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FERENC


Ich lebe in einer einsamen, aber doch sehr geselligen Welt, in der mein Name unwichtig, unbedeutend ist. Ich lebe in einer stummen, aber sehr empfindsamen Gesellschaft, in der Gesellschaft der Schuhe. Ich bin für immer eine Figur, eine Schusterfigur namens Ferenc. Ich bin mit meiner Schusterei zufrieden, es ist mehr als eine Schusterei. Es ist meine Leidenschaft, mein Fieber, mein liebstes Delirium...
Ich wuchs in einer Schusterfamilie auf. Vom Mutterleib an lag Wohl und Wehe des ahnungslosen Kindes (also meins) in den Händen meiner Eltern. Da meine Eltern, meine Großeltern und meine Urgroßeltern den Beruf der Schuster ausübten (ihr ganzes Herz gehörte immer diesem Beruf), war mein Schicksal dadurch (durch den Samen meines Vaters) besiegelt. Ich war die Saat für die spätere Ernte.
Da in unserem Haus alles der Schuhreparaturwerkstatt untergeordnet war, fand man dort nur Schuhe. Schon dem Kleinkind, also mir, standen statt Spielzeug, statt eines Schaukelpferds, statt Puppen oder Autos, die alten und abgenutzten Schuhe zur Verfügung. Ich beleckte die Pfennigabsätze ahnungslos und liebevoll mit meiner Kinderzunge, ohne Unterschied dienten mir die Absätze als Schnuller, die alten Gummischuhe kaute ich anstatt Gummitierchen, und die Schnürsenkel, Maßbänder und Innensohlen waren meine Spielsachen.

Schon als Kind achtete ich nur auf Schuhe und nahm mit verfeinertem Sinn die Unterschiede zwischen ihnen wahr: ich unterschied Sandalen mit Riemen von Pantoffeln, Turnschuhe von Fußballschuhen oder Gummistiefel von Cowboystiefeln; die winterlichen mit Plüsch oder Baumwolle waren angenehm weich für meine Kindervorstellungen in meinen Kinderhändchen. Der modrige Gestank und der Geschmack alter, übelriechender Schuhe, die mein Kindermund damals wie Kaugummi kaute, rufen naturgemäß noch heute die Erinnerung meines Geschmacks- und Riechorgans wach. Auch die ersten Worte betrafen die Namen meiner liebsten Schuhe; das allererste Wort war »Schuh«. Daran erkannte die Umgebung gleich meinen Spürsinn für Schuhe. Alle freuten sich über dieses erste in meinem Gehirn gespeicherte Wort. Meine Wortwahl entsprach der Wortwahl und den Kenntnissen meiner Umgebung; und meine Umgebung war, wie ich schon sagte, die Schusterumgebung. Alle bemerkten zufrieden, dass ich mal der allerbeste Schuster sein müsse.
Schon von Geburt an war ich kein kerngesundes Kind. Es ist nicht unnötig, wenn man die alte Wahrheit abstaubt und wiederholt: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Bei mir galt das Gegenteil in jeglicher Hinsicht. Ich war ein zartes Pflänzchen, krank wie ein Fisch im trüben Wasser, wachsbleich im Gesicht, keine Wangen wie Pfannkuchen, keine Lippen wie Himbeeren – ich war dürr wie ein Stecken. Mein Vater hatte keinen Engel gezeugt. Meine Mutter, die zwar meine biologische Mutter war, konnte ich nie Mutter nennen: sie erzog mich kaltherzig und behandelte mich noch kaltherziger – mit den Schuhen ging sie besser um als mit mir – so dass ich zur chronisch-akuten Krankheit der Gefühl- und Lieblosigkeit und der Verachtung verurteilt war. Meine Mutter hatte keinen eigenen Charakter. Sie leckte meinem Vater die Stiefel und verschwieg ihren eigenen Charakter. Ich verachtete sie, da ich ihre Schwäche bald intuitiv erkannte. Das Verhältnis meines Vaters, ihres Mannes, zu mir war noch entsetzlicher. Er schlug mich unbarmherzig krumm und lahm, wie einen Hund mit einem Stock. Nach dem bestialischen herzlosen Schlagen des noch bestialischeren Vaters lag ich immer verwundet und regungslos im Bett, mit grimmiger Erleichterung hatte er mich, den verprügelten Hund allein gelassen. Danach kam er jedoch wieder zurück - immer. Diesmal kam er zu mir als gutherziger und liebender Vater, plötzlich in tausend Ängsten um mich schwebend, ob ich atme: »Ferenc, lebst du? Mein Sohn!«, schüttelte er panisch meinen fast leblosen Körper. »Ferenc, Ferenc, sag ein Wort!« Ich gab nicht auf. – Ich atmete tapfer weiter. Immer bekam er diese komisch sanftmütige Angst. Der Vater streichelte mich und sagte dabei: »Ferenc, gut, dass du lebst, wer würde unsere Schusterei übernehmen!« Das war seine und ihre Liebenswürdigkeit, die sich in meinem Inneren in Hass umwandelte. (Damals nannte ich es natürlich nicht Hass, es war eine verlegene Liebe und Angst. Heute bezeichne ich die Dinge und die Zustände beim rechten Namen.)
Immer wieder prahlte er vor mir mit solch schrecklich abstoßender Geschichte: »Ferenc, als Junge haben ich und meine Kumpanen mit echtem Vergnügen die streunenden Hunde mit Stöcken verprügelt. Ich hatte so viel Kraft, Energie und Hass in mir – das alles habe ich noch bis heute.« Ich sah ihn mit Entsetzen an, das Herz schlug mir bis zum Hals. Jedes Mal, wenn er seine grauenhaften Heldentaten mit unbeirrbarer Lust und hinreißender Befriedigung erzählte, war mir gleich klar, dass jetzt ich der Ersatz für diesen Hund bin. Nach seiner Schilderung machte er seine übliche (plötzliche) Pause und durchbohrte mich mit einem tückischen Blick, als ob er meine Vermutung erriete. »Warum starrst du mich so an, du bist immer noch sehr schwach, ich muss dir Moral, Disziplin und Gefügigkeit beibringen.« Heimlich übergab ich mich. Wie ich eigentlich lebte, war ihnen anscheinend egal. Aber sobald mein Leben an einem Faden hing, und das war nicht selten der Fall, zitterte er, dieser bestialische Mensch, um das Leben, das er mir einmal geschenkt und doch stets vergällt hatte. Sie wollten mein krankes und narbiges Leben, für sie ein Schusterleben, retten, aber in Wirklichkeit haben sie es nie gerettet. Sie behandelten mich schlechter als einen Hund. Wie kann man einen geprügelten Hund zu Liebe und Herzlichkeit erziehen? Die ganze Kindheit über verkniff ich mir den Schmerz und schluckte die bittere Pille gegen meine Krankheit der Gefühllosigkeit und Minderwertigkeit, die ich für immer in mir ahnte.
Der Beruf meiner Eltern prägte in allen Maßen auch die Atmosphäre des ganzen Hauses. Wir waren nie eine Familie mit einem schönen Einfamilienhaus. Das Haus war klein und einstöckig, im Erdgeschoss war die Schuhreparaturwerkstatt und im ersten Stock fanden ein Schlafzimmer und mein kleines Zimmer Platz. An den Wänden hingen verstaubte Bilder mit Szenen aus dem Schusteralltag... Anstatt warmer und farbiger Teppiche in niedlichen Zimmern, lagen in dunklen Räumen alte Teppiche auf schmutzigen Fliesen. In den Schränken gab es kein zierliches und ausladend geschmücktes Porzellan, dort fand man nur Drahtnägel und Zwecken auf dem Tisch, statt frischer Blumen Absätze, Leder oder alte Rechnungen – alles war ein Durcheinander, ohne jede Ordnung und Regel. Im Kellerraum befanden sich Materialien für Gummisohlen, Sohlenleder, niedrige, hohe und flache Absätze, Galoschen und Zungen. Im Kohlenkeller wälzten sich neben der Kohle auf dem Boden alte unbrauchbare Reste von Schuhen. In der so genannten Rumpelkammer befand sich verschiedenes altes oder nagelneues Schumacherwerkzeug – ein Brenneisen, Rand- und Schneidmesser, Schuhfärbematerial, Putzholz, einige Löffel-Raspeln und so weiter; kein Gartenwerkzeug, keine Fahrräder. Das Souterrain galt als Empfangszimmer für die Kunden und zugleich als kleine Werkstatt für schnelle Reparaturen. In diesem unangenehmen Milieu gab es nur Regale mit Werkzeugmaterial und Schuhregale mit den reparierten Schuhen für die Kunden. In der Halle stand eine Drahtstift-, Ausputz-, Absatz- und Ausbohrmaschine, Werktische mit einem Fach für Täckse, Stifte oder Nägel und noch anderes Schusterzeug, das Haus und Hof prägte.
Überall stank es, und jeder stank nach Schuhcreme oder Klebemasse. Nichts und niemanden ausgenommen, also auch nicht mich und meine Eltern, stanken wir alle nach der Schusterei. Jeder stinkt. Einer stinkt nach Kuhstall, ein anderer nach Büro...und überhaupt stinken alle nach Dummheit!

An dem Haus hing ein großes Schild: »Schuhreparaturwerkstatt und Schusterei. Wir reparieren, flicken, erweitern, verlängern, besohlen, putzen und nähen Ihre Schuhe«. So stand es, so funktionierte es auch in Wirklichkeit, die jedoch härter war, als es den Anschein hatte. Auch ich lernte einwandfrei und sachgemäß diese Arbeit, zuerst jedoch bürstete, putzte, cremte und wichste ich die Schuhe.
»Unser Sohn hat eine gute Kinderstube«, streichelte mich dabei meine Mutter, aber mir war innerlich zum Brechen. »Bevor du in die Schule gehst, vergiss nicht, deine Schuhe zu polieren«, hörte ich jahrelang zur Frühstückszeit.
Es ist auch zum Kotzen. »Polieren, polieren«, werde ich es in meinem Inneren bis zu meinem Ende, bis zum Grabstein hören. Was die Schuhe betrifft, und alles betrifft bei uns nur Schuhe, waren meine Eltern, diese Frau und dieser Mann, wirklich sehr ungeschliffen und primitiv. »Die Schuhe sind unser tägliches Brot, unser alles«, so meine Mutter. Und die Eltern widmeten sich immer gehörig diesem Brot – nicht mir, sondern den Schuhen. Über dieses Brot führten wir zusammen die einzigen Gespräche. Die Gespräche wimmelten ohne weiteres von Schuhbesitzern, von der Beschaffenheit der Schuhe, von deren Qualität oder vom Werkzeug. Diese Gesprächsthemen waren inhaltlich gleich und wurden immer wieder aufgenommen und besprochen. Ich war fachgemäß in diese Themen einbezogen. Ich sagte mit der Zeit und mit meiner wachsenden Schustervernunft dieselben Sätze und lernte, sie genau formulierend nachzuahmennund in diesem Bereich so zu denken und sach- und fachgemäß so zu sprechen wie meine Eltern. So brauchte ich kein anderes Thema zu suchen und zu kennen, gar keine anderen Gedanken und Interessen zu hegen. Gesprächsthemen, Gedanken und Sorgen waren schon da, ohne einen einzigen eigenen Antrieb und ohne eine einzige Willensanregung. Erst wenn das Schuhthema ausgeschöpft war, kam ich an die Reihe. Aber man schlitterte sowieso bald wieder ins Schuhthema hinein. Die Kunden mit ihren Schuhen waren das A und O für meine Eltern, also noch einmal: Nicht ich, sondern die Kunden mit ihren stinkenden Schuhen.

In unserer Schusterei war ich sehr gelenkig. Diese meine Geschicklichkeit hatten meine Eltern bösartig ausgenützt, was ich ihnen nie vergesse und was ich ihnen nie verzeihen kann.
Ich erinnere mich an die gräuliche Zeit, als ich 10 Jahre alt war. Zu allem Unbehagen, das ich zu Hause empfand, ordneten meine Eltern an, dass ich tagtäglich um fünf Uhr aufstehen und nach dem Unterricht bis sieben Uhr abends arbeiten müsse. Diese Neuerung begründeten sie (ihre Forderungen konnten sie immer sehr gut begründen) mit der Behauptung, dass die Arbeiter in den Fabriken auch so früh ihre Schicht anträten und dass aus mir sowieso ein Arbeiter, also ein Schuster, werde, und das Schusterwesen sei ein hartes Brot, und dieses harte Brot müsse man schon von Anfang an erlernen, und mit vierzehn Jahren würde ich sowieso als Schusterjunge in die Schuhreparaturwerkstatt eintreten, und dass der Langschläfer es zu nichts bringe, und dass ich ja ihr Sohn sei und ihnen helfen müsse, und dass ich ohne ihre Schusterei kein Geld hätte, und dass ich ihnen noch dankbar sein solle, dass ich etwas verdienen könne, und dass ich ohne ihre Schusterei ein Nichtsnutz wäre... und so weiter wiederholend.
Ich wurde zum Schmerz erzogen wie ein anderer zur Freude erzogen wird.
Ich hasste sie bis aufs Blut. Mit großem Widerwillen begann ich, um fünf Uhr zu arbeiten. Ich tat die Arbeit wie im Schlaf. Tagtäglich schluckte ich die heißen Tränen hinunter. Meine Eltern standen erst um halb acht auf, wenn ich gerade in die Schule ging. Ich ertrug ihr spätes Aufstehen und ihre Ignoranz gegenüber meinem erbärmlichen Zustand sehr schwer, ohne sie zu fragen, warum sie nicht mit mir aufstanden.
In der Schule war ich, dem miserablen Umstand entsprechend, müde wie ein Hund. Ich war ein Hänfling und sah aus wie mein eigener Schatten. Wann immer mich jemand fragte, was mir zugestoßen sei (die Lehrerin fragte mich oft mit den so lieben Worten »lieber Ferenc, wie geht es dir?«), schwieg ich und dann heimlich erbrach und weinte. Diese Welt zu Hause wurde mir zur Hölle, die mir hier sowieso kein Schwein glauben würde. Niemand war unter den Mitschülern eine wirklich treue Haut. Ich fühlte mich allein auf dieser Welt. Wenn die Kunden nur gewusst hätten, wie hart und unter welchen schmerzhaften Tränen ihre Schuhe geputzt werden, dachte ich jeden Tag am frühen Morgen und am späten Abend. Todmüde und tränenvoll war mein Herz. Aber keinen einzigen Schmerz, der mich tagtäglich überwältigte, und keinen einzigen Kummer, von dem ich verzehrt wurde, konnte ich vor den Eltern äußern. Mir wurde diese Welt zur dunkelsten Hölle und nur meine eigene Welt zum klarsten Himmel. So ging es einige Monate lang. Ich wollte schon die Hand an mich legen...aber der Spielball des Schicksals befand sich nicht in meinen Händen.
Eines Tages sagten mir die zwei Menschen, meine Eltern, dass ich nicht mehr um fünf aufstehen müsse. Warum so plötzlich?, beschäftigte ich mich mit dieser Neuerung. Als die Eltern senil waren, enthüllte es die Mutter. In der Zeitung las sie, dass eine Großmutter ihre zwei Enkel über ein Jahr lang zwang, von vier Uhr in der Früh bis acht Uhr abends zu arbeiten. Diese Frau war eine Heimarbeiterin. Und diese zwei Enkel (13 und 9 Jahre alt) mussten ihr bei der Arbeit helfen. Sie taten im Grunde jede Arbeit, die sie ihnen befahl. Die Großmutter hatte ersichtlich ihr Vergnügen daran, und wenn sie ihre Arbeit wegen der Erschöpfung vertrödelten, so bekamen sie weniger Essen. Nachdem einer der Jungen dieser Hölle entflohen und zur Polizei gegangen war, wurde diese Frau zu Haft verurteilt. Ihre Verteidigung war, dass sie dem Jungen so ermöglichte, sich etwas zu verdienen. Durch diese Geschichte, die meiner sehr ähnelte, bekamen die zwei Menschen, meine Eltern Angst. So beendeten sie meine grauenhafteste Plage von 5 bis 19 Uhr. Damals dachte ich, dass mich meine Eltern doch liebten und für mein Kinderherz Verständnis hätten, als sie mir die frühe Arbeit verbaten. Wenn ich nur damals gewusst hätte, wie ich mich irrte!
(....)


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Tag der Veröffentlichung: 20.07.2010

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