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Macht

Er ist dunkel, der Gang, gerade und eng; führt dich immer weiter, du weißt nicht, wohin, die Türen an den Seiten sind geschlossen, tragen keine Nummern, gleichen einander auf die Schnalle. Und du gehst ihn entlang, diesen unbekannten, scheinbar endlosen Gang, zuerst noch gelassen, ruhig, siehst dir die Türen an, erst links, dann rechts, probierst sogar noch hier und da eine zu öffnen, drückst ihre Schnallen hinunter, doch keine gibt nach, nirgends wird dir das Dahinter gezeigt. Und schon wirst du schneller, gehst zügig, hörst plötzlich deine eigenen Schritte, hart knallen sie auf den glatten Steinboden, zu oft hallt dieser Ton dir entgegen. Da beschließt du zu laufen, von einer Sekunde auf die andere, beginnst sofort damit, deine Schritte versammeln sich zum Chor, der lässt den nun gemeinsamen Ton anschwellen, stärker und stärker, ist gerade noch vor dir und auch schon auf den Seiten, auf deinen, und aufgepasst: schon sitzt er dir im Nacken, treibt dich voran und du läufst nur noch schneller, schneller, als du kannst, kennst nur ein Ziel: das Ende des Ganges, egal, was dort wartet, kennst nur eine Angst: stolpern. Doch kaum hast du das gedacht, tritt es auch schon ein, trittst du auf den Fuß, auf den andern, den eignen, den zweiten, den linken, mit deinem rechten. Und du fällst und fällst, hörst gar nicht auf, dieser Fall endet erst auf der Feder deiner Matratze, auf die du mit deinem Rücken, mit voller Wucht, mit ganzem Gewicht niederfährst, kurz bevor du auffährst aus diesem Traum, diesem Schrecken, dem Alb. Was kann das nur sein, denkst du dir, als die Angst dir noch in den Poren sitzt und langsam beginnt aus ihnen zu tropfen, zu laufen. Duschen, denkst du, duschen. Und die laufende Angst läuft davon, spült sich dahin und verschwindet im Abfluss. Wenn du jedoch glaubst, das sei es gewesen und alles sei gut und vergessen, ein Unfall, Ausrutscher und zwar nicht nur im Traum, sondern eben er selbst, dann liegst du daneben und gründlich. OK, du schaffst es, den Tag zu verleben, die Zeit zu erschlagen mit vielen Gedanken und Dingen, die dich entfernen von dieser Nacht, dich sie vergessen lassen. Doch hab keine Sorge, denn sie kommt wieder, die nächtliche Szene, und dieses Mal ist sie noch größer; natürlich, sie hatte ja Zeit, ist gewachsen, hat sich entwickelt, weiter, wie du, hat auch gelernt aus ihren Fehlern und bringt dich nun, da sie dich wieder besucht, beinahe um deinen Verstand. Und diesmal nimmst du zum Duschen die Bürste, als könntest du gegen sie schrubben, gegen sie und die Panik, die in dir rotiert. Dann sagst du dir: ist ja nur ein Traum, das hat nichts zu sagen und sagst es deinen Freunden, Kollegen, was da des Nachts so mit dir passiert. Und diese meinen, es sei schon in Ordnung, dass Träume dir helfen und dieses und jenes. Das hilft dir enorm, nämlich eigentlich gar nicht und du möchtest gern wissen, woher das denn kommt. Und du nimmst sie dir vor, die Bereiche des Lebens, des Alltags, der Arbeit, der Freizeit und so. Einzeln knöpft du sie dir vor, knöpft sie auf, die Mäntel, die sie angezogen haben um nicht sofort alles zu zeigen, um manches im Dunkeln zu lassen, um noch ein paar Geheimnisse zu bewahren. Und du versuchst zu entdecken, die Decken zu lüften, das Darunter frei zu lassen, los mit den Leinen und endlich verstehen, was das alles soll. Du beginnst mit der Freizeit, weil du glaubst, das sei besser, sie hätte mehr Einfluss auf deinen Traum. Er kommt ja stets wieder, meldet sich jede Nacht, ist treu wie ein Hündchen, bleibt an deiner Seite. Doch wie viele Versuche du auch unternimmst, die Gespräche mit Freunden zeigen nicht(s) in die Richtung. Dein Leben ist gut, es ist fröhlich und spannend, du hast viele Menschen, die es dir bereichern. Dann kommst du zur Arbeit, die du liebst wie die Freunde, die dir wichtig ist und die du vorziehst, sehr oft. Die Artikel, geschrieben mit großer Courage, mit Leidenschaft, sind immer gut recherchiert. Du bist Journalist mit Haut und mit Haaren, das nimmt dich gefangen doch engt dich nicht ein. Zu schwer ist die Vorstellung, hier könnt sie liegen, die Ursache für diese Wahn-Träumerei. Doch es hilft nichts, du musst jetzt versuchen zu finden, was hinter den Türen am Gang wirklich steckt. Das Archiv wird durchforstet, die alten Artikel, die vielen, die du bisher abgedruckt hast. Und manchmal stößt du hier und da auf die eine Sache, die andre, die lässt dich kurz denken, oft auch erschrecken, und glauben, das könnte was sein, doch zu vage sind meist die Indizien dafür, da ist nichts dahinter, da bist du meist sicher. Auch nach Stunden und Tagen, und vor allem Nächten, die dir Angst machen vor dem Nach-Hause-Gehen, weil damit auch dein Bett in Verbindung steht und der Schlaf, den du darin gern hättest. Doch den gibt’s schon lang nicht mehr, nicht, wie gewünscht. Denn jede Nacht ist der Traum da, stets gleich, führt dich jedes Mal ein Stückchen weiter. Doch das bringt keine Einsicht, denn der Gang ist derselbe, ob nach fünfhundert Schritten, nach tausend. Und dein Denken verliert in der Strömung des Kreislaufs seine Fähigkeit und auch sich selbst. Unterhaltungen gehen hinein und hinaus, hinterlassen jedoch nichts in dir. Du bist wie ein Schwamm, der nebenbei alles aufsaugt und dein Traum presst dich nachts wieder aus. Deine Freunde, Kollegen, sie machen sich Sorgen, sie sehen, wie schwer du es hast mit dem Traum. Doch da ist was, ganz plötzlich, es blitzt in dir auf, ungewöhnlich, schon lange nicht mehr erlebt, denn ganz klar steht er vor dir, der Ansatz zur Lösung, dieses Glied zwischen dir und dem Traum. Computer sagst du und bist nicht ganz sicher, ob du denkst oder sprichst oder träumst. Doch da ist es schon wieder, dieses Wort, dieses eine, und schon wird dir alles ganz klar. Du kannst wieder denken, versuchst weiterzumachen und sagst Gott sei Dank mir, deinem Freund und Kollegen, was sich da in dir manifestiert. Der PC, der Computer, genau dieser Rechner, nur er kann der Schlüssel zu meinem Traum sein, dessen bin ich mir jetzt völlig sicher. Und die Sicherheit kommt, doch sie kommt viel zu spät, denn zu lange schon bist du gefangen im Gang deines Traumes, kannst nicht mehr hinaus. Und die Zeitungen schreiben schon einen Tag später, dass deine Qualen wie auch dein Leben ein Ende gefunden haben im Sturz:

BERÜHMTER JOURNALIST BEI STURZ AUS FENSTER TÖDLICH VERUNGLÜCKT War es Selbstmord eines seit längerer Zeit von Wahnvorstellungen geplagten, offensichtlich völlig überarbeiteten Reporters?

Dein Tod ist eine Sensation, natürlich, vor allem unter Kollegen, so genannten. Wie konnte es nur passieren, dass du, der stets souverän sowie klar und analytisch zu denken fähig war, auf solche Weise endest? Was steckt dahinter? Wer oder was hat dich dazu getrieben? Oder hattest du einfach genug, wolltest nicht mehr? Wie so oft, hat es auch hier bei dir lange keine Anzeichen gegeben, das heißt, in letzter Zeit selbstverständlich schon, deine Unfähigkeit zur Konzentration, dein Nicht-Einhalten sämtlicher Termine, dein Ver-Rückt-Sein im wahrsten Sinn des Wortes, schließlich deine Zurückgezogenheit und völlige Besessenheit, dir einen bestimmten Traum wörtlich aus dem Kopf zu schlagen. Hast du es getan um ihn zu beenden, weil du ihn nicht mehr ertragen konntest? Oder hat er dich am Ende deines Lebens so neugierig darauf gemacht, was sich am Ende des Ganges befindet? Ist es im Traum passiert und gleichzeitig beim Träumen? War es demnach vielleicht ein Versehen? Stopp! Sicher kann ich noch hunderte Fragen formulieren, die mir doch keine Antwort auf deinen Tod geben könnten, und wenn ich sie stelle, mir selbst stelle, dreh ich mich bald schon im Kreis so wie du. Darum hör ich jetzt auf. Und ich beginne. Weil ich nicht aufgebe; dich nicht und damit, die Antwort zu suchen auf meine Frage, warum es dich nicht mehr gibt. Und ich beginne. Beginne dort, wo du aufgehört und mit mir deinen Verdacht geteilt hast: bei deinem Computer. Eigenartig: jeden Tag sitze ich an einem Computer, im Büro und zuhause, es ist so selbstverständlich für mich wie Autofahren. Ich denke die einzelnen Schritte nicht vor, üblicherweise, ich kupple und schalte, blinke und steuere, starte und bremse. So ist es auch am Computer: ich fahre ihn hoch, logge mich ein mit dem Passwort, beginne meine tägliche Arbeit, Routine. Doch hier ist es anders, an deinem Platz, deinem Rechner. Fast, als ob ich in ein Auto steigen würde und den Verdacht hätte, die Bremsen seien manipuliert worden. Kindischerweise habe ich vor der ersten Berührung der Tastatur sogar damit gerechnet einem Stromschlag ausgesetzt zu werden. Gleich nach der Eingabe deines Passwortes, das du mir schon vor langer Zeit anvertraut hattest, wie auch ich dir meines, paradoxerweise zur Sicherheit, habe ich diese Furcht aber verloren. Zum einen dank der Erfahrung, dass kein Strom durch die Tasten fließt, und zum andern, weil es selbstverständlich völlig an den Haaren herbeigezogen wäre, denn eines steht fest: das hättest du mit Sicherheit bemerkt. Keine Stromschläge also. Nun, dann heißt es ab jetzt: suchen, ohne zu wissen, was, auf jedes Detail achten, das auf irgendeine Weise eigenartig erscheint. Keine leichte Aufgabe, aber ich habe sie mir gestellt und ich werde sie ausführen. Und jetzt, beim Durchforsten deiner Dateien, wird mir eines plötzlich bewusst: Wenn du Recht gehabt hast mit deiner Theorie; wenn wirklich der Computer deinen Traum und schließlich vielleicht sogar deinen Tod ausgelöst hat, dann ist es durchaus möglich, dass mit mir das Gleiche geschieht. Ich muss und werde also nicht nur tagsüber deinen Computer durchstöbern, sondern auch nachts meine Träume. Zuhause scheint alles normal, nichts ist verändert, ich achte auf alles. Das Zu-Bett-Gehen ist merkwürdig, noch nie sind mir meine Rituale so bewusst geworden. Alles ist gleich, Tag für Tag. Ich lege mich schlafen und hoffe nicht in diesen Gang geschickt zu werden, in deinen Gang, der vermutlich sehr schnell auch zu meinem werden könnte. Und da fällt mir ein, dass ich besser an etwas völlig anderes denken sollte als an den Gang, denn sonst ruf ich ihn selbst noch herbei. Meine letzte Reportage über die erfolgreiche Trennung der siamesischen Zwillinge kommt mir in den Sinn. Wie glücklich alle gewesen sind: die Familie, die Ärzte, selbst wir Reporter haben die uns oft nachgesagte und vorgehaltene Gefühlskälte offenbar abgelegt und sind einander um die Hälse gefallen, als wir erfahren haben, dass beide Kinder überleben würden. Sie leben, die beiden, die Kleinen, die einmal eins waren und doch zwei, und nun ein einzigartiges, eigenartiges Leben vor sich haben. Ich erwache wie immer, steh auf, geh ins Bad und denke nichts Ungewöhnliches. Doch plötzlich, als ich mich im Spiegel erkenne, fällt es mir ein und ich freue mich riesig: kein Gang, keine Türen, kein Schritte-Geräusch. Und ich werde euphorisch: vermutlich bin ich immun, bin geschützt irgendwie vor den Angriffen des feindlichen Computers, denn ich bin überzeugt, dass du die Wahrheit entdeckt hattest, bevor du dich aus dem Fenster gestürzt hast. Du wusstest genau, dass der Computer dafür verantwortlich war. Über mich scheint er jedoch keinerlei Macht ausüben zu können. Das heißt, ich kann in aller Ruhe jeder Kleinigkeit nachgehen, die mich auf die richtige Spur zu führen scheint. Und ich beschließe, auch für meine Arbeit deinen Computer zu verwenden, so kann ich unauffällig berufliches Müssen mit privatem Wollen verbinden. Es funktioniert wunderbar. Ich recherchiere für meine Artikel im Internet und checke nebenbei immer mehr deiner Dateien. Leider bin ich am Ende meines ersten intensiven Forschungstages noch nicht weitergekommen. Aber ich gebe nicht auf. Das ist erst der Anfang. Und ich stehe am Anfang, am Anfang des Ganges, der eng ist und dunkel und lang. An beiden Seiten sehe ich Türen, weiß, ohne Nummern und auch ohne Schlüssel. Ich drücke die Schnallen, doch die geben nicht nach. Der Boden ist glatt, ich höre die Schritte, die Schritte sind meine, das weiß ich. Doch ihr Ton wird so komisch, so laut und aufdringlich, ich will ihn nicht hören, ich will hier nicht gehen, will raus, will ans Ende, will fort. Ich beginne zu laufen, vorbei an den Türen, den Gang entlang über den Steinboden, schnell. Meine Schritte hallen vom Steinboden wider, sie springen mir in meine Ohren hinein. Und dort bleiben sie, warten, verlassen mich nicht mehr, sie möchten sich mit den andern vereinen, den neuen, die kommen, nach jedem Schritt mehr. Und lauter wird dieser Ton, dieser Chor. Mein Erwachen ist anders als gestern. Ich weiß sofort, was geschehen ist; hab mich also getäuscht, und zwar gewaltig. Immun, ha. Nicht ich, leider. Trotzdem bin ich froh, irgendwie, weil es nämlich deine Angaben und meine Annahmen offensichtlich bestätigt: Der Computer ist der Schlüssel. Er hat dich krank und tot gemacht und sich danach sofort in die Startposition für die zweite Runde begeben. Und die hat er auch gleich eingeläutet, gleich, nachdem ich meine Bereitschaft angekündigt habe. Es ist soweit. Jetzt will er mich. Aber ich bin gewarnt, gebe nicht auf, stelle mich, weiß schließlich, was mich erwartet. Zuerst muss ich eines herausfinden: warum hat er sich erst jetzt zu erkennen gegeben, erst in der zweiten Nacht? Wollte er mich in Sicherheit wiegen? (Hoffentlich hört mich jetzt keiner, ich rede da von einem Computer, unglaublich. Und trotzdem bin ich überzeugt davon, dass er es war und ist; zumindest als Komplize beteiligt.) Ja, wo war ich gerade? Richtig: was hat sich geändert, was hab ich geändert, anders gemacht, was war bei unserem ersten „date“ noch nicht, beim zweiten aber schon? Die Entscheidung, meine eigene Arbeit auch auf deinem Computer durchzuführen, vielleicht hat die etwas damit zu tun, denn vorher hatte ich lediglich einige Dateien von dir aufgerufen, ein paar deiner letzten Artikel gelesen. Doch gestern habe ich alle meine Recherchen auf deinem PC ablaufen lassen. Genau, das ist es: das Internet. Ich habe gesucht und geprüft, war hier und dort, habe Emails verschickt und erhalten. Das muss es sein. Gut. Was tu ich aber jetzt mit diesem Wissen, hey, Vorsicht, was heißt Wissen, mit dieser Theorie? Ich werde heute meinen Computer benutzen und morgen wieder deinen. Das ist es. Hoffentlich verfälsche ich mein Untersuchungsergebnis nicht dadurch, dass ich vor dem Schlafengehen natürlicherweise an den Traum denke. Vielleicht kommt er ja allein schon deswegen wieder. Aber nein. Ich schaffe das, denke an etwas völlig anderes, versuche, so schnell wie möglich einzuschlafen, ohne auch nur einen Gedanken ….

Gut geschlafen. Gut geträumt. Gut. Ich komme ihm näher, ihm und seinem Geheimnis, wie es scheint. Aber heute heißt es aufgepasst, denn wenn meine Vermutung richtig ist, setze ich mich ihm wieder aus, ihm und seinem Traum. Mein Vorteil ist jedoch: ich mache es bewusst, ich will es, werde also alles beobachten, alles festhalten und alles überprüfen. Die Kamera wird mir wertvolle Dienste leisten. Mit ihr filme ich den Bildschirm während des ganzen Tages. Gut, dass sie so klein ist und sich in den Pflanzen hinter meinem Schreibtisch verstecken lässt. Ich wüsste sonst nicht, was ich meinen Kollegen erzählen soll. Nun, der Arbeitstag brachte bisher kein außergewöhnliches Ergebnis. Wieder konnte ich nichts in deinen Aufzeichnungen finden, was irgendwie von der Norm abweichen würde, keinen Hinweis auf jemanden oder etwas, der oder das es auf dich abgesehen hätte. Den Film sehe ich mir aber erst morgen an. Jetzt bin ich zu müde. Der Tag hat mich ziemlich erschöpft. Und erschöpft steh ich da und möchte doch laufen, laufen, so schnell ich nur kann und noch schneller. Schon wieder bin gefangen im Gang, das zweite Mal nun, das ist mir bewusst. Ich weiß, dass ich in deinem Traum bin, in meinem, in unserem Traum, wie es scheint. Die Türen verschlossen, doch das ist nichts neues, die Furcht sitzt mir wieder im Nacken. Sie schleicht sich ganz leise von hinten heran, dann springt sie auf mich wie ein Panther auf Beute und schickt mich erneut in den Gang. Und ich laufe und laufe, höre nur meine Schritte, sie haben sich wieder vereint, und plötzlich verspüre ich Angst vor dem Stolpern, kaum hab ich’s gedacht, ist’s gescheh’n. Ich falle und falle, es gibt keinen Halt mehr, kein halt und kein stopp, kein Zurück. Schweißnass erwache ich auf der Matratze, die schaukelt noch immer vom Sprung. Ich kann es nicht glauben, so, wie du erzählt hast, ist es mir genau auch ergangen. Das ist doch kein Zufall, System steht dahinter und dieses muss ich nun entdecken. Die Dusche bringt neue Gedanken zutage, macht frei und vermindert die Angst.

Der Film. Jede Sekunde hat er aufgezeichnet. Wenn es also etwas zu erkennen gibt, ist es hier drauf. Zunächst sehe ich mir die Internet-Zeiten an. Hier ist auch schon die erste. Gut, ich schlage einen Fachausdruck in der Suchmaschine nach. Immer wieder poppen unerwünschte Werbefenster auf, einige davon lassen sich problemlos sofort wieder schließen, andere jedoch insistieren beharrlich auf ihrem Recht, mich sekundenlang mit ihren uninteressanten Angeboten zu quälen und mir kostbare Zeit damit zu stehlen. Manche verschwinden aber genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind,… . Moment, das ist es. Natürlich. Ich werde den Film jetzt so langsam wie möglich abspielen. Hier ist die Szene noch einmal, also, die Verbindung steht, ich schreibe den Begriff in das Suchfeld, da kommt auch schon die erste Werbung, und ist auch gleich wieder verschwunden, gut, aber da, was ist das, was soll das, das ist doch, ich glaub’s nicht, ich hab’s gefunden, gefunden! Stopp! Gut. Hallo, mein Feind, da bist du ja endlich. Nun sind wir ja bereits so was wie alte Bekannte, nicht wahr? Zugegeben, mich kennst du noch nicht so gut, wie meinen Freund und Kollegen, den du ins Grab gebracht hast, aber soweit lass ich es mit mir auch nicht kommen, keine Freude. Am besten ich mache gleich ein Foto von dir, halte dich fest, zeige es den anderen, denen hat er dich ja auch beschrieben, sie können deine Identität also bestätigen. Und dann müssen wir nur noch herausfinden, wer dich geschickt hat und schon geht’s dir an den Kragen. Und die Kollegen bestätigen, wovon ich im Grunde schon fest überzeugt war: auf diesem Foto ist genau jener Gang zu sehen, den du in deinen Träumen beschrieben hast und der auch mich bereits zweimal gefangen genommen hat. Die Bilder von diesem Gang mit den verschlossenen Türen werden für Bruchteile einer Sekunde durch das Internet geschickt und tauchen auf dem Bildschirm auf. Wahrscheinlich sind es tausende, die während einer Internetverbindung von zehn Minuten in dein Gehirn eingehämmert werden wie tausende kleine Nägel. Und dort sitzen sie dann so fest, dass du keine andere Wahl hast als sie zu deinem Traum zu machen. Ich bin froh, wenigstens jenen Artikel verfassen zu dürfen, der dich und deinen Tod aus dem Dreck zieht, in dem ihr gesteckt habt.

MYSTERIÖSER TOD DES VORZEIGE-JOURNALISTEN GEKLÄRT Reporter wurde Opfer eines kranken Computer-Freaks

Computerviren durch das Netz zu schicken, die anderen Usern deren Geräte und oft monatelange Arbeit zunichte machen, abgesehen von privater Korrespondenz, die oft unwiederbringlich verloren ist, habe ihm nicht mehr gereicht, gab der Angeklagte bei der Gerichtsverhandlung zu Protokoll. Auf die Frage des Richters, warum er denn die in ihrer Konsequenz so grausamen Bilder an diesen bestimmten Journalisten geschickt habe, meinte er, das sei ein Zufall gewesen, er hätte sich eben irgendjemand ausgesucht. Ihm sei es dabei ausschließlich um Macht gegangen, die Macht über Leben und Tod. Diese Bilder hätten sein Opfer im Traum verfolgt, bis er schließlich im wörtlich „unglaublich geilen Finale“ ein Fenster am Ende des Ganges eingebaut und dieses geöffnet habe. Nun habe das Opfer endlich die Möglichkeit gesehen, den Gang zu verlassen. Indem es sprang. Selbstverständlich hätte der Täter zu jeder Zeit die Träume beenden oder ins Gegenteil kehren können, dies wäre jedoch, so der Täter im Originalton: „nicht einmal der halbe Spaß gewesen“.

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Tag der Veröffentlichung: 25.01.2009

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