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„Und denk dran, bis wir zurück sind, hast du gefälligst alle Erbsen wieder aus der Asche gelesen, sonst kommst du nicht mit zum Ball!“
„Schon klar. Und jetzt zischt endlich ab!“ Genervte rollte ich mit den Augen und murmelte noch ein ‚ihr Schreckschrauben’ hinterher.
„Das hab ich gehört!“, flötete meine Stiefmutter und stieg in die Kutsche. Ohne mich noch einmal umzusehen, bekam die morsche Holztüre einen Tritt und flog donnernd ins Schloss.
Endlich allein.

Gott, wie ich diese drei Gesichtsbaracken hasste! Bei denen war es keine To-do-Liste, sondern eine Tu-du-es-Liste! Cinder tu dies, Cinder tu das, Cinder tu jenes. Schon dieser beknackte Name, den mir meine Stiefmutter verpasst hatte, ging mir auf die Zwiebel. Cinder! Das ist doch kein Name, das ist eher eine tödliche Krankheit. Ich wurde als Ella geboren, und ich werde als Ella sterben, so einfach ist das!
Ich schmiss meinen alabasterfarbenen Luxuskörper aufs Bett, schloss die Augen und genoss die Ruhe.
Gut, ich versuchte die Ruhe zu genießen, denn diese wurde jäh von wildem Rucke-di-guh, Rucke-di-guh zerrissen. Als ich mich im Bett aufrichtete, sah ich einen ganzen Pulk Tauben auf der Fensterbank sitzen und mit geübten Blicken zu mir hereinschauen.
„Wir sind gekommen, dir zu helfen“, sagte die Anführertaube. Ich fiel vor Schreck kopfüber aus dem Bett, als ich diese Luftratte sprechen hörte.
„Was ist los?“, fragte ich verwirrt, als ich mich wieder aufgerappelt hatte.
„Die Erbsen, Cinder, wir helfen dir beim Lesen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“
Ich starrte den grauen Vogel einen Augenblick nachdenklich an, ging zu der Gruppe hinüber und schlug den Viechern das Fenster vor der Nase zu. „Seht zu, dass ihr Land gewinnt, sonst schieb ich euch die Erbsen dahin, wo niemals die Sonne scheint!“, schrie ich durchs geschlossene Fenster. „Und nenn mich gefälligst nicht Cinder!“ Wutschnaubend ging ich zum Kamin und ließ mich in die Hocke. Jetzt war ich in bester Laune um diese bescheuerten Erbsen zu lesen.

„Hallöchen Cinder!“, schrie meine Stiefmutter, während sie schwungvoll die Haustüre aufstieß. „Wie sind wieder daha“, trällerte sie fröhlich und ich rollte genervt die Augen.
„Wie schön für euch, wie schön für mich und wie schön für uns alle“, flötete ich ironisch zurück und sortierte weiter die dämlichen Erbsen.
„Du bist ja noch gar nicht fertig mit dem Erbsenlesen“, stellte eine meiner Stiefschwestern ganz schlau fest. Hierzu soll gesagt sein, dass diese Worte von der helleren Leuchte der beiden kamen. Man kann sich also vorstellen, dass man bei der anderen Träne das erbsengroße Hirn im Schädel rollen hören konnte.
„Dann wirst du uns also nicht mit auf den Ball im Schloss begleiten“, stellte meine Stiefmutter fest. Und so wie sie es sagte, war an dieser Aussage auch nichts zu rütteln. Innerlich jubelte ich, da mir dadurch ein schöner freier Abend vergönnt war. Das durfte ich den drei Spinatwachteln natürlich nicht zeigen und so nickte ich betrübt und las weiter meine Erbsen aus der Asche.

Nachdem sie sich komplett aufgetakelt und mir der Reihe nach noch einem herablassenden Blick geschenkt hatten, verließen sie das Haus und machten sich auf den Weg zum Ball. Meine beiden Stiefschwestern sollten um die Gunst des Prinzen buhlen, sodass er sich eine von ihnen zur Frau nehmen würde. Das war eh nichts für mich. Dieses ganze Schickimicki Getue konnte mir getrost gestohlen bleiben.

Ich schreckte zusammen, als ich eine tiefe dröhnende Stimme aus dem Garten meinen verhassten Namen rufen hörte. „Cinder! Cinder! Komm und schaue!“
Ich ging der Stimme nach und stand vor dem Haselnussbaum, den ich vor einiger Zeit auf dem Grab meiner leiblichen Mutter gepflanzt hatte. Der Baum rief mich also? Na warum auch nicht. Ich hatte nun bereits Erfahrung mit sprechenden Tauben, warum also nicht auch noch ein sprechender Baum?
„Was gibt’s?“, fragte ich, als ich an den Stamm herangetreten war.
Der Baum räusperte sich gekünstelt, dann setzte er erneut an zu sprechen: “Du musst jetzt deinen Spruch aufsagen“, flüsterte er mir zu und zwinkerte verstohlen.
„Was denn für einen Spruch?“, fragte ich verwirrt, da ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was das flüsternde Holz von mir wollte.
“Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich”, gab er noch immer flüsternd von sich.
„Und warum sollte ich das wohl tun?“, fragte ich herausfordernd.
„Weil es genau so im Drehbuch steht. Herrje, du bist heute aber auch nicht die Schnellste, oder?“
Überrascht riss ich die Augen auf und starrte den Baum grimmig an. Nicht die Schnellste? Frechheit!

Ich lächelte den Baum breit an und wiederholte also diesen Spruch, denn Gold und Silber, konnte man ja schließlich immer gut gebrauchen. “Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.” Der Baum rüttelte und schüttelte sich und mir fiel ein wunderschönes seidenes Kleid mit silbernen Stickereien in die Arme. Gefolgt von zwei Schuhen aus klarem Glas, die mich am Kopf trafen und mich erst mal ins Dunkel schickten.
„Cinder?“, fragte eine düstere Stimme. „Cinder?“ Ich schlug die Augen auf und schaute den Baum böse an. „Warum nennt mich eigentlich jeder Cinder?“
Der Baum ging gar nicht auf meine Frage ein, sondern trieb mich zur Eile an. „Los doch Cinder, zieh dich rasch um, dass du noch auf den Ball im Schloss gehen kannst.“
„Wie bitte?“, fragte ich, nachdem ich mich wieder hochgerappelt hatte. „Ich dachte, ich bekomme genug Gold und Silber, um mich hier endlich aus dem Staub zu machen!“
„Nein, du musst zum Schloss, weil es so im…“
„…Drehbuch steht, ja ich weiß“, fiel ich ihm ins Wort und begann mich umzuziehen. Wenn es denn so im Drehbuch steht, kann ich meinem Schicksal eh nicht entgehen.


Nach einem kurzen Blick verließ ich das Schloss mit wehenden Fahnen wieder. Diese ganzen kleinkarierten Schnösel konnten mit gerne gestohlen bleiben. Auf den Stufen verlor ich auch noch einen Schuh, da ich in so ein blödes Kaugummi getreten war. „Holde Jungfer“, erklang es plötzlich hinter mir und einer dieser Schnösel kam die Treppe heruntergeeilt. Holde Jungfer? Wenn du wüsstest!

Ich rannte los. „Aber holde Jungfer“, rief mir dieser Kerl noch hinterher, doch ich war schon im Wald verschwunden und auf dem Weg nach Hause.

Als mich die Nachricht erreichte, dass der Prinz auf der Suche nach einer holden Jungfer war, deren Fuß exakt in einen bestimmten gläsernen Pantoffel passte, schluckte ich schwer.
Das war der Prinz? Hoppla!


Meine Stiefmutter und die beiden Tranfunzeln hatten natürlich auch Wind von der Sache bekommen. Eine der beiden musste im Haus bleiben, sodass erst mal der Schuh begutachtet werden konnte, um dann weitere Schritte einleiten zu können, sollte er nicht an den Fuß meiner Stiefschwester passen.
Ich schlich mich in die Küche und schaute mir das Treiben vor unserem Haus freudig an.
„Rucke-di-guh, Rucke-di-guh, Blut ist im Schuh. Der Schuh ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch Daheim“, hörte ich zwei Tauben im Chor rufen.
„Sie ist nicht die Richtige!“, rief der Prinz, nachdem Träne Nummer Eins versucht hatte ihren fetten Fuß in den Pantoffel zu quetschen.
„Wartet, ich habe noch eine zweite Tochter“, rief meine Stiefmutter und eilte ins Haus.
„Los, schneide dir ein Stück von der Ferse ab“, hört ich sie zu ihrer Tochter sagen.
Das macht sie jetzt nicht wirklich, oder?

Doch ein gequältes Jammern drang bereits aus dem Nebenraum an mein Ohr. Die sind doch alle bekloppt!

, dachte ich mir und wartete gespannt am Fenster. Meine Stiefschwester humpelte zu dem Prinzen und schlüpfte in den gläsernen Pantoffel. Er schien perfekt zu passen und ich entließ erleichtert die Luft aus meinen Lungen. Sehr schön, dieser Kelch ist dann doch an mir vorübergegangen,

dachte ich gerade, als die Tauben erneut ihren Spruch aufsagten. „Rucke-di-guh, Rucke-di-guh, Blut ist im Schuh. Der Schuh ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch Daheim.“
Jetzt machen mir diese zwei Viecher doch noch einen Strich durch die Rechnung!

Ohne darüber nachzudenken, welchen gewaltigen Fehler ich damit beging, stapfte ich aus dem Haus und brüllte die beiden Tauben auf dem Haselnussbaum an. „Natürlich ist da Blut im Schuh! Sie hat sich ja auch gerade die Ferse abgeschnitten!“
Alle Köpfe waren in meine Richtung gewandt, als ich mit hochrotem Kopf rückwärts ins Haus zurück schleichen wollte.
„Du, Mädchen, komm doch mal her!“, rief der Prinz in meine Richtung. Ich schaute mich irritiert um, wollte sehen, ob das Glück mir hold war und hinter mir noch jemand anderes stand. Dem war, wie sollte es auch anders sein, nicht so.
„Die da kann es nicht gewesen sein“, setzte meine Stiefmutter an und zeigte auf mich, „die ist ein Niemand! Niemals hätten eure Wachen sie ins Schloss gelassen. Schaut doch nur, wie sie rumläuft!“
„Klappe halten“, meinte der Prinz trocken und die dicke Wumme vor ihm verstummte augenblicklich.
Breit grinsend trat ich auf den Prinzen zu. Nachdem ich diese beiden Worte aus seinem Mund vernommen hatte, war er mir direkt sympathischer geworden.
„Flotter Feger“, murmelte der Prinz, als ich bei ihm angekommen war und ich errötete abermals. Mit zittrigen Beinen stand ich vor ihm und schlüpfte in den Pantoffel. Er passte perfekt. Klar, war ja auch meiner!

Ich verlor mich gerade in dem tiefen Blau seiner wundervollen Augen, als die zwei beknackten Tauben mit ihrem Krächzen, den wundervollen Augenblick ruinierten. „Rucke-di-guh, Rucke-di-guh, kein Blut ist im Schuh. Der Schuh ist nicht zu klein, die rechte Braut, die führt er heim.“
„Ja“, sagte der Prinz, „dich führe ich nur allzu gerne heim. Wie heißt du meine Liebe?“
„Cinder“, blökte meine Stiefmutter sofort. „Ella“, sagte ich. „Cinder!“ „Ella!“
„Ich nenne dich von nun an Cinderella, einverstanden?“, schlug der Prinz vor und schaute mich erwartungsvoll an.
Cinderella? Klingt nicht schlecht.

„Einverstanden“, sagte ich und ergriff seine ausgestreckte Hand. Er zog mich vor sich auf sein Pferd und wir ritten gemeinsam zum Schloss.

Es war eine wahrlich glamouröse Hochzeit und ich hätte vor Glück zerspringen können.
Die drei Schreckschrauben hatten sich wohl zu Tode gegrämt, denn sie waren nicht aufgetaucht. Das war mir aber auch vollkommen einerlei, Hauptsache mein Gemahl war an meiner Seite. Und das war vielleicht mal ein heißer Kerl, sag ich euch. Kaum waren wir in seinem Gemach, riss er sich die Rüstung vom Leib und… „Rucke-di-guh, Rucke-di-g…“
„Klappe halten“, riefen wir, wie aus einem Mund und die Tauben erstarrten.

Und da wir nicht gestorben sind, leben wir noch heute.

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Texte: Alle Rechte am Text liegen bei dem Autor.
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2012

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