Cover

Klappentext: "HANNAH UND DIE RITTER erzählt von einer tiefen Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen, die sich nach und nach zu einer jungen Liebe entwickelt - einer Liebe, der sich jedoch massive Hindernisse in den Weg stellen. In wunderschönen sprachlichen Bildern beschreibt Micha-El Goehre die ersehnten Träume, die ausschweifenden Jugendwünsche und die schneeweißen Luftschlösser der Jugend. Realität und Fantasie verschmelzen auf elegante Art und Weise miteinander."

Taschenbuch, 80 Seiten, Lektora Verlag Paderborn. 9,90 Euro.
ISBN: 3-938470-15-1
Erhältlich im gut sortierten Buchhandel, online beim Verlag und bei amazon.de, buch24.de, buch.de u.a.



Anmerkung zur Leseprobe

: die nachfolgenden Seiten habe ich aus meinem Originalmanuskript kopiert, d.h. sie sind nicht lektoriert. Das trifft auf das veröffetnlichte Buch natürlich nicht zu.


N

eben Hannah hatte ich eigentlich nur eine einzige andere Person, mit der ich eine tiefe Vertrautheit teilte und das war mein Freund Armin, der mein Klassenkamerad von Anfang an gewesen ist und eigentlich auch genauso lang mein Freund. Hannah, Armin und ich hätten eine wunderbares Trio abgeben können, doch leider waren sich meine beiden besten Freunde zwar sympathisch, aber eine echte Zuneigung hatte sich nie entwickelt und seit einiger Zeit wahrte vor allem Armin eine gewisse, wenn auch wohlwollende Distanz. Wohlwollend aber augenscheinlich primär mir zuliebe. Eine Weile hatte ich mir das mit dem Prozess, in dem wir uns befanden, erklärt und mit den Dingen, die mit und in uns vorgingen, die unseren Magengruben und den noch tieferen Regionen völlig neue Regungen entlockten und die aus Mädchen Frauen und aus Jungen junge Wahnsinnige machten. Wir wurden erwachsen und oft nahmen wir einen respektvollen Abstand zu weiblichen Wesen, selbst jenen, die wir schon von klein auf kannten. Auch Hannah war in meinen Augen etwas anderes geworden, obwohl ich mich stets bemüht hatte, in ihr einfach nur eine beste Freundin zu sehen, wie ich auch in Armin einen besten Freund sah. Meist gelang mir das auch recht gut, aber in manchen Momenten wanderten meine Gedanken woanders hin und ich hatte leider keinerlei Ahnung, wohin überhaupt.
Aber es waren nicht nur die Hormone, sondern auch eine persönliche Entwicklung Armins, die ihn von Hannah und, wie ich befürchtete auch von mir entfernte. Das betrübte mich manchmal auf das Bitterste und ließ mich manchen Nacht traurig in der Dunkelheit an die Decke meines Zimmers starren.
An dem Morgen, als mich das Klingeln einer Fahrradglocke weckte, war dies alles aber noch nur ein dräuender Schatten am Horizont unseres schönsten Jugendhimmels. Ich sprang aus dem Bett und fast in der selben Bewegung in meine Hosen und stürmte ans Fenster, um Armin zuzuwinken, der auf seinem bepackten Drahtesel saß und mich ebenfalls grüßte. Wir hatten uns mit Hannah zum Angeln verabredet. Es war noch sehr früh und ich versuchte zwar eilig, aber in aller Stille meine Rute, den Kescher, einen Eimer, die kleine Schachtel mit meinen Blinkern und was ich sonst noch brauchte nebst eines Proviantpaketes zusammen zu suchen. Als ich so bepackt die Treppe herunterkam, begrüßte mich mein Vater, der seiner Gewohnheit folgend, auch an Sonntagen als erster aufgestanden war und eine Zigarette rauchend die Morgenzeitung querlas. Er betrachtete mich amüsiert, wie ich schwer bepackt die Stufen herunter torkelte.
„Guten Morgen, mein Sohn. Hast du alles dabei?“
Ich nickte eifrig. Er öffnete mir die Tür und grüßte Armin, den er sehr mochte. „Na dann, Petri Heil. Und seid vorsichtig auf den Strassen. Und bring uns einen großen Fisch mit.“
„Den größten, den die Spree beherbergt, das schwöre ich.“
Er lachte, dann schloss er die Tür hinter mir. Ich holte mein Fahrrad aus dem Schuppen und vertäute meine Ausrüstung daran, bevor ich mich auf den Sattel schwang und an Armins Seite auf die Strasse einbog.
Wir machten uns zunächst auf den Weg, Hannah abzuholen. Eine Weile radelten wir schweigend. Ich stieß bei jeder Umrundung der Pedalkurbel mit dem Knie an die Stange des Käschers und nur dieses Klacken und die Geräusche der langsam erwachenden Stadt begleiteten uns.
„Sag mal, was denkst du eigentlich über Hannah?“ unterbrach ich die relative Stille.
„Wie meinst du das?“
„Na ja, ihr seid beide meine liebsten Freunde und ich kenne euch fast gleich lange, aber manchmal macht es mich ein wenig traurig, das ihr wiederum nicht auch befreundet seid.“
„Das würde ich so nicht sagen. Ich bin durchaus mit ihr befreundet.“
„Ja, aber nicht so richtig. Ich meine, habt ihr euch schon mal ohne mich getroffen und geredet? Oder wart ihr im Tiergarten? Hat sie dir jemals von ihrem Schloss erzählt?“
„Du meinst, ihr Luftschloss?“
Ich nickte und er lachte.
„Du hast mich erwischt! Nein, so intim sind wir uns nicht, da hast du vollkommen recht. Aber nur, weil du mein bester Freund bist und sie deine beste Freundin ist, müssen Hannah und ich nicht auch so ein enges Verhältnis pflegen. Ehrlich gesagt, finde sie bisweilen sogar sehr befremdend.“
„Befremdend? Inwiefern?“
„Nun, nimm doch mal die Geschichte mit dem Schloss. Was du mir davon erzählt hast, klingt für mich wie das Geschwafel eines dummen Kindes.. oder einer Verrückten.“
„Ach Armin, du übertreibst. Wirklich.“
„Tue ich das? Mein Freund, Hannah ist sechzehn und sie erzählt dir, sie würde im Berliner Tiergarten mitten auf einer Liegewiese, wo sich Familien tummeln ein großes weißes Schloss besitzen. Das klingt für mich ganz wie jemand, dem ein Zimmer im Irrenhaus gebührt. Das ist doch nicht normal. Und du hast nichts besseres zu tun, als mit ihr über den Rasen zu hopsen und sie auch noch in ihrem Wahn zu ermutigen. Aber vielleicht bist du ja auch vom Irrsinn befallen, wenn auch in anderer Art und Weise.“
„Was willst du denn damit andeuten?“
„Ich deute gar nichts an. Ich beobachte nur.“
„Und was hast du beobachtet oder zu beobachten geglaubt?“
„Ich glaube zu wissen, das du in Hannah inzwischen weit mehr siehst als nur deine beste Freundin?“
Ich gab mich ahnungslos, befürchtete aber zu wissen, was er damit sagen wollte. „Ach, weißt du...“
„Darf ich dich jetzt auch mal was fragen?“
„Immer frei heraus, mein Bester.“
„Bist du in Hannah verliebt?“
Zehn Sekunden war es still, dann gab ich entrüstet zurück: „Ach Quatsch, wie kommst du denn auf so eine Idee.“ Aber ich konnte nicht verhindern, das in meinen Ohren eine rote Wärme aufstieg und ich kniff die Lippen zusammen. Mein Freund indes lachte lauthals und fing an zu singen: „Hans ist verli-hiebt, Hans ist verli-hiebt...“
„Du bist ein Blödian.“
„Und du bist verli-hiebt!“
„Still jetzt!“ fuhr ich ihm über den Mund, denn wir kamen in die Strasse, in der Hannah wohnte. Er tat mir den Gefallen und verstummte, konnte sich aber ein breites Grinsen nicht verkneifen. Sie wartete bereits mit dem Fahrrad vor dem Haus ihrer Eltern auf uns. Trotz der frühen Stunde wirkt sie wach und frisch
„Hallo Jungs.“
„Hallo.“
„Hallo Hannah.“
Wir machten uns auf den Weg. Unser Angelrevier war ein ruhiger Abschnitt der Spree ganz in der Nähe der Charlottenburg. Wir mussten eine ganze Weile radeln. Uns begegneten nur wenige andere Menschen, denn es war ja Sonntag und noch sehr früh, sogar zu früh für die Messe. Manche Gesellschaften machten sich in großen Limousinen auf den Weg zu ihren Feiertagsausflügen. Der eine oder andere Pferdewagen, beladen mit Milchkannen oder kleinere auf denen ein Bäckergeselle die Stadt mit Backwaren versorgte und die mit lautem Rattern und Klappern über das Kopfsteinpflaster rumpelten. Die Stadt erwachte nur langsam, aber das war uns sehr recht, denn die Ruhe stimmte uns auf den entspannenden Tag am Fluss ein. Als wir uns auf Kieswegen zum Schluss unserem Ziel näherten waren nur noch Fußgänger zu sehen, der eine oder andere mit einem Hund oder sie waren ebenso wie wir mit Angeldevotionalien beladen.
Am Fluss angekommen richteten Armin und ich uns fachgerecht ein. Ich wählte einen Blinker für Forellen, auch wenn ich wenig Hoffnungen hatte, an dieser sanften Biegung der Spree welche zu erwischen. Hannah begleitete uns zwar jedes Mal, aber sie selbst beteiligte sich nicht an unserer petrischen Jagd. Während wir schweigend die Ruten immer wieder mit gekonntem Schwung aus den Handgelenk auswarfen, machte sie sich zumeist auf der Suche nach einer sonnigen Stelle, wo sie Blumen und Gräser betrachtete und pflückte. So auch dieses Mal und dabei sang sie halblaut ein schönes Lied vor sich hin. Ich mochte es, wenn sie das tat, denn trotz ihres Alters hatte sie bereits eine sehr frauliche Stimme, in den Alt tendierend, was mir sehr lieb war, da ich die Helligkeit von Sopransängerinnen nicht mochte, sondern sie gar als störend empfand. Daher liebte ich es auch, wenn ich einmal Gelegenheit bekam, Aufnahmen amerikanischer Jazzmusikerinnen zu hören. Hannah störte zwar mit ihrer lebendigen Aktivität unsere Ambitionen einen guten Fang zu erhaschen, aber wir beschwerten uns darüber nicht. Wir wussten, das sie das auch tat, um die Fische zu retten. Manches Mal, wenn uns einer an den Haken gegangen war, sah sie uns mit todtraurigen Blicken an, bis wir die Tiere vom Haken lösten und wieder in das Wasser zurücksetzten. Dann war sie wieder glücklich und zufrieden und rief den Abgetauchten Worte der Aufmunterung hinterher. Wir sagten ihr nie, das sich die Wunden, die unsere Haken in den Fischmäulern gerissen hatten, sich vermutlich entzünden und die Viecher elendiger als durch den Schlag unseres Holzhammers verrecken würden. Hannah schien mir damals der Begriff der Unschuld und des Lebens zu sein und das machte mich glücklich.
Sie entfernte sich außerhalb unserer Rufweite und Armin nahm dies zum Anlass, unser Gespräch wieder aufzunehmen, das wir unterbrochen hatten. Er holte einen Apfel aus seiner Ledertasche, teilte ihn und reichte mir eine Hälfte. Wir kauten zufrieden mit uns selbst und er sagte: „Weißt du, es ist wirklich nicht so, das ich Hannah nicht mag. Aber sie ist nun mal sehr speziell. Vielleicht solltest du dich ein bisschen mehr mit deinesgleichen abgeben.“
„Was meinst du mit ‚deinesgleichen’?“
„Na ja. Jungs. Und so.“
Damals verstand ich noch nicht, was er mit dem Nachsatz meinte, aber ich wusste, worauf er anspielte.
„Du meinst eure Treffen.“
Er nickte und warf den Apfelgrib zur gegenüberliegenden Seite des Flusses. „Einige der Kameraden würden dir gefallen.“
„Das bezweifle ich. Ihr seid so leistungsorientiert, immer geht es um den Besten, den Stärksten. Das ist nichts für mich und das weißt du. Ich bin kein Sportler.“
„Es gibt auch noch viele andere Dinge, die du machen kannst. Wir haben eine Schachgruppe, wir machen Zeltausflüge...“
„Hör auf. Ich pass da einfach nicht rein.“
Er brummt unwillig und holte die Leine erneut ein und wechselte den Blinker. „Aber falls du tatsächlich in Hannah verliebt sein solltest, sei lieber vorsichtig. Es gibt immer mehr, die ihresgleichen nicht sehr wohlgesonnen sind, wenn du verstehst was ich meine.“
Das verstand ich sehr gut und in diesem Moment war ich Armin unendlich böse. Seine Kameraden waren nur ein Indiz, das sich die Zeiten im Augenblick doch sehr änderten und ich wusste nicht, ob ich diese Wandlung der Dinge gut finden sollte. Es hatte einen enormen Aufschwung gegeben, sicher, aber ich glaubte, unter all der Euphorie den Geruch von Niedertracht zu erkennen.
Hannah kam heran und vertrieb meine trüben Gedanken. Sie hatte aus Gänseblümchen, Gräsern und Margeritten Kränze geflochten und setzte sie Armin, mir und sich selbst auf. Armin war sichtlich peinlich berührt und als sich kurz darauf einige Anglerkollegen auf der anderen Uferseite einrichteten und freundlich zu uns herüberwinkten schoss ihm die Schamesröte ins Antlitz, worüber ich mich hämisch freute, ohne ihn jedoch verbal darob zu piesacken. Hannah war heute weniger umtriebig als gewöhnlich. Sie setzte sich zu uns und sah ruhig, aber leise summend auf das Wasser und als Armin und ich unsere ersten Fänge einholen konnten, verzichtete sie auf jeden Protest. Manchmal freute sie sich halt doch ein bisschen mit uns, wenn wir Glück hatten.
Mittags verzehrten wir unsere mitgebrachten Brote und jeder eine Birne, die Hannah mitgebracht hatte und die süß waren und uns den Saft über die Kinne rinnen ließen. Als es gegen drei und sehr heiß war, packten wir unsere Sachen.
Hannah nahm uns die Blumenkronen ab, welche schon recht ausgedörrt und zersaust waren und warf sie mit sanften Schwung in den Fluss. Sie trieben langsam dahin, stießen sich sanft an, entfernten sich wieder, kreisten umeinander, wie zu einem Tanz, dessen Musik wir nicht kannten und als sie an einer sanften Rechtsbiegung aus unserem Blickfeld entschwanden waren sie ineinander verfangen und eins.

Impressum

Texte: copyright: Micha-El Goehre Umschlaggestaltung und Illustration: Markus Freise Erschienen im Lektora Verlag Paderborn 2008
Tag der Veröffentlichung: 11.11.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /