Cover

Vorwort

 

 

Nach dem überraschenden Tod ihres Ehemannes steht Josefine hochschwanger und alleinerziehend vor den Trümmern ihrer Ehe.

Ihr gelingt es, das Leben mit ihrer kleinen Familie auch ohne männlichen Beistand zu meistern.

Ihr kauziger Nachbar Mark entpuppt sich als hilfsbereiter Mensch, der ihr ab und an unterstützend beiseite steht.

Auf Anregung ihrer Freundin will sie ihrem Liebesglück auf die Sprünge helfen und stößt in den Kontaktanzeigen auf den sympathischen Tom,

der sie sehr an ihren verstorbenen Mann erinnert. Für die weitere Recherche nach Mr. Right nutzt Josefine zusätzlich das Internet,

um in einem Chatroom nach dem idealen Partner Ausschau zu halten. Dabei gerät sie in den Fokus einer rätselhaften Gestalt, die sie nicht mehr loslässt.

Wem soll sie ihr Herz verschenken?

Es stellt sich schnell heraus, dass es steinig sein kann, den Weg zum richtigen Partner zu finden.

Eine amüsante Geschichte über Höhen und Tiefen des Lebens auf der Suche nach der großen Liebe ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Info:

 

Alle Personen sind frei erfunden.

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Menschen ist rein zufällig.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung der Autorin zulässig.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen sowie das Speichern und Verarbeiten in elektronischen Systemen.

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an meine Kolleginnen, Freunde, Test -und Korrekturleser, ohne die ich diese Geschichte nie veröffentlicht hätte.

Eine gute Unterhaltung bei dieser Geschichte

wünscht

Michelle Robin

Prolog - Zwei Jahre zuvor

Dunkle Wolken hingen schwer über der Stadt. Hoch konzentriert nahm Johannes um 12 Uhr die Auffahrt zur Autobahn. Die Zeit drängte, weil er pünktlich fürs Meeting im Büro zurück sein musste.

Siedend heiß wart ihm vor wenigen Minuten eingefallen, dass sein Stick und sämtliche Unterlagen, die er für eine weitere Präsentation am Nachmittag benötigte, noch zu Hause auf dem Schreibtisch lagen. Wütend über seine eigene Schussligkeit, beschleunigte er, um sich in den fließenden Verkehr einzureihen. Schließlich wollte er für dieses wichtige Geschäftstreffen nicht zu spät in der Firma erscheinen.

Heute früh war er bereits zu spät im Büro eingetroffen, was aber nach der Nacht, die er hinter sich hatte, auch kein Wunder war.

Ein verschmitztes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.

Die Nächte in Düsseldorf genoss er in jüngster Zeit besonders. Aber das war sein persönliches Geheimnis.

Zum Glück ließ der Regen inzwischen etwas nach.

Nein, die Zeit mit ihr wollte er nicht missen, auch wenn ihn die Rückfahrt jetzt fuchste.

Vielleicht hätte er seine Frau anrufen sollen, dass sie ihm die Verträge vorbeibringt, denn dann hätte er Zeit gehabt, um …

In Gedanken gab er erneut Gas. Die Zeit drängte.

Hätte, hätte, Fahrradkette!

Erhitzt vor Aufregung öffnete Johannes den Hemdkragen und lockerte mit einer Hand seinen Schlips.

 

Der Motor seines BMWs dröhnte, als er viel zu schnell nach Hause zurückfuhr. Die viel befahrene Autobahn ging ihm auf die Nerven. Während der häufigen Fahrsteifenwechsel betete er, dass seine Dienstmappe am richtigen Platz lag. Seine kostbare Zeit in unnötiges Suchen zu verschwenden, kotzte ihn sonst noch mehr an.

Die linke Straßenseite gehörte ihm und mit etwas Glück konnte er, wie sein Blick auf die Rolex bestätigte, rechtzeitig wieder an seinem Arbeitsplatz sein.

Plötzlich zog vor ihm völlig überraschend ein Mittelklassewagen auf seine Spur und schnitt ihn.

„Verdammt! Pass doch auf!“, schrie er und bremste seinen BMW kurz ab, sodass er zwar Geschwindigkeit einbüßte, das andere Auto aber einscheren konnte.

Idiot!

Der Renault vor ihm beschleunigte schnell, sodass Johannes Fuß zum Gaspedal glitt.

Der Lieferwagen rechts neben ihm überholte ihn wegen seines vorherigen Bremsmanövers leicht.

Erpicht darauf, schnell vorwärtszukommen, gab Johannes erneut Gas, als der Lkw plötzlich überraschend auf seine Seite ausscherte.

Panisch starrte er auf das immer dichter vor ihm auftauchende Seitenteil des riesigen Fahrzeugs.

‚Blumen frisch aus Holland‘ las er noch, als der weiße Laster ihn in voller Wucht zur Seite drückte. Das laute Geräusch von schrammendem Metall drang in seine Ohren, als er verzweifelt auf die Bremse trat, um sich von dem Lieferwagen zu trennen.

Es gelang nicht. 

Sein starrer Blick fixierte den Lkw, der ihn unaufhaltsam immer weiter in Richtung Mittelplanke schob. Die fest arretierten Betonpfosten gaben nicht nach. Johannes wurde im Auto eingequetscht und durch die Geschwindigkeit des großen Fahrzeugs etliche Meter mitgerissen. Metall barst. Glas splitterte. Kalte Luft schlug ihm entgegen, als sein Auto seitlich aufriss.

Der Lärm des berstenden Wagens übertönte den Schmerzensschrei.

Die Feuerwehr schnitt seinen Körper anschließend aus dem Fahrzeug. Der Unfallverursacher kam mit einem Schock davon.

„Sieht schlecht aus“, meinte der ältere Polizist, als die Ambulanz den Schwerverletzten mit Martinshorn in die Uniklinik brachte. „Bei diesen Quetschungen von beiden Seiten half auch der Airbag nicht wesentlich.“ Dabei schüttelte er den Kopf.

Einer seiner Kollegen notierte sich etwas für den anschließenden Bericht in seinen Unterlagen.

„Informierst du die Angehörigen? Er hat bestimmt ein Handy dabei …“

Der junge Verkehrspolizist schüttelte den Kopf. „Die Sanis haben alles mitgenommen. Das Krankenhaus kümmert sich darum, haben die vom RTW gesagt.“

Schweigend betrachteten sie die Unfallfahrzeuge, die weiträumig die Fahrbahn blockierten.

Die schrottreifen Fahrzeuge mussten vom Abschleppdienst aufgeladen werden. Inzwischen rollte der Verkehr wieder zweispurig, begleitet von neugierigen Gaffern, rechts an der Unfallstelle vorbei.

 

„Scheußlich, so etwas“, resümierte der grauhaarige Polizist. Was er genau damit meinte, blieb unausgesprochen. Sein Kollege nickte zustimmend.

Zwei Stunden später erinnerte nur noch die Kreidespur an das Geschehen.

 

 

 

Kapitel 1 - Schmerzhafte Zeit

Die Sonne schien nach einem langen, kalten Winter mit warmen Strahlen vom Himmel und deutete die vertraute Wärme des nahenden Frühlings an.

Der Boden, der sich manchmal noch hart von der kalten Jahreszeit zeigte, erlaubte Schneeglöckchen und bunten Krokussen bereits den Blick aus dem Erdreich. Die ersten Frühlingsboten reckten sich in bunter Pracht. Ein erfrischender Anblick nach den frostigen Monaten zuvor.

Auf dem Friedhof des kleinen Städtchens, wenige Kilometer westlich von Düsseldorf, waren unter der Woche nur wenige Menschen zu sehen.

Eine Frau mit schulterlangen, blonden Haaren harkte in Gedanken versunken einen Teil des Grabes.

Auf dem kostspieligen Grabstein war in Goldbuchstaben der Name des Verstorbenen eingraviert.

 

Johannes Behrens

 

Das Datum zeigte, dass der Verstorbene am heutigen Tag vor genau zwei Jahren im Alter von 38 Jahren aus dem Leben gerissen worden war …

Die Frau legte die Harke auf die Seite und riss schweigend nur noch das letzte verbliebene Unkraut aus der Erde heraus. Tränen zeichneten eine Spur auf ihrer Wange, während sie leise mit gesenktem Kopf arbeitete.

Wortlos zupfte sie die Gräschen und Blättchen weg. Eine ältere Frau, mit einer für ihr Alter auffallend bunten Jacke und grauem Kurzhaarschnitt, näherte sich mit der Friedhofsgießkanne dem Grab.

Sie goss unterstützend die frisch eingesetzten, bunten Pflanzen, während die jüngere Frau sich in dem Moment nach einem Kleinkind umdrehte, das gerade vergeblich versuchte, eine Vesperdose zu öffnen.

Schweigend wischte sie sich eine Träne aus dem Gesicht, dann öffnete sie ihrem Sohn die Dose, um ihm daraus einen Apfelschnitz zu reichen.

Sie lächelte in Gedanken, als sie ihn anblickte. Der kleine Mann reichte ihr das Apfelstück, um es ihr anzubieten, so als wolle er seine Mutter damit trösten. Das Kind spürte, dass seine Mutter traurig war, und wollte ihr helfen. Sie lächelte ihm zu.

„Iss ruhig, der Apfel ist für dich!”

„Essen?”, fragte der kleine Blondschopf mit den treuherzigen blauen Augen, wie sie nur Kleinkinder haben konnten.

„Ja, du darfst den Apfel essen.”

Und nach einem Wort, das wie „essen” klang, wurde das Apfelstück schmatzend und voller Wonne verspeist. Der Junge strahlte seine Mutter an. Für ihn schien die Welt in Ordnung, solange er etwas zu essen bekam und er bei seiner Mutter war.

 

„Johannes wäre sehr stolz auf dich, Josi”, bemerkte die ältere Frau. „Und auf seine Kinder natürlich auch!” Josefine schluckte in Gedanken. „Ich weiß, Mama.“

Ihre sechzigjährige Mutter war dankenswerterweise seit gestern bei ihnen, um Josefine an diesem ihr so schweren Tag zu begleiten. Josefines Vater Arnd steckte aktuell geschäftsbedingt in Schweden, sodass er seine Frau spätestens übermorgen am Ferienort für den gemeinsamen Urlaub an der Ostküste treffen wollte.

 

Während Josefine in Gedanken weiter die Erde harkte, schoben sich die letzten gemeinsamen Stunden mit ihrem Mann in ihr Gedächtnis:

 

Es regnete und der Tag, als wir uns zuletzt sahen, begann recht hektisch, weil Johannes verschlafen hatte und ich selbst gerade dabei war unsere kleine Tochter anzuziehen.

 

Johannes war immer schon ein Langschläfer und kostete jede Minute im Bett aus. An diesem Morgen war ihm eingefallen, dass er eigentlich schon eine Stunde früher im Büro sein wollte, sodass er sich nicht gerade freundlich – er ist schon immer ein Morgenmuffel gewesen – von ihr verabschiedet hatte.

 

Ich sah ihm nur noch vom Küchenfenster aus nach und hoffte, dass er nicht in den Stau geriet.

 

Ihr selbst hatte er nicht mitgeteilt, dass er früher ins Büro wollte, sonst hätte sie ihn geweckt.

Ihr blieb, wie so oft, nur ein Nachsehen, wenn er wieder viel zu schnell die vielen PS seines neuen BMW für die Nachbarschaft demonstrieren wollte.

 

Nein, ich habe damals nicht gewusst, dass er für die Präsentation am nächsten Tag den Schnellhefter und den Stick benötigte, der noch auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer lag.

Ich habe auch nicht gewusst, dass mein Mann wieder einmal die Nacht durcharbeiten würde, wie er mir damals immer mitgeteilt hatte, und erst am nächsten Abend nach Hause kommen wollte.

Nein, Johannes hat mich auch nicht angerufen, dass er nach vier Dienststunden am nächsten Tag im Düsseldorfer Büro wieder wegen der fehlenden Unterlagen kurzfristig zurückfahren wollte, einzig, um diese vergessenen Dokumente zu holen.

 

Vor genau zwei Jahren war ihr Mann Johannes, nach wochenlangen Überstunden im Büro, an besagtem Vormittag zu ungewöhnlicher Zeit am frühen Nachmittag von der Firma zurückgefahren, um diesen Stick zu holen. Tags zuvor hatte er die Familie zurückgelassen, verbrachte überraschend die Nacht in Düsseldorf, bevor er im Geschwindigkeitsrausch am nächsten Tag wegen der Unterlagen zurückwollte. Eine kurze Unaufmerksamkeit war der Auslöser, dass er auf dem Weg nach Hause zuerst von einem Lkw-Fahrer übersehen, dann zur Seite gedrückt und anschließend an die Leitplanke gequetscht wurde.

 

Eine absolute Tragödie für die komplette Familie. Josefine brauchte lange, um diesen Verlust zu überwinden. Ihre Ehe wurde viel zu früh durch dieses Unglück beendet.

Sie war damals Mutter einer dreijährigen Tochter und im neunten Monat hochschwanger mit ihrem zweiten gemeinsamen Wunschkind Robin.

Josefine würde den Tag wohl nie vergessen, als sie von einem ärgerlichen Mitarbeiter gegen 14 Uhr angerufen wurde, der wissen wollte, wo Johannes steckte, weil er nicht im Büro war.

Zu Hause kam er an diesem Tag nie an.

Einige Minuten später erhielt sie einen Anruf aus dem Krankenhaus, in dem sie in die Klinik gebeten wurde.

 

Ich werde das Bild meines schwer verletzten Mannes nie mehr vergessen – diese Schläuche und blinkenden Maschinen, dachte sie in dem Augenblick erneut.

 

Sie verbrachte nur noch wenige Zeit mit ihm, bevor er im Krankenhaus verstarb.

Josefine wollte ihrem Mann an diesem Abend erzählen, dass mit dem Baby alles in Ordnung sei und dass er mit 90-prozentiger Sicherheit Vater eines Sohnes werden würde.

Sein zweites Wunschkind! Johannes wollte immer eine Tochter und einen Sohn haben.

Sie hatten scheinbar alles erreicht: ein gutes Einkommen durch Johannes, der eine leitende aber leider auch kräftezehrende Arbeitsstelle hatte. Ein neues, schönes und schuldenfreies Haus, das zur Geburt ihrer Tochter Nina fertig geworden war, einen idyllischen Garten, nette Nachbarn, schließlich die erhoffte zweite Schwangerschaft … Alles bestens, wie es schien …

Josefine schluckte. Alles war genauso verlaufen, wie sie es sich erwünscht hatten, nur dass sein Tod und ihr Dasein als Witwe im Alter von damals 28 Jahren nicht ins Lebenskonzept passten.

 

„Und du schaffst es auch, das weiß er”, sagte ihre Mutter und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie blickte ihre Mutter an, als würde sie durch sie hindurchsehen.

Die Gedanken der verschiedensten Art jagten ihr an diesem Tag, Johannes Todestag, immer durch den Kopf.

Manchmal war es die reinste Depressionswelle, die sie mitriss. 

Dann wieder, aber der Gedanke war erst Wochen oder besser gesagt Monate nach seinem Tod gekommen, so etwas wie Erleichterung, dass das Leben nun allein in ihren Händen lag.

Die junge Frau seufzte. „Zum Glück hat seine Firma schließlich doch noch eine Abfindung bezahlt, sonst hätte ich damals ziemlich übel ausgesehen.”

Josefine wusste, dass das nicht üblich war in so einer Situation. Ihre Mutter nickte.

Nach Johannes Tod folgte ein monatelanges, übles Tauziehen, bis schließlich Fehler auf Firmenebene zutage traten, weil Johannes laut Aussage einiger Kollegen viel zu viele Arbeiten zeitgleich jonglieren musste, die anderen nicht zugemutet wurden.

Ob daher seine Unaufmerksamkeit und der Schlafmangel herrührte, wusste hinterher niemand mehr mit Gewissheit zu behaupten. Allgemein bekannt war, dass er unbedingt beruflich weiter durchstarten wollte, weswegen er die für alle überraschende Rückfahrt an diesem Tag antrat.

Die Lebensversicherung und die Versicherung des Lkw-Fahrers hatten Josefine erst einmal weitergeholfen. Das Geld hatte sie daraufhin mehrheitlich für die Ausbildung der Kinder angelegt.

Inzwischen arbeitete sie seit anderthalb Jahren als festangestellte Übersetzerin für zwei Verlage hautsächlich per Home-Office. Josefine liebte die Sprachen und jonglierte gern mit Worten. So konnte sie mit einem geregelten Festgehalt von zu Hause aus Kinder, Haus und Job unter einen Hut bringen. Das Laptop stellte ihr Nabel zur Welt dar. Nebenbei schrieb sie auf Provisionsbasis, um das Haushaltsgeld aufzubessern und auch, um ihre kreativen Ideen für verschiedene Zeitungen und Webseiten umzusetzen.

 

Es geht eben mal mehr, mal weniger gut.

 

Gut war, dass sie zum Beispiel keine horrende Miete bezahlen musste und dass sie alleine, ohne eine betreuende Großmutter oder Tagesmutter in der Nähe, Arbeit und Privates einigermaßen kombinieren konnte. Ja, ihr war es gelungen, Kinder, Haus und Beruf zu haben und alles miteinander – ohne Unterstützung von außen – zu vereinbaren. Darauf konnte sie stolz sein. Johannes hätte ihr das damals bestimmt nicht zugetraut.

Vielleicht weil er ihr vieles nie zugetraut hatte …

 

Josefine erhob sich vom Grab, weil es nichts mehr zu tun gab und ihre Knie inzwischen schmerzten.

„Du siehst blass aus”, bemerkte ihre Mutter mitfühlend. Sie wusste, dass ihre Tochter stark sein musste, denn eine großartige Hilfe hatte sie nicht an ihrem derzeitigen Wohnort.

Johannes wollte damals unbedingt auf das Land ziehen, unweit seiner Firma, damit die Kinder in der Natur ungestört aufwachsen konnten. Das Leben auf dem Land war sein großer Wunsch gewesen. Josefine hatte damals ihm zuliebe die Arbeitsstelle gekündigt, um in seiner Nähe zu sein, auch wenn er selbst wegen beruflicher Reisen dort kaum anzutreffen war. Sie wollten beide die Kinder definitiv nicht in der Großstadt aufwachsen lassen, sondern sicher sein, dass sie auch alleine draußen spielen konnten, ohne entführt oder von rasenden Autos überfahren zu werden. 

 

Ja, die rasenden Autos, erinnerte sie sich wehmütig. Aber wir haben hier beide gern gewohnt.

 

Zumindest dachte Josefine das bis zu einem gewissen Zeitpunkt.

Sie hatte lange um den Tod ihres geliebten und perfekt geglaubten Mannes getrauert. Bis … ja, bis sie eines Tages von seiner ehemaligen Sekretärin völlig überraschend angerufen worden war. Ein Klischee, sicher, dennoch traf es in ihrem Fall zu.

Es war ungefähr drei Monate nach seiner Beerdigung, als dieser Anruf kam, der vieles neu ins Rollen brachte. Im Nachhinein betrachtet empfand sie diesen Anruf immer noch als eine bodenlose Unverschämtheit, ihr dies nach Johannes Tod anzutun.

Josefine war völlig überfordert mit den Gegebenheiten und zwei kleinen Kindern und hatte damals noch überhaupt keinen Plan, wie das Leben weitergehen sollte. Ihre Nerven lagen blank. Wie sie den ganzen Stress durchstehen konnte, ohne in eine Depression zu verfallen, wusste sie bis heute nicht.

Josefine erfuhr an diesem Tag noch eine andere Variante von Johannes Leben.

Seine damalige Sekretärin wollte nach dessen Tod Erinnerungsstücke von ihm haben. Die junge Sekretärin behauptete so kurz nach seinem Tod, dass sie ein Verhältnis mit ihrem Chef gehabt hätte.

Das teilte sie Josefine mit, die nach dem Tod ihres Gatten, frisch entbunden und sicherlich nicht im Traum an ein Fremdgehen ihres Mannes gedacht hatte. Josefine fand diesen Anruf ziemlich daneben, konnte diese Anschuldigung nicht glauben und verdrängte sie erfolgreich. Bis sie ein halbes Jahr später, neun Monate nach seinem Tod, begann, seine Kleidung und privaten Gegenstände anzurühren, sie umzuräumen und danach auszusortieren. Einzig, weil sie ihn bis dahin so lange wie möglich für sich selbst lebendig erhalten wollte.

 

Als sie in der Nachttischschublade von Johannes einige sehr persönliche und auch intime Nachrichten zwischen Marie-Therese und ihrem Mann, gekoppelt mit Visitenkärtchen der verschiedensten ihr unbekannten Hotels entdeckte, verschlug es ihr den Atem. Es sah aus wie die Trophäensammlung eines Jägers. Der Schock über diesen Anblick steckte ihr beim Gedanken daran jetzt noch in den Gliedern. Sie war bei dieser Entdeckung fassungslos und einige Details aus ihrer Partnerschaft waren auf einmal vor ihrem geistigen Auge aufgetaucht.

Plötzliche Meetings, aber auch überraschende Anrufe am Handy, sodass er das Haus ad hoc verlassen musste. Im Nachhinein betrachtet gab er nie konkret Auskunft, warum diese ständigen „dienstlichen Anrufe“ so oft seine Arbeit betrafen.

 

Josefine glaubte ihrem Mann, sie hatte ihm immer blind vertraut, dass es ausschließlich dienstliche Termine waren, die er vorgab. Erst durch seinen Tod und dem Wunsch der Sekretärin nach einem bestimmten Schmuckstück, das er ihr angeblich versprochen haben sollte, erfuhr sie, dass er ein Verhältnis zu der adretten, jungen Mitarbeiterin gepflegt hatte.

Eine Welt war damals in ihr zusammengebrochen. Ihr Vertrauen in ihn war immer bedingungslos gewesen.

In Wahrheit hatte er sie betrogen!

Es war für Josefine nicht nachvollziehbar. Anscheinend war es wirklich so gewesen, denn für die vielen Adressenkärtchen und Hotels – nicht weit entfernt von ihrem Wohnort –, gab es keine andere logische Erklärung. Es war für sie nicht nachvollziehbar, eigentlich bis heute nicht. Vor allem, dass sie das alles nicht einmal geahnt hatte.

 

Bin ich zu naiv in meinem bisherigen Leben gewesen oder war mein Mann ein gewissenloser Betrüger?, fragte sie sich heute nicht zum ersten Mal.

 

Gemeinsam verließen sie den Friedhof in Richtung Parkplatz. Der kleine Junge lief voraus und brabbelte vor sich hin, während er die kleine Plastikgießkanne vor sich hin und her schwenkte.

„Er hat mich allein gelassen – mit allem – und mir geht es besch…!”, rief Josefine stattdessen, drehte sich um, und wollte raus aus diesem erneuten Gedankenkarussell, das sich anbahnte.

Ihre Mutter versuchte ihr noch etwas Positives nachzurufen, aber sie wusste, dass ihre Tochter es nicht mehr hören wollte oder konnte.

 

Nie hatte Inge Müller geglaubt, dass ihr Wunschschwiegersohn mit Ende dreißig in der Midlife-Crisis steckte und sich eine zwanzig Jahre jüngere Geliebte gesucht hatte, genau in der Zeit, in der seine Frau mit seinem zweiten Kind schwanger war. Und das, obwohl ihre Ehe nach außen hin in Ordnung war und seine Frau, immerhin zehn Jahre jünger als er, zweifellos nicht nur damals, sondern auch heute noch sehr attraktiv ist …

Sein Tod war nicht nur merkwürdig und überraschend, sondern vor allem sinnlos.

Ihre Mutter folgte den beiden.

 

Die Enkeltochter musste in einer halben Stunde vom Kindergarten abgeholt werden.

Für diesen besonderen Tag reiste Josefines Mutter fast einhundert Kilometer tags zuvor an, weil sie wusste, dass ihre Tochter Hilfe brauchte. Alljährlich fiel ihre starke, erwachsene Tochter, die sonst immer alle Krisen souverän meisterte, am Jahrestag wie in ein tiefes Loch.

„Nachdem Nina vom Kindergarten zurück ist, wollte ich wieder fahren, oder brauchst du noch Hilfe morgen?” Ihre Anfrage kam vorsichtig, aber ihre Tochter wusste, dass sie im Bedarfsfall bleiben würde. Auf ihre Eltern konnte Josefine immer zählen, das wusste sie nur zu gut.

Josefine schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass ihre Mutter nur für sie einen Tag früher zu ihr aufgebrochen war. Ab morgen wollte sie ihren Mann, Josefines Vater, an der Ostsee treffen.

„Fahr du nur, ich weiß doch, dass du dich auf die Reise mit Paps freust … Du solltest endlich deine Koffer packen und aufbrechen. Ich freu mich für dich und deine Seereise. Grüße die Ostsee von uns allen.”

Sie hatte ihre gewohnte Souveränität wiedergewonnen, als sie den Friedhofsbereich verließen.

 

Der Friedhof macht mich immer viel zu melancholisch, stellte Josefine fest. Besser wäre es, wenn ich einen Gärtner beauftrage oder ihn am Todestag meide. Was für ein schwachsinniger Gedanke, das Grab gerade heute in Ordnung bringen zu wollen.

Damit bin ich ihm auch nicht näher.

 

Innerlich schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Das Gegenteil war der Fall. Johannes war ihr mit seinem Tod fremder geworden, als er es jemals zuvor gewesen war. Die Sache mit Marie-Therese hatte ihr schlaflose Nächte bereitet. Schließlich beschloss sie, dass sie an eine Finte glaubte und dass das Schmuckstück vielleicht doch in Wirklichkeit für Josefine selbst gedacht war. Bestimmt wollte sich die Sekretärin diese Kette nur krallen, weil sie wusste, dass Johannes es seiner Frau erst zum Geburtstag geben wollte. Wahrscheinlich war es so. Die andere Alternative wäre einfach zu deprimierend gewesen.

Sie fasste sich und konzentrierte sich stattdessen auf ihre Mutter.

„Wir bringen dich gleich noch zum Bahnhof, dann musst du dich nicht wieder über einen Taxifahrer ärgern”, meinte Josefine stattdessen und fing an zu schmunzeln, denn sie kannte die Abneigung ihrer Mutter gegen Abhängigkeiten von anderen. Vielleicht hatte sie dieses besondere Gen von ihrer Mutter geerbt. Denn sie selbst probierte seit Johannes Tod auch, alles alleine zu meistern – naja, so gut es eben ging. Aber sie konnte zufrieden sein. Es ging ihnen gut, auch ohne Papa oder Mann in der Familie.

 

Nie mehr abhängig sein von einem Mann!, lautete inzwischen ihre Devise.

 

Ihre Mutter nickte zustimmend. Taxis waren nicht gerade ihre größte Leidenschaft.

 

 

Kapitel 2 - Ein Waldkauz lässt grüßen

In Gedanken versunken gingen Mutter, Tochter und Enkelsohn die wenig befahrene Straße entlang bis zum Parkplatz. Der fast zweijährige Robin sammelte in der Zwischenzeit kleine Steine, die er gewissenhaft in die Gießkanne stopfte, und war beschäftigt mit seinem Tun.

„Apropos Taxi. Der Fahrer gestern, der hatte genauso wilde Locken wie dein Nachbar. Wie heißt er noch gleich? Neben euch, das Pärchen, das nach euch gebaut hat?”

„Mark und Belinda?”

„Ja, Mark …?“ Die Mutter suchte den Nachnamen.

„Mehdorn, Mark Mehdorn und Belinda Kaul.”

Josefine öffnete den silberfarbenen Wagen und schnallte ihren Sohn im Kindersitz auf der Rückbank fest.

„Sie sind nicht verheiratet?”, tippte Oma Inge anhand der verschiedenen Namen.

Josefine schüttelte den Kopf. „Nein, das werden sie auch nicht. Belinda ist vor einer Woche ausgezogen.”

„Sie haben sich getrennt?”, hakte die Seniorin überrascht nach.

„Es sieht so aus. Dabei wollte Belinda unbedingt Kinder, zumindest habe ich das gehört, aber er … Er wollte wohl nicht. Er ist nett, aber ein bisschen kauzig finde ich. Jetzt ist Belinda weg, wollte nach Köln ziehen.”

„Aber sie war wirklich sehr nett. Das ist schade”, bedauerte ihre Mutter und schnallte sich auf dem Beifahrersitz an. Belinda Kaul war ihr wohl sympathisch gewesen. 

Aber ihrer Mutter war jeder sympathisch, der mit ihr sprach. Da sie so selten hier zu Besuch war, fand sie alle, zu denen sie überhaupt irgendwann einmal etwas gesprochen hatte „nett”. Was dieses Adjektiv bedeutete, wusste Josefine nicht. „Nett” konnte auch der bissige Hund vom Bäcker sein, nämlich dann, wenn er mal kurz freundlich die Augen hob. 

„Ich fand sie auch nett“, griff sie die Wortwahl ihrer Mutter auf, als sie anrollte. „Sie hat nie gesagt, warum sie sich von ihm trennen wollte oder was es gegeben hat. Aber so gut kannte ich sie auch wieder nicht.” Josefine wollte das Thema hier nicht vertiefen, sondern warf einen Blick in den Rückspiegel. Robin patschte gerade seine kleine Hand mehrmals auf die Fensterscheibe neben sich, um seinen Abdruck zu bewundern. 

„Sie sind auch beide sehr verschieden“, murmelte ihre Mutter und ergänzte: „Belinda hat nie gearbeitet, oder?” Inge traf den Nagel auf den Kopf, obwohl sie wirklich sehr selten zu Besuch war. Die Seniorin stand mitten im Leben und hatte zudem eine äußerst gute Beobachtungsgabe. Ihre Tochter lachte darüber.

 

Genau diesen Eindruck vermittelte Belinda Außenstehenden, denn sie saß die ganze Zeit, die sie mit Mark zusammen war, im Garten, um sich zu sonnen.

Ihn sah man mähen, jäten, sähen, die Pflanzen zurückschneiden oder pflanzen. Sie cremte sich währenddessen mit Sonnenmilch oder was für einer Creme auch immer ein. Fenster putzte er auch von dem großen Haus, Wäsche und Müll gehörten ebenfalls zu seinen Bereichen. Zumindest hatte Josefine nur immer ihn damit beschäftigt gesehen. Zuerst dachte sie, dass Belinda vielleicht stattdessen sehr viel Zeit für die aufwendige Kocherei brauchte, aber als Josefine nach einem Sturm, der die Mülltonne umfallen ließ, den Inhalt sah, ahnte sie, dass Fast Food das A und O des Paares waren.

 

Nun ja. Geschmäcker sind verschieden, hakte Josefine es gedanklich ab.

 

Als sie in die Anliegerstraße einbogen, erkannten sie überraschend Mark vor seinem Haus, der zum Gruß kurz die Hand hob, als sie sich näherten. Josefines Blick fiel auf ihre Familienkutsche, als sie ausstiegen.

Sie kaufte sich nach dem Unglück vor zwei Jahren ein gebrauchtes Fahrzeug, weil der teure BMW verschrottet werden musste. Ein zuverlässiger, sicherer und sparsamer Toyota mit viel Stauraum im Kofferraum und genügend Platz auf der Rückbank, damit diverse Kindersitze dort Platz fanden. Er war zweckmäßig und praktisch. Mehr Wünsche richtete sie nicht an ein Transportmittel. Wettrennen fuhr sie mit ihren Kindern sowieso nicht, den zusätzlichen Spritverbrauch konnte sie sich sparen, ganz im Gegensatz zu ihrem verstorbenen Mann, den diese Fahrweise schließlich das Leben gekostet hatte.

Sie winkte ihrem Nachbarn kurz zu. Mehr Kontakt pflegten sie ohnehin nicht. 

Überraschenderweise verbrachte Mark seine Mittagszeit zu Hause. Sonst arbeitete er meist sehr zuverlässig von 7 bis 17 Uhr in seiner eigenen Firma. In seiner Freizeit genoss er es, auch im Garten oder im Haus zu werkeln, ganz so, wie man es sich bei einem Handwerker vorstellte.

Und so würde es sich aller Wahrscheinlichkeit nach ergeben, dass Josefine ihren als Single lebenden Nachbarn im kommenden Frühjahr und Sommer alleine im Garten auffinden würde.

 

Schade, denn mit Belinda konnte ich dann doch ab und an einen Nachbarschaftstratsch oder Small Talk abhalten, dem er immer ausgewichen ist. Stattdessen arbeitete er lieber nur in der Nähe von uns Frauen. Ob er deswegen so wenig spricht, weil er seine Kräfte ins körperliche Tun steckt, sinnierte sie. Mark hat bisher nur wenige Worte und dann auch nur das Allernötigste mit mir gesprochen. Er wirkt wirklich wie ein verschrobener Waldkauz. Vielleicht sieht er auch deswegen so verwildert aus ... Oder er benimmt sich wie ein kurz angebundener Grantler, damit sein Benehmen zum Aussehen passt. Wer weiß das schon? Ist er ein Grantler?

 

Sie zuckte innerlich mit den Schultern.

 

Viel zu wenig Kontakt habe ich mit ihm, der war ja bisher immer über seine damalige Freundin gelaufen. Belinda redete, er arbeitete. Das ist Arbeitsteilung der modernen Art! Nur ist Belinda, nein, sie war nun leider nicht mehr vor Ort, stellte Josefine erneut fest.

 

„Arbeitet denn Belinda jetzt?”, wollte ihre Mutter wissen. „Von was will sie denn leben? Ich meine, so viel Tatendrang hatte sie doch nie an den Tag gelegt. Dein Nachbar hat mir immer ein bisschen leidgetan, denn er machte schließlich alles und sie …”

Josefine lächelte. „Vielleicht … oder sie ist jetzt Mätresse eines anderen jungen

Firmenbesitzers, der vielleicht mehr Zeit für sie hat. Marks Firma hat genügend Aufträge, sodass er gut beschäftigt ist. Im Kindergarten hat mir ein Familienvater aus der Sonnengruppe erzählt, dass er lange warten musste, bis Mehdorn seinen Auftrag auf der Baustelle bearbeiten konnte. Sein Betrieb ‚Holz – Mehdorn‘ scheint gut zu laufen. Es wundert mich, dass Belinda einen so gut situierten Mann aufgegeben hat. Zumindest hat er sie gut finanziert. Mir gegenüber hat sie das einmal wörtlich so erzählt.” 

Die Abneigung lag deutlich in Oma Inges Gesicht. So einen Lebenswandel konnte sie nicht verstehen. Sie und ihre Tochter hatten immer für ihr Geld gearbeitet.

„Er macht auch einen aktiven Eindruck auf mich. Gestern hat er sich im Spitzboden eine Klimaanlage eingebaut. Ich habe es zufällig bei meinem Spaziergang gesehen, als du in der Redaktion warst.”

„Aha”, meinte Josefine nur.

 

An so einen Zufall glaube ich nicht.

 

Die Wahrscheinlichkeit war größer, dass ihre Mutter, vom Bohrmaschinengeräusch neugierig gemacht, erst einmal eine Runde um das Haus drehte. Zuzutrauen wäre es ihr. Logisch, dass ihr Nachbar direkt von ihr darauf angesprochen wurde. Zuzutrauen wäre ihr das auch.

Oma Inge war immer sehr, vorsichtig formuliert, interessiert am Leben in der Nachbarschaft und kannte in aller Kürze jede Besonderheit im näheren Umfeld. 

Das war etwas, für das Josefine die Zeit und auch das Interesse fehlte. Ihr war es egal, ob Mark jetzt eine Klimaanlage im Spitzboden hatte oder nicht. Sie selbst hatten ein gut gedämmtes Haus und konnten im Sommer nachts die Fenster aufreißen, wenn es zu heiß wurde. Die Heizung wärmte im Winter auch genug, denn am Niederrhein hatten sie bisher keine sibirische Kälte. Wenn ihr Nachbar neben seiner Dämmung zusätzlich Unterstützung durch eine Klimaanlage haben wollte, sollte er das tun.

 

Die beiden Frauen stiegen aus dem Wagen. Josefine öffnete den Briefkasten neben der Eingangstür, als ihr neben einigen Werbebriefen und einer Rechnung ein kleiner Zettel entgegen flatterte, der auf eine Mitteilung des Paketdienstes geklebt war.

Sie las mühevoll die schwungvolle, aber auch krakelige Schrift: „Bringe das Paket heute Abend vorbei. Gruß Mark.”

Sie hielt den Zettel, dann den Hinweis von DHL, dass ihr Nachbar ein Paket angenommen hätte, noch in den Händen, als sie bereits eine tiefe Stimme hinter sich räuspern hörte.

„Ich wusste nicht, dass ich dich noch treffe.“ Damit reichte Mark Mehdorn ihr ein Paket.

„Oh, Danke!” Josefine nahm ihm das Paket ab. Sie hatte das Geschenk-Paket heute noch nicht erwartet.

„Soll ich es reinstellen?”, fragte er noch, denn ihre Eingangstür war bereits geöffnet. Er nahm es ihr wieder aus der Hand und schon stand es im Flur, ohne dass er ihre Antwort abgewartet hätte. 

 

Warum fragt er, wenn er es ohnehin erledigt?, wunderte Josefine sich.

 

Mark Mehdorn war groß, fast einen Kopf größer, wenige Jahre älter als sie und durch seine Arbeiten auf den Baustellen, wenn er die Arbeiten des Zimmermanns unterstützte, hatte er immer gebräunte Haut und einen muskulösen Körper.

 

Dein Vollbart und die Haare haben, seit ich dich kenne, immer schon einen Haarschnitt nötig.

 

Aber darauf schien dieser Mann vom Bau nicht zu achten. Unter einer dunklen, lockigen Mähne blickten sie funkelnde, dunkle Augen amüsiert an.

 

Das ist mein Nachbar, genannt Waldkauz, stellte sie ihn sich in Gedanken selbst vor.

 

Seine Augen kannte sie bereits. Wenn seine wilde Mähne und sein üppiger Bartwuchs sonst von seiner Mimik auch nichts erkennen ließen …

„Hat Nina Geburtstag?”, wollte er wissen, wobei er sich bereits wieder umgedreht hatte. Das Besondere an ihm waren seine kurzen Ansprachen. Er verwendete nicht viel Zeit auf Worte.

 

Bestimmt ist das der redegewandten Belinda auch zu wenig gewesen, tippte Josefines.

 

Sie schüttelte den Kopf. Die Geburtstagsfeier war in 14 Tagen. Wahrscheinlich hatte er erkannt, dass der Aufdruck auf dem Karton von einer Spielzeugfirma herrührte.

„Robin wird am 15. zwei Jahre.” Josefine merkte, dass sie in dem Moment ebenfalls kurz antwortete.

 

Passe ich mich gerade meinem Nachbarn an? Normalerweise spreche ich nicht im Staccato mit einem anderen Menschen, auch nicht, wenn ich nur wenig Kontakt zu ihm habe, raste ihr durch den Kopf.

 

Ihr Nachbar verharrte im Schritt, drehte sich noch einmal zu ihr. Dann bemerkte er ihre schwarze Kleidung und stutzte erneut. Ihr Anblick schien ihn zu verwundern.

„Richtig, Robin ist am 15. geboren”, antwortete er langsam, als wäre es ihm in dem Moment eingefallen.

 

Hat er sich das etwa gemerkt oder wiederholt er nur meine Worte?, fragte sie sich.

 

Er blieb noch einen Augenblick länger, als nötig gewesen wäre. Seine dunklen Wald-Augen ruhten auf ihr. Das war ungewöhnlich, sonst gelangen ihm nur Kurzauftritte in ihrer Nähe.

„Und es ist gut, dass er geboren ist”, ergänzte er sie nicht aus den Augen lassend.

Josefine irritierte sein Nachsatz. Er lächelte kurz, fast ein wenig verlegen. Zumindest vermutete sie das hinter seinem Rausche-Vollbart, der nur wenig Mimik preisgab.

Er winkte noch einmal zum Abschied, dann stieg er in seinen roten Firmenwagen mit der Aufschrift „Mehdorn” und brauste davon. Bestimmt war er nur kurz zu Hause gewesen, um etwas zu erledigen und dabei hatte ihn der Paketdienst, der ursprünglich zu ihr wollte, erwischt.

 

Mark ist ein komischer Kauz. Vielleicht ist es für ihn auch eine Zumutung, dass mein Sohn Geburtstag hat. Wahrscheinlich mag er keine Kinder. Zumindest wollte er vor einiger Zeit, als ich ein Gespräch zwischen Belinda und ihm mitbekommen habe, kein Kind. Belinda wollte wohl ein Baby von ihm, er lehnte vehement ab. 

 

Josefine erinnerte sich noch genau an das Gespräch, das sich bei geöffnetem Fenster zu einem richtigen Streitgespräch entwickelte.

 

Er muss Kinder hassen, vermutete sie seitdem.

 

Sie schluckte bei diesem Gedanken. Denn sie selbst liebte ihre beiden Schätzchen über alles und konnte sich ein Leben ohne die beiden Süßen einfach nicht mehr vorstellen. Um

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: M.R.
Cover: Cover created by ©HS-Cover Design
Lektorat: Herzlichen Dank an Divina, Uwe, Leon, Bernd, Eike und Angela!
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2019
ISBN: 978-3-7487-0060-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Menschen auf der Suche nach der großen Liebe. Es liegt nicht an der Länge des Weges hierfür, sondern daran, die vielfältigen Umwege dabei zu meistern.

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