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Kapitel Eins


Wüste.
Was anderes kann ich nicht sehen.
Ich gleite über sie hinweg und nehme die Landschaft unter mir auf.
Ich habe so etwas noch nie gesehen. Sand gehört meiner Meinung nach an den Strand und nicht auf eine riesige Fläche, die für weitaus besseres genutzt werden könnte.
Vielleicht stimmt das alles nicht, aber mein Vater ist der festen Überzeugung, dass die Wüste besiedelt werden müsste.
Ich habe meine Zweifel daran, dass er das schaffen könnte, immerhin ist das bis jetzt noch niemandem gelungen.
Die Wüste ist ein unberechenbarer, gruseliger Ort, wenn es nach mir geht, und doch kann ich meinen Blick nicht von ihr abwenden.
Der Wind wirbelt den Sand auf, ein Wunder, dass ich das von der Höhe aus sehen kann.
Er legt ein paar Pflanzen frei, verdorrte, arme Dinger, die hier draußen so gut wie keine Überlebenschancen haben.
„Medina, Liebling, drück deine Nase nicht an die Scheibe, so etwas macht man nicht!“, höre ich die mahnende, aber liebevolle Stimme meiner Mutter.
Ich spüre, wie ich leicht rot werde, als ich mich ihr zuwende.
„‘Tschuldigung“, murmle ich.
„Medina!“, erschrocken sehe ich auf.
Mein Vater wirft mir einen strengen Blick zu.
„Entschuldigung, Mutter“, verbessere ich.
Wohlwollend nickt er mir zu, wobei nicht eine, seiner dunkelblonden Strähnen seine Position verliert.
Ich rutsche unruhig auf meinem Sitz hin und her.
Ich möchte endlich landen.
Dafür ernte ich erneut einen weiteren Blick meines Vaters, der mich ruhigstellen soll.
Sofort setze ich mich gerade hin und versuche, mich nicht mehr als nötig zu bewegen.
Ich weiß, mein Vater ist sehr streng, aber er tut nur sein bestes, dass ich mich nie blamieren werde.
Und auch wenn viele Menschen nicht meine Meinung teilen, für mich ist er ein Idol. Ich habe schon immer zu ihm aufgesehen.
Und ich will ihn stolz machen.
Also sitze ich vorbildlich neben meiner Mutter, die sich erneut zurückgelehnt hat, um ein wenig zu schlafen.
Ihre glatten, braunen Haare hat sie zu einem festen Dutt hochgesteckt. Er sitzt perfekt, genauso wie ihre weiße Bluse und ihr hellbrauner Rock. Ich fand meine Mutter schon immer wunderschön und ich bin stolz darauf, ihr so ähnlich zu sein.
Nur meine grauen Augen habe ich von meinem Vater geerbt.
Unwillkürlich muss ich lächeln, als mir bewusst wird, dass beide direkt hier bei mir sind.
Oder ich bei ihnen.
Ich hatte keine Ruhe gegeben, bis mein Vater mich mit auf seine Geschäftsreise nahm.
Er wollte in einen abgelegeneren Teil von Match, der früher Australien genannt wurde.
Ich werfe meinen Eltern einen kurzen Blick zu.
Meine Mutter schläft immer noch entspannt in ihrem Sitz, während mein Vater seine Unterlagen durchguckt.
Ein leises Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als ich wieder aus dem Fenster des Flugzeuges starre.
Die Wüstenlandschaft wird ein wenig fruchtbarer. Ich kann einige Büsche erkennen, vereinzelt kleine Bäume.
Mein Vater nannte es: Prärie, oder Steppe.
Ich kenne den Unterschied nicht, da ich noch nie woanders war, als in meiner Heimatstadt New York.
Das Land, über das wir fliegen, wurde früher Afrika genannt und es war schon damals keines der reichen Länder. Heute bezeichnet man es als Outcast, da hier so gut wie keiner leben kann, oder will. Ich habe sogar mal gehört, dass Verbrecher hierher verbannt wurden, wenn es keinen Platz mehr in den Staatsgefängnissen gab, aber als ich meinen Vater danach fragte, hatte er mich nur wieder mit seinem strengen Blick bedacht und gesagt, ich solle nicht alles glauben, was ich höre.
Und nun, als ich das leblose Land unter mir sehe, kann ich die Gerüchte auch gar nicht mehr glauben.
Kein Mensch wäre so grausam und würde ein anderes Lebewesen hier aussetzen.
Man kann mich naiv nennen, aber ich habe immer gut von unserer Politik gedacht und das werde ich auch immer tun.
„Medina, pass jetzt gut auf“, reißt mich die Stimme meines Vaters erneut aus meinen Gedanken.
Ich sehe ihn erwartungsvoll an, gespannt, ob er mir wieder etwas beibringen will.
Ich rutsche ein wenig näher zu ihm hin, dennoch darauf bedacht, meine Mutter nicht zu wecken, die seelenruhig neben mir schlummert.
Mein Vater rutscht ein wenig näher zu mir heran und streicht eine entstandene Falte auf seinem grauen Anzug glatt.
Er setzt sein liebevolles Lächeln auf, das er nur mir und meiner Mutter schenkt und streicht mir eine hellbraune Strähne hinter mein Ohr.
„Weißt du, früher war diese Flugroute nicht ganz so gefährlich wie heute“, ich schlucke.
Ich hatte von den Luftlöchern und den Stürmen gehört, die es hier in Mengen gibt, aber dass wir eines von ihnen passieren müssten, ist mir seltsamerweise nicht in den Sinn gekommen.
Sofort breitet sich Angst in meinem Körper aus. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt, bis zum Hals.
„Meinst du, dass uns was passieren wird?“, frage ich.
Er lächelt mich wieder wohlwollend an und nimmt meine Hand. Seine ist warm und zärtlich und ich drücke sie glücklich. Er hat nicht oft Zeit für mich, oder dafür, irgendetwas Spaßiges zu unternehmen. Ich muss jede Sekunde mit ihm auskosten.
„Wie kommt es, dass es früher gefährlicher war?“, frage ich deshalb und versuche, möglichst interessiert zu wirken.
Anerkennend nickt er mir zu, da er weiß, dass ich eigentlich nicht viel für die Wissenschaft und die Phänomene der Welt übrig habe.
Ich tue das nur seinetwillen.
„Durch die vielen Naturkatastrophen und den Klimawandel. Die Erde hat sich seitdem sehr verändert, wie du sicherlich weißt. Wir leben schon lange nicht mehr, so wie früher“,
Ich lächle: „Ich mag es so wie heute mehr“,
Liebevoll fährt er mir über den braunen Haarschopf, darauf bedacht, meine Frisur nicht zu ruinieren.
Damit ist unser kleines Gespräch beendet.
Er lässt meine Hand los und lehnt sich wieder in seinem bequemen Sitz zurück, um weitere Papiere zu durchstöbern.
Ich sehe erneut aus dem Fenster.
Vielleicht kann ich ja doch noch ein Tier entdecken, dass sich hierher verlaufen hat.
Die Regierung kümmert sich nicht mehr um dieses tote Land, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ein paar Tierchen überlebt haben könnten. Vielleicht haben sie sich auch über die Jahre an das dürre Wetter und die schlechten Lebensbedingungen angepasst?
Aber natürlich entdecke ich rein gar nichts.
Zum einen sind wir sehr weit oben in der Luft und zum anderen „Lebt hier rein gar nichts, außer der Erinnerung“, wie mein Vater immer gesagt hatte.
„Möchten Sie vielleicht noch etwas zu trinken?“, fragt auf einmal eine nette Frauenstimme hinter mir.
Sie redet mit meinem Vater, der sie nett anlächelt, aber den Kopf verneinend schüttelt.
Sie verbeugt sich, ohne dass ihr die süße kleine Stewardesskappe vom Kopf rutscht und trippelt davon.
Ich sehe ihr nach, bis sie vorne in dem ihr zugeteilten Bereich verschwindet.
Wir haben an Bord genau drei Stewardessen, was, meiner Meinung nach, leicht übertrieben ist, da wir auch nur drei Passagiere sind.
Mein Vater, meine Mutter und ich.
Wir fliegen mit einen von Vaters Privatfliegern.
Es ist ein recht kleines Flugzeug.
Die Wände, die uns so nah sind, machen mich ein wenig klaustrophobisch, aber ich kann es aushalten, wenn ich aus dem Fenster sehe und die weite Ebene unter mir betrachte.
Allerdings ist sie mittlerweile nicht mehr ganz so spannend, wie am Anfang.
Deswegen studiere ich ausgiebig den kleinen Passagierraum.
Es gibt einen großen, ausklappbaren Tisch, an dem mein Vater sitzt und immer noch liest. Er hat seine Ellebogen darauf gestützt und murmelt unverständliche Wörter vor sich hin.
Meine Mutter sitzt ebenfalls an diesem Tisch, allerdings schläft sie.
Ich könnte niemals in einem Flugzeug schlafen, dazu bin ich zu aufgeregt.
Auf dem Platz mir gegenüber, auf den mein Vater für das kleine Gespräch zwischen uns gerutscht ist, sitzt niemand mehr, auch wenn ich noch den Eindruck von ihm sehen kann.
Die Sitze sind bequem und weich. Mein Vater meinte, das würde ihn immer bei einer Flugreise entspannen.
Ich kuschle mich in meinen zurück und versuche mir irgendwie die Langeweile zu vertreiben, die mich langsam heimzusuchen droht.
Erneut wuselt eine Stewardess an uns vorbei, aber sie hält nicht an, um uns nach unseren Wünschen zu fragen.
Ihr Gesichtsausdruck wirkt gehetzt und sie hat nicht das übliche, breite Grinsen aufgesetzt, das Gäste beruhigen soll.
Ich weiß sofort, dass etwas nicht stimmt.
Meine Eltern haben es noch nicht bemerkt.
„Entschuldigung“, murmle ich und quetsche mich an meiner erwachenden Mutter vorbei.
Ich kann nichts für meine neugierige Natur, aber ich möchte unbedingt wissen, was die Stewardess so beunruhigt.
Solange ich noch im Blickwinkel meiner Eltern bin, gehe ich gerade, mit erhobenem Haupt auf die Tür zu, die uns vom Cockpit trennt.
Ein hässlicher, brauner Vorhang hängt ebenfalls vor der Tür und ich ziehe ihn zu, während ich mich hinhocke und versuche zu lauschen.
„... Sturm... abstürzen... solche Angst“, plappert die Stewardess.
Ihre sonst so klare, fröhliche Stimme ist hoch und tut schon fast in den Ohren weh.
Sie scheint wirklich panische Angst zu haben.
„Beruhig dich... schaffe... sind in... da“, antwortet eine tiefe Männerstimme.
Ich tippe auf den Piloten, denn eine männliche Stewardess hätte ich mir nicht vorstellen können.
„Okay... du meinst... fragen ob sie... wollen“, antwortet die Frau, nachdem sie kräftig Luft geholt hat.
Während ich noch darüber grüble, wen sie etwas fragen will und warum sie so panisch war, höre ich, wie die Klinke herunter gedrückt wird.
Als nächstes bekomme ich ziemlich unsanft die Tür gegen den Kopf geknallt.
Sterne tanzen vor meinen Augen und mir wird schwindlig.
Meine Schläfe pocht verdächtig und ich weiß sofort „Das gibt ne Beule“, murmle ich.
„Oh mein Gott, was haben Sie denn hinter der Tür gemacht?!“, schreibt die Frau erschrocken auf und schlägt sich ihre Hände, die in süßen weißen Handschuhen stecken, vor den Mund.
„Ich wollte nur...“, beginne ich, aber wieder dreht sich alles um mich herum.
Mein erster Gedanke ist, dass ich vielleicht eine Gehirnerschütterung bekommen habe, aber auch mein Gegenüber scheint die kleine Erschütterung zu spüren.
Sie quietscht und verkrallt sich in den Vorhang, der ihr allerdings nicht genügend Sicherheit bieten kann.
Sie verliert den Halt und prallt gegen mich.
Ich schlage das zweite Mal unsanft mit dem Kopf gegen was hartes, als wir zusammen zu Boden gehen, sie oben, ich unten.
„Oh, Verzeihung!“, ruft sie und springt auf.
Hilfsbereit reicht sie mir eine Hand, um mir aufzuhelfen, aber ich bleibe benommen sitzen.
Ich glaube, ich weiß, was die Stewardess befürchtet hatte...
Mein Verdacht wird bestätigt, als die Maschine ein weiteres Mal erschüttert wird.
Diesmal ist es sogar noch heftiger als vorher und ich habe kurz das Gefühl, als verliere ich den Boden unter mir.
„Gehen Sie zurück zu ihrem Platz und schnallen Sie sich an. Oh mein Gott!!“, ruft die panische Frau und zerrt mich hoch.
Schwindel erfasst mich, offenbar haben mir die zwei Bekanntschaften mit Tür und Boden nicht gut getan.
Ich taumle zu meinem Platz und schnalle mich so fest an, dass mir fast die Luft wegbleibt.
Meiner Mutter ergeht es nicht anders.
Sie hält die Hand meines Vaters und drückt sie so fest, dass seine Finger ganz rot werden, von dem zurückgedrängten Blut.
Auch ich habe mich festgekrallt, allerdings in den Armlehnen meines Sitzes.
Ich versuche, nicht aus dem Fenster zu blicken, zu sehen, wie der Boden uns näher kommt, denn an der schrägen Lage der Maschine weiß ich, dass wir abstürzen werden.
Fest kneife ich die Augen zusammen, doch sofort muss ich sie wieder öffnen, denn ohne zu sehen fühlt man sich noch mehr durchgerüttelt, als wenn ich meine Augen geöffnet hätte.
Und so muss ich mit ansehen, wie Panik auf das Gesicht meines Vaters sichtbar wird. Meine Mutter wimmert verängstigt und auch ich kann ein Keuchen nicht mehr unterdrücken.
Angst schnürt mir die Kehle zu und macht das Atmen schwer.
Ich versuche mir einzubilden, das alles wäre nur ein Traum und ich würde jeden Moment wieder aufwachen und zu Hause in meinem Bett liegen, aber sobald eine Welle mich hart gegen die Wand schleudert weiß ich, dass das kein Traum sein kann.
Wir stürzen ab.
Wir werden sterben!
Und dann ist mit einem Schlag alles vorbei.
Ich werde heftig nach vorne geworfen, der Gurt drückt mir die Brust zusammen und ich kann nicht mehr atmen. Ein Stummer Schrei steckt in meiner Kehle. Ein tiefer, kräftiger Knall lässt mein Trommelfell zerbersten und das Feuer bricht aus. Das Fensterglas neben mir zerbirst in tausend Stücke und die Scherben bohren sich in mein Fleisch. Ich spüre das heiße Blut in meinem Gesicht und auf meinem Armen, an meinem Körper. Eine Hitzewelle vermischt sich mit ihnen und die Flammen lassen mich die Augen zusammenkneifen.
Das alles erscheint so surreal, dass ich es einfach nicht begreifen kann.
Ich habe bereits Flugzeugunglücke im Fernsehen gesehen, wie das Flugzeug flach zusammengepresst wird und explodiert, aber jetzt, wo ich in einem sitze, spüre ich es so gut wie nicht.
Da ist nur dieser Schmerz, der meine Nervenenden zerfrisst. Meine Haut brennt und juckt und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Mein Bein schmerzt, da ich heftig gegen ein Stück Metall geschleudert wurde.
Meine Augen sind immer noch geschlossen, ich kann nichts wahrnehmen.
Rauch dringt in meine Lungen ein und bringt mich zum Husten.
Automatisch halte ich mir die Hand vor Mund und Nase und diese Geste lässt mich aus meiner Trance erwachen.
Ich muss hier raus!
Ich öffne meine Augen, Ruß peitscht mir entgegen und ich kann nur unscharf sehen. Die heftige Explosion, die mich durchgeschüttelt hat, hat das Flugzeug in zwei Teile gesprengt.
Das Feuer bleckt seine gierigen Zähne und seine Zungen streichen über meinen Körper. Ich schreie auf, aber der Rauch macht es mir schwer, einen Laut von mir zu geben.
Ich muss unbedingt hier raus, oder das Feuer wird mich verschlingen!
Mein Überlebensinstinkt scheint sich zu melden und ich reiße die letzten verkohlten und brennenden Stücke meines Gurtes aus dem Sitz.
Meine Haare haben bereits Feuer gefangen und ich kann auch spüren, wie alles an mir erhitzt und anfängt zu brennen.
Schweiß rinnt in meine Augen und ich stürze nach vorne.
Nur raus hier!
Eine Nachexplosion erschüttert alles, als das Feuer sich weiterarbeitet.
Ich werde hart gegen die gesprengten Wände gestoßen und mein Eh schon zerschlagener Brustkorb wird nur noch mehr eingedrückt.
Ich krieche weiter, weg von diesem Monstrum, das mich verschlingen will.
Mein linker Arm schmerzt, aber das Adrenalin, das durch meine Adern gepumpt wird lässt mich die Schmerzen vergessen.
Ich muss nur von hier weg.

Impressum

Texte: Die Rechte dieser Geschichte liegen bei mir, der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Jedem, der sich angesprochen fühlt

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