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Bis zu meinem 23. Lebensjahr lebte ich größtenteils in der Tschechischen Republik, im „Osten“. Seit 12 Jahren lebe ich im „Westen“, in Deutschland. Ich bin in einem kommunistischen Land aufgewachsen. Ich war zwischen diesen zwei Gesellschaften des Westens und Ostens hin- und hergerissen. Mein Selbstverständnis formte sich durch diese Zerrissenheit. Noch heute gibt es den Kampf zwischen dem Westen und Osten Europas. In Wahrheit ist der Osten nicht weg. Er begleitet und formt uns und verfolgt immer noch alle.
Ich habe die Mitte gefunden. Ich lerne mehrere Sprachen, reise, begegne den Menschen aus anderen Kulturen usw.
Die Länder meines bisherigen Lebens - Deutschland und Tschechien - betrachte ich aber nicht als den Mittelpunkt meines Lebens, sondern als den Ausgangspunkt. Die tschechische und deutsche Gesellschaft habe ich von außen und innen intensiv beobachtet. Von beiden Ländern habe ich viel erfahren.
Angesichts dieser meiner Beobachtung im europäischen Rahmen betrachte ich nun die Sicht auf die Beziehungen und Einflüsse zwischen dem Westen und China als Erweiterung eines ähnlichen Prinzips, das mir vertraut ist.

Mit dem Umbruch von 1989 veränderte sich der Inhalt der Freiheitsvorstellung in ganz Europa. Der Dialog unter den Leuten aus dem Westen und Osten veränderte die Sicht und die Meinungen. Die „osteuropäische“ Gesellschaft war sich des Begriffs der Freiheit sehr stark bewusst und zugleich unsicher. Was ist die Freiheit? Ein schöner Begriff, ein Ideal wie die Liebe ist. Aber solche Ideale muss man haben. Es sind gute Ziele und Maßstäbe. Doch welches Ausmaß gewährleistet in dieser Etape des Jahrhunderts die Freiheit und die demokratischen Prinzipien in der Gesellschaft? Man fragt sich, antwortet man aber nicht immer ehrlich.
Der "Westen" gilt als Vorbild mit allen seinen Wahrheiten und auch Unwahrheiten, die man für Demokratie hält. Themen über Freiheit und Demokratie und Begriffe wie Rede-, Presse- und Meinungsfreiheit betreffen stark zur Zeit die in China (in)offiziellen Schriftsteller und Exilschriftsteller aus China; sie werden in Europa immer stärker wahrgenommen.
Um es zu verstehen, reicht es aus der Erfahrung aus meiner Heimat für mein Empfinden, was ein Regime zum Beispiel für einen Schriftsteller bedeutet, aus.
Die Erfahrungen meiner Generation und der älteren Generation – haben mich geprägt. Sowohl das Leben in einem kommunistischen System, als auch die Nachwendezeit haben mein Verständnis für die europäische Gesellschaft geformt. Die innere Kenntnis der Ost-West Problematik, zwischen zwei Wertsystemen, ist für mich grundlegend und maßgebend für das Verstehen von Konflikten, die gerade auch unser Verhältnis zu China ausmachen, geworden.

Prinzip des Westen und Osten: immer wieder

Über die Ost-West Thematik schreibe ich in meinen Radiobeiträgen oder Essays. Trotz dieser starken Erfahrung, bin ich keine Autorin, deren fiktionale Prosa rein osteuropäische Themen zur Grundlage hat. Und außerdem bin ich mit dem Begriff „Osteuropa“ nicht einverstanden, denn es ist ein Ausdruck, der Europa nur teilt. Geographisch gilt der Begriff „Mitteleuropa“ für Länder der Mitte Europas als richtig. Darüber habe ich einen Essay: „Die Krankheiten der Europäer“ geschrieben.
Für mich ist es wichtig, keinen direkten politischen Diskurs zu schaffen, sondern das Leben und das Denken der Menschen in ihrer Heimat zu sehen, zu erleben und so auch zu beschreiben.
Ich habe keine politischen Ziele.
Die "verbotetenen" Schriftsteller in China zeichnen sich aber eindeutig durch ihren Mut zu Worten und Taten aus, die dem Staat nicht angenehm sind. Sie haben viel Mut zu klaren Worten, trotz der Gefahr, die dadurch ihr Leben bedroht.
Im europäischen Sinne sind viele chinesische Schrifteller „Helden“. Vielen ist Europa durch seine Befreiungsbewegung ein Vorbild, auch mit seinem philosophischen Erbe. Sie riskieren ihr Leben, um sich zu äußern. Sie dürfen nicht ausreisen.
Worte sind für den Staat gefährlich, freie Meinungsäußerung bedroht seine Macht und Privilegien. „Wir sollten mit der Praxis brechen, Worte als Verbrechen anzusehen", schrieben die Autoren der Charta 08. Die Charta 08 fordert 19 Maßnahmen, um die Menschenrechtssituation in China zu verbessern. Die chinesischen Autoren werden verhaftet wie im Dezember 2009 Liu Xiaobo.
Ich stelle mir die Fragen: Wie kann der Westen bzw. Europa diesen Autoren helfen? Kann man ähnliche Methoden anwenden, wie sie der Westen im Kalten Krieg durch die Unterstützung der Dissidenten in den kommunistischen Ländern eingesetzt hat? Gelten noch die gleichen Regeln, wenn China als Handelspartner, als Platz für Investoren, als Financier des Wohlstands in den USA gebraucht wird. Scheitert daran die demokratische Welt?
Zwischen dem 6.1. 1977 und dem 29.12. 2009 – sind genau 33 Jahre vergangen als die Schriftsteller Václav Havel und Ludvík Vaculík und der Schauspieler Pavel Landovsky für die Verfassung der Charta 77 prompt wegen des gleichen Verbrechens und in einem Land mit dem vergleichbaren ideologischen Regime verhaftet wurden.
Am 29.12.2009 hat das Gericht in Peking den Schriftsteller Liu Xiaobo zu einer 11-jährigen Haftstrafe verurteilt. Liu Xiaobo, ist einer der Mitautoren der Charta 08 und der damalige Ehrenpräsident des unabhängigen Pen-Schriftstellerclubs in China.
„Wenn man dagegen protestiert, geht es nicht um eine politischen Kalkulation, sondern um moralische Solidarität, denn je mehr die chinesische Regierung Druck vom Außen bekommt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Verhafteten besser behandeln“, schrieb Václav Havel an die chinesische Regierung dieses Jahr nach der Verhaftung von Liu Xiaobo; Xiaobo schrieb in seinem Manifest Charta 08: „Wir sollten damit aufhören, Worte zu kriminalisieren.“ Finde ich auf die folgenden Fragen auch Antworten? Wie unterscheidet sich der osteuropäische und chinesische Dissident? Welche Merkmale sind gleich und welche anders? Können wir die moralischen Prinzipien in Europa und China vergleichen? Können wir die chinesischen Schrifteller verstehen, auch wenn wir das Land mit allen seinen Widersprüchlichkeiten nicht begreifen und erklären können?
Allein das Materielle bedeutet das Wohl der Massen und ist Ziel und Legitimation eines kommunistischen Staates. Tatsächlich aber hat dieser Staat seinen Bürgern in den vergangenen 60 Jahren so viel Schlimmes angetan, dass ein großer Teil der chinesischen Bevölkerung traumatisiert zurückgeblieben ist. Und ein Schriftsteller kann es verzeichnen. Aber welchen Status hat der Schriftsteller in China? Welche starken Einflüsse kommen aus Europa? Sind sie deshalb verboten oder weil das westliche Denken nicht auf das chinesische übertragbar ist und wirkt als Fremdkörper in der chinesischen Gesellschaft? Wollen sich die Autoren dadurch dem Westen annähern oder haben sie eine natürliche Affinität zu Europa bzw. den USA. Wie kann die chinesischen Autoren Europa verstehen, wenn das Land eine andere kulturelle-religiöse und historische Entwicklung hat. Kann sich Europa relevant beim Problem der Redefreiheit in politische Verhältnisse Chinas einmischen, sowie das bei den Einreiseverboten der Autoren bei der Frankfurter Buchmesse 2009 der Fall war? Wie grenzen sich die Schriftsteller von der übrigen Millionen-Gesellschaft ab und wie passen sie sich an? Und schließlich interessiert mich die Frage, können wir die moralischen Prinzipien in Europa und China vergleichen und beurteilen?!

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Tag der Veröffentlichung: 31.07.2010

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