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„Lass sie endlich in Ruhe! Sie hat kein Interesse an dir!“, schrie Vivien Dreher den schwarzhaarigen Jungen, der ihr Gegenüber stand, an. Beide befanden sich auf dem leeren Schulhof, es war schon dunkel.
„Was soll das heißen?“, fragte Jonas leise nach, er verstand nicht was Vivien wollte. Sie war eine der wenigen Freundinnen seines Schwarmes Bea. Eigentlich hatte er sich hier mit ihr treffen wollen um herauszufinden wie er Bea für sich gewinnen konnte, da diese kein Interesse an ihm zu haben schien. Auch wenn sie ihm manchmal Blicke zuwarf und Rot wurde wenn er sie dabei ertappte, stritt sie es immer ab und weigerte sich mit ihm auszugehen.
Jonas verstand nicht warum. Okay, er hatte nicht den besten Ruf was Mädchen anging, aber sie war etwas Besonderes. So wie für sie hatte er noch nie empfunden.

Vivien zuckte zusammen als er nachfragte. Sie wusste, das Bea ihn interessant fand, doch sie tat das ebenfalls. Alle Mädchen auf der Schule standen auf Jonas. Er war heiß und reich. Sie musste ihn unbedingt von ihrer Freundin ablenken.
„Genau das was ich gesagt habe. Sie hat einen Freund. Er ist älter.“, behauptete die Blondine und machte einen Schritt auf Jonas zu. „Sie hat nie etwas von ihm erzählt.“, beharrte Jonas und überlegte fieberhaft ob er jemals etwas in die Richtung vernommen hatte.
„Er ist ja auch schon 27. Ihre Familie würde…“, Vivien beendete den Satz nicht.
Es war falsch was sie hier tat! Sie durfte Bea nicht so in den Dreck ziehen. Ihre Freundin hatte schon genug durchgemacht.
„Ist ja auch egal.“, schnurrte Vivien plötzlich und überbrückte nun den letzten Abstand zu Jonas. Dieser wich zurück als die blonde Schönheit versuchte ihn zu küssen.

Der 18-jährige hätte sich nicht mit ihr treffen sollen. Sie erzählte doch nur Lügen. Wenn Bea das wüsste…
Jonas hatte einmal mit Vivien geschlafen, ja, aber er hatte nie etwas für sie empfunden. Sie war nur ein One-Night-Stand gewesen. Wie viele andere vor ihr.
Plötzlich klingelte ein Handy und Vivien holte ihr Smartphone aus der Hosentasche.
Jonas nutze die Chance und drehte sich weg um zu verschwinden, doch da sah er wer Vivien anrief. Bea stand am Schultor, Jonas sah wie ihr Mund sich bewegte und er hörte auch wie Vivien versuchte Bea zu beruhigen, die mit Tränenüberströmten Gesicht da stand und obwohl sie noch immer mit Vivien stritt nur Augen für ihn zu haben schien.

Bea war tief enttäuscht. Sie hatte Vivien anvertraut, dass sie sich in Jonas verguckt hatte. Vivien war die letzte Person gewesen der sie vertraut hatte. Vivien wusste Dinge von ihr, die sie niemals jemand anders erzählt hätte, doch auch sie wusste nicht alles.
Bea hatte lange nicht mehr weinen müssen, dafür war ihr Leben zu verkorkst, aber in dem Moment als sie Jonas und Vivien im dunklen Schulhof erkannt hatte war ihr klar geworden, dass die Freundschaft zwischen ihr und Vivien unwiderruflich zerbrochen war.
Sie hatte so lange gehofft, dass das schon wieder werden würde, doch nun würde sie ihr nie wieder vertrauen können. Obwohl…
Vielleicht gab es ja eine Erklärung dafür?
Nein. Beas Verstand schaltete sich ein.
Das Mädchen mit den kurzen dunkelbraunen Haaren wischte sich die Tränen vom Gesicht. Wenn es hierfür eine Erklärung geben würde, die nicht besagte, dass Vivien keine Freundin war, dann war die Welt ein guter Ort.
Doch das war sie nicht.
Sie war voll mit Lügnern, Betrügern und schlechten Menschen.
Inzwischen hatte auch Vivien ihre Aufgelöste Freundin bemerkt und hatte aufgelegt um auf Bea zuzulaufen, ihre Freundschaft zu retten.
Bea wollte jedoch nichts hören. Mit einem letzten Blick auf Jonas, der sie traurig ansah und einige Schritte in ihre Richtung gemacht hatte, rannte sie davon.
Egal wohin.
Nur weg von dieser Szene.

Vivien und Jonas blieben zurück. Beide wussten nicht was sie tun sollten. Jonas überlegte fieberhaft wie er jetzt überhaupt noch eine Chance bei der braunhaarigen Schönheit haben sollte. Vivien war verwirrt und suchte die Schuld bei Jonas.
„Das ist alles deine schuld!“, schrie sie den großen Jungen an, der aus seinen Gedanken gerissen worden war und nicht wusste was er verbrochen haben sollte.
„Würdest du ihr keine Hoffnungen machen, würde sie auch nicht denken du würdest etwas von ihr wollen.“, schrie die zierliche Blondine und ihre blauen Augen blitzten wütend auf.
Jonas hob schützend die Arme, hatte das Gefühl Vivien würde sich jeden Moment auf ihn stürzen. „Ich habe Gefühle für sie, aber du willst das nicht wahr haben.“, erwiderte er und machte sich auf den Weg zu seinem Auto, dass er an der Straße geparkt hatte.

Vivien blieb schluchzend zurück. Sie hatte alles zerstört.
Jonas mochte sie nicht und Bea wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Das war alles die Schuld von Jonas.
Hätten sie beide sich nicht in ihn verliebt wären sie noch befreundet. Dann wäre das alles nicht passiert!

Bea saß auf einer Bank in ihrer Wohnstraße als ihr Handy klingelte. Sie hatte gedacht es wäre wieder Vivien, wollte sie schon wegdrücken, doch ihr Handy zeigte eine unbekannte Nummer. Stirnrunzelnd ging sie ran.
Es war halb elf, wer rief sie da an?
„Bea Weber.“, meldete sie sich. Der Hintergrund war laut; eine Party. Erst nach Sekunden meldete sich jemand.
„Hallo?“, fragte der Anrufer. „Ja, hallo. Hier ist Bea Weber, wer ist da?“, fragte Bea, wollte schon auflegen, weil sie dachte es hätte sich jemand verwählt, als der andere doch noch antwortete. „Hier ist Samir. Kennst du mich?“ Bea überlegte krampfhaft, kam zu einem Ergebnis. „Ja, Valentin hat dich glaub ich mal erwähnt. Was ist mit ihm?“, fragte Bea hektisch.
Sie sprang von der Bank auf und wollte schon nach Hause laufen. „Es geht ihm gut. Er hat nur zu viel getrunken. Ich wollte Bescheid sagen dass er bei mir pennt.“, berichtete Samir und Bea seufzte auf. Scheiße. Nicht schon wieder.
„Ich… Mir wäre es lieber wenn…“, begann Bea, doch Samir schien zu wissen was sie sagen wollte. „Ich bin nicht mehr nüchtern, ich kann ihn nicht bringen und er schläft auch schon. Ich pass auf ihn auf und schick ihn morgen nach Hause.“, versuchte Samir Bea zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht.
„Kannst du ihn auch zur Schule schicken?“, fragte sie hoffnungsvoll, doch Samir lachte nur auf. „Er war doch schon seit Wochen nicht mehr.“
Bea wusste das, doch sie hatte noch immer die Hoffnung, dass ihr Bruder eines Morgens aufstehen und wieder zur Schule gehen würde. So wie früher.
„Bitte pass gut auf ihn auf.“, bat Bea Samir und als dieser ihr dies versicherte dankte sie ihm.
Sie war Samir ehrlich dankbar, denn er war der erste der angerufen hatte damit sie sich nicht sorgen musste. Es ging ihr wirklich an die Nieren jeden Abend zu Bangen ob Valentin nicht irgendwo auf der Straße lag, oder das er es übertrieben hatte und im Krankenhaus lag, wie drei Wochen zuvor.
Man hätte meinen können die Alkoholvergiftung wäre ihm eine Lehre gewesen, doch er hatte nichts daraus gelernt.
Bea riss sich zusammen, begab sich zum Haus ihrer Familie. Das Haus war dunkel. Natürlich, wie sollte es auch anders sein?
Ihr Vater war kaum mehr zu Hause. Entweder trieb er es mit seiner Sekretärin oder arbeitete wirklich. Ihr Bruder war ja bei Samir und so blieb nur sie übrig.
Ruhelos strich Bea durch das moderne, luxuriöse Haus.
Es gefiel ihr nicht. Es war kalt und steril, doch ihr Vater hatte es unbedingt renovieren lassen wollen.
Nun erinnerte nichts mehr an ihre Mutter, nur die Geige, die dank ihr einen Platz in der Vitrine des Wohnzimmers erhalten hatte.
Manchmal stand sie Stundenlang davor und stellte sich vor wie ihre Mutter darauf spielte, aber das würde sie wohl nie wieder tun, dachte Bea traurig.
Die 16-jährige konnte die ganze Nacht nicht schlafen.
Ruhelos drehte sie sich von einer Seite auf die andere, doch das brachte nichts. So stand sie auf und rannte die Straße auf uns ab bis sie kaum mehr Luft bekam und sich um drei Uhr morgens endlich schlafen legen konnte.

Jonas erwachte mit dem festen Vorhaben Bea die Szene vom Vortag zu erklären, doch er ging nicht in ihre Klasse und hatte nicht gewusst, dass Beas Klasse, in der auch Vivien war, an diesem Tag einen Ausflug zu einem Kohlekraftwerk machen würde.
Also würde er entweder am Abend bei ihr zuhause auftauchen oder das Ganze bis auf den nächsten Tag verschieben müssen. Dies würde jedoch auf das gleiche hinauslaufen, da der nächste Tag ein Samstag sein würde und Jonas auf keinen Fall bis nach dem Wochenende warten wollte. Der attraktive Junge hatte schon in dieser Nacht kaum schlafen können.
Jonas beschloss für sich selbst sein Glück am nächsten Tag zu versuchen und zu hoffen, dass Bea ihn anhören würde.
Bea war eine Schönheit mit den hohen Wangenknochen, ihren kurzen braunen Haaren, die sie immer modisch stylte und den intensiven grün-braunen Augen.
Diese Augen hatten schon alles ausgedrückt wenn er hinein gesehen hatte, doch nie Glück. Meist war es Angst gewesen und er hatte sich immer gefragt was an ihm so beängstigend war.
Er war groß, 1,87m, doch auch sie war über 1,80m. Sein Körper war muskulös, er hatte breite Schultern, doch er sah nicht aus wie ein Bodybuilder oder ein Möchtegern Mafioso.
Seine schwarzen Haare und die braunen Augen wirkten auf die meisten Mädchen attraktiv und auch sein Körper hatte bis jetzt noch kein Mädchen abgeschreckt.
Warum also fand Bea ihn nicht attraktiv?
Er war nicht gerade bekannt dafür lange Beziehungen zu führen, dass gab er zu, doch Bea war anders. Es war nicht ihr wunderschönes Aussehen das ihn fesselte, sondern ihr Charakter.
Sie war ein Überraschungspaket. Bei ihr wusste man nie was passierte.
Sie war zu den schwachen freundlich und half ihnen gegen die beliebten, die sich einen Spaß daraus machten die Computerfreaks und uncoolen zu ärgern.
Bea hatte den Respekt von denen die nicht einmal die Lehrer respektierten und das imponierte ihm. Das beeindruckte ihn, denn sie verdiente sich ihren Respekt nicht mit Sex oder Trinken, sondern mit Freundlichkeit.
Und doch hatte sie nur wenige Freunde. Eine dieser war Vivien gewesen, doch Jonas war sich nicht sicher ob diese Freundschaft weiter bestehen würde.
Er hatte diese Freundschaft sowieso nie verstanden.
Vivien war ein Modepüppchen und schlief sich mehr oder weniger beliebt.
Man sollte meinen Bea verachte diese Personen, dennoch war sie mit Vivien befreundet.

Bea hatte verschlafen und da sie sowieso nicht mit zum Ausflug gewollt hatte war sie einfach im Bett liegen geblieben.
Um neun hatte sie sich aus dem Bett gequält und war einkaufen gegangen. Sie hatten fast nichts mehr im Haus, aber das fiel den anderen nur auf wenn sie selbst etwas wollten und es nicht da war.
Bea ging in den Supermarkt und holte einen Anzug ihres Vaters aus der Reinigung, dann ging sie zum Optiker um die neue Brille ihres Vaters abzuholen und schaute beim Friseur vorbei.
Als Bea das Haus betrat war es schon halb eins, doch es war ja nicht so als würde jemand auf Essen warten.
Valentin war noch immer nicht zurückgekehrt, doch sie vertraute darauf dass Samir sein Versprechen gehalten hatte.
Nachdem Bea sich ein Brot geschmiert hatte machte sie die Wäsche. Sie schmiss die Schmutzwäsche in die Maschine und die feuchte in den Trockner oder hängte die wenigen Sachen die nicht in den Trockner durften auf die Wäscheleine im Garten hinter dem Haus.
Als das erledigt war und sie noch ein wenig gebügelt hatte und dabei auf die Englischklausur in der nächsten Woche gelernt hatte, begann sie damit die Fenster zu putzen.
Es war schönes Wetter und am nächsten Tag sollte es regnen, da wollte Bea dies noch an diesem Tag erledigen.
Bea hatte gerade das letzte Fenster im Erdgeschoss geputzt als jemand durch die Haustür trat. Es waren weder die Schritte ihres Bruders noch die ihres Vaters, denn keiner der Beiden trug High-Heels.
Nervös und so leise wie möglich schlich Bea zur Treppe um zu sehen wer gekommen war.
„Du? Was willst du schon wieder hier?“, keifte Bea die Sekretärin und Affäre ihres Vaters an.
Überrascht drehte die junge blonde Frau sich um und sah sich einer wütenden Bea gegenüber. „Auch hallo. Dein Vater hat gesagt ich soll hier warten. Gibt´s was zu essen?“
Bea konnte die Schlampe nicht leiden, denn erstens könnte sie die Tochter ihres Vaters sein und zweitens nutzte sie ihren Dad nur aus.
Sie war eine der Art die alles für Geld taten. Außerdem war sie ein eingebildetes Miststück das dachte sie könne sich alles erlauben weil sie Beas Dad vögelte.
„Hure.“, stieß Bea aus, ehe sie nach oben ging um auch dort zu putzen.
Es war zwanzig Uhr als Bea fertig war und sie zog sich an um in die Klinik zu gehen. Wie jeden Tag seit zwei Jahren.
Okay fast jeden Tag. Sie konnte nicht wenn sie irgendwie mit der Schule unterwegs war oder wenn sie krank war.
Urlaub hatten sie schon lange nicht mehr gemacht, denn Beas Dad ging lieber allein mit seiner Sekretärin.
Man könnte meinen es wäre eine dauerhafte Beziehung wenn Bea so daran dachte, doch man musste bedenken, dass ihr Dad zwar immer mit der Sekretärin vögelte, er aber drei Stück davon hatte und diese im Monats Rhythmus entlassen wurden. Also war es immer eine andere Tusse.
Nur die, die an diesem Tag aufgetaucht war hatte sich schon seit drei Monaten gehalten, weswegen Bea sie nur noch mehr hasste.
Nachdem Bea einen kleinen Plausch mit der Empfangsdame gehalten hatte, wie sie es fast immer tat machte sie sich auf den Weg in die Station in der die Komapatienten lagen. Raum 293.
Die Schwestern denen Bea begegnete grüßten sie freundlich. Bea duzte sie fast alle.
Der Raum war in einem zarten Rosa Ton gestrichen und es befanden sich zwei Betten darin. Beide Personen waren bewusstlos und weiblich.
Bea begab sich zu der Frau deren Bett sich am Fenster befand.
Ihre Mutter lag seit fast zwei Jahren im Koma. Seit einem Jahr, elf Monaten und vier Tagen.
Sabine Weber war ins Koma gefallen nachdem sie entführt worden war.
Ein Serien-Killer hatte sich Beas Mutter geschnappt als diese auf dem Weg ins Büro ihres Dads gewesen war.
Bea war damals fünfzehn gewesen und diese Zeit, als ihre Mutter fünf Tage verschollen gewesen war und niemand gewusst hatte ob sie lebte oder nicht, waren noch schlimmer gewesen als die darauf folgenden zwei Jahre.
Denn nun wusste Bea zwar nicht ob ihre Mutter jemals aufwachen würde, aber immerhin lebte sie noch, auch wenn Beas Hoffnung mit jedem Tag der verging ein wenig schwand.
Der Serien-Killer hatte die Angewohnheit gehabt seine Opfer sechs Tage lang zu foltern und zu Quälen und am sechsten Tag umzubringen und irgendwo abzuladen.
Vier Frauen hatte er auf diese Weise getötet und Beas Mutter war die letzte Frau die er hatte Quälen können, denn die Polizei hatte sie am fünften Tag gerettet, auch wenn ihre Mutter nach einer Operation in ein Koma gefallen war, aus dem sie vielleicht niemals wieder erwachen würde.
Bea setzte sich müde auf den Stuhl neben dem Krankenbett ihrer Mutter. Der Teenager hatte Fensterputzen noch nie leiden können, doch irgendwer musste es ja schließlich machen.
Beas Vater hatte die letzte Putzfrau im vorherigen Jahr gefeuert, nachdem diese etwas falsch gemacht hatte und seit dem musste Bea diese Sachen erledigen.
Die 16-jährige nahm die zarte Hand ihrer Mutter in die ihre und erzählte ihr von dem vergangenen Abend und dem vergangenen Tag.
Bea bildete sich manchmal ein ihre Mutter würde zuhören und irgendwann entscheiden wieder zurück zu kommen damit Bea wieder glücklich werden konnte, denn seit dem Beginn des Komas war ihr Leben aus seinen Bahnen geraten.
Ihr Vater schlief mit einer Frau nach der anderen und war kaum mehr zu Hause. Wenn er mal zu Hause war stritten sie sich oder es ertönte Stöhnen aus dem Schlafzimmer in dem eigentlich Beas Eltern schlafen sollten.
Der Zwillingsbruder der braunhaarigen hatte die ganze Sache absolut nicht gut weggesteckt. Valentin wiederholte schon zum zweiten Mal die neunte Klasse der Hauptschule. Er soff sich das Hirn weg und schwänzte die Schule.
Dass Valentin noch nicht geflogen war hatte er einzig und allein den Geldspenden ihres Vaters zu verdanken.
Seufzend rutschte Bea tiefer in den Stuhl. Sie waren keine Familie mehr und das war so unendlich traurig, denn sie waren immer so glücklich gewesen.
Langsam wurde Bea schläfrig. Das ständige piepen das von den beiden Maschinen ausging, die die Herzfrequenz der beiden Komapatientinnen anzeigten wirkte einschläfernd und Bea wollte sowieso nicht nach Hause wo ihr Vater diese Schlampe vögelte und ihr Bruder sowieso nur kurz vorbeischauen würde um etwas zu essen, sich zu duschen und sich umzuziehen um dann wieder zu verschwinden und Bea allein zurück zu lassen, ohne sie zu beachten.
Die Gymnasiastin hatte schon oft in der Klinik geschlafen, weswegen die Nachtschwestern Bea schon gar nicht mehr rauswerfen wollten, sondern eine Decke holten um sie zuzudecken.

Es war kurz nach elf als Jonas bei Bea klingelte, doch erst nachdem er dreimal geklingelt hatte öffnete ihm eine junge Blondine die Tür.
Hatte Bea eine Schwester? Doch Jonas befand dass diese Frau keine Ähnlichkeit mit Bea aufwies.
„Ja?“, fragte die Blondine die nur mit einem Bademantel bekleidet war unfreundlich und musterte ihn gelangweilt. „Ist Bea zu Hause?“ Jonas war sich schon gar nicht mehr sicher ob er wirklich das richtige Haus erwischt hatte.
„Nö. Keine Ahnung wo die ist. Hat sich gestern verpisst. Bist du ihr Freund?“ Jonas war sich nun sicher dass diese Person nicht mit Bea verwandt sein konnte.
Der Mann der plötzlich hinter der Blondine auftauchte war aber unzweifelhaft mit Bea verwandt, stellte Jonas fest als er dem Mann in die Augen schaute, die genauso aussahen wie die Beas.
„Was ist los Schatz?“, fragte er seine Freundin und umarmte sie von hinten.
Jonas musste schlucken. Beas Vater schlief mit dieser Frau?
Er war also auch einer dieser Männer die nur mit jungen Frauen schliefen. Wo wohl Beas Mutter war?
Ihr Vater wollte sich gerade Jonas zuwenden als Bea die Straße entlang kam. Sie sah nicht erfreut aus als sie Jonas sah, aber eben so wenig als sie ihren Vater erblickte.
„Wo kommst du denn jetzt her?“, fragte Beas Vater und Bea seufzte auf.

Wollte er jetzt wirklich einen auf besorgt machen? „Geht dich nichts an.“, erwiderte sie kühl und seine Sekretärin schubste ihn wieder ins Haus und schloss die Tür, ehe dieser sich über die Unhöflichkeit seine Tochter aufregen konnte.
„Was willst du hier?“, fragte Bea Jonas unfreundlich.
Das Jonas die Eier hatte bei ihr aufzutauchen beeindruckte Bea, dass hätte wahrscheinlich nicht jeder getan.
Von Vivien hatte sie nämlich nichts mehr gehört. „Ich wollte dir erklären was das vorgestern war. Du hast das in den falschen Hals bekommen.“
Bea sah Jonas misstrauisch an. Was sollte das?
„Rede.“, forderte Bea ihn auf ehe sie es sich anders überlegen konnte und ins Haus verschwand. „Ich wollte Vivien treffen und sie fragen was dir gefällt.“ Jonas hatte sich seine Worte zurechtgelegt, dennoch fiel es ihm schwer über seine Gefühle zu reden.
Was wenn sie ihn zurückwies?
„Ich mag dich... Ich mag dich sehr, aber du scheinst dich nicht für mich zu interessieren, da wollte ich Vivien fragen was du magst, wie ich dich am besten für mich gewinnen kann, aber sie sagte mir nur ich solle dich in Ruhe lassen und dass du einen 27-jährigen Freund hättest. Dann hat sie angefangen mich anzumachen.“, erklärte Jonas, doch Bea blieb misstrauisch, auch wenn ihr Herz einen Satz machte.
„Aber du hast mit ihr geschlafen?“, fragte Bea nach, denn Vivien hatte ihr von dem One-Night-Stand erzählt, der schon fast ein Jahr zurücklag. „Ja, aber es hat mir nichts bedeutet.“, gab Jonas bedrückt zu. „Ich schwöre dir wenn du mir eine Chance gibst werde ich dich nicht enttäuschen. Ich werde dich niemals betrügen und immer ehrlich zu dir sein.“, flehte Jonas schon fast und kam sich dabei wie ein Vollidiot vor.
Auf Beas Gesicht stahl sich ein Grinsen, sie machte einen Schritt auf Jonas zu. Dieser blieb stehen, wollte sehen was Bea vorhatte.
„Wie war das mit dem sehr mögen? Wie sehr?“, fragte Bea spitzbübisch nach. Jonas wurde rot, als er stotternd und leise gestand dass er sich in sie verliebt hätte.
„Dann bin ich ja zum Glück nicht alleine.“, gab dann auch Bea zu und sie schloss den letzten Abstand zwischen ihnen und bekam den ersten Kuss ihres Lebens.
Langsam löste Bea sich wieder von Jonas weichen Lippen. Ja, das fühlte sich richtig an.
„Wenn du mich betrügst…“, Bea ließ die Drohung offen in der Luft hängen und als Jonas leicht nickte, zum Zeichen dass er verstanden hatte, küsste Bea ihn wieder.
Es vergingen einige Minuten ehe die beiden sich voneinander lösten. Jonas wollte nicht gehen und als Bea ihm erklärte, das sie sich noch um den Haushalt kümmern müsse zog er die Augenbrauen hoch und versprach ihr zu helfen.
Bea musste sich um den Haushalt kümmern? Er hatte nicht gedacht, dass sie das musste.
Wie schaffte sie das denn alleine? Selbst seine Mutter hatte eine Putzfrau, auch wenn sie den Haushalt wirklich gerne machte.
Jonas folgte Bea ins Haus, der das ganze wirklich unangenehm war. Es war ihr peinlich.
Bestimmt hatten Jonas Eltern bedienstete für so etwas. Sein Vater hatte schließlich eine große Firma geerbt, die auch er erben würde.

Jonas war erstaunt, denn das Innere des Hauses entsprach nicht dem äußeren. Während das Haus von außen einen bäuerlichen, heimeligen Charme hatte war es innen steril und neu eingerichtet.
Er war froh, dass seine Eltern auf dem Boden geblieben waren und ihr großes Haus nicht hypermodern eingerichtet war. Das man sich in seinen vier Wänden wohl fühlen konnte.
Bea bot ihrem neuen Freund etwas zu essen und trinken an, ehe sie ihm ihr Zimmer zeigte.
Jonas gefiel es vom ersten Moment an.
Das große Zimmer war an der Wand an der das Kopfende des großen Himmelbettes stand Magenta gestrichen. Außerdem befanden sich ein Sofa und ein Plasmafernseher, zwei Sitzsäcke, zwei Regale, ein Schreibtisch und ein Schreibtischstuhl im Zimmer.
Das Zimmer war modisch eingerichtet, doch es passte nicht zum Rest des Hauses, da es sehr wohnlich und gemütlich gestaltet worden war.
Aus dem Fenster konnte man in einen Garten schauen, in dem sich ein Teich und eine Sitzgruppe sowie ein Gartenhäuschen befanden.
„Gehen wir runter in den Garten, da kannst du dich sonnen während ich den Rasen mähe.“, meldete sich Bea wieder zu Wort. Sie musste das unbedingt noch erledigen, da man schon ein Gewitter aufziehen sah.
Jonas nickte nur, auch wenn er sich fragte warum sie das machen musste, da ihr Vater das auch erledigen könnte. Doch als sie in den Flur traten vernahm Jonas stöhnen, dass er eindeutig nicht hatte hören wollen.

Bea war es extrem peinlich, dass ihr Vater wieder mit der Schlampe vögelte und Jonas das nun auch noch mit anhören musste. Es wunderte sie, dass er nicht aus dem Haus flüchtete, aber er hatte ja auch schon mehr als genug Sex gehabt.
Ob Jonas wohl ahnte, dass sie noch Jungfrau war?
Schnell griff Bea nach der Hand des schwarzhaarigen Jungen und zog ihn mit sich durchs Wohnzimmer in den Garten. Sie setzte Jonas mit einem Glas Cola in den Liegestuhl auf der Veranda und holte schnell den Rasenmäher aus dem Gartenhäuschen.

Jonas beobachtete wie Bea mit geübten Handgriffen den Rasen mähte, dabei geschickt um die kleinen Beete herumfuhr und dabei immer das Kabel im Blick hatte um nicht hinein zu mähen.
Er selbst hatte auch schon einmal ihren Rasen gemäht, aber sie hatten einen Rasentraktor, da ihr Garten wirklich sehr groß war.
Jonas Eltern waren zwar auf dem Boden geblieben, aber ihre Leidenschaft war der riesige Garten, mit den vielen Blumen, den drei Obstbäumen und dem Pool.

Bea war gerade fertig geworden als die ersten Tropfen fielen. Schnell flüchteten die beiden ins Haus und schafften es gerade noch ehe eine wahre Sintflut vom Himmel kam.
„Bea Schatz kannst du uns bitte etwas zu essen machen? Du weißt doch das ich nicht kochen kann und ich muss doch später zum Flugzeug.“.
Beas Vater war nur mit einem Handtuch um die Hüften ins Wohnzimmer gekommen und Bea hatte keine Ahnung von welchem Flugzeug er sprach. „Wohin fliegst du denn?“
„Ich muss nach Amerika. Aber nur für eine Woche.“, erwiderte ihr Vater sorglos und verschwand wieder, aber nicht ohne seine Bitte etwas zu essen zu machen noch einmal zu wiederholen.

Jonas beobachtete wie Beas Miene sich vom einen zum anderen Moment versteinerte und sie sich auf die Couch plumpsen ließ. Kurz stützte sie ihren Kopf in die Hände, doch dann schien sie wieder zu bemerken dass er auch da war und raffte sich schnell wieder auf.
„Was ist los?“, wagte Jonas zu fragen, wurde aber nur mit einem abweisenden Blick bedacht. Sie vertraute ihm nicht? Das tat weh.
„Komm gehen wir kochen. Auf was hast du Lust?“ Bea versuchte sorglos zu klingen, aber es gelang ihr kein bisschen. Sie seufzte erleichtert auf als Jonas es auf sich beruhen ließ.
Bea ließ ihn Gemüse schneiden während sie selbst sich um den Rest kümmerte. Jonas war beunruhigt.
Seit der Ankündigung ihres Vaters hatte Bea kaum gesprochen und während des Essens hatte er immer wieder den Reflex unterdrücken müssen seinen Schatz zu schnappen und weg zu gehen.
Die Feindseligkeit zwischen Bea und dem Flittchen ihres Vaters war zum Greifen nahe gewesen und Jonas war erstaunt gewesen wie gut Beas Vater die Stimmung ignorieren konnte.
Gegen halb drei hatten Bea und er die Küche wieder aufgeräumt. Die Blondine und Beas Vater waren einfach verschwunden, hatten keinen Finger krumm gemacht.
Zwischenzeitlich war wieder stöhnen an ihre Ohren gedrungen, doch zehn Minuten zuvor hatte Beas Vater aus dem Flur ein Tschüss gerufen und auch seine Freundin war verschwunden.
Draußen tobte noch immer das Gewitter und Bea und Jonas beschlossen sich in Beas Zimmer eine DVD anzuschauen.

Bea wusste nicht einmal worum es in dem Film ging. Sie saß eng an Jonas gekuschelt, sie beide in eine Decke gehüllt, auf ihrem Sofa und schaute den Regentropfen zu die gegen ihr Fenster trommelten.
Sie verfolgte die Regentropfen mit den Augen, manchmal zuckte ein Blitz über den Himmel.
Wunderschön.
Als der Film zu Ende war hatte es aufgehört zu Gewittern und nur ein leichter Nieselregen zog über das Land.
Es war bereits halb fünf und Jonas musste langsam nach Hause. Er hatte seinen Eltern versprochen sie an diesem Abend zu einer Veranstaltung zu begleiten. Er wusste nicht worum es ging, nur das er hin musste.
Die beiden verabschiedeten sich mit einem intensiven Kuss und dem Versprechen am nächsten Tag voneinander zu hören.
Bea stand in der Haustür und sah Jonas hinter her, der zu seinem Auto lief.
Die braunhaarige war entschlossen Jonas nicht wieder zu sich nach Hause einzuladen. Er musste einen schrecklichen Eindruck von ihrer Familie haben.
Es war halb acht als Bea hörte wie sich die Haustür öffnete. Das konnte nur Valentin sein. Ihr Vater war ja weggeflogen.
Stürmisch sprang sie auf und rannte die Treppe nach unten um ihrem Bruder, der gerade die Jacke ausziehen wollte, in die Arme zu springen.
Doch heute war etwas anders als sonst. Ihr Bruder zog sie nicht an sich wie sonst immer.
Er stieß sie mit einem grunzen von sich und Bea fiel rückwärts mit dem Kopf auf die Treppe.
Ihr Kopf brummte und sie spürte etwas Warmes als sie benommen nach der Wunde griff. Scheiße.
Erschrocken wich Bea vor ihrem taumelnden Zwillingsbruder zurück. Er war betrunken?
Er war noch nie betrunken zu Hause aufgetaucht. Er hatte sich immer wo anders ausgenüchtert ehe er nach Hause gekommen war.
Verdammt! Es war erst 19:30Uhr.
Warum war Valentin schon jetzt betrunken? Der braunhaarige nahm noch einen Schluck aus der Wodkaflasche, die er in einer Hand hielt, ehe er sich mit wackeligen Beinen in den Keller begab, der zu seinem Zimmer umgebaut worden war.
Noch immer benommen versuchte Bea aufzustehen, doch ihr wurde schlecht und der Flur schien sich zu drehen.
Nach einigen Minuten ging es ihr wieder besser und sie rief sich ein Taxi das sie ins Krankenhaus bringen würde. Bea wollte zwar nicht, aber sie hatte das dumme Gefühl sich eine Gehirnerschütterung zugezogen zu haben.
Als Bea ins Krankenhaus kam und die Empfangsdame sie erblickte kam sie erschrocken auf sie zu. „Bea mein Kind. Was ist den passiert? Geht es dir nicht gut?“, bestürmte Hannelore, eine Frau kurz vor der Rente, Bea mit Fragen.
„Ist schon in Ordnung, ich hab nur eine Kopfverletzung und wollte mal sichergehen.“, versuchte Bea die gutmütige Frau zu beruhigen.
Lori brachte Bea schnell in die Notaufnahme, murmelte dabei immer wieder empörend vor sich hin, wie Bea von „nur“ sprechen konnte.
Bea hatte Glück und vor ihr waren nur zwei andere Personen.
Zwei Fußballer die aneinander geraten waren. Bea wollte die zwei jungen Männer wirklich nicht belauschen, doch als der Name Samir fiel, konnte sie ihre Neugier nicht mehr leugnen, auch wenn ihre Kopfschmerzen schlimm waren. Auch der Wattebausch den sie sich zuhause geschnappt hatte um ihn auf ihre Wunde zu drücken verringerte ihre Schmerzen nicht.
Bea sah sich die Männer genauer an. Der eine schien Türkischer Abstammung zu sein, der andere eher russischer. Vorsichtig fragte Bea nach, als die beiden schwiegen, wobei sie sich eher an den türkischen Mann wandte. „Du bist nicht zufällig der Samir der mit Valentin befreundet ist?“
Doch, das Altern müsste hinkommen. Sie hatte Samir auf mindestens 18 geschätzt, da dieser am Telefon gesagt hatte, das er ihren Bruder nicht mehr würde fahren können. Dieser junge Mann passte in das Alter und nun musterten auch die anderen Beiden Bea noch einmal genauer.
Als sie hereingekommen war hatte sie schon ihre Blicke auf sich gespürt, sich aber nichts dabei gedacht, das war schließlich dieser Abchecker-Blick den die meisten Jungs aufsetzten wenn ein Mädchen den Raum betrat.
„Ich kenne einen Valentin und wer bist du?“, erwiderte der Türke.
„Du hast mich angerufen. Ich bin Bea. Valentins Schwester.“
Bea ergriff die ihr gebotene Hand Samirs und auch die Andrejs –des Russen.
„Was hat dich hier her verschlagen?“, fragte Andrej nach, nachdem die Beiden von ihrer Schlägerei erzählt hatten. Bea überlegte kurz. „Bin dumm die Treppe runter gefallen und hab mir den Kopf gestoßen.“
„Kann ich dir was bringen?“, fragte Samir freundlich nach, obwohl er sich selbst ein Taschentuch unter die Blutende Nase hielt. Bea lehnte freundlich ab, unterhielt sich mit den beiden, bis Andrej und kurz darauf auch Samir ins Behandlungszimmer gerufen wurde.
Die Beiden hatten wohl keine schwerwiegenden Verletzungen denn beide waren nach etwa fünf Minuten wieder draußen und sahen ganz zufrieden aus.
Sie verabschiedeten sich freundlich, nicht ohne dass Samir angeboten hatte Bea nach Hause zu bringen, doch sie lehnte ab. Man konnte ja nicht wissen wie lange das Ganze dauern würde.
Der gestresste Arzt stellte schließlich eine leichte Gehirnerschütterung fest, machte ein Pflaster auf ihre Wunde und verordnete Bea Bettruhe und auch sonst absolute Ruhe. Sollte Bea auch in drei Tagen noch nicht wieder völlig Schmerzfrei sein sollte sie sich nochmals melden.
Zuletzt gab er ihr noch ein paar leichte Schmerztabletten mit und schickte Bea dann nach draußen.
Inzwischen war es schon halb zehn und trotz der Uhrzeit wollte sie noch bei ihrer Mutter vorbei schauen. Sie machte sich auf den Weg, musste nur den Flur entlang.
Eine Schwester die Bea nicht kannte wollte sie schon nach draußen bitten, als Ingo mit einer Kaffeetasse auftauchte. Ingo war ein junger Krankenpfleger, der sich oft mit ihr unterhielt. Er fasste Bea am Arm und nahm sie mit sich.
Er wusste wohin sie wollte, fragte auch nach ihrem Gesundheitszustand, da er ihrer Gesichtsfarbe nicht so Recht traute. Bea hielt sich kurz und Ingo verschwand auch bald wieder.
Bea setzte sich ans Bett ihrer Mutter und weinte. Sie fragte ihre Mutter was bloß aus ihrer Familie geworden war.
Ihr Vater ein Schürzenjäger, ihr Bruder ein Säufer und sie selbst am Ende ihrer Kräfte. Doch wie immer wenn sie hoffte einen weisen Rat von ihrer Mutter zu bekommen regte diese sich kein Stück; zeigte keinerlei Regung.
Es war so schrecklich für Bea nichts tun zu können.
Gegen elf nahm sie sich wieder ein Taxi nach Hause und schlich dort so leise wie möglich in ihr Zimmer um Valentin nicht aufzuschrecken. Sie hatte Angst, obwohl ihre Verletzung nur ein blöder Unfall gewesen war.
Um Schlafen zu können nahm sie die Tabletten die der Arzt ihr mitgegeben hatte und musste nicht lange auf den ersehnten Schlaf warten.

Jonas hatte oft versucht Bea anzurufen, mindestens 20mal, doch sie war nie hingegangen. Nun stand er vor dem Haus ihrer Familie.
Vielleicht hatte Bea ihr Handy irgendwo vergessen? Es war inzwischen halb eins nachmittags und man sollte meinen sonntags wäre jemand zu Hause, aber es öffnete niemand.
Erst als Jonas schon wieder gehen wollte hörte er wie sich die Tür schwungvoll öffnete. Ein junger Mann stand in der Tür. Er hielt sich den Kopf und sah so aus als hätte er am Abend zuvor eindeutig zu viel getrunken.
Bea hatte einen Zwillingsbruder erwähnt. Valentin. Er sah Bea tatsächlich sehr ähnlich. Die braunen Haare und auch die Gesichtszüge ein wenig, aber die Augen waren anders.
Während Bea die Augen ihres Vaters zu haben schien, hatten sich wohl bei Valentins Augen die Gene der Mutter durchgesetzt, denn sie waren tiefblau.
Der Junge von Jonas war etwa so groß wie er selbst und er schien auch in etwa gleich stark wie er zu sein.
Feindselig funkelten Valentins Augen Jonas an. Er schien wohl nicht sehr erfreut darüber aus dem Schlaf gerissen worden zu sein. „Kann ich zu Bea?“
Jonas brachte sein Anliegen höflich vor. „Was willst du von ihr?“ Valentin wollte also seine brüderliche Beschützermasche auffahren, dachte Jonas unbeeindruckt. Er würde sich von Valentin nicht abschrecken lassen.
„Ich bin ihr Freund, Jonas. Und du bist wohl Valentin.“ Valentins Augen wurden groß und er musterte Jonas gleich von neuem. „Meine kleine Schwester hat keinen Freund. Das hätte sie mir erzählt.“, bestritt Valentin feindselig.
„Hast du seit gestern Abend mit ihr gesprochen? Wir sind erst gestern zusammen gekommen.“, gab Jonas preis. Er hatte keine Lust mehr sich mit Valentin herumzuschlagen, er machte sich Sorgen um Bea.
Warum meldete sie sich nicht bei ihm? War ihr etwas passiert?
Hatte Bea es sich vielleicht doch noch anders überlegt?
„Ich hab sie gestern Abend im Flur getroffen und sie hat dich nicht erwähnt.“, behauptete Valentin. Er hatte keine Ahnung mehr was am Abend zuvor geschehen war. Er hatte einen Black-Out -schonwieder.
„Ist sie jetzt da oder nicht?“, fragte Jonas betont freundlich nach. Er wollte es sich nicht gleich zu Beginn mit dem Zwilling seiner Traumfrau verscherzen. „Nein.“, Valentin blieb standhaft.
Jonas steckte die Hände in die Hosentaschen und zog ab.
Er hatte eingesehen dass Valentin ihn nicht zu Bea lassen würde, ob sie nun da war oder nicht. Er würde sie glücklicherweise spätestens am nächsten Tag in der Schule sehen und dann würde alles gut werden.
Redete Jonas sich zumindest selbst ein.
Doch auch am nächsten Tag als Jonas in die Schule kam war Bea nicht da. Langsam begann er sich wirklich Sorgen zu machen. In jeder Pause rief er bei ihr an doch erst zum Schulschluss schrieb Bea ihm eine SMS das sie krank sei und Jonas sich keine Sorgen machen solle.
Jonas machte sich auf direktem Wege zu ihr. Keine zehn Minuten stand sein BMW vor dem Haus der Familie Weber.
Diesmal öffnete ihm nicht Valentin sondern Bea die Tür und er war überglücklich. Er zog sie sofort in seine Arme, ließ sie aber sofort los, als sie ihn von sich schieben wollte.
„Du, mir geht es wirklich nicht gut. Mir…“ Jonas betrachtete sie genauer. Bea sah wirklich nicht gut aus. Ihre Haut war blass und sie hob sich am Türrahmen fest, als würde sie nicht sicher stehen können.
„Was hast du? Ist etwas passiert?“, Jonas griff nach ihr als sie zu Seite wankte. „Mir ist nur Schwindelig und ich hab Kopfschmerzen.“, brachte Bea schwach heraus.
Jonas hob Bea auf seine Arme als sie umzukippen drohte und schloss die Tür hinter sich ehe er sie in ihr Zimmer trug.
Er legte sie in ihr Bett und deckte sie fürsorglich zu. „Kann ich dir was bringen? Aspirin oder etwas anderes? Ich kann auch zu Apotheke…“, Bea unterbrach ihren Freund ehe er zu Ende sprechen konnte.
„Ich hab alles da was ich brauche. Der Arzt hat mir etwas gegeben. Kannst du mir die Tabletten und ein Glas Wasser geben?“, bat Bea schwach und Jonas folgte ihrer Bitte sofort.
Er kam sich vor wie ein Weichei, aber die Vorstellung, dass seiner Bea etwas zustoßen könnte, oder dass es ihr nicht gut ging machte ihn fertig.
Als Jonas Bea die Medikamente gereicht hatte war die Krankschreibung vom Nachttisch gefallen und Jonas hob den Zettel nichtsahnend auf. Als er einen flüchtigen Blick darauf warf erstarrte er.
„Wie hast du eine Gehirnerschütterung bekommen?“, fragte er Bea verunsichert. Der schwarzhaarige beobachtete wie Bea noch blasser wurde und sich nervös eine Strähne aus der Stirn strich.
„Ich bin gestern blöd die Treppe runter gefallen und hab mir den Kopf gestoßen. Der Arzt sagt ich soll mich ausruhen und ich…“, erklärte Bea ihrem Freund. Sie wollte ihn eigentlich nach draußen befördern, doch Jonas zog sich die Schuhe aus und legte sich zu ihr unter die Decke, nahm sie fest in seine Arme und hielt sie.
Zuerst wollte sie protestieren, doch als Jonas sonst nichts tat ließ sie ihn, kuschelte sich sogar noch näher an ihn und schloss müde die Augen.
Sie hatte die Nacht durchgeschlafen und doch war sie müde. Bea konnte es sich nicht erklären.
Jonas lag einfach nur da und hielt seine Bea in den Armen. Ohne Hintergedanken, ohne Pläne.
Er hatte gemerkt dass sie ihn hatte rausschmeißen wollen und sein Herz hatte sich beim Gedanken daran sie hier allein im Haus zu lassen zusammengezogen.

„Bea, da war gestern so ein Vollpfosten da, der…“, Valentin beendete den Satz nicht, denn ebender Vollpfosten richtete sich in diesem Moment im Bett seiner Schwester auf.
Erschrocken sah Jonas den wütenden Valentin an, der zu kochen schien. Neben ihm regte Bea sich, öffnete ihre Augen und fuhr sich durch die verstrubbelten Haare.
„Was denn?“, nuschelte sie und sah sich im Zimmer um. Erst da schien sie zu realisieren, dass Jonas in ihrem Bett lag und sie sich an ihn kuschelte, während ihr Bruder seine Hände zu Fäusten geballt hatte.
„Raus hier!“, schrie Valentin dann und war schon fast bei Jonas angelangt, als Bea sich einschaltete und sich ihm schnell in den Weg stellte.
„Beruhig dich Großer! Wir haben nichts gemacht und er ist mein Freund.“, brachte sie ihm leise entgegen, doch Valentin schien auf seine Schwester zu hören, denn er wandte sich nach einem Moment mit einem „Wir reden später.“, zur Tür, um zu gehen.
Ehe er diese Schloss, wandte er sich noch einmal an Jonas. „Wenn du ihr wehtust, bist du tot junge.“, drohte er ihm und verschwand dann endgültig.
Es war erst 18Uhr, wie Jonas mit einem Blick auf Beas Wecker feststellte. Erschöpft wankte Bea und Jonas fing sie gerade noch auf, ehe sie wieder umgekippt wäre.
Sanft legte der schwarzhaarige sie wieder ins Bett. „Soll ich dir was zu essen oder trinken bringen?“, fragte er sanft nach, doch seine Freundin schüttelte nur den Kopf.
„Du, ich muss mich langsam mal wieder zu Hause blicken lassen. Ich komm morgen wieder, okay?“, erklärte er ihr leise und als sie nickte verabschiedete er sich mit einem Kuss auf ihre Schläfe.
Bevor Jonas das Haus verlassen konnte lief ihm Valentin über den Weg. Beide bauten sich zu ihrer vollen Größe auf und Jonas war froh, dass er den 16-jährigen um wenige Zentimeter überragte. „Wenn ich auch nur irgendwie einen Hinweis darauf bekomme, dass du ihr wehtust, oder wenn du meine kleine betrügst, dann bist du tot, merk dir das lieber.“, presse Valentin zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und verschwand dann mit einem letzten drohenden Blick in die Küche.
Jonas war froh, dass Valentin sich nicht hatte schlägern wollen, denn das wäre übel ausgegangen.
Seufzend machte er sich auf den Weg nach Hause, wo er auch schon von seiner Mutter erwartet wurde.

Bea drehte sich seufzend um. Sie hatte wirklich mit Jonas in einem Bett geschlafen. Ihr wurde ganz warm wenn sie an seine schwarzen Haare und die braunen Augen dachte.
Sie verstand nicht was er eigentlich von ihre wollte, aber sie waren ein Paar.
Bea musste ihn nicht mehr aus der Ferne anschmachten wenn er auf dem Pausenhof stand und sie hatte nun auch ein Recht ihn anzuschreien wenn er mit einem anderen Mädchen herummachte.
Doch das würde er nicht tun –hoffte sie zumindest. Wenn er sie betrügen würde, würde er ihr Herz brechen und sie wusste nicht, wie sie das schaffen sollte.
Bea hielt sich den Kopf. Sie fühlte sich als wäre ihr etwas Schweres auf den Kopf geflogen. Er pochte und es tat unglaublich weh. Sie langte nach den Tabletten. Nur noch zwei.
Die 16-jährige betete, dass es am nächsten Tag wieder besser sein würde, denn sonst würde sie wieder zum Arzt müssen.
Bea döste wieder vor sich hin, als sie jemanden die Treppe hinaufpoltern hörte. Das konnte nur Valentin sein, dachte sie sich und unwillkürlich rollte sie sich ein wenig zusammen.
Ihr Zwillingsbruder klopfte nicht an die Tür, hatte er noch nie gemacht, sondern riss einfach die Tür auf. Er musterte sie kurz, legte sich dann neben sie ins Bett, nahm sie in die Arme, was sie ein wenig widerwillig zuließ.
„Was ist denn los mit dir? Bist du krank?“, fragte Valentin besorgt nach. Bea runzelte die Stirn.
Hatte er etwa einen Black-Out, oder wollte er sie verarschen? Obwohl…
„Ich bin die Treppe runtergesegelt und hab mir den Kopf gestoßen.“, brachte sie leise hervor. Ihr großer Bruder strich ihr übers Haar, fühlte das Pflaster.
„Warst du beim Arzt?“, fragte er sanft nach. „Ja. Ist ne leichte Gehirnerschütterung.“, murmelte sie.
Einige Minuten schwiegen beide, doch Bea wusste, das noch etwas kommen musste. „Das mit diesem Typen. Wie lange geht das schon?“, fragte Valentin sanft nach, doch Bea hörte die unterdrückte Wut mitklingen.
„Samstagabend sind wir zusammen gekommen.“, murmelte das braunhaarige Mädchen schläfrig. „Du sagst mir wenn was ist. Der sah aus wie ein Frauenaufreiße.“, warnte Valentin sanft und erhob sich langsam wieder.
Bevor er die Tür jedoch schloss hielt er noch einmal und drehte sich zu ihr. „Nachher kommen noch ein paar Kumpels. Morgen ist doch Feiertag.“, setzte er sie in Kenntnis, ehe er wieder verschwand.
Feiertag?
Am nächsten Tag wäre doch kein Feiertag. Seufzend schaute Bea auf das Datum und dann auf den Zettel, den sie von ihrer Schule bekommen hatte.
An ihrem Gymnasium würde am nächsten Tag tatsächlich kein Unterricht stattfinden, doch Bea bezweifelte stark, dass die auch bei ihrem Bruder der Fall sein würde.
Seufzend ließ sie sich wieder zurückfallen. Valentin war sowieso schon ewig nicht mehr in der Schule gewesen.

Von lauter Musik wurde das braunhaarige Mädchen aus dem Traumreich gerissen.
Scheiße, war ihr erster Gedanke. Stöhnend fasste sie sich an den Kopf, und schaute auf die Uhr. Halb elf.
Von unten dröhnt der laute Bass der Wohnzimmeranlage nach oben und auch Gelächter und Stimmen drangen zu ihr vor.
Bea erhob sich langsam, ihr wurde schlecht und stöhnend erbrach sie sich in ihren Mülleimer. Zur Toilette hätte sie es nicht mehr geschafft.
Der Ekelerregende Geruch ihres erbrochenen kroch aus dem pinken Mülleimer und führte dazu, dass sie sich erneut übergeben musste.
Stöhnend hielt sie sich den Kopf, schluckte die letzte Tablette, die glücklicherweise schnell wirkte, so dass Bea ihren Mülleimer im Bad säubern konnte.
Mit schleppenden Schritten riss sie ein Fenster auf, traute ihren Augen nicht, als sie einen Jungen im Gartenteich planschen sah.
Scheiße, was war hier eigentlich los?
So schnell sie konnte zog Bea sich eine schwarze Röhrenjeans und ein weißes Top über, machte sich barfuß auf den Weg nach unten.
Schon auf der Treppe kam ihr der Geruch von Alkohol entgegen. In der Küche herrschte Chaos. Irgendjemand hatte die Tür zum Kühlschrank offen gelassen, Gott wusste wie lange.
Bea hoffte das die Lebensmittel überlebt hatte, denn ihr Vater hatte ihr kein Haushaltsgeld da gelassen.
Im Wohnzimmer saß Valentin mit sechs oder sieben weiteren Jungs und rauchte Shisha, während sie einen Drink nach dem anderen Kippten. Auf dem Tisch tanzte ein nur noch mit Minirock und BH bekleidetes Mädchen, dass wohl auch schon einiges Intus hatte.
Bea konnte ihr entsetzen kaum verbergen, als sie die große Pfütze sah, die sich auf dem Boden vor dem Kamin breit gemacht hatte. Schnell suchte sie sich etwas um das –was auch immer- wegzuwischen, sie hoffte nur, dass das keine Flecken geben würde.
Als sie fertig war, entdeckte sie einen Jungen, der an die Glastür zum Garten gelehnt saß, er schien nicht mehr ganz bei Bewusstsein zu sein, weshalb Bea zu ihm ging.
Das braunhaarige Mädchen kniete sich neben den Jungen und ihr kam eine Alkoholfahne entgegen. „Hey, alles klar?“, fragte sie langsam und laut, hoffte der angesprochene würde sie verstehen.
Langsam öffneten sich dessen Augen und Bea erkannte den Russen, dem sie im Krankenhaus begegnet war. Andrej schaute sie lange an, ehe sich sein Mund zu einem Grinsen verzog und er langsam „Beeeea.“, ausstieß, ehe er seinen Kopf wieder nach vorne sacken ließ.
Sie beschloss, dass er einfach nur seinen Rausch ausschlafen musste und keinen Arzt benötigte.
Seufzend machte Bea sich auf den Weg nach draußen. Es regnete, stellte sie bekümmert fest und nahm nebenbei gleichgültig wahr, das ihr Top durchsichtig zu werden begann, trat aber trotzdem durch den Rasen auf den Jungen zu, der im Teich saß.
Wie konnte man sich so gehen lassen? Sie hatte nie verstanden worin der Zweck bestand sich volllaufen zu lassen und anschließend absolut peinlich zu benehmen. „Hey, ist dir nicht kalt?“, fragte sie den Kumpel ihres Bruders kindlich. „Dosch, aba…“, er lallte nicht weiter, schaute sie süß von der Seite an.
„Komm raus, ich geb dir warmes zum Anziehen, okay?“, Bea streckte dem Typen ihre Hand entgegen, hatte aber nicht damit gerechnet, das der etwa 18-jährige Typ sie zu sich in den Teich ziehen würde. Ein Grinsen breitete sich auf dessen Gesicht aus, als Bea mit nasser Hose und dank dem weißen Top sichtbarem schwarzen BH auf seinem Schoß saß.
Ihr wurde wieder schlecht, zum Glück konnte sie es aber hinunterschlucken. Sie hätte sowieso nicht gewusst, was sich noch den Weg aus ihrem Magen suchen könnte. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen.
Bea versuchte sich aus den Armen des jungen Mannes zu befreien, doch dieser hatte seine muskulösen Arme um sie gelegt und sie hatte keine Chance.
Bea war noch nie nahe am Wasser gebaut gewesen, doch in diesem Moment war sie kurz davor zu weinen. Sie war mit der Situation absolut überfordert.
Kurz sammelte sie sich, versuchte schließlich den Jungen zu überreden sie loszulassen. Fünf Minuten später hatte Bea den nassen Jungen soweit seine Arme wieder zu sich zu nehmen und ebenfalls aus dem Teich zu kommen, wenn sie ihm trockene Sachen geben würde. Inzwischen war auch Bea völlig durchnässt und sie fror schrecklich.
Als die beiden zusammen das Wohnzimmer betraten wurde der Junge mit grölen begrüßt. Keiner schien mehr normal reden zu können und niemand sagte etwas, als Bea ins Zimmer ihres Bruders ging um dort trockene Sachen für den Jungen zu holen.
Seufzend drückte das braunhaarige Mädchen sie ihm in die Hände und führte ihn zum Bad damit er sich umziehen konnte.
Bea sah schlechtgelaunt auf den Haufen betrunkener Teenager und drehte nur die Musik ein wenig leiser ehe sie in den Flur verschwand.
Seufzend saß das Mädchen auf den Treppenstufen als Valentin in den Flur trat. „Vali, schick deine Freunde heim. Hier steht bald die Polizei…“, Bea wurde jäh unterbrochen, als eine Ohrfeige ihres Bruders sie zu Boden warf.
Überrascht hielt Bea sich die Wange, duckte sich als ihr Bruder über sie torkelte um zum Bad zu gelangen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Badezimmertür und der Junge kam heraus, hatte T-Shirt und Hose falschherum an. Die 16-jährige hatte wohl Glück, dass ihr Bruder nicht erkannte, dass der Junge seine Kleidung trug.
Bea hätte nicht gewusst, was dieser getan hätte. Als der junge Mann sie erblickte stand sie rasch auf und verschwand in ihr Zimmer um sich umzuziehen.
Im Bad trug sie Make-up auf und hoffte niemand würde etwas in ihre rote Wange interpretieren. Bea versteckte ihre Haare unter einem Kapuzenpullover und stahl sich so leise sie konnte durch die Haustür nach draußen.
Bea war schon durch den Vorgarten als ein weiteres Auto vor ihrem Haus hielt. Irritiert blieb sie kurz stehen, legte dann aber einen Schritt zu, wollte nicht wissen wer da nun kam.
Sie wurde am Arm festgehalten und riss sich heftig los, ehe sie sich umdrehte. „Alles klar mit dir?“, wurde sie sanft von Samir gefragt, der abwehrend die Hände vor sich hielt.
Unwillkürlich glitt Beas Hand zu ihrer Wange, doch sie antwortete nur schnell, dass es ihr gut gehe, ehe sie schnellen Schrittes verschwand. Die Frage wohin sie denn gehe ignorierte sie einfach.
Schlimmer als ihre Wange schmerzte Beas Herz. Ihr Bruder hatte sie wissentlich geschlagen, diesmal war es kein Unfall gewesen.
Aber wenn Valentin nicht getrunken hätte, hätte er sie nie geschlagen, versuchte sie ihren Bruder zu entschuldigen und joggte schon fast den Gehweg entlang.
Zwanzig Minuten später kam sie schließlich vor der Klinik an, hatte Glück, dass sie alle Personen die ihr begegneten kannte, denn sonst wäre sie wohl wieder rausgeflogen.
Seufzend ließ Bea sich auf dem Stuhl neben dem Bett ihrer Mutter nieder.
Zum ersten Mal, seit sie ihre Mutter besuchte redete sie kein Wort mit ihr. Bea saß einfach nur da und betrachtete die zierliche und magere, braunhaarige Frau im Bett vor ihr, wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.

Es war halb acht am Morgen als sein Handy Jonas aufweckte. Stöhnend fuhr er sich durch seine Haare und suchte mit der Hand sein Handy auf dem Nachttischchen.
„Ja?“, fragte er seufzen. Wieso musste ihn irgendein Volldepp am freien Schultag aus dem Bett werfen? Einige Minuten schweigen, erst als Jonas erneut genervt fragte wer da sei, kam eine Antwort.
„Jonas? Ich bin´s Bea, ich steh vor der Tür, kannst du mir aufmachen?“, fragte die brüchige Stimme von Bea. Sofort war Jonas hellwach, er bejahte und rannte nach unten um seiner Freundin die Tür zu öffnen.
Wie war sie hier her gekommen? Zu Fuß dauerte die Strecke zur nächsten Bushaltestelle zwanzig Minuten. War sie gelaufen? Mit der Gehirnerschütterung?
Hektisch atmend öffnete Jonas die Tür, erschrak als er seine Freundin sah. Sie war blass, Beas Haare durcheinander, ihre Schminke verschmiert und die Augen rot geädert.
Bea wankte leicht und Jonas stütze sie, während er sie langsam zu sich ins Zimmer dirigierte und sie in sein Bett legte. Ihre Haut war eisig, doch das wunderte ihn nicht. Draußen war es am Morgen noch immer sehr frisch.
„Was ist passiert?“, fragte Jonas seine Angebetete besorgt. Er holte eine weitere Decke aus seinem Kleiderschrank, zog ihr die Schuhe aus, ehe er Decke und Deckbett über sie breitete. „Ich hab dich vermisst.“, brachte sie hervor und Jonas Augen schwammen fast in Tränen. Verwirrt blinzelte er sie weg. „Warum hast du nicht einfach angerufen? Ich wäre gekommen. Was machst du nur für Sachen?“, Bea lächelte ihn sanft an und er tat es ihr unwillkürlich gleich, gab ihr einen sanften Kuss auf die kühlen Lippen. „Ich besorgt dir einen Tee.“, setzte er sie in Kenntnis und verschwand mit einem „Bin gleich wieder da.“, aus der Tür.

Beas müder Blick glitt durch das Zimmer ihres Freundes. Sein Bett war groß, ein Doppelbett mit schwarzem Leder am Kopfteil, stellte sie mit einem Blick fest. Wie viele Mädchen er in diesem Bett gevögelt hatte wollte sie lieber nicht wissen, denn sonst würde sie sich wieder übergeben müssen, auch wenn sie nichts zu sich genommen hatte.
Eine normale Raumeinrichtung plus großer Couch mit Plasmafernseher und alle möglichen Spielekonsolen. Eine Vitrine mit Alkohol.
Bea wandte den Blick ab, wurde zu sehr an den vergangenen Abend erinnert.
Bea hatte in der Klinik kein Auge zu getan. Sie hatte nur ihre Mutter anstarren können ohne dass ein Wort Beas Lippen verlassen hätte. Warum hatte sie nichts sagen können?
Kurz schloss Bea die Augen, erinnerte sich an das Gefühl, als sie ratlos vor der Klinik gestanden und nicht gewusst hatte, wohin sie gehen sollte. Nach Hause hatte sie nicht gewollt und dann war ihr Jonas eingefallen. Ohne zu überlegen ob dieser überhaupt zu Hause war, hatte sie sich in den Bus gesetzt und war frierend bis zu dem Anwesen seiner Familie gelaufen.
Ihre Kopfschmerzen waren zurückgekommen, doch wenn Bea zum Arzt gegangen wäre, hätte sie vielleicht von dem Schlag erzählen müssen, der ihre Kopfschmerzen wieder verschlimmert hatte. Sollten die Schmerzen bis zum Abend nicht besser werde, würde sie zu ihrem Hausarzt gehen und sich Tabletten verschreiben lassen.
Müde schloss sie ihre Augen, genoss die Wärme die sie umgab und erinnerte sich an Jonas Bild zurück, wie er nur in rot-karierten Boxershorts die Tür geöffnet hatte.

Als Jonas sein Zimmer mit einem Tablett wieder betrat schlief Bea. Sie hatte sich zusammengerollt und als er über ihre Wange strich, war sie schon wieder wärmer.
Er trug das Tablett, auf dem er außer Tee auch ein Glas mit Wasser und eine auflösbare Aspirin-Tablette hatte auf seinen Schreibtisch und fuhr sich dann durch die Haare. Irgendetwas war passiert, warum sollte Bea sonst durchgefroren am frühen Morgen vor seiner Haustür stehen.
Er seufzte, kroch dann wieder unter die Decke und zog Beas Rücken an seine Brust. Ehe er einschlief dachte er sich noch schief lächelnd: Löffelchenstellung.

Bea erwachte an einen heißen Körper gekuschelt. Jonas, seufzte sie wohlig auf.
Das Kribbeln in ihrem Magen überlagerte fast ihre Kopfschmerzen, doch erleichtert stellte das braunhaarige Mädchen fest, dass diese fast verschwunden waren.
Für den Moment zufrieden ließ sie ihren Blick über den Jungen neben ihr wandern. Jonas schwarze Haare standen ihm vom Kopf ab, seine Gesichtszüge waren entspannt und sein Arm war unter der Decke um ihre Taille geschlungen.
Womit hatte sie diesen Jungen verdient?
Das war die Frage gewesen, die ihr seit dem Tag im Kopf herumgeschwirrt war, als er sie das erste Mal gefragt hatte ob sie zusammen ins Kino gehen würden.
Bea hatte den Mädchenschwarm immer nur von der Ferne angehimmelt, hatte nie ein Wort mit ihm gewechselt und hatte nicht geahnt, dass er überhaupt von ihrer Existenz wusste. Bis er eines Tages auf dem Schulhof ihre Richtung eingeschlagen hatte und direkt auf sie zugekommen war.
Bea hatte mehr als einmal hinter sich gesehen, doch da war ein Baum gewesen. Vivien, die neben ihr gestanden hatte, hatte wohl genauso wie sie gedacht, Jonas würde etwas von ihr wollen, doch er hatte die blonde Schönheit kaum beachtet.
Bea hatte ihn lange einfach nur angestarrt, als es zum Unterricht gegongt hatte, hatte sie aber schnell abgelehnt und war ohne ein weiteres Wort verschwunden.
Sie hatte Angst gehabt. Jonas war reich und gutaussehend. Er hatte viele Freunde und besaß, soweit sie wusste eine Intakte Familie.
Was sollte einer wie er von einer wie ihr wollen?
Bea hatte immer wieder abgelehnt, hatte dem gutaussehenden Jungen nicht die Chance geben wollen sie zu verletzen. Und nun lag sie mit ihm im Bett, stellte sie lächelnd fest.
Langsam wurde Bea warm und sie befreite sich aus den Armen ihres Freundes und aus den Klauen der Decken, ehe sie sich auf die Suche nach einem Badezimmer machte.
Das braunhaarige Mädchen hatte Glück, fand auf Anhieb eines und erschrak bei ihrem Spiegelbild. Nach einer Schrecksekunde wusch sie sich ihr verschmiertes Make-up aus dem Gesicht und brachte ihre Haare ein wenig in Ordnung.
Im Badezimmerschrank fand sie Aspirin und schluckte eine Tablette. Anschließend ging sie auf die Toilette und zog sich ihren Kapuzenpullover aus, war froh ein Top darunter zu tragen.
Ein letztes Mal blickte Bea in den Spiegel, ehe sie in das Zimmer ihres Freundes zurückkehrte.
Ihre Haut war blass, doch zum Glück erinnerte nichts mehr an den Schlag am Vortag.
Im großen Zimmer ihres Freundes angekommen legte sie den Pullover über seinen Schreibtischstuhl, blieb interessiert an der Vitrine mit Alkohol stehen.
Von den meisten Namen hatte sie schon gehört, doch nie probiert. Sie hatte mit 15 noch kein Interesse daran gehabt sich zu betrinken und danach hatte sie schnell erwachsen werden müssen. Irgendjemand hatte ja alles am Laufen halten müssen, oder?
Aber wenn es den anderen half, musste es doch auch ihr gut tun, oder? Ihr Blick fiel kurz auf den Wecker. 10:24Uhr.

Jonas wurde aus dem Schlaf gerissen, als sich etwas neben ihm bewegte. Stöhnend griff er danach, wollte Bea wieder an sich ziehen, doch diese wehrte sich, plumpste vom Bett und lachte.
Moment, dachte er sich irritiert, das hörte sich so gar nicht nach seiner Bea an.
In Alarmbereitschaft versetzt setzte er sich auf, fuhr sich nur kurz durch die Haare und erblickte seine Freundin, die mit einer leeren Vodkaflasche auf dem Boden saß versuchte aufzustehen.
Sofort war Jonas aus dem Bett. Er wusste zwar nicht, wie voll die Flasche gewesen war, aber Bea war auf jeden Fall betrunken.
Stirnrunzelnd sah er auf die Uhr: 11:03Uhr.
Während er dafür sorgte, dass das braunhaarige Mädchen sich nicht selbst oder ihn verletzte schwirrten in seinem Kopf viele Fragen herum, doch eine Überwog: Welchen Grund hatte Bea sich morgens die Kante zu geben?

Als Bea erwachte dröhnte ihr der Kopf, doch ausnahmsweise lag es diesmal nicht an der Kopfverletzung, musste sie zugeben. Alkohol war also doch eine dumme Lösung.
Verwirrt sah sie sich im Zimmer um, entdeckte auf dem Nachttisch ein Glas Wasser und eine Aspirin-Tablette, die sie dankbar zu sich nahm. Von Jonas war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich wollte er jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Bea blieb liegen, bis die Kopfschmerzen abklangen, stand dann auf und suchte sich Schuhe und Pullover zusammen um zu verschwinden.
So leise sie konnte schlich sie durch das Haus, schaffte es schließlich unentdeckt hinaus und auch vom Grundstück.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, schwirrte ihr immer wieder die Frage im Kopf herum als sie sich mit schleppenden Schritten zur Bushaltestelle begab.

Jonas war gegangen nachdem er Bea in sein Bett verfrachtet hatte. Der schwarzhaarige hätte niemals gedacht, dass sich hinter seiner schüchternen Bea dieser Bruder, ein solcher Vater und auch noch eine solche Sauferei verbargen.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie solche Probleme hatte und war einfach überfordert gewesen.
Ohne sich wirklich darüber im Klaren zu sein war er vor der Haustür seines besten Freundes Samir gelandet.
Jonas kannte den Halbtürken schon aus Kindertagen an und er hatte immer ein offenes Ohr für ihn gehabt. Die türkische Mutter seines Freundes öffnete ihm die Tür, schickte ihn mit Kopfschmerztabletten in Samirs Zimmer. Kübra erklärte ihm, dass Samir gegen zwei Uhr in der Nacht heimgekehrt war.
„Na du Schlafmütze?“, fragte Jonas seinen Kumpel leise, als er ihn endlich hatte wecken können. Samir schien überraschenderweise keinen Kater zu haben, sondern einfach nur an Übermüdung zu leiden.
„Was machsten du hier? Haste keine Schule?“, brachte der Halbtürke ihm spöttisch entgegen.
Samir machte eine Ausbildung zum Schweißer und hatte momentan Urlaub. Nahm Jonas zumindest an.
„Nö, hab frei.“, antwortete er ebenso spöttisch. Es herrschte einige Minuten schweigen, in denen Samir sich aus dem Bett quälte und im Bad verschwand.
Als er sich endlich eine Jogginghose und ein T-Shirt übergezogen hatte gingen beide nach unten in die Küche um etwas zu Mittag zu essen.
Samirs Blick fiel auf die Uhr, als beide es sich auf seiner Couch im Zimmer gemütlich gemacht hatten: 12:34Uhr.
„Also, was treibt dich hier her? Biste nicht mit deiner Flamme beschäftigt?“, fragte Samir endlich nach. In Gegenwart seiner Mutter hatte er das Thema nicht anschneiden wollen.
„Bea ist ja mein Problem.“, brachte Jonas stockend hervor. „Warum? Haste sie immer noch nicht rumgekriegt?“, Samir war überrascht gewesen, als Jonas davon erzählt hatte, dass er sich ernsthaft für ein Mädchen interessierte.
Jonas hatte immer nur One-Night-Stands gehabt, hatte sich nicht an ein Mädchen binden wollen. Wer wusste schon, welche nur hinter seinem Geld her war?
Jonas erklärte Samir die Geschehnisse der letzten Zeit, hatte seinen Freund in letzter Zeit wirklich nicht häufig gesehen.
„Sag mal, die hat nicht zufällig nen Zwillingsbruder? Valentin?“, fragte Samir mit gerunzelter Stirn nach. Diese Bea kannte er doch, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte dass diese sich sinnlos betrank.
Hatte er doch noch genau ihre Flucht am Vorabend im Gedächtnis, die er auch verstehen konnte, als er das Haus betreten hatte.
Jonas schreckte auf. Woher kannte Samir seine Süße?
„Doch. Bea hat braune kurze Haare und strahlende Augen.“, beschrieb Jonas seine Angebetete, konnte nicht verhindern etwas schwärmerisch zu klingen.
„Ich kenn sie, bin mit Vale befreundet. Der säuft sich immer die Birne weg und geht nie in die Schule. Ich hab sie mal angerufen um ihr zu sagen, dass ihr Bruder nicht nach Hause kommt. Das war glaub ich am Donnerstag.“, Samir überlegte kurz, fuhr dann aber fort. „Sie hat mich dann in der Notaufnahme im Krankenhaus erkannt. Bin da gewesen weil Andrej und ich nen kleinen Streit hatten.“, erklärte Samir weiter, ignorierte die hochgezogene Augenbraue seines Gegenüber.
„Und gestern bin ich ihr auch begegnet. Vale hat ne Hausparty geschmissen und ich bin erst gegen Mitternacht gekommen. Sie ist weggelaufen, sah nicht gut aus. War blass und so, aber als ich helfen wollte hat sie sich losgerissen und ist weg. Konnte ich aber auch verstehen. Du weißt nicht, was das für´ n Saustall war, da drin.“, gab Samir weiter preis.
Jonas hatte einfach nur dagesessen und zugehört. Sein bester Kumpel wusste also ein wenig mehr über Bea als er selbst.
„Da haste dir ne bildhübsche geangelt. Ich hab mir schon überlegt, ob ich´s mal versuchen soll, wird jetzt wohl nichts mehr.“
Samir lachte nur als er Jonas wütenden Blick sah. Einige Minuten schwiegen beide.
„Weiß du was in der Familie los ist? Wo die Mutter ist?“, fragte Jonas dann.
Samir suchte in den tiefen seines Gehirns nach einer Antwort, kam aber schnell zu einem Ergebnis. „Ich hab keine Ahnung. Vale hat nie viel von seiner Familie erzählt. Nur von seiner Schwester hat er nie genug erzählen können. Ist seine Zwillingsschwester. Er ist fünf Minuten früher auf die Welt gekommen.“.
Jonas stellte die Antwort nicht zufrieden, aber was sollte er machen?
Würde er sich noch größere Sorgen um Bea machen müssen?
Wie sollte das nur weitergehen?

Als Bea endlich zu Hause ankam war es schon nach acht –sie war aber auch erst gegen sieben erwacht. Keine Nachricht von Jonas. Überhaupt keine Nachrichten, dachte sie seufzend, es interessierte sich niemand für sie.
Als die 16-jährige das Haus betrat schlug ihr eine ekelhafte Duftwolke entgegen. Schweiß gepaart mit Alkohol und Erbrochenem.
Der Flur sah noch annehmbar aus, doch Küche, Wohnzimmer, Garten und auch Badezimmer waren verwüstet worden.
Nirgends Anzeichen einer lebenden Person, nur die Überreste dieser.
Bea seufzte lautlos auf. Sie hatte keine Hoffnung, dass ihr Bruder das Chaos beseitigen würde und so machte sie sich auf die Suche nach einem Müllbeutel und begann nebenbei die leeren Alkoholflaschen wegzuräumen, jedoch erst nachdem sie die Fenster geöffnet hatte um sich nicht übergeben zu müssen.
Bea plagte und quälte sich mehr als vier Stunden ehe sie im Haus geputzt hatte. Den Garten würde sie sich am nächsten Tag vornehmen müssen, dachte sie unmotiviert und ging nach draußen um den Müllbeutel zu entsorgen.
Mit schleppenden Schritten machte Bea sich auf den Weg in ihr Bett, verharrte jedoch in der Küche um etwas zu trinken.
Das war der Moment in dem sie das Türschloss hörte. Erschrocken zuckte sie zusammen.
Jede Begegnung mit ihrem Bruder hatte ihr in der letzten Zeit eine Verletzung eingebracht, was wenn er wieder betrunken war?
Unwillkürlich suchten ihre Augen nach einem Versteck, doch sie entdecke keines. Da hörte sie die Stimme ihres Bruders. Er lallte.
Doch eine andere Stimme antwortete ihm.
Bea schöpfte Mut, trat zögerlich in den Flur und entdeckte ihren Bruder, der sich an der Kommode am Eingang abstütze um seine Schuhe auszuziehen, neben ihm stand Samir, hatte ihn an der Schulter gegriffen, damit Valentin nicht fiel.
Beide sahen auf, als die 16-jährige den Flur betrat und sich mit kleinen Schritten zur Treppe hin bewegte.
„Wo warscht du?“, fragte ihr Bruder undeutlich, doch seine Wut war eindeutig herauszuhören. „Haschte disch von deinem Schdecher…“, weiter kam ihr Zwillingsbruder nicht, musste Luft holen und verschnaufen.
Samir sah Bea besorgt an, da ihr Gesicht von Sekunde zu Sekunde blasser schien. So schnell er konnte versuchte er den betrunkenen an Bea vorbei in sein Zimmer im Keller zu bringen, doch als sie an Bea vorbeikamen griff Valentin grob nach seiner Schwester und schrie sie undeutlich an.
Samir zog ihn so schnell er konnte von ihr, schickte sie nach oben, während er Valentin in Schach hielt.
Bea nutzte die Chance, rannte nach oben in ihr Zimmer und schloss sich ein. So schnell sie konnte streifte sie ihre Kleidung ab, die nach Schweiß und Alkohol stank und zog sich eine Jogginghose und ein langärmeliges Shirt über.
Keuchend sank Bea an ihrer Zimmertür hinab, hörte gespannt auf jedes Geräusch im Haus. Sie würde alles verwetten, dass ihr Bruder am nächsten Morgen nichts mehr wusste.
Zitternd schlang sie ihre Arme um die Knie.
Was wohl passiert wäre, hätte Samir nicht eingreifen können?
Hätte Valentin sie wieder geschlagen? Diesmal stärker?
Doch er wollte das nicht. Er war nicht so. Das war nur ein Ausrutscher gewesen und er stand auch so unter Stress, entschuldigte sie Valentin.
Als sie jemanden die Treppe hinauf kommen hörte zuckte sie heftig zusammen, wartete gespannt was folgen würde, wagte nicht einmal zu Atmen.
„Kann ich reinkommen Bea? Ich hab deinen Bruder ins Bett gebracht.“, erklärte Samirs sanfte Stimme und Bea brauchte einige Sekunden um sich zu sammeln, ehe sie aufstehen und die Tür öffnen konnte.
Der Halbtürke war sichtlich um sie besorgt, nahm sie tröstend in die Arme, als er ihr blasses Gesicht und ihr Zittern erblickte. Samir murmelte der braunhaarigen beruhigende Worte ins Ohr, wartete bis sie sich von selbst löste.
Bea schaute ihm nicht ins Gesicht, bedankte sich jedoch dafür, dass er sie getröstet und ihren Bruder nach Hause gebracht hatte.
Ehe Samir in Betracht zog zu gehen brannte ihm eine Frage auf der Zunge. „War er schon mal so zu dir? Ich meine, dass er dich angreifen wollte?“, fragte er sanft nach, strich Bea eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Nein, er war noch nie so. Wirklich. Es ist zurzeit einfach ein wenig schwierig für ihn.“, brachte Bea hervor, versuchte Samir zu überzeugen.
Der schwarzhaarige traute Beas Worten nicht ganz, doch er konnte nichts machen wenn sie nicht mit ihm reden wollte, also verabschiedete er sich mit den Worten, dass sie ja seine Handynummer habe und gerne anrufen dürfe.

Es war halb vier in der Frühe als Bea aus dem Schlaf gerissen wurde. Einige Augenblicke musste sie gegen das Licht anblinzeln, konnte dann aber ihren Vater erkennen. „Was willst du?“, fragte sie unfreundlich.
Sie freute sich kaum ihn zu sehen, warum auch? Er kam und verschwand wie er wollte, dann konnte er sie doch auch schlafen lassen.
„Hallo meine Kleine. Du musst aufstehen.“, weihte er sie Überschwänglich ein.
Bea drehte sich stöhnend auf die Seite. „Ich hab noch ein paar Stunden bis zur Schule, lass mich in Ruhe.“, brachte sie gähnend hervor und war schon fast wieder eingeschlafen, als sie ein Gedanke ergriff.
War etwas geschehen?
Womöglich mit ihrer Mutter? Oder mit Valentin?
Plötzlich hellwach sprang sie aus dem Bett, ignorierte den kleinen Schwindelanfall und hielt ihren Vater auf der Treppe an. Überrascht drehte dieser sich zu ihr um.
„Ist was passiert? Was ist los?“, bestürmte Bea ihren Vater mit Fragen, der beruhigend mit den Händen gestikulierte.
„Ist alles in Ordnung. Niemandem ist was passiert.“, beruhigte er sie. „Du musst mitkommen. Ich hab meinem Chef versprochen dass ich zu dem Geschäftsessen meine reizende Tochter mitnehme, damit der Sohn des Ehepaares sich nicht so langweilen muss.“, offenbarte er Bea und diese konnte gerade noch ein aufstöhnen unterdrücken.
„Und warum schmeißt du mich dann um halb vier aus dem Bett?“, fragte das dunkelhaarige Mädchen genervt.
„Ich muss gleich weiter. Ich komm dann und hol dich von der Schule ab. Wir müssen noch ein paar Stunden mit dem Auto fahren. Wann hast du aus?“, instruierte Beas Vater. Bea musste kurz überlegen. Der heutige Tag war ein Mittwoch.
„Um 17Uhr.“, gähnte Bea. „Das ist zu spät. Um 15Uhr hol ich dich ab und fahr dann nochmal mit dir hier her. Ich muss mich dann auch noch umziehen.“, erklärte er und war schon wieder aus dem Haus verschwunden.
Stirnrunzelnd und völlig erschöpft ließ Bea sich auf den Treppenstufen nieder. Hauptsache sein Chef war zufrieden, was Bea davon hielt was ja scheiß egal. Immer gingen die Schlampen und der Job vor.
Bea konnte noch immer nicht fassen wie aus ihrem Dad diese Person werden konnte. Er war immer so fürsorglich gewesen. Klar, er hatte oft Überstunden gemacht, doch am Wochenende hatte er immer Zeit für sie.
Ihr Dad hatte sich immer die Schuld an der Entführung ihrer Mutter gegeben, schließlich hatte er wieder Überstunden gemacht und sie war auf dem Weg zu ihm gewesen um nachzusehen ob alles in Ordnung war, da er nicht an sein Handy gegangen war.
Es hatte einen Monat gedauert, ehe ihr Vater ihre Mutter nicht mehr in der Klinik besucht hatte und begonnen hatte das Haus renovieren zu lassen.
Bea hasste ihren Vater dafür, dass er immer gesagt hatte er würde Überstunden machen auch wenn er seine Schlampen gevögelt hatte. Sie hatte es herausgefunden, als Bea ihn während der Entführung ihrer Mutter im Büro aufgesucht hatte, doch er war schon mit einer schwarzhaarigen beschäftigt gewesen.
Und dennoch war er damals bei ihnen gewesen.
Heute, zwei Jahre später machte er sich nicht einmal mehr die Mühe so zu tun als wäre ihm ihre Familie wichtig. Und doch konnte Bea nicht einfach nein sagen.
Denn wen hatte ihr Vater schon? Seine Ehefrau hatte er schon verloren und seine Schlampen würden ihn fallen lassen, wenn er älter würde.
Er wäre ganz allein sollten ihn auch seine Kinder im Stich lassen. Wer wusste, was er dann tun würde?
Bea seufzte auf und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer um sich anzuziehen. Sie würde nicht mehr schlafen können, dann konnte sie auch genauso gut den Garten säubern. Außerdem würde sie noch durchwischen müssen, denn an einigen Stellen klebte der Boden noch immer.
Fieberhaft überlegte sie in dieser Zeit was sie anziehen könnte. Seufzend packte Bea ein paar Sachen in eine Tasche, wollte darauf vorbereitet sein, dass sie in einem Hotel übernachten würden.
Es war halb acht, als sie aus dem Haus trat und sich auf den Weg zur Bushaltestelle machte. Sie hatte nicht gewagt ihren Bruder wecken zu wollen.
Hätte sich nicht dem stellen wollen, was geschehen würde.

Jonas stand um dreiviertel Acht vor dem Elternhaus von Bea, hatte schon mehrmals geklingelt, doch sie schien sich schon auf den Weg gemacht zu haben.
Seufzend stieg er wieder in seinen BMW und fuhr zur Schule, hielt unterwegs Ausschau nach seiner Freundin.
Er war am Vortag noch lange bei Samir geblieben, hatte sich aber gegen neun Uhr verabschiedet, da dieser noch mit Valentin und ein paar anderen Freunden feiern gehen wollte. Samir hatte gefragt ob er mitwolle, doch Jonas hatte gewusst, dass dies kein gutes Ende nehmen würde.
Er hatte noch zu Bea fahren wollen, hatte sich dann aber doch dagegen entschieden und war nach Hause gefahren.
Nun bereute er dies. Sie musste gedacht haben er wolle nichts mehr von ihr wissen. Aber Jonas war zu dem Entschluss gekommen, dass er Bea helfen wollte, egal welche Sorgen sie hatte.
Am Schultor erblickte er sie auf einer der Mauern sitzend. Sie hatte die Augen geschlossen, schien Musik zu hören. Als er näher kam sah er ihr blasses Gesicht und die Augenringe.
Unbemerkt schlich er heran, nahm sie dann schnell in die Arme und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Erschrocken wollte sie sich zuerst wehren, erkannte aber schnell seinen Geruch und erwiderte die Umarmung.
Einige Sekunden später nahm sich die Ohrenstöpsel aus den Ohren und zog sein Gesicht zu sich um ihn sanft zu küssen.
„Es tut mir leid. Ich weiß nicht… Du warst plötzlich weg.“, brachte sie leise und den Tränen nahe hervor. Jonas beruhigte sie und flüsterte immer wieder, dass alles in Ordnung sei.
In der großen Pause hatten Jonas und Bea sich nicht gesehen, weil Jonas in der Sporthalle Unterricht gehabt hatte. Nun wurde Bea abgeholt und sie bekam fürchterliche Bauchschmerzen bei dem Gedanken ein widerlicher Junge würde sie am Abend angraben dürfen, ohne dass sie unverschämt werden durfte.
Kopfschmerzen machten sich breit, was vielleicht auch daran liegen konnte, dass sie den ganzen Tag nichts zu sich genommen hatte.
Mit ihrem Vater sprach sie während der gesamten Fahrt zu sich nach Hause kein Wort und verschwand dann auch gleich nach oben um sich das graue Kleid, das sie sich schon am Morgen bereitgelegt hatte anzuziehen.
Dazu die schwarzen Pumps, die sie fast nie angehabt hatte. Eigentlich nur, damit sie lernte darin zu laufen. Dazu nahm sie sich eine weiße Handtasche und schmiss Handy, Bürste, Deo und ein Buch hinein.
Das Bad war blockiert, doch ihren Vater sah sie durch die offene Tür in seinem Schlafzimmer die Krawatte binden. „Dad wer ist da…?“, sie brauchte ihre Frage nicht zu beenden, denn da tauchte schon die Schlampe in einem superkurzen roten Kleidchen auf.
Sie würdigte Bea keines Blickes, zog eine Parfümwolke hinter sich her als sie zu Beas Vater lief um ihn zu küssen.
Bea musste den Würgereiz unterdrücken und verschwand im Bad um ihre Haare mit Gel in Form zu bringen und sich dezent zu schminken. Auch die Schminke schmiss sie in ihre Handtasche. Zuletzt legte sie sich silberne Creolen und eine lange Kette mit Herzanhänger an.
Sie wusste das Outfit würde nach stundenlanger Fahrt nicht mehr sitzen, doch das konnte Bea ja egal sein. Sie musste sich ja nicht ansehen, dachte sie grinsend.
Zuletzt sprühte sie sich noch ein wenig Parfüm auf und verließ dann das Bad.
Zehn Minuten später saßen alle im Wagen und Bea starb schon zu diesem Zeitpunkt fast in der Strumpfhose.
Die Fahrt vertrieb Bea sich damit Musik zu hören, damit sie dem Gelaber der Schlampe nicht zuhören musste, und das Buch zu lesen das sie mitgenommen hatte. Sie hatte es zwar schon ein paarmal gelesen, doch ihre Lieblingsstellen konnte sie unermüdlich nachschlagen.
Gegen 17Uhr trudelte eine Nachricht von Jonas ein, in der er Fragte wo sie stecke. Er schrieb, dass er gedacht hatte sie würden etwas zusammen machen.
Bea seufzte lautlos auf, schrieb zurück, dass sie nicht konnte, weil sie mit ihrem Vater weggefahren musste. Es dauerte einige Minuten ehe eine Antwort zurückkam, Jonas schrieb, dass er noch einmal schreiben würde wenn er zu Hause sei, da er beim Autofahren nicht tippen könne.
Es dauerte tatsächlich nur eine halbe Stunde ehe er ihr wieder schrieb und sie erklärte ihm nur, dass ihr Vater sie mit auf ein Geschäftsessen außerhalb mitnahm.

Jonas hatte Gedacht sich noch einen schönen Abend mit seiner Freundin machen zu können und nun saß er allein in seinem Zimmer. Er hatte noch Hausaufgaben zu machen, doch er schaltete lieber seinen Laptop an und chattet ein wenig mit seinen Freunden, während er mit Bea schrieb.
Es war 19 Uhr als sie aufhören musste, weil sie angekommen waren und Jonas hatte noch immer nichts über die Familienverhältnisse herausbekommen.
Immer war sie ausgewichen wenn er gefragt hatte. Vielleicht war ihre Mutter weggelaufen und sie redete einfach nicht gerne darüber, dachte er sich beruhigend.
Dann musste er sich wohl oder übel doch an die Hausaufgaben setzten, denn seine Eltern würden ausrasten würde er sich nicht um die Schule kümmern.

Der Porsche ihres Vaters hielt vor einem edel aussehenden Restaurant in irgendeiner komisch heißenden Stadt. Bea hatte es nicht mitbekommen, weil sie damit beschäftigt gewesen war Jonas bohrenden Fragen auszuweichen.
Warum wollte er nur so verbissen herausfinden wo seine Mutter war? Was ging es ihn eigentlich an?
Bea wusste, dass sie Jonas damit unrecht tat, sie würde das schließlich auch wissen wollen, aber sie waren erst wenige Tage zusammen und da musste er noch nicht alles über sie wissen.
Als die drei das Restaurant betraten war Bea das kurze Kleid der Schlampe sehr peinlich und sie verzog sich erst einmal auf die Toilette um ihre Haare und ihre Schminke zu richten.
Als sie auch auf der Toilette gewesen und ein wenig Deo benutzt hatte, ging sie wieder zu dem ihnen zugewiesenen Tisch. Ihre Gesellschaft für den heutigen Abend war noch immer nicht anwesend.
Bea ignorierte, dass ihr Vater die Hand der Schlampe hielt, als wären sie ein Pärchen, auch wenn er Verheiratet war und sie ignorierte auch die giftigen Blicke, die ihr die Blondine zuwarf, aber sie konnte nicht ignorieren, das sie sich absolut fehl am Platz fühlte und am liebsten sofort hinausgerannt wäre.
Der Ausblick den ganzen Abend in dem pickfeinen Restaurant zu verbringen, in dem es wahrscheinlich nur Muscheln und Schnecken gab, bereitete ihr ein flaues Gefühl im Magen.
Es war halb acht, als ein älteres Ehepaar sich zu ihnen an den runden Tisch gesellte und die Ankunft ihres Sohnes für einige Minuten später Ankündigten. Beide gaben sich recht freundlich und sie schienen ihren Sohn recht spät bekommen zu haben, denn die Frau war um die 65 und erwähnte, dass ihr Sohn 19 wäre und mit seinem eigenen Auto kommen würde.
Es vergingen schließlich zwanzig Minuten, ehe ein blonder junger Mann sich zu ihnen gesellte. Er gab sich ebenso wie seine Eltern sehr freundlich, doch man merkte ihm an, dass er kein Interesse an dem Abend hatte.
Dennoch stellte er Bea die eine oder andere Frage, die das braunhaarige Mädchen so kurz und so freundlich wie möglich beantwortete.
Bea war nach dem Essen schlecht und sie wollte so schnell wie möglich aus dem Restaurant. Ihr Essen war so seltsam widerlich gewesen, das sie nur mit Mühe und Not etwas davon hinunterwürgen hatte können.
Als Ihr Vater und der Mann endlich alles geklärt hatten verabschiedete sich das Ehepaar um etwa halb zehn. Clemens –der blonde junge Mann- bot an sie zum Hotel zu bringen und die Schlampe und ihr Vater stimmte sofort zu und drückten ihr ihre Tasche und die Sachen für den Check-in in die Hände.
Bea konnte nur ahnen, was die beiden vorhatten, doch eigentlich wollte die 16-jährige es nicht wissen.
Die Fahrt verlief schweigend, doch als Clemens wenige Minuten vor der Tür an der Straße parkte, bekam Bea den Schock ihres Lebens.
Clemens hatte sich zu ihr gedreht und sagte Bea mit rauer Stimme, dass sie wunderschön aussehe. Anschließend kam er näher um sie zu küssen, doch Bea wollte nicht.
Das braunhaarige Mädchen versuchte sich zu wehren, doch Clemens war bedeutend stärker und hielt sie einfach fest, während er seine Lippen auf ihre presste. Bea versuchte ihn zu beißen und als es ihr gelang ließ Clemens kurz ab um ihr eine Ohrfeige zu geben.
„Komm schon, du willst es doch auch.“, murmelte er vor sich hin, ehe er sie wieder küsste und langsam eine Hand über ihren Körper gleiten ließ.
Bea wagte nicht noch einmal ihn zu beißen, doch sie wusste wenn sie sich jetzt nicht wehrte, würde er schlimmeres tun.
Es war ein Glücksfall, das Bea ihre Hände lange genug losreißen konnte um ihm einen Kinnhaken zu verpassen, der ihren Peiniger kurz erschreckte.
Sie schlug gleich noch einmal zu, nahm so schnell sie konnte ihre Taschen und kletterte aus dem Wagen.
Ohne groß nachzudenken rannte sie in das Hotel, war froh als jemand am Tresen saß und ihr ihren Zimmerschlüssel gab. Bea ging hektisch zum Aufzug und suchte sich im dritten Stock ihr Einzelzimmer.
Darin angekommen war das erste das sie tat sich den Mund auszuspülen. Bea hatte noch immer den widerlichen Geschmack des Perverslings und dessen Blut im Mund.
Der Geschmack wollte nicht vergehen und Bea musste würgen, übergab sich in die Toilette. Schluchzend zog sie sich ihre Kleidung aus und duschte.
Was hätte dieser Typ getan hätte sie sich nicht wehren können?
Bei der Vorstellung musste sie aus der Dusche hechten um sich erneut in die Toilette zu übergeben.
Es dauerte eine Stunde, ehe Bea wieder unter der Dusche hervorkam.
Sie weinte noch immer. Was sollte sie jetzt tun?
Der erste Gedanke der ihr dazu in den Kopf schoss war, dass Jonas niemals davon erfahren durfte.
Noch immer fühlte Bea die Hände die sie festgehalten hatten, die eine, die sie befummelt hatte und sie würde am liebsten auf etwas einschlagen.
Zitternd und weinend zog Bea sich ein großes T-Shirt an, das sie zum Schlafen trug und rollte sich zitternd auf dem Bett zusammen.
Die Nachrichten, die Jonas ihr schrieb ignorierte sie, weinte sich stumm in den Schlaf.

Jonas machte sich Sorgen um Bea, fragt sich warum sie nicht zurückschrieb. Samir belächelte die Sorgen seines Freundes nur, überredete ihn sich mit ihm an der Spielekonsole zu messen.
Und doch, obwohl Jonas wusste, das Bea wahrscheinlich noch mit ihrem Vater fest hing, wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas geschehen war.

Es war halb sechs Uhr morgens, als Bea vom Klopfen an der Tür geweckt wurde. Ihr Vater forderte sie auf in eine halbe Stunde später mit ihren Sachen beim Frühstück zu erscheinen, damit sie bald fahren konnten.
Bea fühlte sich schlecht, stellte sich wieder unter die Dusche und musste sich dann beeilen ihre Sachen wieder in die Reisetasche zu packen und nach unten zu gehen.
Es war halb sieben, als Beas Vater und die Schlampe endlich erschienen und Bea hatte die wenigen Dinge, die sie zuvor auf den Teller getan hatte kaum angerührt.
Sie hatte Angst sie würde es auf der langen Fahrt nicht bei sich behalten können.
Das braunhaarige Mädchen hatte versucht ihre blasse Haut und die Augenringe zu überschminken, doch die rot geäderten Augen hatte sie nicht kaschieren können, genauso wenig wie ihre zitternden Hände.
Die zwei Erwachsenen bemerkten nichts, beachteten sie kaum.
Während der Autofahrt bekam Bea kein Auge zu. Immer wenn sie diese schloss sah sie das widerliche Grinsen Clemens und hatte das Gefühl er würde sie wieder festhalten.
Bea starrte die ganze Zeit nur geradeaus, beobachtete manchmal die Autos die ihr Vater überholte.
Es war halb elf, als der Vater der Zwillinge vor ihrem Haus hielt, doch anstatt hineinzugehen, ließ Bea ihre Taschen im Flur stehen und machte sich dann auf den Weg in die Klinik.
Es war verwirrend, doch sie fühlte sich dort sicherer als in ihrem zu Hause.
Den Weg ins Zimmer ihrer Mutter hätte Bea wohl auch im Dunkeln gefunden. Mit gesenktem Blick lief sie durch die Flure, beachtete Begrüßungen einfach nicht, oder entgegnete bloß ein nicken.
Im Zimmer ihrer Mutter konnte Bea endlich den Tränen freien Lauf lassen, die schon seit einigen Stunden ihren Weg nach draußen suchten. Schluchzend nahm sie die Hand ihrer Mutter und drückte sie an ihre Wange, fühlte die kühlen Finger.
Sie wünschte sich so sehr, dass der zarte Körper ihrer Mutter sich aus dem Bett erheben und sie in die Arme nehmen würde.
Bea wollte, dass ihre liebevolle Mutter ihr wieder sanft über den Kopf streichelte, wie sie es so oft getan hatte.

Jonas machte sich große Sorgen, als er auch in der Schule nichts von Bea hörte.
Sie weder sah noch hörte.
Was wenn ihr etwas geschehen war? Warum hatte sie nicht zurück geschrieben?
Er machte sich wohl zu viele Sorgen, und dennoch stand er um 14Uhr vor ihrem Elternhaus um nach ihr zu sehen.
Jonas klingelt einige Male, doch als niemand öffnete ging er wieder.
Vielleicht blieben sie ein wenig länger außerhalb und der Akku ihres Handys war leer, so wie es ihm schon so oft passiert war. Jonas schalt sich einen verliebten Idioten und stieg in sein Auto um nach Hause zu fahren. Er hatte seiner Mutter versprochen sein Zimmer aufzuräumen und ihr beim Organisieren eines Essens bei ihnen zu Hause zu helfen.
Am Abend lag Jonas schließlich mit Samir in der Sonne und trank ein Bier mit seinem besten Freund, während Jonas Vater wenige Meter weiter ein paar Steaks grillte und seine Mutter unweit beim Gartentisch Geschirr auftrug.
Es war ein sehr warmer Abend und Samir war wenige Stunden zuvor gekommen um den Tag mit seinem besten Kumpel am Pool zu verbringen. Kurz entschlossen hatten Jonas Eltern dann Samirs Familie zum Grillen eingeladen.
Die drei weiteren Gäste waren noch nicht eingetroffen, doch das lag wahrscheinlich an Samirs kleinerer Schwester.
Leyla war erst fünf und ein sehr anstrengendes Kind. Und doch mochte Jonas sie sehr.
Er selbst hatte sich immer Geschwister gewünscht, doch seine Mutter hatte nach ihm keine Kinder mehr bekommen können.

Bea hatte lange im Krankenhaus gesessen und geweint. Irgendwann hatte sie einfach nur noch dagesessen und ihre Mutter angestarrt.
Vor ihrem inneren Auge waren Kindheitserinnerungen abgelaufen.
Die Schwestern die den Raum betraten ignorierten sie meist, doch als der Physiotherapeut den Raum betrat, ging Bea nach draußen und setzte sich eine Weile in eine der Nischen, in denen Sofas und Stühle standen, sah aus dem Fenster.
Sie hatte keine Ahnung wie spät es war, doch die Schatten wurden länger und als sie auf die Uhr sah war es kurz nach 17Uhr. In der Cafeteria besorgte Bea sich einen Kaffee, kaufte ein belegtes Brötchen, weil sie Angst hatte zusammen zu klappen wenn sie nichts aß.
Mit ihren Errungenschaften ließ das braunhaarige Mädchen sich auf einer der Bänke im Park der Klinik nieder und beobachtete die Menschen die vorbeikamen.
Als sie wieder zurück ins Zimmer ihrer Mutter ging war es bereits nach halb neun und Bea ließ sich in den Stuhl neben dem Krankenbett plumpsen.
Das 16-jährige Mädchen schlief auf dem Stuhl ein, wurde schließlich von Ingo, der Nachtschicht hatte und sie entdeckte im Schwesternzimmer auf die Liege gelegt, damit sie es bequemer hatte.
Ingo blieb einen Moment stehen, nachdem er Bea mit einer Decke zugedeckt hatte. Das junge Ding hatte schon mehr mitgemacht als er in seinem ganzen Leben, Bea sah erschöpfter aus als sonst und er nahm sich vor zu fragen ob etwas nicht stimmte, wenn sie erwachte.
Und doch würde er ihr wohl nicht helfen können, denn nur der liebe Herrgott würde ihre Mutter wieder aufwecken können.

Jonas Sorge erwachte wieder. Nur stärker, denn auch am nächsten Tag, einem Freitag, war Bea nicht in der Schule gewesen.
Niemand hatte von ihr gehört und auch auf ihrem Handy meldete sie sich nicht. Leider hatte Jonas an diesem Tag eine Gruppenbesprechung für einen Vortrag und konnte erst am Abend bei Bea vor der Tür stehen.
Als er klingelte machte nach einigen Minuten Valentin auf. Er sah weder verkatert noch betrunken aus, was Jonas wunderte, bei dem was Samir über ihn erzählt hatte.
„Was willst du? Bea ist nicht hier.“, wollte der blauäugige ihn barsch loswerden, doch Jonas wollte nicht so leicht aufgeben.
„Weißt du wo sie ist?“, fragte Jonas nach, erhoffte sich zumindest einen Hinweis. „Mit meinem Dad weg.“, antwortete Valentin gelassen, wollte die Haustür wieder schließen.
„Auf diesem Essen? Sie wollte eigentlich gestern wieder zurück sein. Ich kann sie nicht auf dem Handy erreichen.“, Jonas versuchte an Valentins Vernunft zu appellieren.
Dessen Augen weiteten sich ein wenig und er knallte einfach die Haustür zu, ohne noch ein Wort zu sagen.
Seufzend vernahm Jonas das Getrampel im Haus, wandte sich ab und fuhr besorgt nach Hause. Er hatte seiner Mutter zugesichert noch bei den letzten Vorbereitungen für das Essen zu helfen. Es behagte ihm gar nicht nichts von Bea zu hören.
Wer wusste, was los war…

Gegen zehn Uhr am Abend betrat Bea das Haus in dem sie lebte. Sie war am Morgen im Schwesternzimmer aufgewacht, war aber gleich wieder zu ihrer Mutter gegangen und hatte an ihrem Bett gesessen.
Den ganzen Tag. Bis sie am Abend von einer Schwester aus ihrer Erstarrung gerissen worden war, die sie gefragt hatte ob alles in Ordnung war. Die 16-jährige war geflüchtet, hoffte inständig, dass sie niemanden antreffen würde.
Doch im Hausflur kam Valentin ihr entgegen. Er nahm sie in die Arme als er sie erblickte.
„Wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht?“, fragte er, während er es mit einem Stirnrunzeln hinnahm, dass sie sich nicht von ihm umarmen lassen wollte, sich losriss.
„Weg.“, brachte sie nur hervor. Bea streifte ihre Schuhe ab, während ihr Zwilling die Haustür öffnete um zu gehen.
„Warte.“, presste sie zwischen den Zähnen hervor und Valentin drehte sich tatsächlich um. „Liebst du mich?“, fragte das braunhaarige Mädchen ihren Bruder, der perplex bejahte. „Würdest du mir zu liebe etwas tun?“, fragte Bea weiter, konnte die Tränen kaum unterdrücken.
„Alles.“, erklärte Valentin inbrünstig und sah sie liebevoll an. Als er aber näher kam, machte Bea einige Schritte zur Treppe hin.
„Würdest du aufhören zu trinken?“, stellte Bea die Frage, auf die sie hinausgewollt hatte. Valentin sah sie überrascht an, doch nach einigen Augenblicken, in denen sie sich in die Augen geschaut hatten drehte er sich wortlos um und ließ die Haustür hinter sich zufallen.
In diesem Moment hatte er sich dafür entschieden, dass ihm der Alkohol wichtiger war als sie.
Aber er konnte nicht richtig urteilen, verteidigte Bea ihn, er hatte doch so viele Sorgen. Er war doch ihr Bruder. Er liebte sie.
Er musste sie lieben, dachte Bea verzweifelt, als sie weinend und schluchzend auf der Treppe zusammenbrach.
Sie hatte doch niemanden außer ihm und ihrem Vater!

Gegen elf Uhr bekam Jonas eine Nachricht von Samir, das Bea zu Hause sei.
Samir hatte sich am Abend noch sein Gejammer anhören dürfen und nun saß er einsam mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher und sah sich einen schlechten Film an. Jonas mochte ohnehin Filme nicht besonders. Man wusste immer wie es ausging. Es gab nicht viele Optionen und oft war das Ende deprimierend.
Leicht angetrunken, da Jonas vor dem Bier noch anderes in sich hineingeschüttet hatte, entschied er, dass er erst am nächsten Tag bei Bea aufkreuzen würde.
Sie hatte sich noch immer nicht gemeldet.
Vielleicht war sie ja auch gleich eingeschlafen, weil sie noch immer die Nachwirkungen ihres kleinen Unfalls spürte.
Jonas schleppte sich müde ins Bett. Die Sorge um Bea hatte ihn viele Nerven gekostet und er war sehr erschöpft.

Samir stützte den betrunkenen Valentin, während er versuchte mit dessen Schlüssel die Haustür aufzubekommen.
Es war erst halb zwei, doch Vale hatte alles Wahllos in sich hineingeschüttet. Samir hatte den Grund dafür nicht erfahren, nur das Bea wieder aufgetaucht war.
Langsam fragte auch er sich was in diesem Haus eigentlich los war. Er kannte Valentin seit knapp anderthalb Jahren und hatte nie etwas von der Mutter vernommen. Über den Vater hatte sich Vale ebenfalls immer ausgeschwiegen, auch wenn Samir ihn manchmal mit jungen Frauen um die 25 gesehen hatte. Nur seine Schwester hatte er nie oft genug erwähnen können.
Und dann ging er auf sie los? Jonas hatte sich wirklich nicht das einfachste Mädchen ausgesucht, doch Samir war fest entschlossen seinem besten Freund zu helfen, denn eines war klar: Irgendetwas stimmte nicht.
Samir konnte Valentin kaum mehr halten, als er ihn endlich in sein Bett gelegt hatte. Ein wenig wütend, weil er ihn immer nach Hause bringen musste, zog er ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu.
Seufzend löschte er das Licht. So leise er konnte schlich er die Treppe nach oben. Er wusste nicht, wer im Haus war, denn das Auto des Vaters hatte er nicht gesehen.
Samir wollte schon aus dem Haus verschwinden, als er leises Schluchzen aus dem Wohnzimmer vernahm. Samir erblickte Bea, die sich weinend auf der Couch zusammengerollt hatte.
Nur ein kleines Leselicht brannte.
Bea brauchte einige Minuten, ehe sie ihn erkannte, richtete sich dann aber schnell auf und wischte sich die Tränen weg. Samir hatte Mitleid mit ihr, denn sie ähnelte einen Häufchen Elend, wie sie versuchte ihre Tränen zu verstecken und sich aufrecht zu halten.
Langsam ging er auf sie zu, setzte sich neben ihr auf die Couch. Doch kaum hatte Samir sie am Arm berührt sprang das braunhaarige Mädchen auf und lief im Zimmer auf und ab.
Großen Abstand zwischen sich und Samir.
„Was ist los? Geht´s dir nicht gut?“, fragte Samir nach.
Was sollte er tun? Er war ein wenig überfordert mit der Situation.
Vale lag besoffen im Bett und den Vater der Zwillinge würde er bestimmt nicht erreichen. Jonas war auch schon angetrunken gewesen, lag bestimmt im Bett und schlief.
Samir war also allein mit Bea. „Doch. Ist alles gut. Ich kann nur nicht schlafen.“, brachte Bea hervor, ihre Stimme zitterte.
„Jetzt komm schon Bea. Was ist los? Ist was passiert?“, forderte der halbtürke.
„Ich muss… Ich bin müde. Bitte geh jetzt.“, forderte Bea ihren Gegenüber auf.
Samir beschloss es für die Nacht auf sich beruhen zu lassen. Er würde am nächsten Tag Jonas vorbeischicken. Ihm würde Bea wahrscheinlich eher etwas erzählen als Samir.
Also folgte er ihrer Forderung und sie verschwand nach oben, ehe er sich verabschieden konnte.

Jonas war gegen elf von seinem Handy geweckt worden. Samir hatte ihm eine SMS geschrieben, die ihn aufspringen und sich anziehen ließ. Hatte er doch sowieso schon vorgehabt zu Bea zu fahren, wurde seine Sorge doch nun stärker.
Ich hab gestern Vale besoffen heimgebracht. Bea hat weinend auf der Couch gesessen. Um halb zwei. Irgendetwas stimmt nicht, aber sie hat nichts gesagt. Schau nach deinem Schatz.
Dreißig Minuten später stand Jonas vor verschlossener Tür. Er wartete, denn er hatte nicht vor zu gehen ehe er mit Bea gesprochen hatte.
Und nach dem er zum zehnten Mal geklingelt hatte öffnete ihm tatsächlich Bea die Tür.
Sie hatte Augenringe und Rot geäderte Augen. Ihr Gesicht war blass und die Haare nicht gekämmt. Sie trug nur ein bauchfreies Top und eine kurze Sporthose.
Verschlafen sah sie ihn an, fiel ihm einen Moment später um den Hals. Jonas erwiderte die Umarmung glücklich. Endlich hatte er seine Bea wieder in den Armen, roch ihren Duft und spürte ihre Haut.
Einige Minuten schwiegen beide, ehe Bea ihn losließ und ins Haus ging.
Das braunhaarige Mädchen lief in die Küche und Jonas musste seine Reaktion unterdrücken. In der Spüle lagen Teller und Töpfe, genauso wie Schüsseln und Besteck. Auf der Küchenplatte schien etwas übergekocht zu sein.

Bea hatte noch nicht die Kraft gefunden das Chaos zu beseitigen dass ihr Bruder hinterlassen hatte. Die Schlampe hatte auch versucht etwas für ihren Vater zu kochen, was aber in die Hose gegangen war. Die Kochplatte bewies es.
Sie hatte nicht mehr daran gedacht, ehe sie Jonas hineingeführt hatte. Bea hatte sich einen Kaffee besorgen wollen. Sie hatte höchstens zwei Stunden geschlafen und Jonas würde sich wahrscheinlich nicht mehr mit ihr hinlegen.
Obwohl, die meiste Zeit hatten sie geschlafen wenn sie zusammen gewesen waren, dachte sie leicht lächelnd.
Während Bea also Jonas bedeutete sich an den Küchentisch zu setzen und die Kaffeemaschine einschaltete, machte sie sich daran das Chaos zu beseitigen. Zuerst wurde das Geschirr in die Spülmaschine gestellt und diese angeschaltet, ehe Bea sich um die Herdplatte kümmerte.
Bea hatte sich davor gefürchtet Jonas nicht anrühren zu können, aber sie hatte ihn sehr vermisst. Seinen Geruch und seine starken Arme. Sie hatte jemanden vermisst der sie hielt.
Jonas beobachtet sie schweigend, erst als Bea sich zu ihm an den Tisch setzte und ihren Kaffee trank, nachdem sie auch ihm etwas angeboten hatte, begann er ein Gespräch.
„Warum bist du nicht an dein Handy gegangen und wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht!“, der wütende Unterton entging Bea nicht, doch Jonas Augen blickten sie zärtlich an. Es war selten, dass jemand sie vermisste, ein verloren gegangenes Gefühl.
Einige Minuten schwiegen beide, ehe Jonas wiederholt fragte, wo sie gewesen sei. „Wir waren doch auf dem Essen und Dad wollte bis gestern bleiben und ich hatte kein Akku mehr.“, suchte sich die braunhaarige schnell eine plausible Erklärung.
Immer wieder musste sie gähnen, als die beiden sich über die letzten Tage unterhielten. Eigentlich redete hauptsächlich Jonas und Bea warf immer mal wieder etwas ein. Schließlich bot der dunkelhaarige Junge an sich noch einmal ins Bett zu legen und Bea nahm dankend an.
Als sie jedoch im Bett lagen, versuchte Jonas Bea zu küssen. Und da durchfuhren plötzlich die Bilder von Clemens ihren Kopf und Bea schreckte gleich wieder zurück, sah Jonas mit aufgerissenen Augen an und musste die Tränen unterdrücken.
Scheiße.
Würde das jetzt immer so sein? Würde sie Jonas nicht mehr küssen können ohne an den Dreckskerl zu denken?
Und als Bea in Jonas verwirrte Augen schaute, wurde ihr klar, dass Jonas etwas Besseres verdient hatte.
Kein Mädchen, das ihre Familienverhältnisse hatte und auch kein Mädchen um das er sich ständig sorgte, weil es ihm nicht die Wahrheit erzählen konnte.
Ein Mädchen, das nicht von einem Widerling wie Clemens geküsst worden war.
Jonas hatte ein normales Mädchen verdient und nicht etwas wie sie!

Jonas wusste nicht wie ihm geschah. Im einen Moment war Bea noch vor seinem Kuss zurück geschreckt und hatte ihn ängstlich angesehen, im anderen war sie aus dem Bett gesprungen und sah ihn entschlossen und traurig an.
Jonas wusste, dass nun etwas Dummes geschehen würde. Etwas, das er scheiße finden würde.
Jonas hatte Bea schon die Geschichte mit dem Handy nicht abkaufen können, genauso wenig wie dass ihr Dad länger hatte bleiben wollen.
Besonders, als er auf dem Boden Beas Handy erblickt hatte, als er ein Kissen aufgehoben hatte. Es hatte aufgeblinkt und immer wieder 24 neue Nachrichten angezeigt.
Als Bea Jonas Befürchtungen wirklich wahr machte, konnte er es nicht glauben. Ernst sah sie ihm in die Augen, atmete tief durch und Jonas stand langsam vom Bett auf, trat ihr gegenüber.
„Ich möchte nicht mehr mit dir zusammen sein. Ich mache Schluss. Bitte geh jetzt.“
„Egal was es ist. Ich kann damit umgehen. Was ist hier los? Ich komm mit deinem Bruder und auch deinem Vater aus, aber irgendetwas ist passiert. Du musst nicht Schluss machen. Ich liebe dich doch!“, versuchte Joans, spürte, das Bea das eigentlich nicht wollte.
„Bitte tu das nicht.“, fast verzweifelt brachte Jonas das immer wieder hervor, doch Bea blieb hart, erläuterte nichts weiter und Jonas beschloss sie erst einmal in Frieden zu lassen.
Scheiße. Warum hatte sie das getan?
Jonas Augen brannten verdächtig und er verbat sich selbst strikt zu weinen.
Jonas wusste nicht wohin, seine Eltern waren nicht zu Hause und er wollte nicht allein sein. Zehn Minuten später stand Jonas vor Samirs Zimmertür.
Als er seinen besten Freund aufgeweckt hatte hörte sich dieser das Ganze an und Jonas konnte nicht verhindern, dass plötzlich einige Tränen aus seinen Augen schossen. Er wischte sie sofort weg, doch Samir nahm ihn nur in die Arme und klopfte ihm immer wieder beruhigend auf den Rücken.
Samir war ein echter Freund und Jonas würde wirklich nicht wissen, was er ohne ihn täte.

Bea sah Jonas aus dem Fenster wegfahren, blieb noch eine ganze Weile stehen, doch ihr Herz begriff einfach nicht, dass es so besser war. Das braunhaarige Mädchen unterdrückte den Drang zu weinen und auch den zu ihrem Handy zu rennen und Jonas anzurufen um ihm zu sagen, dass sie es nicht ernst gemeint hatte.
Schließlich ignorierte sie ihr schmerzendes Herz und machte sich auf den Weg in die Küche um einen Einkaufszettel zu schreiben. Sie musste sich schließlich um den Haushalt kümmern und hatte diese Pflicht in dieser Woche nicht sehr ernst genommen.
Als Bea eine Stunde später alle Einkäufe verstaut hatte begab sie sich in das Zimmer ihres Bruders, der zu ihrer Verwunderung schon am frühen Morgen weggegangen war. Sie wusste nicht warum, doch sie war froh, denn dann konnte sie in Ruhe seine Wäsche einsammeln und ein wenig sauber machen.
Das Badezimmer, das ihr Bruder allein nutzte glich einem Schweinestall und in seinem Zimmer konnte man den Boden nicht sehen. Am Nachmittag hatte Bea dann auch endlich die Wäsche erledigt gehabt und sie im Garten auf die Leine gehangen, da sie Sonne schien.
Bea kümmerte sich um den Teich, der voller Algen war und entdeckte einige wenige Überreste der Party, die sie übersehen hatte. Bea fegte die Terrasse und begann dann im Wohnzimmer die Regale abzustauben.
Es war etwa 16 Uhr, als Beas Vater zur Tür hereinschneite. Er hatte eine rothaarige Frau um die fünfunddreißig dabei. Sie war zumindest nicht so jung, wenn man bedachte das ihr Vater 43 Jahre alt war, seufzte Bea innerlich.
Als ihr Vater die rothaarig aber dazu aufforderte sich zu setzten und dann wieder verschwand wäre Bea ihm am liebsten hinterher gerannt um ihn zurückzuholen.
Einige Augenblicke starrte sie die Frau noch an, ignorierte sie dann aber und fuhr damit fort die Schränke feucht abzuwischen. Es vergingen einige Minuten, in denen Bea keinen Mucks von der Rothaarigen vernahm, doch dann hörte sie die High-Heels klappern und hinter ihr räusperte sich jemand.
Seufzend drehte Bea sich um, hatte keine Lust ihr etwas zu essen zu machen, oder sie sonst wie zu bedienen.
„Du musst Bea sein. Ich heiße Christiane, aber du kannst mich gerne Chrissi nennen und auch duzen.“, mit freundlicher Stimme und einem Lächeln stellte sie sich vor.
Bea reagierte erst verspätet auf die Hand die ihr hingestreckt wurde. Verwundert und dennoch abweisend sah sie Christiane an.
„Chrissi.“, wiederholte sie probehalber.
Was war das bitte für eine Frau? Eine weitere Sekretärin?
Wo war denn die Schlampe?
Bei ihr war es viel einfacher garstig zu sein, weil sie auch immer zickte.
Aber Chrissi strahlte sie noch immer an.
Mit den High-Heels war sie ein ganzes Stück größer als Bea, doch se verliehen ihr irgendwie nicht das Schlampen-Ambiente. Auch das weiß—schwarze Sommerkleid hatte eine angemessene Länge.
„Kann ich dir helfen?“, fragte Chrissi freundlich und Bea konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. „Ähm…“, war ihre intelligente Antwort und Chrissis Grinsen bekam eine kleine unsichere Macke.
Doch Bea wollte nicht sehen, wie sie unsicher wurde, denn das würde heißen, sie wäre ein bisschen menschlich.
Bea wollte das diese Frau das Haus verließ, denn egal wie nett sie war, sie vögelte ihren Vater.
„Was willst du von meinem Vater?“, fragte Bea also direkt, wollte nicht freundlich drum herum reden und Christianes Lächeln verschwand nun gänzlich.
„Naja, dein Vater hat gesagt er muss noch kurz was besorgen und…“, versuchte die rothaarige zu erklären, doch Bea hatte genug gehört, würgte sie ab.
„Wahrscheinlich Kondome, oder? Er hat ja auch einen unglaublichen Verbrauch.“. Nun drückte das Gesicht Beas gegenüber eindeutig Unbehagen aus. „Nun ja, wir sind seit zwei Tagen fest zusammen, ich würde sagen wie dürfen das.“, brachte die rothaarige hervor.
Bea erstarrte.
Fest zusammen.
„Sie sind also mit meinem Vater zusammen und sie schämen sich so gar nicht? Sie wissen schon, dass er verheiratet ist, oder?“, fragte Bea ihre Gegenüber mit bedrohlichem Unterton.
Bea war kurz davor an die Decke zu gehen. Wie konnte ihr Vater es wagen?
Und wie konnte die Schlampe vor ihr es wagen? Sie sollte verschwinden. Sofort!
„Deine Mutter ist seit zwei Jahren im Koma. Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich liebe deinen Vater und er hat sich auch in mich verliebt.“, stellte Christiane mit ernster Miene klar.
„Und deshalb war er auch noch vor zwei Tagen mit mir und dieser anderen Schlampe schick essen und hat mit der einen auf Paar gemacht, oder?“, fragte Bea giftig, konnte nicht fassen, dass die Nutte behauptete ihr Vater würde sie lieben.
„Das mit Julia ist vorbei. Und mit den anderen Frauen auch, das hat Erik mir versichert.“, Christianes Stimme klang hart, doch Bea hatte kein Mitgefühl. Sie wünschte sich die Schlampe wieder zurück, denn diese hatte wenigstens nicht die Absichten zu bleiben, sondern nur Geld abzusahnen.
„Erik verspricht den lieben langen Tag etwas.“, erwiderte Bea in süßlichem Tonfall, „Mein Vater hat kein Interesse an dir. Du willst doch sowieso nur sein Geld!“, brachte Bea zischend an die rothaarige heraus.
Was sollte die scheiße eigentlich? Ihr Vater wollte eine Freundin? Er hatte doch schon eine Familie, um die er sich nicht richtig kümmern konnte.
Oder wollte er sie verlassen?
Durchbrennen? Nein, das konnte nicht sein.
Ihr Vater würde sie nie verlassen.
Er liebte sie, auch wenn er das nicht immer so zeigen konnte.
Das war der Moment in dem Beas Vater im Wohnzimmer erschien und hinter seinem Rücken einen großen Rosenstrauß hervorholte. Er ging zu seiner Tusse und küsste sie sanft ehe er ihr die Rosen in die Hand drückte.
„Ihr habt euch bestimmt schon bekannt gemacht. Bea, das ist meine Freundin Christiane. Schatz, das ist meine Tochter Bea.“, stellte Beas Vater sie beide noch einmal vor und Bea musste sich fast übergeben.
Wie ein Reh im Scheinwerferlicht blieb sie mit großen Augen erstarrt stehen, sah wie durch einen Schleier, dass ihr Vater die Schlampe von hinten umarmte und sie in den Nacken küsste. Es waren wohl nur Minuten vergangen, die sich aber wie Stunden anfühlten, ehe Bea sich verwirrt umdrehte und weiter die Schränke abstaubte.
Sie ignorierte ihren Vater und auch die rothaarige, ließ sich nicht von ihnen davon abbringen wie eine Verrückte weiter zu putzen. Schließlich verschwanden beide auf die Terrasse, setzten sich an den Tisch und schienen sich gut zu unterhalten.
Bea ignorierte sie und begann durch das Haus zu wischen. Sie räumte ihr Zimmer auf und putze das Badezimmer im oberen Stockwerk. Um halb sechs begann Bea etwas zu kochen. Eine Stunde später saß sie am Tisch und aß alleine ihren Auflauf. Ihr Vater und seine rothaarige betraten lachend die Küche als Bea den ersten bissen nehmen wollte.
Schlagartig verschwand ihr Appetit und Bea stand mit quietschendem Stuhl auf und verließ die Küche schweigend, drückte sich an den Beiden vorbei und verschwand in ihr Zimmer.
Bea zog sich eine Jogginghose an und nahm eine schwarze Handtasche mit Geldbeutel und Handy mit sich.
Eine halbe Stunde später betrat sie das Krankenhaus, unterhielt sich ein wenig mit der Dame an der Rezeption und begegnete dann Ingo, den sie zur Notaufnahme begleitete.
Die braunhaarige war jedoch froh, als sie endlich angekommen waren, denn Ingo stellte ihr den ganzen Weg Fragen, die ihr unangenehm waren.
Nur, ob es ihr gut ginge und so weiter und dennoch wollte Bea ihn schnell loswerden.
Als Bea jedoch die Notaufnahme betrat blieb sie erst einmal wie erstarrt stehen.
An die Wand gelehnt standen Valentin und Jonas. Zwischen den Beiden Samir.
Jonas hatte eine Wunde am Auge und an seinen wundervollen Lippen. Ihr Zwilling hatte ein blaues Auge und eine blutende Nase. Beide sahen nicht gut aus und Bea wurde übel. Was war passiert?
Samir erblickte sie, blinzelte und kam dann auf sie zu. Die anderen Beiden schauten auf, kamen auch auf sie zu.
„Was machst du hier?“, fragte Samir sanft, doch Bea schwieg ihn nur an.
Sie machte einige Schritte weg, signalisierte den beiden Jungs hinter dem halbtürken, dass sie stehen bleiben sollten.
„Was ist passiert?“, brachte sie mit leiser Stimme hervor.
Samir blickte sie forschend an, doch Bea hatte nur Augen für die beiden Jungen hinter Samir, die den Anstand hatten beschämt zu Boden zu sehen.
Ihr Bruder schien ausnahmsweise nicht betrunken zu sein.
Jonas sah zwar immer wieder auf und auch Valentin unternahm denn ein oder anderen Versuch, doch Beas stechender Blick ließ sie den Blick wieder senken.
Während Samirs Erzählungen schienen beide immer kleiner zu werden.
„Jonas war bei mir und dein Bruder ist aufgetaucht. Beide sind aufeinandergetroffen und es hat ein Wort zum anderen geführt, ehe Schläge fielen. Hab Gedacht ich bring sie lieber mal her weil es doch schon ziemlich heftig zugegangen ist. Meine Mum wird nicht erfreut sein, wenn sie erfährt, dass ihre Kommode und ihr Spiegel im Flur zu Bruch gegangen sind.“, Samir schmunzelte ein wenig während des letzten Satzes, sein Blick wandelte sich aber schlagartig als Bea immer blasser wurde.
Jonas und Valentin sahen vorsichtig auf, als einige Minuten schweigen herrschte.
Schließlich fragte Samir wieder was sie hier wolle.
Bea schreckte aus ihren Gedanken auf, nahm plötzlich ihre Umgebung wieder wahr und wurde sich Ingo bewusst, der das Ganze still beobachtet hatte. Sie warf einen Blick auf ihn und antwortete mit brüchiger Stimme. „Ich hab Ingo besucht. Ich kenn ihn schon lange und wir haben uns auf nen Kaffee verabredet.“.
Bea war Ingo sehr dankbar, als dieser nicht widersprach, einfach schwieg. Bea spürte Jonas stechenden Blick auf sich nahm auch die Blicke wahr, die er Ingo zuwarf.
Er dachte wohl da würde was laufen, schließlich war Ingo erst zwanzig, aber es verletzte sie, das Jonas zu denken schien sie würde gleich zum nächsten rennen wenn sie ihn los wäre. Auch Samir musterte Ingo intensiv, nur ihr Zwillingsbruder schaute weiterhin zu Boden.
Bea hatte ihn einige Zeit immer wieder gefragt, ob er sie ins Krankenhaus begleiten würde, doch seit anderthalb Jahren war sie die einzige die ihre Mutter besuchte.
Ihr Bruder wusste, was sie hier wollte, wusste dass sie sich nicht mit Ingo hatte treffen wollen, doch er schwieg.
Einige Augenblicke herrschte schweigen, dann wurde Jonas aufgerufen und Bea drehte sich ohne einen letzten Blick um und verließ die Notaufnahme.

Jonas blickte Bea noch einige Sekunden hinterher, ehe er sich in den Behandlungsraum begab. Er hatte weniger einstecken müssen als Beas Bruder, hatte nur eine Platzwunde am Auge, an der Lippe und einige blaue Flecken.
Valentin hatte dagegen zwei Platzwunden und eine gebrochene Nase neben den Blutergüssen. Die Nase konnte schnell wieder gerichtet werden und auch die Platzwunden wurden versorgt.
Jonas machte sich keine Sorgen um Valentin, doch er hatte warten müssen, weil Samir ihn fahren musste.
Drei Stunden zuvor war Valentin bei Samir aufgetaucht und hatte ihn beschimpft. Jonas war noch immer angeschlagen gewesen und hatte sich auf eine Schlägerei eingelassen, die von Samir getrennt worden war, nachdem sie eine Kommode und einen Spiegel zertrümmert hatten.
Im Nachhinein bereute Jonas es, doch er hatte seinen Frust einfach loswerden wollen. Als Jonas und auch Valentin versorgt worden waren nahm Samir sie mit in die nächste Bar und beide tranken auf ihren vereinbarten vorläufigen Waffenstillstand.
Jonas wollte die Geschehnisse des Tages einfach vergessen.

Bea hatte die ganze Nacht am Bett ihrer Mutter gesessen und kein Auge zubekommen. Sie hatte ihrer Mutter alles erzählt, hatte nur die Sache mit der Nutte ausgelassen, brachte es nicht übers Herz ihr davon zu berichten.
Ihre Gedanken waren hin und her geflogen, doch sie hatte sich nie auf einen konzentrieren können. Bea war erschöpft, wollte schlafen, doch sie fand einfach keine Ruhe, konnte nur vor sich hin starren.
Am nächsten Morgen tat Bea etwas, das sie seit zwei Jahren nicht mehr getan hatte. Sie besuchte den Sonntagmorgen Gottesdienst der Kirche, in der sie und ihr Bruder getauft worden waren und in der ihre Eltern geheiratet hatten.
Ihre Familie kannte den Pfarrer schon lange, sie und ihr Bruder hatten Konfirmationsunterricht bei ihm gehabt und er hatte immer nach dem Befinden ihrer Mutter gefragt, seit diese im Koma lag.
Er hatte versucht ihr zu helfen, doch Bea hatte zu dem Zeitpunkt ihr Gottvertrauen verloren, in dem ihre Mutter nicht mehr aufgewacht war.
Bea ließ sich vom Gottesdienst berieseln, schaute sich immer wieder neugierig um, da sie so lange nicht mehr dort gewesen war. Die Kirche war gut besetzt, sie konnte auch Jonas Eltern entdecken, die sie aber nicht kannten.
Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal von der kurzen Beziehung zwischen ihr und Jonas, doch das war gut, denn es ersparte peinliche Gespräche.
Nachdem der Gottesdienst geendet hatte ging Herr Friede nicht zum Ausgang um die Gemeindemitglieder zu verabschieden wie gewöhnlich, sondern nahm Kurs auf Bea.
Mit einem Lächeln empfing Bea ihn, war überrascht, als der etwa 50-jährige Pfarrer sie kurz an sich drückte, als wäre sie ein verloren gegangenes Kind.
„Bea. Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen. Ist alles in Ordnung mit dir? Wie geht es deiner Mutter? Und deinem Bruder und deinem Vater?“, bestürzte der weißhaarige Mann sie mit Fragen und Bea musste sie erst einmal in Gedanken ordnen, ehe sie antwortete, das es ihrer Familie gut ginge und ihre Mutter noch immer nicht aufgewacht war.
Sie wusste, dass der Pfarrer sie einige Male im Krankenhaus besucht hatte, Ingo hatte es ihr erzählt und sie war dem beleibten Mann sehr dankbar dafür.
„Und wie geht es dir?“, fragte Herr Friede noch einmal nach, nachdem Bea seiner Frage ausgewichen war. „Es geht mir gut.“, beschwichtigte sie.
Herr Friede verzog ein wenig das Gesicht und zog die Stirn in Falten. „Was führt dich dann zu mir mein Kind?“, fragte er freundlich nach.
„Ich weiß nicht. Ich denke ich will wieder etwas finden an das ich glauben kann. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass ich nicht mehr auf Gotte vertrauen kann.“, brachte Bea zögernd hervor.
Herr Friede nahm es ihr nicht übel, das wusste sie, er wollte nur, dass man ehrlich war. „Ach Bea, du bist so stark. Ich würde dir so gerne Helfen, aber ich wüsste nicht wie, wenn du nicht mehr zum Glauben finden möchtest. Ich kann dich nicht zwingen.“, er pausierte einige Momente. „Der Herr hat seine Pläne und für uns sind sie oft nicht begreiflich. Deine Mutter ist Teil seines Planes. Sie war immer eine so freundliche Person.“.
„Meine Mutter lebt noch, also brauchen sie nicht in der Vergangenheitsform von ihr zu sprechen.“, fuhr Bea den älteren Mann ein wenig unfreundlich an, bereute es sofort wieder. „Es tut mir leid. Ich bin zurzeit ein bisschen neben der Spur.“
Bea wollte sich umdrehen und gehen, doch dort standen Jonas Eltern und begrüßten sie freundlich lächelnd. Herr Friede stellte sie einander vor und Jonas Mutter sah sie nachdenklich an.
„Jetzt weiß ich woher ich dich kenne. Mein Sohn, Jonas, er hat mir von dir erzählt. Ihr hab seit einigen Tagen eine Beziehung, nicht wahr?“, lächelte sie freundlich und nun sah auch Jonas Vater sie genauer an. Beide lächelten offen, doch Bea konnte einfach nicht mehr.
„Nein, wir haben uns gestern getrennt. Entschuldigen sie mich.“, damit ging Bea schnellen Schrittes aus der Kirche, wollte nach Hause um sich umzuziehen und dann wieder zu ihrer Mutter zu gehen.

Um die Mittagszeit, als Jonas Eltern beim Essen saßen, betrat auch der 18-jährige das Esszimmer. Sein Kater hatte sich inzwischen wieder gelegt, er hatte sich nicht so vor seinen Eltern zeigen wollen und hatte sich erst vorzeigbar gemacht, ehe er nach unten gekommen war.
Valentin und er waren schon gegen zwölf Uhr dicht gewesen und Samir hatte sie nach Hause gebracht. Jonas war seinem Freund einiges schuldig und wusste nicht wie er sich revanchieren sollte.
Seine Eltern unterhielten sich gerade über ihren Kirchenbesuch und irgendein Mädchen, dass der Pfarrer ihnen vorgestellt hatte, als er sich zu ihnen gesellte.
„Morgen.“, begrüßte er sie schlicht und häufte sich Essen auf.
„Wir haben heute in der Kirche Bea kennen gelernt.“, fiel sein Vater wie immer mit der Tür ins Haus. Überrascht schaute Jonas auf. „Bea?“, fragte sicherheitshalber nach und sein Vater nickte.
„Sie sagte ihr hättet euch gestern getrennt.“, fuhr er fort. „Sie hat Schluss gemacht, aber da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“, erklärte er abweisend.
Er hatte keine Lust ausgefragt zu werden, wunderte sich, dass seine Mutter noch nichts gesagt hatte, doch plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. „Jetzt weiß ich wieder woher ich sie kenne. Sie ist doch die Tochter von der Armen Frau, die ins Koma gefallen ist. Sie war abends auf dem Weg zum Büro ihres Mannes und ist dann von diesem schrecklichen Serien-Killer entführt worden. Weißt du noch? Wir haben für die Familie gebetet, in der Kirche.“, die letzten Sätze wandten sich an Jonas Vater, doch nun war auch sein Interesse geweckt.
„Was ist dann passiert?“, fragte er seine Mutter. Diese sah ihn nur überrascht an, fuhr aber fort. „Es war dieser Mann, der Frauen sechs Tage gequält und dann getötet hat. Sie haben ihn mit seinem fünften Opfer am fünften Tag erwischt. Diese Frau war mehr Tod als lebendig, aber sie hat überlebt, wenn sie auch seit dieser Zeit im Koma liegt. Das ist jetzt etwa zwei Jahre her.“.
Jonas erstarrte. Warum wusste er davon nichts? Warum hatte Bea ihm das verschwiegen?
Deswegen war sie also am Vortag im Krankenhaus gewesen.
Und deswegen war der Bruder auch so ein Säufer.
Was hatte Bea leiden müssen? Er musste sofort zu ihr.
Jonas sprang auf und verschwand ohne ein Wort in sein Zimmer um sich umzuziehen.
Als er aus der Ausfahrt rasen wollte versperrte ihm Samirs Auto den Weg und der halbtürke wich auch nicht aus, stieg aus und kam auf ihn zu. Jonas tat es ihm gleich, sah dass etwas nicht stimmte.
Samir war nervös und blass. „Jonas…Jonas…“, der angesprochene blieb irritiert stehen als Samir ihn in seine Arme zog.
„Was ist los Samir?“, fragte Jonas nach einigen Augenblicken. Samir löste sich wieder von ihm und Jonas zog die Stirn kraus, als er sah, dass Samirs Augen in Tränen schwammen.
Scheiße, was war hier los?
„Was ist passiert? Ist alles okay?“, fragte er eindringlich, doch Samir schüttelte nur den Kopf.
„Vale hat mich verzweifelt angerufen… Es gab einen Autounfall… Bea ist von einem angetrunkenen Jugendlichen angefahren worden.“, brachte Samir stockend hervor, hielt Jonas fest, als dessen Beine nachzugeben drohten.
„Geht es ihr gut? Bitte sag mir, dass sie wieder gesund wird.“, flehte Jonas und nun liefen Samirs Tränen über, genauso wie sie bei Jonas zu fließen begannen, denn er kannte die Antwort schon, wollte sie aber aus Samirs Mund hören.
„Jonas, Bea ist Tod.“, brachte er hervor und Jonas schrie. „Nein. Nein. Neeeeeein.“, immer wieder brüllte er aus vollster Lunge und schlug auf einige Büsche ein.
Jonas Eltern kamen aus der Tür gestürzt, sahen, wie Samir seinen besten Freund festhielt und ihn in seine Amre zog, während beide weinten.

Epilog

Es war der fünfte Todestag von Bea, als alle sich an ihrem Grab versammelten um sie zu ehren.
Valentin erschien gemeinsam mit seiner neuen Freundin. Er war inzwischen Trocken und hatte seit dem Tag nach Beas Tod keinen Alkohol mehr angerührt.
Er hatte nie erfahren, dass er seine Schwester geschlagen hatte und er hatte auch nie erfahren, was Clemens ihr angetan hatte.
Niemand hatte das, denn Bea hatte diese Dinge mit ins Grab genommen.
Jonas war inzwischen über Beas Tod hinweg, besuchte ihr Grab dennoch sehr oft und legte eine Rose nieder.
Auch Samir besuchte das Grab häufig, erzählte Bea davon, was Jonas und ihr Bruder so trieben.
Inzwischen hatten sich beide angefreundet, hatten sich über den Tod hinweggeholfen. Jonas war es auch gewesen der Valentin den Kopf gewaschen hatte, damit er die Finger vom Alkohol ließ.
Beas Vater war mit Christiane erschienen. Die beiden waren seit fünf Jahren ein Paar und Valentin hatte dies irgendwann akzeptiert.
Die neue Freundin seines Vaters war ein guter Mensch und er verstand sich gut mit ihr.
Inzwischen hatte die Familie die Maschinen abschalten lassen, die Valentins Mutter am Leben erhalten hatten und ihre Organe gespendet.
Keiner der beiden Männer die mit Bea verwandt gewesen waren hatten jemals erfahren, was eigentlich vor sich gegangen war. Beide hatten zwar ihre Fehler eingesehen, doch Bea hatte niemals die Chance gehabt ihnen zu sagen wie sie fühlte und sie zur Rede zu stellen.
Sie hatte nie de Chance gehabt zu erzählen wie einsam sie gewesen war und wie sehr sie sich jemanden gewünscht hätte, mit dem sie hätte reden können.

Impressum

Texte: alle Rechte bei mir
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle, die schon so viel hinnehmen mussten und nichts tun konnten.

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