Cover

Einleitung

Da die Vorstellung meiner Person, in meiner ersten Einsendeaufgabe verarbeitet ist, rede ich hier nicht lange um den heißen Brei herum. Die folgenden Texte sind Übungen und Einsendeaufgaben, die ich während meines ersten Jahres im Grundkurs der Schreibschule verfasst habe. Ich freue mich, dass ihr mich beim Erlernen des Autorenhandwerks durch kleine Szenen, Kurzgeschichten und Text-Auszüge hindurch begleitet und bin gespannt, auf eure Rückmeldungen.

 

 

© Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Sämtliche Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

Michael Junge

GRKU 1 - Einsendeaufgabe - Warum ich schreiben lernen will


 

Warum ich schreiben lernen will

 

Aufgabe: Stellen Sie sich ihrem Fernlehrer vor.

 

Nun ist es also soweit. Etwas Großes steht ins Haus. Jedoch nichts Physisches wie etwa ein riesiges Paket, das die Tür blockiert und mich am Verlassen der Wohnung hindert, nein, ich rede von der ersten Einsendeaufgabe meines Studienganges Belletristik. Nachdem ich eine Weile auf den blinkenden Cursor schaute und mich fragte, ob er stets im selben Rhythmus blinkte, rieb ich mir mit den Händen übers Gesicht und rief mir das Gelernte in Erinnerung.

Michael Junge, 1976 in Velbert geboren. Nach dem Gymnasium machte ich eine Lehre im Fotofachhandel, bevor es mich 1998 zu einem amerikanischen Logistikunternehmen und in meine neue Heimat Viersen zog.

So sollte solch eine Übung in keinem Fall beginnen, wie ich dem Lehrmaterial entnahm. Da Sie es aber schon wissen, kann ich Ihnen direkt erklären, wieso ich den Schritt ihn Ihre Schreibschule wage. Dazu muss ich sagen, dass diese letzte Aufgabe mindestens genauso spannend für mich ist wie der eine winzige, doch grandiose Moment im Januar 2012, als ich mein erstes Werk veröffentlichte. Das Ganze überrumpelte mich damals aus heiterem Himmel in der Bahn. Meine zwei Kollegen langweilten sich, während ich in einen Fantasy-Roman vertieft war. Schließlich fragte mich Andrea, was ich da lesen würde und worum es gehe. Ich legte das Buch zur Seite und begann zu erzählen. Beide waren so fasziniert, dass ich in den folgenden Tagen nur noch die Hälfte der Fahrzeit lesen durfte und die andere berichten musste. Andrea schlug vor, ich solle doch selbst ein Buch schreiben, da ich so wunderbar erzählen könne. Ich! Dass ich nicht lache! Zu Schulzeiten focht ich stetig einen aussichtlosen Kampf mit meinen Deutschlehrern. Wir waren nie einer Meinung und das bescherte mir meist ein ‚ausreichend‘ auf dem Zeugnis. Da ich innerlich jedoch überschäumte vor Ideen, wollte ich es versuchen. Eine Plattform in Internet, auf der man seine geistigen Ergüsse publizieren durfte, war schnell gefunden. Die Fantasy-Geschichte schrieb sich fast von selbst und ich war froh, dass diese ganzen verrückten Ideen endlich aus meinem Kopf heraus aufs virtuelle Papier gebannt wurden. Dann kam der große Moment, den ich mit dem Einsenden der ersten Aufgabe hier vergleiche: Ich drückte den Knopf ‚Veröffentlichen‘ und wartete.

Bereits am nächsten Tag gab es viele Kritiken, die ich nach guten, konstruktiven und unsinnigen sortierte. Den Kritikpunkt, meine Charaktere wären platt und leblos, nahm ich mir besonders zu Herzen und versuchte, in der Fortsetzung eine Verbesserung zu erzielen.

Seither habe ich über bookrix, createspace und kdp publiziert. Dreizehn Bücher im Gay-Fantasy und Gay-Crime-Bereich unter zwei Pseudonymen sind erschienen und unterhalten die Leser. Nun geht es mir darum, meine Techniken auszubauen, das Handwerk des Schreibens von Grund auf zu erlernen und tiefer zu ergründen.

Wenn ich mir diese ganzen roten Markierungen in meinem Worddokument nun anschaue, denke ich, dass ich den Teil, in dem ich den Kritiker erst einmal in den Urlaub schicken und drauflosschreiben sollte, schon mal recht gut umgesetzt bekommen habe. Jetzt werde ich mir den Text noch einmal durchsehen und dann darf mein Lebensgefährte, der mir seit über zwanzig Jahren mit Rat und Tat zur Seite steht, noch seine Kritik äußern. Keines meiner Manuskripte geht in den Verkauf, ohne dass er es abgenickt hat, müssen Sie wissen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.



GRKU 1 - Auf der Suche nach dem Detail, das nur einem fokussierten Beobachter auffällt


 

Aufgabe: Gehen Sie raus und nehmen an einer alltäglichen Szene teil. Beobachten Sie genau und finden das eine Detail, das das nur einem fokussierten Beobachter auffällt.

 

 

Auf der Suche nach dem Detail, das nur einem fokussierten Beobachter auffällt

 

Noch immer herrschten tropische Temperaturen. Das Thermometer zeigte stolze sechsunddreißig Grad. Mir graute davor, die nur zehn Grad kühlere Wohnung zu verlassen, doch musste ich in meinem Studienbrief weiterkommen. Die Aufgabe lautete, sich einen belebten Platz zu suchen, zu beobachten und dabei das eine feine Detail aufzuspüren, was nur dem aufmerksamen Beobachter auffiel. Ich verließ das Haus und stieg ins aufgeheizte Auto. Hier stand die Temperaturanzeige sogar auf achtunddreißig Grad. Die Klimaanlage regulierte ich auf niedrigste Stufe und fuhr los. Nach der nur fünfzehnminütigen Fahrt, bei welcher die Klimaanlage alle Mühe hatte, den Innenraum herunter zu kühlen, parkte ich den Wagen auf einem Öffentlichen Parkplatz im Schatten. Ich schlenderte durch die Innenstadt und suchte einen geeigneten Platz für meine Übung. Eines der Cafés hatte riesige schwarze Sonnenschirme aufgespannt. Vier von den etwa zwanzig Tischen waren bereits belegt, doch ich ergatterte noch einen Schattenplatz. Der südländisch aussehende Keller kam an meinen Tisch und ich bestellte einen schwarzen Kaffee bei ihm. Grieche oder Italiener vermutete ich seine Abstammung. Er war schlank, jungen und attraktiv. Auf der Nase saß eine moderne schwarze Brille. Ich hatte bei dem Wetter tatsächlich einen Kaffee bestellt. Aber man sagte, man solle gerade bei diesen Temperaturen zu heißen Getränken greifen. Warum das so ist, weiß ich nicht, doch zeigte mir die Erfahrung der letzten Jahre, dass es funktionierte, auch wenn mein Köper um ein Kaltgetränk bettelte. Am besten einen Liter Wasser und zwar über den Kopf. Ich lehnte mich zurück und sah mir die anderen Gäste genauer an. Der Fokus richtete sich sogleich auf einen älteren Herrn in einem Muskelshirt. Er trug eine dunkle Sonnenbrille und einen Schnäuzt. Die Goldkette um seinen Hals sprang mir regelrecht ins Auge. Als er erzählte, was für ein riesiges Haus sie damals gehabt hatten, mit einem Swimmingpool und so vielen Zimmern, dass sie eigentlich immer Gäste dagewesen sein, fragte ich mich, warum er nun alleine mit seinem Bier in einem Café saß und die anderen Gäste an den Nachbartischen unterhielt. Schwimmer sei er gewesen, erfuhr ich, deutscher Jugendmeister sogar. Nun sei er zweiundsiebzig aber immer noch fit, da er nie ungesund gelebt habe, berichtete er dem alten Ehepaar am Nachbartisch und zog an seiner Zigarette. Nie ungesund gelebt? Angezogen von dem Bier, schwirrte einen Wespe immer wieder um ihn herum und ließ sich auch von seinen Schlägen nicht beirren. Die Dame am Nebentisch wurde zugleich nicht müde, ihm mitzuteilen, dass er nicht nach dem Tier schlagen solle.

Der Kellner brachte meinen Kaffee und grinste breit, als er zu dem Helden, wie ich ihn im Geiste kurzerhand benannte hatte, hinübersah. Anschließend verschwand er wieder im Inneren des Cafés. Als ich den ersten Schluck nahm, fiel mein Blick auf den Herrn des älteren Ehepaars. Er trug einen sandfarbenen Hut, wie man ihn von Tropenwanderungen kannte. Zwischen seinen Lippen hielt er eine Zigarre gepresst. Ob sie gerade angezündet oder erloschen war, machte keinen Unterschied, die Zigarre blieb an Ort und Stelle. Ob er zuhörte oder selbst redete.

Eine Windbö rief einen lautstarkes Aufatmen untern den Gästen hervor. Die Schirme stemmten sich klappernd dem Wind entgegen und eine kleine Tafel, auf der das Tagesmenü mit bunter Kreide geschrieben stand, fiel aufs Pflaster. Stielkotelett mit Pommes und Salat, 7,90 Euro stand dort geschrieben. Stielkotelett? Was sollte das sein? Nicht doch etwas das, was ich mir darunter vorstellte, oder? Ein Kotelett am Stiel?

Ich entschied, dass dies nicht das Detail sei, nach dem ich hier suchte und konzentrierte mich wieder auf die kleine Gesprächsrunde zwei Tische weiter. Der Held erzählte gerade, dass er in der Reha nie Alkohol getrunken habe, obwohl es dort nach siebzehn Uhr welchen zu kaufen gab. Wie und warum er nun in die Reha geraten war, hatte ich durch die umgefallene Tafel leider verpasst. Fakt war jedenfalls, dass er samstagsmorgens um zehn Uhr immer der erste in der Muckibude gewesen war, schließlich habe er nie ungesund gelebt, rief er seinen Zuhörern in Erinnerung. Jetzt lebte er in einer Wohnung mit einem riesigen Fernseher, auf dem er sogar vom Balkon aus fernsehen konnte. Dies tat er jedoch nicht, weil die Polen, die nebenan wohnten, in einer Tour redeten, meist bis spät in die Nacht hinein. So gerne, ich diesen Mann als das gesuchte Detail abgestempelt hätte, funktionierte es nicht. Erstens war er mit seinen Erzählungen viel zu präsent, als dass es irgendjemandem hätte entgehen können und zweitens, glaubt ich nicht einmal zehn Prozent von dem, was er von sich gab. Mein Blick fiel erneut auf den Zigarrenraucher. Die Hände hatte er im Schoß gefalten, der Zigarrenstummel klemmte auch weiterhin zwischen seinen Lippen. Ob er sie nie herausnahm, überlegte ich und schenkte seiner Ehefrau einen mitleidigen Blick. Zum Glück trug auch ich eine Sonnenbrille, sodass niemand diesen Blick hatte sehen können. In den Momenten, in denen der Held eine Redepause einlegte, um etwas zu trinken oder den Kampf mit der Wespe weiter zu fechten, gab der Zigarrenraucher seine Weisheiten zum Besten. Dass heute auf der Autobahn geblitzt würde, erfuhr ich zum Beispiel. Die Geschichte, von der Hochzeit, auf der er letztens gewesen war und wo der Bräutigam seine Schuhe verkehrtherum angezogen hatte, erheiterte mich gleichermaßen. Als ich mich gerade dem Tisch mit der Dame, die ihr Handy trotz Brille, fast auf ihre Nasenspitze drückte, um vom Display abzulesen, zuwenden wollte, geschah das Unvorstellbare. Der Herr mit dem Tropenhut nahm den daumengroßen Zigarrenstummel aus dem Mund und legte ihn in den Aschenbecher. Und da war mein Detail. Nicht etwa, dass er die Zigarre entfernt hatte, nein, es war die Ausbuchtung seiner Unterlippe, die mein Interesse auf sich zog. Dieser Mann schien beinahe permanent und vermutlich bereits seit etlichen Jahren mit einer Zigarre zwischen den Lippen zu leben. So lange jedenfalls, dass sich seine Lippen entsprechend umgeformt hatten, um dem Glimmstängel den geforderten Freiraum zu gewähren. Wie ein Blitz schlugen Gedanken in meinen Kopf, die sich damit befassten. Wie lange hielt er diese Angewohnheit schon aufrecht? Wie viele Stunde am Tag verbrachte er mit einer Zigarre zwischen den Lippen? Und seine Frau, die während meiner Beobachtung gar nicht geraucht hatte, wie ging sie damit um? Es war ein faszinierendes und abstoßendes Detail, das ich dort entdeckt hatte und das verworrene Gefühle in meinem Inneren hervorrief. Ich hatte mir alles Stichwortartig ins Handy notiert und war bereit, meinen Beobachtungposten aufzugeben. Der abgeklungene Wind und die Schweißperlen, die mir in den Nacken tropften, halfen bei meiner Entscheidung, die Rechnung zu ordern. Der Kellner, der gerade einen freigewordenen Tisch abräumte und säubert, bückte sich in dem Moment nach der heruntergefallenen Tafel. Gut, dass ich sie nicht zu meinem Detail gemacht hatte, denn dieser Zauber wäre in jenem Augenblick verpufft.

Ich bezahlte und ging schnellen Schrittes zu meinem im Schatten geparkten Auto. Die Freude darüber, ein im Studienbrief erwähntes Detail gefunden zu haben, wurde

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Michael Junge
Bildmaterialien: pixabay.de
Cover: Michael Junge
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2018
ISBN: 978-3-7487-1518-4

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /