Eine alte Frau war gestorben und so wurde ihre Wohnung frei. Die Wohnung war in einem Altbau aus der Gründerzeit und hatte alte Holzdielen, die bei jedem Schritt schrecklich knarrten. Die Tapete stammte aus der Zeit, als die Verblichene noch ein Springinsfeld war. Hässliche Linoleumbahnen auf dem Boden gaben einem vor, wo man gehen durfte. Man muss sich das wie eine Art Straßenkarte vorstellen. Und über allem lag selbstredend ein Geruch von Alter, Krankheit und Vergänglichkeit. Kurz um, die zu unserem Wohle Verblichene hatte nichts, aber auch wirklich nichts unversucht gelassen, uns die Wohnung zu vermiesen. Keine Chance! Wer lange auf Wohnungssuche ist und sich als Student in einer eher angespannten Portemonnaie-Situation befindet, kann abstrahieren - oder lebt auf der Straße.
Mein Freund Jochen würde ein Hochbett bauen müssen. Kein Thema. Wir würden in der Küche für einen neuen Boden sorgen müssen. Kein Problem. Im Wohnzimmer müsste Jochen eine Holzdecke einziehen. Alles nur Kleinigkeiten. Und schließlich stellte doch der Vermieter das Material! Das Einzige, was mich doch ein ganz klein wenig irritierte, war, dass ich trotz intensiven Nachforschens kein Badezimmer fand. In der Wohnung befand sich definitiv nichts, was man unter Aufbietung seines ganzen Abstraktionsvermögens als Dusche, Badewanne oder Klo hätte bezeichnen können. Gut, früher hatten die Menschen sich auch eher weniger gewaschen. Und für die Endlagerung der Stoffwechsel-Endprodukte gab es das allseits bekannte Plumpsklo im Garten. Und während ich so vom Fenster aus suchend in den Hinterhof blickte, merkte ich jetzt doch mein persönliches Handicap. Für mich persönlich hatte die Wohnung hier in diesem Bereich einen deutlichen Makel. Auf die Gefahr hin, als verwöhntes Luxusweibchen zu gelten und schon vor unserem Zusammenziehen wieder von Jochen getrennt zu sein, sprach ich meine leisen Zweifel an.
Und siehe da, ich Dummerchen! Das Klöchen war zwar draußen, aber nicht im Hinterhof, sondern ganz nahe auf dem Gang und wir würden es nur mit unseren Nachbarn teilen. Toll! Super! Keine Hinterhofüberquerung oder stundenlanges Treppensteigen, nein, direkt im Hausflur! Da hatte ich ja wirklich Schwein gehabt. Ein großer Stein wäre mir spontan vom Herzen gefallen, wenn da nicht noch die Sache mit der Dusche gewesen wäre. Wobei, sich mit einem Waschlappen am Waschbecken ordentlich zu waschen, hatte das die Verstorbene nicht auch getan? Womöglich noch mit kaltem Wasser. Und hatte es ihr geschadet? Mitnichten: Sie war im hohen Alter ganz friedlich entschlafen. Ich würde das mit Sicherheit auch hinbekommen. Das war wirklich nur eine Sache der Umgewöhnung und eine fehlende Dusche würde nicht das Aus für diese Wohnung bedeuten. Trotzdem, nur damit ich schon mal anfangen kann, mich mental drauf einzustellen. Ich ging aufs Ganze. Ich fragte.
Und siehe da, ich Dummerchen, ich Ahnungslose. Natürlich würde es eine Dusche geben. Eine von den unglaublich praktischen Mobilduschen, und praktischerweise in der Küche. Na da fiel mir aber ein Stein vom Herzen: Wir hatten die schönste, die tollste Wohnung gefunden!
Diese Mobilduschen sind einfach genial. Man sollte nur die Gebrauchsanleitung ganz genau studieren:
1. Um mit warmem Wasser zu duschen, früh genug Gedanken machen, ob und gegebenenfalls wann das Duschen angedacht ist.
2. Das" Ob” ist ganz wichtig, denn wenn die Haare nicht wirklich schon am Kopf kleben, einfach sein lassen. Eventuell kleinflächige stinkende Körperstellen mit Waschlappen am Waschbecken versorgen.
3. Wenn es denn aber schon trieft und großflächig müffelt, sich über den gewünschten Duschzeitpunkt im Klaren werden.
4. Eine Stunde vorher Schalter auf "An” stellen, die Kontrolllampe leuchtet rot.
5. Auch wenn Sie meinen, es wird nun Wasser für einen ganzen Duschvorgang aufgeheizt, vertun Sie sich nicht. Es läuft schneller als Sie denken!
6. Treffen Sie Vorkehrmaßnahmen:
- Öffnen Sie schon vorher die Verschlüsse aller Pflegeprodukte, die Sie verwenden wollen. Eventuelles Klemmen kostet kostbares heißes Duschwasser.
- Verzichten Sie am besten ganz auf Duschgel. Das Haarshampoo läuft ohnehin über den Körper.
Tipp des Mobilduschenherstellers: Überlegen Sie bei dieser Gelegenheit einmal, ob Ihnen nicht eine Kurzhaarfrisur weitaus besser stehen würde.
7. Wenn die Kontrolllampe grün leuchtet, ist das Mobilduschenwasser aufgeheizt.
8. Besteigen Sie nun die geräumige Mobilduschkabine und freuen Sie sich darauf, bald wieder ganzkörpermäßig sauber zu sein und gesellschaftlich nicht unangenehm aufzufallen.
9. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten Sie bitte zielstrebig vom Kopf bis zu den Füßen, ohne den Anspruch zu haben, den Duschvorgang genießen zu wollen. Sie werden sehen, mit der Zeit werden Sie immer weniger Zeit benötigen.
10. Wenn kein Wasser mehr fließt, gibt es kein Wasser mehr.
11. Und wenn Ihr Körper noch eingeschäumt ist, waren Sie zu langsam.
Tipp des Mobilduschenherstellers: Schauen Sie sich doch mal in der Nachbarschaft um. Eventuell können Sie Freundschaft schließen mit Nachbarn, die über ein stinknormales Badezimmer verfügen. Vielleicht befindet sich auch in unmittelbarer Nähe ein Schwimmbad. Werden Sie Mitglied im Schwimmverein.
Ich habe die Mobilduschen-Gebrauchsanleitung sehr, sehr lange und sehr genau studiert, während ich ganzkörper-eingeschäumt zweimal auf neues warmes Wasser gewartet habe.
Unsere erste gemeinsame Wohnung: ein Traum. Es gibt ein Foto von mir, auf dem ich total glücklich und entspannt in unserem damaligen Wohnzimmer sitze. Ein untrügliches Zeichen für die Abwesenheit unserer lieben Hausmitbewohner von oben drüber. Sonst könnte ich auf dem Foto gar nicht so relaxt wirken. Total angenervt sähe ich aus. Unsere Über-uns-drüber-Bewohner waren nämlich von Berufs wegen Selbstverwirklicher. Und darin waren sie sehr gut. Ich finde es ganz toll, wenn Menschen sich selbst verwirklichen. Nur wenn sie das auf meine Kosten tun, habe ich ein ganz massives Problem.
Altbau mit alten Bodendielen im Hausflurbereich ist für sich allein schon Extrem-Climbing: So mit nassen Gummistiefeln den Aldi-Einkauf im Apfelsinenkarton vor sich haltend die vollkommen ausgetretenen Holztreppenstufen im Hausflur zu erahnen, das hat schon was. Alter Holzfußboden in der Wohnung ist auch gewöhnungsbedürftig. Du gehst durchs Wohnzimmer und die Gläser wackeln im vier Meter fernen Schrank. Nie kannst du mal nur mit Strümpfen in deinen gemieteten, leicht überschaubaren Quadratmetern laufen, es sei denn, du leistest dir jeden Tag ein paar neue. Und wenn du barfuß gehst, kommst du mit dem Holzsplitter-Entfernen gar nicht mehr nach. Reinigungstechnisch ist es natürlich auf den ersten Blick sehr praktisch: Alles fällt in die Ritzen. Auf den zweiten Blick, den du dir dann mal gönnst, ist es absolut ekelig, was du da so in den Ritzen siehst, geschweige denn, was du ahnst. Und weil Jochen und ich uns einig waren, dass er nicht den Rest seines Lebens mit der Instandsetzung und kompletten Sanierung dieser Immobilie beschäftigt sein wollte, legten wir einfach den Mantel der Verschwiegenheit darüber. Will sagen, billigen Teppichboden über die alten Holzdielen. Das hatte jetzt nur bedingt den gewünschten Erfolg. Die Gläser klirrten immer noch und die LPs hopsten nach wie vor auf dem Schallplattenspieler, es sei denn, alle Zimmerinsassen saßen bewegungslos, flach atmend auf dem Sofa. Dafür sah ich den Dreck zwischen den Bodendielen nicht mehr und konnte angstfrei barfuss laufen. Jetzt nicht direkt laufen. Das ging jetzt eher nicht wegen der riesigen Teppichbodenwellen. Nicht umsonst wird Teppichboden erstens auf ebenem Boden verlegt und zweitens verklebt. Trotzdem, leiser war es allemal - für uns und für Ariane und ihren Freund unter uns.
Über uns lag definitiv kein Teppichboden! Die brauchten auch keinen. Die selbstverwirklichten sich ja. Und Selbstverwirklichung bedeutete bei denen vor allem laut sein. Da ist Teppichboden verständlicherweise eher hinderlich. Und die wollten auch nicht barfuß gehen. Das bringt nämlich lautstärkemäßig praktisch rein gar nichts. Die liefen selbstverwirklichungsheitshalber in Holzclogs durch die Wohnung- durch ihre, aber es kam uns immer so vor, als liefen sie durch unsere. Deshalb spreche ich auch bewusst von Holzclogs. Obwohl ich immer - wenn möglich - ein deutsches Wort verwende. Holzclog heißt auf Deutsch Holzpantoffel. Ich verbinde mit Pantoffeln aber eher Filz, okay, auch Hässlichkeit, vor allem aber Ruhe. Und die hast du nicht, wenn über dir auf Altbauholzfußboden in Holzclogs gelebt wird. Zugegebenermaßen in fast vier Metern Abstand . Denn so hoch waren die Decken. Und nachts tritt ja dann irgendwann mal Ruhe ein. Theoretisch ja, praktisch weniger.
Was sich studentisch zu unserer Zeit so richtig selbstverwirklicht hat, stand möglichst spät auf und ging so spät wie eben möglich ins Bett. Und da kam jetzt unser Hochbett ins Spiel. Man spricht es ganz lässig aus und denkt sich nichts dabei. Warum auch. Bis dato hatte ich Hochbetten immer nur vom Fenster aus gesehen oder hatte bei Ariane drunter gesessen. Und ich verband damit Gemütlichkeit und Heimeligkeit. Jetzt lag ich auf einem und realisierte erstmals das "Hoch" im Bett. Das, was du unten an Platz gewinnst, wird oben an Platz genommen. Und plötzlich war der Abstand zwischen den Selbstverwirklichern und uns nicht mehr knapp vier Meter, sondern nur ein schlapper Meter.
Entweder liefen knapp einen Meter über mir Clogs oder man saß im Schneidersitz gemütlich über mir, mit dem Hintern quasi auf meinem Gesicht. Weil im Schneidersitz lässt es sich so unheimlich gut trommeln. Das taten sie dann auch von wegen der Spiritualität. Aber weil ja nicht immer gleichzeitig alle gleich spirituell drauf sind, unterhielt sich auch der ein oder andere, selbstredend in einer Lautstärke, die die Trommeln übertönte. Dieses Lautstärke-Spiralen-Phänomen, sehr Lautes mit noch viel Lauterem zu überdecken, war symptomatisch für unsere Meditationskünstler. Sich Ausleben bedeutet Duschen und gleichzeitiges Musik Hören. Sauberkeitsmäßig konnte man nicht maulen. Da wurde sich häufig mobilduschgeduscht. Das bekamen wir hautnah mit. Weil jedes Mal so laut die Musik aufgedreht wurde, dass man auch mit ganz dickem Schaum im Ohr unter der Dusche gut hören konnte. Mobilduschzeitrechnerisch wäre das jetzt eher recht kurz gewesen. Der Punkt war nur: Zwar fielen Mobilduschbeginn- und Dezibelerhöhungszeitpunkt zusammen, Mobilduschende- und Dezibelverringerungszeitpunkt jedoch nicht!
Jochen hat dann einmal den Versuch unternommen, unsere Ich-lebe-jetzt-Mitbewohner darauf hinzuweisen. Da hätte das Gespräch mit der Parkuhr genau denselben Erfolg gehabt. Als wir wieder mal stundenlang schweigend verharrt hatten, weil lautstärkemäßig ein Gespräch nicht möglich war, fasste er sich ein Herz. Er war bereit, sich als intoleranten Spießer zu outen. Mutig nahm er die vollständig ausgelatschten Hausflurtreppenstufen und klingelte. Nachdem er mehrmals geklingelt hatte, war klar, die Klingel konnte bei der lauten Musik nicht gehört werden. Daraufhin entschied er sich, so lange gegen die Wohnungstür zu klopfen, bis sich drinnen etwas regte. Die war von innen noch nicht ganz geöffnet worden, da vernahm er schon ein:
”Was erlaubst du dir, gegen die Tür zu schlagen!”
Darauf Jochen: "Ich habe vorher stundenlang geklingelt, da hat mich a..!”
"Hääää, ich versteh dich nicht!”
Jochen lauter: "Ich sagte, dass ich zuerst geklingelt habe, aber keiner..!”
"Man, ey, du nervst. Sprich lauter, ich versteh dich nicht!”
Jochen noch lauter: "Und genau das ist der Punkt. Wir wollten fragen, ob es nicht etwas leiser geht!”
"Wie, leiser geht. Die Musik ist nicht zu laut!”
Jochen schreit: "Aber die Tatsache, dass du die Klingel nicht gehört hast und wir uns hier anschreien müssen…!”
"Ey, wenn du nicht gleich aufhörst, mich anzuschreien, lernst du mich kennen!”.
Die Tür wurde zugeknallt und Jochen hatte mal seinen Standpunkt ein Stück weit dargelegt. Wir sind dann einfach toleranter geworden.
Es hat mich dann auch nicht weiter gestört, wenn ich auf meinem kleinen Hinterhof-Balkönchen noch nicht einmal meine Bunte durchblättern konnte. Wer schön sein will, muss leiden. Diesen Spruch habe ich einfach für mich umgedeutet. Und schon klappte es. Zur Sommerzeit gab es ein Stündchen am späten Nachmittag, an dem die Sonne direkt auf meinen Altbau-man-weiß-nicht-ob-er-bald-abbricht-Balkon schien. Wenn es denn nun also ein bisschen Bräune sein sollte, musste die dann getankt werden. Hautkrebsbedenkenmäßig jetzt durchaus vertretbar. Die 17:30-Sonne reißt teint-technisch nicht wirklich das Ruder rum. Aber besser als gar nichts. Außerdem geht es ja auch um das Sonnenlicht, das der Mensch so dringend braucht um glücklich zu sein. Und das kann man nicht anders sagen, da haben die letzten Sonnenstrahlen wirklich ihr Bestes gegeben. Denn du konntest die Uhr nach stellen: Jedes Mal, wenn ich draußen saß, war auch über mir Balkonleben angesagt. Zuerst wurde der gesamte Altstadthinterhof mit Musik versorgt. Das war die Einstiegsphase. Und über die Wochen hatte ich mich konditioniert. Konditioniert insofern: Ich hatte mir einfach eingeredet, dass sie genau meine Musik spielten. So konnte ich mühelos meine Bunte durchblättern und meine In- und Outliste aktualisieren. Ich konnte verfolgen, welcher Schauspieler gerade sein erstes Buch herausbrachte und welche Bilder von welchem Sänger zu Höchstpreisen weggegangen waren. Irgendwann wurde die Musik abgestellt, was nichts Gutes verhieß.
Entweder nahm ich am Abendessen teil. Jetzt nicht im Sinne von lecker essen und zufrieden satt sein. Nein, ich war Koch-Ohrenzeuge dieser anscheinend meditativ festgelegten Zeremonie: Der geneigte Rechner stelle sich einen Zahlenstrahl vor. Der Koch steht in der Küche und die befindet sich bei "0". Und in dem Zusammenhang ist es uninteressant, ob die Null zur Menge der natürlichen Zahlen gehört oder nicht. Natürlich ist aber, dass laute Musik läuft. Wir nehmen mathematisch an, der Musikbeschallungsraum befindet sich auf unserem Zahlenstrahl bei "Minus 24". So müssen die Schallwellen nach unserem Beispiel 24 Einheiten überwinden, damit der Abendbrot-Vorbereiter in der Küche etwas hört - wie alle übrigen Hausbewohner. Damit aber nicht genug. Unser Koch kann entweder nicht lesen, was ich aber eher nicht vermute. Bleibt nur Variante zwei: Das ultimative Selbstverwirklichungsritual. Auf unserem Veranschauungs-Zahlenstrahl befindet sich der Hinterhofbalkon genau über mir bei "Plus 9".
Dort sitzt ein WG-Clogträger mit dem Kochbuch in der Hand und liest laut das Kochrezept vor. Um diese Lautstärke nicht mit sehr laut, wahnsinnig laut, unerträglich laut beschreiben zu müssen - man hat eh’ die Schnauze voll von Superlativen -, bemühe ich jetzt ganz lässig meinen Zahlenstrahl: Der Hinterhofbalkonbesetzer will selbstverständlich auch Musik hören. Die Musikwellen müssen demnach von "Minus 24" bis "Plus 9" reichen. Das ist für den WG-Spagettikocher jetzt auch nicht wirklich schön. Ihm drohen, seine Öhrchen abzufallen, was ich ihm gönnen würde. Gleichzeitig versteht er aber kein Wort von dem, was ihm der Abendsonnen-Mitgenießer aus dem Kochbuch vorliest. Der Kochbuchinterpret muss also die Entfernung "Plus 9" bis 0 gegen die Musik aus dem Bereich "Minus 24" bis "Plus 9" überbieten. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich das physikalisch erklären kann. Für mich jedenfalls waren ab da immer nur noch die Bildchen in der Bunten interessant. Gott sei Dank hat sie davon viele. Diese Unmengen von Seiten, auf denen Stars und Sternchen mit ihren wunderschönen Gebissen in ihren wunderschönen Träumen aus Stoff in die Kamera lächeln. Einen Vorteil hatte der Kochrezept-Ansagebrüller. Ich kam gar nicht in Versuchung zu lesen "Iris Berben in Escada…” oder "Naomi Campbell in Sibilla Pavenstedt…”. Weil, da bin ich ehrlich, so ein klein wenig neidisch bin ich dann schon. Die Promis tragen traumhafte Kleider und müssen dafür noch nicht mal etwas bezahlen. Es reicht, wenn sie sagen, wessen Kreation sie tragen. Und dieses Der-Teufel-scheißt-nur-auf-große-Haufen-Gefühl hatte ich Dank meines Hinterhofbrüllers nicht.
Oder aber ein WG-Selbstverwirklicher telefonierte auf dem Balkon und hatte die Musik dann einsichtig ausgeschaltet, weil er sein eigenes Wort nicht verstand. Dafür verstand ich aber jedes Wort. Und da habe ich mich dann einfach nicht im Griff. Ich werde zum Gesprächsspanner und kann mich nicht mehr auf Caroline und ihren langjährigen Freund Karl Lagerfeld konzentrieren, auch wenn ich es nicht erwarten kann zu erfahren, zu welchem Anlass er für sie diesen Traum von einem Kleid kreiert hat. Aber auf Dauer hält das keine Sau aus. Gleichzeitig in zwei Welten zu leben, zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Hier Donald Trump und da Sven, der heute Nacht total versackt ist und einen tierischen Kater hat. Dort Rüdiger, der eine dermaßen geile Braut kennen gelernt hat und von der letzten Nacht noch ganz wund ist, da Königin Sylvia, die von ihren Untergebenen auch heiß und innig geliebt wird - aber anders eben. Über mir Chris, der hofft, dass das Kondom nicht geplatzt ist, und vor mir Kurt Felix mit seiner Paola. Am anderen Strippenende Rainer, der überlegt, ob er noch das 21. Semester dranhängt, und aus der Bunten lächelt mich Richard Gere an. Oben wird das nächste Wochenende fetentechnisch abgestimmt und es sieht so aus, dass die Location über uns liegen wird.
Da fällt mir spontan ein, dass wir schon lange nicht mehr Jochens Eltern übers Wochenende besucht haben. Und während der Bierkästenbedarf geschätzt wird, lebe ich auf Inseln, auf denen die Reichen Urlaub machen, und klappe die Bunte zu. Auch wenn Frauen viele Dinge gleichzeitig machen können, ich kann nicht gleichzeitig über den roten Teppich gehen und die Bierflasche an der Tür öffnen.
So schaue ich halt einfach nur verträumt in den Hinterhof. Viel relaxter als noch vor Monaten, als ich ganz hektisch Ausschau nach dem Plumpshäuschen hielt. Gott, was bin ich glücklich, dass ich mir auf einer Etage mit den Nachbarn Thomas und Uwe ein Klo teilen darf. Natürlich packt mich immer wieder mal ein kleiner Ekel, wenn die Klobrille oben ist und überall diese stinkenden Tröpfchen kleben. Und manchmal sitze ich auf dem Klo und bin versucht, hoch zu rechnen, was sich alles zwischen den Holzdielen abspielt. Das ersticke ich dann aber ganz schnell wieder in dem Keim, dessen Brüder und Schwestern es sich hier so richtig gemütlich gemacht haben, zwischen den Holzdielen.
Über mir höre ich Holzclogs, die Klobrille wird hochgeklappt… Ich war sowieso fertig.
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2009
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