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anfangen, pünktlich:


die Wahrscheinlichkeit für den pünktlichen Beginn eines Poetry Slams entspricht in etwa der für ein Kamel und einen Kaiserpinguin (beide schwul) Nachwuchs zu zeugen. Slams beginnen meist mit den Worten „Slammer XY hat sich noch angekündigt!“ oder „Wir warten noch auf den gesetzten Gast.“

Berlin:


macht sich irgendwie immer gut. Im Zweifelsfall kommt man aus Berlin.

Comedy:


auch bekannt als „rotes Tuch“. Poetry Slam ist KEINE Comedy. Wirklich nicht. Also auf gar keinen Fall. Ü-ber-haupt nicht! Nein! Nie! Verdammte Scheiße, wir machen Poesie. Comedy ist ja wohl nur Schrott. Und das hat nichts mit Neid zu tun, weil Comedians mehr Geld verdienen. Und ständig im Fernsehen sind. Und ihre Texte auswendig können. Nein, überhaupt nicht. Das hier ist ernst. Das ist Literatur. Echt jetzt.
Okay, ich gebe es zu: witzig sein macht Spaß. Aber es ist KEINE COMEDY.


Dazwischen brüllen:


Poetry Slam ist interaktiv. Das heißt, es ist durchaus erwünscht, dass das Publikum seiner Meinung lautstark Geltung verschafft. Das macht Spaß und gibt dem ganzen eine demokratische Note. Beliebt sind Ausrufe der Marke „Heavy Metal!“ oder „Yeah, gib’s uns!“ oder der ewig junge Allroundklassiker „Ausziehen!“. Unbeliebt macht man sich als Zuschauer beim Poeten eher mit den Worten: „Hey, das kenn ich, das hab ich schon bei Max Goldt gelesen!“

Erster:


bezeichnet nicht den Sieger, sondern den unbeliebtesten aller Startplätze. Mythen zufolge ist es nahezu unmöglich zu gewinnen, wenn man als Erster ran muss. Das sagen zumindest Slammer, die auf diesem Startplatz verloren haben.

Ficken:


Tätigkeitswort: er/sie/es ficken, passivum ge-; 1.) in die Tasche stecken; 2.) hin- und herbewegen 3.) vulgär für Geschlechtsverkehr. Beim Poetry Slam als „Aufmerksamkeitswort“ bekannt. Dient zur Belustigung des Publikums und Verdeckung der Tatsache, das der Text völlig inhaltslos ist. Vergleiche: Hitler, kacken, Kotzen, 1.FC Köln oder auch Hitlerkacke kotzen.


GIPS:


auf Kalk basierende Körperteilummantelung beschädigter Gliedmassen zwecks Ruhestellung solcher zur Optimierung der Heilungschancen. Als Schreibunterlage höchstens für ->Lyrik oder Schüttelreime geeignet, im Falle großflächiger Verbrennungen für Kurzprosa.
Ansonsten ist GIPS die Abkürzung für GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM, die deutschsprachige Poetry Slam – Meisterschaft, die jetzt aber nicht mehr GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM heißen soll, weil die Organisatoren des GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAMS der Meinung sind GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM wäre ein viel zu langer Name und mal sollte doch etwas griffigeres als GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM finden, damit man nicht ständig GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM sagen muss, wenn man sich über den GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM unterhält oder den GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM im Netz googlt. Deswegen heißt der GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM halt nicht mehr GERMAN INTERNATIONAL POETRY SLAM, sondern einfach nur noch „Slam“.


Hilfsmittel:


völlig unerlaubt. Als Hilfsmittel gelten Verkleidungen, Tiere (gilt nicht bei Teams), Musikinstrumente, Eigenamputationen sowie Schusswaffen. Coolere MCs sprechen dann von „No props“. Radikalen Slamisten geht das noch nicht weit genug; sie fordern den völligen Verzicht auf jegliche Hilfsmittel, wie Mikros, Texte oder Stimmbänder sowie die völlig Verhüllung der Poeten. Es bleibt abzuwarten, ob sich derartige Forderungen durchsetzen können.

Intuition:


erfahrene Slampoeten kommen in einer Stadt an, gehen in die Lokalität, wo der Slam stattfindet, sehen das Publikum an und wissen haargenau, welchen Text sie machen müssen, um zu gewinnen, wie sie ihn anmoderieren, wie sie Pointen, Reime oder Schockmomente liefern und ob sie den Bad Guy oder das Sensibelchen geben müssen. Sie spielen auf dem Zuschauer wie auf einem Instrument, das sie seit Jahren spielen. Aber warum zum Teufel fliege ich dann in der ersten Runde raus? Haben doch alle keine Ahnung!

Jury:


beim Slam entscheidet in der Regel das Publikum über den Sieg. Meistens geschieht das anhand einer handverlesenen Gruppe, die per Wertungstafeln Punkte verteilt. Das hat den großen Vorteil, das es nicht so anonym zugeht wie bei einer Applausabstimmung. Als Slammer kann man sich die Gesichter der Jury merken und in Einzelfällen nach dem Slam auf dem Parkplatz noch mal ausdiskutieren was zur Hölle diese verschissenen mageren drei Punkte für die Performancewertung sollten.

Kritikfähigkeit:


Es geht das Gerücht um, das Poetry Slammer keine Kritik vertragen könnten. DAS STIMMT NICHT, DU ARSCH!

Lyrik:


wenn ernst gemeint: ziemlich sicheres Mittel, um sich schon in der Vorrunde rauszukegeln. Ansonsten ein sicheres Mittel, um sich bei MIR unbeliebt zu machen, weil man sich entweder auf einer Kölschen Karnevals - Prunksitzung wähnt oder sich mit blumenbewehrten Hausfrauenfantasien konfrontiert sieht.

MCs:


heißt eigentlich Master of ceremony (engl.), kann im Fall Poetry Slam allerdings nicht so gemeint sein. Vielmehr handelt es sich um diejenigen, die den ganzen Scheiß organisieren, sich Sorgen um die Finanzierung machen, Flyer verteilen, Slammern ins Rektum kriechen, damit diese sich herablassen dort anzutreten und zur Belohnung dürfen die armen Schweine dann nicht mal mitmachen. Aus lauter Rachedurst tun die meisten MCs dann so, als könnten sie nicht moderieren.

Nörgler:


Der Nörgler ist der lautstarke Möchtegern – Systemkritiker, der halbwegs anonym aus der dritten Reihe seinen unqualifizierten Protest über Vortrag, Wertung und Moderation zum Besten gibt. Er kann nicht nachvollziehen, warum dieser unbegabte Neuling eben 10 Punkte für den Vortrag bekommen hat, fragt den ->MC, ob es denn auch ohne Stottern geht und bemängelt den beschissenen Sound und die Getränkepreise. 90% der Querulanten sind Slammer, die wegen zu vieler Anmeldungen rausgelost wurden.

Opferlamm:


Nein, es geht nicht um das Catering für Poeten und auch rituelle Voodoo – Praktiken (->Hilfsmittel) sind hier nicht Thema. Als Opferlamm bezeichnet man den Dichter, der vor Beginn des Slams die Leute anheizen soll. Meistens greift er oder sie dabei auf Lyrik oder ernste Prosa zurück, da er oder sie sich ja nicht im Wettbewerb befindet und auch mal zeigen will, das er oder sie nicht immer einen auf lustig machen muss, um zu unterhalten. Meistens geht das ziemlich in die Hose, weil auch irgendwie noch keiner zuhört, so das der Erste immer noch der Gekniffene ist. Bisweilen erwägt man in solchen Situationen dann doch, den Begriff des „Opferlamms“ etwas Handfester zu gestalten.


Performance:


gutes Mittel, um Schwächen des vorgetragenen Textes auszugleichen. Performance beinhaltet Aktivitäten wie wildes Gestikulieren, Rumbrüllen, volles Mett vor Steinsäulen rennen, Bier über den eigenen oder andere Köpfe schütten und Selbstverstümmelung. Tanzen ist ebenfalls erlaubt, sieht aber scheiße aus.

Quasselstrippe:


„Ja, hi. Ich freu mich sehr hier zu sein. Ich bin ein bisschen nervös, also seht es mir nach, wenn ich ein wenig zitterig bin. Und ich bin auch leicht erkältet. Der Text, den ich heute mache, ist eher nicht so lustig, aber ich finde es muss ja auch nicht immer witzig sein und ich möchte ihn meiner Freundin widmen, die sitzt da hinten. Eigentlich ist es auch kein richtiger Text, eher so eine Art Erfahrungsbericht. Sag mal, kann man das Mikro irgendwie ein bisschen höher machen? Oh, cool, danke. Könnt ihr mich so verstehen? Geht das? Gut. Also, wie gesagt, der Text ist für meine Freundin und eigentlich geht es um etwas, das ich wirklich erlebt hab und es ist auch kein eigenständiger Text, sondern Teil meines ersten Romans, an dem ich schreibe. Bin ich wirklich laut genug? Hier oben höre ich irgendwie gar nichts. Ich sehe auch nichts, weil die Scheinwerfer einem hier genau ins Licht leuchten. Na ja, Hauptsache ich kann den Text lesen. Oh, mir fällt gerade auf, das ich die erste Seite an meinem Platz vergessen habe. Schatz, kannst du mir die grad mal nach vorne bringen. Einen Moment bitte... Danke. Ich sagte ja bereits, das der Text nicht lustig ist, es wäre halt schön, wenn ihr mir nicht ->dazwischen brüllt. Ist nicht böse gemeint. So. Mann, ist das warm durch die Lampen. Erst mal noch einen Schluck trinken, Prost. Also so richtig passt das immer noch nicht mit dem Mikro. Egal. Ich fang dann mal an. Wie bitte? Was soll das heißen, Zeit ist vorbei?“

Regeln:


der Grundstein eines jeden Wettbewerbs, um die Chancengleichheit für jeden Teilnehmer zu wahren. Elementar beim Poetry Slam sind die Verfügungen über Lesezeiten und ->Hilfsmittel, damit alle die gleichen Bedingungen haben und um jedwede Diskussion von vorneherein auszuschließen. Zumindest solange, bis das angetrunkene Publikum „Weiter!“ oder „Lass ihn doch!“ gröhlt.

Sieger:


Wir slammen nicht gegeneinander, wir slammen miteinander. Beim Poetry Slam zählt der olympische Gedanke: Gewinnen ist nicht alles, dabei sein ist was zählt. Solche Sätze werden vornehmlich von Siegern formuliert. Allen anderen ist klar: Gewinnen ist nicht alles. Dabei sein und siegen, darauf kommt es an!


Teams:


die so ziemlich sinnfreieste Form des Poetry Slammings, vermutlich aus dem sportiven Gedanken heraus geboren. Warum auch immer. Aber im Gegensatz zu Tennisspielern, Minigolfern oder Kegelfredies sind Poetry Slammer nun mal die einsamen Hofhunde und ein Zusammenspiel wie in einer Band will ein geübtes sein. Aber die seltenen Gelegenheiten für Slamteams sind meistens nur die ->GIPS und komische Workshops. Das ist unter anderem der Grund, warum sich die Teams meistens gefühlte zwanzig Stunden vor ihrem Auftritt formieren und dann versuchen im Vollrausch Texte zusammen zu schrauben.


Ursachenforschung:


Lieblingshobby von Poetry Slammern, die in der ersten Runde rausfliegen.


Vollrausch:


für einen Großteil der Poetry Slammer ein natürlicher Zustand. Slammer, die sich nicht regelmäßig abschießen, um die dämliche Wertung der Jury zu überwinden, bezeichnet man auch als „Profis“.


Workshops:


Wo immer sich eine Bewegung als Teil der Jugendkultur und Popphänomen zu etablieren beginnt, da findet man sie: die Workshop – Intifadas. Pädagogen, Leiter von Häusern, die kirchlichen oder sozialen Vereinigungen nahe stehen und Lehrer, die mit der Begründung „zu weich“ von Waldorffschulen geflogen sind. Manchmal sind es aber auch einfach nur Vermieter, die sonst ihre Räume nicht vermietet kriegen. Und wenn solche Leute zusammen kommen, dann findet mit hundertprozentiger Sicherheit Wochen später ein Workshop statt. Und weil sie von nichts eine Ahnung haben, holen sie sich sogenannte „Experten“ ins Hause, sprich diejenigen, welche bei Google als erste angezeigt werden. Und die vermitteln in den nächsten Tagen und Wochen dann zahlungsfähigen Besserverdienerblagen, das es beim Poetry Slam vor allem auf Spontaneität ankommt.
Und jetzt seien wir doch mal ehrlich: letzten Endes sind wir doch alle Schweine und vor allem orientiert am Wettbewerb. Wer also sollte, bitte schön, jemandem anderem beibringen, wie man selbst nieder gerungen werden kann?

Xylophon:


unerlaubtes ->Hilfsmittel bei Slams, erlaubtes Hilfsmittel um den Buchstaben X in dämlichen ABC-Guides mit Inhalt zu füllen.

YPS mit Gimmick:


die Urzeitkrebse haben immer infernalisch gestunken und das Agentenset gilt beim Poetry Slam als unerlaubtes ->Hilfsmittel.

Zuschauer:


auch bekannt als „notwendiges Übel“. Der durchschnittliche Zuschauer weiß sowieso nicht zu würdigen, was der Slammer macht, weil er ja auch per se verdammt noch mal keine Ahnung hat. Außerdem klatschen Zuschauer meistens für die Falschen. Der Zuschauer ist für den Poetry Slammer in etwa das, was das gemeine Haushuhn für den H5N1 – Virus ist.
Letzten Endes geht es halt nicht ohne, denn das beste Geräusch der Welt kommt halt von den Zuschauern, in dem Moment, wo der Poetry Slammer sagt:

„Danke.“

Impressum

Texte: (c) Micha-El Goehre coverfoto: mehr von Micha: www.michael-goehre.de www.myspace.com/michaelgoehre
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2009

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