Cover

Vor Wort




Du hast 5 Minuten.
Nur 5 Minuten.
Mal mehr.
Mal weniger.
5 Minuten, um eine Meute von Fremden davon zu überzeugen, das DU es bist, den sie sehen und hören wollen.
5 Minuten, um sie zu begeistern, zu schockieren, zu Tränen zu rühren oder zu unterhalten.
Das Zwölftel einer Stunde, damit sie einen völlig Fremden in ihr Herz schließen.

So was nennt sich dann „Poetry Slam“. Eine amerikanische Erfindung, natürlich. Seit den Neunzehnachtzigern gibt es das und seit mehr als einem Jahrzehnt auch in Deutschland. Ich selbst bin seit knapp sechs Jahren dabei. Mich fasziniert das Direkte, die knappe Zeitspanne innerhalb derer man es schaffen muss, wofür andere meist deutlich mehr Zeit haben. Du musst das Publikum davon überzeugen für dich und nur für dich zu stimmen.
Man entwickelt dafür seine ganz eigenen Strategien. Eine von meinen besagt: Hau auf die Kacke, aber richtig. Dabei kommen Texte raus, die schnell sind und oft laut und sehr pointiert.
Solche Texte sind dann allerdings selten für eine weitere Verwendung in Buchform geeignet. Ich selbst würde sie mir eher nicht durchlesen. Ich hasse es, wenn in Slam – Anthologien Texte zu finden sind, die dermaßen Performance – abhängig sind, dass sie auf Papier nun mal überhaupt nicht funktionieren können.
Dennoch gibt es immer wieder Nachfragen, ob man den Kaffee oder das Senfglas nicht noch mal irgendwo nachlesen könnte. Also habe ich an dieser Stelle mal einige meiner Highlights versammelt. Ich hoffe, Ihr habt ein wenig Freude beim Lesen. Mein Vorschlag: lest es laut und findet eine eigene Art, wie Ihr den jeweiligen Text vortragen würdet. Im Anschluss habe ich eine Anmerkungen zugefügt, anhand derer ihr Eure und meine Auslegung vergleichen könnt.
Interaktivität herrscht!

Wie auch immer:
Man liest sich!
Micha



Der Kaffee ist alle



Soll ich euch mal was sagen?

DER KAFFEE IST ALLE!

Der Kaffee – alle. Komplett. Kein Krümelchen dieses feinsten alle Stäube ist im Haus aufzutreiben. Es ist Sonntag morgens zehn Uhr, die Aufbackbrötchen sind im Ofen, die Zeitung liegt auf dem Tisch und es GIBT KEINEN KAFFEE.
Ich brauche meinen Kaffee, ich benötige ihn, ich bete ihn an. ICH WILL IHN. ICH WILL MEINEN KAFFEE.
Nicht diese Milch - mit - Zucker – Plörre, diese heißgekochte Diarrhö, die sich manche Leute in den Hals schütten, das ist kein Kaffee, das ist Kinderkacke.

Kaffee muss schwarz sein, schwarz und heiß und lecker und vor allem SCHWARZ, schwarz wie die Nacht, nein, so schwarz wie Darkwave, aber ohne dieses tuntige Pacoulligegammel, nein noch besser, schwarz wie BLACK METAL.

Ich will guten Kaffee, ich will den einzig wahren Stoff, frisch von Hand gemahlen und in meiner Spezialkaffeemaschine aufgebrüht, für die ich zwei Monate in einer Scheiß Montagehalle geackert habe. Ich brauche kein Auto, ich brauch keine fette Anlage und ich brauch keine Dauerparty, solange ich dieses chromglänzende Wunder der Aufbrühtechnik in meiner Küche stehen habe, mit dem ich jetzt eigentlich meinen Kaffee machen möchte, heiß und stark und schwarz wie BLACK METAL.
Nicht diese Instant – Lachnummer, das ist als ob man Hasenköttel in kochendes Wasser bröselt. Wer Instantkaffee als Kaffee bezeichnet ist kein Mensch, sondern ein kulturloses Produkt der Aldi – Propaganda. So jemand sollte nicht wählen dürfen. So jemand gehört profilarktisch verdroschen, bevor noch was schlimmeres anstellt. Wer Instantkaffee oder diese Kaffeepads für Kaffee hält, denkt auch der SMART wäre ein Auto oder Sarah Kuttner könnte eine Fernsehshow moderieren.
Und Yorkshire – Terrier sind verdammt noch mal keine Hunde, sondern bestenfalls mutierte Ratten mit einem Schleifenproblem.
Und Stiefel mit Bommeln dran sehen scheiße aus und nicht niedlich!
Und können diese Gilmoure Girls einmal, ein einziges Mal für fünf Minuten die Fresse halten?
Das nervt. Warum tu ich mir den Scheiß eigentlich an?
Fernseher aus.
Warum hab ich überhaupt einen Fernseher in der Küche? Ich will nicht fernsehen.
Ich will frühstücken, ich will Kaffee, den einzig wirklichen, schwarz wie BLACK METAL und heiß wie die Hölle. Ich will frühstücken, wie es einem zivilisierten Menschen gebührt. Aber das einzige schwarze sind inzwischen die verdammten Brötchen im Ofen, die sind nun wirklich BLACK METAL.
Ich hab es ihr ja gesagt: „Es muss immer genug Kaffe im Haus sein und zwar der gute Stoff und immer eine volle Dose und noch ein unverschlossenes Paket in Reserve sein.“
Aber hört sie auf mich? Nein, natürlich nicht.


Ich hab ihr gesagt, du kannst gerne bei mir einziehen, bitte, mach doch, aber wenn du schon in mein Refugium eindringst, weil dir das allein leben auf den Keks geht, dann hast du eine Regel zu beachten, EINE EINZIGE Regel:
Sorg dafür, das es niemals, NIEMALS an Kaffee mangelt und wage es ja nicht mir etwas anderes als MEINE MARKE unterjubeln zu wollen. Wenn du deine bräsigen Freunde schon mit meinem Kaffee abfüllen musst, was diese Vorstadtproleten meiner Meinung nach überhaupt nicht zu schätzen wissen, dann sorg gefälligst dafür das du die Lagerbestände sofort auffüllst. SOFORT! Verstanden?

Aber nein, das kriegt sie natürlich nicht hin und wenn man sie mal drauf aufmerksam macht, dann fängt sie gleich an zu flennen und erzählt das alte Lied mit alles aufgegeben, nur für dich und du willst mich gar nicht bei dir haben und dann kommt das Ding mit der LIEBE.

HÖR MAL! Ich kann mich nicht daran erinnern, das irgendwer behauptet hat, LIEBE würde gut zu Brötchen passen oder Liebe würde lebensnotwendiges Koffein enthalten oder Liebe könnte man heiß und schwarz und lecker genießen. Komm mir mit dieser Liebescheiße wieder, wenn man Liebe aufbrühen kann. Solange sorg dafür, dass genug Kaffee da ist.
Ich hab es ihr erklärt. Und jetzt ist der Kaffee alle. MIR REICHTS!
Jetzt zeig ich ihr mal, was es heißt, wenn ich BLACK METAL werde, aber so richtig BLACK METAL. Ich werde zu ihr hingehen, ich wird zu ihrem Zimmer gehen, ich werde ihre Tür aufreißen, ihr Klamotten in den Hausflur schmeißen und dann gibt’s aber BLACK METAL.


„Pass ma auf, du Zellhaufen!“, werde ich sagen, was hab ich dir gesagt? Wenn du die Dose nachfüllst, dann sollst du sofort in den Markt rennen und eine neue Packung Kaffee holen und da ist es mir scheiß egal, ob du keine Zeit, deine Tage oder einen Bauchschuss hast: ICH WILL MEINEN KAFFEE, sonst geht hier der BLACK METAL ab!
Und was glaubst, zeigt mir heute morgen ein Blick in den Küchenschrank? Genau das selbe, wie ein Blick in deinen schlecht frisierten Kopf: Nichts!

Und jetzt ist aber Feierabend, meine Liebe, du hast deine letzte Chance vertan.
Du hast mich nie geliebt und nie verstanden, denn sonst wüsstest du, was mein Kaffee mir bedeutet, du menschgewordener Beistelltisch! Ich will dich und deinen Kadaver hier nicht mehr sehen. Ich schmeiß dich raus! Hau ab, jetzt sofort. Wir sind ab sofort geschiedene Leute und wehe du fängst jetzt mit deinem Geheule an, dann hau ich dir eine rein. Sieh zu das du Land gewinnst, Mutter!


Ein Flirt




Sag jetzt nichts, bleib einfach hier sitzen, sag nichts, ich
bestell dir noch einen Drink, aber sag jetzt nichts, hör mir einfach nur zu, denn wenn du mich unterbrichst, dann komme ich völlig aus dem Konzept, wo ich doch so leicht zu verunsichern bin, das liegt bei mir in der Natur und dann bin ich raus und weiß gar nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte und verhaspele mich und werde ganz rot im Gesicht und zittrig in den Beinen und dann weiß ich nicht mehr, was ich tun soll, schließlich hatte ich mir die Wort so schön zurecht gelegt, aber nein, du kannst ja dein Maul nicht halten und jetzt bin ich raus, nur wegen dir und werde ganz wuschelig im Gehirn und schwindelig und dann fange ich an zu husten und zu würgen und kotze dir auf deine hübschen Schuhe, die dir nebenbei gesagt ausgezeichnet stehen und Kotze geht ja auch nicht mehr raus und du bist dann sauer und sagst, das du die Treter jetzt wegschmeißen kannst und machst mir Vorwürfe und das ich die jetzt bezahlen müsste, ob ich wüsste was solche Schuhe eigentlich kosten, die gibt es schließlich nicht an jeder Straßenecke und ich werde noch nervöser und ich weiß nicht was ich jetzt tun soll und du fängst an rumzuschreien und dann kommt die Freudsche Fehlleistung zum Tragen und ich hau dir rein und das obwohl ich eigentlich gar keine Mädchen mehr schlage, nur ein bisserl kratzen und beißen und dann aber auch nur wenn’s grad passt und beide es wollen, aber nu fällt mir nix anderes mehr ein, ist aber auch nur mit der flachen Hand, also gar nicht so Bud Spencer - mäßig mit geballter Faust auf die Omme und Lichter aus und auch nicht aufs Auge oder die Nase, nur so ein mahnender Patscher, mehr so eine Warnung und du kriegst eine rote Backe, fünf Finger kann ich erkennen und fängst an jetzt an zu flennen und das Schreien wird Kreischen und zwar in einer echt nervigen Tonlage und die anderen Leute an der Bar gucken schon ganz pikiert, ich kann sie echt verstehen und dann fängst du an mit deinen Mädchenfäusten auf mich einzutrommeln, als wäre ich ein kuhfellbespanntes Percussionfass, ich glaub, es schneit und da bleibt mir dann auch nix anderes übrig, muss man Verständnis für haben, Bierflasche über die Tresenkante gezogen und mit dem Scherbenkranz, ratsch ratsch, deinen Hals geöffnet, ganz weit auf und das Kreischen hört augenblicklich auf, endlich ist Ruhe und es ist nur noch Blubbern und Röcheln, aber du verspritzt ganz schön viel Blut und achtest gar nicht darauf, wo das alles landet, so übelst inkontinent ist deine Kehle und alles auf mein Jackett, mein sauteures D&G – Jackett, soviel können deine Schuhe gar nicht gekostet haben, das kriegt keine Reinigung mehr raus und muss in den Müll und allles nur weil du mich unterbrochen hast, ich will das ja alles gar nicht mit der Gewalt und dem Gekreische und das wär ja auch nur, wenn du mich nicht aussprechen ließest, also vermeiden wir den Kummer und du hörst auf mich, wenn ich dir sage: Sag jetzt nichts.
Sag nichts.
Hör mir zu, hör mir einfach nur zu. Sag jetzt nichts.
Ich bin der Rolf., ich hab dich hier sitzen sehen und dachte mir, ich sprech dich mal an, siehst schließlich klasse aus und bist auch allein, da hatte ich die Hoffnung, das du keinen Macker hast, hingehen musste ich auf jeden Fall, ich steh einfach drauf, wenn Frauen so was tragen und dabei so leger sind, das hat dann auch gar nichts Nuttiges finde ich und ich bin auch solo, zumindest seh ich das so, ich kann ja nix dafür, wenn die das anders sieht, ich bin halt bei ihr eingezogen, aber mit jemanden Zusammenziehen, das heißt doch nicht, das man gleich verheiratet ist, aber ich fand es halt praktisch, kost’ ja nix und am Herd und im Bett ist sie echt ’ne Granate, ja ja, ich weiß, aber sag jetzt nichts, klar ist das dich so was nicht interessiert, schließlich wollen wir zwei Hübschen doch ins Gespräch kommen, was der Trottel da an von anderen Weibern zu erzählen, schon klar, sag nichts, geht ja um uns, also möchtest du noch was trinken, ja, einfach nur nicken, sag nichts, sag jetzt nichts, Herr Ober, noch mal das Gleiche, Danke schön, finde ich echt toll, das du mich einlädst, schließlich kennen wir uns ja gar nicht, sag jetzt nichts, heutzutage ist es keine Schande für einen Mann, wenn die Frau zahlt, wir sind schließlich aufgeklärt, nicht wahr, und ich bin selbstbewusst genug, um die Rolle der modernen Frau zu respektieren, ich meine, es sollte selbstverständlich zu den Rechten der Frau gehören, sich selbst zu verwirklichen, ich hab da kein Problem mit, solange sie pariert ist das in Ordnung für mich, haha, keiner Scherz, kein Grund so böse zu gucken, wir sind doch unter uns, da ist ein kleines Späßchen nicht fehl am Platz, Prost Herzchen, wie heißt du überhaupt, nein, sag jetzt nichts, sag nichts, ich will raten: Isabelle, oder nein, nicht Isabelle, du bist kein Isabelle-Typ, vor allem, wusstest du das Isabelle übersetzt „schönes Pferd“ bedeutet, ich bitte dich, das ist doch kein Name, ne eine Isabelle bist du nicht, ich tippe eher auf Julia, ja das würde passen, alle Julias, die ich bisher kannte waren total schöne Frauen, das würde passen, da wäre ich ja gerne mal dein Romeo, aber ohne das Gesterbe und das Tragische am Schluß, das muss ja auch nicht sein, aber irgendwie habe ich das Gefühl, du bist auch keine Julia, warte, sag nichts, einen Versuch hab ich noch; Rumpelstilzchen O)h, jetzt schaust du wieder so böse, das musst du einfach mit Humor nehmen, mir einem Lachen geht man doch viel leichter durch das Leben, oh und wo ich gerade vom Gehen spreche, es wird Zeit für mich, bitte sag jetzt nichts, ich danke für die Einladung, hat echt Spaß gemacht, sich mit dir zu unterhalten, sag jetzt nichts, wir sehen uns wieder, keine Angst, sag nichts,
sag jetzt nichts,
sag nichts,
psst.


Wie man eine Palette zerstört




Da liegt sie vor dir.
Fünf Leisten oben, querverstrebt durch drei Hölzer, drei weitere unten als Basis. Beide Einheiten verbunden durch neun auf quadratisches Maß zugeschnittene Kanthölzern. Alles mit einander vernagelt durch Stahlstifte, nach denen sich sonst US-amerikanische Industrialbands benennen.
Eine Europalette.
Sieh sie dir an. Das helle Holz, scheinbar unverrückbar in eine Form gebracht, um Lasten zu tragen die nur noch in Tonnen gemessen werden. Helles Baumfleisch, solide und doch flexibel, ein simples Konstrukt und doch ein leuchtendes Beispiel menschlicher Ingenieurskunst. Es bleibt einem kaum etwas anderes als sie mit Ehrfurcht zu betrachten.
Und jetzt machen wir sie kaputt, aber richtig.
Schau sie dir genau an: ist dort irgendwo eine Lücke an den Verbindungspunkten, die dir einen Angriffspunkt liefert, ein Spalt, der dir einen Ansatz bietet? Ja? Dann schmeiß das Teil auf den Müll. Dort ist mit an ziemlicher Sicherheit Feuchtigkeit eingedrungen. Das Holz ist nass, marode und von Schimmel durchsetzt.
Und selbst wenn nicht: so ein Schrotthaufen ist unserer nicht würdig.
Wenn alles in Ordnung ist, kommen wir zum zweiten Teil. Such dir einen vernünftigen Arbeitsplatz, festen Boden, genug Platz, um die Palette flach hinzulegen, aber auch einen festen Widerstand, an dem du sie hochkant stellen kannst.
Und das Werkzeug. Du hast ein Brecheisen und eine elektrische Säge? Geht ratzfatz damit? Schön für dich und jetzt verpiss dich, du Lagerfeuertucke. Mach dein Feuerchen und wenn du dich verbrennst, dann renn zu deiner Mami und heul doch! Das hier ist was für echte Kerle.
Eine Eisenstange und ein handelsüblicher Schraubendreher reichen uns als Bewaffnung. Und wenn du mir jetzt weiter mit dem Kreuzdreher vor den Augen rumfuchtelst gibt’s einen an die Kappe. Einen Schlitzdreher brauchen wir!
Und nun sieh sie dir wieder an. Sie sieht so verdammt stabil aus, nicht wahr? Aber das täuscht. Wie alles im Leben hat sie Schwachpunkte. Such nicht danach, du wirst sie nicht finden. Hunderte von Schwerlasten haben sie nicht geknackt, da wirst du nichts ausrichten. Hier geht es um Mechanik.
Die obere Seite besteht aus fünf Leisten. Nimm dir Nummer 2 und 4 vor, sie sind als einzige nur an drei Punkten mit dem Rest verbunden und das nur durch kurze Nägel. Diese Leisten sind nicht tragend, sie dienen nur als Fläche. Als Angriffsfläche. Ramm dort den Schraubenzieher in den Spalt. Beweg ihn hin und her. Sei brutal. Das Holz ist weich, es muss elastisch bleiben. Nutze das. Und dann schreit das Palettentier. Es ist der metallische Schrei von Nägeln, die sich aus Holz befreien und von denen sich Rost löst. Setz das Eisen an. Du kannst die Welt aus den Angeln heben, aber die Leiste reicht auch schon. Quietschend gleiten die Stahlstifte aus ihrer Versenkung. Die erste Leiste ist geschafft. Verfahre genau so mit der anderen nichttragenden.
Nun ist sie verwundet. Du kannst jetzt wie ein Gehirnamputierter auf die Querstreben eintreten, um die Palette zu zerkleinern. Aber das hat keinen Stil und das Ergebnis sind vornehmlich Brösel und Knochensplitter. Das Ding ist immer noch verdammt zäh.
Aber wie Mister Spock schon so schön sagte: die strukturelle Integrität ist angegriffen. Jetzt kommt es drauf an, den Phaser auf Schwachpunkte der Schilde zu fixieren. Eigentlich sollte das Fehlen dieser Leisten nichts ausmachen, aber etwas hat sich verändert. Etwas ist in deinem Kopf. Die Erkenntnis, das die Europalette als solche nicht unangreifbar ist.
Nun kommen die unteren Leisten dran. Sie sind mit den Klötzen durch sehr lange Nägel verbunden und auf dieser Verbindung hat Zeit ihrer Existenz alle Last geruht. Es ist schwierig einen Ansatz zu finden, aber nicht unmöglich. Und wenn du sie erst mal gelockert hast, geht alles sehr viel schneller. Dann kann das Massaker beginnen.
Tritt die Sau! Wirf dich mit deinem vollen Gewicht dagegen, wieder und wieder. Mit jeder gelösten Verbindung wird die Palette instabiler. Sei ein Mann und wenn du eine Frau bist, sei eine Frau: stell dich drauf, reiß mit bloßen Händen an gelockerten Enden, brich ab, zersplittere und zerstöre weitere Knotenpunkte ihrer Konstruktion. Du hast sie jetzt, ihre einzige Verteidigung sind noch unfaire Tiefschläge. Achte auf Splitter! Schätze Bruchpunkte ab. Wenn du nicht weißt wann ein Holz bricht, kann dich deine eigene Kraft zu Boden werfen und dir den verdammten Schädel brechen. Achte auf die Nägel! Wenn du sie dir in den Fuß treibst ist das nur der Anfang. Auch das Herausziehen ist nicht weiter schlimm. Aber du solltest dir deiner Impfungen bewusst sein, vor allem der versäumten. Und dann sind da die Spätfolgen getroffener Nerven in der Fußsohle. Was glaubst du, warum ich mir manchmal nachts plötzlich mit lautem Stöhnen das Bein halte? Erzähl mir was über deine HipHopper – Schusswunden, komm mir mit abgerissenen Fingern, weil du zu blöd warst, den Ehering abzunehmen, obwohl ihr schon längst getrennte Schlafzimmer hattet und ich erzähle dir etwas über Krampfschmerzen. Achte auf die Nägel, sag ich dir nur.
Und dann hast du es geschafft. An einem gewissen Punkt gibt sie auf, wenn nur noch ein Skelett vor die liegt, das du mit wenigen Hieben und Tritten endgültig ins Transportgutnirwana schickst.
Wirf das Holz auf einen Haufen und vergiss das Scheißfeuer. Du bist erhitzt, du brauchst keine Wärme von außen mehr. Dein Herz pumpt wie irre, deine Halsschlagader zeigt den Beat an und das Adrenalin des Kampfes brodelt in deinen Synopsen.
Geh nach draußen. Reiß dir das Hemd vom Leib und trommele auf deiner Brust.
Lass einen Schrei durch die Straßenschluchten deines Vorortes erklingen, denn du bist einer der letzten der wahren Krieger.


Wie man einen Aufkleber entfernt




Es gibt da etwas, mich in Rage bringt.
Da hast du endlich deinen Einkauf in die eigene Datscha geschafft und packst den Kram aus und was siehst du? Einen blöden kleinen Aufkleber mit dem Namen des Erzeugers auf der ansonsten makellosen Fläche. Was soll das?
Irgendein Hirni meint, man müsste allem einen Namen geben und aufkleben, ich aber sage: muss man nicht. Das ist etwas für Frauen, die brauchen immer Namen, das ist Instinkt. Bei Frauen haben sogar Zeitschriften und Magazine einen Namen: Emma, Brigitte, Petra. Kein Mann würde auf die Idee kommen, eine Zeitschrift zu lesen, die „Rüdiger“ heißt. Oder Jochen. Oder Ulf.
Ich brauche keinen Namen für meinen Einkauf. Ja sicher, es ist nur ein kleiner Aufkleber, kaum der Rede wert und ich sollte mich darüber nicht im Mindesten aufregen.
ABER ICH WILL MICH AUFREGEN!
Das Ding muss ab und da haben wir das nächste Problem. Die Genossen erfinden alles Mögliche, Raumstationen, Internet, Magnetbahnen, Klopapier mit Aloe Vera oder diese türkischen Kaugummis, die so sauer sind, das dir fast das Gesicht auseinander fliegt, Mann, sind die lecker. Aber glaubt ihr, das es ihnen gelingt Aufkleber zu benutzen, die man ohne Probleme oder Rückstände einfach so ablösen kann? Nein, natürlich nicht.
Also beginne ich, an dem kleinen Bastard mit den Fingernägeln herum zu knibbeln. Aber was bin ich? Ein Handmodel? Meine Fingernägel sind keine Katzenklauen. Also erreiche ich damit nicht viel mehr, als das ich die Ränder des Aufklebers wabbelig mache und auftürme. Der nächste Versuch: ich weiche ihn mit Wasser an und bearbeite ihn dann wieder mit dem Daumennagel. Bringt auch nichts, aber dafür sieht Sticker jetzt aus wie ein Steppbettdecke, so mit Fransen dran. Eigentlich hübsch, aber darum ging es mir ja echt nicht. Jetzt werde ich langsam sauer. Aber ich bin ja ein sauberer Junge, ich hab also noch irgendwo Reinigungsbenzin. Ordentlich was draufgeträufelt, wir wollen nicht knausern. Weg mit der leeren Dose. Ist ja auch nicht nur zum Anlösen. Zack, Feuer dran. Holla, war wohl doch etwas üppig. Nachdem die Löscharbeiten erfolgreich beendet sind, nehme ich Gewehr und erschieße den Rauchmelder. Das Gepiepe nervt. Danach Anruf bei der Feuerwehr, Nein, Nein, keine Panik alles Paletti, ich will nur diesen Scheiß Aufkleber abkriegen und der Feuermann sagt, er kenne das auch, da können sie alles Mögliche erfinden, Raumstationen, Internet, Magnetbahnen, Klopapier mit Aloe Vera oder diese türkischen Kaugummis, die so sauer sind, das dir fast das Gesicht auseinander fliegt, Mann, sind die lecker, aber Aufkleber, die man einfach ablösen kann, das kriegen sie nicht hin. Der Mann versteht mich. Ich lege auf, nachdem er mir noch ein paar Tipps gegeben hat und betrachte das Ergebnis meiner Bemühungen. Der Aufkleber sieht aus wie eine Steppbettdecke, die eine Frau abgefackelt hat, während ihr Ehemann darin eingekuschelt nächtigte, das untreue Schwein und außerdem war er auch recht gut versichert und warum raucht der haarige Trottel auch ständig im Bett?
Immerhin kann man den Aufdruck langsam nicht mehr erkennen.
Benzin war also nichts. Ich greife wieder zum Werkzeug, wozu habe ich neulich Svetlana und Boris bei ihrer Renovierung geholfen. Der Spachtel ist allerdings verschmiert mit Farbe und voll stumpf. Nur ein paar Fetzchen ernte ich damit.
Langsam wird das persönlich. Ich lasse mich doch nicht von einem Aufkleber mit dem Durchmesser eines halben Rubel verarschen!
Ich bearbeite das Teil so lange mit der Drahtbürste bis ich mir fast eine Sehnenscheidenentzündung eingefangen habe. So sehr hat mein Handgelenk nicht mehr geschmerzt, seit der Videoladen um die Ecke 50% Rabatt beim Ausleihen von drei „Erwachsenenfilmen“ im Angebot hatte. Die meisten Borsten der Bürste sind ausgefallen. Der Sticker hat deutlich an Substanz verloren, aber er ist immer noch da. Jetzt sieht er aus wie eine Steppbettdecke, in der eine Frau ihren Ehemann verbrannt hat, das untreue Schwein und zwecks Vernichtung von Beweisen mit der Motorsäge zersäbelt hat.
Das bedeutet Krieg!
Ich gehe auf die Veranda, jetzt ist Schluss mit lustig. Aus dem Schuppen hole ich die ultimate Lösung gegen störrische Aufkleber: einen Kärcher Sandstrahler, den ich eigenhändig noch etwas aufgemotzt habe. Jetzt kann man mit dem Teil einen T34 – Panzer in handliche Würfel zerschneiden. Für Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Ich stelle diese Vernichtungswaffe der bundesrepublikanischen Heimwerkerindustrie auf Maximalstufe und dann gebe ich diesem verdammten Sticker den Rest. Und wahrhaftig: endlich ist er verschwunden. Ausradiert. Eliminiert. Zufrieden bringe ich den Kärcher zurück in den Schuppen.
Ich habe gesiegt.
Nur den Apfel kann ich allerdings wegschmeißen.


Ich mag meine Nachbarn




Bei mir ist es schön.
Bei mir zuhause ist es ganz, ganz schön. Ja, ja. Ja wirklich. Ich mag mein Zuhause, da ist es schön. Meine Nachbarn sind toll, ich mag meine Nachbarn, ganz freundlich sind die und immer nett und aufmerksam, die sagen mir immer, wenn ich mal die vollgestopften Mülltonnen an die Strasse stellen muss. Mal wieder. Wie jedes Mal, wenn die Abfuhr kommt, so aufmerksam sind die, meine lieben Nachbarn, ich mag meine Nachbarn, ganz aufmerksam sind die, jedes Mal, wenn die Abfuhr kommt. Stellen sie doch bitte mal die schweren Tonnen an die Strasse, sagen sie zu mir, ganz nett und freundlich, weil ich ja auch der einzige im Haus bin, der ganz alleine wohnt und der kaum da ist und auch sonst Müll vermeidet und da tu ich dann mal so alle zwei Wochen einen Beutel Abfall in die Tonnen, so klitzewenig ist das und gar keine Windeln oder Rindenmulch oder große dicke unzerknickte Pizzaschachteln und da sind sie ganz aufmerksam und sagen ich könnte ja mal den Müll wieder an die Strasse stellen, wie jedes Mal, so aufmerksam sind sie meine Nachbarn, ich mag meine Nachbarn.
Und ich habe eine Waffe.
Meine Nachbarn sind ja so was von aufmerksam, man glaubt es kaum, wenn da mal der Hund von der Frau aus dem dritten Stock auf mich zurast und mich anknurrt und ankläfft und sich in meinem Bein verbeißt, dann ruft sie ihn sofort zurück ruft sie ihn dann, Joschi, ruft sie, das macht man nicht, der wohnt doch auch hier, Joschi und während er auf mir rumkaut ruft sie ihn die ganze Zeit, Joschi ruft sie, komm jetzt hierher und sie ist so aufmerksam und fragt, ob es denn wehtue und ich freu mich, das sie so aufmerksam ist und das sie rät, ein bisschen Bepanten, so aufmerksam und ich winke ab und sag das eitert sich raus und sie ist so mitfühlend und fragt, ob ich gegen Tetanus geimpft sei, ihr Joschi nämlich nicht, meine Nachbarin, immer für einen kleinen Spaß zu haben. Ich mag meine Nachbarin und ich hab eine Waffe.
Ein großes glänzende Gewehr.
Und die Nachbarskinder sind auch so drollig, immer am Spielen und am Schreien, immer vor meinem Fenster, damit ich was davon habe und wenn ich nach Hause komme, dann tanzen sie um mich herum und singen ihr Lied, ein schönes kleines Lied singen sie, das haben sie sich nur für mich ausgedacht, für mich ganz allein, die lieben Kinder, Der Wichser singen sie Der Wichser ist im Haus und dann lachen sie und freuen sich und ich staune immer, so jung und schon so musikalisch, so kreativ die lieben Kleinen. Ich mag die Nachbarskinder und ich hab eine Waffe, ein großes glänzendes Gewehr, schon ganz alt, aber voll funktionstüchtig, ein ganz schönes Gewehr, mit einem Schuss kannst du ’nem Russen den Arm abreißen, das hat mein Opa immer gesagt und der musste das wissen, das mit dem Russen, war nämlich mal sein Gewehr, damals im Krieg. Ich mochte meinen Opa, hat mir das Gewehr gezeigt, wo ich noch ganz klein war, immer gereinigt und geladen hat er es und in Schuss gehalten, ein Gewehr in Schuss halten ,das fand ich immer lustig, ja ja, und mein Opa hatte auch so lustige Sachen zu erzählen, vom Krieg und von seiner Zeit in Russland und das mit dem Arm vom Russen, aber auch von seinem Arm, dem rechten, immer ganz weit oben hat er den gehalten, mein Opa und dann erzählte er mir immer, da es eine gute Zeit war und das die bestimmt wiederkäme, das könne ja nicht so weitergehen mit dem ganzen Gesocks, damals hätten sie ja auch mal richtig aufgeräumt, mein Opa und die anderen Armabschießer und Armhochheber, und irgendwann käme mal wieder einer, der uns zeigt, wo es langgeht, so war mein Opa, immer engagiert, immer aufmerksam, der hat sich noch richtig Gedanken gemacht und hat mir von früher erzählt und hat mir sein Gewehr gezeigt und dann hab ich mal geguckt, wie das so war mit dem Armabschießen. Ich mochte meinen Opa und ich hab ein Gewehr, ein schönes glänzendes Gewehr, ein Erbstück.

Ich steige auf einen hohen Turm. Von dort kann ich die ganze Innenstadt überblicken. Ich suche mir einen guten Platz, deponiere die Packung mit den Patronen neben mir. Ich ziele. Eine Bewegung dort unten, eine Bewegung hier oben, minimal, nur das Zucken eines Fingers. Eine Bewegung dort unten, ein Fallen, dann Blut und Schreien und Splitter.
Ihr mit euren ins Autofenster geklemmten Kleinstfahnen, diesem Marketing-diktiertem Bierkästen und Grillgut beigelegtem public viewing Partypatriotismus. Ich kriege euch.
Ihr breitärschigen in der Mitte von Rolltreppen Stehenbleiber Ich kriege euch.
Wer auch immer hibbeligen HipHop-Blagen Taschentelefone mit Lautsprecher verkauft: ich kriege dich!
Ihr pseudo-humanitären Bombenteppichleger, ihr Rock über Jeansträgerinnen und sich dabei auch noch total alternativ und individuell Vorkommerinnen, ihr VHS-geklonten ruckelige Reime schmiedenden, öffentlich öde Ölgemälde offerierenden Höhenflughausmütterchen. Ihr Kontaktanzeigenheuchlerinnen, eine Waldelfe sieht nicht aus wie ihr, ganz und gar nicht! Ich kriege euch!
Und Andre Rieu du geigende Grinsekäsefresse, du hast einen ganz besonderen Platzt in meinem Zielfernrohr!
Ihr Links- und Rechts- und ab-durch-die Mitte- Faschisten.
Ich krieg euch alle!




Ich mag mein Publikum, mein aufmerksames Publikum, das immer ganz ruhig ist, wenn ich vorlese und rausgeht, um mich nicht zu stören und die Zuschauer sind so aufmerksam, die nehmen auch keine CDs oder Bücher mit, damit ich die nicht vermisse, so lieb sind die und machen dann auch gar keinen Klatschkrach, wenn ich fertig bin, damit auch jeder zuhören kann, wie ich Backstage weine und dann lachen sie und freuen sich und lachen noch ein bisschen mehr, so aufmerksam sind sie.
Ich mag mein Publikum. Und ich habe einen Text. Und ich bin bereit, ihn zu benutzen.


Senfglasträume



Danke Saskia!



Partytime!
Wir sitzen in trauter und leicht angenatterter Runde bei Kathrin beieinander. Alle trinken was, die meisten Bier, manche Cola oder Kurzen oder Bier und einer trinkt überhaupt nix, weil der hat keinen Durst und einer trinkt Bier und einer Whiskey, aber die meisten trinken Bier, ist lecker und macht knülle, manche Veltins, manche Herforder oder Beck’s oder Oettinger, aber Bier halt, pur und ohne Eis, Bier mit Eis ist sowieso für’n Arsch und es ist ja auch im Januar, da ist das Pilsbier eh kalt genug, da braucht man kein Eis, schon gar nicht im Bier, schmeckt doch Scheiße, Kurzen kann man mit Eis trinken, macht aber auch keiner, Kathrins Kühlschrank hat kein Eisfach, alle trinken pur, die meisten Bier, manche Cola oder Kurzen oder Bier und einer trinkt überhaupt nix, weil der hat keinen Durst und einer trinkt Bier und einer Whiskey, aber die meisten trinken Bier, nur Sabine trinkt Bier und Wasser und Saskia sagt: „Guck ma’.“
Und ich sag: „Was, guck ma’?“
Und Saskia sagt: „Na, das“, und zeigt auf Sabine, beziehungsweise neben Sabine auf den Boden, weil wir sitzen alle auf dem Boden und ist ja auch viel gemütlicher und alle trinken was, die meisten Bier, manche Cola oder Kurzen oder Bier und einer trinkt überhaupt nix, weil der hat keinen Durst und sitzt auf dem Sofa, der blöde Spalter und einer trinkt Bier und einer Whiskey, aber die meisten trinken Bier, nur Sabine trinkt Bier und ein Glas Wasser und Saskia zeigt da jetzt drauf und sagt: „Das da.“
Und ich sag: „Das da?“ und zeig da jetzt auch mal hin und Sabine kommt sich ein bisschen vergackeiert vor, aber wir meinen ja gar nicht sie und es auch nicht böse, sondern wir zeigen auf ihre Getränke, die Saskia und ich.
Und ich sag: „Das Bier?“
Und Saskia sagt: „Nein, nicht das Bier.“
„Das Wasser?“
„Ja, das Wasser.“
„Was ist mit dem Wasser?“
„Nicht das Wasser, das Glas.“
„Das Wasserglas?“
„Ja, das Wasserglas.“
„Das Wasserglas da?“
„Genau, das Wasserglas.“
„Was ist mit dem Wasserglas?“
„Na guck doch mal, wie das aussieht.“
„Das Wasserglas?“
„Genau, das Wasserglas.“
„Ja, was ist denn damit? Wie sieht das denn aus?“
„ Na guck doch mal!“
„Ich guck ja.“
„Dann guck doch mal genau.“
„Ich gucke genau, genauer geht es gar nicht.“
„Och Mann, muss ich dir denn alles erklären?“
„Was erklären? Das ist doch nur ein Wasserglas.“
„Das ist nicht ‚nur ein Wasserglas’!“
„Nein?“
“Nein.“
„Natürlich ist das ein Wasserglas, was soll das denn sonst sein, wenn es kein Wasserglas ist.“
„Ja, natürlich ist es ein Wasserglas.“
„Na also!“
„Aber es ist ein Wasserglas, das aussieht wie ein Senfglas, das man nach dem Leeressen spülen und als Wasserglas verwenden kann.“
Ich gucke und sage: „Jau. Hast recht.“
Und ich gucke und sage: „Ist aber ganz schön groß für ein Senfglas.“
Und Saskia guckt und sagt: „Dann war es halt ein ganz schön großes Senfglas.“
„Ein sehr großes Senfglas.“
„Ein riesiges Senfglas.“
„Ein enormes Senfglas.“
„Ein gigantisches Senfglas.“
Und ich gucke und dann sage ich: „Du hast recht: dies ist ein riesiges, ein enormes Senfglas, ein gigantisches Senfglas. Das ist das Senfglas meiner Träume, ein Senfglas, wie es nur eine ganze Fußballmannschaft Senfglasbläser erschaffen kann, denn am achten Tag verzweifelte ER und verließ Rotz und Wasser heulend die Schöpfung, denn ER konnte sich so ein riesiges, so ein enormes, so ein gigantisches Senfglas nicht einmal vorstellen. Es ist ein Senfglas, von dem Galileo Galilei gesagt hätte: „Und es bewegt sich doch!“ und Sam und Frodo machen sich erneut auf den Weg zum Schicksalsberg, denn dort soll dieses Glas geschmiedet worden sein und Sabine Christiansen will ein Interview, kriegt sie aber nicht, die blöde CDU - Zimtzicke. Ein Senfglas, in dem man ganze Pirhanaschwärme halten kann. Oder Flundern. Oder Aale. Ein Senfglas, aus dem man seine Ursuppe löffeln möchte, ein so riesiges, so enormes, so gigantisches Senfglas, das sich nicht mal Hollywood an seine Verfilmung herantrauen würde. Ein Senfglas, das sich nur einen Senf zu beherbergen herablässt, der zur Senfcreme de la Senfcreme gehört, ein Senf, den man am besten nur pur genießt, ein Senf, der nicht nur würzt, sondern ein Mundhöhlenarmageddon beginnt, aber die vier Reiter der Apokalypse satteln nicht ihre Pferde, weil sie Heringe mit Senf lutschen, Senf aus einem großen, enormen, einem gigantischen Senfglas. Ein Arbeitersenfglas, ein Senfglas, das sich für nichts zu schade ist, sei es scharfer Senf, mittelscharfer Senf, süßer Senf, den man auch gern den bayrischen nennt, Rotisseur, Estragonsenf, englischer Senf, den man auch zum Abbeizen alter Möbel benutzen kann, Kräutersenf, Pfeffersenf, Vollkorn-, Grill- oder Champagnersenf, der braune oder Seraptasenf, weißer Senf mit Sinalbin oder schwarzer Senf mit Sinigrin oder Dijonsenf, dem Brad Pitt unter den Senfen. Wenn diese Senfglas zerbrechen würde überschwemmte es die Welt mit seinem würzigen Inhalt, so riesig, so enorm, so gigantisch ist es. Fasst euch an den Händen und singt und tanzt um dieses Senfglas herum und bei der nächsten Bundestagswahl, da geht ihr in diese muffige Grundschule, ihr geht in den Raum eures Wahlbezirkes, zeigt euren Ausweis und dann geht ihr in die Wahlkabine und dort macht ihr kein Kreuz, sondern ihr schreibt nur ein Wort: SENFGLAS. Denn dieses Senfglas wird all eure Probleme lösen, ob Krankenversicherungen für jedermann, Jobs für alle oder die letzte Staffel von Lost, nichts ist ihm unmöglich. So wie einst, als Moses mit den Geboten 11 – 20 wieder vom Berg herunterkam und sah wie seine Leute um das goldene Senfglas tanzten und es lobpreisten und Moses feuerte die Gebotstafeln auf den Sperrmüll und sprach: „Dann macht euern Kram alleene.“ Schiller hatte seine Glocke, Mozart seine Kugel und Joseph Beuys seine Badewanne, zumindest bis die doofe Putzfrau kam. Saddam hatte seine versteckten Massenvernichtungswaffen, Nero sein Feuer und Hitler nur einen Hoden. Adam und Eva hatten das Paradies, die 68er Love and Peace and Rudelbumsen und England das Monsters of Rock, aber wir sind die wahrhaft Glücklichen, denn unser ist dieses Senfglas, dieses riesige, dieses enorme, dieses gigantische Senfglas. Geht raus auf die Strassen und sagt es allen: Senfglas, Senfglas, Senfglas.“
Und Kathrin sagt: „Micha, komm runter vom Couchtisch und hock dich wieder hin. Das ist ein ganz normales Wasserglas, kein Senfglas. Ein Wasserglas aus dem Supermarkt.“
Und ich sag: „Auch gut.“ Und hock mich wieder hin.


5 Jahre Slam




Das erste Mal beim Slam im Bunker Ulmenwall, die Texte
frisch ausgedruckt, das Herz ganz klamm vor Aufregung, aber selbst sicher, das die ganze Bielewelt sowieso nur auf mich gewartet hat, was auch immer das heißt, dieses „Poetry Slam“. Ich weiß nur, was es für mich heißt: eine Bühne für meine Worte. In den Bunker gestürmt, „Hier bin ich, kniet nieder und lauschet mir“ und die Dame am Einlass strahlt mich an und sagt: „Die Liste ist voll.“ Ich komm hier nicht rein, zumindest nicht im Wettbewerb. Davon gestampft, Wut im Bauch und auch in allen anderen Körperregionen, Sabine muss als Blitzableiter herhalten, Nie wieder!, schwöre ich, gehe ich dahin. Beim zweiten Slam dann rechtzeitig da und gemerkt, das Poetry Slam was ganz feines ist. Dann das erste Mal in die Ferne gereist, raus aus Bielefeld und all dem bekannten, neue Ufer erobern, eine andere Mentalität, ein anderes Publikum, ein anderer Menschenschlag, ich bin in Rheda-Wiedenbrück. Irish Pub, die Hütte ist brechend voll, das Mikro steht mitten im Publikum, doch das Publikum ist gar kein Publikum, eher ein Pub-likum, Gäste und nicht Zuschauer, die einfach nur saufen und labern wollen und Poeten kämpfen mit den Tränen, während sie lesen und niemand zuhört und ich bin dran und mache das, was ich am besten kann und schreie „Ficken!“ und die Leute hören zu und ich gewinne meinen ersten Slam der mein zweiter war und dann ging’s los.
Es ist viel geschehen in dieser Zeit und trotzdem scheinen nur ein paar Wochen durchs Land gezogen zu sein, während ich durchs Land zog, im Zug saß, Tausende und Tausende Kilometer abgerissen, in unklimatisierten und überklimatisierten Waggons, im RE, IC, NWB, RB, RBB, ICE und Schienenersatzverkehr und ÖPNV und was weiß ich. Immer wieder zu spät, Danke Deutsche Bahn, aber immer noch rechtzeitig, in Düsseldorf ankommen, raus aus der Jacke, rauf auf die Bühne und rausgeflogen. In der Faust als letzter dran, so kurz nach Mitternacht, stockbesoffen, fast auf der Bühne eingeschlafen und trotzdem gewonnen. Ich habe Wortgewalten und Dichterkriege überstanden, meist unverletzt, nur gegen Hannover musste eine Hand dran glauben, die rechte war’s, aber es hat sich gelohnt. Ansonsten nur mal hier und da die Knie poliert, den Kopf gestoßen und sich selbst aufs Maul gehauen, Entertainment muss sein. Stühle und Mikros und Ständer und Pulte sind durch die Luft geflogen, ich hab auf Bühnen und im Boxring gestanden, im Publikum gelesen und auf Tischen und Stühlen rumgesprungen und auf dem Teppich gelegen. Ich hab im Fernsehen und im Radio gelesen, hab auf Bierkisten und in Gartenhäusern und Studentenküchen alles gegeben, habe drei Zuschauer und in München eintausend Leute gerockt und ich kann nicht sagen, was mir mehr Freude gemacht hat.
Ich bin den Rhein flussauf flußab entlang gefahren, und an der Mosel, Saar und am Main, am Bodensee wollte mir fast das Herz zerspringen und in Kiel wehte mir der Seewind um die Nase. Im Osten raus aus dem Zug und rein in die Nazidemo, Scheiße auch. Ich hab bei Tobi im Auto gepennt, wo ich doch gar nicht im Wagen schlafen kann, hab Andreas die Hütte vollgekotzt und ihm schamesrot eine Dose Teppichschaum zukommen lassen, hab in Berghüten, Villen und Bruchbuden, alten Schlafwagen und in hundert verschiedenen Betten gepennt, hab mir tausend Mal geschworen, Nie wieder, das hält ja keiner aus, nach spätestens zwei Tagen aber wieder meine Sachen gepackt und „On the road again“ gesummt. Ich hab gelernt das Slam ungerecht ist und Scheiße sein kann, zumeist aber SMAAT, hab geflucht auf Publikum und Jury, haben doch alle keine Ahnung und immer wieder Nie wieder, diesmal aber wirklich, beim nächsten Mal dann wieder mit frischem Text und neuem Mut dabei, denn jeder Slam ist auch immer wieder eine Überraschung, ich staune noch beim tausendsten gehörten Text mit offenem Mund und heißgeklatschten Händen, denke so oft: Das will ich auch können, kann ich aber nicht, habe Slammer in den verschiedensten Zungen performen hören und war begeistert obwohl ich kein Wort verstand, egal Schwedisch, Türkisch, Französisch, Polnisch oder Ostdeutsch. Ich hab mit Markus, Mischa und Eric die Tore zum Wortpalast geöffnet und mit Andreas bin ich schon Zwei, in Trier war’s die Kathrin und in Berlin die bebrillte Blondine, Frieda kam nicht bis Köln und Judith kann ihren Namen nicht mehr tanzen, auf Tour verliebt man sich ständig, noch häufiger ist man verkatert, Hauke küsste die Plastikfrau, Daniel Terek weiß wo’s lang geht und Sushi führte mich in die Kreise der IRA ein. Wortströme und Weiße Bücher, SlamAid und Punchliner, Vokalpatrioten und Stadtgeschehen bei Mischwetter.
50 Städte.
30 Siege.
3 Nationals.
Eine Passion.
Poetry Slam.
Ich hab euch zum Weinen und zum Lachen gebracht,
ihr habt mich Weinen und Lachen gemacht,
ich habe alles gegeben und vieles genommen,
euch meine Worte gelesen und Applaus bekommen,
was in den nächsten fünf Jahren so geht, wir werden es sehen,
einstweilen sage ich euch für alles und aus tiefstem Herzen: Danke schön!


So eine Art Audiokommentar




Der Kaffee ist alle:


mein persönlicher Alltime-favourite und der Text von mir, der die Hütten am meisten rockt. Am meisten Laune dabei macht 1.) dass, ich so richtig schön vom Leder ziehen kann und 2.) ist es der einzige Text, zu dem ich headbange. Allerdings hat solcherlei Performance auch Nachteile: in Zürich ist beim ersten Satz (den ich sehr abrupt ins Mikro plärre) direkt neben der Bühne ein Mädel vor Schreck und mit im ganzen Saal vernehmbarem Quicken vom Stuhl gefallen. Und an der „Ich bete ihn an“ – Stelle kann ich es mit meist nicht verkneifen mit Schmackes auf die Knie zu fallen. Leider vergesse ich des öfteren mal, vorher drauf zu achten, ob es sich eventuell um eine massive Betonbühne handelt. Aua.

Ein Flirt:


Mnachmal überrascht einen das Publikum. Bei diesem Text hätte ich nicht gedacht, so viele Lacher auf meiner Seite zu haben. Immerhin geht es doch recht blutig zur Sache.
Im Vortrag bringe ich diesen Text sehr schnell und fast ohne Pause, schließlich geht es darum, das fiktive Gegenüber nicht zu Wort kommen zu lassen.

Wie man eine Palette zerstört / …einen Aufkleber entfernt:


Unschwer zu erkennen, das die beiden Texte zusammen gehören. Ursprünglich war mein Plan, ein zweites Bühnen – Ich zu erschaffen: den Russen Wladimir. Einerseits macht es Spaß mit pseudo – russischem Akzent zu sprechen, andererseits ist dabei eine gewisse Lautstärke ein gutes Stilmittel. Wladimir sollte hübsch unnütze Anleitungen geben, mit denen man „leichter“ durch den Alltag kommt. Vorerst ist die Figur daran gescheitert, das mir außer diesen zwei Texten noch nix anderes eingefallen ist. Ganz aufgegeben habe ich den guten Wladimir aber noch nicht…

Ich mag meine Nachbarn:


Einmal, ein einziges Mal wollte ich etwas schreiben, wo nicht gemeckert wird, wo einfach mal Heile Welt herrscht. Hat nicht ganz geklappt. Diesen Text bringe ich als liebenswerter Trottel bis zu der kursiv gedruckten Stelle, an der ich Haltung, Stellung zum Mikrofon und die Stimme ändere. Dadurch, dass nun nicht nur witziges vorkommt entsteht dabei eine sehr schöne Stimmung im Publikum. Die Zuschauer sind sich nicht hundertprozentig sicher, inwieweit der Text noch lustig oder ernst sein soll. Ich find’s klasse, wenn man so einen Balanceakt hinkriegt, weil an solchen Punkten vieles möglich und nichts sicher ist. Bei diesem Beispiel erlöse ich das Publikum, obwohl ich es direkt "bedrohe". Komische Welt.

Senfglasträume:


Einer meiner absoluten Lieblingstexte, bei dem es allerdings einen Wehmutstropfen zu schlürfen gilt: wer ein bisserl über Poetry Slam in Deutschland Bescheid weiß, wird den Brot-Text der Marburgers Lars Ruppel kennen. Dieser Text gilt inzwischen als Paradebeispiel für Aufzählungstexte und wird gerne und hemmungslos kopiert. Und leider wird auch Senfglasträume gerne da mit rein geschmissen (vor allem die kastrierte Version, die ich beim WDR Slam zum Besten gebracht habe), was zumindest in der 2.Hälfte verständlich ist. Blöd nur, das ich diesen Text geschrieben habe, lange bevor ich Lars 2006 in München mit seinem gi-gantischem Bread Pitt gehört und gesehen habe. Dumm gelaufen.
Übrigens sind die Namen und der Anfang des Textes erschütternd authentisch…

5 Jahre Slam:


Der Name ist Programm. Bisher der einzige Text, den ich direkt auf einen Anlass hin geschrieben habe und der eine recht kurze Halbwertszeit hatte. Und zum Schluss dann für mich ungewöhnlich: ein Reim.


Einige der Texte könnt ihr euch anhören auf
LIVE IN UEBERALL



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Im LEKTORA VERLAG erschienen:







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Impressum

Texte: alle Texte (c) Micha-El Goehre Infos: www.michael-goehre.de myspace.com/michaelgoehre
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Infos: www.michael-goehre.de myspace.com/michaelgoehre

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