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Vorwort

 Das Buch ist in sich abgeschlossen, aber wer es in einem größeren Zusammenhang lesen will, sollte zuerst

 

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lesen.

Der kleine Andreas

 

1) Die Wahrheit

Der kleine Andreas erzählte: „Ich habe Angst vor dem Leben.“ Natürlich sprach er zu sich selbst, da er wie immer allein war. Da erwiderte ihm sein kleiner Engel: „Weshalb hast Du denn Angst? Es hat Dir doch noch nie jemand etwas wirklich Böses getan.“ „Ja das weiß ich.“ brummte And­reas vor sich hin „Aber das ändert nichts daran, dass ich Angst ha­be.“

Da ging der Engel auf ihn zu und wollte ihn über den Kopf streicheln.

Aber der kleine Andreas wich entsetzt zurück: „Ich habe Angst vor Nä­he.“ „Aber es hat Dir doch noch nie jemand weh getan, oder Dich ver­letzt.“ „Weiß ich.“ knurrte Andreas „aber bring das mal meiner Angst bei.“

Liebevoll meinte nun der kleine Engel: „Ich mag Dich, trotz Deinen Ängs­ten.“ Der kleine Andreas verzog entsetzt das Gesicht: „Nein! Das macht mir nur Hoffnung und ich habe Angst, dass sie enttäuscht wer­den könnte.“ „Aber es hat Dich doch noch nie jemand ernsthaft ent­täuscht.“ „Das stimmt, ja. Trotzdem habe ich panische Angst davor.“ war die verzweifelte Antwort.

Nun war der kleine Engel ganz hilflos und zog sich zurück. Andreas ver­spürte eine kleine Erleichterung: Jetzt war niemand mehr da, der ihn än­dern wollte, oder der ihm zu nahe kommen könnte. Aber gleichzeitig wurde er sich seiner Einsamkeit und Verlassenheit noch mehr bewusst und es schnürte ihm die Kehle zu. Er legte sich nun schlafen und ver­brach­te eine recht unruhige Nacht.

 

2) Die erste Erkenntnis

Als er erwachte stand der kleine Engel im Türrahmen. Weiter konnte die­ser sich nicht von Andreas fern halten, wenn er von ihm noch gese­hen werden wollte.

„Wo bist Du gewesen?“ erkundigte sich der kleine Andreas. „Ich wusste gestern auch nicht mehr weiter und ging deshalb zum Vater, um Rat zu holen.“ „Und hat es was genutzt?“ „Natürlich! Unser Vater lässt uns nie im Stich.“ „Da bin ich aber gespannt, wie mir geholfen werden soll.“ „Du musst Dir selbst hel­fen.“ „Wie? Das kann ich doch gar nicht.“ Der Engel ging auf diese Bemerkung gar nicht ein und fuhr fort: „Du musst hinaus in die Welt gehen.“ „Dafür bin ich doch noch viel zu klein!“ „Nein! Du bist schon lange nicht mehr klein. Du fühlst Dich nur so.“ Verwundert schaute sich der kleine Andreas im Spiegel an und tatsächlich: Der ihn da­raus anschaute, war wirklich kein kleines Kind mehr. Aber in seinem Inneren war er es noch.

 

3) Die erste Herausforderung

Doch wollte er jetzt seinem Äußeren gerecht werden und fragte mutig:

„Was muss ich denn in der Welt tun?“ „Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste wäre, dass Du Deine Angst suchst.“ Andreas wurde ganz bleich und fing an zu zittern. „Die ist doch an meinem ganzen Unglück schuld.

Wie soll die mir helfen können?“ „Du darfst nicht immer von ihr davon­laufen. Du musst Dich ihr stellen, damit Du Deine Angst vor der Angst ver­lierst.“ Der kleine Andreas war wie betäubt: „Nein! Das schaffe ich nicht!“

 

4) Die zweite Möglichkeit

Aber nachdem er sich, wenigstens im Spiegel, als großen Jungen ge­sehen hatte, wollte er nicht klein beigeben: „Und die zweite Möglich­keit?“ „Du musst drei Schlüssel finden, einen grünen, einen roten und einen gelben, und wenn Du die richtigen Türen damit öffnest, dann fin­dest Du das Leben in Fülle, dass uns unser Bruder Jesus versprochen hat. Und das ist wohl genau das Gegenteil von Deinem jetzigen Le­ben.“ „In die Welt gehen und bunte Schlüssel sammeln. Das soll meine Lebensaufgabe sein?“ wollte Andreas zynisch erwidern, aber er merkte, dass das jetzt nicht angebracht war und wollte stattdessen von seinem kleinen Engel wissen: „Was soll ich auf die Reise mitnehmen?“ „Was be­sitzt Du denn?“ Nach einem kurzen Zögern meinte Andreas:

„Nichts.“ „Das ist genau das ideale Reisegepäck.“ meinte der Engel fröhlich.

 

5) Was man wirklich braucht

Dann setzte er ein wenig stolz hinzu und betonte besonders ein Wort:

„Ich darf Dich in SEINEM Namen für Deine Reise segnen.“ Andreas fiel fast automatisch auf die Knie und der Engel segnete ihn. Danach sprach dieser ganz langsam und betonte jedes Wort: „Unser Vater hat mir auf­ge­tragen Dir zu sagen: DU SCHAFFST ES!“ Danach verabschiedete er sich mit den Worten: „Auch wenn ich jetzt verschwinde, bin ich trotz­dem immer bei Dir.“

 

6) Nach vorwärts schauen

Da stand er nun unser armer Andreas: Wieder hilflos und allein. Die Wor­te: 'Du schaffst es!' gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. ‚Wenn das unser Vater sagt, dann muss es doch stimmen. Ich werde es schaf­fen.‘ Danach überlegte er gerade noch, ob er zum Abschied noch durch alle Räume gehen sollte, als er plötzlich eine Stimme, aus sich selbst her­aus, hörte: „Es ist niemand da, von dem Du Dich verabschieden könn­test. Lass Dich nicht aufhalten und geh einfach los.“

 7) Keine unnötigen Gedanken

Der kleine Andreas grübelte:

'War das jetzt die Stimme des Engels, oder gar SEINE Stimme? Oder war das etwas ganz Neues?‘ „Denk nicht so lange nach und zieh los, be­vor Du es Dir womöglich anders über­legst.“ mahnte ihn die Stimme.

 

8) Achtsam sein

Bald schritt Andreas beherzt, einen ihm unbekannten Weg entlang und war voller Gedanken. Da hörte er wieder die leise Stimme: „Mach mal die Augen auf!“ „Ich habe sie doch auf.“ „Was ist links und rechts von Dir?“ „Du hast wohl recht. Vor lauter Nachdenken sehe ich überhaupt nichts.“ „So wirst Du sicherlich nichts finden, was Du für Deinen Weg brauchst.“ Vertrauensvoll sprach der kleine Andreas fast feierlich: „Ich wer­de es schon noch lernen, achtsam zu sein. Ich werde es schaffen.“

 

9) Jeder hat seinen eigenen Weg

Nach einiger Zeit traf Andreas ein Mädchen, das ungefähr so alt war, wie sein Spiegelbild. Er war erfreut sie zu sehen. Er nahm seinen gan­zen Mut zusammen und fragte sie: „Können wir nicht ge­meinsam wei­ter wandern?“ Sie lächelte ihn an und meinte: „Ja das wäre sicherlich schön, aber wir haben verschiedene Wege.

 

Vor allem Vertrauen, aber auch sein Leben selbst in die Hand nehmen, eigene Entscheidungen fällen, das Risiko eingehen etwas falsch zu machen, und imm

 

er wieder vertrauen, dass er alles getrost der Weisheit Seines Vaters anvertrauen kann. „So könnte ich Ruhe, Geborgenheit und Selbstsicherheit finden.“ w

Eigentlich ist es ja egal. Es ist doch reine Glückssache, auf welchem Weg ich die Tür zuerst finde. Also biege ich einfach mal ab, um dieser ewigen Gleichtönigkeit zu entkommen. Er ging nicht lange, da stand er schließ­lich wirklich vor einer Tür, mit einem grünen Schloss. Aber es wollte keine Freude aufkommen. Im Gegenteil, jetzt wurde er noch niedergeschlagener: Bisher hatte er ein Ziel gehabt. Das hatte ihn aufrecht gehalten. Aber jetzt? Jetzt gab es nichts mehr, was ihn von der Sinnlosigkeit seines Tuns, ablenken konnte: Er hatte die Tür gefunden, aber den Schlüssel verloren. Jeder weitere Schritt war sinnlos. Bei diesen Gedanken stieg Panik in ihm auf.

urde ihm da bewusst. „Ja, darum will ich mich jetzt bemühen.“

Viel­leicht treffen wir uns später wieder einmal.“ Enttäuscht ging Andreas weiter und kam sich wie­der mal ganz klein vor.

 

10) Die erste Entscheidung

Gerade als es zu dämmern anfing, erblickte Andreas eine Hütte und er sah dort Kerzenlicht. „Hier ist wohl der richtige Ort zum Übernach­ten.“ meinte der kleine Andreas hocherfreut. Doch seine Stimme mein­te: „Übernachte dort drüben am Waldrand, in der Wiese. Du wirst dort einen erholsamen Schlaf finden.“ „Aber in der Hütte ist es sicherlich an­ge­nehm warm.“ „Wir haben Sommer und Du wirst im Freien nicht frieren.“ Andreas war nun ganz hilflos, was er nur tun sollte. Er rang lan­ge mit sich und ging dann in die Hütte.

 

11) Versuchung

Dort traf er eine freundliche junge Frau: „Das ist aber nicht üblich, dass man mich hier besucht. Du schaust ganz verhungert aus. Ich werde uns was zu essen machen.“ Andreas, der sich jetzt gar nicht mehr klein vor­kam, konnte seinen Blick nicht mehr von ihr wenden. „Was starrst Du mich so an. Du bekommst schon noch was Du willst.“ Und nachdem sie ihn näher angesehen hatte meinte sie: „Kannst Du denn überhaupt be­zah­len?“

Andreas war total verwirrt und ihm wurde erst jetzt bewusst, was er wirklich wollte. Er wurde ganz rot und antwortete ganz verlegen: „Nein, ich habe kein Geld.“ „Hast Du sonst etwas, was mir gefallen könn­te?“

 „Nein, ich habe überhaupt nichts:“ Etwas ärgerlich sah sie Andreas an, der sich jetzt gar nicht mehr so erwachsen vorkam. Doch schließlich mein­te sie: „Deine Unschuld könnte mir gefallen. Wohin willst Du ei­gent­lich?“

 

12) Nicht ablenken lassen

„Ich suche drei Schlüssel - einen grünen, einen roten und einen gel­ben.“ Jetzt horchte die junge Frau auf: „Wenn Du mir den grünen Schlüssel bringst und ich ihn einen Tag lang behalten darf, dann mache ich Dich heute Abend glücklich.“ „Das geht nicht: Ich muss zuerst alle drei Schlüssel finden, dann die Türen dazu und dann wird sich mein Le­ben total ändern und was dann ist weiß ich nicht. Solange habe ich kei­ne Zeit für Umwege.“

 

13) Die zweite Entscheidung

Sie lachte: „Du wirst noch viele Umwege in Deinem Leben machen.

 Aber wenn Du mir den kleinen Gefallen nicht tun willst, dann kannst Du draußen schlafen, oder hier auf dem Boden. Aber dann bleib mir bitte weit fern. Wie kann man nur so dumm sein.“ Andreas war hin und hergerissen, aber er entschied sich letztendlich doch nichts zu versprechen, obwohl er das Gefühl hatte, dass er sehr undankbar war, wo sie doch so freund­lich zu ihm gewesen war.

Warum hatten ihm seine Stimme, oder der En­gel, nicht bei dieser schwierigen Entscheidung geholfen?

 

14) Auf wen soll man hören

In dieser Nacht wurde der keine Andreas von Albträumen verfolgt und verließ frühmorgens heimlich die Hütte. „Hab ich richtig gehan­delt?“ fragte er seine Stimme, die ihm mürrisch antwortete: „Wieso fragst Du mich, wenn Du doch nicht auf mich hörst?“ Nachdenklich ging Andreas weiter. Seine Frage ließ ihm keine Ruhe.

 Hätte er vielleicht wirklich nicht in die Hütte gehen sollen, dann wäre ihm die Entschei­dung erspart geblieben. Er konnte mit sich selber nicht klar kommen.

 

 15) Hilfreiche Fehler?

Da sah er auf einmal den Engel, in Gestalt einer menschlichen Frau, auf ihn zukommen. In einigem Abstand vor ihm blieb sie stehen. Andreas blieb ebenfalls stehen. Langsam kam die Frau auf ihn zu. Als sie ganz nahe war, streichelte sie ihn über den Kopf: „Schau, jetzt kannst Du meine Nähe ertragen.

 Somit war Dein Besuch in der Hütte doch nicht nutzlos.“ Ganz erstaunt nahm Andreas wahr, dass ihm das Streicheln gut tat und er überhaupt keine Angst hatte.

 

 

 Der komische Frem­de hatte ihn sicher für dumm verkauft und er würde den Schlüssel hier wohl nicht mehr finden.

Aber schon war sein kleiner Engel wieder verschwunden.

 

16) Nicht verwirren lassen

Jetzt war unser kleiner Andreas ganz verwirrt: 'War es jetzt richtig, dass ich meiner Stimme nicht gefolgt bin, oder nicht?'

Da wurde er von ihr bissig unterbrochen:

„Wenn Du so weitermachst, dann stolperst Du über die Schlüssel, ohne es überhaupt zu merken.“

 

17) Ein ungutes Gefühl

Da bemerkte Andreas, dass er vor lauter Nachdenken gar nicht bemerkt hatte, dass es schon wieder dunkel wurde. Plötzlich sah er auf der lin­ken Seite seines Wegs ein Lagerfeuer. Als er hinzukam, erblickte er ei­nen seltsamen Mann, der sich Fische zubereitete. Der Fremde lud ihn zum Essen und Übernachten ein. Andreas hatte ein komisches Gefühl – einerseits vertraute er dieser Person, doch andererseits hegte er großes Misstrauen ihr gegenüber.

Wieder einmal war er total verwirrt.

 

18) Vertrauen

Als sie gemütlich beim Essen zusammen saßen, wurde Andreas gefragt: „Wohin geht Deine Reise?“ „Ich suche einen grünen Schlüssel. Jedoch ha­be ich überhaupt keine Ahnung, wo ich ihn finden kann.“ Ängstlich schau­te sich der Fremde nach allen Seiten um. Dann sprach er leise.

„Ich kann Dir sagen wo Du ihn findest. Was gibst Du mir dafür?“ „Ich besitze nichts. Ich kann Dir nichts geben.“ antwortete Andreas ganz klein­laut. „Schenke mir doch Dein Vertrauen, dann zeig ich Dir den Weg.“ Freudig wollte Andreas zustimmen, aber er hatte kein gutes Gefühl dabei.

Irgendwie hatte er Angst, dass ihn dieser Mann betrügen könnte. Und doch spürte er, dass er ihm vertrauen konnte. Endlich schaffte er es: „Gut ich vertraue Dir.“

 

19) Ein Weg voller Hindernisse

„Dann geh morgen diesen Weg weiter. Immer weiter, bis Du an einen riesengroßen See kommst. Wenn Du links an ihm vorbeigehen willst, dann gerätst Du in einen finsteren Wald, aus dem Du wahrscheinlich nicht mehr herausfindest.

Wählst Du die rechte Seite, dann musst Du steile Hügel überwinden und beim Abstieg über ein Gelände mit spitzigen Steinen.

Dann kommt Gestrüpp, Dornen und giftige Pflanzen, die Dir mehr zusetzen werden als Brenneseln.

 

Überlege Dir wohl, welchen Weg Du wählen willst.

Schließlich wirst Du wieder auf diesen Weg stoßen, der nur durch den weiten See unterbrochen war. Gehe auf ihm weiter. Dann kommst Du in eine enge Schlucht und dann in ein weites Tal. Dort ist eine große Wie­se, mit hohem Gras, auf der Du nur barfuß laufen sollst. Gehe in die Mit­te und dann spiralförmig immer weiter nach außen. Deine Füße werden bemerken, wenn Du auf den Schlüssel trittst.

Aber beachte: Du kannst nur am nieder getretenen Gras sehen wo Du schon gelaufen bist und das Gras stellt sich, schon nach nicht allzu lan­ger Zeit, wieder auf.

Anfangs ist das kein Problem, aber wenn die Run­den größer werden, dann musst Du Dich beeilen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Wenn Du alles so machst wie ich es Dir gesagt habe, dann wirst Du den Schlüssel finden.“ Andreas bedankte sich über­schwän­glich, obwohl er wahrnahm, dass der Fremde bei den letzten Worten ein seltsames Grinsen auf den Lippen hatte.

 

20) Die dritte Entscheidung

Kurz nach Sonnenaufgang machte sich Andreas wohlgemut auf den Weg, der endlos immer in die gleiche Richtung führte.

 

 

Endlich wusste er, wo er hingehen sollte und wie er diesen Schlüssel finden könnte. Es war schon Mittag vorbei, als er endlich zu diesem unendlich weiten See kam.

 Ach oh weh, jetzt musste sich Andreas schon wieder entscheiden.

 Aber schließlich dachte er sich: 'Lieber viele Strapazen auf mich neh­men, wie mich im Wald hilflos verirren‘ und er schlug den rechten Weg ein.

Kaum hatte er diese Entscheidung getroffen, vernahm er seine innere Stimme: „Hast Du bemerkt, dass Du diesmal gar keine Angst hattest, die falsche Entscheidung zu treffen?“ „Tatsächlich.“ staunte unser Abenteurer.

 

21) Nur nicht aufgeben

Wenn er geahnt hätte, was ihn da erwartete, hätte er diesen Weg nicht gewählt. Die steilen Hügel machten ihn schon fix und fertig und er meinte einfach keine Kraft mehr zu haben, auch nur noch einen ein­zigen Schritt weiter zu gehen. Aber er hatte keine Wahl. Die spitzen Steine drangen durch seine Schuhe und bereiteten ihm unheimliche Schmer­zen. Von den Schuhen war am Ende nicht mehr viel übrig und so hatte er auch gegen die brennenden Pflanzen kaum einen Schutz. Es kam ihm vor, als würde er durch Feuer gehen. Aber gerade das be­schleu­nigte seine Schritte. Letztendlich schaffte er es nach tausend Qualen wieder auf den alten Weg zu kommen. Erschöpft brach er zusammen.

 

22) Selber denken

Als er wieder erwachte und sich umschaute, wurde ihm bewusst, dass es ihm wohl gelungen wäre den See zu durchschwimmen, auch wenn es sehr anstrengend gewesen wäre. Aber lang nicht so qualvoll, als den Weg den er gewählt hatte. Daran hatte er einfach nicht gedacht, weil der Fremde von dieser Möglichkeit nicht gesprochen hatte. Wutentbrannt auf diesen Fremden, aber auch auf sich selbst, ging er weiter.

 

23) Ausdauer

Alles war so, wie es ihm gesagt worden war. Als er die Mitte der Wiese erreichte, war es schon wieder später Abend und er gab sich einem erholsa­men Schlaf hin.

Frühmorgens begann er dann, seine Spiralen zu drehen.

Anfangs noch ganz gemütlich und dann immer schneller.

Doch jede Runde war eine neue Enttäuschung. So suchte er zwei Tage und zwei Nächte. Nachts konnte er nur weiter suchen, weil in diesen Nächten der Mond und die Sterne besonders hell leuchteten.

Der dritte Tag begann und er taumelte nur noch im Eilmarsch vor sich hin.

Grüne Schleier lagen vor seinen Augen und überall zertretenes oder hochstehendes Gras. Andreas war verzweifelt.

  Der komische Frem­de hatte ihn sicher für dumm verkauft und er würde den Schlüssel hier wohl nicht mehr finden.

Aber weil er jetzt schon so lang gesucht hatte, wollte er nicht mehr aufgeben. Endlich kam er zur letzten, unendlich weiten Runde, die ganz am Felsen entlang führte. Es war nun schon kurz vor dem Ende und die Hoff­nung verließ ihn gänzlich.

 „Wie willst Du Frieden finden, wenn Du nur jammerst, andere verdächtigst und dann schließlich noch die Hoffnung aufgibst?“ hörte er plötzlich seine innere Stimme. Aber er war so wütend, dass er sie kaum beachtete.

 

24) Umwege

Da schreckte ihn plötzlich etwas aus seinen Tran auf. Er war auf etwas getreten. Er schaute nach und es war tatsächlich der grüne Schlüssel.

Hocherfreut nahm er ihn zu sich. Doch dann schaute er sich um: Wenn er, als er das Tal betreten hatte, an dem Felsen entlang, nur ein paar Schritte gegangen wäre, dann hätte er den Schlüssel sofort, ohne jede Mühe, gefunden. Er kochte vor Zorn.

 

25) Rückschläge

Kaum hatte er sich halbwegs beruhigt, da hörte er ein mächtiges Krachen. Felsen lösten sich und stürzten herunter; genau in den Eingang.

Er schaute sich die neue Lage an und erkannte schnell, dass er nun das Tal nicht mehr verlassen konnte. Die Felsen waren zu steil, um sie zu erklimmen. Zu allem Überfluss knurrte sein Magen inzwischen schon sehr laut. Es war bei dem Fremden, als er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Erschöpft und verzweifelt legte er sich erst einmal Schlafen. Würde er vielleicht im Traum eine Lösung finden?

 

26) Einfach stur weiter machen

Als er erwachte, war er ziemlich munter, aber die Schmerzen, der Dornen und giftigen Pflanzen spürte er immer noch. Im fiel nichts Besseres ein, als den Felswänden entlang zu gehen und zu untersuchen, ob es da irgendwo einen Durchgang ins Freie gab. Viel Hoffnung hatte er nicht.

Aber was sollte er sonst tun? So suchte er vergeblich ganz sorgfältig die Felsen ab.

 

27) Alles umsonst?

Die Sonne stand jetzt hoch am Firmament und der Hunger wurde unerträglich. Er musste erst einmal ausruhen.

 

 

 

Da standen plötzlich, wie aus dem Nichts, drei bewaffnete Männer vor ihm: „Gib uns den Schlüssel freiwillig, dann lassen wir Dich am Leben.“ meinte der fieseste von den beiden. Andreas erkannte sofort, dass er gegen diese Männer nichts ausrichten konnte. Selbst ohne Waffen war jeder einzelne ihm, an Kraft und Stärke, hoch überlegen.

 

28) Verloren oder gewonnen?

Also gab er ihnen den Schlüssel. Sie winkten ihm und er folgte ihnen.

Sie verschwanden hinter einem Gebüsch, das den Eingang in eine Höhle verdeckte. Dort lagen ein paart Fackeln bereit. Sie gingen ein Stück in die Höhle hinein und plötzlich tauchte in einer Nische ein kleines Vor­ratslager auf. „Hier kannst Du Dich satt essen. Bis dahin sind wir dann schon weit weg. Dann gehst Du einfach hier immer weiter, bis Du zum Ausgang kommst. Vielen Dank für den Schlüssel.“

Und schon waren sie weg. Gierig machte sich Andreas über das Essen her. Endlich fühlte er sich wieder halbwegs wohl. Dann ruhte er sich lan­ge Zeit aus, um Kräfte für den bevorstehenden Marsch zu sammeln.

 

 

29) Sinnlosigkeit

Nachdem er erwachte und wieder einigermaßen fit war, machte er sich auf den Weg und gelangte nach einigen Stunden ins Freie. 'Endlich raus aus dieser Dunkelheit.' dachte sich Andreas und genoss den Sonnen­schein.

Die Straße führte endlos gerade aus, wie schon von Anfang an. Sie war nur durch den See und das Tal unterbrochen worden. Aber alles war jetzt so sinnlos, da er ja den Schlüssel nicht mehr hatte. All seine Bemü­hungen, all sein Leiden hatten keinen Sinn gehabt. Seine Lage war schlimmer als früher, als er noch gemütlich, wenn auch unzufrieden, zu Hau­se gesessen war.

 

30) Hoffnungslosigkeit

Plötzlich, er wollte seinen Augen kaum trauen, sah er auf der linken Seite ein Lagerfeuer. Der Anblick kam ihm so bekannt vor. Er rannte los und tatsächlich saß da wieder dieser scheinheilige Fremde und bereitete sein Abendessen. Andreas tobte: „Sie haben mich an diese Mörder verraten. Sie sind schuld, dass ich den Schlüssel verloren habe. Sie ha­ben mich betrogen.“ Als er endlich zu schreien aufhörte, bot ihm der seltsame Mann etwas zu essen an. Andreas griff zu. Jetzt war eh alles egal. Es gab keine Hoffnung mehr für sein Leben. Er hatte versagt.

 

 

31) Nicht alles ist so, wie es scheint

Als sie mit dem Mahl fertig waren, meinte der Gastgeber: „Soll das das Vertrauen sein, dass Du mir versprochen hast?

Überlege doch mal vernünftig.

Wenn ich Dir den Weg nicht gezeigt hätte, dann hättest Du den Schlüssel überhaupt nicht gefunden. Die Männer, die die Frau von der Hütte, wo Du Deine erste Nach verbracht hast, geschickt hat, hätten Dich früher oder später doch gefunden, Dir dann den Schlüssel abgenommen und Dich getötet, wie es ihr Auftrag war. Indem ich ihnen verraten habe, wo Du bist, konnte ich sie überreden Dich nicht zu töten und deswegen sitzt Du jetzt lebend hier.“

 

32) Blind vertrauen?

„Und was nützt mir das?“ fauchte Andreas „Jetzt ist doch alles sinnlos.

Wie soll es denn jetzt weiter gehen?“ „Gehe den Weg weiter und suche erst mal die Tür für diesen Schlüssel.“ „Was nützt mir die Tür, wenn ich keinen Schlüssel habe.“ knurrte Andreas. „Vertrau mir einfach und tu was ich Dir sage.“ Und der Fremde betonte noch einmal: „Du hast mir versprochen mir zu vertrauen.“

 

33) Sich treiben lassen

Andreas wusste jetzt weder ein noch aus. Wie sollte er den Worten dieses Mannes glauben können, oder ihm gar vertrauen. Aber hatte er eine andere Möglichkeit? Er schloss die Augen, um sich zu sammeln und versuchte das Ganze zu verstehen. Das gelang ihm jedoch nicht so richtig. Als er jedoch die Augen wieder aufschlug, war der Fremde ver­schwunden. Aber schön langsam wunderte sich Andreas über über­haupt nichts mehr und weil er ja eh nicht zurück konnte, blieb ihm nur übrig weiter zu gehen.

 

 34) Trotzdem vertrauen

Der Weg war richtig frustrierend; immer gleich und ewig geradeaus.

Auch die Umgebung war sehr eintönig. Andreas fühlte sich ganz einsam

und allein und knurrte deshalb enttäuscht vor sich hin: „Bei all meinen Problemen haben mir meine Stimme und mein Engel nicht geholfen.

Sie haben mich im Stich gelassen. Wie lange habe ich sie schon nicht mehr gehört?“ „Es ist ja zwecklos mit Dir zu reden.“ vernahm er da seine innere Stimme. „Du vertraust dem fremden Mann nicht wirklich. Mir hast Du auch nicht vertraut. Ob Du Deinem Engel trauen sollst, weißt Du nicht. Nicht einmal unserem Vater vertraust Du.“

 

 „Was!“ empörte sich der kleine Andreas: „Wie kommst Du darauf, dass ich unserem Vater nicht vertraue?“ „Er ließ Dir sagen: ‘Du schaffst es!‘ und Du bist dauernd am Jammern und Zweifeln. Verlass Dich doch einfach auf Sein Wort, auch wenn Du Vieles nicht verstehen kannst.“

 

35) Selbstständig werden

Jetzt wurde Andreas sehr nachdenklich. ‚Einfach blind vertrauen? Aber ja, er ist mein Vater und der einzige, dem ich blind vertrauen sollte.‘ „Aber hat mich mein Engel nicht im Stich gelassen?“

„Wann wirst Du endlich lernen zu glauben, was wir Dir sagen? Dein Engel hat Dir gesagt: ‚Wenn ich jetzt verschwinde, bin ich trotzdem immer bei Dir.‘ Er hält sein Wort. Aber er ist nicht Dein Kindermädchen. Du musst Deinen Weg gehen und Deine eigenen Entscheidungen treffen. Aber Du darfst Dir si­cher sein, dass er auf Dich aufpasst und dass Dir letztendlich nichts Schlim­mes passieren kann. Lass Dich doch einfach bedenkenlos auf alles ein, was Dir widerfährt, im Vertrauen auf Deinen Vater und Seinen Helfern.“

 

36) Herausforderungen annehmen

Andreas war schon fast wieder am Verzweifeln. Da war noch so viel was er noch lernen musste:

 

 Vor allem Vertrauen, aber auch sein Leben selbst in die Hand nehmen, eigene Entscheidungen fällen, das Risiko eingehen etwas falsch zu machen, und immer wieder vertrauen, dass er alles getrost der Weisheit Seines Vaters anvertrauen kann. „So könnte ich Ruhe, Geborgenheit und Selbstsicherheit finden.“ wurde ihm da bewusst. „Ja, darum will ich mich jetzt bemühen.“

 

37) Ein Dach überm Kopf

Endlich sah er in weiter Entfernung ein kleines Dorf und am Dorfein­gang eine wunderbare Villa. ‚Ob mich die Leute da wohl auf neh­men.“ überlegte er zweifelnd.

Aber da wurde es ihm bewusst: „Ich will ja nicht mehr zweifeln. Und wenn ich nicht anklopfe und nach frage, wer­­de ich es nie erfahren.‘ Also ging er zu der Villa und betätigt den Türklopfer. Nichts geschah, obwohl er eine Zeit lang geduldig gewartet hatte. „Soll ich jetzt nochmals kräftiger klopfen, oder weiter gehen?“ überlegte er sich, als er plötzlich von innen schlürfende Schritte hör­te. Die Tür wurde geöffnet und ein uralter Mann stand vor ihm.

„Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat, aber ich bin nicht mehr der Jüngste und es verirrt sich eigentlich nie jemand hier her. Die abergläubischen Dorfbewohner haben Angst vor diesem Haus. Was kann ich für Sie tun?“

 

 „Ich suche, für eine Nacht, eine Unterkunft, wo ich essen und schlafen kann.“ erwiderte Andreas etwas zögerlich und dann fügte er noch ängstlich hinzu: „Aber ich habe kein Geld, um dafür zu bezahlen.“

Der alte Mann verzog das Gesicht, was wohl ein Lächeln sein sollte und meinte: „Da bist Du hier richtig. Die Herrin freut sich gewiss über Besuch. Wann hatten wir zum letzten Mal Besuch? War das vor zwanzig Jahren, oder ist das schon länger her?

Bei der Eintönigkeit hier vergisst man ganz die Zeit. Aber kommen Sie doch rein ins Wohnzimmer.

Ich werde die Herrin informieren und etwas zum Abend essen machen.

Ich hoffe, sie werde zufrieden sein.“ Der kleine Andreas wurde durch ein prächtiges Haus, in ein wunderbares Wohnzimmer, geführt. Müde nahm er in einen bequemen Sessel Platz. Er war so müde, dass ihm die Augen zufielen. Er wusste nicht, wie lange er vor sich hin gedöst hatte, als ihn plötzlich eine freundliche Stimme ansprach: „Herzlich willkommen. Er ist aufgetischt. Greife nur fest zu. Es ist reichlich da. Ich bin Martha.“ „Herzlichen Dank. Ich bin Andreas.“ stotterte er etwas verwirrt und noch ganz verschlafen vor sich hin. Dann öffnete er die Augen und sah einen herrlich gedeckten Tisch, mit den besten Speisen.

Die meisten hatte er noch nie, in seinem Leben, gesehen. Ihm gegenüber saß eine ältere Frau, die ihm aufmunternd zulächelte.

 

38) Ein Angebot

Sie erzählte von uralten Zeiten und war dabei ganz glücklich. Oft war nicht zu unterscheiden, ob sie das selbst erlebt hatte, oder einer ihrer Vorfahren. Aber das war ja auch nicht wichtig. Hauptsache war, dass ihr jemand aufmerksam zuhörte.

Nach dem Abend essen wurde Andreas in ein prächtiges Schlafzimmer geführt. Das Bett war so weich und kuschelig und so schlief er bald ganz tief. Es war schon früher Nachmittag, als er erwachte.

Nach einem köstlichen Mittag essen war es zu spät zum weiter Wandern. „Aber Morgen muss ich unbedingt los.“ ermahnte sich der Junge. Erst jetzt fragte ihn die Frau, wo er denn hin wolle. Als er es ihr erzählt hatte, schüttelte sie verständnislos den Kopf: „Farbige Schlüssel suchen, ist was für kleine Kin­der. Aber Du bist kein kleines Kind mehr. Das ist doch alles sinnlos.

Bleibe doch hier. Ich habe mir schon immer einen Sohn gewünscht und würde mich freuen wenn Du hier bliebst.

Ich bin reich und kann Dir alles geben was Du Dir nur wünschen kannst.

 

Etwas Besseres kannst Du nirgendwo finden.

 

 39) Dankbarkeit

Augenblicklich fühlte sich Andreas nicht mehr wohl: ‚Schon wieder eine Entscheidung.‘ Natürlich hatte die Frau recht und sein Verstand sagte ihm das Selbe. Aber irgendwie spürte er, dass das nicht richtig sei; dass er nicht all die Mühen und schrecklichen Strapazen auf sich genommen hatte, um hier ein schönes Leben zu führen. Er wurde verwirrt: ‚Was will ich den wirklich?‘ Er konnte die Frage nicht beantworten. „Geben Sie mir bis Morgen Zeit. Ich kann mich noch nicht entscheiden.“ „Nimm Dir so viel Zeit wie Du brauchst. Hauptsache Du bleibst hier.“ War er denn noch frei in seiner Entscheidung? Verlangte es nicht die Dankbarkeit, dass er dieses Angebot annahm? Er begab sich früh zur Ruhe, fand aber keine.

 

40) Gebet

So bat er in seiner Verzweiflung den Vater um Hilfe. Aber nichts ge­schah. Doch im Laufe der Nacht wurde er ruhiger und es überfiel ihn eine Gewissheit, was zu tun sei. Zwar hatte er Angst davor, es auszuführen, aber er war sich jetzt ganz sicher, dass er nur so handeln konnte.

 

41) Hoffnung

Das wunderbare Frühstück wollte ihm heute nicht schmecken, denn danach musste er ihr die Wahrheit sagen: „Es tut mir sehr leid. Aber ich muss weiter ziehen. Ich kann einfach nicht anders. Auch wenn Sie mit Recht meinen, dass das ganz dumm von mir ist und ich einem Phantom nachjage. Ich muss es einfach tun. Ich darf meine Hoffnung nicht begraben, auch wenn ich gar nicht recht weiß, auf was ich denn wirklich hoffe.“ Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet, aber es war heraus, er hatte es gesagt und das verschaffte ihm etwas Erleichterung.

 

42) Zweifel

Die Frau brach in Tränen aus, sagte aber kein Wort.

 ‚Kann ich denn wirklich so hartherzig sein, dass mich ihre Tränen nicht rühren?‘ dachte er bei sich. ‚Es ist doch eh alles sinnlos was ich vorhabe. Eine Tür suchen, zu der ich keinen Schlüssel mehr habe. Ist doch einfach lächer­ich. Und dafür lasse ich diese Frau, die mir so viel Gutes getan hat und nur das Beste für mich will, im Stich. Bin ich denn noch bei Verstand?‘

 

43) Nicht aufhalten lassen

Es war zum verrückt werden. Aber plötzlich war er wieder ganz bei sich selbst und er wusste,

dass er seinen Weg gehen musste. Es wurde ihm klar, dass ihn ja der Vater damals fort geschickt hatte. Mit Tränen in den Augen schluchzte er: „Ich muss weiter. Ich muss es schaffen.

 Was immer es auch sein wird.“

 

44) Sein Wille geschehe!

Die Frau hörte auf zu weinen und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Trotz allen Schmerzes versuchte sie zu lächeln: „Ich weinte nicht nur, weil ich Dich verliere, sondern auch aus Freude, dass Du konse­quent Deinen Weg gehst. Dass Du den Willen Deines Vaters erfüllen willst und Dich durch nichts davon abhalten lässt. Das ‚selbst‘ Wollen, was ‚der Vater‘ will, ist immer das Beste für uns.“

 

45) Eintönigkeit

Der Abschied war kurz und sie verriet ihm noch, dass er ein Stückchen hinter der Ortschaft links abbiegen müsse, um auf eine hohe Mauer zu stoßen. In ihr müsse die gesuchte Tür sein. Mit gemischten Gefühlen machte sich Andreas auf den Weg. Nachdem er links abgebogen war, zog sich der Weg wieder endlos gerade hin.

Auch diese Landschaft war nicht sehr abwechslungsreich. Diese Eintönigkeit machte ihn ganz depressiv. Endlich sah er in weiter Ferne eine un­vorstellbar hohe Mauer.

Das war sehr beeindruckend und munterte unseren kleinen Andreas wieder ein wenig auf. Der Weg war noch erstaunlich lang, bis er wirklich an einer Ecke dieser Mauer stand.

So di­rekt neben der Mauer, kam er sich so klein wie eine Ameise vor. ‚Oh weh, jetzt muss ich mich schon wieder entscheiden, ob ich geradeaus an der Mauer entlang gehe und die Tür suche, oder ob ich links abbiege und diesen Teil der Mauer nach der Tür absuche.‘ stöhnte Andreas vor sich hin.

 

46) Am Ziel oder am Ende?

Eigentlich ist es ja egal. Es ist doch reine Glückssache, auf welchem Weg ich die Tür zuerst finde. Also biege ich einfach mal ab, um dieser ewigen Gleichtönigkeit zu entkommen.

Er ging nicht lange, da stand er schließ­lich wirklich vor einer Tür, mit einem grünen Schloss. Aber es wollte keine Freude aufkommen. Im Gegenteil, jetzt wurde er noch niedergeschlagener: Bisher hatte er ein Ziel gehabt. Das hatte ihn aufrecht gehalten. Aber jetzt? Jetzt gab es nichts mehr, was ihn von der Sinnlosigkeit seines Tuns, ablenken konnte: Er hatte die Tür gefunden, aber den Schlüssel verloren. Jeder weitere Schritt war sinnlos. Bei diesen Gedanken stieg Panik in ihm auf.

 

 

47) Begegnung

Missmutig ging er einfach weiter. Plötzlich sah er in der Ferne jeman­den entgegenkommen. Das gefiel ihm überhaupt nicht, denn er wollte jetzt mit seinem Frust allein sein und niemanden sehen.

Aber er konnte nicht ausweichen, wenn er nicht zurück rennen wollte. Und das kam ihn dann doch zu lächerlich vor. Aber als er die Gestalt erkannte, huschte, für einen kurzen Moment, ein Lächeln über seinen Mund:

Sie war das Mädchen, dem er am Anfang seiner Reise begegnet war.

 

48) Die Überraschung

Freude strahlend kam sie auf ihm zu und erschrak, als sie sein verbittertes Gesicht sah:

„Was ist denn passiert, dass Du gar so grimmig dreinschaust?“ „Ich habe das Schloss gefunden, aber den Schlüssel verloren.“ brummte Andreas ganz missmutig.

Da zog das Mädchen lächelnd, aus seiner Tasche, einen grünen Schlüs­sel und hielt ihn in die Luft. Dem kleinen Andreas blieb die Luft weg:

„Wo hast Du denn den her? Doch nicht etwa geklaut? Freiwillig haben sie ihn Dir sicherlich nicht gegeben.“

 

 

 

49) Neue Bedenken

Sie lachte: „Weder geklaut noch geschenkt bekommen. Sie haben nur eine Kopie. Deswegen musste ich einen anderen Weg gehen und Du durftest nicht durch den See schwimmen, damit ich vor Dir am Ziel war und den Schlüssel austauschen konnte.“

Ihm blieb der Mund offen stehen vor Stauen, aber dann kamen ihm Bedenken: „Die werden den Betrug doch merken und mich dann verfolgen und mich schließlich doch noch töten.“

 

50) Neues Leben

„Werden sie nicht. Die Frau wollte nur den Schlüssel. Sie wollte damit kei­ne Tür zu neuen Abenteuer öffnen. Davon hat sie schon zu viel in ihrem Leben erlebt.

 Von diesem Schlüssel der Hoffnung, wie er ge­nannt wird, ersehnt sie sich Zuversicht, dass sich ihr Leben doch noch ändern kann.“ „Aber eine Kopie ist doch wertlos. Die wird ihr nichts helfen.“ „Auch der echte Schlüssel würde nichts bewirken. Aber ihr Glaube daran wird bewirken, dass wieder Hoffnung und Zuversicht in ihrem Herzen keimen und sie sich endlich traut ein neues Leben anzufangen.“

 

51) Glaube

„Dann hätte sie dazu genauso gut einen grünen Advents­zweig neh­men können.“ knurrte Andreas zynisch, der daran dachte, dass er deswegen bei­nahe sein Leben verloren hätte. „Das hätte nicht funktioniert. Der wäre zu leicht zu bekommen gewesen. Während bei dem Schlüssel, der so schwer zu bekommen war, fiel ihr dieser Glaube leichter.“ „Verrückte Welt.“

 

52) Verzeihung

Nachdenklich ergänzte das Mädchen: „Aber sie wird nie glücklich wer­den, weil sie ja meint, dass sie Dich getötet hat. Du musst später einmal zu ihr reisen und sie von diesen Gewissensbissen befreien.“ „Wie käme ich dazu?“ empörte sich der kleine Andreas „Sie wollte es ja wirk­lich.“ „Aber der Vater wollte nicht, dass sie zur Mörderin wird und unser Vater will, dass Du verzeihen lernst. Denn wenn Du es nicht lernst, wirst auch Du nie glücklich werden.“

„Nun, ich werde wohl noch einige Zeit haben darüber nachzudenken.“

 

53) Der seltsame Name

Jetzt wollte unser Andreas erst mal auf ganz andere Gedanken kommen: „Wie heißt Du eigentlich.“ „Nenn mich einfach Andrea, das kannst Du Dir am Leichtesten merken.“

 

„Meinst Du, ich bin zu blöd, um mir einen Namen zu merken?“ „Nein, aber Du könntest ihn nicht einmal richtig aussprechen und noch viel weniger ihn Dir merken. Das könnte niemand.“ „Wenn Du meinst, Andrea.“

 

54) Eine feierliche Handlung

Jetzt ging sie ganz ehrfürchtig auf ihn zu und übergab ihm feierlich den Schlüssel mit den Worten: „Ich schenke Dir diesen Schlüssel.“ Unser Andreas war ganz erstaunt: Für ihn war es selbstverständlich gewesen, dass das sein Schlüssel sei, den sie ihm nur zurückgebracht hatte.

 

55) Die rechte Zeit

Andreas wollte zurückgehen zum Tor, aber sie wollte nicht. „Nein, es wird schon dunkel und im Finstern sollte man nicht in eine unbekannte Ge­gend gehen. Lass uns Morgen, gleich nach Sonnenaufgang zum Tor gehen. Dann haben wir den hellen Tag vor uns und können das Neue erforschen.“ „An was man nicht alles denken sollte.“ staunte Andreas.

„Aber wo wollen wir dann heute Nacht übernachten?“ Andrea deutete zurück, wo sie hergekommen war: „Ich habe dort ein kleines Zelt. Darin können wir übernachten.“

 

 

56) Einfach vertrauen?

Schon bald darauf erreichten sie das Zelt und legten sich auf eine Matte. Andreas fand es etwas seltsam, so nahe beieinander zu liegen: „Hast Du denn keine Angst?“ fragte er sie zögerlich. „Ich vertraue Dir.“ gab sie ihm zur Antwort, drehte sich um und war gleich darauf eingeschlafen, wie man an ihrem leichten Schnarchen vernehmen konnte. ‚Sie vertraut einfach und kann ruhig schlafen.‘ staunte unser kleiner Andreas.

‚Wie oft hatte ich schlaflose Nächte, voll Sorgen und Kummer?‘

 

57) Verlassen?

Als er erwachte, war er allein: ‚Hat sie sich nachts einfach davon geschl­chen? Bin ich jetzt wieder allen.‘ überlegte er ganz schwermütig. Dann fiel ihm ein: ‚Ich wollte ja vertrauen lernen. Also will ich daran glauben, dass sie mich nicht verlassen hat. - Aber ob das wirklich so einfach ist? - Wenn ich ewig zweifle, komme ich nie zur Ruhe. Warum fällt mir das Ver­trauen nur so schwer?‘

 

58) Reinigung

Er ging vor das Zelt und sah, in einiger Entfernung, Rauch aufsteigen. Da machte wohl jemand eine Lagerfeuer:

 

‚Fürs Frühstück?‘ Und tatsächlich: Als er näher kam, hantierte Andrea an einem kleinen Feuer. Neben ihnen war ein wunderbarer See: „Da kannst Du Dich waschen. Am Ufer liegt noch ein Stück Seife. Ich muss noch mal zum Zelt zurück um Ordnung zu machen.“ ‚Was gibt es da, zum in Ordnung bringen?‘ dachte sich Andreas, bis im klar wurde, dass sie ihn nur bei der Morgentoilette nicht stören wollte.

 

59) Rat annehmen?

Bald darauf ließen sie sich das Frühstück schmecken und machten sich aufgeregt auf den Weg zur Tür. Ganz andächtig zog Andreas den grünen Schlüssel aus seiner Tasche und steckte ihn ins Schloss. „Vergiss nicht, den Schlüssel wieder herauszunehmen, wenn wir drin sind, denn die Tür fällt von allein wieder zu und dann würde der Schlüssel außen stecken.“ Und wieder dachte er ganz verwundert: ‚An was man nicht alles denken muss. Aber woher weiß sie das? Ich scheine der einzige zu sein, der in dieser Geschichte keinen Durchblick hat.‘ Natürlich befolgte er ihren Rat.

 

60) Hinterm Tor

Hinter dem Tor erlebten die beiden viele Abenteuer, aber davon wissen wir so gut wie nichts. Nur so viel:

Andreas befreite das grüne Reich von einem Fluch.

Dafür wurde ihm angeboten, die Prinzessin, die ihm sehr gut gefiel, zu heiraten und später Regent des Reiches zu werden. Aber er lehnte ab, weil er ins rote Reich wollte.

Dort half er den Menschen und man wollte ihn unter den Rat der Weisen aufnehmen, damit er noch mehr für die Menschen hätte tun können. Aber er lehnte ab, weil er ins gelbe Reich wollte.

Dort erzählte er den Menschen von Gott und begeistere sie für Jesus.

Dafür wollte man ihm ewiges Leben und ewige Jugend schenken.

Aber …

 Egal wie immer sich Andreas entschied, seine Begleiterin blieb immer treu an seiner Seite. Ohne sie hätte er das alles auch gar nicht schaffen können.

 

61) Zurück

Jahrzehnte später sah man Andreas mit seiner treuen Begleiterin den Weg, den sie damals getrennt gegangen waren, gemeinsam zurückkommen. Sie waren sehr alt geworden. Man wunderte sich:

Warum waren sie in unsere Welt zurückgekehrt? Hatte man ihnen nicht ewiges Leben und ewige Jugend versprochen?

 

62) Veränderung

Schließlich kamen sie zu der Hütte, in der Andreas ganz am Anfang seiner Reise eingekehrt war.

Hier hatte sich inzwischen viel verändert: Die Hütte war noch die alte, nur über dem Eingang hing ein grüner Schlüssel. Aber ansonsten war hier ein kleines Dorf entstanden, mit lauter großen Hütten.

 

63) Man sieht sich wieder

Zaghaft klopfte Andreas an. Nach einer Weile öffnete eine alte Frau mit weißen Haaren. Er konnte in ihr dennoch die junge Frau von damals erkennen. Sie schien nicht nur älter, sondern auch weiser geworden zu sein. Als sie ihn sah war ihr das Erstaunen deutlich im Gesicht abzulesen. Auch sah man, dass ihr ein Stein vom Herzen fiel.

 

64) Erinnerungen

Sie lud die Beiden zu einem einfachen, aber köstlichen, Mahl ein.

Zögerlich begann sie: „Ich hatte gedacht, Du würdest ein elendes Leben führen, weil Du doch die Türe nicht öffnen konntest.“ „Ich habe sie geöffnet. Du hattest einen falschen Schlüssel. Aber ich denke, jeder hat wohl den Schlüssel bekommen, den er gerade gebraucht hat.“ erklärte Andreas.

 

65) Das Gewissen

Mit Tränen in den Augen fuhr sie fort: „Ich hatte die ganze Zeit ein schlech­tes Gewissen, weil ich in Kauf genommen habe, dass Du getötet wirst, oder dass Du Dein Lebensglück nie erreichen wirst. Das hat mich immer belastet und ich hatte deswegen viele Albträume.

 

66) Schicksalsgenossen

Aber bereuen kann ich es nicht. Es ist so viel Gutes daraus entstanden:

Als ich den grünen Schlüssel hatte, konnte ich endlich daran glauben, dass sich mein Leben doch noch verändern kann. Ich hatte einiges ge­spart und so machte ich hier eine Herberge auf. Da begegnete ich vielen Menschen, denen es genauso wie mir erging. Sie wollten ein neues Le­ben anfangen, aber hatten nicht den Mut dazu oder glaubten nicht mehr daran, dass das möglich sei.

 

67) Der Neubeginn

Wir taten uns zusammen und gaben alles, was wir besaßen, um diese Dorf aufzubauen – ein Ort für Alte und Kranke. Alle helfen, so gut sie können mit: Die Alten besuchen die Kranken und nehmen sich Zeit für sie. So entstand hier ein kleines Paradies.“ „Das ist ja wunder­bar.“ strahlte Andreas:

„So hat unser himmlischer Vater doch noch alles zum Guten gewendet.

 

68) Alles ins Reine bringen

„Ja“ entgegnete die Alte ganz verzagt: „Mein größter Wunsch, bevor ich sterbe wäre, dass Du mir alles vergibst, was ich Dir angetan habe.“

 

69) Die letzte Entscheidung

Für lange Zeit trat eine Stille ein und man merkte wie Andreas mit sich rang. Sein Atem ging schwer, sein Blick war unruhig und seine Hände zitterten. Ganz langsam wurde er wieder ruhiger und hatte sich wieder unter Kontrolle. Nach einer weiteren Pause sprach er ganz langsam aber bestimmt: „Ich vergebe Dir.“ Sie brach in Tränen aus.

 

70) Das Ziel ist erreicht

Andrea klopfte ihm anerkennend auf die Schulter: „Jetzt hast Du den letzten Schritt geschafft. Jetzt bist Du frei. Jetzt kannst Du ein Leben in Fülle führen. Jetzt hast Du Dein Ziel erreicht.“

 

71) Die neue Heimat

Andreas atmete einige Male kräftig durch: „Wohin will ich eigentlich?

Das Haus von dem ich gekommen bin, ist inzwischen sicherlich verfallen oder von anderen Menschen bewohnt. Dort finde ich keine Heimat mehr. Ich bin alt geworden. Darf ich hier bleiben? Ich werde mich auch irgendwie nützlich machen.“ Die alte Frau trocknete ihre Tränen und strahlte: „Das würde mich sehr freuen.“

 

72) Trennung

Da erhob sich Andrea: „Dann hast Du ja jetzt ein neues Zuhause gefunden und bist in guten Händen. Dann wird es für mich Zeit weiter zu ziehen.“ Andreas war enttäuscht: „Willst Du nicht hier bleiben?“ „Nein, es war schön, dass wir ein langes Stück miteinander gewandert sind, aber jetzt muss jeder wieder seinen eigenen Weg gehen – so wie am Anfang auch.“

 

73) Ein neuer Abschied

Sie erhob sich und verließ die Hütte. Andreas eilte ihr nach und segnete sie. Dann schaute er ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

 

74) Neues entdecken

Bald hatte Andreas sich eingelebt. Dabei entdeckte er, dass er heilende Hände hatte und dass Menschen in seiner Nähe neuen Mut fanden und glücklich waren

 

Impressum

Texte: ®MicMam 2021
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die endlich zu leben beginnen wollen.

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