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Der bayrische Fuß und eine mathematische Formel

Wir befinden uns im Turnraum des Seniorenheims in Odelzhausen, einer Ortschaft im „gar so schönen Bayernland“. Die Gymnastiklehrerin, eine gebürtige Braunschweigerin, ruft: „So, legen Sie sich bitte auf die Seite. Und Füße strecken - flexen, strecken - flexen!“. Zehn Damen im Alter zwischen 72 und 86 Jahren liegen auf dem Boden und versuchen in dieser seitlichen Lage krampfartig ihre Beine hochzustrecken und zu „flexen“. Es sieht so aus, als würden dort 10 Frösche versuchen, in der Luft zu schwimmen. Das klappt irgendwie nicht. Die Braunschweigerin: „Nur die Füße, nur die Füße“. Die Froschlandschaft ändert sich nicht. Die Beine versuchen sich in dieser recht unstabilen Position nach oben und nach unten zu bewegen. „Nur die Füße, meine Damen“ die Stimme der Lehrerin klingt inzwischen leicht verzweifelt. "Nu Himmel-herrgott-sakra, mi leckst am Oarsch! Des tun mia ja de ganze Zeit“ grölt einer der Frösche. Jetzt bimmelt es bei der Übungsleiterin: „Ich meine nicht die bayrischen Füße, ich meine nur die Füße“. Und führt die Übung vor. „A so, die Fiaß“ (Ach so, die Füße) antwortet eine. Und nun zur Erklärung: Die Menschen in Bayern haben ein anderes anatomisches Verständnis als die restliche deutsche Bevölkerung. Der bayrische Fuß fängt genau unterhalb des Gesäßes an und hört bei den Zehen auf, der bayrische Fuß ist nämlich nichts anderes als das Bein.

Ortswechsel. Ein Krankenhaus einer großen bayrischen Stadt. Ich fahre mit dem Aufzug und lausche ungewollt dem Gespräch zweier Krankenschwestern. „Des war knapp“ sagt die eine.“Was war knapp?“ frage ich mich. Zwecks besserer Verständigung werde ich die Fortsetzung des erlauschten Gesprächs auf hochdeutsch wiedergeben.“Da hätten wir doch beinahe dem falschen Meir Anton den Zeh amputiert.“ Die andere Schwester antwortet mit einer überraschenden Gleichgültigkeit „ Ja, mai, wenn die beiden Herrschaften gleich heißen, dann können wir nichts dafür. Das kann halt vorkommen.“

Wenn man einem Bayern eine Maß Bier falsch einschenkt, d.h. nicht voll bis zur Glasoberkante, dann ist man der Inbegriff eines Schwerverbrechers. Dem falschen Meir Anton einen Zeh abzuhacken kann einfach mal vorkommen. Das ist das bayrische Prinzip der Unverhältnismäßigkeit. Diese Geschichte hat meines Erachtens allerdings zwei Haken: Der erste Haken ist, dass die Geschichte echt ist und der zweite ist, dass sie leider diesen Eltern recht gibt, die ihren Kindern solche Namen wie Florentine Konstanze Ada Clementine geben. Früher hielt ich solche Namensgebungen für leicht prätentiös, heute weiß ich, dass es sich dabei lediglich um eine medizinische Sicherheitsmaßnahme handelt. Auch das habe ich gelernt!

Und nun zum dritten Tatort: eine HNO-Praxis in der bayrischen Hauptstadt. Ich gehe zu der Arzthelferin am Empfang und sage „Grüß Gott, mein Sohn Lucas Lindemair hat einen Termin bei Dr. Lang um 15:45 Uhr“. Die Dame schaut in ihr Terminbuch “ Lucas, Lindemair, Lucas Lindemair. Hobn mia ned. (Übersetzung des Autors: Haben wir nicht). „ Wie? Ich habe letzte Woche angerufen und diesen Termin ausgemacht“ sage ich. „Hobn mia ned“ sagt sie. Ich schiele etwas frech und indiskret in den Terminkalender und siehe da: Ich erkenne eindeutig den Namen meines Sohnes. „Da steht er ja“ sage ich siegessicher. „Ach soo, des is da Lindemair Lucos“ lautet ihre Antwort. Jetzt muss ich kurz überlegen. In Mathematik hatte ich gelernt, dass die Reihenfolge der zu addierenden Faktoren das Produkt nicht ändert. In Bayern gilt die Formel nicht. Der Lucas Lindemair ist nicht dem Lindemair Lucas gleichzustellen. Die zwei komplett unterschiedlichen Mair Antons allerdings durften problemlos gleichgestellt werden. „Sie sind um dreiviertelvier dran“ sagte mir noch zum Abschluss die freundliche Arzthelferin. Ich hole meinen Rechner raus und nach ein paar Kalkulationen stelle ich mit Erleichterung fest, dass dreiviertelvier mit der von mir aufgeschriebenen Uhrzeit übereinstimmt, nämlich 15:45 Uhr.

Und dennoch mag ich dieses Land, es ist dem Himmel so nah und das überaus präzise eingeschenkte Bier schmeckt wirklich gut.

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Tag der Veröffentlichung: 06.08.2009

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