bist zu spät, Richard!« Eine schlanke, mittelgroße Frau, mit platinblondem Haar, zu einem strengen Dutt zusammengebunden, kam uns entgegen. Allein schon bei ihren Augen und ihrem Kleidungsstil war ich mir sicher, dass das hier Tante Abigail sein musste. »Ich habe schon vor einer halben Stunde mit deiner Ankunft gerechnet.« Ihre Worte schnitten eiskalt durch die Luft und hinterließen einen Schauer auf meiner Haut. Selbst mit ihrem festlichen weinrotem Kleid, machte sie keinen weihnachtlichen Liebeversprühenden-Eindruck. Ohne Frage war Tante Abigail die wohl strengste und pingeligste Person, die ich je in meinem Leben getroffen hatte. Doch ich hatte in dem Moment noch keine Vorstellung wie schlimm sie wirklich war.
»Was soll dieser Aufstand Abigail. Wir sind doch noch gekommen«, entgegnete Grandpa in einem gleichgültigen Ton.
»Erspar mir deine Entschuldigungen. Nach all den Jahren hatte ich gehofft du würdest wieder zu deiner alten Anstandsform zurückkehren. Aber es scheint immer schlechter zu werden.« Ihr Blick fiel sofort auf mich. »Und wer ist das? Ich dachte ich habe mich bei den eingeladenen Gästen verständlich ausgedrückt?« Sie musterte mich von oben bis unten mit einem kalten Blick. »Ihr könnt eure Schulfreunde zu euch einladen oder woanders treffen, aber nicht bei mir und schon gar nicht bei einer privaten Feierlichkeit«, sagte sie an Noah und Ethan gewandt. »Wo ist überhaupt dieses neue Mädchen, das seit einiger Zeit bei dir wohnt Richard? Die Tochter von Charles und seiner Frau. Wie hieß sie doch gleich? Irgendwas mit F. Ein ganz ordinärer Name.«
»Fanny«, meldete ich mich zu Wort. »Das bin ich. Fanny Haddington. Freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen Madame«, versuchte ich es auf die höfliche Tour und streckte ihr meine Hand hin.
Erneut musterte mich Tante Abigail, so als hätte sie mich von Anfang an übersehen oder erst gar nicht wirklich wahrgenommen. Meine Hand ignorierte sie trotzdem. »Ah, natürlich«, sagte sie dann. »Das hätte ich mir gleich denken können. Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.« Aus ihrem Munde war ich mir nicht sicher, ob das ein Kompliment oder eher eine Beleidigung war. »Warum trägst du nicht das Kleid?«, fragte sie. Ich hatte eigentlich gehofft das diese Frage nicht aufkommen würde, aber ich konnte es mir schon denken, dass mein Wunsch nicht erhört werden würde.
»Es war nicht mein Stil, aber danke trotzdem. An einem anderen Mädchen sieht es garantiert noch besser aus.« »Aber was steht ihr alle hier noch so rum? Los kommt endlich rein. Es warten schon alle auf euch.« Sie scheuchte uns in den großen Saal, wo schon viele Leute miteinander schwatzten, lachten und Wein tranken. Der Duft von Lebkuchen und Plätzchen lag in der Luft und vermischte sich mit Weihnachtsmusik, den Schein von Lichterketten und Kerzen und dem Glanz des gigantischen Weihnachtsbaumes, der fast bis zur Decke hinaufragte.
Grandpa neben mir konnte sich einen Seufzer nicht verkneifen. »Jedes Jahr dasselbe.«
»Das wird schon Dad. In ein paar Stunden ist es vorbei und wir fahren wieder nach Hause«, sagte seine Ethans Mutter Julie, die mit ihrem Mann Andrew natürlich mitgekommen ist.
»Ich kann Feiern solch Ausmaß nicht leiden.«
»Robert kommt auch noch hierher. Er verspätet sich nur etwas. Du weißt er wird die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Leute unterhalten, dann hast du etwas Ruhe. Außerdem ist er Tante Abigails Liebling. Du wirst sehen, innerhalb von zwei Stunden sind wir hier wieder weg.«
»Eine wäre mir lieber«, murmelte Grandpa. »Du weißt doch für uns alte Leute zieht sich die Zeit wie flüssiger Honig.«
»So alt bist du gar nicht«, sagte ich und erntete einen erstaunten Blick. »Na ja, jedenfalls siehst du nicht älter als 60 aus«, fügte ich noch schnell hinzu.
»Da hörst du’s«, sagte Julie. »Fanny sei doch so lieb und hol uns was zu trinken. Wir setzen uns da drüben in die Ecke.« Sie zeigte auf eine kleine Sitzecke, mit bequemen Stühlen und einem kleinen Sofa, die um einen runden Tisch in der Mitte platziert waren.
»Na klar. Was möchtet ihr denn?«
»Kaffee. Schwarz. Drei Stück Zucker«, leierte Grandpa seine Bestellung runter, als wäre ich eine Bedienstete. Ich nahm es ihm nicht übel. Solche Festlichkeiten, bei denen man fast niemanden kannte, mochte ich auch nicht besonders.
»Für mich Glühwein, bitte.« Julie zwinkerte mir dankbar zu und gesellte sich zu Grandpa.
Ich schlenderte zum Buffet, welches wirklich eine Menge zu bieten hatte. Neben den üblichen weihnachtlichen Leckereien und Süßkram, gab es außerdem eine Menge herzhafter Möglichkeiten in Form von belegten kleinen Häppchen, Suppe, gebratene Gans und andere Sachen, die verdächtig nach erstklassigem Hotelessen aussahen. Zwischen den Gästen liefen einige Kellner umher, die Getränke – überwiegend Sekt und Wein – anboten und sich mit dieser Veranstaltung etwas mehr dazuverdienten. Es sei denn Tante Abigail war knauserig, dann würde sich dieses Abrackern hier nicht wirklich lohnen.
Kaffee und Glühwein hatte ich schnell gefunden und balancierte vorsichtig die beiden Tassen zu Grandpa und Julie. Dabei schaute ich überwiegend auf die beiden Gefäße in meinen Händen und auf den Boden, weshalb ich nicht bemerkte, wie ich geradewegs in jemanden hineinlief. Der Kaffee schwappte leicht über und hinterließ auf der Person vor mir einen dunkelbraunen Fleck auf dem blütenweißen Hemd.
Mir stockte der Atem und mein Herz setzte für einen Moment aus. Ich spürte wie sämtliche Blicke auf mir ruhten und hörte wie einige anfingen zu tuscheln.
»Na das nenne ich mal einen stürmischen Empfang«, sagte der Mann vor mir als ich es wagte den Kopf zu heben und lachte herzlich. »Danke für den Kaffee junges Fräulein. Auch wenn ich keinen bestellt habe, weiß ich die Geste sehr zu schätzen.«
»Ich … also, der Kaffee … Das tut mir sehr leid«, stammelte ich vor mich her.
»Ist nicht so schlimm. Das Hemd war sowieso nicht mehr das neuste. Jetzt hab ich wenigstens einen Grund es wegzuschmeißen.« Er zwinkerte mir zu und ich atmete erleichtert auf. Für einen Moment hatte ich schon befürchtet, ich würde große Probleme bekommen. Ich sah mir das freundliche Gesicht des Mannes etwas genauer an und verfiel ins Grübeln. Das Gesicht, die Statur und seine Stimme kamen mir irgendwie bekannt vor.
Der Mann musterte mich ebenfalls. »Sind wir uns schon mal irgendwo begegnet?«, fragte er gerade heraus.
»Ich … weiß nicht«, antwortete ich zögernd und wollte gerade etwas Merkwürdiges sagen, von einem Traum oder Erinnerung, da kam auch schon Tante Abigail angerauscht.
»Robert! Schön dass du es noch geschafft hast. Entschuldige, das dumme Ding ist eben etwas tollpatschig«, sagte sie mit belustigter Stimme und besah sich den Fleck. »Ich habe oben noch frische Hemden. Da sind bestimmt noch einige in deiner Größe dabei.«
»Danke, aber das ist nicht nötig Tante. Du siehst wie immer toll aus.« Sie begrüßten sich mit einem Bussi rechts und links.
»Keine Widerrede. Du kannst nicht so den ganzen Abend herumlaufen.« Sie zog Robert mit sich und er warf mir noch einen Blick über die Schulter zu, den ich aber nicht recht einordnen konnte.
»Alles in Ordnung?«, fragte mich Ethan und trat an mich heran.
»Ja, ich denke schon«, sagte ich etwas abwesend.
»Am besten gehst du dir die Hand mit kaltem Wasser abkühlen. Du scheinst dich leicht verbrüht zu haben.« Vorsichtig nahm mir mein Cousin die beiden Tassen aus den Händen. Er hatte recht. Meine linke Hand war rot und pochte leicht vor Schmerz.
»Wo-«
»Das Badezimmer ist oben rechts«, kam mir Ethan zuvor. »Es ist alles gut beschildert, du kannst es nicht verfehlen. Ich bring das zu Grandpa und Mum.« Ich nickte dankbar und ging die Treppe hinauf. Hinter mir hörte ich es tuscheln und die Worte die hierbei fielen waren nicht gerade freundlich.
Meine Laune sank immer weiter in den Keller und mit jeder Minute die ich auf der Feier verbrachte wurde es schlimmer. Nach zwanzig Minuten – die mir vorkamen wie eine halbe Ewigkeit – wollte ich einfach nur weg von hier und verkroch mich in eine Stille Ecke, in der auch Grandpa saß.
»Ich kann verstehen warum du solche Arten von Feierlichkeiten nicht magst.« Ich setzte mich in den Sessel neben ihm.
»Es kommt zwar überwiegend auf die Leute drauf an die da sind, aber allein schon viele Menschen in einem Raum sind sehr anstrengend und rauben einem auf Dauer den Nerv.«
»Vor allem wenn es sich um Menschen handelt, die einen nicht leiden können.«
»Du meinst Abigail.«
»Ist das nicht offensichtlich? Sie scheint mich wirklich zu hassen.«
»Sie ist immer streng gegenüber anderen. Du hättest sie mal erleben müssen, als sie erfahren hat das mein Sohn Charles deine Mutter geheiratet hat. Oh wie sie getobt hat.« Er lachte an die Erinnerung.
»War meine Mutter denn so schlimm?«
»Nein. Sie war eine junge Frau, die für das einstand was sie für richtig hielt. Natürlich war sie auch etwas dickköpfig, aber ihre selbstlose Art hat es meinen Sohn angetan. Dadurch verliebte er sich in sie und löste seine Verlobung.«
»Dad war verlobt als er Mum kennenlernte?!« Ich traute meinen Ohren kaum.
»Oh ja. Er hatte vor zu heiraten, aber dann … Trat sie in sein Leben – Margret.«
»Also war es Liebe auf den ersten Blick?«
»Was? Nein!« Grandpa lachte laut auf. »Nein war es nicht. Sie konnten sich anfangs nicht ausstehen. Immer bekamen sie sich in die Haare. Deine Mutter hatte damals ein Stipendium an der Universität hier in London. Da sind die beiden sich über den Weg gelaufen. Sie besuchten beide viele dieselben Kurse und gerieten so immer wieder aneinander.«
»Aber was ist denn dann passiert, dass die beiden zusammengebracht hat?« Bisher klang es so, als wäre es unmöglich, dass ihre Eltern je ein Paar geworden wären, geschweige denn geheiratet hätten.
»Es ist etwas passiert. Etwas Schlimmes. Und deine Mutter tat etwas, dass man schon fast als Heldenhaft bezeichnen könnte oder als sehr töricht. Aber egal wie man es auch bezeichnet, es hatte Charles sehr imponiert. Und von da an, sind sie sich immer nähergekommen.«
»Und dann hat er die Verlobung gelöst«, schloss ich daraus.
»Ja. Es kam alles sehr plötzlich. Deine Mutter wurde schwanger und Charles entschied sich sofort die Verlobung zu lösen und stattdessen Margret zu heiraten. Eigentlich wollte er sich etwas Zeit lassen.«
»Aber die hatte er nicht.«
»Nein. Und einige Jahre später waren sie weg.«
»Denkst du es war ein Fehler?«, fragte ich gerade heraus.
»Was?«
»Das Mum schwanger wurde und mit Dad abgehauen ist.« Denn so schien das Ende der Geschichte wohl gelaufen zu sein. Doch Grandpa schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht so wie du denkst«, sagte er. »Deine Eltern sind nicht abgehauen.«
»Aber-«
»Ja ich weiß, ich und andere Menschen haben so etwas in der Art behauptet, aber nur weil die Wahrheit etwas komplizierter ist.«
»Und was ist die Wahrheit?«, fragte ich gespannt.
»Deine Eltern blieben bis zu deiner Geburt hier in London. Sie wollten eigentlich hier bleiben, doch dann geschah etwas und sie mussten weg.« An seinem Tonfall merkte ich, dass Grandpa von etwas Unnatürlichem sprach.
»Hat es etwas mit der ganzen Traumjägersache zu tun?« Grandpa nickte.
»Man machte jagt auf dich.«
»Auf mich? Wer denn?«
»Manchmal werden Traumjäger geboren, die schon seit ihrer Geburt, bemerkenswerte Fähigkeiten besitzen. Doch so etwas ist selten und kommt nicht oft vor. Schon gar nicht so kurz hintereinander.«
»Also war ich nicht die Einzige?«
»Nein. Die letzte Person, die so wie du geboren wurde. War Emma.« Grandpas Augen fixierten traurig irgendeinen Punkt im Raum und man sah ihm an, wie sehr er sich beherrschte seine Gefühle zu unterdrücken. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Die leeren Beileidsfloskeln fand ich seit dem Tod meiner Eltern selber nicht mehr so berauschend und vermied es sie zu sagen.
»Danke dass du mir das erzählst«, sagte ich stattdessen.
»Ich hätte es gerne schon früher getan. Glaub mir. Aber gewissen Umständen zu folge und auch weil es teilweise meine eigene Schuld war, habe ich es immer wieder versäumt. Es tut mir leid.«
»Ist schon in Ordnung. Ich weiß das du nach meiner Ankunft nur so grantig warst, weil du getrauert hast.«
»War ich wirklich so schlimm?«
»Na ja, nicht schlimmer als ein grimmiger Troll.« Grandpa lachte und ich stimmte mit ein.
»Dann verzeih dem alten Troll. Er ist nicht gerade der Umgänglichste mit so vielen Jahren auf dem Buckel.«
»So viele Jahre hast du nun auch wieder nicht hinter dir, Dad.« Robert kam mit leicht beschwingten Schritten und einem Glas Wein in der Hand zu uns herüber. Ihm schien es sichtlich auf der Party zu gefallen. Das sah man ihm förmlich an. »Könntest du mir vielleicht dieses reizende Mädchen vorstellen? Wir hatten noch nicht das Vergnügen.« Er lächelte mich von oben herab an.
»Oh das wegen den Klamotten-«
»Ist schon vergessen«¸ unterbrach er mich. »Es war nicht deine Schuld. Nur ein kleiner Unfall, so etwas kann passieren.«
»Robert das ist Fanny Haddington. Die Tochter von Charles und Margret«, stellte mich Grandpa vor. Roberts Augen begannen zu wachsen und er schaute mich erstaunt an.
»Das ist also die kleine Fanny von der ich schon so viel gehört habe. Der Wirbelwind, der endlich mal Leben in diese alten Gemäuer bringt. Nichts gegen Ethan, aber der Kleine ist ein bisschen verklemmt und hält sich zu sehr an die Regeln. Er ist ein Teenager, da darf er Spaß haben und mal ein bisschen rumexperimentieren – Fehler mit eingerechnet.«
»Ich denke, Ethan ist nicht der Typ für Schwierigkeiten«, sagte ich schnell, um meinen Cousin ein bisschen in Schutz zu nehmen.
»Stimmt«, pflichtete mir Onkel Robert bei. »Aber du bist dafür ein Schwierigkeitenmagnet. Sehr amüsant, wenn ich das bemerken darf. Das wird sicher nie langweilig. Nicht wahr Vater?«
»Du sagst es. Mit Fanny wird es nie langweilig«, stimmte Grandpa ihm zu.
»Großartig«, sagte Robert begeistert. »Dann wirst du sicher Verständnis dafür haben, wenn ich einige Wochen nach Hause komme. So etwas kann ich mir nicht entgehen lassen. Außerdem steht bald Weihnachten vor der Tür und wir wollen doch alle ein fröhliches Beisammensein haben.«
»Ich feiere Weihnachten nicht mehr! Das weißt du genau«, knurrte Grandpa auf einmal.
»Du solltest die Vergangenheit hinter dir lassen und nach vorne blicken!«
»Genug! Es bleibt dabei!« Grandpas Stimme war plötzlich so laut geworden, das ich vor Schreck zusammengezuckt war und in meinen Sessel tiefer rutschte.
Onkel Robert seufzte schwer. »Na schön, wie du willst.« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und beteiligte sich an den Gesprächen der anderen Gäste. Ich schaute unsicher zu Grandpa hinüber, welcher mit verbitterter Miene im Sessel saß und mit einem finsteren Blick vor sich hin starrte.
»Ich bring das mal in die Küche«, murmelte ich und nahm die leere Kaffeetasse mit. In der Küche atmete ich erleichtert auf, nicht mehr dieses Unbehagen in der Brust zu spüren. Die Tasse war schnell abgespült, und auch wenn ich wusste, dass das eine Aufgabe der Kellner war, lenkte es mich ein wenig ab. Jedoch nur kurzzeitig, denn kaum war ich beim Abtrocknen, hörte ich laute Stimmen aus dem anliegendem Zimmer.
»Wie kann es sein das dieses Kind … dieser Bastard, bei uns wohnt und nicht in irgendein Kinderheim untergekommen ist? Waren die etwa überfüllt?«, schrillte hell die empörte Stimme von Tante Abigail hinüber.
»Es ist schon etwas ungewöhnlich, dass gerade dieses Mädchen als Einzige den Unfall überlebt hat«, ertönte eine andere Stimme – eine von Tante Abigails Freundinnen garantiert.
»Das mein Bruder dieses verdorbene Kind zu sich genommen hat ist eine Beschmutzung für unsere Familie«, hetzte meine Tante weiter gegen mich.
»Aber es zeigt auch nur wie gütig dein Bruder ist.«
»Ja das ist wahr. Man müsste ihm einen Orden der Nächstenliebe verleihen, dafür das er diese Fremde bei ihm aufnimmt und für ihr Wohl sorgt, als wäre sie sein eigenes Kind.«
»Ich habe gehört, dass sie schon vor der Hochzeit gezeugt worden sein soll und Charles deswegen für eine schnelle Heirat war«, meinte Abigails Freundin.
»Ich sag es doch Bastard!« Tante Abigail schnaubte verächtlich. »Es wäre besser wenn sie mit ihrer verdorbenen Mutter gestorben wäre, anstatt des armen Charles.«
Ich ließ das Handtuch fallen und flüchtete nach draußen. Das konnte ich mir nicht mehr länger anhören. Die Tränen schossen mir in die Augen, als ich mich durch die Gäste zum Ausgang bewegte. Aber ich verkniff es mir in Gegenwart aller zu heule. Diese Blöße würde ich mir nicht geben. Auf meinen Weg nach draußen stieß ich an mehrere Leute und entschuldigte mich schnell und setzte zügig meinen Weg fort. Ich war schon fast bei der Tür, als mich jemand am Arm packte und mich sanft, aber bestimmend zurückhielt.
»Wo willst du denn hin? Die Party hat doch gerade erst-« Mit geröteten Augen blickte ich meinen Gegenüber an. Zu meiner Überraschung war es nicht Ethan oder Noah, sondern Onkel Robert, der mich nun mit besorgter Miene musterte. »Ist alles in Ordnung?«
Schnell wischte ich mir mit dem Ärmel meiner Uniform die verräterischen Tränen in meinen Augenwinkeln weg. »Ja. Ich brauche nur etwas frische Luft.«
»Dann empfehle ich eine Jacke überzuziehen und ein Schal wäre auch angemessen.« Onkel Robert half mir in meinen Mantel und hielt mir die Tür auf. Doch anstatt sie hinter mir zu schließen, trat er mit mir in die Kälte hinaus. Ich fragte nicht »Wieso« und wir gingen schweigend ein Stück. Mit jedem Schritt den wir machten und jeder Sekunde Stille die verstrich, fiel es mir immer schwerer meine Tränen zurückzuhalten.
»Lass es raus«, sagte Onkel Robert und die Art und Weise wie er es sagte, ließ alle meine Hemmungen brechen. Zwar hasste ich es in Anwesenheit anderer Menschen meine Tränen offen zu zeigen, doch in diesem Moment war es mir egal. »Es tut gut. Besser als wenn man alles in sich hineinfrisst, glaub mir. Und nachher hat man einen klareren Kopf.« Er reichte mir ein Stofftaschentuch.
Den ganzen Weg über, den wir zusammen liefen, fragte er nicht, sondern blieb einfach da und ertrug meine Tränen, die ich aus Wut, Trauer und Verwirrung darüber vergoss, was Tante Abigail über meine Mutter und mich gesagt hatte.
An dem Abend verfestigte sich das Gefühl in mir, welches ich schon von Anfang hatte, nicht zu diesem Teil der Familie dazuzugehören, nur noch mehr in meinem Herzen.

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Ähhhh ja .... irgendwie habe ich es noch geschafft das sechste Kapitel fertig zu bekommen. *puhh* bin richtig froh darüber ^^'

Srry für die lange Wartezeit. Aber wie ich bereits in der Info sagte, ich gebe das hier nicht auf und mache weiter. Es passiert nur gerade einige bei mir, was viele Änderungen mit sich zieht, deswegen dauerte es ein bisschen mit den Kapiteln.
Ich hoffe ihr seht mir das nach.

lg Momo  

Kapitel 07

 »Danke«, sagte ich, als wir zwei, Onkel Robert und ich, wieder vor Tante Abigails Haus ankamen.
»Wofür?«
»Einfach nur so. Für‘s da sein und … na ja ähm das Taschentuch.« Onkel Robert lachte kurz auf und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter.
»Lass dich nicht unterkriegen. Tante Abigail redet viel wenn der Tag lang ist.«
»Das ändert nichts an dem was sie über meine Eltern gesagt hat«, murmelte ich leise und zuckte heftig zusammen als sich plötzlich die Haustür öffnete.
»Da seid ihr ja.« Ethan stand vor uns. »Wir haben euch schon überall gesucht. Vor allem dich Fanny. Wir wollen- Alles okay?«
»Ja. Ja, alles gut.« Ich versuchte zu lächeln, konnte aber nur meine Mundwinkel leicht nach oben ziehen.
»Wirklich? Deine Augen sind so rot. Hast du geweint?« Momentan hatte ich nicht wirklich Lust und die Energie Ethan den Sachverhalt zu erklären, deshalb war ich Onkel Robert sehr dankbar, als er für mich übernahm.
»Ich glaube jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um darüber zu reden. Außerdem ist es schon spät und Fanny ist bestimmt müde.« Ich nickte zustimmend. Ethan nahm Roberts Rat an und schnitt das Thema nicht mehr an.
»Wir wollten sowieso gleich fahren.«
»Gut ich warte beim Auto«, sagte ich und ging los zum Wagen, der vor dem Haus an der Straße parkte.
»Willst du dich nicht noch verabschieden?«, rief mir Ethan noch hinterher, doch ich ignorierte es.
»Lass sie. Ihr Abend ist nicht so gut verlaufen«, hörte ich noch Onkel Robert sagen.
Ich lehnte mich ans Auto und kickte mit dem Fuß einige Steine weg. Meine Gedanken kreisten immer wieder um das, was Tante Abigail gesagt hatte. Ob es wirklich wahr war oder nicht, spielte für mich keine Rolle. Allein die Behauptung, der Gedanke tat weh und gab mir das Gefühl mehr denn je, nicht hier her zu gehören. Zu diesen Leuten, die mir immer so fremd sind in mancherlei Hinsicht. Meine Familie war normal, nicht sehr reich oder arm. Aber auch wenn wir nicht über große finanzielle Mittel verfügten, so gaben mir meine Eltern immer das Gefühl etwas Einzigartiges und Besonderes zu sein.
Ich hätte nicht gedacht, dass der Rest meiner Verwandtschaft ein ganz anderes Leben führt. Ein Leben voller anderer Sorgen, als die des Geldes. Auch wenn ich es nicht zeigte und eine Maske trug die meine wahren Gefühle verbargen, so war es doch schwer für mich sich diesem neuen Leben anzupassen.
Ich hörte wie die Tür aufging, verabschiedende Worte gesprochen wurden und Tante Abigail, die sich über die frühe Abfahrt beschwerte. Mit dem Rücken Richtung Tür stand ich weiter am Auto gelehnt und wandte nicht mal den Kopf. Aus Trotz und Angst. Ich fürchtete mich vor der Unsicherheit, die ihr Blick mir wieder bringen könnte. Hinter mir waren Schritte zu hören und ich senkte meinen Blick – starrte auf meine Schuhe.
Ich spürte wie sich jemand neben mir ans Auto lehnte. »Das war doch mal eine langweilige Party«, sagte Noah. »Ich wette wir könnten das besser.« Ich sah ihn von der Seite an und mein Mundwinkel zuckte nach oben.
»Ja, bestimmt«, sagte ich.
»Dann tun wir es doch.« Seine Worte brachten mich dazu ihn ganz anzusehen.
»Was?«, fragte ich verwirrt.
»Wir machen eine eigene Weihnachtsfeier. Aber nicht so eine schnöde und langweilige wie die von Tante Abigail. Obwohl ich sagen muss, dass das Essen wirklich nicht schlecht – abgesehen von den Schnecken, echt widerlich.« Ich lachte leise. »Das Haddington-Anwesen würde sich super für eine solche Feier eignen.«
»Ich glaube nicht das Grandpa da zustimmen wird«, rief ich Noah ins Gedächtnis. »Er feiert nicht besonders gern Weihnachten, hat man mir zumindest gesagt.«
»Er muss ja auch nicht mitfeiern, niemand sagt das.«
»Doch … ich.« Noah runzelte leicht die Stirn. »Ich habe immer Weihnachten mit meinen Eltern gefeiert. Wir haben das ganze Haus geschmückt, einen Schneemann gebaut (wenn wir Schnee hatten), zusammen Plätzchen gebacken, alte vom Schallplattenspieler gehört – Papa mochte immer Jazz, Louis Armstrong – und Mama hat mir immer einen neuen Schal gestrickt, jedes Jahr. An Weihnachten sind wir zum Krippenspiel gegangen. Ich mochte die Atmosphäre in der Kirche, sie hatte etwas Zeitloses an sich. Auf dem Heimweg haben wir uns immer die Weihnachtsbeleuchtung von anderen Familien angesehen und sind bei dem großen Weihnachtsbaum auf dem Markt vorbeigegangen. Jeder hatte einen Zettel dabei und eine Plastikkugel die man in zwei Hälften öffnen konnte. Wir schrieben unsere Wünsche auf das Blatt Papier, falteten es zu einem kleinen Stern und schlossen ihn in der Kugel ein, dann hängten wir sie an den Weihnachtsbaum. Zuhause haben wir dann zusammen gegessen, Geschenke ausgetauscht und hinterher ›Die Weihnachtsgeschichte‹ angeschaut, meist in der Muppet-Version, weil ich die als kleines Kind so geliebt hatte. Und bevor ich dann ins Bett gegangen bin, habe ich das Fenster aufgemacht, mir den Himmel mit seinen vielen Sternen angeschaut und mir gewünscht, dass jedes Weihnachten so toll sein würde.« Ich machte eine Pause. Meine Augen brannten und ich merkte wie sich Tränen ansammelten, die jeden Moment ausbrechen konnten. »Ich vermisse das«, flüsterte ich leise. »Der Schnee, der Geruch nach Plätzchen, Räucherkerzen und frischen Tannenzweigen, die bunten Lichter und das warme Gefühl, das man bekommt, wenn man mit Menschen zusammen ist die man gerne hat. Und Grandpa gehört dazu. Ich will nicht ohne ihn Weihnachten feiern. Alles was ich will ist wieder eine Familie haben.«
Noah sagte nichts. Er hatte mir zugehört und mich die ganze Zeit über angesehen. Nun hob er seine Hand und wischte vorsichtig die Tränen weg, die verräterisch über meine Wange liefen.
Wann hatte ich denn angefangen zu weinen?
»Komm.« Noah nahm meine Hand, öffnete die Autotür und zog mich hinein. Drinnen zog mich mein Partner in eine Umarmung.
»Tut mir leid«, murmelte ich in die Stille hinein.
»Du bist müde, gestresst. Das ist okay. Ich kann verstehen, dass das nicht alles leicht für dich ist. Wenn was ist kannst du uns das sagen. Wir sind nicht nur eine Gruppe von Leuten die den Monstern in den Schatten und Träumen zeigen wo es langgeht, sondern sind auch eine Familie und du gehörst dazu. Wir passen aufeinander auf und sind füreinander da. Okay?« Ich nickte. Wir lösten langsam die Umarmung und ich wischte mir die restlichen Tränen weg. Langsam fühlte ich mich besser. Nicht nur weil ich mich endlich jemanden gegenüber aussprechen konnte, sondern weil Noah gesagt hatte, ich würde zur Familie gehören. Eine Familie die aus nicht Blutsverwandten Menschen bestand und die mich akzeptierten wie ich bin.
»Hey.« Ethan steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Alles okay?«, fragte er mich vorsichtig und ich lächelte leicht. »Wie hast du das geschafft?« Sein Blick fiel auf Noah. Mich aufzuheitern war wirklich nicht leicht und schon etwas Besonderes, wenn man das schaffte.
»Mit Charme«, antwortete Noah und wir fingen alle drei an zu lachen.

Frustriet wälzte ich mich im Bett hin und her. Es war schon fast 12, aber schlafen konnte ich immer noch nicht. Glücklicherweise war morgen keine Schule und das Wochenende grinste mir für zwei freie Tage entgegen. Trotzdem nervte es mich leicht, dass ich wach lag und nichts tun konnte, um einzuschlafen. Ich hätte wieder Tabletten nehmen können, die gleichzeitig meine Träumereien gehemmt und mir somit die Chance auf einen Alptraum erspart hätten, aber ich fand das Tabletten nie etwas Gutes waren. Wenn man einmal damit anfing und sich in einen Trott hineingeritten hatte, war nur sehr schwer wieder da hinaus zu kommen. Die eine Woche hatte mir zwar geholfen Traumlos zu schlafen, aber der Hang-Over-Effekt verlangte zu viel Energie von mir tagsüber.
Im Haus war es totenstill, was ich immer wieder unheimlich fand. Allein die Vorstellung das in den dunklen Ecken (und davon gab es zahlreiche in dem Haus) etwas lauern konnte, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Trotzdem schob ich meine Beine über die Bettkante, schlüpfte in meine flauschigen Pantoffeln, schnappte mir meine Kuscheldecke, eine Taschenlampe und schlich leise hinaus auf den Flur. Mit zügigen leisen Schritten machte ich mich auf zur Bibliothek. Drinnen schaltete ich zwei Lampen an und suchte wie beim letzten Mal Bücher heraus, die mir beim Lösen des Rätsels helfen könnten. Doch egal wie viele Seiten ich umblätterte, Wörter las und Bilder anschaute, es brachte mich kein Stück weiter. Ich schaute auf die große Standuhr, die neben einer Kommode stand und gerade zweimal schlug. Fast zwei Stunden hatte ich gesucht und keinen Hinweis gefunden.
Mit einem Seufzer schlug ich das Buch über die Geschichte der Haddingtons zu und legte es auf dem Stapel der bereits gelesen. Zwar war es interessant gewesen und auch wenn ich gerne mehr über meine Vorfahren erfahren würde und deren lange Tradition als Wohltäter der Stadt und Besitzer großer Unternehmen. Ich habe nie wirklich nach Grandpas Beruf gefragt. Vielleicht weil ich noch an dem Tod meiner Eltern zu knabbern hatte und die ganze Traumjägersache auch noch ihr übriges beigesteuert hat. Für die Leute ringsherum hatte ich kaum einen Gedanken übrig zu der Zeit.
Meine Müdigkeit ließ sich nicht mehr und ich gähnte laut und ausgiebig – hören konnte mich ja eh keiner. Auch wenn ich es nicht wollte, musste ich mir eingestehen, dass ich Schlaf brauchte. Ich räumte also alle Bücher weg und löschte das Licht. Mit der Taschenlampe trat ich wieder auf den Flur und hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als mich eine Hand an der Schulter packte. Ich wollte Schreien, doch keine Sekunde zu spät legte sich die andere Hand auf meinen Mund und brachte mich zum Schweigen. Mein Herz überschlug sich fast vor Schreck und Angst und Schweiß trat auf meine Stirn.
»Ruhig blieben, ich bin’s nur«, flüsterte eine Stimme an meinem Ohr, die ich als Noahs identifizieren konnte. Sofort beruhigte sich meine Atmung langsam und mein Herz nahm wieder die gewohnte Geschwindigkeit seiner Schläge an. Noah nahm seine Hand von meinem Mund, als er merkte das ich den Schreck überwunden hatte und ihn nicht für sonst wen halten würde. »Komm mit«, sagte er leise und zog mich hinter sich her. Wir gingen den Flur entlang runter und hielten dann am Ende, dort wo der Gang nach links abknickte an. Noah widmete sich der Tür rechts von uns und ich musste feststellen, dass dieser Abschnitt des Gebäudes genauso so aufgebaut war wie der, in dem mein Zimmer lag. Mein Partner zog einen Schlüssel hervor und öffnete das Zimmer, welches verschlossen gewesen war. Beim öffnen blickte er sich immer wieder um, so als ob er glaubte beobachtet zu werden. Er schob mich hinein und schloss hinter uns leise die Tür. Kaum waren wir im Zimmer, überkam mich ein komisches Gefühl (als b wir nicht alleine wären), welches ich sofort beiseiteschob und meine Wut zum Ausdruck brachte.
»Sag mal hast du sie noch alle?! «, fuhr ich ihn an. »Ich dachte du wärst … du wärst-« Ich brachte keine passende Formulierung heraus.
»Beruhige dich FannyBunny. «
»Ich soll mich beruhigen?! Was machst du überhaupt so spät Nachts noch hier? «
»Das wollte ich dich eigentlich auch fragen«, sagte Noah.
»Ich habe etwas in der Bibliothek nachgeforscht«, erzählte ich ihm ehrlich. Und du?«
»Ich brauche deine Hilfe?«, sagte er überraschenderweise und für einen kurzen Moment war ich sprachlos.
»Ehrlich? Jetzt? So spät noch?«
Noah ignorierte meine Fragerei und kam gleich zur Sache. »Ich glaube das im Haus jemand ist.«
»Du meinst jemand außer dir, der sich hier Nachts herumschleicht? Schläft in diesem Haus überhaupt jemand?«
»Nicht das was du denkst. Ich glaube es ist jemand in der Schleierebene in dem Haus.«
»Du meinst doch nicht-«
»Doch genau das mein ich«, bestätigte Noah meine Befürchtung. »Von der Aura her die ich gespürt habe, müsste es ein Schattenkämpfer und ein Traumfresser sein. Alleine schaffe ich es nicht, deswegen wollte ich Ethan wecken gehen, aber da liefst du mir über den Weg.«
»Und jetzt willst du mich…?«, fragte ich unsicher.
»Du musst dich verstecken. Am besten bleibst du hier, bis Ethan und ich dich holen kommen«, bestimmte Noah.
»Was?! Noah das ist nicht dein ernst!« Er konnte mich doch nicht schon wieder ausschließen. »Ich kann helfen.«
»Nein. Ich will nicht, dass so etwas wie letztes Mal nochmal passiert.«
»Wunderbar, da sind wir schon zwei. Ich will das auch nicht. Aber ich kann mich nicht ewig verstecken und die Schattenkämpfer einfach ignorieren.«
»Du solltest erst gar keinen Kontakt zu ihnen haben.«
»Das kann man aber nicht beeinflussen.«
»Doch indem du dich ruhig verhältst und sämtliche Traumjägeraktivitäten einstellst.«
»Was?!« Während unseres Streits der nun zu eskalieren drohte, wurden wir beide immer lauter. »Soll das dein ernst sein!? Das werde ich nicht tun! Sie finden mich, auch wenn ich mich verstecke. Außerdem wissen sie schon längst durch Maya wer ich bin. Und wofür brauchen die mich eigentlich? Niemand sagt mir was eigentlich los ist und was das Ganze soll, das nervt mich.  Wieso müsst ihr immer noch Sachen vor mir verheimlichen? Ich bin doch jetzt ein vollwertiges Mitglied oder nicht?«
»Doch bist du.«
»Dann was ich das Problem?« Ich wurde langsam ungehalten und richtig sauer. Meine Stimme war inzwischen so laut, dass man sie problemlos bis auf den Gang hinaus gehört hätte, wäre man nur vorbeigegangen.
»Ich bin nicht stark genug!«, erwiderte Noah mit lauter verzweifelter Stimme. »Okay? Ich konnte dich nicht beschützen, obwohl es meine Aufgabe war! Wir hatten schon überlegt dich wegzuschicken, weil es für dich hier nicht mehr sicher zu sein scheint. Und es macht uns selber fertig, dass wir nicht wissen was sie von uns wollen, aber vermutlich hat es etwas mit deinen Fähigkeiten zu tun. Ich habe keine Ahnung und das macht mich wütend!«
Ich schwieg. Ließ Noahs Worte wirken und dachte einen Moment nach.
»Okay«, sagte ich schließlich. »Ich bleib hier und mache nichts.« Noah sah mich ungläubig an, als hätte ich ihm gesagt das ich ein Wesen einer anderen Welt sei. »Aber wenn ich etwas höre. Spüre das jemand meine Hilfe braucht. Dann werde ich helfen kommen und daran kannst selbst du nichts ändern.«
»Okay«, meinte mein Partner und sah mir in die Augen, als ob er so stumm mir ein noch sichereres Versprechen abringen könne, als meine Worte. »Ich lass die Tür offen.« Mit diesen letzten Worten verschwand er aus der Tür und ließ mich allein zurück.
»Du bleibst wirklich hier?«, fragte eine Stimme neben mir und ich spürte etwas Gewicht auf meiner linken Schulter.
»Du warst doch schon die ganze Zeit hier, nicht wahr«, antwortete ich mit einem Lächeln.
»Ich wollte ehrlich nicht lauschen«, entschuldigte sich Quasi und machte sich sichtbar.
»Ich bin dir nicht böse. Es gab nichts was für deine Ohren nicht bestimmt gewesen wäre.« Ich kraulte seinen Kopf und das fremdartige Wesen gab ein katzenähnliches Schnurren von sich. Er schien es zu genießen, doch dann schüttelte er seinen Kopf und schaute mich ernst an.
»Du musst weg hier«, sagte er. »Dieser Schattenkämpfer führt nichts Gutes im Schilde. Ebenso wie der Traumfresser den er mitgebracht hat.«
»Ich bin doch schon längst weg von alledem.« Genervt verdrehte ich die Augen. Langsam konnte ich es nicht mehr hören.
»Nein bist du nicht!«, beteuerte Quasi.
»Er hat Recht«, stimmte eine fremde Stimme ihm plötzlich zu. »Du hättest lieber auf ihn hören sollen.«  

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Tag der Veröffentlichung: 29.02.2016

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