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Elias

Elias Tomowitsch schaute traurig auf den „Sternsee“. Einen kleinen See in seiner landwirtschaftlich geprägten Heimat. Es regnete, doch er spürte weder die kalten Tropfen die langsam seine Kleidung durchnässten noch die beißende Kälte die langsam seinen Körper erklomm. Seine Hände hatten schon vor Ewigkeiten begonnen zu zittern und dank des unberechenbaren Wetters im Mai waren seine Füße lange taub. Wind peitschte durch die Baumkronen des nahegelegenen Waldes und weit entfernt konnte man Donnergrollen wahrnehmen.
Doch das alles war egal. Elias spürte nichts. Nichts außer dem Schmerz in seinem Herzen. Diesen Schmerz, der dort seit Tagen hauste und ihn Schmerzensschreie ausstoßen lassen wollte.
Schon Tage zuvor hatte er vom Tod seines Bruders erfahren und dennoch schien es als hätte man Joshua erst Minuten zuvor unter einer Brücke aufgefunden.
Er war sein Zwillingsbruder gewesen. So unterschiedlich sie auch gewesen waren, waren sie doch Brüder gewesen. Zweieiige Zwillinge.
Elias hatte nie begriffen wie Joshi in die Drogenszene hatte abrutschen können; hatte nie begriffen warum er es so weit hatte kommen lassen.
Joshi war immer der aufgewecktere der beiden gewesen, hatte immer die guten Sprüche auf Lager gehabt, hatte immer die Mädchen an Land gezogen und ihn immer aufgebaut.
Joshi war derjenige gewesen der ihn gegen die Welt verteidigt hatte wenn ihn jemand wegen seiner schmächtigen Statur gehänselt oder gemeint hatte Elias wegen seiner ruhigen Art von der Seite anmachen zu müssen.
Joshua hatte irgendwann begonnen Gewichte zu stemmen und Muskeln aufzubauen, was schnell Früchte getragen hatte. Elias hatte ihn gefragt, ob das den so gut bei den Mädchen ankommen würde. Sein Bruder hatte ihm ernst in die Augen gesehen und ihm die Hand auf die Schulte gelegt. „Ich trainiere doch nicht für die Mädels. Ich trainiere, damit niemand mehr dich so zurichten kann wie diese Jungs. Ich verspreche dir das ich nie wieder zu schwach sein werde um dich zu beschützen.“
Elias war Tage zuvor von einigen Jungen aus seiner Klasse zusammen geschlagen worden. Joshua war ihm zu Hilfe geeilt und so hatten drei Jungen Joshua festgehalten, während zwei weitere auf den am Boden liegenden Elias eingetreten hatten. Elias selbst war solche Attacken gewohnt, war schon mehrmals zusammen geschlagen worden, wenn auch nicht so stark.
Joshua war es gewesen, der mehr darunter gelitten hatte. Er hatte einige Zeit später mit einigen seiner Kumpels die Jungs aufgesucht und sie ebenfalls verprügelt. Elias hatte das nicht gut gefunden, denn er hatte Angst gehabt die Jungs würden Joshua anzeigen und das wäre es nicht wert gewesen Doch niemand hatte Joshua deswegen jemals behelligt und Elias wusste, dies Joshua das hatte tun müssen um sich nicht weiterhin schwach und hilflos zu fühlen.
Joshua war derjenige gewesen der selbst dann zu ihm gestanden hatte als Elias sich endlich getraut hatte ihm zu sagen dass er schwul war. Dessen Reaktion hatte er noch so genau in Erinnerung als wäre es erst Sekunden her.
„Das wusste ich doch schon Brüderchen.“, hatte Joshi ihm grinsend entgegnet. Elias war verwirrt gewesen, hatte nicht gewusst was sagen oder wie reagieren. „Ich habe schon lange gemerkt dass du nicht so auf Mädchen stehst. Auf die Ärsche der Jungs in meiner Fußballmannschaft scheinst du aber dauerhaft zu schauen.“, Joshi hatte eine Hand auf Elias Schulter gelegt, ihm mit der anderen durch die Haare gewuschelt, wie er es so oft getan hatte.
„Keine Angst. Niemand hat´s gemerkt. Ich glaub ich hab sogar vor dir selbst gemerkt das du vom andern Ufer bist.“, sanft hatte Joshua auf seinen Bruder eingesprochen, doch Elias hatte nicht glauben können was geschehen war. „Du…du hast nichts da…?“ Joshua hatte den Satz für ihn beendet: „Dagegen?“, Elias hatte genickte und Joshi verneinend den Kopf geschüttelt.
Das war zu viel für Elias gewesen. Er hatte einige Zeit zuvor gemerkt, dass er nicht auf Mädchen stand, doch er hatte lange gebraucht um es sich einzugestehen. Noch einmal so lange hatte er versucht es vor seinem Bruder geheim zu halten, der bis dahin alles von ihm gewusst hatte. Das Joshi das Ganze so gut aufnahm hatte die Welt für ihn bedeutet.
Hemmungslos hatte Elias angefangen zu weinen und Joshi, der ein wenig überrascht gewesen war, hatte seinen Bruder, der ihm immer wieder gesagt hatte wie sehr er sich gefürchtet hatte und wie glücklich er nun sei, fest in die Arme genommen. Joshua hatte den kleineren Elias fest an seine Brust gedrückt und immer wieder erwidert, dass alles gut werden würde, dass er ihm helfen würde und dass er ihn liebe.
„Ich hatte solche Angst dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Das du nicht mehr mein Bruder sein willst.“, hatte Elias nach einiger Zeit geschluchzt. Das hatte Joshi dazu gebracht ihn ein wenig von sich zu schieben und ihm fest in die Augen zu sehen.
„Ich werde immer dein Bruder sein und dich nie im Stich lassen. Du bist mir wichtiger als alles andere. Wir beide gegen die Welt Bruderherz!“, hatte Joshi eindringlich hervor gebracht und selbst mit den Tränen gekämpft.
Das Ganze war drei Jahre her. Außer seinem Bruder hatten weder Familie noch Freunde von seiner sexuellen Orientierung erfahren. Joshi hatte gemeint er müsse sich sicher sein, sich auf Anfeindungen gefasst machen und dazu bereit sein Verluste seitens seiner wenigen Freunde hinzunehmen.
Joshi hatte ihm immer wenn er sich unsicher gewesen war Mut gemacht, hatte ihm klar gemacht, dass er normal war; das es viele Menschen gab die so waren wie er und das diejenigen die damit nicht klar kämen die unnormalen Menschen waren und nicht er.
Jedes Mal hatte es Elias das Herz zerbrochen, denn es hatte Joshi verändert.
Er hatte Joshi verändert.
Joshi war das erste Mal mit Elias in einer schwulen Bar in der Stadt gewesen, hatte sich anbaggern lassen und war nie unfreundlich geworden. Elias erste Beziehung hatte Joshi ihm vorgestellt, doch nach drei Tagen hatte Rafael mit einem gebrochenen Kiefer im Krankenhaus gelegen, weil Joshua ihn verprügelt hatte.
Rafael hatte Sex gewollt; Elias nicht. Und da Rafael weitaus größer und stärker als Elias war hatte dieser versucht ihn zu vergewaltigen.
Joshi war im Richtigen Moment erschienen, hatte seine Schluchzer gehört und ihn gerettet. Doch Joshi hatte sich die Schuld an diesem Vorfall gegeben, wie immer wenn Elias etwas passierte und das war der Tag an dem Joshi das erste Mal zu den Drogen gegriffen hatte.
Elias hatte erst nichts gemerkt, doch als Joshi süchtig geworden war hatte er alles dafür gegeben ihm zu helfen. Elias hatte versucht ihn von den Drogen wegzubekommen, doch er hatte es nicht geschafft. Elias war schuld, dass sein Bruder gestorben war.
Es war allein seine Schuld, dass Joshua Tomowitsch am 20. Mai 2012 mit einer Überdosis aufgefunden worden. Ihre Eltern hatten überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt etwas davon mitbekommen, dass ihr 2o Jähriger Sohn Drogenabhängig gewesen war. Elias hatte sich noch nicht getraut ihnen Gegenüber zu treten, die Verurteilung und den Hass in ihren Augen zu sehen. Er würde es nicht ertragen können, denn seine eigenen Schuldgefühle brachten ihn fast um.
Und wie er da so in der Kälte saß wurde es ihm noch einmal richtig Bewusst. Elias Bruder war Tod und er war schuld.
Er wollte nicht ohne seinen Bruder leben und obwohl er wusste, sein Bruder hätte das nie gewollt, schrieb man den Tag des 25. Mai 2012 als Elias Tomowitsch von seinem Vater in der Wohnung, die er mit seinem Bruder bewohnt hatte, mit einer Schachtel Schlaftabletten intus aufgefunden worden war.

…to be continue?

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Tag der Veröffentlichung: 22.05.2013

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Widmung:
den Leuten denen es nicht so gut geht wie sie es verdient hätten

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