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Wie ich das Zeitreisen lernte

Die Sonnenstrahlen schienen mir ins Gesicht und mir stieg der frische Duft von Kaffee in die Nase. Langsam öffnete ich meine braunen Augen und streckte mich gähnend. Ein Blick auf den Wecker ließ mich schnell aufspringen: 07:20 Uhr! Das hieß, ich würde zu spät in die Schule kommen, wenn ich mich jetzt nicht beeilte. Meine Mutter saß wie immer am Frühstückstisch und gegenüber von ihr stand meine Kaffeetasse. „Morgen“, sagte sie ganz locker. „Ich habe verschlafen“, teilte ich ihr müde mit. Erst jetzt warf sie einen Blick auf die Uhr. „Oh verdammt“, murmelte sie. „Komm, mach dich fertig Pearl. Wir fahren gleich los.“ Ich nickte und trank einen Schluck Kaffee – oder was das auch immer sein sollte. Eiskalter Kaffee, klasse. Also schüttete ich das Getränk weg und spülte die Tasse aus. Dann zog ich mir Schuhe und Jacke an und schnappe mir meine Schultasche. Meine Mutter wartete schon auf mich und gemeinsam liefen wir zum Auto. „Wann hast du heute aus?“, fragte sie mich während der Fahrt. Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich rufe an, wenn ich es weiß.“ Wir hielten vor der Schule, verabschiedeten uns und ich betrat das Schulgelände. Ein weiterer Tag in dieser Hölle, dachte ich zähneknirschend. Doch plötzlich fiel mir etwas auf – oder besser gesagt einiges. Alle – selbst ich – trugen eine Schuluniform. Und weder die Schule, noch die Schüler oder die Lehrer kamen mir bekannt vor. Was war hier nur los? Doch zum Umkehren war es zu spät. Würde ich eben einen Tag hier verbringen. Wen interessierte das schon? Im Schulgebäude fand ich mich überraschenderweise zurecht. Auch dem Unterricht konnte ich so folgen, als würde ich regelmäßig hier sitzen. Merkwürdig. Erst beim Mittagessen gab es Probleme, die ich aber nur mir selber zu verdanken hatte: wo sollte ich sitzen? Neben Fremden wollte ich nicht wirklich sitzen und ich sah keinen freien Tisch mehr. Oh doch, in der Ecke war noch einer. Schnell erreichte ich ihn und setze mich hin. Das Essen war nicht gerade appetitlich, aber essbar. Ich biss gerade in den Brokkoli herein, als zwei Mädchen – die eine blond mit Sommersprossen, die andere dunkelhaarig mit wunderschönen blauen Augen -, mich fragten, ob sie sich zu mir setzen dürfen. Ich bejahe. Irgendwie kamen die beiden mir bekannt vor, doch woher? „Sag mal, bist du neu hier?“, fragte mich die Dunkelhaarige. „Könnte man so sagen.“ Ich betrachte sie einen Moment. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Bist du nicht Gwendolyn Shepherd?!“ Überrascht sah sich mich an. „Ja, genau. Kennen wir uns?“ Jetzt nur nicht anfangen hysterisch zu lachen, dachte ich und atmete tief durch. „So in etwa. Ich bin Pearl Winters. Und du bist dann Lesley Hay, richtig?“ Die Blondine nickte. „Okay, das ist ein wenig unheimlich.“ „Sagt die, die durch die Zeitreisen und Geister sehen kann“, meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Gwen blinzelte einige Male, bevor sie wieder sprach. „Warte: woher weißt du das?“ Ja, wie sollte ich diese Frage nun beantworten? Sollte ich die Wahrheit sagen? Verraten, dass ich sie aus einem Buch kannte? Ich seufzte. „Das würdet ihr mir nie glauben.“ „Versuche es“, drängte Leslie. „Bitte. Aber denkt nicht, ich sei verrückt. Denn so fühle ich mich schon.“ Die Freundinnen tauschten kurze Blicke aus, bevor ich mit der Erklärung begann. „Ich kenne euch aus einem Buch. Drei Büchern um genau zu sein.“ Fragend sahen sie mich an und ich gab die Handlungen von Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün wider. „Das ist unglaublich. Genau das alles ist mir passiert!“ Gwen sah mehr als überrascht aus. „Du musst mit zur Loge kommen. Jetzt gleich.“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das geht doch nicht. Falk wird mich für verrückt halten.“ „Nicht unbedingt. Leslie, notierst du für mich mit? Pearl und ich müssen sofort los.“ „Klar Gwen. Bis dann ihr zwei.“ Gegen meinen Willen zog Gwendolyn mich mit sich mit. Ehe ich mich versah, waren wir bei der Loge angekommen. „Mr. George, ich muss sofort mit Falk de Villiers reden“, sagte Gwen zu einem älteren Herren. „Tut mir leid, Gwendolyn. Falk befindet sich gerade in einer wichtigen Besprechung. Die Prophezeiung hat sich heute Morgen geändert.“ Erst jetzt schien er mich zu bemerken. „Und wer sind Sie?“ „Pearl Winters, angenehm.“ Mr. George nickte. „Freut mich. Aber nun eine weitere Frage: was machen Sie hier?“ Bevor ich auch nur ans antworten hätte denken können, übernahm Gwen das sprechen für mich. „Pearl weiß von allem, ohne das ich auch nur ein Wort sagte. Sie weiß von der Loge, vom Grafen, vom Zeitreisen. Deswegen müssen wir dringend mit Falk sprechen!“ In diesem Moment stieß ein junger Mann zu uns, der Gwendolyn einen Kuss auf die Wange gab. „Warum willst du mit meinem Onkel sprechen?“ „Wegen meiner neuen Freundin hier.“ Gwen zeigte auch mich. „Gideon, das ist Pearl. Pearl, das ist mein Freund Gideon.“ Am liebsten hätte ich jetzt »Ich weiß, ich weiß« gerufen, doch ich konnte mich gerade noch zusammenreißen. Gideon betrachtete mich einen Moment und sagte dann zu Gwen: „Gwendolyn, können wir kurz reden?“ „Emm, klar. Entschuldigt uns bitte.“ Die beiden entfernten sich einige Schritte von uns. Mr. George und ich sahen uns an. „Darf ich Sie fragen, woher Sie von alledem hier wissen?“ Langsam nickte ich. „Sie würden mir die Antwort jedoch nicht glauben. Aber okay.“ Ich wollte gerade anfangen zu erklären, da kamen Gwendolyn und Gideon wieder zu uns. „Mr. George“, fing Gideon an zu sagen, „wenn Onkel Falk wieder zu sprechen ist, muss er uns empfangen.“ „Ich werde es ihm ausrichten. Nehmt ihr euch Pearl an?“ Die beiden nickten. „Gut. Bis später.“ Mr. George ließ uns alleine. Es kam mir fast so vor, als würde der Tag nicht enden wollen. Immerhin war es jetzt erst kurz nach 13 Uhr. „Komm mit. Wir zeigen dir ein wenig das Gebäude.“ Ich nickte und ging mit den beiden mit. Das Gebäude war viel größer, als jemals gedacht hätte, schoss es mir durch den Kopf. Eine halbe Stunde später kam uns Mr. George entgegen. „Falk will mit euch sprechen. Mit euch allen.“ Wir drei sahen uns an und folgten Mr. George schließlich zum Drachensaal. Herzlich empfing er uns. „Gwendolyn, Gideon. Es ist schön euch zu sehen. Und du bist dann wohl Pearl.“ Ich nickte – zum gefühlten 50ten Male an diesem Tag. „Ja genau, die bin ich wohl.“ „Du wirst Mr. George begleiten. Gwendolyn, Gideon: mit euch muss ich etwas besprechen.“ Mr. George und ich verließen den Saal und wir betraten ein kleines Büro. „Möchtest du Tee?“, fragte er mich. „Gerne, danke. Warum sitzen wir jetzt eigentlich hier, wenn ich fragen darf?“ „Wir müssen einer Vermutung nachgehen, weiter nichts. Einen Keks?“ Dankend nahm ich mir einen und biss hinein. Ein Schluck vom warmen Tee tat meiner, inzwischen ausgetrockneten Kehle sehr gut. „Also ich muss sagen, der Tee hier schmeckt besser als der zuhause.“ „Das freut mich zu hören“, sagte Mr. George lächelnd. „Pearl, es könnte sein, dass du wie Gwendolyn und Gideon durch die Zeit reisen kannst.“ Ich sah ihn an und fing dann lauthals an zu lachen. Doch dann bemerkte ich seine ernste Miene und schluckte. Er meinte es ernst. Ich schloss kurz die Augen, da mich ein Gefühl des Schwindels überkam. Als ich sie wieder öffnete und mich umsah, saß ich plötzlich in einem dunklen Raum. Ich sah mich um und zuckte erschrocken zusammen. In der Ecke stand ein Mann, der mich anstarrte. „Pearl Winters, ich habe Euch schon erwartet“, sagte er unheilvoll und trat aus dem Schatten hervor. Ich schluckte. Natürlich erkannte ich ihn sofort: es war der Graf von Saint Germain! Jetzt steckte ich in Schwierigkeiten. Die Schreibtischlampe neben mir nahm ich als Waffe. „Ich weiß wer Sie sind und ich habe keine Scheu, diese Lampe einzusetzen!“ Er lachte auf. „Eine Lampe! Die kann mich auch bestimmt aufhalten.“ Er trat einen Schritt näher auf mich zu und ich hielt die Lampe direkt vor mich. Ich umklammerte sie ganz fest, dass es mich wunderte, dass sie nicht zerbrach. „Kommt schon. Lasst diese dumme Lampe doch einfach fallen.“ Auch wenn ich es partout nicht wollte – der Graf hatte mich in seinen Bann gezogen und ich ließ die Lampe fallen. Er kam näher auf mich zu. Kurz bevor er mich erreichte, wurde um mich herum alles schwarz und als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Mr. George vor mir. „Der Rosenquarz also. Sehr interessant. Geht es dir gut? Du siehst ganz verschreckt aus.“ „Der... er war da... ich weiß nicht...“, stammelte ich vor mich hin. „Pearl, was ist geschehen?“ Mr. George rüttelte mich sanft. „Der Graf von Saint Germain, er war da. Ich weiß nicht genau was er wollte.“ „Der Graf? Das muss ich sofort dem inneren Kreis melden!“, sagte er und stand auf. „Ich werde Gwendolyn zu dir schicken.“ Er verschwand. Während ich wartete, sah ich aus dem Fenster. Dass es schon dunkel war, wunderte mich sehr. Was meine Mutter wohl dachte, wo ich mich aufhielt? Ob sie sich Gedanken machte? Ich wusste es beim besten Willen nicht.

 

Nicht allzu lange nachdem Mr. George gegangen war, betrat Gwendolyn das Zimmer. „Mr. George sagte, du bist auch ein Edelstein. Willkommen in der Familie.“ Ich nickte. „Danke. Sag mal, was weißt du über den Grafen?“ „Den Grafen?“ Gwen sah mich mit großen Augen an. „Pearl, was ist passiert?“ Ich erzählte ihr alles. Die Farbe aus ihrem Gesicht verschwand. In diesem Moment kam Mr. George zurück und sagte, dass Falk mit mir sprechen wollte. Ich ging zu ihm und unterrichtete auch ihn von meiner nicht allzu netten Begegnung mit dem Grafen. „Oh Gott!“, rief er aus. Sofort ließ er den inneren Kreis zusammenkommen und ich wurde in den Kreis des Blutes aufgenommen. Nun gehörte ich also dazu. Ich war ein Teil einer eigentlich ausgedachten Geschichte. Ein Edelstein; der Rosenquarz. Gwen und Gideon zählen seit diesem Tag zu meinen besten Freunden, genauso wie Leslie und Raphael, der Bruder von Gideon. Und die Sache mit dem Grafen.. Die Loge ist noch immer dabei, es zu regeln. Und, wie sich herausstellte, bin ich eigentlich auch eine Montrose – wenn auch nur eine sehr entfernte Verwandte von Gwendolyn, Lucy, Charlotte und dem Rest der Familie. Dieser Tag hatte mein Leben verändert. Es war der Tag meines 16ten Geburtstags.

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Tag der Veröffentlichung: 31.08.2014

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