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Einleitung: La Sposata oder die Legende von der verfluchten Braut

Im Herzen Korsikas, oberhalb der Cinarca-Region, ragt ein raues und schroffes Bergmassiv mit einer Höhe von 1429 Metern über dem Meeresspiegel empor. Dieser Berg wird La Sposata, die Braut, genannt. Lasst mich euch die Legende erzählen, die diesem Berg seinen Namen gab.

La Sposata oder die Legende von der verfluchten Braut

Es war in dem kleinen Dorf Nesa, am Fuß der ersten Ausläufer des Berges, wo ein bescheidenes Haus stand, das von Joanna Ambiegna und ihrer Tochter Maria bewohnt wurde. Diese beiden Frauen führten ein hartes Leben, denn sie gehörten zu den Ärmsten in ihrem Weiler.
Maria hatte ein Herz aus Stein, und niemals zeigte sie ihrer armen Mutter auch nur die geringste Zuneigung. Doch in der ganzen Umgebung gab es kein Mädchen mit so großen, dunklen Augen, kein Mädchen mit solch einem makellosen Gesicht, einem so reinen Profil, so tiefschwarzen, langen Zöpfen und so seidigem Haar.
Eines Tages hatte Luciano de Tellano, der Herr von Cinarca, Maria gesehen, als er auf den Berghängen Jagd auf Mufflons machte. Er kehrte mehrmals zurück und ließ sich sogar in seinem Haus in Vico nieder, obwohl sein Schloss nur wenige Meilen entfernt in Orsino lag. Er wollte mehr Gelegenheiten haben, die hübsche Schäferin zu treffen.
"Willst du eine Dame von Cinarca werden?" fragte er Maria schließlich.
Maria, die schon lange auf diese Worte gewartet hatte, stimmte zu.
Die ganze Region, von Vico über Evisa und Sagone bis nach Ajaccio, war erstaunt. Niemand hätte gedacht, dass der stolze und schöne Herr, der die reichsten Erbinnen und die Nachkommen der edelsten Familien um sich hatte, jemals daran denken würde, seine Liebe einer so wenig wohlhabenden Schäferin zu schenken.
Maria war zwar glücklich, doch ihr Glück wurde von der Demütigung getrübt, dass sie nur sich selbst und ein paar ärmliche Kleidungsstücke als Mitgift mitbringen konnte. Sie begann, ihre Mutter zu beschuldigen, dass sie nicht hart genug gearbeitet hatte, um etwas Reichtum anzusammeln. Maria sammelte alles, was sie im Haus finden konnte, und packte einige dürftige Bündel.
Am Tag der Hochzeit kam der schöne Reiter, um seine Braut abzuholen. Maria küsste ihre Mutter nur flüchtig, mehr um ihren Bräutigam und die versammelte Menge zu beeindrucken, als aus echter Zuneigung. Dann ritt sie auf einer wunderschönen weißen Stute mit rotem Samt an der Seite ihres zukünftigen Mannes davon. Unter dem Jubel der Reiter, die Gewehrschüsse in die Luft abfeuerten, verließ die Braut ohne einen Blick zurück ihr Heimatdorf.
Man hätte denken können, dass Maria ihre Mutter und ihren Berg vermissen würde. Doch nein, sie dachte nur an das, was sie mitnehmen konnte, an die Dinge, die sie aus der Armut ihrer Mutter gerissen hatte, die ihr jetzt jedoch nichts mehr nützten. Sie fürchtete, dass sie etwas vergessen hatte.
Plötzlich schlug sie sich an die Stirn. Sie erinnerte sich, dass sie den Schaber für die Knetmaschine vergessen hatte. Diesen Schaber hatte ihre Mutter am Vortag beim Brotbacken benutzt.
Luciano bemerkte diese Geste und fragte besorgt: "Was ist los, meine Liebe? Hast du etwas vergessen, das dir wichtig ist?"
Maria antwortete: "Ja, mein liebster Herr. Ich habe den Schaber für die Knetmaschine in Nessa vergessen."
Der Herr von Cinarca lachte und sagte: "Aber meine Liebe, den Teigschaber wird deine Mutter sicherlich brauchen. Du musst dich in Orsino nicht um solche Dinge kümmern, und ich bin sicher, es gibt genug davon."
Maria runzelte die Stirn und schien verärgert zu sein.
"Ich möchte diesen Schaber und keinen anderen. Er gehört mir, und ich möchte ihn haben. Bitte, beauftragt einen eurer Diener, ihn für mich abzuholen."
Luciano wollte ihr eine Freude bereiten und schickte einen seiner Diener los, um den Schaber zu holen.
In der Zwischenzeit stand Joanna immer noch auf der Schwelle ihres Hauses und verfolgte die Hochzeitsprozession, die nun oben auf dem Berg ankam und bald aus ihrem Blickfeld verschwinden würde.
Als der Diener von Luciano de Tellano auf den Platz trat, dachte Joanna, dass ihre Tochter vielleicht eine liebevolle Nachricht für sie hatte.
Sie sprach höflich den Diener an, der vor ihrem Haus abgestiegen war. "Hat meine Tochter dir eine Botschaft für mich übermittelt? Gibt es etwas, das sie mir ausrichten möchte?"
Der Diener antwortete unwirsch und ärgerte sich darüber, dass er zurückgeschickt worden war und nun eilen musste, um seine Herren einzuholen. "Ja, Donna Maria hat mir ausrichten lassen, dass sie den Schaber für die Knetmaschine vergessen hat und dass Sie ihn ihr sofort geben sollen, damit ich ihn ihr bringen kann."
Da brach in der alten Frau zum ersten Mal eine Wut aus. Diese Undankbarkeit schien ihr zu viel zu sein. Joanna wandte sich zum Himmel, wo der Hochzeitszug auf dem Berg glänzte, streckte eine zornige Faust aus und rief: "Du sollst bestraft werden, meine Tochter mit einem Herzen aus Stein!"
In den späteren Erzählungen wurde berichtet, dass genau in diesem Moment ein gewaltiger Donnerschlag den klaren Himmel erschütterte, der gesamte Hochzeitszug plötzlich von dichtem Nebel umhüllt war und ein Blitz in den Berg einschlug, Pferde und Reiter auseinander riss.
Als der Nebel sich lichtete, hatten sich Maria Ambiegna, die erbarmungslose Tochter, und ihr Pferd in Stein verwandelt.
Und so könnt ihr sie heute noch oben auf dem Berggipfel thronen sehen, La Sposata, ein Fels, nichts als ein Fels, genauso wie ihr Herz, das einst aus Stein war.
Nacherzählt aus mündlicher Überlieferung
von Miluna Tuani

La Sposata Übersetzung des Liedes gesungen von Antoine Ciosi

La Sposata - Die Braut (über den Link geht es zum Video auf Youtube)
Unter deinem Brautschleier
Wie schön du anzusehen bist
Die Sposata
Doch du stehst da wie erstarrt
Und behält dein Geheimnis für sich
La Sposata
Auf deinem Berg dort oben
Vielleicht hörst du die Echos
La Sposata
Die Liebesworte des Bräutigams
zu dem du dich auf dem Weg gemacht hast
La Sposata
Wir haben so viele Dinge erzählt
Man hat gesagt, dass deine Mutter eines Tages
Für dich die Tür verschlossen hatte
Indem sie dich für immer verleugnete
Aber was hast du getan?
Um so viel Zorn auf sich zu ziehen?
Wer kann uns das Geheimnis verraten?
Das dich zur Verdammten machte?
Man sagt, dass der Zorn deiner Mutter
von den Göttern erhört wurde
und sie dich in eine Steinstatue verwandelt haben.
La Sposata
Wie stark muss die Liebe gewesen sein?
Dass du dem Schicksal so trotzt
La Sposata
Du, die die Hirten in den Bergen
Dich als Gefährtin wählen wollten
La Sposata
Du bleibst für sie immer
Die ewige Braut für einen Tag
La Sposata

Impressum

Texte: Miluna Tuani
Tag der Veröffentlichung: 05.10.2023

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
allen Korsikafans und denen, die es noch werden möchten

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