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Hart an der Grenze




Hart an der Grenze


Seit Stunden saß ich nun in dieser Ruine mitten im Nirgendwo. Immer wieder rieb ich Sand und Staub vom Glas meiner Armbanduhr, nur um festzustellen, dass weitere träge fünfzehn Minuten ins Land gezogen waren.
Mein Mitstreiter Salva, hockte in einer anderen Ecke unseres Versteckes und polierte zum tausendsten Male seine Waffen.
Wir waren beide Berufssoldaten der Bundeswehr. Unsere gesamte Einheit war in die Region Badakhshan in Afghanistan entsandt worden. Man hatte Salva und mich als Späher in diese alte Ruine gebracht, um die Grenzregion nach Pakistan unter Beobachtung zu halten.
Unser Versteck lag ausgerechnet in dem Teil der Provinz, die allein von Wüstensand beherrscht wurde. Immer wieder hatte ich mich, während der Fahrt hierher, an der Schönheit dieses Landstriches erfreut. Wir waren an Flüssen, Wasserfällen und grünen Wäldern vorbei gekommen. Je weiter uns der Weg führte, desto trockener und trister wurde es um uns herum. Als dann, abgesehen von Sand, nichts weiter zu sehen war, hatten wir unser Ziel erreicht.
Aber so war das nun mal als Soldat, man wurde dort hingebracht, wo man gebraucht wurde und nicht dorthin, wo man es gerne hätte. Mein Vater sagte immer, ‚du bist bei der Bundeswehr und nicht bei Wünsch-dir-was’.

Also saßen wir mitten in der Wüste und hielten unsere wachsamen Augen auf den Grenzstreifen, welcher ein gutes Stück entfernt lag, gerichtet. Was zu Beginn nach recht entspannter Arbeit klang, zerrte nun, nach drei Tagen der Einsamkeit, doch an den Nerven. Ich war daher umso glücklicher, dass ich mit Salva hier war und nicht mit irgendeinem anderen Kameraden. Wir waren die besten Freunde, seit er vor sechs Jahren unserer Einheit zugeteilt worden war, unternahmen auch privat viel, gingen aus und feierten oft bis in die frühen Morgenstunden. Aber nicht nur das, auch im Job waren wir ein eingespieltes Team und das war wahrscheinlich auch der Grund, warum mein Vater uns beide für diese Mission ausgewählt hatte. Er hatte darauf bestanden, mich hierher zu schicken. ‚Ein Auslandseinsatz, gerade in diesem Gebiet, macht sich sehr gut in deinen Unterlagen’, hatte er gesagt. Klar. Er musste ja auch nicht in seinem eigenen Schweiß baden und sich nachts in einen dicken Schlafsack zwängen, um sich nicht den Arsch abzufrieren. Nein, er nicht. Der Herr Papa saß schön gemütlich zu Hause im Büro der Kaserne und scheuchte ab und zu ein paar Soldaten durch den Dreck. Das waren nun mal die Vorteile, wenn man ein angesehener Stabshauptmann bei der Bundeswehr war.

Entgegen der Kleiderordnung, die uns Soldaten nun mal auferlegt ist, hatten wir uns der Uniformjacken und der Helme schon längst entledigt. Bei dieser Hitze, die hier am Tage herrschte, war es einfach nicht anders auszuhalten. Dies war wiederum auch nur möglich, wenn man mit jemandem zusammen Dienst hatte, dem man vertrauen konnte. Jemandem, der einen nicht direkt bei der Dienstaufsicht melden würde.

Salva räusperte sich lautstark und riss mich aus meinen Gedanken.
„Warum sind wir noch mal hier?“, fragte er mich mit kaum hörbarem arabischen Akzent. Ich schaute ihn schmunzelnd an und nahm das Spiel, welches wir beinahe stündlich spielten, wieder auf. Wie immer antwortete ich: „Ich bin hier, weil mein Vater die grandiose Idee hatte, mich an dem hier teilhaben zu lassen und weil ich der beste Späher unserer Einheit bin.“
„Bist du das?“
Ich nickte bestätigend. „Ja, das bin ich.“
„Nun gut. Will ich dir das mal glauben. Das erklärt aber noch lange nicht, warum ich

hier seit Tagen mit dir gemeinsam in diesem Schuppen hocke.“
„Nun, mein Freund und Kamerad, dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen. Du bist nämlich hier“, begann ich zu erklären, “weil du deine Kindheit in Bahrain verbracht hast, bevor deine Mutter mit dir nach Deutschland gekommen ist. Da du der arabischen und der persischen Sprache mächtig bist, hast du die ehrenvolle Aufgabe, mich hier tatkräftig zu unterstützen.“
Er lachte laut. „Richtig, das war es! Ich vergesse das immer wieder.“
„Ich weiß. Darum helfe ich dir auch immer wieder gerne dabei, dein Gedächtnis aufzufrischen.“
„Tatkräftig zu unterstützen, dass ich nicht lache“, fuhr Salva fort. „Als wären wir auch nur einer

Menschenseele hier begegnet.“
„Du hast recht. Ein wenig Abwechslung würde uns beiden sicher gut tun.“, gab ich zu.
„Das stimmt allerdings. Diese öde Wüste, diese halb zerfallene Steinhütte und dieses ewige Pfeifen des Windes, machen mich echt kirre.“
„Geht mir genauso. Ich starre mir die Augen wund, zähle jedes einzelne Sandkorn und es passiert doch nichts. Wirklich spannend.“
„Ich glaube, ich kontrolliere mal meine Waffen, nur für den Fall der Fälle.“
Ich grinste, nickte ihm zu und richtete meinen Blick wieder hinaus in die Wüste.
Afghanistan. Warum ausgerechnet hier? Warum ausgerechnet ich?

, fragte ich mich immer und immer wieder.

Wir hatten mittlerweile die Plätze in der Ruine getauscht. Salva hatte das Observieren der unzähligen Sandkörner dort draußen übernommen, und ich befreite gelangweilt meine Waffen von dem immer und überall präsenten Sand und Staub.

„Ähm…Frank?“, sprach er mich stockend an.
Ich schaute auf und sah mit fragendem Blick zu ihm herüber. Unsicherheit spiegelte sich in seinen Augen wieder.
„Was gibt’s?“
„Leih mir mal deine Argusaugen“, sagte er und winkte mich hektisch zu sich.
Ich erhob meine müden Knochen und trat neben ihn an das kleine, scheibenlose Fenster. Der Wind wehte mir sogleich den Wüstensand in die Augen und ich setzte schnell meine Schutzbrille auf.

Salva zeigte in eine bestimmte Richtung in der Wüste. Ich kniff die Augen zusammen. Eine kleine Sandwolke schwebte über den Wüstenboden und wanderte langsam von rechts nach links.
Ein kleiner Sandsturm?

, fragte ich mich. Ich schaute noch genauer hin.
Das, was sich dort in der Wüste bewegte, war kein Sandsturm, sondern ein Panzer, der träge über den Sand steuerte. Und wie ich feststellte, fuhr er auch nicht einfach nur von einer Seite zur anderen, sondern hielt auf die Ruine zu, in der wir uns versteckt hielten.

„Ein Panzer“, murmelte ich. „Und er fährt in unsere Richtung.“
„Das ist nicht gut“, sprach mein bester Freund meine Bedenken aus und schüttelte den Kopf. „Oder sind es vielleicht unsere Leute?“
Ich kniff wieder die Augen zusammen und starrte das näherkommende Gefährt an.
„Nein, er fährt nicht unter Deutscher Flagge“
„Mist…Taliban?“
„Sieht jedenfalls...ganz danach...aus“, gab ich stockend zurück. Komm. Schnell weg vom Fenster!“
Wir duckten uns und verlagerten unseren Beobachtungsposten in den angrenzenden, fensterlosen Raum. Die Außenmauer war so verfallen, dass sie genügend Möglichkeiten bot, durch kleine Löcher und Schlitze zu spähen.
Das hat uns ja noch gefehlt!


Wir waren hier um zu Beobachten. Ausspähen der Lage, den Grenzstreifen im Blick behalten, lautete unser Befehl. Wer immer dort in diesem Panzer die öde Wüste durchquerte, sollte uns tunlichst nicht bemerken. Erst recht nicht, wenn es sich wirklich um Taliban handelte!

In gehockter Haltung, ging ich zu unseren Rucksäcken und fischte das Funkgerät heraus. Ich machte Meldung beim Hauptposten, teilte mit, dass wir einen Panzer gesichtet hatten, der auf unser Versteck zusteuerte. Es würde sich vermutlich um Taliban handeln, beendete ich den Funkspruch. ‚Verschanzen und unsichtbar machen’, lautete der Befehl, der zurückgegeben wurde. Also packte ich unsere Sachen eilig in die Rucksäcke, während Salva den Panzer weiterhin im Auge behielt. Alles musste vorbereitet sein, falls das Ungeheuer dort draußen, wirklich unser Versteck als Ziel auserkoren hatte.
„Er hält noch immer auf unsere Ruine zu“, informierte er mich in einer Stimmlage, in der Angst und Bedenken mitschwangen. Auch mir ging es nicht anders. Von einer inneren Unruhe durchzogen, kniete ich mich neben ihn und schaute durch einen der Schlitze in der Wand. Der Panzer war bereits so nahe, dass man leichte Vibrationen im Boden spüren konnte.
„Wir sollten uns unsichtbar machen!“, sagte ich zu Salva und zog ihn an der Schulter von der Wand weg.

Die Rucksäcke verbuddelten wir eilig im sandigen Boden der Ruine. Jeder von uns setzte sich in eine der düsteren Ecken des fensterlosen Raumes, das Maschinengewehr griffbereit im Schoß. Je lauter das Geräusch des herannahenden Panzers wurde, desto leiser versuchte ich zu atmen. Nicht, dass jemand bei dem Motorendröhnen dort draußen mein Atmen hören konnte, doch die Angst, ich könnte uns verraten, reichte vollkommen aus. Immer wieder spähten wir durch die Löcher in den Wänden, hofften, dass das kolossale Gefährt doch noch beidrehte, doch diese Hoffnung schwand mit jeder Sekunde die verging. Im gleichen Maße stieg meine Nervosität. Was sollten wir machen, wenn dort gleich wer weiß wie viele Männer aus dem Panzer sprangen und uns hier fänden? Sollten wir uns zur Wehr setzen? Oder uns ergeben?


Der Boden unter mir vibrierte immer heftiger, ich konnte die schweren donnernden Bewegungen des Panzers in jeder Faser meines Körpers spüren. Als das Gefährt die Ruine fast erreicht hatte, begannen sich kleine Steine aus der Decke zu lösen und rieselten auf uns herunter. Krampfhaft versuchte ich ein Niesen zu unterdrücken.
Immer wieder wischte ich mir die Hände an der Uniform trocken. Das Dröhnen wurde noch lauter. Meine Zähne begannen schmerzhaft aufeinander zu schlagen, so stark gab der Boden die Bewegungen des Panzers an meinen Körper weiter. Salva hielt, so wie ich auch, das Gewehr in den Händen bereit. Bedacht darauf, dass sich nicht aus Versehen ein Schuss löste, welcher uns verraten könnte. Der Schweiß rann von meiner Stirn, suchte sich seinen Weg über die Wangen und tropfte von meinem Kinn herab. Ich wischte mir gerade wieder das Wasser und den Sand aus den Augen, als ich sah wie Salva aufsprang.

„Pass auf!“, schrie er. Ließ sein Gewehr fallen, kam zu mir herüber geflogen, warf sich gegen mich und begrub meinen Körper. Ich schlug hart mit dem Kopf auf den Boden und alles begann sich um mich herum zu drehen. Durch den Körper meines Freundes hindurch spürte ich, wie immense Gewichte auf seinen Rücken knallten. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst und er verdrehte stöhnend die Augen. Die großen Steinbrocken rollten links und rechts von Salva herunter und blieben neben uns liegen. Ich hielt den Atem an, riss ängstlich die Augen auf, als ich hörte, wie der Motor des Panzers verstummte. In Salvas Augen sah ich die gleiche Furcht aufblitzen. Sein Gesicht war noch immer schmerzverzerrt und ich bat ihn stumm, jetzt bloß nicht aufzuschreien. Er schloss die Augen, presste die Lippen zusammen und nickte leicht mit dem Kopf.
Ich zuckte zusammen, als ich das Geräusch einer zuschlagenden Einstiegsluke hörte. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als wolle es sich mit Gewalt daraus befreien. Ich spürte, wie Salvas ängstliches Zittern an meinen Körper übertragen wurde. Ein Schweißtropfen löste sich von seiner Nase und begann kitzelnd an meiner Wange entlangzulaufen.
Sand knirschte unter Stiefeln. Schritte näherten sich unserem Versteck. Mein Atem ging schnell und flach. Ein weiterer Tropfen löste sich von Salvas Nase. Es kam mir vor, als müsse das Geräusch des aufschlagenden Wassers auf meinem Gesicht, bis nach Pakistan zu hören sein. Ich schloss die Augen, begann zu beten. Jemand schlich um die Ruine. Das Geräusch der schweren Stiefel näherte sich dem Raum, in dem wir noch immer erstarrt übereinander lagen. Die vielen Lichtpunkte auf dem Boden erloschen, als sich ein Schatten an der Mauer vorbeischlich und stehen blieb. Ich hielt erneut den Atem an. Atmen würde uns verraten. Nichts war mehr zu hören. Stille. Keine Schritte, kein Wind, nichts.
Schweiß lief mir in die Augen und ließ mich blinzeln. Dann wieder die Schritte. Sie entfernten sich. Erleichterung stellte sich ein. Kurze Zeit später hörte ich die Luke des Panzers zuschlagen.
Noch immer traute keiner von uns sich zu bewegen.
Der Motor wurde gestartet und zerriss die Stille der letzten Minuten. Rumpelnd nahm der Panzer seine Fahrt wieder auf und ich entließ die angestaute Luft aus meinen Lungen. Salvas Körper entspannte sich auf mir. Er ächzte schwer, konnte dem Schmerz nun freien Lauf lassen.
„Mein…Rücken…Scheiße“, brachte er keuchend hervor.
„Salva, bist du OK?“, fragte ich. Dann realisierte ich erst, dass er mir gerade das Leben gerettet hatte.
Er atmete sehr flach, traute kaum sich zu bewegen. Ich legte ihm meine Hände auf den Rücken und fuhr mit leichtem Druck seine Wirbelsäule entlang. „Spürst du das?“
Als er nickte, schob ich meine Hände weiter. „Und das?“
Wieder nickte er. Ich drückte fester. „Tut das hier weh?“
„Ein wenig“, gab er gequält lächelnd zurück. Die Steine schienen ihn glücklicherweise nicht ernsthaft verletzt zu haben.
Meine Hände fuhren seinen muskulösen Rücken entlang und kamen auf seinem Hintern zur Ruhe. Diese Situation, so bizarr sie auch war, brachte noch etwas anderes mit sich. Etwas, das mir vertraut, doch ebenso fremd war. Meine Hände lagen noch immer auf Salvas Hintern. Knackig, war das Wort, das mir einfiel. Ich begann ein wenig Druck auf seine Pobacken auszuüben. Es fühlte sich wahnsinnig gut an. Salva zeigte keine Regung. Ich hielt inne, schaute ihm in die dunklen Augen. Euphorie rauschte plötzlich durch meinen Körper. In einer Kurzschlussreaktion, hervorgerufen durch dieses Wechselbad der Gefühle, schlang ich meine Arme um seinen Hals und presste ihm meine Lippen auf den Mund. Erschrocken zuckte er zurück und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Was war denn das? Wie konnte das passieren?

, dachte ich vollkommen erschrocken über mich und meine Reaktion. Noch nie hatte ich einen anderen Mann geküsst, noch nie auch nur einen Gedanken an so etwas verschwendet.
Doch die Freude darüber, überlebt zu haben, gerettet von meinem besten Freund, verwischte all meine sonst so sortierten Gedanken. Salvas überrascht aufgerissene Augen starrten mich noch immer an. Ich lächelte ihn aufmunternd und um Verzeihung bittend an. Er nickte leicht mit dem Kopf und tat dann etwas, was mich endgültig aus meiner Realität riss. Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, beugte sich vor und verschloss meine Lippen mit seinem Mund. Ich stöhnte überrascht auf, wollte mich von ihm losmachen, doch er hielt mich mit seinem Körper fest auf dem Boden fixiert.
Ich ließ mich fallen, ließ mich von ihm führen und beherrschen. Ein Kribbeln durchlief jede Faser meines Körpers und ich spürte, wie sich das Blut aus meinem Kopf verabschiedete, um sich in der Lendengegend neu zu organisieren.
Salva war meine Freude, die sich gerade steinhart gegen seinen Bauch drückte, nicht entgangen. Ich wollte gerade ansetzen, ihn von mir herunter zu rollen und mich ihm zu erklären, da sah ich, dass er leicht den Kopf schüttelte.
Ich schaute ihm in seine braunen, fast schwarzen Augen und sah ein freudiges Leuchten darin. Er hielt dem Blick meiner stahlblauen Augen stand und wir schauten uns eine zeitlang einfach nur an. Keiner wagte zu sprechen oder sich zu bewegen. Wir waren beide auf Entzug, das war klar, aber sollten wir das hier wirklich durchziehen, um uns Erleichterung zu verschaffen?
Er nahm mir die Entscheidung ab, und so verloren sich unsere Zungen in einem wilden Tanz und begannen einander zu umspielen. Er griff mir in die Haare, presste mich noch fester an sich heran. Strich liebevoll über meine Wangen, während ich ihm Stück für Stück sein Shirt aus der Hose zog. Ein heißes Kribbeln durchfuhr meinen Körper, als meine Hände in seine Hose fuhren und den festen Hintern erforschten.
Salva stöhnte mir seinen heißen Atem in den Mund, während wir noch immer in einem sinnlichen Kuss verloren waren.
„Ich will dich“, presste ich durch unseren Kuss hindurch heraus.
Er zog sich zurück, schaute mich an und lachte. „Ja, ich kann sogar spüren, wie

sehr!“
„Blödmann“, gab ich lachend zurück und schob ihn von mir herunter. Ich rollte Salva auf den Rücken und setzte mich in Höhe seiner Hüften auf ihn. Meine Beine nach hinten abgeknickt, beugte ich mich vor und begann mit zitternden Fingern sein Shirt hochzuschieben.
Salva nahm seine Hände von meinen Oberschenkeln und riss sich sein Shirt über den Kopf. So oft hatte ich diesen Körper bereits gesehen. Nie zuvor hatten sich sexuelle Gedanken dabei in mein Hirn geschlichen. Warum jetzt auf einmal?


Ich sprang auf. Riss mein Hemd auf, dass die Knöpfe nur so davon flogen, reichte Salva die Hand und zog ihn in die Höhe. Ich schob ihn mit dem Rücken an die Wand, presste meinen Körper an ihn und hielt ihn sogleich erneut in einem Kuss gefangen.
Ich spürte, dass auch er bereits erregt war und so drängte ich meine Hüfte noch näher an ihn heran. Ich stöhnte, ließ meine Hände jeden Winkel seines Körpers erforschen. Salva konnte auch nicht mehr an sich halten und schob seine Hand hinunter zwischen meine Beine. Ich wurde beinahe wahnsinnig vor Verlangen. Und das bei einem Mann!

„Kunni!“, brüllte plötzlich jemand hinter mir und riss mich von Salva weg. Ich wurde quer durch den Raum geschleudert und schlug hart auf dem Boden auf.
Vier Männer waren lautlos in die Ruine eingedrungen. Einer von ihnen stand vor Salva und brüllte ihn an. Ich verstand kein Wort von dem, was dort gerufen wurde. Die Männer schrien sich untereinander an. Zeigten immer wieder auf mich und riefen 'Kunni'. Mir wurde übel. Angst überfiel mich. Das waren Taliban, dessen war ich mir absolut sicher. Ich begann am ganzen Leib zu zittern, versuchte mich aufzurichten, doch meine Beine gehorchten mir nicht. Hektisch und bereits schweißgebadet, schaute ich mich nach unseren Waffen um. Ich sah, dass auch Salva zu Boden gegangen war, nachdem einer der Kerle ihm derb mit dem Griff seines Maschinengewehres ins Gesicht geschlagen hatte.
Ich schaute zu meinem Freund, der keuchend am Boden lag und die Hände vor sein Gesicht presste. Blut schoss in rauen Mengen zwischen seinen Fingern hindurch und verteilte sich auf seiner Brust und dem sandigen Boden.
Der Taliban schrie ihn weiterhin an. Zeigte immer wieder auf mich. Rief etwas in dieser wilden, harten Sprache an einen seiner Männer. Ich erkannte ihn nun als denjenigen, der mich zuvor so brutal durch den Raum geschleudert hatte.
Wie er das hinbekommen hatte, war mir ein Rätsel. Schließlich wogen meine Einszweiundneunzig reine Muskelmasse über hundert Kilo. Ich erstarrte in der Bewegung. Die Waffe entdeckte ich nicht weit entfernt. Sie war halb unter Schutt und Sand begraben. Von den Eindringlingen schien sie noch keiner bemerkt zu haben. Der Kerl drehte sich wieder zu mir und ich richtete meinen Blick eilig zu ihm. Ich schaute ängstlich zu ihm hoch. Er wandte den Kopf, schaute fragend zu Salvas Peiniger. Ich schätzte, dass dieser der Anführer der kleinen aber voll bewaffneten Gruppe war.
Der Anführer nickte ihm zu, schrie noch ein paar Worte und gestikulierte wild mit den Armen.
„Nein!“, schrie Salva in den Raum, klemmte sich an das Fußgelenk des Anführers. Er redete erneut auf ihn ein.
Als Antwort erhielt er einen weiteren Redeschwall in der mir unbekannten Sprache und einen Tritt vor sein Kinn. Ich konnte seine Zähne hart aufeinander schlagen hören, bevor er die Hände vor sein schmerzverzerrtes Gesicht riss. Ich keuchte, schaute zu Salva. Er bewegte sich noch! Gott sei Dank. Ich starb tausend Tode. Tränen der Angst, der Verzweiflung und des Schmerzes überschwemmten mein Gesicht. Der bärtige Kerl stand noch immer unschlüssig vor mir und schaute mit wildem Blick auf meinen zitternden Körper herunter. Er wandte sich mit einer knappen Frage an seinen Anführer. Dieser nickte und ich bekam sogleich einen festen Tritt in den Bauch.
Ich stöhnte und krümmte mich vor Schmerzen. Das ist mein Ende

, schoss es mir durch den Kopf. Der Typ schrie immer wieder 'Kunni' und trat weiter zu. Mein ganzer Körper war nur noch ein einziger Schmerz. Ich hatte mich wie ein Embryo zusammengerollt, hielt die Hände schützend vor mein Gesicht und über meinen Kopf. Ich schrie vor Schmerz, die Tränen liefen in Sturzbächen über meine Wangen, doch er kannte keine Gnade.
Immer wieder trat er zu. Ein weiterer Mann war hinzugekommen und schlug mit seiner Waffe auf meine mich schützenden Hände ein. Mittlerweile hatte ich jegliches Gefühl in meinen Fingern verloren. Ich lag da, bewegte mich nicht, schrie und ließ alles über mich ergehen. „Bitte tötet uns nicht“, murmelte ich immer und immer wieder.
Salvas zittrige Stimme klang erneut an mein Ohr. Er begann zum wiederholten Male auf den Anführer einzureden, erntete dieses Mal aber nur ein kehliges lautes Lachen. Die anderen drei stiegen sogleich in sein Lachen mit ein. Ließen aber von mir ab, so dass ich einen Moment Zeit gewann, um durchzuatmen.
Niemals werden wir lebend hier raus kommen

, dachte ich und erneut schoss ein Schwall Tränen in meine Augen. Mein Körper bebte vor Angst, Wut und Schmerz.
Ich schaute auf, versuchte die Lage zu überblicken. Reiner Überlebensinstinkt hielt mich davon ab, mich mit meiner Situation abzufinden und mich dem Tod hinzugeben.
Ich sah, dass alle vier um meinen blutbesudelten Kameraden herumstanden und wild durcheinander redeten. Ich konnte Salva nicht mehr erkennen, was weniger an den Tränen in meinen Augen lag, als an den Männern in den schwarzen Umhängen, die mir die Sicht versperrten. Einer beugte sich zu Salva, half ihm aufzustehen, nur um ihm direkt danach sein Knie mit voller Wucht in die Eier zu schlagen. Salva ging erneut stöhnend zu Boden.
„Kunni!“, schrie der Anführer ihn an und zeigt hinter sich auf meinen gekrümmt am Boden liegenden Körper.
Ich schaute mich mit hektischem Blick um, suchte einen Ausweg, solange die Taliban mir ihre Rücken zugewandt hatten. Die Finger der rechten Hand schaffte ich zu bewegen. Ich wischte mir Tränen, Blut und Sand aus den Augen.
Mit der linken Hand war nicht viel anzufangen. Es schien, als wären alle Knochen darin gebrochen. Sie war angeschwollen und leuchtete in allen Farben des Regenbogens.
Ich schaute noch einmal zu den anderen und sah, dass sie ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit noch immer Salva gewidmet hatten.
Ich streckte mich vorsichtig. Nicht weit von mir lag Salvas Maschinengewehr, noch immer halb im Staub des Bodens versteckt. Ich streckte mich weiter, zog meinen schlaffen Körper hinter mir her. Ich musste meine Lippen fest aufeinanderpressen, um nicht vor Schmerz laut loszuschreien. Immer wieder schaute ich panisch in Richtung der Taliban. Wenn sich einer von ihnen jetzt umdrehen würde, wäre das unser Aus. Ich konnte die Waffe bereits mit den Fingerspitzen ertasten, atmete den Schmerz, so leise es mir möglich war, weg und zog mich noch ein Stück näher ans Ziel.
Hab ich dich!



Ich legte mich auf den Bauch und zog die Waffe vor mich. Aber was sollte ich jetzt machen? Losballern? Verhandeln?
Ich brachte das Gewehr mühsam in Position. Auf der anderen Seite hatte sich das Bild nicht verändert, und ich dankte sämtlichen mir bekannten Göttern dafür. Was schlecht für Salva war, war gut für uns. Mein Kamerad und Freund war noch einige Male von den vier Männern in die Höhe gezogen und mit Tritten und Schlägen zurück zu Boden befördert worden. Wimmernd vor Schmerz saß er zusammengesunken an die Wand gelehnt und erwartete die nächste Attacke.
Ich lag noch immer in Position. Unschlüssig was ich nun als nächste tun sollte, nahmen mir meine Instinkte die Entscheidung ab.

Überrascht über mich selbst, schrie ich: „Hey Asholes!“
Mit verblüfftem Gesichtsausdruck, hatten sie sich zu mir herumgedreht und ich krümmte den Finger um den Abzug.
Die Kugeln schossen aus dem Maschinengewehr und durchschlugen der Reihe nach ihre Körper. Sie zitterten bei jedem weiteren Einschlag, den die Kugeln meiner Waffe ihnen zufügten. Salva hatte sich fest auf den Boden gedrückt, hielt seine Hände gegen die Ohren gepresst und schrie aus Leibeskräften mit mir um die Wette.
Die Steine der Wand über ihm pulverisierten sich bei den Einschlägen der Kugeln, nachdem diese durch die Leiber unserer Peiniger gefahren waren. Roter Staub rieselte auf meinen Freund herab und beherrschte bald schon den gesamten Raum. Ich schrie noch immer vor Wut, vor Euphorie, vor Erlösung und hielt weiter den Finger auf dem Abzug. Die vier Männer waren bereits mausetot, doch der Kugelhagel, den ich weiterhin durch ihre Körper schickte, hielt sie noch immer in einer aufrechten, taumelnden Position.
Ich beendete diesen Albtraum erst, als die letzte Kugel den Lauf verlassen hatte und die Waffe in meinen Händen förmlich glühte. Mit lautem Krachen gingen die Körper, wie vier nasse Säcke, zu Boden.

Salva nahm vorsichtig seine Hände von den Ohren und schaute aus weit aufgerissenen Augen zu mir herüber. Er war von oben bis unten mit Blut besudelt und Tränen schossen in seine Augen. Mit wackeligen Bewegungen stützte er sich an der Wand ab und stand auf.
Ich starrte auf die leblosen Körper vor mir.
Das war ich?


Ich konnte noch gar nicht begreifen, was dort gerade passiert war. Mein Hirn hatte sich vollkommen ausgeschaltete und meinem Überlebensinstinkt die Kontrolle überlassen. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper. Adrenalin rauschte durch meine Blutbahn und ließ mein Herz auf Hochtouren arbeiten. Ich atmete schnell und kurz. Hyperventilierte. Das habe ich getan? Scheiße!


„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, rief Salva aus. „Oh fuck!“
Er blickte vollkommen fassungslos zwischen den vier Leichen und mir hin und her. Er hatte sich mein Maschinengewehr gegriffen und nutzte es als Stütze für seinen geschundenen Körper. Als ich sah, dass er, am ganzen Leib zitternd, zu mir herüber wankte, ließ ich die Waffe aus meiner Hand in den Staub fallen und drehte mich völlig schockiert und doch erleichtert auf den Rücken.

„Frank?“, fragte Salva, nachdem er sich neben mich hatte fallen lassen. „Bist du verletzt?“
„Ich kann mich kaum bewegen.“, brachte ich ächzend hervor.
„Bleib einfach noch einen Moment liegen. Die Gefahr ist vorüber.“
Er legte sich neben mich auf den Boden, streckte sich lang aus und versuchte seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Salva?“
„Ja?“
„Was war das gerade? Was wollten diese Männer von uns?“, presste ich mühsam hervor.
„Taliban“, sagte er knapp, „und sie hatten ein echtes Problem mit zwei sich küssenden Männern.“
Ich nickte gequält. „Das einzige, was ich verstanden habe, war das Wort 'Kunni'. Kein Wunder, so häufig wie sie es in den Raum gebrüllt haben. Weißt du was es bedeutet?“
„'Kunni'? Das heißt soviel wie „'Schwuler' oder auch 'Perverser'.“
Ich nickte. „So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht“, sagte ich geknickt. „Salva?“
„Ja?“
„Ich habe gerade auf brutalste Weise vier Männern das Leben genommen.“ Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich wünschte mir, dass ich gleich die Augen aufschlagen würde und das alles nur ein blutiger Albtraum gewesen wäre.
„Du hast unseres dadurch gerettet“, war das einzig, was Salva dazu zu sagen hatte.
Ich nickte und schnellte mit dem Oberkörper in die Höhe, als ich ein Motorengeräusch vernahm. Mein Körper reagierte mit einem beißenden Schmerz auf diese ruckartige Bewegung.
„Es kommen noch mehr“, gab ich resignierend von mir.
Salva nahm sich wieder mein Gewehr, erhob sich keuchend und humpelte zur nächstgelegenen Wand. Er ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an ihr heruntergleiten. Zitternd hob er die Waffe und zielte auf den Eingang.
Das Gefährt, was immer es auch war, hatte vor der Ruine gestoppt. Der Motor ratterte weiter. Ich schloss innerlich mit meinem Leben ab. Noch so eine Attacke würde ich keine Minute lang überstehen.
„Pssst“, flüsterte Salva, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Müde und kraftlos hob ich meinen Kopf und sah den Lauf eines Gewehres im Eingang aufblitzen.
Oh nein, bitte nicht!


„Hier sind sie…ja sie leben!“, hörte ich jemanden rufen. Ich ließ mich zurücksinken und schloss die Augen.

Impressum

Texte: Alle Rechte am Text liegen bei dem Autor.
Bildmaterialien: Cover by mick76
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2012

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