„Ich gehe jetzt!“
„Sagtest du!“ Tim saß auf der Kante des Doppelbettes und schaute aus dem Fenster auf den Plaza de Catalunya. Die Springbrunnen spien das Wasser und das Licht der Sonne brach sich in allen Spektralfarben, eigentlich ein wunderschöner Anblick im September.
Maggie hielt wieder ihren Koffer in der Hand und stand zum dritten Mal vor der Türe des Hotelzimmers. Sie wollte das Zimmer verlassen – Wollte ihn verlassen. „Das ist alles was du sagst?“
„Du gehst. Was soll ich sagen?“
„Das ich bleiben soll!“
„Wenn du bleiben willst...“
„Willst du, dass ich bleibe?“
„Welchen Sinn hat das? Du wirst irgendwann gehen - Heute, oder Morgen! - wo ist da der Unterschied?“
„Das ist der Grund, warum ich gehe. Du gibst uns keine Chance. Du gibst dir keine Chance!“
Der Mann griff nach der Flasche San Miguel auf dem Nachttisch und trank einen Schluck, das Mädchen ließ den Koffer wieder auf den Boden sinken. Die Flasche schwitzte in der Tageshitze, obwohl schon über die Hälfte fehlte und die Klimaanlage summte.
„Wie ein Schneeball in der Hölle!“ schnaufte er und trank einen weiteren Schluck Bier.
„So denkst du?“ Blind tastete sie wieder nach dem Griff des Koffers. „Ich bin jung, aber dennoch...“
„Zu jung!“
Wütend trat sie gegen ihr Gepäck. „Warum hast du mich dann gefickt?“
„Sollte ich nicht? Du bist 17, ich 40. Wie oft glaubst du kommt es vor, dass Mädchen wie du, Männer wie mich in ihr Bett lassen? Nicht so häufig. Ich dachte...“
„Nein mein Lieber so einfach kommst du nicht durch. Ich hätte schon letztes Jahr mit dir geschlafen. Auf Kuba. Aber du hattest Angst, dass mein Vater es raus findet. In Wien hast du mich auch wieder gehen lassen. Du hattest genug Chancen. Aber unsere Chats und die Briefe, die waren mehr als nur ein Schulmädchen 'rum kriegen. Die sagen mit jeder Zeile, dass du mich brauchst. Und jetzt willst du das Ganze auf Sex schieben?“
„Hast du nicht gesehen, wie uns die Leute angeschaut haben? Der Typ an der Rezeption?“
„Ich scheiß auf den Hurensohn! Warum lässt du dir von solchen Versagern dein Leben nehmen?“ Tränen stiegen ihr in die Augen.
Tim trank die Flasche leer und stellte sie übermäßig leise auf den Nachttisch. „Tut mir Leid, wir haben nichts gemeinsam. Es war ein Fehler von mir...“
„Ich bin ein Fehler? Du verdammtes holländisches Arschloch! Glaubst du ich reise dir durch ganz Europa nach, damit du mich ficken kannst? Ich liebe dich!“
„Schön!“
Sie griff nach ihrem Koffer und stürmte aus dem Zimmer. Auf dem Flur stand das Zimmermädchen, nur ein, zwei Jahre älter, und glotzte verstört auf den Mann in Unterhosen auf dem Bett. Maggie marschierte an ihr vorbei, der Koffer riss drei Handtücher von ihrem Wagen und verteilte sie auf den schmalen Flur. Tim stand auf, hielt sich die linke Hand vor der Beule, die sein Schwanz war und schloss die Türe.
„Hola Senor!“ machte das Zimmermädchen.
„Hola“ flüsterte der Mann gegen das Holz der Tür.
Mit zitternden Händen ging er zurück zum Bett. Setzte sich und schaute wieder zu den Brunnen auf dem Hotel. Die Ballons die von den älteren Frauen feil geboten wurden, wehten in der Brise, die vom Meer herkam. Cars, Spiderman, Hello Kitty, die Stars der Kinder, immer an den Schnüren, Spielbälle des Windes, Gefangene wie die Tiere in den Käfigen auf dem Markt. Darauf wartend, dass sie jemand mitnahm. So wie er!
Maggie wollte ihn mitnehmen.
Maggie kam zwanzig Jahre zu spät. Vor zehn Jahren, hätte er sie nicht gehen lassen, hätte sie gepackt und wäre mit ihr durch die Lande gezogen. Doch nun? Nach all den Narben, die sein Herz trug? Narben die den Acker seines Herzens vom Wasser trennten, schaffte er es nicht mehr etwas zu zulassen. Das Mädchen aus London war genau die Frau, auf die er gewartet hatte, alles passte, bis auf das Alter natürlich. Und trotzdem hatte er vergangene Nacht Sex mit ihr!
Nach zwei Nächten ließ sie sich nicht mehr fern halten und nach drei Flaschen Vino Tinto, unten im Restaurant, war es ihm auch egal. Sie lachten. Das taten sie die vergangenen Tage bloß, weil sie sich wirklich gut verstanden und über die gleiche Art Humor verfügten. Und für eine Engländerin verstand sie es gut zu essen und zu trinken. Sie war die Tochter eines Londoner Krawattenherstellers und schien sich in den gehobeneren Klassen zurecht zu finden, war aber noch nicht so abgehoben, um nicht über den eigenen Tellerrand schauen zu können.
Vor zwei Jahren hatte er sie in einem international Chatroom kennen gelernt. Beide anonym, beide Geschlechts - und Alterslos. Dann, wie es der Zufall es wollte, oder es auch nur in dem Gehirn eines kranken Schriftstellers passierte, schrieb er ihr aus der Karibik und sie stellten fest, dass sie nur zwei Clubs von einander trennten. Sie waren überrascht, als sie sich am Strand trafen. Maggie war ein Teenager und er hatte seine Jugend schon verlebt. Trotzdem saßen sie fast den ganzen Tag im Sand und unterhielten sich. Meist hat man ja den Chatpartnern im Netz in der realen Welt nicht viel zusagen, aber die Beiden waren wirklich auf gleicher Wellenlänge.
Tim fand es nett, sie trafen sich noch zweimal, was Maggies Vater gar nicht gefiel, dann musste er zurück nach Amsterdam zu seinem Job und zu seiner Freundin, mit der er schon gefühlt in Trennung lebte. Tina verließ ihn dann auch. Als in seiner Mailbox wieder eine neue Nachricht von Maggie war, antwortete er so, als wisse er nicht, dass sie 15 sei. Dann schrieben sie sich Briefe. Sorgen, Wünsche, nichts Aufdringliches. Er musste beruflich nach Wien, sie folgte ihm, lud sich quasi selber zum Kaffee ein.
Die Briefe und Mails wurden intimer und irgendwann gestand sie ihm, dass sie ihn liebe. Als er ihr berichtete, dass er nach Barcelona musste, schrieb sie ihm, dass sie mitkomme. Und dann die vergangene Nacht.
Schon im Lift küsste sie ihn und rieb an seinem Schwanz. Tim hatte fast ein Jahr keine Beziehung mehr und nach dem Wein war er nur zu dankbar, für die Zärtlichkeiten des Mädchens. Im Bett liebte er sie, vergrub seine Hände in die ihren und es war so, als wenn sie beim Verkehr strahlen würden. Nie fühlte er sich so angekommen, angedockt.
Doch er wusste, ihre Beziehung hatte keine Zukunft. Die Gesellschaft akzeptierte sie nicht, was schade war. Wäre sie nur fünf Jahre älter, würden die Leute nur verdrießlich grinsen, aber die Blicke, die man ihnen vergangene Nacht nach warf, waren empörend, anstößig und manche hätten ihn wohl am liebsten geschlagen. Es war nicht Rechtens. Das war es. Es war …
Tim ging zu der Minibar und holte eine neue Flasche San Miguel. Morgens um zehn schon das zweite Bier, war auch für ihn ein Rekord. Heute drauf geschissen! Verträumt schaute er auf den Plaza de Catalunya zu den Ballons und überlegte, ob er ihr folgen sollte, da erblickte er an einem Stand die junge Engländerin. Sie bekam geraden einen Hello-Kitty-Ballon um ihr Handgelenk gebunden und verschwand Richtung Metro.
Wie sehr er sie begehrte. Wie sehr er sie brauchte, er wusste sie war das hundertprozentige Mädchen für ihn. Er würde die Tränen zurück halten.
Texte: Text Copyright by Michael Masomi 2009
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für das hundertprozentige Mädchen