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Kapitel 1

Ich hasse mein Leben. Wie es dazu gekommen ist? Ganz einfach. Meine Eltern haben sich vor ein paar Wochen scheiden lassen und behandeln mich wie Dreck, mein Grandpa ist am Mittwoch gestorben und meine beste Freundin ist weggezogen. Jeden Tag wird mein Schmerz größer. Aber kümmert das jemanden? Nein. Niemanden interessiert das. Es ist Samstag. Das bedeutet mein Vater kommt und holt mich und meinen Bruder ab. So wie jeden Samstag. Immer das gleiche. Hoffentlich machen wir heute etwas spaßiges und gehen nicht in irgend ein Museum oder auf einen Spielplatz oder so. "Bri! Komm sofort runter! Dein Vater ist da!" Mühsam schleppte ich mich die Treppe runter und lief ins Wohnzimmer. Dort standen sie. Meine sogenannte >Familie<: Ma, Dad und Josh, mein kleiner Bruder. Josh war erst vier darum gingen wir samstags meistens auf irgendeinen Spielplatz oder in Spielzeuggeschäfte oder so. Aber heute war es anders. Heute veränderte sich mein Leben. Ich erzähl euch mal warum. "Hallo, Briana, mein Schatz. Ich habe eine Überraschung für euch zwei." sagte Dad. Ich verdrehte mürrisch die Augen. "Und was ist es diesmal, Dad? Gehen wir an einen anderen Spielplatz als sonst? In ein anderes Spielzeuggeschäft? Machen wir auch mal etwas das ich will? Ich. Ich und nicht Josh. Du denkst nur an ihn! Also was ist die Überraschung, ha? Oh, lass mich raten! Wir gehen in den Zirkus oder so ein Mist." Aber Dad schüttelte grinsend den Kopf. "Nein, Briana. Wir gehen ans Meer." Ich konnte nicht glauben diesen Satz aus dem Munde meines Vaters zu hören. Verwundert starrte ich ihn an und war mir nicht sicher was ich davon halten sollte. „Was? Das Meer? Wirklich? Das meinst du nicht ernst oder? Endlich mal etwas tolles! Oh das wird toll! Ich gehe nur schnell meine Sachen holen. Oh, danke Dad!“ Ich wollte mich gerade umdrehen und die Treppen hochlaufen als mich Dad am Arm griff und den Kopf schüttelte. „Nein, Briana. Dein Bruder und ich gehen an das Meer. Du bleibst hier. Bei deiner Mutter. Ich denke du und Carmen habt viel zu bereden.“ Ich starrte ihn fassungslos an. „Das ist ein schlechter Scherz oder? Was gibt es denn noch zu besprechen? Mom und ich haben gar nichts zu besprechen. Das ist so unfair! Ich hasse euch! Euch alle!“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte in mein Zimmer. Ich hatte gehofft dass sich die Situation bessern würde. Anscheinend nicht.

„Bri! Bri Schätzchen kommst du mal bitte runter?“, rief Mom. Ich rannte die Treppen runter und fand sie in der Küche sitzend vor. „Was ist denn?“ Sagte ich genervt. Sie seufzte. „Bri, dein Vater möchte dass du zu ihm ziehst.“ Ich konnte es nicht fassen! Ich sollte zu meinem Vater ziehen! Weg von Cape Cod! „Seid ihr KRANK? Ich geh doch nicht weg von hier! Ihr seid irre! Was soll der Mist? Ich meine, wieso? Gebt mir ein richtigen Grund!“ Mom sagte nichts als Dad in die Küche kam. „Briana Schatz. Wir denken einfach es wäre besser für dich wenn du bei mir lebst.“ Ich verdrehte genervt die Augen. „Gebt mir einen Grund.“ Mom und Dad wechselten einen nervösen Blick und Dad wiederholte: „Wir denken einfach es wäre besser für dich.“ Langsam ging mir das Gerede auf die Nerven. „Einen Grund! Gebt mir einen gottverdammten anständigen Grund! Gebt mir einen Grund und ich komme mit.“ Wieder wechselten sie einen Blick und das kotzte mich langsam an. Diesmal redete Mom. „Briana Schatz. Wir denken einfach nur dass es für deine Zukunft besser wäre zu deinem Vater zu ziehen. Es würde dir gut tun. Es wäre etwas abwechslungsreiches, Briana.“, „Das ist aber nicht Grund genug, verdammt! Das war kein Grund!“ schrie ich. Und das war der Moment in dem Dad platzte. Er holte aus und traf mich mitten im Gesicht. „Du kommst mit mir! Keine weitere Diskussion! Geh hoch und pack deine Sachen. Morgen reisen wir ab.“ Ich war sprachlos. Mein eigener Vater hatte mich geschlagen. Mein Vater. Dad. Dad hatte mich geschlagen. Ich spürte die Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Plötzlich fing ich an zu husten und konnte nicht mehr atmen. Ich rang nach Luft und Mom blickte mich besorgt an. Ich stürzte zum Fenster und riss es auf. Ein kalter Wind schlug mir ins Gesicht und dich spürte wie meine Luftröhre wieder frei wurde und Luft meinen Körper durchflutete. Dad kam zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter. „Fass mich nicht an!“, schrie ich. „Fass mich nie wieder an.“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und stürzte in mein Zimmer. Ich hörte Mom und Dad schreien und nach ein paar Minuten hörte ich wie die Haustür krachend ins Schloss viel. Ich schmiss mich auf mein Bett und nach mehreren Stunden schlief ich ein.

Als ich aufwachte sah ich auf den Wecker. Es war 2:45. Wow ich hatte lang geschlafen. Mom und Josh schliefen bestimmt schon. Ich zog mir schnell Jeans und ein Pulli an und schlich mich die Treppen runter. Die Schlüssel. Wo waren meine blöden Autoschlüssel? Ich wusste dass ich nicht allzu viel Zeit hatte darum ließ ich es einfach bleiben und ging zu Fuß. Der Weg dauerte nicht zu lang. Als ich vor dem Tor des Friedhofs stand sah ich auf die Uhr. 3:58. Ich Hatte nicht lange gebraucht. Jedenfalls für einen Fußgänger. Mühsam schob ich das Tor auf und sah mich um. Der Wald um den Friedhof herum ließ mich schaudern. Ich lief langsam die Gräber entlang. Eine Reihe nach der anderen. Ich bahnte meinen Weg durch den Friedhof bis ich es fand. Das Grab. Sein Grab. Mein Grandpa. Ich kniete mich vor seinem Grabstein hin. „Hi, Grandpa. Wie geht’s dir? Ich habe vieles was ich dir erzählen muss. Mom und Dad sind auf die dumme Idee gekommen dass ich zu Dad ziehe. Das ist einfach absurd, findest du nicht auch?“ Ich spürte wie mir Tränen die Wangen hinunter liefen und fing an zu schluchzen. Meine Schultern bebten und die Tränen kamen immer schneller. „Ich vermisse dich so sehr, Grandpa. Wieso musstest du gehen? Wieso? Mom und Dad streiten sich noch mehr als zuvor und… Und jetzt ist alles kaputt. Ich vermisse dich so sehr. Was soll ich jetzt machen? Ich will hier nicht weg. Ich will nicht meine Freunde verlassen, dich verlassen! Was soll ich tun? Ich weiß nicht mehr weiter, Grandpa. Du warst immer für mich da, aber jetzt… Jetzt bist du weg.“ Ich saß eine ganze Weile auf dem Boden neben Grandpa bis ich ein Geräusch hinter mir hörte. Ich fuhr herum und sah, dass jemand am Waldrand stand. Es war ein Junge. Langsam kam er ein paar Schritte auf mich zu. Als er nur noch fast einen Meter von mir entfernt war, blieb er stehen. „Alles in Ordnung?“ Seine Stimme war bezaubernd. Er sah mich mit sanften grauen Augen an und eine Strähne seines schwarzen Haares fiel ihm in die Stirn. Ich sah ihn einfach nur an bis ich seinen fragenden Blick bemerkte. „Oh. Uhm. Ja. Mir geht es bestens. Alles okay. Wie kommst du überhaupt darauf dass es mir schlecht ginge?“ Er musterte mich von oben bis unten und räusperte sich. „Oh. Ähm… Naja. Deine Schminke ist verschmiert, deine Haare ungekämmt und deine Klamotten voller Matsch und dein Gesicht glänzt vor Tränen.“ Sagte er. Ich wischte mir mit dem Handrücken übers Gesicht. „Nein. Nichts ist okay. Tut mir leid. Ich muss jetzt sowieso los. War nett dich zu sehen.“ Ich drehte mich zum Grab um flüsterte so leise wie möglich „Tschüss, Grandpa. Ich komme wieder. Versprochen.“, und rannte zurück zum Tor.


Kapitel 2

Ich legte meine Hand auf den Türknopf und in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Mom stand mit wütendem Blick vor mir. Ich wusste was jetzt kam und stöhnte. „Mom, ich hab jetzt nicht den Nerv für deine Standpauken, also fasse ich mich kurz. Ich konnte nicht schlafen und bin zu Grandpa gegangen. Und jetzt bin ich wieder da. Das heißt: Lass es gut sein und stress nicht rum. Ich geh hoch“ Ich drehte mich um doch Mom griff nach meinem Arm. „Hier geblieben, junge Dame. Wir müssen reden.“ Ich verdrehte die Augen und stapfte in die Küche. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und sah Mom fragend an. „Bri, ich ziehe weg. Mit Josh. Du kannst auch mit, oder du gehst zu deinem Dad. Entscheide dich.“ Ich sah sie verwirrt an. „Wie bitte? DU willst weg ziehen? Wohin?“ Mom sah mich mit traurigen Augen an. „New York.“ Ich konnte es nicht fassen. Mom redete weiter. „Bri, schatz. Du kannst auch zu Dad ziehen. Wenn dir das lieber ist.“, „Nenn mich nie wieder >Bri<. Ihr wollt also dass ich hier weggehe. Ok jetzt kommt die Antwort: Nein! Das könnt ihr nicht von mir erwarten. Grandpa liegt hier, Mom. Da kann ich nicht einfach weg. Und zu Dad ziehen? Nein. Niemals. Mein richtiger Dad ist gestorben als er uns verlassen hat. Der Typ der uns samstags immer besuchen kommt ist nicht mein Dad. Er sieht nur so aus. Für mich ist Dad tot. Und das weißt du auch. Ich… Ich komme mit dir. Es steht ja nichts anderes zu Verfügung.“ Mom sah mich traurig an. „Es tut mir so leid, Bri", „Ich hab doch gesagt nenn mich nicht so!“ Tränen stiegen in meine Augen. „Wir gehen nächste Woche. Ich hab eine richtig tolle Wohnung gefunden. Es wir dir gefallen. Du hast ein großes Zimmer und dein eigenes Bad.“ Ich zuckte die Schultern und lief in mein Zimmer.

Die Woche verging wie im Flug. Wir packten alle Sachen in Kartons. Ich saß in meinem Zimmer und betrachtete das letzte Regal welches ich noch leeren musste. Ich nahm das Bild von Mom, Dad, Josh und mir. Eine glückliche Familie. Das waren wir. Vor ein paar Monaten. Ich nahm das Foto aus dem Rahmen und kramte mein Feuerzeug aus meiner Tasche. Ich sah auf meine Uhr. 23:18. Ich öffnete mein Fenster und stellte mich davor, dann zündete ich das Feuerzeug an und hielt es an das Foto. Sofort fing es Feuer. Ein leichter Wind zog auf und ich ließ das Bild los. Ich sah wie es vom Wind davon getragen wurde und wie die Flammen daran leckten und meine Erinnerungen verbrannten.

Montagmorgen. Alle Sachen wurden abgeholt und werden nach New York transportiert. Ich sah auf mein Handy. 7:34. Ich hatte noch 25 Minuten Zeit. Mein Auto wurde nach New York gebracht, darum musste ich laufen. Ich dachte nicht weiter nach sondern rannte los. Ich hörte erst auf zu rennen als ich vor seinem Grab stand. „Hi, Grandpa. Der transportwagen ist schon da. Alles ist gepackt. Wir gehen in…“ Ich sah wieder auf die Uhr. 7:44. „Wir gehen in elf Minuten. Ich konnte nicht gehen ohne mich zu verabschieden Grandpa. Darum hab ich dir was mitgebracht.“ Ich griff in meine Tasche und zog eine Zeichnung heraus. „Das sind Josh und ich. Ich hab ein Foto als Vorlage verwendet. Ich hoffe es gefällt dir.“ Ich legte es vor sein Grabstein. Plötzlich kamen die Tränen und liefen mein Gesicht hinab und ich fing an zu schluchzen. Ich hörte plötzlich ein lautes Donnern und dann fing es auch an in Strömen zu gießen. Grandpa liebte den Regen. Dann fiel mir meine Zeichnung wieder ein. Ich sah zu wie sie nass wurde und die feinen Linien alle in einander verschmierten und am Papier herunter liefen. Meine Tränen vermischten sich mit dem Regen genau wie die Zeichnung. Ich atmete tief ein und stand auf. Langsam lief ich zurück nach Hause.

Mom stand auf der Veranda und wartete mit einer neuen Standpauke auf mich. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich war zwanzig Minuten zu spät, meine Klamotten waren total durchnässt, meine Haare hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und hingen mir schlaff über die Schultern, meine Hose war mit Schlamm bedeckt und meine Schminke verschmiert. Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen doch Mom unterbrach mich. „Kein Wort. Ins Auto. Sofort.“ Schweigend liefen wir ins Auto und Mom fuhr ohne ein weiteres Wort los.

Wir kamen an. Es war ein zweistöckiges Appartement im seibten Stock mit vielen Zimmern und noch mehr Fenstern. Ich hatte mein eigenes Zimmer und Bad. Mein Zimmer (ich konnte es nicht leugnen) war einfach toll. Die Wände waren dunkelgrün gestrichen und die Möbel waren aus dunklem Holz. Der Boden war mit dunkelbraunem Parkett belegt und darauf lag ein magentafarbener Teppich. Ich lief ins Badezimmer und bleib wie angewurzelt stehen. Es war riesig! Mit einer Badewanne, einer Dusche und das Beste war der riesige Spiegel! Jemand räusperte sich und ich wirbelte herum um Mom im Türrahmen stehen zu sehen. "Mom. Das ist toll. Einfach toll, aber es ist egal wie viel Mühe du dir gibst. Das hier wird nie ein Zuhause für mich sein. Niemals hast du mich gehört, Mom?", sagte ich. Mom starrte mich wortlos an und ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Bri, ich meine, Briana, bitte. Ich strenge mich hier wirklich an. Also, benimm dich bitte. Wir müssen zusammenhalten damit wir das auf die Reihe kriegen.", erklärte sie. Aber all das Zeug interessierte mich nicht. "Mom, wie sollen wir das auf die Reihe kriegen? Erklär mir das mal. Wir werden nähmlich nicht auf die Reihe kriegen. Hörst du? Nichts. Und jetzt geh raus.", sagte ich. Mom war sprachlos. Niedergeschlagen blickte sie mich an und Tränen liefen ihre Wangen hintunter. "Briana, es gibt einen Grund weshalb wir weggezogen sind." Ich rollte mit den Augen. "Und der wäre? Nein, warte. Lass mich raten: Ihr wolltet mich davor bewahren ein totaler Psychopat zu werden. Aber das habt ihr schlecht hingekriegt, denn aus deiner Sicht bin ich das doch. Ein Psychopath. Geisteskrank. Denkst du etwa ich kriege nichts von dem mit was du und Dad besprecht? Denkst du das wirklich? Denn du hast ja behauptet, dass Gradpas Tod mir Probleme verursacht. Und das hast du gedacht weil ich die meiste Zeit auf dem Friedhof verbracht habe. Bei Grandpa. Ich habe Tag und Nacht geweint und weißt du weshalb? Weil ich Grandpa vermisse. Weil er mir am meisten etwas bedeutet hat. Weil er mich geliebt hat. Darum saß ich immer bei ihm, am Friedhof und habe geweint. Aus diesem Grund. Und im Gegensatz zu dir vermisse ich ihn auch." Mom war verletzt, das wusste ich. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und holte einmal tief Luft. "Pack deine Sachen aus und dann komm runter. Um acht gibt es Abendessen.", sagte sie. Und damit marschierte sie aus meinem Zimmer.

Das Abendessen war ein Desaster. Mom versuchte Josh dazu zu bringen seine Erbsen zu essen, als die Tür klingelte. Als keiner Aufstand sah Mom mich fragend an. "Willst du nicht aufmachen?", fragte sie. Ich verdrehte die Augen. "Sieht es etwa so aus als wolle ich sie aufmachen?Nein." Mom warf mir einen wenn-du-nicht-tust-was-ich-dir-sage-dann-kriegst-du-Hausarest-Blick zu und stöhnend stand ich auf und öffnete die Tür. Ein Mann stand davor. "Guten Tag. Du musst Briana sein.",sagte er. "Ähm, ja. Und sie sind...?" Wer war dieser Typ?. "Das," Moms Stimme ertönte hinter mir. Sie hatte Josh auf dem Arm und lächelte den Mann an. "Das ist John Mayden. Euer neuer Stiefvater."


Kapitel 3

"Stiefvater?!", rief ich. Mom nickte eifrig. "Benimm dich.", zischte sie. Sie schob sich an mir vorbei und trat neben John. Idiot, dachte ich. Alle beide. "Bri, ich meine, Briana. Wir wollten dich fragen ob du unsere Trauzeugin sein möchtest.", sagte Mom mit einem großen Lächeln auf den Lippen. Ich war sprachlos. Dachte Mom wirklich ich würde ihre Trauzeugin werden? Auf der Hochzeit von ihr und John? Das war absurd. Krank. "Du denkst wirklich ich möchte deine Trauzeugin werden? Seine Trauzeugin? Nein Danke." Mom hatte einen verletzten Ausdruck auf dem Gesicht. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch ich kam ihr zuvor und stürmte die Treppen hoch in mein Zimmer.

Ich packte einen Karton nach dem anderen aus und räumte meine Sachen in Schränke, Regale oder Komoden. Letzendlich war nur noch eine Kiste übrich. Ich hob sie auf und bemerkte die Aufschrift:
Lawrence Blake.
Das war Grandpa. Ich öffnete den Karton und blickte hinein. Ganz oben lag eine alte Taschenuhr. Sie war golden und es waren verschnörkelte Muster eingraviert. Vorsichtig nahm ich sie aus der Kiste und legte sie aufs Bett. Die Kiste enthielt viele Bücher. Bücher über Kunst, Geschichte, die meisten aber waren von Shakespear. Ich legte ein Buch nach dem anderen ganz vorsichtig zu der Taschenuhr. Die Bücher waren alt und wenn ich sie in den Händen hielt hatte ich angst sie würden zu Staub zerfallen. Es lag dann nur noch ein Skizzenblock im Karton. Ich holte ihn raus und legte ihn auf mein Schoß. Ich öffnete ihn und als ich da erste Bild sah stockte mir der Atem. Es war ein Bild von einer jungen Frau. Sie war wunderhübsch. Sie hatte langes, schwarzes Haar, das ihr ins Gesicht fiel. Sie hatte mein Haar. Nein, ich hatte ihr Haar. Die Frau saß in eine Decke gekuschelt neben einem Kamin und war über ein Buch gebäugt. Man konnte sehen wie das Feuer des Kamins sich in ihren Eisblauen Augen spiegelte. Unter dem Bild war ein Kommentar geschrieben:
>Briana Melanie Blake, deine Großmutter. Du siehst genauso aus wie sie, meine kleine Enkelin. Du wurdest nach ihr benannt, Briana. Deine Großmutter starb noch als deine Mutter mit dir schwanger war. Sie wäre bestimmt ganz stolz auf dich.<
Briana Melanie Blake. Meine Großmutter. Tränen stiegen in meine Augen. "Grandma.", hauchte ich. Langsam blätterte ich auf die nächste Seite. Es war eine Zeichnung von Mom und mir im Krankenhaus. Darunter stand:
>Deine Geburt. Meine wunderbare Enkelin. Als ich dich zum ersten Mal in den Armen hielt, fielen mir als aller erstes deine wunderbaren eisblauen Augen auf. Du hast die Augen und das Haar deiner Großmutter. Du bist mein kleines Schneewittchen.<
So hatte Granpa mich immer genannt >Schneewittchen<. Eine Träne fiel auf das Blatt und hastig blätterte ich um. Diesmal sah ich ein kleines Mädchen. Mich. Mein Haar flog wirr um mein Kopf herum und ich lachte und hielt eine Katze auf dem Arm.
>Du hast ein wunderschönes Lachen, Schneewittchen. Du hast damit jeden sofort in deinen Bann gezogen und alle haben es geliebt. Hör niemal auf zu lachen, meine Kleine.<
Das nächste Bild war wieder von mir. Es war mein erster Schultag. Er hatte mich gezeichnet, wie ich mit Rucksack und Schultüte vor dem Eingang der Schule stand.
>Dein erster Schultag. Mein kleines Schneewittchen, wir waren alle so aufgeregt. Du warst ganz stolz auf dich und konntest es kaum erwarten deine Schultüte aufzumachen!<
Es kam noch ein Bild von Mom, Josh und mir. Darunter hatte er:
>Meine lieben Kinder. Seid schön brav und, du meine kleine Enkeltochter, vergiss nie dass ich dich mehr als jeden anderen geliebt habe.< , geschrieben. Das letzte bild war ein bild von mir. Ich saß genau dort wo Grandma gesessen hat als Grandpa das Bild von ihr gemalt hat. Der einzige unterschied zwischen den Bildern war, dass ich ein Skizzenblock auf dem Schoß hatte. Grandpa hatte dieses Bild vor einpaar Wochen gemalt, als wir ihn besuchen gegangen waren. Unter diesem Bild hatte er mir ein Brief geschrieben:
>Mein kleines Schneewittchen. Du bist das Ebenbild deiner Großmutter und hast viele Talente von ihr geerbt. Nur das Zeichnen, das hast du von mir. Du bist schon sechzehn. Du bist so groß geworden. Ich habe dir diese Zeichnungen geschenkt weil dies die schönsten Momente in meinem Leben waren. Ich wusste, seit die Ärzte mir gesagt haben, dass ich Leuchemie habe, dass ich in naher Zukunft strerben würde. Aus diesem Grund habe ich diesen Skizzenblock rausgesucht und ihn deiner Mutter gegeben. Ich habe gehofft dass die ihn dir, mit all den anderen Sachen die ich dir Hinterlassen habe (die Bücher, die Taschenuhr und meine ganzen Zeichensachen) geben würde. Ich möchte, dass du niemals vergisst wieviel du mir bedeutest und das ich nie hätte auf jemanden mehr stolz sein können als auf dich. Schneewittchen, ich wünsche dir noch viel Glück und hoffe innigst dass du immer weiter Zeichnest. Ich liebe dich mehr als alles Andere. Mein kleines Schneewittchen. Vegiss mich nie.
Dein, Grandpa.<

Tränen liefen mir die Wangen hinunter. "Ich werde dich nie vergessen. Grandpa.", flüsterte ich. Ich blickte in die Kiste und sah einen glänzenden Holzkasten. Den hatte ich vorher garnicht gesehen. Behutsam holte ich in aus dem Karton und öffnete ihn. Ich sog scharf die Luft ein. Der Kasten war gefüllt mit Zeichenmaterial. Weißes Zeichenpapier, Kohlenstifte, Bleitifte, Buntstifte, Ölkreiden, Kreide und sogar Tusche und all das ganz fürsorglich eingeordnet. An der Innenseite des Deckels war eine Nachricht geklebt:
>Viel Spaß, mein Schneewittchen.<
"Grandpa." Ich klemmte mir den Kasten unter den Arm und stand auf. Leise lief ich die Treppen runter. Mom hörte meine Schritte und stand in Null Komma Nichts vor mir im Flur. "Und wo willst du hin, Fräulein?", wollte sie wissen. Ich seufzte. "Ich will nur raus und Zeichnen. Oh, und, ich habe die Sachen gefunden die Grandpa mir hinterlassen hat. Nett dass du sie mir gegeben hast. Ich hab sie in einem Karton in meinem Zimmer gefunden. Ich meine, ich bin sechzehn! Du hättest es mir geben sollen.", sagte ich. "Ja. Ich weiß, ich hätte sie dir geben sollen. Ich habe den Karton einfach in den Flur gestellt gehabt. Du hast ihn wahrscheinlich aus Versehen mit in dein Zimmer genommen. Viel Spaß mit den Sachen. Dein Großvater hat mir verboten die Sachen anzuschauen. Er hat mir nur den Karton gegeben und gesagt, ich solle ihn der geben sobald er gestorben ist. Aber ich konnte es einfach nicht. Ich dachte es würde dir einfach noch schwerer fallen loszulassen.", erklärte sie. "Hmpf.", machte ich und schob mich an ihr vorbei und aus dem Haus. "Komm nicht zu spät!", rief sie mir nach. Ich ignorierte sie und lief aus dem Haus.
Überall Hochhäuser und Wolkenkratzer. Aber das wollte ich nicht Zeichnen. Ich lief die Straßen entlang, bis ich irgendwann im Central Park ankam. Ich lief durch den Park und setzte mich nach einer weile unter eine Trauerweide. Weiter vorne ging die Sonne unter und verschwand ganz langsam hinter einpaar Eichen und die Äste der Truerweide bildeten einen Vorhang um die Eiche herum. Es war wunderschön und etwas woran ich mich erinnern wollte. Sofort holte ich Skizzenblock und Kohlenstift aus dem Kasten und fing an zu Zeichnen.

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Tag der Veröffentlichung: 18.07.2011

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