„Es sind nur noch 20 Meter bis zum Tor. Hawara sieht sich um. Toru steht frei! Pass! TOOOOOOOOOR!! Das war das 3:2 zwei Minuten vor Schluss. Damit dürfte das Spiel seinen Endstand erreicht haben.“ Auf dem Platz stürmten alle Spieler zusammen, während der Kommentator den Spielstand verkündete. „Und wieder hat Toru Kenta das entscheidende Tor geschossen. Was für ein Spieler!“
Aus dem Getümmel kroch ein strahlender junger Mann hervor, wurde jedoch schon von dem nächsten Mitspieler angesprungen und gewuschelt. Doch sein Blick tastete den Spielfeldrand ab, ehe er entdeckte, was er suchte. Strahlend hob er seinen linken Arm, an welchem ein kleines Armband befestigt war. Einige seiner Teammitglieder wandten sich um, sahen dann die Freundin ihres Stürmers, die ebenso strahlend beide Daumen in die Luft reckte. Yuriko war wie immer von ihren Freundinnen umringt, zu welchen nur die besten und bestaussehendsten Mädchen der Schule gehörten.
Direkt neben diesem Haufen seiner Mitschülerinnen, stand seine Familie und es erstaunte ihn schon beinahe, dass auch Minoru hier war. Sein Bruder drückte sich sonst vor allen Familienausflügen, vor allem, wenn Kenta irgendetwas damit zu tun hatte. Allerdings – wenn man sich sein Gesicht so ansah, dann lag der Gedanke nahe, dass er nicht freiwillig mit zu diesem Spiel gekommen war. Außerdem stand sein Vater mit verschränkten Armen hinter dem jüngsten der Familie und winkte stolz in Richtung des Spielerhaufens.
Plötzlich legte ihm jemand die Hand auf die Schulter und Kenta blickte sich zu der Person um, welche sich als sein bester Freund herausstellte. Wahrscheinlich hielt auch er Ausschau nach seiner Mutter, doch die hatte heute Morgen bereits angekündigt, dass sie arbeiten musste und deshalb eventuell nicht kommen konnte. Trotzdem riss er plötzlich die Arme in die Höhe und winkte wie verrückt in die Richtung von Kentas Familie. Für ihn war sie sozusagen die Ziehfamilie, jemand, der immer da war, wenn man ihn brauchte. Und er liebte es Minoru zu ärgern, welcher sich durch diese Geste angesprochen fühlte und sich abwandte um zu gehen.
„So ein Vollidiot. Mit dem Bruder bist du echt nicht zu beneiden, Kenta.“, giggelte er dann auch schon los, was dem Angesprochenen ein Grinsen entlockte. Er mochte seinen Bruder nicht. Für gewöhnlich hatte er das Talent alles kaputt zu machen, was sich Kenta erarbeitet hatte. Nicht zuletzt deswegen hatte es der ältere der Beiden bisher nicht über das Herz gebracht seine Freundin einmal mit nach Hause zu nehmen. Minoru würde sie verscheuchen, so wie er es mit allen seinen Freundinnen getan hatte.
„Komm spielen wir weiter, sonst bekommen wir nur eine Strafzeit aufgebrummt.“, rief dann Hawara auch schon wieder und lief in ihre eigene Hälfte, was ihm Kenta auch schon im nächsten Moment gleich tat.
Nach fünf Minuten hatten sie das Eröffnungsspiel des neuen Schuljahres gewonnen. Jubelnd lief die Mannschaft über den Platz, wobei nun ein Teil der Zuschauer ebenfalls hineinstürmte und ihre Spieler hochleben ließ. So einen guten Einstieg hatten sie seit Jahren nicht mehr gehabt. Auch wenn es knapp gewesen war – Sie hatten gewonnen und das allein zählte.
Kenta war allerdings froh, als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte, sah sich kurz um und lief dann auf Yuriko zu, die bereits ein Handtuch und eine Flasche Wasser bereithielt. Strahlend nahm er es entgegen und hauchte seiner Freundin dankbar einen Kuss auf die Wange. So konnte das Schuljahr durchaus weitergehen und enden.
„Ihr habt wirklich super gespielt.“, lobte das Mädchen ihren Freund und lächelte ihn an, was sich in ein Grinsen verwandelte, als plötzlich wieder Shinji neben Kenta auftauchte.
„Und wer von uns war besser?“, fragte er mit stolzgeschwellter Brust, da er ein Tor geschossen und eines vorbereitet hatte. „Na sag schon Yuriko… ich bin gespannt, wer der Beste war.“ Das Mädchen begann zu Lachen und sah nachdenklich zwischen den Beiden hin und her.
„Ich denke ich wähle Kenta zum Held des Tages!“, kicherte sie dann, wofür sie eine Wasserdusche von Shinji erhielt, nachdem er sein Wasser ordentlich geschüttelt hatte. Lachend sprang sie aus der Gefahrenzone und nahm das Handtuch ihres Freundes entgegen, damit sie sich zumindest das Gesicht wieder trocknen konnte. Die Stimmung zwischen den Dreien war immer so, schon seit sie sich kannten und das war schon eine ganze Weile. Schade, dass Minoru nun auch auf diese Schule ging, denn das gefährdete ihre Freundschaft. Shinji mochte den jüngeren Toru in keinster Weise und Yuriko würde ihn wahrscheinlich auch nicht näher kennen lernen wollen.
Das hieß nun für ihn, dass er die Flucht nach vorne antreten musste.
„Wie wäre es, wenn wir heute Abend bei mir zuhause feiern? Meine Eltern werden das sowieso machen wollen und warum solltet ihr nicht dabei sein? Schließlich habt ihr ja auch euren Teil zum Sieg beigetragen.“, schlug Kenta vor und sah die beiden wichtigsten Personen in seinem Leben an, wartete auf die Zustimmung, die schon kurz darauf kam, wobei Yuriko mitteilte, dass sie sich dann dafür fertig machen müsse und davonlief.
„Denkst du, dass das eine gute Idee ist?“, erkundigte sich Hawara und sah dem Mädchen hinterher. Sein bester Freund zuckte mit den Schultern.
„Minoru wird sowieso nicht mitfeiern und entweder nicht zuhause sein, oder sich in seinem Zimmer verbarrikadieren. Wie eben immer. Außerdem wird sie wohl früher oder später sowieso mit ihm in Berührung kommen, wenn er ab diesem Jahr auch auf die Schule hier geht. Ich verstehe gar nicht, warum meine Eltern so darauf erpicht waren ihn hierher zu schicken. Das ist ungefähr, wie wenn man einen Ackergaul in die High Society der Dressur schickt.“, antwortete Kenta und blickte zu seiner Familie, die bereits wieder am Diskutieren waren. Offenbar hatte sein kleiner Bruder wieder irgendetwas angestellt. Nun gut. Das ging ihn nichts an, also ging Kenta unter die Dusche um nicht so verschwitzt nach Hause zu kommen.
Es dauerte nicht lange, bis Kenta mit Shinji aus der Umkleide kam, gut gelaunt und noch immer mit nassen Haaren. Seine Eltern kamen ihm schon entgegen, sein Vater mit ein wenig verbissenem Gesichtsausdruck, die Mutter strahlend. Überglücklich umarmte sie ihren Sohn und dessen besten Freund, überschüttete sie mit Glückwünschen.
„Mama, ich habe Yuriko und Shinji zu uns nach Hause eingeladen, um den Sieg zu feiern.“, eröffnete Kenta, woraufhin der Vater nickte.
„Das ist in Ordnung. Deine Großmutter wird auch kommen, sie hatte sich für heute Abend eingeladen. Minoru wird heute Abend wahrscheinlich mit ein paar Freunden unterwegs sein. Zumindest hat er das angedeutet.“ Man hörte deutlich die Verärgerung, die in den Worten von Toru Keiichiro mitschwang, doch Kenta überhörte sie geflissentlich. Heute sollten sie alle guter Dinge sein und nicht streiten. Trotzdem fing er den amüsierten Seitenblick seines besten Freundes auf, gab ihm unauffällig einen Klaps. Auch wenn Minoru wirklich ziemlich seltsam war – und das schon, seit Kenta denken konnte – gehörte er doch irgendwie zur Familie. Zum Leidwesen seines Bruders.
Der Abend wurde ein voller Erfolg. Kentas Großmutter war kurz vor dem Abendessen eingetroffen und hatte sich sofort auf ihren Lieblingsenkel gestürzt und ihn über Yuriko ausgequetscht. Schließlich hatte sie sich das Mädchen geschnappt und ein wenig mit ihr geredet. Die Unterhaltung hatte sich über das Ganze Essen hinweg gezogen und wurde erst unterbrochen, als die Haustür lautstark ins Schloss fiel. Kenta verdrehte die Augen und seufzte innerlich, als sein Bruder ins Wohnzimmer kam, sich kurz vor seiner Großmutter verbeugte und sich auf den Weg nach oben machen wollte.
„Minoru.. komm setz dich zu uns und feiere mit uns den großartigen Sieg deines Bruders.“, meinte die Mutter lächelnd, woraufhin Kenta sie nur kurz ansah, dann den Blick wieder auf seinen Bruder richtete.
„Nein, danke. Ich habe keine Lust auf eure heuchlerischen Feste um euren Helden, Kenta, zu ehren.“, kam es eiskalt von Minoru, woraufhin sein Vater ihn anfunkelte.
„Du solltest dir mal eine Scheibe von ihm abschneiden. Vielleicht wärst du dann auch zu etwas zu gebrauchen!“, fuhr er auf, woraufhin der Jüngste die Augen verdrehte.
„Lieber nicht, sonst ist euer Schatz ja nicht mehr perfekt.“, sagte er mit gespielt mitleidiger Stimme. „Das Einzige, das ich mit euch feiern würde, wäre das Begräbnis von einem von euch. Am Besten gleich alle drei, dann bin ich euch alle los. Aber dann würde ich wirklich feiern.“ Ein Ruck ging durch Keiichiro, als er aufsprang und seinem Sohn die Treppe hinauf folgte und oben angekommen gegen die gerade noch so zugesperrte Tür trommelte und herumbrüllte. Damit war auch dieser Abend für Kenta gelaufen.
Kapitel 2
In den nächsten Tagen herrschte dicke Luft im Hause der Familie Toru. Minoru verließ sein Zimmer nur sehr selten und auch nur um entweder in die Schule zu gehen, oder um sich, trotz des Hausarrests, den ihm ihr Vater nach der unmöglichen Aktion aufgebrummt hatte, nach draußen zu schleichen. Kenta ließ ihn machen. Er war es schließlich nicht, der den Ärger bekam, wenn herauskam, was sein kleiner Bruder trieb. Wenn er ehrlich war, war er sogar verlockt die ganze Sache ‚ausversehen’ auszuplaudern und dann zuzusehen, wie Otousan Minoru noch weiter herunterputzte. Letztendlich hatte ja wohl er, Kenta, am meisten unter dem unmöglichen Verhalten seines Bruders gelitten. Der ganze Abend war gelaufen gewesen. Yuriko hatte sich bald darauf verabschiedet und Shinji war auch mehr aus Pflichtgefühl bei ihm geblieben.
Hiwara kannte Minoru schon seit ewigen Jahren, doch auch ihm war aufgefallen, dass Kentas kleiner Nervenschreck sich sehr zum negativen entwickelt hatte. Nicht, dass er den jüngeren Toru jemals wirklich gemocht hatte, aber früher war er einfach anders gewesen.
Gerade saßen die beiden Freunde am Esstisch, als die Tür lautstark ins Schloss fiel und ein sichtlich müder Minoru in die Küche kam. Ohne ein Wort der Begrüßung ging der Jüngere zum Kühlschrank, öffnete diesen und nahm sich eine Flasche Wasser heraus, woraufhin er auch diese Tür nicht gerade leise schloss. Im ersten Moment sahen sich Kenta und Shinji ungläubig an, ehe sie den Blick wieder zu Minoru wandern ließen. Gut es war früh am Morgen und Mino war wahrscheinlich wieder viel zu spät ins Bett gekommen, dennoch…
„Hallo Minoru-kun.“, bemerkte Shin und sah demonstrativ zu dem Jüngeren.
„Was willst du?“, fragte Minoru, sah genervt zu dem besten Freund seines Bruders und trank einen Schluck Wasser, während er sich gegen die Arbeitsplatte lehnte. Sofort war Shinji auf den Beinen und funkelte den Kleineren an.
„Was nimmst du dir heraus? Wir sind deine Senpais, du hast uns zu respektieren!“, fauchte der Ältere. Minoru nickte leicht und sah ihn trocken an.
„Ja klar… warum sollte ich meinen nervigen Bruder und dich respektieren? Bist wohl so ein Wurm, dass du nach Aufmerksamkeit haschen musst. Und warum sprichst du überhaupt so geschwollen? Übt ihr für ein Theaterstück, oder wie? Hiwara-Senpai!“, fragte Mino ebenso gelangweilt, wie sein Blick war, wobei er das ‚Senpai’ schon mehr ausspie. Anschließend verschwand der Jüngste wieder aus der Küche und hinterließ einen sichtlich gereizten Shinji. Dieser drehte sich schnaubend zu Kenta um, welcher Schulter zuckend den Blick senkte und sich wieder auf die vorhin begonnenen Schularbeiten konzentrierte. Es hatte keinen Wert irgendwas zu sagen, da Shinji unglaublich geladen war. Außerdem kannte der seine Einstellung gegenüber seinem Bruder. Es war ein sinnloses Unterfangen. Egal was er sagte, er würde kein Gehör finden, dazu war Kentas bester Freund zu wütend. Zumal Kenta sowieso nicht wusste, warum er seinen undankbaren, kleinen Bruder vor irgendjemandem verteidigen sollte. Schließlich tat Minoru ihm auch keine Gefallen. Ganz im Gegenteil, er machte ihm sogar da Leben schwer. Manchmal wünschte sich der Fußballer, dass es Minoru gar nicht gab oder er sein Heil in der Flucht suchte. Er war eine Zumutung für die Gesellschaft – ganz besonders für Kenta – und eine Last für die Familie. Wie oft hatte der Ältere versucht mit seinem Bruder zu reden, doch die Redewendung ‚auf taube Ohren stoßen’ wäre in diesem Fall noch mehr als geschmeichelt.
Missmutig schnaubte Shinji auf, nachdem er von seinem besten Freund keine Zustimmung erhielt und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken, sah jedoch noch einmal zu Kenta, ehe auch er sich wieder auf seine Aufgaben konzentrierte, die noch vor Schulbeginn fertig sein mussten.
Nach weniger als zwei Stunden waren sie fertig und zogen sich um, um zum Fußballtraining zu gehen. Auf dem Weg war die Stimmung trotzdem noch immer gedrückt und irgendwie hatte Kenta das Gefühl, dass da noch was anderes war, was seinen besten Freund beschäftigte.
Leicht besorgt blickte der junge Mann zu Hiwara und fasste ihn am Arm, zwang ihn so stehen zu bleiben.
„Shinji? Was ist lost? Hast du Ärger?“, erkundigte er sich leise und versuchte dem Anderen in die Augen zu sehen. Allerdings wich Shinji diesem Blick aus, was Toru doch ziemlich irritierte. So etwas tat er doch sonst nie.
„Nein. Es ist alles in Ordnung.“, gab Shin zurück, ehe er sich aus dem Griff des Anderen wand und sich zu den Umkleiden begab, um sich die Fußballsachen anzuziehen. Kenta selbst blieb verwirrt zurück. Was war denn mit dem los?
Leicht schüttelte er mit dem Kopf, folgte Shinji dann, wobei er feststellte, dass dieser ihm auch dort noch aus dem Weg ging. Offenbar hatte Minoru geschafft, was dem Brünetten in 14 Jahren Freundschaft nie gelungen war. Etwas missmutig folgte Kenta den anderen Spielern auf den Platz und machte sich dort warm. Immer wieder wanderte sein Blick zu seinem besten Freund und nicht nur einmal fragte er sich, was zwischen seinem kleinen Bruder und ihm vorgefallen war, dass sie sich immer beinahe an die Gurgel gingen, wenn sie sich sahen. Nicht, dass sie überhaupt jemals wirklich dicke gewesen waren, aber irgendwie war das in den letzten Wochen extrem geworden. Die hatten doch alle einen Sockenschuss. Die Hitze tat ihnen offenbar nicht gut.
„TORU!!“ Erschrocken fuhr der Mannschaftskapitän aus seinen Gedanken und sah auf, in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Gerade sah er noch den herannahenden Ball, ehe er sich auf dem Boden wiederfand und ordentlich Schmerzen an der linken Schläfe verspürte. Im letzen Moment hatte er den Kopf zur Seite gedreht und war dadurch wahrscheinlich einer gebrochenen Nase entgangen. Sofort stürmte der Trainer auf das Spielfeld zu seinem besten Spieler.
„Kenta-kun! Ist alles in Ordnung?“, fragte er sofort, als er bei ihm angekommen war. Langsam richtete sich der Fußballer auf, hielt sich jedoch den schmerzenden Kopf.
„Ja. Es geht schon…“, murmelte er. Ihm war ein wenig schwindlig und es kam ihm vor, als ob sein Kopf gleich explodieren würde. Kurz schloss der junge Mann die Augen und atmete einmal tief durch. Offenbar war seine halbherzige Zusage nicht einmal annähernd so überzeugend gewesen, wie sie sein sollte, denn er spürte, wie er vorsichtig auf die Beine gezogen und gestützt wurde. Fragend blickte Toru zu demjenigen, der sich gerade seinen Arm um den Nacken legte.
„Nun steht nicht alle rum, wie die Bäume im Wald. Helft mir lieber, er ist nämlich schwer.“, knurrte Shinji, woraufhin sofort jemand an die beiden herantrat und Kenta in die Mitte nahm um ihn ebenfalls zu stützen. So schnell es ging verließen sie den Platz und steuerten auf das Schulgebäude zu, damit sie ihren Kapitän bei der dort ansässigen Krankenschwester untersuchen lassen konnten.
„Tut mir leid. Der war eigentlich nicht für dich gedacht.“, murmelte Shin ein wenig verlegen. Er hatte voll abgezogen, da er den Ball einmal quer über da Feld hatte schießen wolle, wobei ihm Kenta direkt in die Schussbahn gelaufen war. Ein typischer Fall von dumm gelaufen – und dass im wahrsten Sinne des Wortes. Und so wie Toru gerade drauf war, würde er wohl mindestens den Tag hier verbringen, wenn sie ihn nicht direkt ins Krankenhaus schafften. Leise stöhnte Kenta auf und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
„Verflucht… der hätte mal für ein richtig ordentliches Tor gereicht, wenn du nah genug dran gestanden hättest.“, knurrte er und Shinji musste lachen.
„Tja Dicker. Da war wohl mal wieder dein Dickschädel im Weg..“, grinste Hiwara und setzte ihn auf dem Bett ab, welches für die kranken und verletzten Schüler bestimmt war, wenn die Schwester sie untersuchte.
Kapitel 3
Tatsächlich hatte Kenta den Tag in dem Bett verbracht, während die Schwester versucht hatte, die Schwellung an der Schläfe des Fußballers möglichst klein zu halten. Außerdem hatte sie ihm Mittel gegen die Kopfschmerzen gegeben, die Kenta erst einmal in das Land der Träume verfrachteten.
Als der Brünette wieder aufwachte, streckte er sich vorsichtig und ließ den Blick kurz orientierungslos durch den Raum schweifen. Er blieb an dem Tisch hängen, der ziemlich nah an seinem Bett stand. An diesem saß Minoru und der Brünette glaubte seinen Augen nicht trauen zu können.
Es war nicht die Tatsache, dass sein kleiner Bruder bei ihm saß, was den Mannschaftskapitän überraschte, sondern die Tatsache, dass er Hausaufgaben zu machen schien. Der Jüngere machte doch sonst nie Hausaufgaben. Nie war vielleicht ein wenig übertrieben, aber Kenta hatte ihn einfach noch nicht oft daran sitzen sehen.
Langsam setzte sich der Ältere auf, was ein leises Rascheln der Bettdecke verursachte. Es dauerte einen kleinen Moment bis Minoru den Blick hob und seinen Bruder musterte.
„Hat Dornröschen endlich ausgeschlafen? Wurde auch langsam Zeit. Wegen dir musste ich hier bleiben.“, brummte der Jüngere und machte damit unmissverständlich klar, dass er nicht freiwillig hier war, sondern die Order von ihren Eltern kam. Wahrscheinlich machten sie sich Sorgen, dass Kenta auf dem Heimweg zusammenbrachen könnte – was natürlich absoluter Quatsch war, da es ihm schon wieder viel besser ging.
„Tut mir leid. Ich hoffe, dass die Warterei nicht so extrem langweilig für dich war. Aber du hattest ja offensichtlich genug zu tun.“, gab der ältere Toru leise zurück und verbeugte sich leicht vor seinem Bruder. Dieser verdrehte die Augen und packte den Papierkram in die Umhängetasche auf seinem Schoß. Minoru hatte sich schon oft über die Unmöglichkeit ausgesprochen, dass an dieser Schule wirklich alles einheitlich war.
Lächelnd bemerkte Kenta, dass es sich um die Tasche handelte, die er ihm geschenkt hatte, als sich herausgestellt hatte, dass auch Mino auf die High-School gehen würde, die der Ältere besuchte.
Die Eltern hatten dem Jüngsten die gebrauchte Uniform seines Bruders und eine ebenso gebrauchte Umhängetasche gegeben. Kenta wusste, dass sein kleiner Bruder nicht viel auf materielle Dinge gab, aber doch hatte man ihm förmlich die Wut und Enttäuschung angesehen. Jeder in der Familie hatte sich in Ignoranz geübt und darüber hinweg gesehen. Wenn der Brünette nun so darüber nachdachte, dann zog Minoru oft den Kürzeren. Allerdings brauchte ihn das auch nicht verwundern, so wie er sich teilweise aufführte.
„Kommst du heute noch in die Gänge, oder willst du hier Wurzeln schlagen?“, riss ihn der Jüngere mit lauter Stimme aus den Gedanken. Leicht fuhr Kenta zusammen, schüttelte dann jedoch mit dem Kopf und schwang die Beine aus dem Bett. Rasch zog er sich die Schuhe an und machte das Bett, ehe er Minoru zunickte.
„Ich brauche noch ein, zwei Schulbücher aus dem Klassenraum und meine Sporttasche.“, sagte der Ältere und aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Bruder zusammenzuckte.
„Lass doch die Sporttasche hier. Du hast morgen doch sowieso wieder Training.“, warf dieser dann auch schon ein und legte sich die Tasche über die Schulter. Kenta schnaubte. „Ich will endlich nach Hause. Ich war jetzt wirklich lange genug wegen dir in der Schule.“ Wie konnte man nur so egoistisch, wie dieser kleine Scheißer sein? So etwas war Kenta wirklich unbegreiflich.
„Und was soll ich morgen in der Schule anziehen? Meine andere Uniform ist in der Wäsche. Und ich werde sicherlich nicht in Sportklamotten n die Schule gehen!“, schmetterte der Fußballer dem Kleineren entgegen, bevor dieser den Vorschlag überhaupt machen konnte. Etwas beleidigt schnappte Minoru nach Luft und schüttelte mit dem Kopf.
„Das ist doch behindert. Immer muss es um dich gehen, Kenta.“, blaffte er und funkelte den Älteren an. Dieser verdrehte nur die Augen und ließ seinen Bruder einfach stehen. Einen kurzen Moment blieb das schwarze Schaf der Familie stehen, ehe es einmal fluchte und sich dann anschickte dem Älteren zu folgen.
„Nee!“, rief er ihm hinterher, woraufhin Kenta nur noch schneller lief. Auch Minoru zog sein Tempo an, begann schließlich zu rennen und holte seinen Bruder kurz vor der Umkleide ein, stellte sich ihm in den Weg, indem er die Tür mit dem Körper blockierte.
„Was soll das Minoru? Hör auf mit dem Mist und lass mich durch!“, fauchte der Brünette und packte die Schulter des Kleineren, um ihn zur Seite zu schieben. Doch Minoru stemmte sich gegen den Türrahmen, was zur Folge hatte, dass Kenta ihn nicht wirklich bewegen konnte.
Schließlich drückte der Ältere seinen Bruder mit dem Körper gegen die Tür selbst und griff dann hastig hinter ihn. Bevor Mino sich wieder so hinstellen konnte, dass der Dunkelhaarige nicht mehr an den Türgriff kam, schlug dieser auf diesen und fiel somit mit seinem Bruder in den Umkleideraum, als die Tür aufsprang. Seine Beine verhedderten sich in denen des Jüngeren, woraufhin sie noch beide der Länge nach hinschlugen.
Kenta knallte mit dem Kinn auf das Jochbein von Minoru, was diesen schmerzerfüllt aufschreien ließ. Auch der Ältere keuchte auf, jedoch weniger wegen dem Schmerz, der sich durch seinen Unterkiefer zog, sondern eher wegen dem Anblick, der sich ihm bot. Die Augen weiteten sich, füllten sich zeitgleich mit Tränen. Minoru gab keinen Mucks von sich. Genau aus dem Grund hatte er nicht hierher kommen sollen. Urplötzlich holte Kenta aus, verpasste dem Jüngeren eine schallende Ohrfeige und sprang auf, um aus dem Raum zu stürmen.
„KENTA!!!“, hallte der Schrei der Stimmen seines besten Freundes und seiner Freundin nach, doch der Fußballer blieb nicht stehen, sondern lief, bis ihn seine Beine nicht mehr trugen und er auf die Knie sank. Noch immer raste sein Herz und die Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum, versuchten einzuordnen, was gerade geschehen war.
Es begann zu regnen und langsam nahm Kenta seine Umgebung wieder wahr, stellte fest, dass er geradewegs in den Park gelaufen war. Er kniete mitten auf dem Weg, Strähnen hingen ihm wirr ins Gesicht, während er vor sich hinstarrte. Langsam schloss Kenta die Augen, sah wieder das Bild vor Augen. Der entsetzte Blick Yurikos, die schnell die Beine von Shinjis Schultern genommen hatte, der ertappte Gesichtsausdruck seines besten Freundes, der in der Bewegung innehielt und Yurikos Brüste mit den Händen verdeckte. Als ob er, Kenta, kein Recht darauf hatte die Brüste seiner Freundin zu sehen.
Was ihn jedoch am meisten traf, war, dass Minoru die beiden gedeckt hatte. Sein eigener Bruder hatte ihn verraten und lachte sich wahrscheinlich gerade ins Fäustchen, weil Kenta so schockiert gewesen war. Wütend schlug der Schüler auf den Boden vor sich und schrie auf. Es tat so verflucht weh, wenn man einem Menschen das Her brach und der Junge wünschte jedem der drei, dass er einmal selbst in diese Situation kam. Und dann sollten sie an ihn denken und erkennen, was sie ihm angetan hatte.
Langsam erhob sich Kenta, atmete tief durch. Minoru sollte nicht sehen, was er ihm angetan hatte. Er würde stark wie immer sein und sich nichts anmerken lassen. Rückgängig machen konnte er es sowieso nicht mehr.
Demotiviert schlurfte der Fußballer nach Hause, schloss auf und trag ein. Schon an der Garderobe hörte der ältere Sohn der Familie, wie sein Vater tobte. Es löste in ihm eine gewisse Zufriedenheit aus, auch wenn er ein wenig Mitleid mit dem Jüngeren hatte. Als seine Mutter bemerkte, dass ihr Sohn wieder da war, sprang sie von ihrem Platz auf und rannte auf ihren Schatz zu, zog ihn sofort in ihre Arme und schluchzte. Sie mochte es nicht, wenn der Vater ausrastete. Auch wenn Mino ihnen unglaubliche Probleme bereitete, liebte sie ihn. Doch es lag in der Natur des Menschen, dass er sich an Menschen und Dinge hängte, die weniger Probleme machten. So war es eben bei Okaasan auch. Kenta machte keine Probleme, war ein Vorzeigekind. Eigentlich das absolute Gegenteil zu seinem Bruder.
„Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Schnell.. geh bitte zu deinem Vater und bade danach. Du bist vollkommen durchnässt. Wenn du so bleibst, dann holst du dir den Tod.“, forderte sie ihn auf, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie schob ihren Sohn die Treppe hinauf, wobei dieser ein wenig apathisch Widerstand leistete. Er wollte jetzt wirklich nicht hoch. Er hatte keine Lust Minoru gegenüber zu treten. Allerdings ließ seine Mutter nicht locker und spätestens, als Kenta die Stimme seines Bruders hörte, raffte er sich auf und ging doch hoch. Kräftig klopfte er an die geschlossene Zimmertür, von deren Kehrseite laute Stimmen zu vernehmen waren. Ohne auf eine Antwort zu warten, trat er ein, bekam jedoch erst einmal ein Kopfkissen entgegengeworfen.
„HAU AB! Verschwinde aus meinem Zimmer. Hier drin hast du nichts zu suchen!“, brüllte der Jüngste ihm direkt entgegen.
„Wie sprichst du mit deinem Bruder? Denk mal darüber nach, was du ihm verdankst!“, fuhr sein Vater wieder auf und ging zu Kenta, um diesen einmal genau zu mustern. „Und jetzt sieh dir an, wie er aussieht. Klitschnass und dreckig. Geh baden, Kenta.“
„Was ich ihm VERDANKE? Das beschissenste Leben, mit der beschissensten Familie, die es auf der Welt gibt! Und Onii sieht endlich einmal so aus, wie er in seinem tiefsten Inneren ist: ein elendiger Hund.“ Minoru konnte gar nicht so schnell schauen, wie er auf dem Boden lag und schluchzend zu seinem Vater aufsah. Dieser blickte ihn zutiefst verletzt und gleichzeitig wutentbrannt an.
Kenta befand es für besser zu gehen und nun tatsächlich ein Bad zu nehmen. Vollkommen entspannen konnte sich der Brünette jedoch nicht. Seine Gedanken hingen noch immer bei dem Bild in der Umkleide, welches sich förmlich in sein Gehirn eingebrannt hatte.
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2009
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