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Mittwoch
Ich blicke durch das Fenster auf die Reuss, die Emme, oder wie auch immer sich dieser Fluss nennt. Der Zug rollt still vor sich hin. Ich erlebe eine Metamorphose der Landschaft im Zeitraffer. Die Alpen entstehen vor meinen Augen. Tausende von Jahren ziehen an mir vorbei. Die mit Gras und Wäldern bedeckten kleinen Buckel werden steiniger und steiler. Ich bin irgendwo zwischen Luzern und Liechtenstein. Vor mir tun sich Welten auf. Noch bevor ich sie richtig erkennen kann verschwinden sie im ewigen dunkel eines weiteren Tunnels. Ich blicke auf die kleinen, irgendwie symmetrisch wirkenden Wellen eines Sees.
Sie erinnern mich an Luzern, den Vierwaldstättersee. Auf einen Kaffee nach Luzern. Mit dem Zug durch die Landschaften der Schweiz. Dieses Jazzcafé, diese Jazzbar oder Jazzkeller oder wie sie nochmals hieß. Ich stand früher mal davor, schrieb meinen Namen mit schwarzem Filzstift an eine Wand, aber dieses Café fiel mir damals nicht auf. Ich weiss nicht wie man dieses Viertel in der Altstadt nennt, wie man den Weg dorthin beschreiben könnte oder ob ich jemals wieder dort sein werde. Ich saß da mit dir über längere Zeit. Menschen kamen, andere gingen. Wir blieben.
Ich versuche mir dein Gesicht erneut vorzustellen, aber irgendwie fehlt mir das Bild. Du baust dich vor mir in meiner Fantasie zwar immer wieder auf, aber im gleichen Moment zerfällst du wieder in Dunkelheit. Ich spüre den Herzschlag im Gaumen. Ich bin nervös, habe unruhige Hände und mühe, einen sinnvollen Gedanken zu fassen. Man kann sich denken, dass ich nicht wegen dem Kaffee dorthin fuhr, es war aber wirklich ein guter Kaffee. Er war aber lange nicht so gut, als dass man gut zweieinhalb Stunden im Zug investieren würde, nur um ihn zu trinken.

Die Dinge vor meinen Augen werden Unscharf. Probleme beim Fokus. Eine Frau gegenüber fragt: „Läset Sie diä ziitig noch?“ und spricht dann schlimmstes Cockney in ihr Telefon. Dieses Café... Ich hätte ihr meine ganze Welt offenbaren können, sie hätte sie und mich mit Füssen treten können, es hätte mich, weiss Gott, nicht gestört. Und was sagte ich? „Ich kaufe mir irgendwann mal einen ’63iger Opel Kadett A, der mit dem horizontalen Tacho. Das sieht aus wie ein altes Radio!“ Aber was soll’s...Auch Morgen ist ein Tag... Um sinnvolleres zu erzählen in diesem „Jazzcafé“.. ach ja! Jazzkantine - so war der Name – obwohl ich da keinen Jazz hören konnte.


Montag - 15:00Uhr
Ich fahre morgen wieder hin und ich bin ein gebrochener Mann. Ich fühle mich noch immer wie damals mit 17 als ich begann in dieses Notizbuch mit dem schwarzen Einband zu schreiben. In diesen Jahren könnte einiges passieren, ist es auch, aber genauer betrachte ist alles das Selbe. Ich schaffe es immer, mich in die Scheiße zu reiten und es erst zu merken, wenn es zu spät ist. Ich blättere in den Seiten und finde immer wieder dieselbe Geschichte.
I Eine blöde Idee
II Schlechte Umsetzung
III Scheitern

Irgendwie mag ich die Ironie des Scheiterns, das „Nicht-Wirklich-Vorankommen“, keine Veränderung zu spüren und nur zu dem zu werden, was man nicht sein will. Ich bin das weiße Rauschen: ich bin gezielt da, aber zufällig hier. Ich stilisiere andere Menschen zu Göttern und mache mich zur Schnecke. Täglich träume ich mein Leben und lebe meinen Albtraum. Es gibt Lichtblicke, sogar Menschen die an mich glauben, aber auch denen kann ich die Überzeugung austreiben. Ich höre sie sagen, dass sie an mich glauben, dass ich es schaffen kann, aber in meinen Ohren klingt das so gelogen, wie die Zauberkräfte eines Löffelverbiegers.

20:00Uhr
Motiviere mich länger als 6 Monate und ich lass mich mit dir nieder. Dann schenke ich dir mein Leben. Bis jetzt ist alles was blieb die Musik, das Schrieben, das Rauchen und das Spiel. Alles ist das Spiel und ich bin bald „Game Over“. Ich belüge mich selbst. Ich will nicht wirklich sesshaft werden, will mich irgendwie eben doch treiben lassen. Ich wiederhole mich in Zyklen, ich bin der Algorithmus eines Lebens. Ich stehe jedes Jahr wieder am selben Fleck den ich damals, im Jahr zuvor, verließ um ein besseres Leben zu führen. Ich belüge mein Umfeld. Ich lache und nicke, ich sehe und staune. Ich bin nett und höre gerne zu, nehme mich deren Geschichten an und helfe wo ich kann. In Wirklichkeit liege ich in Trümmern.
Ich bin Pilger. Ich fahre schon wieder in die unbekannte Stadt. Zum Kaffee. Zu einer der vielleicht wunderbarsten Frauen mit zu wenigen Buchstaben im Namen.

Dienstag
Ein neuer Fixpunkt. Ich sah dich damals, beim letzten Mal in dieser Stadt. Ich hatte mich zwar mit dir verabredet. Mit diesem einen Zug sollte ich nach Luzern. Doch wo sollten wir uns treffen? Wir hatten etwas Entscheidendes vergessen. Ich stand mitten im Bahnhof, wartend. Dann sah ich dich kommen. Dieses Lächeln, eine lange nicht gesehene Ehrlichkeit. Musik in meinem Kopf:

„It’s been quite a while, since I could experience your brightness / now you’ve got a brighter smile, and I think I’m going to like it“.

Du kamst in Zeitlupe auf mich zu. Die Menschen um dich waren unscharf, verschwommen. Doch sie bewegten sich zu schnell für eine Zeitlupe. Das alles hinter mir und alles vor mir verblasste. Für diese kurze Zeit mit ihr war ich, wie sonst selten, nur auf diesen einen, gegenwärtigen Moment fixiert. Alles vor, nach und um diese Minuten war egal. Es gab nur dich, mich, die Musik in meinem Kopf, die Musik im Café und sonst nichts. Eine Seifenblase im Nichts des Alltags anderer Menschen. Seltsamerweise schenke ich dir sehr viel Vertrauen. Zu wenig, als dass du diese Worte lesen dürftest, aber genug um es in betracht zu ziehen. Ich könnte dich lieben...

Donnerstag
...Aber dir nichts bieten. Ich biete dir mich, nicht mehr. Ich habe nicht mehr. Ich biete dir keine Sonnenuntergänge in Biarritz, keine Abendessen bei Kerzenlicht. Ich kann dir nichts versprechen, aber ich gebe dir mich, meine Welt und widme dir mein Leben. Ich kann dir geben was ich fühle und was ich bin. Ich biete dir die Sicherheit, dass es keine Andere für mich geben wird.

Freitag
"I’m never gonna sleep tonight / Twelve Days Awake"

Dienstag
Und du sagst du musst noch was erledigen. Ich sage bis bald und du gehst. Ich gehe weiter zum Bahnsteig und fixiere meine Augenwinkel auf die stelle auf dem Bahnsteig an der du vorbeigehst, wenn du dich umgedreht hast und auf mich zukommst. Der Zug fährt langsam ein und ich kann dich noch nicht sehen. Genau dort, dort neben der Lok wirst du stehen und winken und versuchen mich zu erspähen. Winken und mit deinem Lachen zeigen dass da noch was ist, was ich wissen muss. Ich stelle mich weg von der Menschenmasse die in den Zug drängt und gehe zu dir hin. „Hallo“ sage ich und fast wie ein scheues Kind grüsst du mich flüsternd. Wir setzen uns auf eine der vielen grünen Bänke am Quai. Du siehst mich an und du weißt nicht recht wo der Anfang war oder wo du schlussendlich landen wolltest. Mit einem Ungeduldigen Schmunzeln frage ich was denn sei, und du und deine Augen strahlen mich an und du sagst: „Nächster Halt Zürich Hauptbahnhof. Die Fahrkarten bitte!“
Ich sitze im Zug. Ich hatte den Bahnsteig im Blick. Die, genau die Stelle an der du stehst und mich siehst. Mich aufhältst, mich zu dir hin winkst. Du hast was zu erledigen, du gingst weiter, ohne dich Umzudrehen, ohne etwas Wichtiges auf der Zunge. Du hast dich nicht umgedreht. Du kamst nicht wieder. Ich sitze im Zug. In dem Zug, den du mir empfohlen hast. Next Stop Zurich. Ohne dich, dein Geheimnis, besondere Freude auf das nächste mal, an dem du mich abholst am Bahnhof.

Auf nach Luzern. Hinein in die Stadt, in das Getümmel, unter tausende von Menschen.
Nur für einen Kaffee.

Aber was macht das schon? Ich fahre gerne zwei Stunden und 25 Minuten mit dem Zug, nur für ein nettes Gespräch, nur für einen Kaffee und die Erkenntnis, dass es wichtigere Dinge gibt im Leben als einen dürren Jungen aus dem kleinen Land am Rhein. Aber ich werde da sein, wenn es passiert. Ich werde dort am Bahnsteig stehen, und genau auf diese eine Stelle sehen. An diesem einen Ort an dem du immer stehst, wenn du mich abholst, mich mitnimmst und dann nie wieder gehst.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.03.2009

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