Cover

Zum Inhalt

Timothey Grotenburg,  ist ein selbstbewusster Verführer, der sein Studium schlichtweg als Nebensache sieht.

Samantha, naiv und unerfahren im Umgang mit jungen Männern, bekommt durch besondere schulische Leistungen mit dem Stipendium an genau dieser Privatuniversität die Chance, ihre beruflichen Pläne zu verwirklichen.

Eine Wette unter den Jungs provoziert, dass Tim Kontakt zu der strebsamen Studentin aufnimmt. Aber leider ist die „Nonne“ eine harte Bewährungsprobe für den potenten Grotenburg.

Wird er die Wette gewinnen und die junge Studentin zumindest für eine Nacht von sich überzeugen können? Mehr ist bei diesem Spiel nie geplant.

Als Samantha erfährt, dass sie nur ein Wettopfer darstellt, verschwindet sie von einem Tag auf den anderen …

 

Ein amüsanter und knisternder Liebesroman mit erotischen Elementen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Menschen ist rein zufällig.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung der Autorin gültig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen sowie das Speichern und Verarbeiten in elektronischen Medien.

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an meine Kolleginnen, Freunde, Probeleser und Korrekturleser, ohne die ich diese Geschichte nie veröffentlicht hätte.

Viel Spaß bei dieser Geschichte

wünscht

Michelle Robin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das große Glück ist wie ein Mosaik:

Ein Werk aus vielen kleinen bunten Steinen.

 

(Autor unbekannt)

Kapitel 1

Anzügliche Pfiffe tönten über den Campus der Universität, als eine junge Frau mit feurig roten Haaren und unsicheren Schritten an den Studenten vorüberging. Angelique bemühte sich, mit den hohen Schuhen nicht zu stürzen, um nicht das Gespött vollends auf sich zu ziehen.

Die Semesterferien waren gerade zu Ende gegangen und es sah so aus, als hätten die pfeifenden Studenten der International Economy University, die gerade vor dem Eingang zum Universitätsgelände standen, wenig Interesse, sich auf die bevorstehenden Prüfungen im Sommersemester vorzubereiten. Es schien ihnen nichts auszumachen, zu spät in die Vorlesung zu kommen.

Die Gruppe um den einzigen Grotenburg-Spross war bekannt dafür, sich mit Provokationen und Affären die Studienzeit zu gestalten. Die hübsche Studentin mit dem roten Schopf schien ihr neustes Opfer zu sein.

„Hey, ist das nicht Angelique, die scharfe Rothaarige, aus dem Youngster-Semester?“, grölte einer der Jungs lachend. Er sah mit seiner zerfetzten Jeansjacke aus, als käme er vom Studiengang Sozialarbeit mit dem Schwerpunkt „Auffallen um jeden Preis“.

Angelique, die mit ihrer Freundin Sam jetzt seit drei Wochen im zweiten Semester den gleichen Wirtschaftszweig belegte, verzog angewidert das Gesicht. Sie nahm an, dass Samantha dieses heute schon hinter sich hatte, denn es war jeden Morgen das gleiche Theater.

Sie hoffte, dass Samantha ihr einen Platz frei hielt, denn heute war Angelique wegen einer verpassten U-Bahn wieder viel zu spät.

„Scharfe Rote gibt es für dich an der Currywurstbude“, konterte sie und huschte durch die schwere Eingangstür des Hauptgebäudes. Die Jungs lachten ihr hinterher. René, dem Jeansjackenträger, gefiel die Schlagfertigkeit der jüngeren Studentin.

Sie freute sich, Sam am Rand des Ganges zu entdecken und rutschte erleichtert im Hörsaal neben sie auf den freien Platz. Der Blick ihrer Freundin besagte, dass der Dozent noch fehlte.

„Alles in Ordnung bei dir?“, wollte Sammy wissen und holte ihre Mappe hervor, um gleich bei Dr. Fassbender, dem Dozenten, im Bedarfsfall mitschreiben zu können.

„Die GG stand wieder am Eingang. Ich finde das Verhalten von diesem René Kotz echt zum Kotzen.“ GG war das Kürzel für die Grotenburg-Gang, bei den Studenten, die nicht dazugehörten.

„Er heißt Botz“, verbesserte Sam leise.

„Kotz passt aber besser zu ihm“, seufzte Angelique. Sammy nickte zustimmend, deutete aber nach vorn, weil der Dozent gerade eintrat.

Samantha hoffte inständig, dass sie nie allein diesen Typen begegnen würde. Angelique gelang es, mit ihrem losen Mundwerk jeden in den Boden zu reden. Sie hatte von klein auf gelernt, sich gegen aufdringliche Männer durchzusetzen. Ihr flottes Mundwerk war ihr favorisiertes Mittel der Wahl. Samantha selbst verzog sich lieber und schwieg, weil ihr in dem Moment das richtige Kontra fehlte. Das war schon immer ihr Problem, nicht erst, seit sie regelmäßig diesen Idioten über den Weg lief.

Angelique liebte zudem extravagante Outfits. Sie selbst kam sich bei ihrer Freundin eher wie ein schlichtes Gewächs vor. Etwa wie ein Farn, der schweigend neben einer stolzen Rose sein Dasein am Rande der Gesellschaft fristete. Zumindest fühlte sie sich oft so.

Samantha wollte so schnell wie möglich das Studium hinter sich bringen. Schon in der Schule hatte sie mit guten Noten geglänzt und konnte zwei Jahrgänge überspringen. Nun erledigte sie mit Leichtigkeit auch hier ihre Ausarbeitungen. Mittels Stipendiums hatte sie diesen Studienplatz ergattert und stolzierte strahlend wie ein Honigpferd in den ersten Wochen stolz herum, dass sie zu den Auserwählten gehörte, die an der exklusiven Universität studieren durften.

Angelique war bereits in den ersten Wochen hier am Campus eine gute Vertraute geworden und sie verstanden sich – trotz ihrer Verschiedenheit – recht gut.

Sammy trug ihr dunkelbraunes Haar oft zu einem Zopf gebunden. Feine Strähnen umrahmten ihr hübsches Gesicht. Statt Markenkleidern bevorzugte sie bequeme Jeans und Herrenhemden, die sie meist an den Ärmeln hochkrempelte. Sie liebte es, sich nach den geistigen Herausforderungen noch körperlich auszupowern. Der Klamottenwechsel musste bei ihr immer schnell geschehen, da sie nach der Uni oft noch arbeitete.

Sam folgte aufmerksam den Ausführungen von Dr. Fassbender. Im Gegensatz zu ihrer Freundin war es für sie nie ein Problem, die international-betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen.

Angelique zog stattdessen gelangweilt einen Flyer aus der Tasche, der einen Rabattverkauf im Outlet-Store der Stadt für den nächsten Tag verkündete. Als sie Samantha danach fragte, schüttelte diese den Kopf. Angelique kräuselte die Nase, hatte sich eine andere Antwort von ihr erhofft.

„Ich habe am Wochenende Dienst“, fügte Samantha hinzu.

Außerdem habe ich – im Gegensatz zu dir – kein Geld für diese Art von Einkaufstouren, dachte sie, behielt dies aber lieber für sich. Sammy kellnerte in einem der schicken In-Lokale und war froh, dass sie diesen Job seit den Semesterferien durch Zufall ergattert hatte.

Bei dem strengen Chef war es nicht empfehlenswert, kurzfristig während der Probezeit abzuspringen. Die hohen Trinkgelder würde Samantha sehr vermissen. Sie hoffte auf eine Festanstellung für die Abende und am Wochenende, dann könnte sie den Lebensunterhalt während des Studiums einigermaßen finanzieren.

Samantha seufzte in Gedanken. Ihre Freundin Angelique stammte – wie fast alle Studenten – aus einem wohlhabenden Elternhaus. Agnes Schöneberg, Samanthas Mutter, war nicht so gut betucht.

„Geld schwimmt nicht auf der Straße, Sammy“, sagte sie oft. „Du musst etwas dafür tun. Du bist ein schlaues Mädchen und hast mit dieser Uni die Chance, etwas aus deinem Leben zu machen.“

Ihr Vater konnte sich dagegen nicht mehr dazu äußern, geschweige denn, sie unterstützen. Da er bereits in jungen Jahren überraschend verstorben war, trug Samantha im Innern nur noch eine schwache Erinnerung an ihn.

Er war groß und dunkel gewesen und wirkte – im Gegensatz zu ihrer kleinen Mutter – auf allen Fotos wie ein Riese.

Mitten im Ansatz einiger Berechnungsformeln schaute der Dozent auf, als zwei zu spät kommende Studenten sich durch die hintere Tür schoben.

„Wie schön, dass Sie uns auch noch beehren, Herr Grotenburg“, rief Fassbender süffisant in ihre Richtung. Die beiden Studenten gingen selbstbewusst zu ihren Plätzen und waren sich aller Blicke des Saales bewusst.

Samantha drehte kurz genervt den Kopf in Richtung der Neuankömmlinge. Sie kannte das Szenario bereits zu gut.

„Wow“, kam es von Angelique. Samantha warf ihr einen fragenden Blick zu und drehte sich doch noch einmal nach hinten.

Sofort rutschten einige Studentinnen enger zusammen, um vor allem dem attraktiven Kommilitonen einen Platz anzubieten.

Samantha bangte jedes Mal um einen freien Sitzplatz in der überlaufenen Vorlesung und dieser Macho erschien und die weiblichen Studenten kämpften darum, ihm einen frei zu halten.

Der Kerl konnte sogar entscheiden, zwischen welchen der Schönheiten er sich niederlassen wollte. Ein überhebliches Grinsen lag auf seinem makellosen Gesicht. Er hatte wildes, blondes Haar und leuchtend blaue Augen. Samantha war ihm schon etliche Male im Flur begegnet, doch er ignorierte sie.

Warum sollte er sie auch bemerken? Ein Grotenburg beachtet doch keinen Nobody.

Grotenburg hatte mit einem Augenaufschlag die Aufmerksamkeit sämtlicher Frauen im Saal. Er wusste, wie er sich in Szene setzen konnte, und nutzte dieses Wissen, um an sein Ziel zu kommen. Samantha malte ein am Galgen baumelndes Strichmännchen auf ihren Block und schob ihn mit vielsagender Miene ihrer Freundin zu.

Angelique grinste: „Du magst ihn nicht?“ Samantha nickte. Angelique seufzte. „Schätze, da bist du die Einzige.“

Samantha biss sich auf die Innenbacken. Es nervte sie, dass dieser reiche Schönling meinte, die ganze Welt würde sich nur um ihn drehen. Das Leben stellte für ihn ein Spiel dar, aus dem er immer als Sieger hervorging.

Bin ich etwa neidisch?, dachte sie bei sich. Innerlich verneinte sie es komplett. Sie vermisste nicht seine gesellschaftlichen und sexuellen Eskapaden, auch nicht die Schickimicki-Bekanntschaften, die er pflegte.

Keck blickte der junge Grotenburg in Richtung Dr. Fassbender und ließ sich mit einem Selbstverständnis zwischen zwei attraktiven Blondinen nieder, die vor Freude leise quietschten. Seine permanente Selbstsicherheit verunsicherte sie noch mehr.

Samantha kämpfte sogar gegen Prüfungsangst, wenn sie nur an die mündlichen Examina dachte. Was nutzte ihr an der Uni die volle Punktzahl im schriftlichen Bereich, wenn es ihr nicht einmal gelang, bei belanglosen Fachsimpeleien zu widersprechen, obwohl sie sich in die Themen weit besser eingearbeitet hatte als viele andere. Samantha beneidete diesen, wie sie meinte, arroganten Frauenschwarm um sein Selbstbewusstsein.

Der sprachliche Schwerpunkt in dem „Nonnenbunker“, wie die Schülerinnen ihn geringschätzig nannten, brachte Samantha sicherlich gewisse Vorteile. Aber das schien der einzige Pluspunkt dieser verhassten Schule gewesen zu sein. Im Nachhinein betrachtet stellte sich der Übergang auf die Privat-Uni und mit dem besonders von jungen Männern genutzten Wirtschaftszweig, als eine Herausforderung schlechthin heraus.

Auf dem Uni-Gelände vermisste Samantha einen männlichen Beistand, wie ihn ihr der Chef beim nächtlichen Nebenverdienst bot. Deswegen vermied sie es tunlichst, in das Territorium der Grotenburg-Gang vorzudringen.

„Also ich würde ihm gern die Henkersmahlzeit bringen“, gestand Angelique offenherzig in Anlehnung an die Skizze auf dem Block und schielte nach hinten zu den beiden Jungs.

Der Zweite der Clique, der mit Tim Grotenburg eingetreten war, hatte sich abseits gesetzt und schien den Ausführungen des Dozenten zu folgen, während Tim gelangweilt den Blick durch den Saal schweifen ließ.

Samantha fand sein Verhalten unfair, denn er blockierte trotz Desinteresse einen Studienplatz für andere. Sie versuchte sich wieder auf die Materie einzulassen und genoss die Anekdoten von Fassbender, die er in seinen Lernstoff einfließen ließ. Gerne hätte sie diese Fähigkeit, den Stoff so wunderbar zu vermitteln, wie es der beliebte Dozent tat.

Die Studenten packten am Ende der Stunde ihre Sachen zusammen, als Fassbender Tim Grotenburg laut zu sich bat. Tim hob erstaunt den Kopf, bequemte sich dann aber nach vorne, als die anderen bereits den Saal verließen.

Samantha sah an der ernsten Mimik, dass das Gespräch nicht zugunsten des Studenten ausfiel. Die Männer sprachen minutenlang miteinander, sodass sie es vorzog, zu verschwinden. Es interessierte sie keinen Deut, ob Tim Grotenburg gerade einen Rüffel bekam oder nicht. Die Suppe hatte er sich selbst eingebrockt.

Sein dunkelhaariger Freund Roman wartete draußen auf der Treppe und tippte eine Nachricht in sein Smartphone, als die Frauen vorübergingen.

Einzeln war jedes Gruppenmitglied harmlos. Keine Gefahr in Verzug.

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Das Pendel der eleganten Wanduhr schlug mit dunklem Klang im Wohnzimmer nebenan den bevorstehenden Abend an.

„Lass ihn doch. Er weiß schon, was er tut!“, beschwichtigte die adrette Frau den gleichaltrigen reifen Mann, der hektisch an seinem Krawattenknoten zog und diesen dadurch komplett aus der Form brachte.

„Komm, mein Schatz, ich richte ihn dir“, beruhigte sie ihren Mann, der sichtlich nervös wirkte. Sie erwarteten ihre ersten Gäste in wenigen Minuten.

„Du nimmst ihn natürlich in Schutz, ist ja klar“, erwiderte der grauhaarige Mann mit grollendem Unterton. „Er muss irgendwann einmal lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.“

Seine Frau strich sich zuerst noch einmal über ihren strengen Dutt, den ihr die Friseuse kurz zuvor hochgesteckt hatte, dann kümmerte sie sich zärtlich um den Knoten ihres Mannes und band ihn noch einmal neu.

Das Gesprächsthema zwischen ihnen war uralt. Während ihr Mann seinen Sohn lieber härter an die Kandare nehmen würde, glich Maria der Sanftheit in Person und gönnte ihrem Jüngsten seine Eskapaden.

„Er macht dieses Semester den Abschluss, dann fängt er an zu arbeiten. Zeit hat er dann kaum noch. Lass ihm seinen Spaß, der Ernst des Lebens fängt noch früh genug an.“ Dabei schienen ihre sanften Augen sagen zu wollen:

Das weißt du doch selbst nur zu genau.

Ihr Mann pustete Luft durch die Lippen, als würde er dem widersprechen.

„Er wird bald fünfundzwanzig und denkt nur an seinen Spaß und nichts anderes.“

Seine Frau lächelte geduldig über seinen Ärger, als erwachten in ihr gerade persönliche Gedanken. „Ich kannte da vor dreißig Jahren einen Mann, der mich sehr an deinen Sohn erinnert …“

Der Senior verkniff sich eine Bemerkung, hatte die Anspielung verstanden. Sie fügte hinzu: „Und wenn ich das damals richtig mitbekommen habe, warst du auch kein unbeschriebenes Blatt.“

Er blieb ihr die Antwort schuldig. Das lag lange Jahre zurück. Er verstand die Andeutung, wusste aber, dass er seiner Frau diesen Gesinnungswandel verdankte. Seiner großen Liebe, die er seit Anbeginn vergötterte.

„Ihr seid euch in allem so unglaublich ähnlich“, schmunzelte Maria stattdessen. Andreas seufzte zu ihrem Kommentar, kniff sie statt einer verbalen Zustimmung schlichtweg in den Po.

„Manchmal wünsche ich mir, dass dem nicht so sei“, bekannte der Senior. Seine bereits komplett weißgrauen Haare gaben ihm einen weisen und erfahrenen Touch, den er oft ausstrahlte. Sein bloßes Erscheinen strahlte Autorität aus. Er war mit Mitte fünfzig immer noch ein gut aussehender Mann, der es zudem verstand, die Fäden als erfolgreicher Geschäftsmann in der Hand zu halten.

„Ich weiß mein Schatz. Aber lass ihm die Zeit. Auch von mir gibt es ein Donnerwetter, wenn er die Prüfung vermasselt, nur wegen seiner Kumpels. Das habe ich ihm neulich erneut verdeutlicht und ich glaube, er hat es verstanden. In den letzten Jahren waren seine Augen mehr auf Mädchen gerichtet, doch solange er seinen Abschluss passabel hinbekommt, werden wir ihm keine Steine in den Weg legen.“ Sie hauchte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange, als wäre damit ihrerseits alles gesagt. „Außerdem hat er versprochen, heute beim Empfang mit dabei zu sein. Sogar im Smoking, dir zuliebe …“, warf sie ergänzend ein.

Ein anerkennender Blick zeigte sich auf seinem Gesicht. Seine hellen Augen funkelten wie die eines amüsierten Teenagers.

„Oha, na dann kann ja nichts mehr schiefgehen.“ Es schien, als wäre sein Groll auf seinen Sohn verflogen.

In dem Moment klopfte es an der Tür des Ankleidezimmers und die Haushälterin kündigte den eingetroffenen Besuch an.

„Kümmerst du dich um Hohenstein und Bernauer?“, rief er ihr zu, als er sich zur Tür wandte. „Sie haben Interesse an unseren neuen Produkten und ich hätte sie gern mit im Boot.“

Seine Frau lächelte, kannte sie doch bei diesen geschäftlichen Treffen ihre Aufgabe sehr genau. Sie und ihr Gatte waren seit Jahren ein eingespieltes und erfolgreiches Team. Mit einem Lächeln im Gesicht betrachtete sie ihren Mann, in den sie sich vor über dreißig Jahren verliebt hatte. Diese leuchtend blauen Augen waren eines von vielen Details, die ihn mit seinem Sohn verbanden.

Maria Grotenburg konnte verstehen, dass die Mädchen in Scharen hinter ihrem Junior her waren. Er war ein Prachtbursche und verstand es, den jungen Frauen von jeher den Kopf zu verdrehen. Bei ihr hatte es damals nur einen Sekundenbruchteil gedauert, sich in seinen Vater zu verlieben. Gern dachte sie an diesen magischen Moment zurück.

Tims kurze Affären gefielen Andreas überhaupt nicht. Der Ruf des Hauses stand auf dem Spiel und er wünschte sich eine Schwiegertochter, der Beständigkeit und Zuverlässigkeit genauso am Herzen lagen, wie ihm heute, im reiferen Alter, auch. Der junge Mann zockte und jonglierte stattdessen mit den Herzen der Mädchen. In finanziellen Dingen kannte er sich inzwischen bestens aus und sein Vater wusste, dass er in ihm einen würdevollen Nachfolger für seine Firma hatte. Selbstbewusst, gewissenhaft und vorausschauend. Nur die Geschichten mit den Mädchen, die nahm er ihm übel.

Andreas öffnete seiner eleganten Frau spitzbübisch grinsend die Tür.

„Auf in den Kampf, Darling.“

Sie zwinkerte ihm zu. Sie beide wussten, wie wichtig dieser Abend für die Zukunft der Firma war.

 

 

 

 

Kapitel 3

Die Schuhe kniffen und Samantha ärgerte sich, dass sie die neuen schwarzen nicht schon einige Tage zuvor zur Probe getragen hatte. Aber wenn sie diese jetzt kurzfristig auszog, würde sie sie vermutlich nicht mehr über den Fuß bekommen.

Jean, Chef vom Restaurant ‚Paco Domingo‘, bestand auf die vorgeschriebene Dienstkleidung, um ein einheitliches Bild bei den Gästen zu erwecken. Diese Garderobe stellte er dem Personal bereits zu Beginn des Dienstverhältnisses zur Verfügung. Nur die Schuhe sollten sie selbst besorgen. Leider stellten sie sich als Fehlgriff heraus.

Mist!

Die Kernfarbe des Hauses in schwarz und rot entsprach der Dienstkleidung der Angestellten. Die Männer des ‚Paco‘ trugen schwarze Hemden, Hosen und Schuhe sowie ein kleines rotes Einstecktuch in der Hemdtasche. Die Kellnerinnen kleidete ein oben eng anliegendes schwarzes Kleid, das ab den Hüften bis zu den Knien weit fiel. Um den Hals oder wahlweise um die Hüfte trugen die Frauen ein rotes Tuch.

Samantha gefielen die Farben und es kleidete sie mit der leicht gebräunten Haut und den dunklen Haaren vortrefflich. Sie fühlte sich hier im Lokal wie in einer anderen Welt, in die sie fast täglich eintauchen durfte. Sie genoss es, im ‚Paco‘, in der Welt der Reichen, für wenige Stunden erscheinen zu dürfen. Dass sie bediente, störte sie nicht. Ihr gefiel das Klima in dem luxuriösen In-Lokal der Stadt.

Jean war ein wunderbarer Chef und die Kollegen nett und hilfsbereit. Samantha hatte ihre Anfangsschwierigkeiten im Umgang mit den wohlsituierten Gästen, die hier ein und aus gingen, mit Bravour gemeistert und traute sich inzwischen, auf die Menschen zuzugehen und ihre Essenswünsche entgegenzunehmen. Ab und an hielt sie auch ein Schwätzchen mit den Gästen und genoss dabei ihre neue Rolle fernab des Studentenalltags sehr.

Die elektronisch eingegebenen Bestellungen teilten der Küche oder Bar sofort die Wünsche der Kunden mit, damit sie schnellstmöglich bedient werden konnten. Geschwindigkeit und Freundlichkeit galten als das A und O in ihrer Branche und dies entschied über die Höhe des Trinkgeldes, auf das sie angewiesen war. Da die High Society sich gern im ‚Paco‘ traf, war Samantha froh über diese Teilzeitstelle. Denn gerade abends und am Wochenende flossen die Trinkgelder reichlich.

Sie und André, ein Student vom Studiengang ‚International Marketing‘, arbeiteten dort neben dem Studienalltag. Der Rest der Angestellten gehörte zum Stammpersonal.

André zwinkerte ihr zu, was hieß, dass er jetzt im Hinterhof rauchen wollte. Sie nickte zurück, denn nur zu so früher Stunde konnte er sich dieses Extra erlauben, da innen bisher noch keine Gäste saßen. Nach 19 Uhr erwarteten die Angestellten den alltäglichen Ansturm im Innern des Restaurants. Die bisherigen Reservierungen deuteten an, dass es heute wieder brechend voll werden würde. Vier Tische kassierte sie gerade fast gleichzeitig ab, als sich der Terrasse bereits neue Gäste näherten.

Sam beobachtete, wie der elegante Senior am Tisch in der Ecke seine Notizen an einem Tablet beendete und sie glaubte, dass er ebenfalls gleich aufbrechen möchte. Samantha behielt den Außenbereich im Blick. Innen saß derzeit niemand, sodass André nicht unbedingt gebraucht wurde. Kein Wunder, die Sonne schickte ihre letzten Strahlen des Tages vom Himmel und noch war es angenehm, im Freien zu sitzen. Nur ab und an wehte eine leichte Brise auf.

„Lass uns hier draußen sitzen“, schlug eine vornehme Dame ihrem Begleiter vor, der ihr sofort den Stuhl zurechtrückte, kaum dass sie den Terrassenbereich erreichten. Der grauhaarige Mann strahlte eine souveräne Ruhe aus und schmunzelte seiner Begleitung – Frau oder Freundin – gut gelaunt zu. So genau konnte Samantha den Familienstand des unbekannten Paares nicht feststellen. Aber die beiden wirkten vertraut miteinander. Samantha erkannte dies sogar nach dem Abkassieren einige Meter entfernt an ihrem Platz an der Theke. Inzwischen hatte sie ein Gespür für neu ankommende Kunden entwickelt. Ein großer Pluspunkt in ihrem Job.

Die Begrüßung der Gäste, verbunden mit den ersten Worten, um zu sehen, wie sie reagierten und was sie von der Bedienung und dem Lokal erwarteten, empfand sie in ihrem Job als die spannendsten Momente.

Samantha näherte sich den Neuen freundlich, reichte ihnen die Karte, um zu erfahren, ob sie nur Getränke oder vielleicht schon ein frühes Abendessen einnehmen wollten.

„Danke Ihnen“, erwiderte die Frau mit einem melodischen Klang in der Stimme. „Wir warten noch auf jemand, aber sie werden gleich eintreffen.“

Samantha nickte höflich und hinterließ auf deren Wunsch hin für die übrigen Gäste ebenfalls die Speisekarten. Die Dame trug über ihrem weißen Sommerkleid ein schickes Bolerojäckchen, das ihre Hüfte vorteilhaft betonte. Ihren Hals zierte eine exklusive Perlenkette. Am Arm klimperten mehrere Armreifen, die teure Edelsteine zierten. Der Schmuck passte sowohl zu dem Kleid als auch zu der Haarfarbe des Begleiters. Samantha schmunzelte bei dem Gedanken. Ein nettes Bild, das die zwei abgaben, die sich leise und gut gelaunt unterhielten.

Samantha entfernte sich diskret und kassierte bei dem wohlbeleibten Mann zwei Tische weiter ab, der mit einer goldenen Visa Karte bezahlte. Er reichte ihr anschließend einen Schein als Trinkgeld, um daraufhin mit einem leichten Grinsen im Gesicht zu verschwinden.

„Den hätte ich auch abkassieren können“, nölte André, als Samantha den Geldschein schmunzelnd einsteckte. Ruhige Gäste, die gut zahlten. Besser ging es nicht.

„Du die Frauen, ich die Männer, das hast du mir an meinem ersten Arbeitstag gleich verbindlich mitgeteilt.“

„Aber nur die Jungen, und der war ja bestimmt über sechzig.“

Samantha zuckte die Achseln. Der Schalk lachte aus ihren Augen, aber sie schlug ihm versöhnlich auf den Arm. „Okay, wir teilen. Abgemacht? Aber du merkst, dass dir dein Rauchen teuer zu stehen kommt.“

André rollte über die Zweideutigkeit mit den Augen. Samantha grinste ihn an, allerdings erstarrte ihr Gesicht in dem Augenblick zu Eis.

André drehte sich ebenfalls in ihre Richtung und konnte außer zwei neuen Gästen nichts Schlechtes erkennen.

„Wow, was für ein Schnittchen“, entwich es ihm und schluckte überdeutlich bei diesem Anblick. Seiner Kollegin blieb stattdessen die Luft weg.

Oh bitte nicht!

Natürlich konnte es immer sein, dass in der großen Stadt einem jemand Bekanntes über den Weg lief. Auch musste sie damit rechnen, dass sie irgendwann einmal Nachbarn oder Freunde bedienen musste. Aber da sie nicht in der Upperclass wohnte, war diese Gefahr relativ gering. Die Universität lag ebenfalls in einem anderen Stadtteil, doch ihr Albtraum war nun eingetroffen.

Sie atmete tief durch.

„Vergiss ihn. Hetero durch und durch“, zischte sie und versuchte sich so nützlich wie möglich an einer unbenutzten Theke zu machen, sodass sie der Familie den Rücken zudrehen konnte. André liebte es, gut aussehenden, jungen Männern Kosenamen zu verleihen. Dadurch konnte er sich mit Kollegen über seine Schätzchen unterhalten, ohne dass diese es bemerkten. Samantha wusste bereits seit Wochen, dass sein Augenmerk wohl eher dem männlichen Geschlecht galt.

Leider ging das junge Pärchen, das ihren Status mit gefühlten zweitausend Küssen pro Meter signalisierte, direkt auf das eben noch sympathische weiße Paar zu. Samantha schielte zu ihnen. Logisch, dass er sich wieder eine Blondine geangelt hatte. Diese wollte ihm am liebsten nicht nur die Zunge in den Hals stecken, sondern es sah so aus, als wollte sie ihn komplett auffressen.

Wie eklig!

„Schade. Das ist aber immer so. Die besten Kerle sind für euch Frauen. Echt gemein“, schmollte André und seine Stimme nahm einen weinerlichen Klang an. Samanthas Herz schlug währenddessen bis zum Hals.

Er wird mich nicht erkennen, redete sie sich ein. Sonst nimmt er mich auch nicht wahr und in dem Outfit rechnet er nicht einmal mit mir.

„Echt heiß, der Junge.“ André schwärmte erneut und ließ den Schönling nicht mehr aus den Augen.

„Dann übernimm ihn, ich bin dir nicht böse.“

Eher im Gegenteil! Sein Aussehen ist mir so was von egal. Ja, der Typ sieht total sexy aus. Allein sein geschmeidiger Gang ist zum Niederknien …, fiel ihr auf.

Aber so deutlich wollte sie das nicht kundtun.

„Nee, ist deine Seite! Außerdem bin ich grad so wacklig in den Knien“, teilte André leise mit. Samantha wusste zwar, dass André schwul war, aber so deutlich hatte er das noch nie zum Thema gemacht. Sie ließ Grotenburgs noch ein wenig unter sich, dann näherte sie sich nach einigen anderen Bestellungen erneut dem Tisch.

Der Senior musterte sie aufmerksam. Ihm gefiel, was er sah. Sie lächelte verlegen. Denn genau das hatte sie in all den Wochen erst lernen müssen. Mit komplimentierenden Blicken souverän umzugehen, ohne vor Scham im Boden zu versinken.

Sie wartete geduldig, bis Bohnenstange Marke superblond, Tims neue Flamme am Start, ihre Wahl getroffen hatte.

„Bitte mit nur einem Eiswürfel, aber dafür zwei Scheiben Bio-Zitrone“, ergänzte sie die umfangreiche Bestellung von einem kleinen Wasser.

Okay, mein Trinkgeld für diese Mammutbestellung kann ich mir abschminken!

„Aber Sie werden doch sicherlich auch etwas essen“, widersprach Herr Grotenburg irritiert und deutete auf den Zander, den er favorisierte. Tim saß mit dem Rücken zu Samantha, sodass er sie nicht sehen konnte.

„Aber nein, ich muss auf meine Linie achten“, meinte sie abwiegelnd und versuchte keck seine Handoberfläche zu berühren. Herr Grotenburg zog seine Hand weg, deutete stattdessen auf den Fisch, als hätte er den Versuch einer vertrauensvollen Geste nicht bemerkt.

Diplomatisch der Herr!

„Für mich und meine Gattin den frischen Zander und du, Timothy? Auch auf Diät?“

Der leichte Unterton war nicht nur Samantha aufgefallen. Sie verzog hierüber keine Miene, sondern wartete freundlich lächelnd auf die Bestellung.

Wie nennt er ihn? Verdammt, das muss sein Vater sein. Die Augen leuchten in diesem gleichen Blau.

„Ich nehme das Steak, medium, dazu den großen Salat.“

Samantha wartete, ob noch etwas käme. In dem Augenblick drehte Tim sich zu ihr und stutzte, als er sie erspähte.

Samantha senkte den Blick, damit er sie nicht sofort erkannte. Aber die Wahrscheinlichkeit war gering, denn Hunderte von Studenten liefen täglich über den Campus. Sie glich einem Mauerblümchen, wie Angelique oft genug betonte und würde, wenn sie nicht selbst endlich die Initiative ergriff, niemals einem vernünftigen Kerl auffallen.

Aber wollte sie unbedingt einem Typen auffallen? Innerlich verneinte sie es und blickte zu Bohnenstange Modell Magersucht. Die Schlüsselbeinknochen traten bereits augenfällig hervor und auch die Schulterknochen sowie die spitz hervortretende Wirbelsäule waren mit bloßem Auge erkennbar.

Ist es etwa sexy, ein Gerippe zu streicheln?

Samantha war weder dick noch mollig, sondern schlank, dabei aber nicht so dürr, wie es ihr hier gerade von Ms Fizzy Water entgegenblickte. Gegenüber Blondie fühlte sie sich jetzt aber richtig fett und zog unwillkürlich den flachen Bauch ein.

„Noch eine Beilage dazu?“, fragte sie leise.

Lange kann ich den Bauch nicht einziehen, sonst kippe ich aus den engen Schuhen.

Tim blickte sie an, als würde er überlegen.

„Nein, danke. Oder doch, ähm, sind das die knusprigen Kartoffelspießchen?“

Samantha hörte heraus, dass er diese wohl schon gegessen zu haben schien.

Ja, die Dinger sind wirklich lecker, das weiß ich seit letzter Woche, als Jan, der Koch, mir eine Portion überlassen hatte.

Sie nickte und eine leichte Röte schlich sich auf ihre Wangen. Herr Grotenburg senior betrachtete sie dabei aufmerksam.

„Die sind wirklich lecker, auch mit den Dips dazu.“ Sie schluckte über ihre Offenheit und senkte erneut genant den Blick.

„Gut, dann nehme ich das noch dazu.“ Timothy betrachtete sie aufmerksam von Kopf bis Fuß. Sie konnte dem nicht ausweichen, weil er direkt neben ihr saß.

Okay, ich habe schöne Beine, das weiß ich. Das war‘s aber auch schon.

„Kennen wir uns von irgendwoher?“, fiel ihm plötzlich ein und er strich sich mit einer Hand eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht, als wollte er sie ohne Störung genau betrachten. Samantha schluckte, ihr Herz schlug schneller.

„Ich glaube nicht“, murmelte sie verlegen und senkte den Blick noch tiefer. Er stutzte darüber, als würde ihm dieses Verhalten irgendwie bekannt vorkommen.

Blondie ergriff seinen Arm. „Woher solltest du auch eine Kellnerin kennen, mein Schatz.“ Sie lachte künstlich. Er drückte ihre Hand beiseite, als brauchte er Zeit, um über diese Information nachzudenken.

Nein, mit einer Kellnerin würde sich ein Grotenburg bestimmt nicht abgeben, rauschte es durch Samanthas Hirn.

Sie biss sich auf die Unterlippe, lächelte verlegen in die Runde, dann drehte sie sich zur Bar, um die Getränke zu holen.

Hoffentlich ist der Abend bald vorüber!, fiel ihr hierzu nur ein.

So rasch es ging, brachte sie ihnen und an einem weiteren Tisch die bestellten Getränke, um daraufhin neue Gäste zu begrüßen. Ein stetes Kommen und Gehen der Gäste nahm seinen Lauf, sodass die Servicekräfte genug zu tun hatten.

„Ich habe sie hier aber auch noch nicht gesehen“, murmelte Grotenburg senior.

Tim zuckte mit den Schultern. „Ich meine, ich habe sie schon mal gesehen. Vielleicht war es ja auch hier. Keine Ahnung“, tat er das Gespräch ab. Sein Vater blickte erneut zu Samantha, als gefiele sie ihm. Seine Frau legte ihre Hand unter dem Tisch auf sein Bein. Er schmunzelte, als er es spürte. „Ein hübsches Ding“, wischte er seinen Gedanken beiseite. Sie nickte zustimmend, während ihr Blick stattdessen auf die andere junge Frau am gemeinsamen Tisch fiel.

Tims Wahl für diesen Abend ließ seine Mutter die Nase rümpfen. Eng anliegende Markenklamotten zeigten, dass sein jüngstes Betthupferl keinen BH brauchte. Über Geschmack in der Kombination der Kleidungsstücke ließe sich vielleicht diskutieren. Golden glitzerte sie alles hinweg und mit den High Heels reichte sie ihrem groß gewachsenen Sohn bis ans Kinn.

Der vorherige Händedruck blieb Maria Grotenburg schwammig in Erinnerung. Bei dem Gedanken schüttelte sie es innerlich.

Stirnrunzelnd betrachtete Maria deren Maniküre, die mit extralangen künstlichen Fingernägeln beeindrucken wollte. Jeder Fingernagel trug eine andere Farbe als könnte sie sich nicht für eine entscheiden. Sollte das etwa ihre Lebenseinstellung demonstrieren?

Maria überlegte gerade, ob ihr Sohn sich damit letzte Nacht hatte Kratzer am Rücken verabreichen lassen. Sie seufzte bei diesem Gedanken, wollte nicht näher analysieren, wie die beiden die Nacht verbracht hatten.

Ihr Gegenüber brauchte – wie sie mit einem Blick erkannte – dringend eine Ergänzung in Sachen Haarberatung, denn der Ansatz ließ dunklere Haare hervorschimmern, was hieß, dass sie chemieblond bevorzugte. Fraglich war, ob ihr Sohn Frauen mochte, die sich das ganze Jahr über kostümierten ...

Tims Interesse galt seit Jahren ausschließlich blonden Mädchen und gemessen an den Themen, die das naive Kind mit ihren doch schon 23 Jahren, wie sie keck verkündete, anschlug, würde es ein kurzer Abend werden.

Als die junge Kellnerin wenig später geschickt das Menü auf den Tisch stellte, verschwand Jacqueline, wie Tims jüngste Begleitung hieß, bereits wieder, weil sie ihr Pferd bewegen musste. Tim blieb sitzen und wirkte irgendwie erleichtert über ihren frühen Aufbruch.

 

„Woher kennst du sie?“, wollte Andreas knapp von seinem Sohn wissen, als das Modepüppchen mit klappernden Absätzen in ihrem ultrakurzen Röckchen verschwunden war.

„Sie war gestern auch auf dem Konzert. Okay, unterhalten konnten wir uns da nicht richtig, deswegen wollte ich sie heute etwas besser kennenlernen.“

Sein Vater nickte gütig, aber er kämpfte damit, nichts Falsches zu sagen.

„Du lernst also deine Mädchen erst danach kennen.“

Der Sarkasmus war deutlich herauszuhören. Er wusste, dass sie vergangene Nacht miteinander verbracht hatten, denn sein Sohn war gestern nicht mehr zu Hause erschienen. Ins Elternhaus durfte er die Bettgespielinnen nämlich nicht bringen, das hatten seine Eltern bereits vor Jahren entschieden.

„Mensch, Paps. Eigentlich wäre ich heute gar nicht hier, sondern mit Sven unterwegs.“

„Aber es ist schön, dass du mal wieder etwas mit uns unternimmst“, unterbrach Maria den aufkommenden Streit.

Ihr Mann grummelte ebenfalls seine Zustimmung. Vater und Sohn sahen sich nur selten, sodass es bei gemeinsamen Treffen wichtigere Themen gab, als das Liebesleben des Sohnes zu erörtern.

„Na kommt, bestellen wir uns noch einen Nachtisch, jetzt ist die Familie unter sich“, ergänzte der Junior versöhnlich und winkte die Kellnerin heran. Er hatte sehr deutlich gespürt, dass seine Eltern seine Eroberung nicht mochten.

Okay, die Floskeln mit ihr konnte er vergessen. Aber die Nacht war geil. Mehr hatte er von ihr nie gewollt. Aber das behielt er gegenüber seinen Eltern lieber für sich, denn in diesem Bereich vertraten sie eine vollkommen andere Einstellung als er.

„Bringst du uns noch die Nachtischkarte?“, rief er lautstark Samantha zu, die sofort nickte und sie wenige Sekunden später reichte.

Souverän ließ Tim seinen Blick darüber schweifen, als suche er etwas Bestimmtes. Samantha blieb am Tisch stehen, da es so aussah, als wüsste er bereits, was er nehmen wollte.

„Also mit den Desserts hier kenne ich mich nicht so aus“, murmelte er nachdenklich. Samantha wartete geduldig.

„Haben Sie denn einen Tipp für einen jungen Mann, der unschlüssig in der Dessertwahl ist?“, forschte Herr Grotenburg nach und verkniff sich ein Grinsen, als er Tims Unentschlossenheit bemerkte. So unsicher kannte er seinen Sohn nicht, denn normalerweise wusste er immer sofort, was er wollte.

„Oder lieber etwas Herzhaftes?“, schlug Samantha vor. „Vielleicht aber auch einen Cocktail oder einen Kaffee?“

Tim blickte sie lange an. „Wir kennen uns irgendwoher“, murmelte er stattdessen.

„Wir haben hier auch besondere Kaffeesorten“, wich sie aus und flüchtete zu Jean, um eine spezielle Karte mit exklusiven Kaffee- und Teesorten zu holen.

„Sehr beliebt ist hier auch die Käseplatte“, kam es ergänzend zu einigen anderen französischen Süßspeisen, weil Tims Unentschlossenheit ihre Zeit kostete. Seine Langsamkeit in Bezug auf die Bestellung betrachtete sie als reine Provokation.

Als ein Windstoß in dem Augenblick eine Serviette überraschend vom Tisch verabschiedete und sie sich spontan danach bückte, als Tim immer noch unentschlossen die Dessertkarte durchsah, ritt sie der Teufel. Ihr rutschte leise ganz in Gedanken eine Bemerkung heraus, die nicht für fremde Ohren bestimmt war: „Lebendigen Nachtisch haben wir nicht!“

Als sie die Blicke der Männer registrierte, schoss ihr die Röte ins Gesicht.

Shit! Habe ich das gerade laut gesagt?

Seine Mutter blätterte derweil noch in der Karte, als hätte sie von dieser Bemerkung nichts mitbekommen. Samanthas Herz schlug turboschnell.

„Ich kann nachher noch einmal kommen“, wich sie aus, als Jean ihr das rettende Zeichen gab, sich um einen anderen Tisch zu kümmern. Der Innenbereich füllte sich bereits zusehends. Annegret, die inzwischen eingetroffen war, und André handhabten den Trubel so gut es ging.

Herr Grotenburg blickte ihr lange nach. Samantha wollte genau diesen Augen ausweichen und floh so schnell sie konnte zu einem anderen Tisch. Jean deutete mit den Augen zu den Gästen, die sofort bedient werden mussten. Von seinem Platz aus hatte er alles bestens im Blick. Die wortlose Kommunikation klappte hervorragend.

Inzwischen ergänzten weitere Mitarbeiterinnen den Abenddienst im ‚Paco‘. Annegret flitzte genauso umher wie Samantha und André. Nur Berni unterhielt sich noch mit einer anderen Kollegin über den Dienstplan.

Samantha rieb sich hinter dem Tresen ihre Füße. Ihre Beine schmerzten und sie wusste mit Sicherheit, dass sie diese Schuhe morgen erst einmal nicht tragen würde. Berni übernahm auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin den Grotenburg-Tisch. Sie ließ sich dort lieber nicht mehr blicken. Das Trinkgeld konnte sie sich ohnehin abschminken.

Warum kann ich auch nicht meinen Mund halten! Das ist mir doch noch nie passiert, verfluchte sie ihren vorlauten Kommentar.

Das dicke Ehepaar mit britischem Akzent verließ den Raum, sodass sie deren Tisch den drei Männern anbot, die keine Reservierung vorweisen konnten. Schulfreunde, die sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatten. Sie überreichte ihnen einen Begrüßungsdrink auf Kosten des Hauses, um die Stimmung zu lockern.

Jean zwinkerte ihr zu. Er liebte Samanthas Einfälle, die bei den Gästen immer gut ankamen. Die Ex-Abiturienten prosteten sich zu und es war abzusehen, dass es ein feuchtfröhlicher Abend werden würde.

Grotenburgs verschwanden nach einer üppigen Dessertrunde der Extraklasse. Samantha bekam nicht einmal mit, für welchen Nachtisch sie sich letztendlich entschieden hatten. Ebenso wenig interessierte sie, wen Tim heute Nacht wieder flachlegen würde. Sie fand diesen Typen einfach nur widerlich. Reicher Schönling, der sich nahm, was er wollte.

Herr Grotenburg grüßte noch einmal in ihre Richtung, bevor er mit seiner Familie das Gebäude endgültig verließ. Sie lächelte anstandshalber, blickte ihnen scheu nach, froh darüber, dass sie diesen Abend bald hinter sich hatte.

 

Müde streifte sie sich zwei Stunden später in der Wohnung die Schuhe von den Füßen, um sich für den morgigen Tag vorzubereiten. Angelique hatte schon lange den Feierabend eingeläutet und winkte ihr nur kurz zu, bevor sie mit Lockenwickler im Haar im Bett verschwand. Wahrscheinlich schmückte sie morgen wieder eine irre Haarmähne. Samantha seufzte bei dem Gedanken.

Angelique verstand es meisterhaft, sich zu kleiden. Samantha hingegen kramte gelangweilt Minuten später noch einmal in ihrem Kleiderschrank, um eine einigermaßen passable Hose für den nächsten Tag zu finden. Eine helle Jeans und ein weißes, weites Hemd erschienen ihr genau richtig. Falls es wieder so warm werden würde, könnte sie es ausziehen und mit dem Top ... aber so warm würde es nicht werden. Sie trug gern etwas Kuscheliges, in das sie abtauchen und sich verstecken konnte.

Angelique hatte sie vor einigen Tagen davon überzeugt, sich endlich einmal ein Kleid zuzulegen. Seitdem ruhte das bunte Etwas im Schrank und fristete zwischen Jeans, Hemden und Sweatshirts sein Dasein. So brüllend warm sollte die Temperatur nicht werden, weshalb es für dieses Mal nicht infrage kam. Aber irgendwann würde der Sommer kommen, und dann würde sie sich auch einmal mit einem Kleid an die Uni wagen …

Irgendwann bestimmt.

Samantha schloss die Schranktür und blickte zu ihrem Schreibtisch. Morgen stand Betriebswirtschaft als Thema an. Vielleicht könnte ein Blick in die Fachbücher – nur wegen des guten Gewissens versteht sich – ihr ein sanftes Ruhekissen bereiten?

 

 

 

 

Kapitel 4

 

„Das ist doch bescheuert! Nie im Leben!“

Die jungen Männer hielten wenige Tage später das Kartenspiel wie Profis auf der Hand, um sich gegenseitig nicht in die Karten schauen zu lassen. Spiel war Spiel und das wollte keiner von ihnen verlieren.

Im Hintergrund beleuchtete die untergehende Sonne den vereinzelten Liebespärchen, die rund um den See flanierten, deren romantisches Treffen. Die Gaststätte am See wirkte in den Abendstunden wie leer gefegt. Nur wenige Gäste tummelten sich hier, um die verbliebenen hellen Minuten im Außenbereich zu genießen.

„Hat sie! Ehrlich, wenn ich es dir doch sage!“

Der Mann in der Lederjacke hatte sich warm geredet und wiederholte erneut, wie seine Ex-Flamme ihn linken wollte, bevor er sie auf frischer Tat ertappte.

„Aber geil war es schon. Pech, jetzt hat sie die Staatsanwaltschaft im Nacken. Dumm gelaufen für die Kleine.“

Der blonde Mann zuckte mit den Achseln. „Kleine ist gut, sie war vier Jahre älter als du und ging stramm auf die dreißig zu.“

„Ich meinte doch ihre Größe, du Hirni. Sie war einfach süß klein.“

Der Blonde spielte eine neue Karte aus.

„Egal ob klein oder groß. Ist doch egal, ist nur für eine Nacht“, feixte er und deutete auf seine Karte, damit sein Freund endlich nachlegte.

„Also es ist nicht so einfach für mich“, warf der dunkelhaarige René betrübt ein. „Die stehen wohl mehr auf Blonde. Schwarz ist out.“ Daraufhin schmiss er schwungvoll eine Karte auf den Stapel.

„Nur kein Neid. Dir fehlt der Sex-Appeal. Das ist alles. Ein Blick von mir und sie liegen alle flach.“

Souverän knallte Tim nach einigen Bierchen in aufgeheizter Stimmung eine weitere Karte auf den Stapel.

„Alle?“, hakte René kritisch nach.

„Alle!“, kam es überzeugt. Eine Gestalt mit rotblonden Haaren näherte sich dem Tisch und setzte sich dazu.

„Joshua magst du noch was trinken?“, hakte Tim nach. „Ich muss demnächst gehen, morgen bin ich bei Fassbender, der setzt mich ganz schön unter Druck. Aber seinen Schein brauch ich noch für die Prüfung.“

„Und dann ist die Studentenzeit vorbei“, äffte René seinen Kumpel nach.

„Dann ist es vorbei, wie wahr. Aber ich kam auf meine Kosten, nur kein Neid“, kam es großkotzig von Tim. Der Alkohol verlieh ihm dieses lose Mundwerk.

„Und irgendwann ist dann doch eine, die „nein“ sagt!“, ergänzte René, blickte ihn triumphierend an, als hätte sein Freund dies mit seiner Anspielung gemeint.

„Niemals!“, donnerte Tim eine weitere Karte obenauf.

Joshua runzelte die Stirn. „Sag niemals NIE!“

„Früher oder später kriege ich sie. Hundertprozentig!“, grinste Tim siegessicher in Richtung seiner Freunde. Joshua und René blickten sich gegenseitig an, als wüchse in ihnen der gleiche Gedanke.

„Dann suchen wir dir eben einen besonders hartnäckigen Fall, damit du auch einmal eine Niederlage kassierst, du Angeber.“ René hasste es, dass Tim ihm immer die geilsten Bräute wegschnappte. Ihm genügte es schon, dass sein Kumpel Jahrgangsbester war. Dann musste er nicht noch bei den Mädels die Nase vorn haben. Tim lachte, legte sein Kartenblatt auf den Tisch.

„Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Ich ziehe Letzteres vor“, gab er sich geschlagen, als René seine Trumpfkarte ausspielte und ihn als Loser betitelte.

„Du meinst Sex, Tim, puren Sex.“ René lachte dreckig, als schien ihm der Gedanke zu gefallen.

Tim deutete mit dem Finger auf ihn. „Genau. Wenn nicht jetzt, wann dann? Jetzt habe ich noch Zeit dafür. Ich sehe das bei meinem Alten, wenn ich später den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch sitze oder in der Welt herum jette, dann geht das nicht mehr.“

Er stand auf.

„Aber ich wette, dass du nicht jede rumkriegst, um mit dir in die Kiste zu steigen“, begann René erneut. Tim grinste siegessicher. „Da halte ich dagegen. Ich kriege jede, die ich will.“ Die Männer sahen sich an. Der Kampfgeist war erwacht.

„Ich wette, dass ich dir eine vom Campus aussuche, die dir die lange Nase zeigt.“

Tim lachte, als schien ihm der Gedanke zu gefallen.

„Ich kriege sie alle. Da gehe ich jede Wette ein.“ Sein Selbstbewusstsein schlug alle Rekorde.

René hielt ihm die offene Hand hin. „Dann wetten wir um drei Kästen Schampus. Wenn du sie nicht nagelst, musst du blechen. Bekommst du es hin, dann zahle ich.“

Tim überlegte kurz. „Darf ich mit aussuchen?“, bat er, wirkte aber nicht abgeneigt gegenüber dieser Mutprobe. Die Freunde schüttelten synchron den Kopf. Ein weiterer Kumpel kam noch hinzu, um diese Absprache mitzuerleben.

„So siehst du aus. Wir suchen dir eine Braut aus, an der du dir einen abbrichst, das verspreche ich dir.“ René grinste. Sven schlug René unterstützend auf die Schulter. Der Gedanke schien auch ihm zu gefallen.

„Von der Uni?“, hakte Tim erneut nach, der sich dort Bonuspunkte erhoffte.

„Yes, aber wir suchen sie aus und es gibt keine Widerworte.“

„Aber bitte nicht hässlich, denn das törnt total ab.“

„Eine, die nichts von dir wissen will. Das ist die Bedingung, der Rest ist mir doch egal … Ich glaube, ich habe da sogar schon eine im Kopf.“ René zwinkerte Sven zu, der verwundert die Stirn runzelte, als wäre er selbst planlos.

„Na dann sucht mal schön. Schätze mal, dass es so jemand nicht gibt.“

„Schlag ein, Tim, wir suchen die Braut und du fickst sie einmal, dann hast du die Wette gewonnen. Das ist der Deal.“

Tim schlug siegessicher in die offene Hand. Sven und Joshua fungierten als Zeugen.

„Und über die Frist können wir noch reden, da bin ich nicht so zickig, wie deine Mädels. Hauptsache noch vor den Abschlussprüfungen …“ René grinste ihn an und rieb sich die Hände, als wäre es sich seines Sieges bereits sicher. Aber bis dahin waren noch einige Wochen …

„Bis morgen, du Aufreißer. Und ich freue mich schon auf den Schampus. Den aus Frankreich, letztes Jahr an deinem Geburtstag, der war nicht schlecht.“

Tim hob drohend die Hand. Diese Flaschen hatte sein Vater damals großzügigerweise gesponsert. Diesen beachtlichen Einsatz wollte er nicht für so eine Jungenwette aufs Spiel setzen.

Grinsend verschwand er und freute sich schon, wen sich die Jungs aussuchen würden. Egal wen, er rechnete damit, dass er bis in wenigen Tagen als Sieger hervortrat. Ehrensache! Die Mädels liebten ihn. Schmunzelnd nahm er ein Taxi in seine Penthouse-Wohnung.

 

 

 

 

Kapitel 5

 

Stimmengewirr und Lachen tönten über den Campus, dem großen Universitätsgelände, als sich die Studenten von den Parkplätzen oder den Bahnstationen in Richtung Vorlesungen begaben.

Angelique und Samantha bewohnten gemeinsam seit wenigen Wochen eine Zweizimmerwohnung. Die Wohngemeinschaft gefiel beiden. Samantha fuhr entfernungsbedingt seltener zu ihrer Mutter, während Angelique die freien Tage oft zu Hause verbrachte.

Das Wochenende war vorüber und Angelique würde wieder den 9-Uhr-Zug nehmen und erneut einige Minuten später in die Vorlesung kommen. Ein typischer Montag eben. Samantha erkannte viele bekannte Gesichter aus den anderen Semesterstufen, ging aber mit raschen Schritten an ihnen vorbei, um zeitig genug im großen Hörsaal für sich und Angelique freie Plätze zu ergattern.

Auf den großen Steinen saßen in der frühen Morgensonne ebenfalls keine Unbekannten. Botz-Kotz lachte gerade über irgendeinen blöden Kommentar viel zu laut und ihr kam es so vor, dass sie über diverse Studentinnen ihre Witze rissen. Also alles wie immer.

Einfach ignorieren, redete sie wie in einem Mantra auf sich ein.

Wenn sie jetzt zu ihnen sähe, begänne die Lästerei über ihre Person. Ein bekanntes Szenario, wenn jemand, der ihnen nicht in den Kram passte, vorüber schritt.

Dann stupste Mister Kotzbrocken mit Namen René jemand neben sich, und sein Blick deutete in ihre Richtung.

Samantha biss sich auf die Innenbacken, wusste, dass sie an den Typen vorbei musste, weil sie in den wenige Meter entfernten Hörsaal strebte.

So ruhig wie möglich versuchte Samantha – trotz wild pochendem Herzen – an ihnen vorüberzugehen. Mit nach vorn geneigtem Kopf betrachtete sie äußerst interessiert ihre Sneakers, als gäbe es gerade nichts Spannenderes in ihrem Leben. Damit wich sie deren Blicken aus, um von keinem dieser Herren auch nur einen Funken Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ein blonder Schopf blickte daraufhin in ihre Richtung und ohne genau hinzusehen, war ihr sofort klar, wessen leuchtend blaue Augen sie musterten.

Samantha spürte Tims Blick auf sich, als würden seine hellen Augen sie lasern. So senkte sie den Kopf noch tiefer, damit ihre halblangen Haare ihr Gesicht verdeckten. Neulich im Lokal hatte sie die Haare zu einem kleinen Zopf zusammengebunden. Sie hoffte, dass er sie deswegen – und auch wegen des schlichteren Outfits – nicht erkannte.

Bitte jetzt keinen doofen Kommentar, flehte sie innerlich.

„Und, wie wär‘s mit ihr?“, hörte sie Botz rauchige Stimme. Er sprach mit Tim, der nicht sofort antwortete, ihr aber stattdessen ungewöhnlich lange nachblickte.

Samantha spürte seinen Blick deutlich, beschleunigte fast unmerklich ihren Schritt, bevor sie ihre vor Angst schweißnassen Hände an der Jeans abwischte, um die Eingangstür zu öffnen.

 

Zum Glück alles gut gegangen, dachte sie und verschwand im Hörsaal, um sich in der Mitte des Ganges direkt am Rand ihren Platz zu suchen. Ihre Tasche legte sie demonstrativ, als sich der Saal füllte, auf den Platz links neben sich. Die Sitzreihen waren eng. Einziges Zugeständnis an das Mobiliar galt ein Klapptischchen am vorderen Sitz, um eigene Schriften zu ergänzen. Hochgeklappt konnten die Studenten sich auf den leeren Plätzen einfinden. Mehr Entfaltungsfreiheit bestand nicht.

Die Geräusche der eintrudelnden Studenten nahmen zu. Sitzflächen wurden runtergeklappt, Taschen deponiert, Erlebnisse ausgetauscht.

In diesem Trubel meldete ein kleiner melodischer Klang Samantha eine SMS an.

„Zug verpasst. Brauche später deine Unterlagen“, lautete die Nachricht gekrönt von einem Smiley, der die Augen verdrehte. Samantha schmunzelte über diese Info.

Angelique hatte bestimmt ein anstrengendes Wochenende gehabt, wenn sie nicht einmal rechtzeitig zum Bahnhof gelangte. Wahrscheinlich würde sie es ihr später live berichten wollen. Sam seufzte und holte, als ihre Sitzreihe gefüllt war, ihren Collegeblock um ihn samt Schlampermäppchen griffbereit für wichtige Notizen vor sich abzulegen.

Die Türen des Saales schlossen sich, Ruhe kehrte allmählich ein.

Neben ihr im Gang blieb überraschend eine große Gestalt stehen. Sie ignorierte sie, doch als einige Studenten daneben zu dem Riesen aufschauten, blickte sie hoch.

„Darf ich mich zu dir setzen?“ Beim Klang der bekannten Stimme zuckte sie zusammen.

„Ähm“, kam es geistreich von ihr.

Verdammt! Natürlich hat er den einzigen freien Platz gesehen, der Saal ist proppenvoll.

Tim deutete mit den Augen auf Angeliques Platz.

„Der ist besetzt“, ließ sie mit belegter Stimme verlauten, blickte ihn wegen dieser Lüge aber besser nicht an.

Du schlechte Lügnerin. Blöde christliche Erziehung. Angelique hat abgesagt. Dieser Platz ist definitiv frei!, korrigierte ihr schlechtes Gewissen.

Neben dem freien Sitzplatz rutschten bereits zwei Studentinnen bereitwillig zur Seite, um dem Schwarm der gesamten Uni Platz anzubieten.

Tim fixierte Samantha, die auf ihren Schoß blickte, um ihn nicht ansehen zu müssen.

„Tim, hier ist frei“, bot eine Reihe vorn eine üppige Blondine an.

Wie viele Blondinen gibt es hier eigentlich? Falle ich als Einzige aus dieser Norm?, fragte sie sich.

Auf einmal beugte er sich zu ihr hinunter, dass sein Atem ihr Ohr kitzelte. „Kartoffel-Spießchen oder soll ich dir lieber einen anderen Namen geben?“

Wie nennt er mich? Oh Gott, er hat mich erkannt!

Ihr schoss die Röte ins Gesicht, und obwohl sie den Kopf sofort senkte, hatte er es bemerkt. Ein siegessicheres Schmunzeln huschte über sein Gesicht.

Vorsichtig schielte sie hinter einer Haarsträhne zu ihm nach oben.

„Darf ich mich zu dir setzen?“ Seine Frage war diesmal sogar freundlich, ohne diesen fordernden Unterton, den er sonst an den Tag legte.

Samantha schluckte. Als einige Köpfe sich bereits zu ihr drehten, nickte sie kurz, um dieses peinliche Szenario abzukürzen. Sie stand aber nicht für ihn auf, sondern bog ihre Beine nach außen in den Gang, sodass er sich an ihr vorbei quetschen konnte und innen, links von ihr, saß. Schweigend ließ sie ihre Tasche auf den Boden gleiten, damit er Platz fand.

Die Studentin an der Innenseite der Sitzreihe strahlte Tim begeistert über sein Auftauchen an. Samantha hoffte, dass er endlich seine langen Beine unterbrachte, sodass sie sich dann doch noch auf den Dozenten, der gerade den Raum betrat, konzentrieren konnte. Samantha wollte in wenigen Wochen bei ihm vorzeitig die ersten Zwischenprüfungen machen. Dr. Fassbender hatte ihr dies vorgeschlagen, nachdem er ihr Potenzial erkannt hatte und sie einige Probearbeiten bereits im letzten Semester bei ihm abliefern durfte, die ihm sehr gefielen. Samantha beachtete ihren derzeitigen Sitznachbarn überhaupt nicht mehr und versuchte, ihn irgendwie komplett aus ihrem Kopf zu verdrängen.

Tim schrieb nichts mit, sah stattdessen zu ihr hinüber. Sie begrenzte es auf einige Formeln und löste die Aufgaben, die Dr. Fassbender am Whiteboard erklärte, selbstständig und ohne Zögern. Tim staunte über ihre rasche Umsetzung des Lernstoffs. Während Samantha ihn ignorierte, ruhten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Michelle Robin
Cover: Ein herzliches Dankeschön an pixabay.com
Lektorat: Herzlichen Dank an Divina, Uwe, Lory und anderen, die mich mit Tipps und Ideen unterstützten.
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2019
ISBN: 978-3-7487-1871-0

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /