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Abschied

1

Sie fuhr mit dem Teelöffel durch die warme Flüssigkeit. Mit langsamen Bewegungen setzte sie jeden einzelnen Zentimeter davon in Bewegung.
Dann lächelte sie abwesend.

Er lachte. Sie war so niedlich, wenn sie lächelte. Dabei wurde sie von der heißen Mittagssonne überall im Gesicht bestrahlt.

Er wusste nicht, warum sie auf einmal damit anfing.

Dachte sie vielleicht an ihr erstes Treffen?
Damals, in derselben heißen Mittagssonne, als sie sich das erste Mal sahen, als sie beide zu schüchtern waren, etwas zu sagen, als sie immer wieder gegenseitig ihre Blicke suchten, und sofort wieder wegschauten. Wie sie später selbst darüber lachten.

Damals, da spürte er diese Traurigkeit in ihren Augen, verborgen, kaum sichtbar. Diese quälende Einsamkeit. Als wäre sie ganz allein auf der Welt, und das für immer.

Sie trug etwas Besonderes in sich.

2

Er betrachtete schweigend die vorbeifahrenden Landschaften. Nur das Rauschen des Autos drang in seine Ohren. Er drehte sich um, die Leute schwiegen, Müdigkeit lag in der Luft.

In seinem Unterbewusstsein staute sich ein seltsames Gefühl an.

3

Weil sie so niedlich aussah, lachte er.

Die Leute um sie herum blickten sie mit jeweils kurzen Blicken an.

Er schaute ihr in die Augen.

Sie nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

Er sagte nichts. Spürte wahrlich, wie die sommerliche Wärme in seinen Körper drang, wie die leichten Brisen ihres Parfüms in seine Nase spazierten. Sah, wie ihre Augen glänzten, wie außergewöhnlich hübsch sie aussah.

Doch irgendetwas stimmte nicht. Etwas passte nicht in dieses Bild.

4

„Warum schweigst du?“ Hatte sie ihn das wirklich gerade gefragt? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Warum schwieg er? Er wollte doch noch etwas sagen. Er wollte noch so viel sagen. Aber aus seinem Mund kam nichts heraus.

Bevor es geschah, spürte er in seinem Unterbewusstsein, dass etwas geschehen wird.

5

Er betrachtete sie.

Sie schwieg mit ernstem Gesicht. Sie schien irgendwo anders zu sein. An einem Ort, wo man weinte.
Sie nahm noch einen großen Schluck.
Dann flog ihr Blick zur Seite, vorbei an den Leuten um sie herum, zum anderen Ende des Platzes.

Sie schwieg, weil er schwieg.

6

Er fiel. So unglaublich tief. Er versuchte zu schreien, wenigstens ein paar Worte auszusprechen. Sich auszudrücken. Nicht einfach so zu verschwinden. Aber es gelang ihm nicht, etwas aus sich herauszuquetschen.

Er stürzte hinab.

7

Er stand in der Tür. Wie ein Wiedersehen nach langer Zeit, wie eine lang ersehnte Rückkehr. Doch so war es nicht.
Er schritt ins Wohnzimmer. Da saßen sie. Er beobachte sie.

Sein Vater. Leere Blicke, abwesend, nach etwas suchend, verloren in seinen Gefühlen.

Seine Mutter, so sehr gealtert, die Hände zitterten, die Lippen bewegten sich leicht, als gäbe es noch etwas zu sagen. Um sie herum starb alles ab.

Er erkannte sie nicht mehr.

Wer waren diese Menschen?

Er schwieg.
Er setzte sich zu ihnen an den Tisch. Ging selbst in dieser Atmosphäre verloren.

Lange blieb er regungslos sitzen.

8

Das Auto hielt blitzschnell an. Einige Leute stiegen hektisch aus. Sie nahmen einen leblos aussehenden Körper vorsichtig aus dem Auto und versuchten, ihn wieder zu beleben.

Eine junge Frau rief mit Tränen in den Augen den Notruf an.

9

Der Friedhof war leer. Vor seinem Grabstein blieb er stehen. Las seinen Namen, die Zahlen darunter, dann blickte er die Blumen an. Danach fuhr sein Blick ins Nirgendwo.

Zeit zu gehen.

10

Er verschwand.

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Tag der Veröffentlichung: 31.01.2009

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