Bota Ëndërr
Eine phantastische Reise
Ich widme dieses Buch meiner Oma Traute, die mir immer wieder von den Raben in ihren Träumen erzählt hat – möge sie in Frieden ruhen!
Natürlich meinen Eltern, Ilse und Klaus, die mich als Kind dazu gezwungen haben ihnen Robinson Crusoe vorzulesen, damit ich in meinem Leben zumindest ein Buch gelesen haben würde!
Meinem Partner Thomas, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht und der mir zu meinen Rohversionen immer noch die passenden Ideen, Kritikpunkte und Änderungsvorschläge unterbreitet.
Meiner besten Freundin Andrea, die mich überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, meine Erzählungen auf Papier zu bringen.
Vielen Dank euch allen!
Und euch anderen dort draußen in der weiten Welt, wünsche ich viel Spaß in
Bota Ëndërr!
Erstes Buch
Eine Welt heißt dich willkommen
Kälte. Das war das Erste, was ich registrierte, als ich die Augen aufschlug. Ich zitterte am ganzen Körper, schaute mich um, nur um festzustellen, dass ich rein gar nichts sah.
Ich versuchte, mich einen Moment zu sammeln, um mir wirklich sicher zu sein, dass ich die Augen bereits geöffnet hatte. Sie waren offen, stellte ich irritiert fest. Dennoch blieb alles um mich herum dunkel. In meinem Schlafzimmer ist es nie komplett dunkel, dachte ich gerade, als ich unter mir harten Steinboden spürte. Harten und vor allem kalten Steinboden.
Warum liege ich im Dunkeln auf dem Boden? Und wo zum Geier ist ‚hier’?
Ich ließ die Hände über meinen Körper wandern und stellte mit Entsetzen fest, dass ich nackt war. Komplett nackt. Kein Shirt, keine Hose, keine Socken, Schuhe oder Unterwäsche. Nackt eben!
Die Luft war feucht und abgestanden. Es roch nach einer Mischung aus Schimmel, Moos und feuchtem Felsen. Aus der Ferne drang das Geräusch tropfenden Wassers an mein Ohr. In eintönigem Rhythmus, schlug Tropfen für Tropfen in einer Pfütze oder einem kleinen See auf.
Platsch. Platsch. Platsch.
Soweit ich mich erinnern konnte, bin ich gestern brav – und vor allem einigermaßen angezogen – in mein Bett gekrabbelt und sofort eingeschlafen.
Wieso liege ich dann jetzt splitternackt auf einem kalten Boden im Dunkeln?
Ich rieb mir die Augen, in der Hoffnung jeden Moment aus diesem ungemütlichen Traum aufzuwachen. Nichts. Alles blieb, wie es war, stellte ich enttäuscht fest.
Das ganze Herumrätseln bringt wohl überhaupt nichts, befand ich und erhob mich ächzend.
In die komplette Senkrechte sollte ich meinen Körper allerdings nicht bekommen, denn nachdem ich mich zu etwa dreiviertel erhoben hatte, machte mein Kopf schmerzvolle Bekanntschaft mit der Decke.
Meine Hände fuhren prüfend über die Wände neben und über mir und ertasteten rauen, unbearbeiteten Stein. Es musste sich um eine Höhle oder etwas in der Art handeln. Meine Finger glitten über Moose auf dem glitschig, nassen Untergrund.
Angewidert zog ich die Hände eilig zurück und strengte stattdessen erneut meine Augen an, in der Hoffnung doch noch eine Kleinigkeit erkennen zu können.
Und tatsächlich, ein Stück entfernt konnte ich eine schwache Lichtquelle ausmachen.
Vorsichtig, mit Händen und Füßen tastend, machte ich mich gebückt auf den Weg in Richtung dieses Lichtscheins.
Ein paar Male stolperte ich über irgendwelche groben Steine, die mitten auf dem Weg lagen und auch mein Kopf, kam nicht ohne weitere Blessuren davon. Immer wieder schlug ich mit der Stirn vor tief hängende Vorsprünge.
Wie ich hier in diese Höhle gekommen sein sollte, war mir allerdings noch immer ein Rätsel. Aber darüber wollte ich in diesem Moment lieber keinen Gedanken verlieren. Mein primäres Ziel war es, den hoffentlich rettenden Lichtschein zu erreichen, bevor ich mich komplett selbst verstümmelt hatte.
Vorsichtig schlich ich weiter, als ich in einiger Entfernung hinter mir, einer Art Knurren vernahm. Ich schreckte zusammen und donnerte sogleich erneut gegen die Höhlendecke.
Autsch!
Schmerzlindernd rieb ich mit meiner Hand über die Stelle, spürte aber glücklicherweise kein Blut.
Erleichtert ging ich weiter und vernahm erneut dieses Geräusch aus dem Gang.
Das Knurren wurde intensiver und etwas nahm in der Luft Witterung auf. So hörte es sich jedenfalls an.
Ein Heulen erklang aus der Richtung und ich hörte, wie sich ein massiger Körper in Bewegung setzte.
Als das Hecheln lauter wurde, wusste ich, dass jetzt wohl genau der richtige Zeitpunkt gekommen war, um die Beine in die Hand zu nehmen.
Panik machte sich in mir breit und ich beschleunigte meinen Schritt. Die Beulen am Kopf waren mir mittlerweile ganz einerlei. Ich wollte nur noch schnell zu diesem mysteriösen Lichtschein, hoffte, dass ich dort Sicherheit finden würde.
Mittlerweile war es im Gang heller geworden, so dass ich noch einen Schritt zulegte, ohne mich selbst bei der Flucht umzubringen.
Eine Kreuzung kam vor mir in Sicht. Der warme Schein kam aus dem Gang zur Rechten.
Ich blickte kurz zurück und verfluchte mich im gleichen Moment. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich hatte mich nicht getäuscht, es war tatsächlich ein Wolf. Ich hatte zwar schon den einen oder anderen Wolf im Zoo gesehen, aber dieser hier war mindestens doppelt so groß und schwarz, wie die Nacht.
In seinen Augen sah ich ein gieriges Leuchten. Sein Maul stand so weit auf, dass mein Kopf ohne Probleme darin hätte verschwinden könnte.
Dieser Anblick spornte meinen Lauf noch weiter an und ich hetzte auf die Kreuzung zu. Bog rechts um die Ecke. Blieb dann wie angewurzelt stehen.
Ein Aufzug? Wieso gibt es hier in dieser gruseligen Höhle einen Aufzug?, dachte ich überrascht.
Du hast gerade ganz andere Probleme und absolut keine Zeit, um über solche Kleinigkeiten nachzudenken.
Eilig hechtete ich in die offenstehende Kabine.
In dem Moment, als ich den schwarzen Wolf um die Ecke biegen sah, war ich gerade intensiv damit beschäftigt, panisch auf alle Etagenknöpfe gleichzeitig zu hämmern. Mir war völlig egal, wohin ich fahren würde. Hauptsache diese dämlichen Türen schlossen sich endlich!
Das Metal begann zu kreischen und zu quietschen, als die beiden Flügel in einer nervtötenden Langsamkeit aufeinander zuschlichen.
Durch den Spalt konnte ich erkennen, dass mein Verfolger noch einmal beschleunigte und ein enttäuschendes Heulen von sich gab, als er sah, dass seine Mahlzeit langsam aber sicher verschwand.
Dennoch war der Spalt weiterhin zu groß für meinen Geschmack und ich half mit meinen Händen nach, die Türen zu einer flotteren Bewegung anzutreiben.
Der Türspalt war nur noch so breit wie mein Kopf, als sich eine triefende Schnauze zu mir in die Kabine schob. Ein wütendes Knurren entfuhr dem nach mir schnappenden Maul.
Ich wich zurück an die Rückwand und betete, dass die Türen stärker waren als der Kopf dieses Wolfes. Geifer troff von seinen Lefzen in den Innenraum und sammelte sich vor meinen Füßen. In meiner Verzweiflung stemmte ich den Rücken gegen die Kabinenwand. Ich hob beide Beine vom Boden ab. Trat dem Ungetüm mit voller Wucht gegen seine Schnauze. Mit einem schmerzerfüllten Jaulen, zog sich der Wolf eilig zurück.
Die Türen knallten mit einem lauten Rums zu und der Fahrstuhl setzte sich ruckelnd in Bewegung.
Scheiße! Das war haarscharf!
Ich ließ mich an der Wand zu Boden gleiten und sog gierig Luft in meine Lungen, versuchte mich zu beruhigen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich das Atmen anscheinend komplett eingestellt hatte, seit ich Hals über Kopf in die Kabine gerannt war.
Da saß ich nun, schweißgebadet, dem beruhigenden Surren des Aufzuges lauschend und fragte mich was hier eigentlich vorging.
Gestern war die Welt doch noch in Ordnung und jetzt? Jetzt schien alles aus den Fugen geraten zu sein.
Alles Kopfzerbrechen würde mich allerdings keinen Schritt weiterbringen und so übte ich mich in Geduld und wartete.
Lass den Fahrstuhl mal ankommen und dann sehen wir weiter.
Nach gefühlten drei Stunden hielt der Fahrstuhl in seiner Fahrt inne und die schweren Türen glitten – nein, ruckelten - mit einem ohrenbetäubenden Quietschen auseinander.
Ich kniff die Augen zusammen und riss die Hände vor mein Gesicht, geblendet von einem gleißenden Licht, welches sich schmerzhaft seinen Weg auf meine Netzhaut bahnte.
Sogar durch meine geschlossenen Lider, abgeschirmt mit meinen Händen, konnte ich das grelle Licht noch wahrnehmen.
Was sollte ich tun?
Mit dem Aufzug meine Fahrt weiterführen?
Warten?
Oder doch einfach in dieses helle Nichts heraustreten?
Ich entschied mich für letzteres, doch als die Türen, in Windeseile und vollkommen geräuschlos, hinter mir zuschlugen, begann ich meine Entscheidung bereits anzuzweifeln. Es wirkte beinahe so, als wolle der Aufzug nicht unnötig lange in dieser Etage verweilen.
Ein Gutes schien dieser Schritt allerdings mit sich gebracht zu haben, die Helligkeit des Lichtes ging auf ein angenehmes und erträgliches Maß zurück.
Langsam, einen Finger nach dem anderen bewegend, gab ich die Sicht auf das vor mir Liegende frei.
Erstaunt schaute ich in den kreisrunden Raum hinein und sah meine überraschte Person in unzähligen Spiegeln reflektiert. Es mussten Hunderte von Benjamins sein, die mich überrascht aus den blanken Scheiben anstarrten. Dass ich noch immer nichts anhatte, wurde mir nun erneut ins Gedächtnis gerufen.
Bedächtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und ging zielstrebig auf eines meiner Spiegelbilder zu.
Ich begutachtete die zahlreichen Schrammen, die ich mir bei meiner Flucht in der Höhle zugezogen hatte, froh, dass keine allzu schlimmen dabei waren.
Frech grinste ich mich an, zwinkerte mir zu, schnitt Grimassen, doch als ich genauer hinschaute, konnte ich durch den Spiegel hindurch einen weiteren Raum durchschimmern sehen.
Ich trat noch näher heran und sah mich.
Dieses Mal war allerdings nicht mein Abbild gemeint, stattdessen sah ich mich in einem Bett liegen. Ich sah aus, als würde ich schlafen, ruhig und selig. Allerdings in einem Krankenhausbett, stellte ich mit Schrecken fest. Zahlreiche Geräte standen um mich herum, Schläuche und Kabel führten von dort zu meinem ruhenden Körper.
Panik und Angst stiegen in mir auf und ich sah dass die Tür in diesem sterilen Raum geöffnet wurde. Meine Mutter betrat den Raum, gefolgt von meiner besten Freundin.
Oh man, was ist das denn? Eine Art Zukunftsvision oder etwas in dieser Art?
„Ich weiß einfach nicht mehr weiter“, sagte meine Mutter, an niemand bestimmten gerichtet.
„Ich kann dich gut verstehen“, sagte Lara, „er liegt nun schon seit so langer Zeit dort und keiner kann uns sagen, was das Problem ist. Es ist einfach wie verhext.“
Seit langer Zeit? Ich bin gestern ins Bett geklettert und liege nun dort. Das kann man wohl kaum als ‚lange Zeit’ betiteln, oder?
„Ja, das ist das Schlimmste daran“, fuhr meine Mutter fort. „Seit fünf Tagen gehen hier sämtliche Ärzte ein und aus und keiner hat auch nur den Hauch einer Ahnung, was mit meinem Ben los ist.“
Ich merkte, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht fiel. Seit fünf Tagen? Wie seit fünf Tagen? Was geht hier eigentlich vor?, fragte ich mich zum wiederholten Male.
„Komm doch zu mir zurück!“, schrie meine Mutter meinen schlafenden Körper an, griff an meine Schultern und begann verzweifelt an mir zu rütteln. Tränen liefen über ihre Wangen und ich spürte, wie sich auch bei mir Wasser in den Augen zu sammeln begann.
Ich lag dort nun seit fünf Tagen, schlafend und keiner konnte sagen, was mit mir los ist?
„Ich bin hier!“, schrie ich den Spiegel an. „Hier! Hört ihr mich denn nicht? Hallo? Hier drüben!“
Lara schaute tatsächlich in meine Richtung und trat zögerlich näher. In dem Krankenzimmer musste sich wohl auch ein Spiegel oder Ähnliches befinden und so jubelte ich innerlich und führte einen kleinen Freudentanz vor meiner Seite des Spiegels auf.
Lara schaute mich an, blinzelte ein paar Mal und lächelte geknickt. Ich lächelte zurück und sagte: „Ich habe keine Ahnung was hier läuft, aber ich bin echt froh, dass wenigstens du mich sehen kannst.“
„Was machst du denn da?“, fragte sie. „Du gehörst doch ganz woanders hin“, murmelte sie.
Ach. Na das war ja mal die Erkenntnis des Tages liebe Lara. Was denkst du denn wie ich mich gerade fühle?
„Natürlich gehöre ich hier nicht hin. Bitte hol’ mich zurück, geh zu irgendeinem Wahrsager, Guru oder sonst was, aber hol mich hier raus!“
Sie nickte und begann mit dem Finger in ihrem Auge zu bohren.
Was wird das jetzt, fragte ich mich gerade, als ich feststellte, dass sie sich ihre Kontaktlinse richtete.
Oh nein. Nein, nein, nein!
„Du siehst mich gar nicht? Du hörst mich nicht?“, fragte ich verzweifelt.
Das kann doch nicht wahr sein!
Zufrieden mit ihrer Arbeit, wandte sie sich um, trat zurück an mein Bett und legte meiner Mutter tröstend den Arm um die Schultern. Mit der anderen Hand strich sie mir gedankenverloren eine Haarsträne aus der Stirn. Sie ließ die Finger zärtlich weiter über meine Wangen bis hin zu meinen Hals wandern und verweilte dort. Eine absolute Stille beherrschte den Raum – mal abgesehen von den eintönigen Piepgeräuschen der Maschinen - die mich noch weiter in meine Verzweiflung trieb.
Wütend begann ich mit den Fäusten gegen den Spiegel zu hämmern, um auf mich aufmerksam zu machen.
„Hier!“, schrie ich erneut zu den beiden herüber. „Hier!“
Immer wieder trommelte ich gegen die Scheibe, der Verzweiflung nahe, die Tränen konnte ich schon längst nicht mehr zurückhalten und ließ ihnen freien Lauf. Am liebsten hätte ich den Spiegel in tausend Stücke zerschlagen, um zu meinem schlafenden Körper zurückzugelangen, die Augen aufzuschlagen und mich mit meiner Mutter und Lara gemeinsam zu freuen, dass alles wieder in Ordnung wäre.
Stattdessen erntete ich einen Schlag in meine Magengrube. Meine Beine versagten ihren Dienst und knickten unter meinem Körper ein. Ich brach in die Knie, gekrümmt vor Schmerz, die Augen voller Unglauben weit aufgerissen, schaute ich in das boshaft grinsende Gesicht meines eigenen Spiegelbildes. Ich rieb mir die Augen, blickte erneut nach oben und sah mich, einfach nur mich.
Hatte mein Spiegelbild sich gerade kurz selbstständig gemacht und mir seine bzw. meine Faust in den Bauch gerammt? Ich schaute mir noch einmal ins Gesicht und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen – abgesehen von dem Phänomen, dass mein Abbild noch immer aufrecht vor mir stand und ich gekrümmt auf dem Boden kniete!
Keuchend stützte ich mich am Boden ab und begab mich zurück in die Senkrechte. Ich ging erneut einen Schritt auf den Spiegel zu, nur um zu erkennen, dass ich das Krankenzimmer nicht mehr sehen konnte. Ich trat drei Schritte zur Seite und schaute in den nächsten Spiegel. Nichts. Noch drei weitere Schritte, auch hier war nichts anderes, außer meinem Abbild zu erkennen. So lief ich noch fünf weitere Glasflächen ab, jedoch erblickte ich in allen das gleiche. Mich, wie ich suchend in einen Spiegel schaute.
Ich glaube, ich dreh durch!
Ich ging zurück zur Mitte des Raumes und zwang mich erst einmal zur Ruhe.
Ich musste irgendwie herausbekommen, was zum Geier hier los war. Langsam drehte ich mich auf der Stelle und ließ meinen Blick von Spiegel zu Spiegel wandern, immer in der Hoffnung im nächsten den erlösenden Hinweis zu finden. Nichts. Jeder Spiegel sah aus wie der andere.
Der Aufzug!
Genau, ich sollte einfach wieder zurück in den Aufzug gehen und einer anderen Etage einen Besuch abstatten.
Ich drehte mich im Kreis, auf der Suche nach der rettenden Fahrstuhltür, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Wo immer ich auch hinblickte, schaute mir nur ein verwirrter Ben entgegen.
Ich drehte mich ein weiteres Mal um die eigene Achse, und dann wieder und wieder.
Ich begann mich immer schneller zu drehen.
Verlor ich jetzt denn vollkommen den Verstand?
Ich lachte über mich, über diese kuriose Situation, über meine irritiert dreinblickenden Spiegelbilder.
Das konnte doch alles nur ein schlechter Scherz sein.
Alle Benjamins stiegen in das Spiel ein. Sie drehten und drehten sich. Sie lachten mit mir. Ich lachte noch lauter. Ließ meiner Verzweiflung freien Lauf.
Hundertfach drang mein eigenes Lachen an meine Ohren, als ich abrupt in meinem Tun inne hielt.
Wieso konnten diese Spiegelbilder eigentlich lachen? Und wieso wurde das Lachen lauter und lauter, obwohl ich selbst bereits keinen Ton mehr von mir gab? Jetzt drehe ich völlig durch, dachte ich gerade, als ich sah, dass meine Abbilder sich näher an die Scheiben bewegten. Ihnen war völlig gleich was ich gerade tat, sie gingen weiter. Alle im gleichen Rhythmus, alle mit den gleichen Bewegungen.
Ich konnte diesem Schauspiel nur mit ungläubig aufgerissenen Augen entgegensehen. Ich schaute über meine Schulter, nur um festzustellen, dass ich in jedem der Spiegel das gleiche sah.
Sie gingen weiter, kamen auf mich zu und lachten aus Leibeskräften.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht, presste ich meine Hände gegen die Ohren, aber dies dämpfte das schrille Gelächter kein Bisschen.
Noch immer hielten sie auf die Scheibe und damit auf mich, der da verloren in ihrer Mitte stand, zu.
Ein lautes Krachen und Klirren erfüllte den Raum, als alle Spiegel gleichzeitig barsten.
Ich warf mich auf den Boden, hielt meine Arme schützend über den Kopf, in der Hoffnung, die scharfen, fliegenden Scherben würden mich dadurch verfehlen.
Ich hatte Glück im Unglück. Nicht einer der Splitter hatte seinen Weg bis zu mir gefunden. Vorsichtig ließ ich meine Arme zurück gleiten und schob meinen Kopf aus der schützenden Umarmung.
Ich schaute mich um und sah schwarze Löcher an den Stellen, an denen vor ein paar Sekunden noch Hunderte von Spiegeln hingen. Scherben lagen verteilt im ganzen Raum.
Ich sah wie nackte Füße, einem Fakir gleich, über diese hinweg liefen. Im Gegensatz zu den Spiegeln, waren meine Abbilder nämlich leider noch immer existent.
Alle ihre Augen waren in die Mitte des Raumes gerichtet. Zu mir. Einem jämmerlichen, nackten Mann, der zitternd auf dem Boden hockte.
Das irrsinnige Lachen schwoll erneut an, als sich unzählige Benjamins wieder in Bewegung setzten und auf mich zuhielten.
Ängstlich erhob ich mich und befahl meinen zitternden Beinen meinen Körper zu tragen.
Ich drehte mich hilfesuchend im Kreis, aber es schien kein Entkommen zu geben. Noch waren die nackten Männer zwanzig oder dreißig Meter entfernt und noch hätte ich die Chance zwischen zweien von ihnen hindurchzuschlüpfen, aber der Kreis schloss sich mit jedem Schritt, den sie auf mich zutraten.
Nicht mehr lange und der Kreis hätte sich gänzlich geschlossen. Dann würden sich die Schultern aller Benjamins berühren und ich wäre endgültig eingeschlossen.
Angst, Verzweiflung, Mut und Überlebenswillen rangen in meinem Inneren miteinander. Erneut bildete sich Angstschweiß auf meiner Haut.
Ich konnte mich nicht entscheiden.
Sollte ich es wagen? Oder doch warten? Oder…alles Grübeln würde zu rein gar nichts führen beschloss ich und rannte los.
Ich steuerte zielstrebig auf eine der Lücken zu, lief so schnell mich meine nackten Füße trugen. Die anderen Männer zeigten sich völlig unbeeindruckt von meinem Vorgehen und setzten weiterhin gemütlich einen Fuß vor den anderen.
Sie bewegten sich völlig synchron, beängstigend und bedrohlich, begleitet von einer tödlichen Stille, die dem schallenden Lachen Platz gemacht hatte.
Ich rannte weiter. Die Zeit wurde knapp, wie ich mit Schrecken feststellte.
Noch geschätzte fünf Schritte der anderen und die rettenden Lücken hätte sich geschlossen.
Im Geiste verfluchte ich meinen Körper, beschimpfte ihn als lahme Schildkröte. Ich öffnete die Dose mit den letzten Kraftreserven. Meine Beine bewegten sich schneller und mein Lauf beschleunigte sich noch weiter.
Vier Schritte
Drei Schritte
Ich hatte die Barriere aus männlichen Leibern fast erreicht.
Zwei Schritte
Ein Schritt
Ich bremste augenblicklich ab, als sich die Schultern der Männer berührten.
Noch vier Meter und ich hätte es geschafft, stellte ich betroffen fest. Was nun? Keine Zeit zum Denken! Ich rannte zurück in die Mitte. Dort wäre ich noch die längste Zeit in Sicherheit.
Die anderen Benjamins hatten innegehalten. Sie bildeten nun einen vollkommen geschlossenen Kreis und grinsten mich mit hämischen und siegessicheren Zügen im Gesicht an.
Ich wusste weder ein noch aus, mein Atem ging schwer und Schweiß rann an meinen Schläfen herab. Ich drehte mich im Kreis, noch immer auf der Suche nach Hilfe oder einer rettenden Eingebung, aber da war nichts. Rein gar nichts, was ich hätte tun können.
„Das Amulett“, erklang plötzlich eine Stimme im Raum.
Ich drehte mich wieder um die eigene Achse, versuchte den Ursprungsort der Stimme zu lokalisieren. Blieb allerdings erfolglos bei diesem Unterfangen.
Amulett? Was für ein Amulett?
Mit zitternder Stimme, jagte ich diese Frage in den weiten Raum hinaus.
„Nimm dein Amulett!“, wurde mir als Antwort zugerufen.
Mein Amulett? Ich war splitterfasernackt! Wer immer sich da über mich lustig machen wollte, hatte wohl noch nie zuvor versucht, einem nackten Mann in die Tasche gegriffen!
Völlig verwirrt, ließ ich in einer abwesenden Bewegung die Hand über meine Brust fahren. Und tatsächlich fühlte ich etwas an einer Kette um meinen Hals hängen. Ich schaute auf den gerade gefühlten Gegenstand herunter und erkannte eine Spiegelscherbe, die an einem Lederband befestigt war.
Wo kam denn die her?
Ich hatte diesen Anhänger noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.
Wie dem auch sei. Ich hatte also besagtes Amulett gefunden und jetzt?
Was sollte ich damit tun?
„Benutze das Amulett!“, rief diese dunkle Stimme erneut zu mir.
Benutzen. Ja, klar! Was auch sonst? Die Information über das ‚Wie’ wäre hilfreich gewesen!, dachte ich ärgerlich.
„Hilf mir!“, rief ich in meiner Panik. „Wie soll ich das Amulett benutzen? Los sag schon!“
„Berühre es und es wird dich in das verwandeln, an das du denkst!“
Äh, ja klar. Soll das vielleicht ein Witz sein?
Dennoch legte ich wieder Hand an das Amulett, es gab einen grellen Lichtblitz und ein Geräusch als würde Papier zerreißen und plötzlich hatte ich einen vollkommen anderen Blickwinkel.
Das war ja mal wieder typisch!, dachte ich bedrückt und ein wenig amüsiert zugleich.
Ich hätte mich in Hulk verwandeln und die ganzen Jungs vor mir mit einem Schlag auslöschen können. Oder in einen mutigen Ritter, der sich seinen Weg mit Schwert und Schild freikämpfte. Oder besser noch, in einen alles überragenden, feuerspeienden Drachen, um mich gegen diese Überzahl zu verteidigen. Und an was dachte ich?
Ich trieb meine vier kleinen Beinchen zum Lauf an, mein wuscheliger Schwanz wehte hinter mir her.
Die nackten Männer schauten völlig perplex, einem in Panik versetzten, sprintenden Eichhörnchen hinterher.
Ein Eichhörnchen!
In meiner größten Stunde der Not, dachte ich an ein Eichhörnchen!
Gibt es vielleicht etwas Dämlicheres?
Ich rannte wie verrückt im Kreis herum und konnte mich für keine Richtung entscheiden.
Und dann sah ich ihn! Einer der Benjamins hatte seine Gestalt verändert. Ich blickte auf einen schönen, dunkelhaarigen Mann mit tiefbraunen Rehaugen. Er streckte mir helfend seine Hand entgegen.
Ich bremste meinen Lauf. Änderte die Richtung. Hielt mit kleinen, kräftigen Sprüngen auf den Mann zu.
Die beiden Bens rechts und links von ihm drehten sich langsam zur Seite. Die Wut brodelte in ihren Augen und sie machten Anstalten ihre Hände in Richtung seines Halses zu bewegen.
Ich drückte mich vom Boden ab, sprang einem von beiden aufs Knie. Schlug meine Krallen in seinen Körper und kletterte wie der Wind über Bauch und Brust, hinauf auf seine Schulter.
Noch im Lauf spannte ich meinen wuscheligen Schwanz bis in den letzten Winkel an und setzte zu einem weiteren Sprung an.
Ich hielt den Atem an und mein kleiner, pelziger Körper sauste durch die Luft. Mit einer samtweichen Landung kam ich auf der Handfläche des Fremden zum Stillstand. Dieser riss seinen Arm zurück und wirbelte herum, gerade in dem Moment als sich vier Hände um seinen Hals legen wollten. Unter enttäuschten Blicken der beiden Benjamins, rannte mein Retter auf eines der schwarz Löcher in der Wand zu. Ich konnte Blut unter meinen Pfoten spüren, da ich ihm meine Krallen so stark ins Fleisch gehauen hatte, um ja nicht in der letzten Sekunde doch noch den Halt zu verlieren.
Der Fremde ließ sich davon aber gar nicht irritieren und sprang mit dem Kopf voran – und mir in der Hand – durch den ehemaligen Spiegel. Mit einer geübten Bewegung, kam er nach einer Bodenrolle wieder auf die Füße und blieb stehen.
Warum bleibt er stehen?
Ich schaute mich gehetzt um und sah, dass hinter uns weder ein schwarzes Loch, noch irgendwelche Benjamins zu sehen waren. Alles was ich erblickte, war eine massive Wand aus Ziegelsteinen. Erleichterung machte sich in mir breit und ich schaute dankbar in die Rehaugen meines Retters.
„Vielen Dank. Das war Rettung in letzter Sekunde“, sagte ich.
Erschrocken, verwirrt und im gleichen Maße erfreut, stellte ich fest, dass ich ein sprechendes Eichhörnchen war.
Er lächelte zu mir herunter, als er sagte: „Gern geschehen. Ich weiß zwar nicht was dich dazu gebracht hat,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alle Rechte am Text liegen bei dem Autor.
Bildmaterialien: Cover by mick76
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2012
ISBN: 978-3-7309-2645-1
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