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Der Rabe




Nachdem wir ausgeschlafen haben, will ich mein Kind vom Tisch herunter heben, aber es schafft es selbst. Dann gehen wir zur Quelle. Ich frage mein Kind, ob ich es küssen dürfe und es küsst mich am ganzen Körper. Anschließend tue ich das Gleiche mit ihm. Nachdem wir uns gewaschen haben, reibe ich mein Kind mit meinen Händen trocken.
Daraufhin verlassen wir die Höhle. Die Sonne steht wieder südöstlich. Ich wundere mich darüber: „Warum steht die Sonne immer am gleichen Punkt und bewegt sich nie weiter?“ „Es gibt hier keine Zeit, die ständig weitergeht und von der Sonne angezeigt wird. Die Zeit wird hier nur durch unsere Tätigkeit ausgedrückt – die zeigt aber die Sonne nicht an.“ Ich überlege mir, was das zu bedeuten hat, aber ich komme nicht dahinter.
Kurz darauf werde ich schon wieder von meinen Gedanken abgelenkt: Auf unserer Höhle sitzt ein Rabe. Ich nähere mich ihm ganz vorsichtig und langsam. Schließlich bleibe ich ein paar Schritte vor der Höhle stehen. Er scheint keine Angst zu haben. Ich bitte mein Kind: „Hol ihm doch bitte ein Stück Brot.“ Es geht in die Höhle, aber nach kurzer Zeit ruft es: „Der Brotkasten ist zu hoch. Ich kann ihn nicht aufmachen!“ So gehe ich also selber in die Höhle, öffne die Klappe, entnehme Brot und Messer und lege es auf die Bank.


Mein Kind schneidet ein Stück Brot ab und wirft es vor die Höhle. Sofort kommt der Rabe angeflogen und frisst das Brot. Nachdem mein Kind den Rest des Brotes aufgeschnitten und ich das Messer zurückgelegt habe, setzten wir uns wie 'gestern' zu Tisch. „Willst Du uns nicht Gesellschaft leisten und mit uns essen?“ rufe ich zur Höhle hinaus. Sofort kommt der Rabe angeflogen und setzt sich links neben mich auf den Tisch.
Wir drei teilen jede Scheibe miteinander. Der unendliche Appetit des Raben setzt uns in Erstaunen. Nachdem wir beide satt sind, fragt er mein Kind: „Darf ich den Rest auch noch essen?“ Mein Kind schaut auf mich. Ich nicke. Daraufhin reicht ihm mein Kind den Rest des Brotes mit der Bemerkung: „Natürlich, es freut uns, dass es Dir so gut schmeckt.“ Der Rabe isst und isst und scheint nie wieder aufhören zu wollen. Plötzlich lässt er etwas fallen, aber wir tun beide so, als hätten wir nichts bemerkt. Aber dann tut er es immer wieder. Ich frage ihn: „Hast Du Durchfall?“ „Nein, ich will nur ganz leer werden. Dazu muss ich so viel wie möglich essen und sofort wieder ausscheiden.“ Ich denke bei mir: „Was hat das zu bedeuten?“ Er aber isst unaufhörlich weiter und der Geruch wird immer schlimmer. Als der Geruch kaum mehr auszuhalten ist, fragt uns der Rabe: „Wollt ihr nicht lieber ins Freie gehen?“ Ich entscheide: „Nein, wir wollen lieber beisammen bleiben.“ Mein Kind gibt mir durch eine Geste zu verstehen, dass es damit einverstanden ist.


Als fast nur noch eine Kruste übrig ist, meint der Rabe: „Ich bin jetzt satt, wollt ihr euch den kleinen Rest noch teilen?“So nehme ich den Rest und teile ihn gemeinsam mit meinem Kind.
Danach fliegt der Rabe zur Quelle und trinkt. Das Wasser fließt richtig durch ihn hindurch. Ich schaue auf dem Boden und denke mir: „Wir kann ein so kleines Tier nur so einen großen Haufen hinterlassen?“ Nun verlassen wir endlich die Höhle. Das Gras kommt mir jetzt kräftiger vor und mitten darin steht eine Blume. Wir setzen uns zu ihr, die Füße um sie herum, so dass sie jeweils auf den anderen zeigen. Ich sitze mit dem Rücken zur Höhle und der Rabe rechts von mir. Ich frage ihn: „Was hatte das vorhin zu bedeuten?“ „Ich wollte den ganzen Unrat in mir loswerden, damit ich Gutes in mir aufnehmen kann.“ Ich frage mein Kind: „Sollen wir das vielleicht auch tun?“ Der Rabe antwortet: „Das war nur ein Zeichen. Ihr müsst Herz und Seele leeren, um Gutes in euch einzulassen.“ Die Worte berühren mich sehr stark und ich denke darüber nach, wie das zu verstehen sei, frage aber nicht weiter, obwohl ich keine Ahnung habe, wie wir Herz und Seele leeren könnten. Durch das Nachdenken und die Wärme überkommt mich eine angenehme Müdigkeit und ich schlafe ein.
Ich träume, dass plötzlich ein hoher Zaun das Plateau einzäunt und wir dadurch Gefangene sind.

Langeweile




Als ich erwache, ist der Dunst immer noch ziemlich stark. Ich habe fast das Gefühl, dass er stärker geworden ist. Zu meinem Erstaunen ist das Gras gewachsen und stärker geworden, es ist jetzt fast so wie auf meiner Wiese. Aber ich erkenne leider auch kurzes gelbes Gras zwischen dem kräftigen Grün. Inzwischen ist mein Kind auch erwacht. Ich küsse und streichle den Kopf der Blume und mein Kind tut das Gleiche. Danach fliegt der Rabe davon. Er setzt sich nochmal auf die Höhle, winkt uns mit seinem Flügel zu, um dann endgültig weg zu fliegen. Schon bald ist er ganz klein und kaum mehr zu erkennen. Wir schauen ihm etwas wehmütig nach. Dann setzen wir uns wieder zu der Blume.
Aber kurz darauf stehen wir wieder auf und gehen erst mal zur Quelle, um uns zu waschen. Der Geruch ist nicht mehr so schlimm wie 'gestern'. Danach reibt sich mein Kind selbst mit seinen Händen trocken. Ich reibe ihm nur den Rücken ab und es tut dasselbe mit mir. Anschließend gehen wir wieder hinaus. Die Sonne ist hinter schwachen Dunst gelblich. Wir setzen uns wieder zu der Blume. Ich mit dem Rücken zur Höhle und mein Kind rechts von mir. Ich schaue auf die beiden Bergspitzen, die nur schwach zu erkennen sind. Da kommt ein freudiges Gefühl in mir auf. Ich bin überzeugt, dass hinter den Bergspitzen ein herrliches Land liegen müsse.


Deshalb frage ich ganz begeistert: „Sollen wir trotz des Nebels versuchen in das Land zu gelangen, dass zwischen den beiden Bergspitzen liegt?“ Nach einem längerem Schweigen antwortet die Blume: „Tut es lieber nicht. Ihr würdet es jetzt nicht erreichen.“ Mein Kind stimmt ihr zu. „Was soll ich jetzt tun?“ In mir ist die Lust aufgekommen, irgendetwas zu unternehmen. Das Plateau ist mir zu eng geworden. Deshalb frage ich mein Kind: „Sollen wir umkehren?“ „Nein, wir sollten besser noch nicht gehen.“ Meine Unruhe bleibt. Ich glaube jetzt trotz der Bewölkung zwischen den beiden Berggipfeln im Hintergrund einen dritten Berggipfel zu erkennen. Er ist ganz schwarz. Alles ist so undeutlich, dass ich plötzlich meine, statt der Spitze einen riesigen Baum zu sehen. Kurz darauf sehe ich dann endgültig nichts mehr. Ich schau mich um, aber überall nur Dunst.
Ich beschließe auf die Höhle zu steigen, wo der Rabe gesessen hat. Ich würde so gern auf meine Wiese herunter schauen. Mein Kind warnt mich: „Pass gut auf, dass Dir nicht schwindlig wird.“ Durch diese Fürsorge aufgemuntert erwidere ich: „Viel kann ja nicht passieren. Du passt ja sicherlich auf mich auf.“ Mein Kind lächelt und gibt ernsthaft zur Antwort: „Natürlich passe ich auf Dich auf.“ Also steige ich auf die Höhle, aber die Sicht nach unten ist durch den Nebel versperrt. Aber über dem Nebel habe ich eine herrliche Aussicht.


Ich kann hinter dem Meer, in endloser Entfernung, die Berge erkennen. Mich überkommt ein unheimlicher Drang, über die Wolken zu den Bergen zu gehen. Aber ich befürchte, dass mich die Wolken nicht tragen werden. So frage ich mein Kind: „Ich würde so gern auf den Wolken zu den Bergen da hinten gehen. Das würde mir riesig Spaß machen. Meinst Du, dass das möglich ist?“ „Lass Dich nicht von Deinem Übermut dazu hinreißen. Tu es lieber nicht!“ Wieder bin ich in meinem Tatendrang gebremst.
Ich schaue mich noch nach allen Seiten um und stelle fest, dass ich jetzt auf der Höhe der beiden Bergspitzen auf der anderen Seite bin. Danach steige ich wieder herab und lege mich, etwas enttäuscht, dass ich heute so wenig unternehmen konnte, mit meinem Kind zum Schlafen.
Ich träume von einem Windhauch, der mich über die beiden Bergspitzen in ein neues wunderbares Land weht.

Unter der Erde



Als wir erwachen, steht mitten auf der Wiese ein riesengroßer Baum. Ich fühle mich dabei etwas unwohl. „Wo kommt dieser Baum so plötzlich her?“ Ich richte meinen Blick nun erst einmal zu Boden. Das Gras ist kräftig und hat ein prächtiges Grün. Aber da sind auch die gelben Stellen. Wir gehen dann zurück zum Höhleneingang, um den Baum in seiner vollen Größe bewundern zu können. Er hat sehr starke Äste und üppige Blätter mit einer kräftigen grünen Farbe. Wir gehen zum Stamm und können ihn, zu unserer Verwunderung, gemeinsam umarmen. Er kann in Wirklichkeit also gar nicht so dick sein wie es den Anschein hat. Ich lehne mich an den Baum, so dass ich auf die Blume schaue, mein Kind setzt sich rechts neben mich. Ich schaue nach links auf die Sonne. Sie ist immer noch vom Nebel verhüllt. Ich streichle die Blume, nehme dann mein Kind in den Arm und streichle es auch; danach setzte ich mich wieder auf meinen Platz.
Dann will ich von der Blume wissen: „Wo ist der mächtige Baum auf einmal hergekommen?“ „Aus deiner Phantasie. Sie ist zur Wirklichkeit geworden.“ „Soll ich den Baum besteigen?“ „Ja gewiss, das ist genau das, was Du jetzt gerade brauchst.“ Also erklimme ich, mit Hilfe meines Seiles, den Baum. Mein Kind schafft den Aufstieg allein. Durch die dicken Blätter kann ich jedoch nichts sehen. So versuche ich möglichst weit nach außen zu klettern, um ein freies Blickfeld zu finden.


Nach zwei vergeblichen Versuchen bei denen jedes Mal die Äste zu brechen drohen, gebe ich es auf und ziehe mich in die Baumkrone zurück. Nun fordere ich mein Kind auf, es zu versuchen. Es gelingt ihm tatsächlich bis zu den Blättern vorzudringen, aber er hat wegen der dichten Blätter doch nur eine beschränkte Aussicht. Ich ermuntere es, zu versuchen weiter nach außen zu kommen, aber es meint nur: „Der Ast hier wird zwar etwas dicker, aber wenn ich auf ihn klettere, bricht er. Ich kann nicht weiter hinaus kommen.“
„Was kannst Du sehen?“ „Überall Nebel. Die Sonne versucht sich durchzuarbeiten, aber sie schafft es noch nicht.“ „Schaue in alle Richtung, ob Du nicht doch irgend etwas erkennen kannst.“ „Nein, überall nur Nebel oder Blätter.“ Ich schaue mich auf der Baumkrone, auf der ich sitze, etwas genauer um und stelle fest, dass es hier einen Eingang in das Innere des Baumes gibt. Ich rufe mein Kind und wir klettern auf der Leiter, die im Inneren nach unter führt, immer tiefer und tiefer. Ich überlege: „Jetzt müssten wir auf der Höhe des Bodens sein – jetzt auf Wurzelhöhe.“ Aber es geht immer weiter hinunter. Es ist sehr dunkel, aber trotzdem kann man alles erkennen, was uns sehr verwundert. Nach einem langen und anstrengenden Abstieg kommen wir auf einen kleinen Pfad, der kaum breiter als ein Fuß ist. Darunter fließt ein Bach und ich denke mir: „Das muss die Verbindung von der Quelle in der Höhle zur unteren Quelle sein.


Der Weg führt auf gleicher Höhe nach rechts und nach links. So dass er sich Bach abwärts immer weiter vom Wasser entfernt und Bach aufwärts sich immer mehr dem Wasser nähert. Ich entschließe mich, dass wir links, also Bach aufwärts, abbiegen. Schon bald kommt ein tosender Wasserfall. Wir gehen unter ihm hindurch. Bald danach endet der Pfad und wir stehen vor dem Fels. Ich suche einen Durchgang, finde aber keinen, so das wir zurückgehen müssen. Unter dem Wasserfall suche ich ebenfalls nach einem Eingang. Ich bin mir sicher, dass es einen gibt. Ich finde ihn aber nicht. Ich habe das seltsame Gefühl, dass hinter dem Felsen eine Leiche oder etwas ähnliches verborgen ist. Ich suche nochmals sorgsam nach einer Öffnung, aber wieder vergebens, so dass ich aufgeben muss. Ich denke bei mir: „Vielleicht ist das Geheimnis hinter diesem Felsen für unseren erschöpften Zustand zu anstrengend.“ Also kehren wir um und überlegen, als wir wieder unter der Leiter stehen, ob wir wieder zur Wiese hochsteigen sollen. Aber wir glauben nicht, dass unsere Kräfte für den Aufstieg noch reichen würden.
Ich gebiete meinem Kind hier auf mich zu warten und gehe weiter Bach abwärts. Der Pfad wird immer schmäler und vor einer Biegung traue ich mir nicht mehr weiterzugehen. Weil ich angehalten habe, ist mir mein Kind nachgekommen. Es steht jetzt hinter mir. Ich fordere es auf: „Wenn es geht, versuche weiterzukommen und berichte mir, ob man den Pfad weitergehen kann.“ „Du stehst mir im Weg.“


„Der Pfad ist zu eng und ich kann Dir nicht ausweichen.“ Schließlich findet mein Kind eine Lösung: Es klettert mir vorsichtig zwischen den Beinen durch. Nach einer Weile ruft es: „Der Weg wird wieder besser und nach ein paar Metern kommt eine kleine Höhle.“ Vorsichtig gehe ich weiter. Wir sind beide am Ende unserer Kräfte und legen uns deshalb in der Höhle nieder.
Ich träume, dass wir uns in einer tiefen Schlucht befinden und nicht mehr aus ihr herausfinden.

Mit letzter Kraft




Nachdem wir wieder munter sind, schaue ich mir die Höhle genauer an und finde auf der Rückseite eine schmale Öffnung, die nach unten führt. Ich schlüpfe hinein, um sie zu untersuchen. Der Gang geht immer steiler nach unten, so steil, dass ich mich kaum noch halten kann, und ich bekomme Angst, weil ich erkenne, dass ich mich in diesem schmalen Stollen nicht umdrehen kann: „Wenn der Gang also plötzlich endet oder zu schmal wird, habe ich keine Möglichkeit umzukehren.“ Dann kommt eine kleine Ausbuchtung und endlich kann ich mich umdrehen und mit den Füßen voraus weiter kriechen. Es geht weiterhin steil abwärts, aber wenigstens können wir jetzt im Notfall zurück kriechen. Ich schürfe mich immer mehr auf. Der Gang scheint sich endlos hinzuziehen. Wir werden zusehends kraftloser und erschöpfter. Nach langer, langer Zeit gelangen wir schließlich doch noch ans Tageslicht. Wir sind heilfroh, dass wir der Dunkelheit endlich entronnen sind.
Das Tageslicht gibt uns ein wenig neuen Mut. Wir sind aus dem Felsen heraus auf einen schmalen Weg gekommen. Vor uns breitet sich eine tiefe Schlucht aus. Ganz unten können wir einen Bach erkennen. Wir sind total erschöpft und denken nur noch an einen geeigneten Rastplatz zum Schlafen. Mein Kind bemerkt auch: „Wir haben schon lange nichts mehr gegessen.“ Ich frage mich: „Wo kommt der Bach wohl her?


Wir müssen uns doch noch ziemlich weit über der unteren Quelle befinden und von der oberen schon ziemlich weit entfernt sein. Ob sich der Bach vielleicht zweiteilt?“
Ich kann keinen geeigneten Schlafplatz finden und so gehe ich etwas Bach aufwärts. Aber der Pfad hört plötzlich auf und wir könnten nur über die Felsen weiterkommen. Dazu fühlen wir uns aber zu schwach. Deshalb will ich nun Bach abwärts gehen. Aber irgend etwas in mir drängt mich dazu nicht umzukehren und nachdem mich auch mein Kind ermuntert die Anstrengung, über den Felsen zu kommen, noch auf mich zu nehmen, beginnen wir mutig zu klettern. Als wir den Felsen endlich überwunden haben, erblicken wir einen mächtigen Wasserfall über den eine große Brücke führt. Wir überqueren sie und ich überlege: „Wir sind jetzt wohl beim Durchgang zwischen den beiden Berggipfeln, die ich so oft vom Plateau aus bewundert habe.“
Ich schaue mich an und bemerke, dass ich überall blute. Der Weg führt jetzt zum Wasser. Der Bach ist inzwischen ziemlich schmal geworden. Wir gehen hinein und waschen uns. Als wir ihn durchquert haben, stelle ich fest, dass meine Wunden vernarbt sind. Erst jetzt wird mir bewusst, dass mein Kind immer größer wird. Inzwischen ist es jetzt schon so groß wie ich. Da kommt mir der Gedanke: „Er ist jetzt genau so groß wie ich, aber ich bin alt und er ist jung.“


Kurz darauf führt der Pfad rechts um einen Felsen herum und wir sehen wieder eine Brücke. Ich bin sehr erstaunt: „Die Brücke ist doch viel zu groß für das kleine Rinnsal, das vom Bach hier noch übrig ist. Eine Brücke ist hier doch völlig überflüssig.“ Immer wieder sage ich meinem Begleiter: „Ich bin völlig kraftlos. Ich sehne mich nur noch nach einem Platz zum Schlafen.“
Wir überqueren die Brücke und der Pfad geht wieder zwischen den Felsen aufwärts. Ich gehe nur noch ganz automatisch weiter. Ich erwarte, dass bald Schnee kommen müsse, aber das ist nicht der Fall. Nachdem wir fast einen Kreis um den Felsen gelaufen sind, kommen wir zur Spitze. Sie ist so spitz, dass ich mich mit beiden Händen festhalten muss, um nicht abzustürzen. Jetzt habe ich auch den Halt unter den Füßen verloren und hänge hilflos in der Luft. Wieder überfällt mich Angst. Mein Begleiter versucht mich zu beruhigen, obwohl er selbst nach einem Halt sucht. Aber es gelingt ihm nicht. Zurück können wir nicht mehr ohne abzustürzen und ich bemerke, dass ich mich nicht mehr lange halten kann. Ich denke krampfhaft nach, was ich tun kann, aber es fällt mir nichts ein. Schön langsam gerate ich in Panik.
Da rät mir mein Begleiter: „Ruf doch den Teppich, der Dich damals von der Insel weggebracht hat.“ Ich tue es und zu meiner großen Erleichterung kommt er wirklich. Wir steigen sofort auf und fühlen uns endlich wieder sicher. Ich überlege: „Sollen wir jetzt zur Insel oder zur Wiese fliegen?“ Aber das ist mir einfach zu weit und so entscheide ich:


„Flieg uns doch bitte in das Land, das hinter den beiden Bergspitzen liegt. Wir müssen ihm doch schon ziemlich nahe sein.“ Und tatsächlich, nachdem wir um einen Felsen herumgeflogen sind, erblicken wir eine riesige freie Fläche.
Vor uns steht ein großer Baum und darunter ein einfacher Holztisch mit zwei Bänken auf denen Menschen bei der Brotzeit sitzen. Das ist ein unheimlich ermutigender und aufbauender Anblick. Der Teppich trägt uns in den Schatten des Baumes und ich denke, dass ich jetzt auf Stroh schlafen kann, aber jemand bringt mir eine Matte und ich lege mich, nachdem ich den Teppich zurückgeschickt habe, darauf. Mein Begleiter legt sich neben mich ins Gras. Die Leute bieten uns zu essen an, aber ich meine: „Ich bin einfach zu erschöpft. Ich kann jetzt nicht essen. Ich muss erst einmal ausschlafen, aber dann nehme ich das Angebot dankend an.“

In dieser Nacht träume ich von Dir und erinnere mich an mein Versprechen zurückzukehren.


ENDE


Impressum

Texte: ®MicMam 1996
Bildmaterialien: visipic.com: Landscapes and scenics/Mountains/Alpine mountains - Hodler 1853-1918, Ferdinand, Switzerland
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die sich nach einem neuen Leben sehnen.

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