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Kapitel 1




Ich habe angst in den Spiegel zu gucken. Wie muss ich aussehen, verweint und am Ende. Der Wecker hat vor einer Stunde geklingelt, also wird der Kunde bereits auf mich warten. Er muss weiter warten. Ich kann nicht aufstehen. Bin nicht in der Lage mich zu rühren. Der Gedanke, meinen Kopf zu bewegen könnte zur Folge haben, dass ich Fotos sehe oder den Eingang zu Emilys Zimmer. Es könnte aber auch zur Folge haben, dass ich den nun leeren Platz auf meiner rechten Seite sehe. Beides will ich nicht wahr haben, nicht bestätigt wissen. Es ist nun der erste Morgen, war, das "Gestern", vielleicht nur ein Traum? Liegt meine Frau neben mir und schläft tief und fest? Nein, der Wecker hätte sie aufwachen lassen. Sie hasst den Klingelton doch so sehr. Ich höre niemanden atmen, das Zimmer ist still. Auch von Emilys Zimmer aus höre ich nichts. Mein Handy klingelt, dass muss der Kunde sein, doch ich bleibe liegen, regungslos.
Ein Geruch sticht in meiner Nase, ein metallischer, es riecht nach Blut. Ich höre Schlüsselgeräusche an der Tür, dass muss unsere Putzfrau Steffi sein. Sie ist eine gute Putzfrau, manchmal etwas launisch, aber das macht nichts, da ich die Ergebnisse sehe und unsere Wohnung für sehr sauber halte. Meine Frau muss die Launen abenzu mal ertragen, weil sie später als ich, mit der Arbeit beginnt. Ich höre, wie Steffi unseren Eingangsschlüssel auf die Komode wirft, dann eine kurze unheimliche Stille, die nur wenige Sekunden dauert. Als nächstes ein Aufschrei, der nicht zu enden scheint. Ein lautes wimmern und schreien mit den Worten "Oh mein Gott" nehme ich war. Nun steht sie in der Tür. "Tony, Tony, Tony...." sie wiederholt meinen Namen immer wieder und weint, wimmert, ist verzweifelt.

Ich weiß was sie mir sagen will, aber ich will es nicht hören, also reagiere ich nicht auf sie. "Tony, deine Frau, Emily..." immer noch kurz vor dem Nervenzusammenbruch stottert Steffi kurze Worte vor sich hin. Plötzlich spüre ich es. Einen Stich in meinem Herzen, als hätte mir jemand ein Messer mit roher Gewalt in die Brust gejagt. Der Schmerz wird kontinuierlich heftiger, nun versucht die Person mir den Griff auch noch in die Brust zu drücken. Ich beginne, die Realität zu begreifen und richte mich von meinem Bett auf. Meine Hände pressen sich vor mein Gesicht und zerdrücken es, dabei werden meine Finger feucht. "Meine Frau und meine Tochter...sie sind tot" überkommt es mich schließlich. "Wir müssen sofort die Polizei rufen" bringt Steffi hervor. "Ja.." Antworte ich verzögert. Ich nehme allen Mut zusammen und betrete das Wohnzimmer. Meine Frau sitzt regungslos auf der Couch. Ihr Unterkörper ist voller Blut, neben ihr liegt meine Tochter. Sie hält ihre Mutter ihm arm, als würden die beiden Kopf an Kopf schlafen. Ich breche zusammen, falle auf die Knie. Meine Hände stützen meinen Oberkörper, sodass mein Gesicht nicht auf den Boden prallt. "Mein..Gott" schreie ich.

Die Polizei trifft ein, es kommt mir vor, als wären Stunden vergangen. Sie stellen den Tatort sicher und bitten mich, mit ihnen aufs Präsidium zu kommen, auch Steffi soll mit. "Wir wissen, dass dies sehr hart für sie sein muss, aber wir müssen alle Spuren sichern, dass ist ein Tatort" wird mir gesagt. "In Ordnung" bringe ich hervor und folge den Anweisungen der Polizei. Ich höre beim rausgehen noch, wie einige Fotos gemacht werden und konnte sehen, wie jemand ein Schild mit der Zahl "1" aufstellte. Es war eigenartig die Wohnung zu verlassen, es kommt mir vor als würde ich meine beiden Engel alleine lassen. "Da wo sie jetzt sind, ist es ihnen wohl egal" denke ich wiederwillig unter einem unbeschreiblichen Schmerz in meinem Herzen. "Möchten sie Angehörige benachrichtigen?" Wollte der verdammte Bulle wissen. "Muss das jetzt sein?" Entgegne ich ihm. "Nein." Und nach einer kurzen Pause "Selbstverständlich nicht." Zögert der Polizist. Wir erreichen das Polizeipräsidium nach 15 Minuten, in welchen ich zu viel nachdenken konnte, ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht durchdrehte.

*



„Emily, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du deine Sachen wegräumen sollst, wenn du nicht mehr damit spielst.“ Giftete ich meine Tochter an, denn das nervte mich wirklich. „Tony, sie ist erst 4 Jahre alt, jetzt stell dich nicht so an.“ Meine Frau fiel mir, wie immer, in den Rücken. „Auf diese Weise können wir kein Kind erziehen, wenn ich was sage ist das zu machen. Schließlich mische ich mich bei dir ja auch nicht ein!“ Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass meine Frau es begreifen würde. „Nicht streiten!“ flehte uns Emily an und ergänzte „Ich räum es ja schon weg, Papi.“ Sie war eben ein Engel. Genauso, wie meine Frau, doch wenn es um unser Kind ging, konnte Shannon auch mal böse werden, jedoch, auch wenn es mich manchmal genervt hat, liebte ich diese Fürsorge an meiner Frau. Mit ihren langen blonden Haaren, die glänzten, wie der hellste Stern, welcher in der dunkelsten Nacht hervorsticht. Nicht zu vergessen, der Geruch dieser Haare, es war nicht nur ein Geruch, man hätte ein Parfüm aus diesem Duft machen können. „Okay, die Arbeit wartet.“ Sagte ich motiviert. Für meine Tochter war dieser Moment, der von Montag bis Freitag an jedem Morgen kam, schrecklich. „Nein, noch nicht Papa.“ Kam sie auf mich zugerannt und ich nahm sie in den Arm. „Heute Abend, wenn ich wieder da bin gehen wir ein Eis essen, wie ist das?“ Obwohl der letzte Teil wohl eher eine rhetorische Frage war, denn Emily liebte Eis. „Jaaaah“ Brachte sie hervor. „Aber erst einmal geht es jetzt ab in die Badewanne, Maus.“ Damit hatte Shannon die Laune unserer Tochter nun wieder auf einen Tiefpunkt gebracht. „Tschüss, Papi, bitte komm schnell wieder!“ Emily musste sich gegen ihre Mutter wehren, um diesen Satz noch zu Ende sagen zu können und mir dabei ins Gesicht zu gucken, um mein nicken nicht zu verpassen. Ich küsste meine Frau und ging. Ich würde die beiden nie mehr wieder sehen.

„Wir wissen, dass dies hart für sie sein muss, aber sie müssen uns einige Fragen beantworten.“ Der Polizist scheint kein Taktgefühl zu haben und zieht mich aus meinen Gedanken. Ich blicke hoch.
„Entschuldigung, was wollten sie wissen?“ Sagte ich.
„Als erstes möchte ich ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Ich kann mir vorstellen, dass dies sehr hart für sie sein muss, aber sie müssen uns ein paar Fragen beantworten.“
„Sie möchten ihr aufrichtiges Beileid aussprechen? So, wie sie das vermutlich auch machen, wenn Menschen hier auftauchen, die ihr Tier verloren haben?“
„Ich verstehe nicht, was das soll, Herr Blumon, wollen sie den Täter nicht genauso, wie wir, schnappen sodass er keinen Schaden mehr anrichten kann?“
„Keinen Schaden mehr anrichten kann? Mit vielleicht fünf Jahren aufgrund von mangelnder Zurechnungsfähigkeit?“ Der Polizist macht nur seinen Job, aber ich kann mich nicht beherrschen.
„Das Gericht wird ihn bei eindeutiger Schuldlage zu mehr als 5 Jahren verurteilen, dass können sie sich doch wohl denken.“
„Nichts denke ich, meine Frau und Tochter wurden eiskalt abgeschlachtet, an was soll ich noch denken, außer an die Vergangenheit?“ Ich merke, wie mir etwas feuchtes die Wangen runter kitzelt.
„Ich verstehe ihren Schmerz, Herr Blumon."
„Nein!“ Unterbreche ich ihn. „Nein, dass verstehen sie nicht.“
„Doch, glauben sie mir, dies ist..“
„Haben sie Kinder?“ Unterbreche ich ihn erneut.
„Nein, aber ich habe eine Frau und deswegen..“
„Welches Motiv kann ein Mensch haben, ein kleines vier jähriges Mädchen abzuschlachten, wie ein Tier.“ Unterbreche ich ein weiteres Mal. „ Sie hatte ihre Mutter im Arm, als sie starb. Es gibt kein Motiv für so eine Tat und somit sollte es auch keinerlei Verständnis geben. Wer auch immer das getan hat, soll grauenvoll verrecken.“
Ich bereue sofort, dass ich meine Zunge nicht kontrolliert habe.
„Herr Blumon! Ich bitte sie, reden sie sich jetzt nicht um Kopf und Kragen. Ich habe viele Väter erlebt, denen etwas ähnliches passiert ist und ich weiß, dass viele an Rache denken, aber diese bringt weder ihre kleine Tochter, noch ihre Frau zurück. Das einzige, was so eine Tat ihnen verschafft, ist der direkte Weg genau da hin, wo derjenige hingehen wird, den sie gerade so verfluchen.“ Der Polizist wird ernst und lauter, als er mir das sagt und ich begreife, dass er Recht hat.
„Es tut mir leid, die Gefühle haben mich da wohl etwas überkommen.“ Entschuldige ich mich.

Ich erzähle dem Polizist, was er wissen möchte. Meine Personalien, was ich an diesem Tag gemacht habe und es war nicht viel, denn es war ein routine Tag, bei dem ich ganz normal arbeiten war. Da ich überraschend noch einen Kunden hinzubekam, musste ich Überstunden machen. Zum Schluss fragt mich der Polizist noch, ob ich jemanden im Verdacht habe. Nach einer kurzen Pause antworte ich mit „Nein, ich habe niemanden genau im Verdacht.“ Der Polizist wünscht mir viel Stärke und verabschiedet sich vorerst, ich muss zunächst zu Bekannten gehen, da meine Wohnung nun ein Tatort ist. Zur Not, würde die Polizei mir für die Zeit selbstverständlich ein Hotelzimmer zur Verfügung stellen, wird mir gesagt.
Ich verlasse das Polizeipräsidium düster und kalt. Ich merke, dass ich nichts empfinde. Weder die Temperatur, noch was die Menschen um mich herum tun. Ich verschwinde in meiner eigenen Welt, wo ich die Zeit selbst bestimmen kann. Ich spule mein Leben zurück, als sie noch da waren, meine beiden Engel, welche die zwei notwendigen Hälften für mein Herz waren. Allerdings weiß ich auch, welche Personen nun besonders wichtig in meinem Leben geworden sind. Shannons Vater und der Onkel meiner Tochter. Nicht zu vergessen, Shannons Ex-Freund, den verrückten Daniel, welchen ich erst mal finden muss. Die drei halte ich schließlich für dringend Tatverdächtig.


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Tag der Veröffentlichung: 28.09.2011

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