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Dar Affe




Ich erwache und bin richtig frisch. Immer noch liegen einige Nebelschwaden auf der Wiese. Nicht weit von mir entfernt entdecke ich plötzlich eine Blume. Sie hat einen grünen Stiel, auf zwei verschiedenen Höhen zwei große grüne Blätter und einen rosa Blütenkopf. Ihr Anblick ist für mich eine große Erleichte-
rung: Ich bin nicht allein. Aber irgendwie wird mir bei ihrem Anblick komisch zu Mute: Ich kann mich nicht auf sie konzent-
rieren. Einem plötzlichen Einfall folgend knie ich mich nieder und grabe mit den Händen in der Erde – ich, der sich früher die Hände nie schmutzig gemacht hat. Irgendwie gibt mir das ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit der Blume: „Ich habe mit dem gleichem Element Fühlung aufgenommen, mit dem sie immer verbunden ist.“ Dies gibt mir eine neue Lebendigkeit, die in mir den Willen stärkt, meine Umgebung zu erforschen. Ich gehe auf den Bach zu oberhalb des Sees und nachdem ich an seinem Ufer etwas aufwärts und abwärts gegangen bin, finde ich einen Steg. Auf der anderen Seite ist wieder eine riesige Grasfläche. Vor mir steht ein großer einzelner Baum, auf den ich sofort zugehe. An einer Liane schwingt ein Affe hin und her. Sofort habe ich das Bedürfnis mit ihm Kontakt aufzunehmen.


Während ich auf ihn zugehe, schaut er mich immerzu an, zeigt aber ansonsten keine Reaktion. Als ich nahe genug bei ihm bin, spreche ich ihn an, aber er fixiert mich nur weiterhin, ohne irgend ein Interesse an mir zu zeigen. Ich denke mir: „Ich bräuchte für ihn irgendetwas zum Fressen, dann würden wir uns schon näher kommen“ und plötzlich habe ich eine Banane in der Hand. Hocherfreut halte ich ihm die Banane hin, aber er zeigt kein Interesse daran: „Er hat wohl Angst vor mir. Vielleicht bin ich der erste Mensch, dem er hier begegnet,“ schießt es mir durch den Kopf und ich setzte mich unter den Baum und lege die Banane in einem ausreichenden Abstand vor mich hin, so dass er keine Angst zu haben braucht, wenn er sie sich holt. Aber er tut es nicht – er behält mich nur im Auge. Wieder rede ich ganz behutsam auf ihn ein. Daraufhin klettert er die Liane hoch und macht es sich in der Baumkrone gemütlich. Er sitzt jetzt genau über mir und beginnt sich zu lausen. Mir ist das unangenehm, aber trotzdem frage ich ihn ganz freundlich: „Musst Du Dich genau über mir lausen?" „Wer mit mir Kontakt aufnehmen will, dem dürfen die Läuse nichts ausmachen." bekomme ich zur Antwort. Ich bin so froh, dass er endlich mit mir redet, dass mich seine Läuse überhaupt nicht mehr stören – ich vergesse sie einfach.


Da klettert er den Baum hinunter und stellt sich vor mir auf. Wir stehen uns Auge in Auge gegenüber. Ich habe ein tolles Gefühl des Angenommenseins – er ist jetzt für mich ganz allein da, nur auf mich konzentriert. Wir berühren uns und kurz darauf fangen wir an zu tanzen. Es ist ein schwerfälliger Tanz, bei dem mich der Affe oft vom Boden abhebt und früher hätte ich mich darüber lustig gemacht, aber die gemeinsame Bewegung entfacht in mir eine unheimliche Freude. Dann setzen wir uns zu Boden, jeder streckt seine Füße in Richtung des anderen aus, und wir umarmen uns. Seine Nähe tut mir richtig gut. Ich werde richtig übermütig. Wir stehen auf, ich lege meine Hände auf seine Schultern, fasse ihn am Kopf und stoße ihm dann mit meinem Kopf in den Bauch. Er macht mir alles genau nach und wir haben viel Spaß miteinander. Wir sind beide von dem Herumtollen ganz erschöpft. Ich lege mich in seinen Schoß und mein Rücken wird ganz warm. Mich überkommt ein noch nie da gewesenes Gefühl der Geborgenheit und es geht mir so richtig gut. Da bitte ich den Affen: „Lause mich doch bitte mal: " Er lächelt und laust mir dann die Füße, den Rücken und die Beine. Die Berührung ist mir sehr angenehm. Dabei bemerke ich, dass sich meine zerrissenen Kleider bis auf eine kurze Hose in Wohlgefallen aufgelöst haben.


Aber es macht mir nichts aus. Zu guter Letzt steige ich auf den Rücken des Affen, der mich zu meiner Wiese zurück bringt. Ich komme mir vor wie ein kleiner Junge. Eine wohltuende Erschöpfung umfängt mich, der ich mich sofort hingebe, nachdem ich mich von meinem Kameraden verabschie-
det habe.
In dieser Nacht träume ich, dass ich auf einem hohen Felsen stehe, ganz nahe bei der Stelle, wo die wilden Tiere weiden, die ich vom Baum aus beobachtet habe. Es bereitet mir große Freude, sie aus nächster Nähe zu beobachten.

Die Fliege




Als ich meine Augen aufschlage, sehe ich wieder meine Wiese. Ich will mit ihr engeren Kontakt haben und streichle über das Gras. Die Feuchtigkeit vermittelt mir neue Frische. Dann nehme ich einen Grashalm und kaue ihn, um diese Frische ganz in mir aufzunehmen. Er schmeckt bitter, aber ich fühle mich dabei ganz wohl und zufrieden. Da fällt mir plötzlich ein Maulwurfshaufen auf. Ich streiche mit meiner Hand über dessen Erde. Mir ist, als könne ich durch das Streicheln Leben in den Maulwurfshaufen bringen. Dieser Gedanke fasziniert und beglückt mich. Nach einiger Zeit bewegt sich etwas in dem Maulwurfshaufen. Ich trete einige Schritte zurück, um das, was jetzt die Erde verlassen will, nicht zu erschrecken, und beobachte von dort genau, was geschieht. Etwas kommt aus dem Erdreich hervor, das aussieht, wie die riesigen Füße eines Maikäfers. Etwas Genaueres kann ich jedoch nicht erkennen. Es dauert noch ziemlich lange, bis sich das Tier ganz aus dem Erdreich geschoben hat, so dass ich es jetzt erkennen kann: Es ist eine mächtig große Fliege. Verwundert frage ich sie: „Weshalb kommst Du denn aus einem Maulwurfhaufen?“ Erst nach langer Zeit bekomme ich die eigenartige Antwort:


„Weil ich schwarz bin.“ Ich kann mit dieser Entgegnung nichts anfangen, frage aber nicht weiter nach. Dann strecke ich meinen Arm aus, wie man es bei einem Vogel macht, damit er darauf Platz nimmt. Ich lade die Fliege ein: „Willst Du nicht zu mir kommen?“ „Nein, ich möchte auf dem Maulwurfshaufen sitzen bleiben.“ gibt sie freundlich zur Antwort, so dass ich es nicht als schroffe Ablehnung auffasse. Kurz darauf fordert mich die Fliege auf, zur Sonne zu schauen. Ich will mich dazu ins Gras legen, aber trotzdem die Fliege noch sehen. Deshalb muss ich um den Maulwurfshaufen herum gehen und mich mit der rechten Hand abstützen. Die Fliege schaut mir dabei interes-
siert zu. Mein Körper wird dabei angenehm warm. Nachdem ich so eine Weile dagelegen bin, fordert mich die Fliege auf, zum Badehaus zu gehen. Dazu muss ich aufstehen und mich umdrehen. Zuvor lade ich die Fliege ein, mit mir zu kommen. Sie antwortet mir, dass sie hinter mir her gehen würde, was sie auch tatsächlich tut. Beim Badehaus angekommen, wundere ich mich, dass sie nicht geflogen ist. Auf meine diesbezügliche Frage antwortet sie mir: „Ich bin zu Fuß gegangen, weil Du nicht fliegen kannst.“ Irgendwie finde ich diese Rücksichtnahme, obwohl ich sie für unnötig halte, doch rührend.


Ich fühle mich dadurch ganz innig mir der Fliege verbunden. Ich gehe um das Badehaus, das ganz einfach und nur aus Holz ist, herum. Ich wundere mich nur wie lang es ist. Als ich wieder auf der Vorderseite angekommen bin, fordert mich mein Begleiter auf, durch das Fenster ins Badehaus zu schauen. Ich sehe dort zwei lange Bänke Rücken an Rücken stehen und darüber einige Kleiderhaken. Kurz darauf führt mich die Fliege zu einer Brücke, die den Bach unterhalb des Sees überquert. Wir schauen zuerst auf der Seite herunter, die zum See geht, dann auf der anderen Seite, die Bach abwärts führt. Die Umgebung begeistert mich immer mehr. Ich fühle mich hier schon richtig zu Hause. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind, das in seiner, ihm noch unbekannten Umwelt immer neue Entdeckungen macht. Das ist für mich irgendwie aufregend und spannend. So gehen wir fröhlich auf die andere Seite des Baches und dann Bach abwärts weiter. Als wir zu einer Sandbank kommen, fragt mich die Fliege, ob ich meine Füße ins Wasser stecken will. Mir gefällt dieser Gedanke und ich begebe mich bis zu den Oberschenkeln ins kühle Nass, während die Fliege auf der Sandbank zurückbleibt. Ich wundere mich, dass der kleine Bach doch so tief ist.


Ich bekomme auf einmal das Verlangen zu schwimmen, mich treiben zu lassen und die Umgebung so immer besser kennen zu lernen. Ich frage die Fliege: „Kann ich hier etwas schwim-
men?“ „Ja, aber dann kommst Du weit weg.“ „Kann ich denn wieder zurückkehren?“ „Sicherlich kannst Du wieder zurückkommen.“ „Na, dann ist es ja gut. Kommst Du mit?“ „Nein, ich warte hier auf Dich, bis Du zurück kommst.“ „Also dann bis später.“ Und schon stürze ich mich in die Fluten. Es ist gerade tief genug, dass man noch schwimmen kann. Es ist herrlich erfrischend. Ich schwimme mit kräftigen Zügen, um schnell vorwärts zu kommen und möglichst viel zu sehen. Nachdem ich schon eine beträchtliche Strecke geschwommen bin, sehe ich eine Sandbank, die der ersten sehr ähnlich ist. Ich gehe an Land und reibe mich mit meinen Händen ab. Die Sonne trocknet mich dann sehr schnell. Jetzt muss ich mich entscheiden, ob ich zu Fuß am Ufer zurückgehen will, oder ob ich weiter schwimmen will. Ich bekomme Bedenken, dass ich nicht mehr zurück kommen könnte, wenn ich noch weiter schwimmen würde. Aber die Zusage, die mir meine Fliege gemacht hat, verscheucht meine Bedenken.


Meine Abenteuerlust und mein Entdeckungsgeist geben schließlich den Ausschlag und ich schwimme frohen Mutes weiter. Nach sehr langer Zeit sehe ich vor mir das offene Meer. Vor mir liegt in weitem Abstand eine Insel, auf der ich schwach ein Haus und eine Palme erkennen kann. Ich überlege mir, ob meine Kräfte reichen werden, sie zu erreichen. An die Rückkehr denke ich nicht mehr. Die Freuden, die ich an diesem Tag schon erlebt habe, geben mir soviel Schwung und Kraft, dass ich es trotz aller Bedenken wage. Es geht, trotz der weiten Strecke, besser, als ich erwartet habe und ich erreiche die Insel, ohne total am Ende meiner Kräfte zu sein. Ich gehe nach rechts am Haus vorbei, wo die Palme steht, und betrachte das Haus von allen Seiten. Es ist ein massiver Steinbau mit Holz verkleidet. Eigenartig ist, dass das Haus nur auf der linken Seite Fenster hat. Als ich meine Besichtigung beendet habe und wieder auf der Vorderseite bin, klopfe ich an die Tür. Ich werde freundlich zum Eintreten aufgefordert. Als ich die Tür öffne, sehe ich einen mit Holz verkleideten Raum, in dem nur auf zwei Seiten an den Wänden eine lange Bank steht. Ich kann nicht sehen, wer mich herein gerufen hat. Der Gastgeber muss wohl ein Stockwerk höher sein und jetzt erkenne ich auch ein Holzstiege.


Ich werde von oben aufgefordert heraufzukommen und steige sofort hinauf. Auf der obersten Stufe bleibe ich sitzen. Der Raum hier oben ist so dunkel, dass ich nichts erkennen kann. Ich bitte den Rufer sich zu erkennen zu geben, aber er meint, dass er lieber im Dunkeln bliebe. Dann reicht er mir ein Handtuch. Ich reibe mich trocken und gebe es ihm zurück. Dabei kann ich nur seine Hände sehen. Kurz darauf reicht er mir einen Umhang. Ich lege ihn mir um und komme mir darin sehr vornehm und würdig vor, aber genau genommen ist der Umhang nichts Besonders, sondern nur sehr bunt. Zuletzt reicht er mir noch einen Turban, an dem eine Schleife hinten nach unten hängt. „Was hat das zu bedeuten?“ frage ich mich, sage jedoch nichts. Dann werde ich gefragt: „Möchtest Du nicht gern hier bleiben?“ „Vielen Dank, das wäre sicherlich sehr schön, aber ich möchte unbedingt zu meiner Fliege und zu meiner Wiese zurück. Aber ich würde Sie gern einmal wieder besuchen.“ erwidere ich. Daraufhin bietet er mir einen Fliegenden Teppich an und nachdem ich das Angebot dankend angenommen habe, erscheint kurz darauf ein Fliegender Teppich eine Stufe unter mir, so dass ich gut aufsteigen kann.


Mein Gastgeber bemerkt noch, dass er die Türe hinter mir schließen würde und schon fliege ich, aufrecht auf dem Teppich stehend, zurück zur Sandbank, wo meine Fliege auf mich wartet. Ich freue mich sehr über unser Wiedersehen und will meiner Fliege alles erzählen, was ich erlebt habe, aber sie lächelt nur ein wenig und meint, dass sie schon alles wüsste. Ich bin darüber überhaupt nicht verwundert. Dann rät mir meine Fliege, den Teppich zurückzuschicken, was ich auch sofort tue. Als wir dem Teppich nachschauen und er schon fast verschwunden ist, meint meine Fliege, ich solle ihn noch einmal zurückrufen und mit ihm meinen Umhang und meinen Turban zurück schicken. Ich folge ihrem Rat und schon bald sind wir wieder allein. Ich frage, ob ich sie streicheln dürfe und sie meint, wenn sie mich dafür küssen dürfe. Ich bin damit einverstanden und streichle sie am ganzen Körper, dann küsst sie mich auf der ganzen Vorderseite. Sie ist glücklich, dass ich mich nicht vor ihr ekle. Schließlich gehen wir wieder zurück zur Wiese.


Meine Fliege verabschiedet sich von mir und verschwin-
det wieder in ihrem Maulwurfshaufen und ich versinke in einen wohltuenden Schlaf.

Ich träume von einer Schifffahrt über das weite Meer, das ich heute kennen gelernt habe, aber ich komme an kein Ziel.

Die Schnecke



Als ich wieder erwache, betrachte ich ausgiebig, die mir inzwischen so lieb gewordene, Umgebung. Ich fühle mich hier einfach wohl. Neben mir ist wieder meine Blume und sie bringt mich auf eine eigenartige Idee. Ich streiche mir mit ihrem Blütenkelch über meinen ganzen Körper. Dies ist ein angeneh-
mes Gefühl engster Verbundenheit mit ihr. Ich frage sie: „Ist Dir das auch angenehm?“ „Ja, ich mag das gern.“ bekomme ich zur Antwort. Dann deutet meine Blume in Richtung der Wiese, auf der sich die Tiere befinden, die ich vom Baum aus gesehen habe, dann auf den Wald darüber und schließlich auf einen sehr hohen Berg im Hintergrund. Ich bestaune ihn lange Zeit. Dann frage ich: „Ist das der höchste Berg in dieser Gegend?“ „Ja, und eines Tages wirst Du ihn besteigen, aber nicht heute und auch nicht in der nächsten Zeit.“ Dann zeigt sie immer weiter links, bis ich über den Wald schaue, vor dem der riesige Baum steht. Dort kann ich ganz im Hintergrund ebenfalls Berge erkennen. Als ich dann noch weiter links über das Meer blicke, sind auch da ganz weit im Hintergrund schwach Berge zu erkennen. Das Gleiche ist zu meiner Überraschung auch auf der endlos großen freien Fläche, von der ich gekommen bin, der Fall.


„Wir sind also von Bergen eingeschlossen, auch wenn sie ewig weit entfernt sind.“ stelle ich fest. Die Blume lässt mich wieder zum Ausgangspunkt schauen: „Wenn Du diesen Berg bestiegen hast, dann bist Du frei und nicht mehr eingeschlos-
sen, weil Du dann über die Berge hinaussehen kannst auf die andere Seite.“ Dann schaue ich noch auf die Sonne. Der Himmel ist zwar bewölkt, aber die Sonne ist nicht verdeckt. Deshalb lege ich mich ins Gras und genieße die wohltuende Wärme. Meine Blume schaut mir lange Zeit freundlich zu, doch dann fordert sie mich auf, Bach aufwärts zu gehen. Als ich schon gehen will, bemerke ich, dass etwas Braunes neben mir herum hüpft. Ich kann aber nicht erkennen, was es ist: „Weißt Du, was das Braune da neben mir ist?“ „Das ist jetzt nicht wichtig, tu ganz einfach, was ich Dir gesagt habe.“ „Soll ich ganz allein ohne Begleitung gehen?“ „Du wirst unterwegs Begleitung finden. Also lass Dich nicht aufhalten.“ Ich gehe bis zur Brücke oberhalb des Baches und plötzlich erkenne ich, dass eine Schnecke neben mir herläuft. Ich bin aufs Äußerste verwun-
dert, dass sie mit mir Schritt halten kann. Das würde sie doch gewiss nicht lange aushalten: „Soll ich Dich nicht lieber tragen?“ „Es ist besser, wenn Du mich nicht anrührst. Mach Dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon zurecht.“


Ich überlege mir, auf welcher Seite ich entlanggehen soll und entscheide mich zuletzt für die gegenüberliegende Seite. Auf der Brücke schauen wir wieder zuerst Bach aufwärts und dann Bach abwärts. Es ist immer wieder eine wunderbare Aussicht nach beiden Seiten und ich kann mich kaum sattsehen. Nachdem wir ein kleines Stück bachaufwärts gegangen sind, kommt ein dunkler undurchdringlicher Wald, aber am Bachufer ist ein kleiner Streifen zum Gehen frei, so dass wir nicht durch den Wald gehen müssen. Der Wald ist so finster, dass ich nicht erkennen kann, was in seinem Innern vor sich geht. Immer wieder überzeuge ich mich, dass meine Schnecke noch bei mir ist. Aber sie hält sich tapfer an meiner Seite. Mit der Zeit wird der Weg immer holpriger und steiniger, er ist aber trotzdem noch gut zu gehen. Bald darauf kommt wieder eine Brücke und ich entschließe mich, sie zu überqueren. Bach aufwärts ist ein riesiger Wasserfall, der mich sehr beeindruckt. Das Gelände wird jetzt immer felsiger und der Bach gräbt sich immer tiefer in den Felsen ein. Ich habe jetzt die Möglichkeit links über die Felsen weiterzugehen, oder zu versuchen rechts den Felsen hinunter zu klettern, um auf einen schmalen Pfad zu kommen, der sich auf halber Höhe über dem Bach, am Felsen entlangzieht.


Ich entscheide mich dafür hinunterzusteigen, auch wenn dies erst mal der schwierigere Weg zu sein scheint. Ich will möglichst Nahe am Bach bleiben. Es geht besser, als ich mir vorgestellt hatte. So komme ich schließlich auf den kleinen Pfad und ich wandere auf ihm weiter. Es wundert mich, dass es mir nicht schwindlig wird, denn der Bach liegt schon sehr weit unter mir. Plötzlich ist der Pfad vor mir abgebrochen. Ein Erdrutsch muss ihn hinweg gerissen haben. Ein nicht allzu großes Stück vor mir, geht der Pfad weiter. Aber der Abstand ist doch zu groß, um ihn mit einem Sprung zu überbrücken. Ich schaue mich um und sehe über mir einen Ast, der aus dem Felsen herausragt. Ich springe hinauf, hänge mich dran und versuche durch hin und her schaukeln soviel Schwung zu bekommen, dass ich den Weg wieder erreichen werde. Ich versuche es einige Male, einmal sogar mit einem Überschlag, aber jedes Mal geschieht etwas Seltsames: Der Schwung reicht nicht aus um auf den Weg zu kommen, aber ich falle nicht in die Tiefe, sondern bekomme im letzten Moment immer wieder einen Ast zu fassen. Ich bin aufs Höchste über meinen Mut erstaunt: Das Weiterkommen muss mir unheimlich wichtig sein, wenn ich solch ein Risiko auf mich nehme.


Irgendwie habe ich in diesem Land nie das Gefühl, dass mir etwas Schlimmes passieren könnte, auch wenn ich manchmal fast verzweifelt bin. In mir ist immer eine tiefe Gewissheit, behütet und beschützt zu sein. Jetzt weiß ich nicht, wie es weitergehen soll und mit einem Mal fällt mein Blick auf die Schnecke, die mich begleitet. Vor lauter Sorgen, wie es weitergehen könnte, hatte ich sie fast vergessen. Ich schaue sie nur fragend an: „Handle Dich an dem Ast zum Felsen und versuch dort Halt zu bekommen. Dann kannst Du auf dem Felsen Halt finden und das kurze Stück überbrücken.“ Ich folge dem Ratschlag. Es ist zwar nicht einfach, aber ich erreiche die Fortsetzung des Pfades. Nachdem ich ein paar Mal fest durchgeschnauft habe, setze ich meinen Weg fort. Nach nicht allzu langer Zeit kommt eine weitere Brücke, die von Fels zu Fels führt. Ich bin jetzt in eine wilden zerklüfteten Gegend. Als ich auf der Brücke stehe, sehe ich unter mir den rauschenden Wasserfall. Alles was ich hier sehe ist etwas fremd, aber herrlich und beglückend. Kurz nach der Brücke bietet sich mir die Möglichkeit, den Pfad weiterzugehen oder in eine finstere Höhle einzudringen. Ich gehe in die Höhle und muss mich ganz vorsichtig vorwärts tasten, denn außer einen ganz feinen Lichtschimmer weit vor mir ist alles stockdunkel.


Der kleine Lichtschimmer gibt mir die Zuversicht auf der anderen Seite einen Ausgang zu finden, was schließlich auch der Fall ist. Ich habe das Gefühl, dass ich mir, mit dem Weg durch die Höhle, einen sehr großen, beschwerlichen Umweg erspart habe. Vor der Höhle steht ein kleiner Baum mit grünen Blättern. „Wo bin ich hier angekommen? Auf einer Art Oase mitten in der Felsenwüste?“ Ich schaue mich noch weiter in der Umgebung um und finde schnell eine Stelle, an der der Bach aus einem Felsen schießt. Ich kühle mir in ihm zuerst die Hände und dann die Füße. Dabei denke ich mir: „Da muss ich ja richtig aufpassen, dass mich der Bach nicht mit hinweg reißt.“ Dann kommt meine Schnecke und klettert mir über den ganzen Oberkörper. Es ist erstaunlicherweise ein angenehmes Gefühl für mich. Schließlich kriecht sie mir noch übers Gesicht. Aber auch das tut mir gut. Ich fühle mich jetzt so eng mit der Schnecke verbunden, dass ich sie frage: „Welcher Teil von mir bist Du?“ Sie gibt mir zur Antwort: „Ich bin Deine Furchtsamkeit. Aber ich habe mit Dir Schritt gehalten, weil ich Dich nicht verlieren wollte. Ich wollte auf keinen Fall allein sein. Und es ist wunderschön, dass ich immer noch bei Dir bin und Du mich nicht abgelehnt hast, als ich über Dich hinweg gekrochen bin.“


Dann schaue ich mich um, aber ich kann vor lauter Bergen und Dunst nicht viel sehen. So überlege ich mir, ob ich den gleichen Weg zurückgehen soll. Ich habe dazu überhaupt keine Lust – es scheint mir viel zu anstrengend. Aber die einzige Alternative ist, den schmalen Pfad direkt unter mir zu erreichen, um so den langen Weg gewaltig abzukürzen. Es erscheint mir ziemlich riskant, weil es hier fast senkrecht abwärts geht. Ich versuche es trotzdem. Aber bald muss ich einsehen, dass der Abstieg wirklich zu steil ist und ich stehe ratlos da. Da meint meine Schnecke, dass ich ein Seil nehmen soll und als ich mich umschaue, finde ich tatsächlich eins. Ich versuche nun das Seil am Felsen zu befestigen, aber es rutscht jedes Mal ab. An den dünnen Baum traue ich mich nicht das Seil zu befestigen. Ich bin überzeugt, dass er die Last nicht tragen kann. Da bietet sich meine Schnecke an, das Seil für mich zu halten. Ich bin nur ganz kurz verwundert, weil ich ja schon weiß, dass man hierzulande nicht alles mit unseren gewohnten Maßstäben beurteilen darf. Ich schenke ihr also mein volles Vertrauen und lasse mich am Seil hinab. Und tatsächlich hält es. Aber wie verwundert bin ich erst, als ich wahrnehme, dass meine Schnecke immer schon ein kleines Stück über mir am Seil herunter kriecht.


Aber ich bin so mit dem anstrengenden Abstieg beschäftigt, dass ich mir darüber keine Gedanken mache und auch keine Fragen stelle. Erst als wir unten auf dem schmalen Pfad, kurz vor dem Wald, angekommen sind, frage ich sie: „Wie hast Du denn das Seil befestigt?“ Sie sagt nur: „Zieh einmal kurz und kräftig dran.“ Ich tue es und das Seilende fliegt zu mir herunter. Dann fordert mich meine Schnecke auf, das Seil mitzunehmen, und wir machen uns auf den Heimweg, der nur noch kurz ist. Schon bald überqueren wir die Brücke und sind wieder auf unserer Wiese. Ich lege das Seil beiseite, verabschiede mich von meiner Schnecke und spreche auch noch ein paar Worte mit meiner Blume und lege mich dann zur Ruhe.
Ich träume von einem Tunnel, der durch das gesamte Gebirge führt. Ich durchquere ihn und komme in ein wunderbares Land.

Impressum

Texte: ®MicMam 1996
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Menschen die sich gern von Tieren begleiten lassen.

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