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Lange, bevor die Menschen Ländergrenzen zogen, lebte am Fuße des Hindukusch, im Reiche des großen Alexanders, ein Mann namens Mandres mit seiner Frau, Sorana. Sie waren im ganzen Dorf für die große Liebe zu einander bekannt. Doch ein Schatten hing über ihnen, wie dichte Regenwolken. Sie hatten keine Kinder, obwohl sie schon zehn Jahre verheiratet waren.
Die Männer im Dorf tuschelten unter vorgehaltener Hand, dass die Frau des Tischlers genauso unfruchtbar sei, wie das Land, auf dem seine Hütte stand. Die alte Hebamme des Dorfes wusch dann jedem der Männer den Kopf und sagte, dass die Frau ganz gesund sei.
„Der Samen des Mannes ist verfault!“, schimpfte sie die Männer im Teehaus an.
Die Männer, vor allem der Dorfälteste, vertrieben das keifende Weib und warfen ihr Steine hinterher. Mandres und Sorana kümmerte sich nicht um die Reden der Anderen, sie waren glücklich mit einander.
Mandres, baute kleine Tische, besserte Dachbalken aus, oder schnitzte Schüsseln für Reis, die seine Frau auf dem Markt feil hielt. Sorana war eine wunderschöne, kleine Frau. Sie hatte trotz des harten Lebens immer noch etwas von einem Mädchen in ihrem Antlitz versteckt und Mandres Herz hielt sie trotz der Kinderlosigkeit fest. Wenn er sie im Frühjahr zwischen dem steinigen Boden nach Beeren suchen sah, wollte er sie festhalten und er dankte den Göttern für die Liebe zu ihr.
Doch Soranas Herz war schwer, sie wollte ihrem Mann doch einen Sohn schenken, er wünschte sich doch so sehr einen Stammhalter. Sollten sie im Alter alleine verhungern, weil es niemanden gab, der sich um sie kümmerte? Sorana wollte dieses Schicksal weder für ihren Mann, noch für sich. So ging sie jeden Morgen schon früh in den steinigen Garten, warf sich auf die Erde und flehte die Götter nach einem Kind an. Doch die Götter erhörten sie nicht.
Das große Reich des Alexanders zerfiel, so zogen sie in die höheren Gefilde des Hindukuschs, um dort vor Plünderern und Mördern geschützt zu sein. Mandres übernahm nun die Aufgabe des Marktes und Sorana stellte zu den Schüsseln auch noch Reisigbesen her, die ihr Mann gegen Reis und Eier und vielleicht mal ein Huhn eintauschte.
Einmal wäre er fast von einem Räuber ermordet worden, nur der gute Hund, der auf die zwei Ziegen und den kleinen, noch steinigeren Garten wachte, rettete ihm das Leben und schlug den Räuber in die Flucht. Nachts hielten sie sich an dem Feuer warm und weinten über ihr Elend. Mandres, immer noch ein stattlicher Mann von außergewöhnlicher Größe, wurde aber langsam alt. Die Kälte zerstörte seine Knochen. Wenn er doch nur einen Sohn hätte, dann musste er sich um Sorana keine Sorgen mehr machen. Er würde über sie wachen und sie beschützen, wenn Mandres auf dem Markt war.
Aber das Schicksal schenkte ihnen keinen Sohn!
Eines Tages im Winter, Sorana holte Schnee aus einer Eiswand für die Reissuppe, da saß ein kleiner Junge, vielleicht zehn Jahre, im zugeschneiten Garten und hielt einen weißen Hasen in seinem Schoß und streichelte ihn liebevoll.
Sorana, der das Alter schon auf die Augen schlug, rieb diese und starrte erneut hin. „Wer bist du?“
Der Junge, so weiß wie Jogurt und mit eisblauen Augen lächelte strahlend. „Ich bin Sausag!“
„ Ach bestimmt wegen deiner Augen.Was machst du hier?“
„Ich spiele. Das ist mein Freund! Sorab!“, deutete Sausag auf den Hasen. Sorana streichelte dem Hasen, das flauschige Fell.
„Wo ist deine Familie?“, fragte die Frau.
„Ich habe keine Familie, ich habe nur Sorab.“
Nun sah die Frau, dass der Junge nur ein Leinenhemd trug.
„Ist dir nicht kalt Sausag? Du musst doch frieren?“, fragte sie besorgt.
„Ich friere nie!“ Sausag lachte. „Ich bin doch ein Schneekind!“
„Ein Schneekind?“, fragte Sorana erstaunt. „Was soll das sein?“
„Na ich!“, lächelte der Junge, der auf schneebedeckten Boden mit blanken Füßen stand.
Sorana griff nach dem Jungen, er war viel kälter als der weiße Hase.
„Bei den Göttern, du bist eiskalt! Komm herein, sonst holst du dir den Tod!“ Sie zog ihn ihre Hütte und platzierte ihn vor dem Feuer.

Nach wenigen Minuten wurden seine Augen blass, Wasser fiel von seiner Stirn und er war einer Ohnmacht nahe. „Bitte weg...hier!“
Sorab sprang ihm vom Schoss und blickte den Jungen mit seinen roten Augen ängstlich an. Sorana faste nach ihm und spürte, dass er unnatürlich weich war.
„Raus!“ Er kroch auf die Türe zu.
Die Frau packte ihn beim Kragen und schleifte ihn in die Kälte. Sofort schienen sich seine Augen zu erholen und auch sein Fleisch wurde fester.
„Puh! Mutter! Du darfst doch ein Schneekind nicht ans Feuer lassen!“
„Wie hast du mich genannt?“, fragte die Frau.
„Mutter! Du hast dir doch ein Kind gewünscht. Darum bin ich hier!“
„Bist du ein Djin?“, Sorana ließ sich fallen. ??? Fallen? Ich weiss es nicht.
„Nein Mutter, hab keine Angst, ich bin dein Sohn, du hast dich mir gewünscht!“
Sie umarmte den weißen Jungen. Sie drückte ihn so fest und Tränen liefen ihr aus den Augen und wurden am Boden zu Kristallsternen.
„Mutter, du bist wärmer als das Feuer!“, lachte Sausang und küsste Sorana auf die Wange.
„Hast du Hunger?“
„Nein, ich esse Schnee, siehst du? Aber Sorab könnte was gebrauchen.“
Sie lächelte und ging wieder in die Hütte und gab dem Hasen etwas altes Brot. Sausag blieb draußen, es war wohl besser so. Sorana band sich ihren dicken Schal um und setzte sich zu ihm in den Schnee. Die beiden redeten den ganzen Mittag. Sausag erzählte ihr, dass die Götter ihr den Wunsch ihres Herzens erfüllten, sie und ihr Mann mussten nun auf Sausag achten, was nicht so schwierig war, weil außer Schnee brauchte er nicht viel. Doch sie mussten mit Wärme und Feuer aufpassen. Die Frau war so glücklich, dass sie den Jungen sofort in ihr Herz schloss.
„Oh, da haben wir den ganzen Tag geredet.“ Die Kälte war ihr in die Knochen gestiegen, sie erhob sich ächzend. „Dein Vater wird bald kommen!“
Sie ging in die Hütte, das Tier folgte ihr und der Junge blieb zurück.
Als Mandres durch den Schnee gestapft kam, begrüßte ihn Sausag:
„Hallo Vater, wie geht es dir? War der Markttag erfolgreich?“
„Hm!“, machte der große Mann. „War...? Was? Wer bist du denn?“
„Ich bin es dein Sohn Sausag!“
„Mein Sohn? Sausag? Das wäre mir neu! Troll dich Kleiner deine Eltern suchen dich bestimmt. Hat dir dein Vater nicht beigebracht, dass man alte Leute nicht auf den Arm nimmt?“
„Du bist nicht alt, Vater!“
„Nenn mich nicht so!“ schimpfte der bärbeißige Mann. „Ich habe keinen Sohn!“
Sorana trat heraus und berichtete ihren Mann, was sich zu getan hatte. Er sah sie mit Skepsis an und schüttelte bei jedem Wort den Kopf, da führten die Beiden ihm die Sache mit dem Feuer vor und Mandres begann ihren Worten Glauben zu schenken.
„Was ist, wenn es ein Djin ist? Ich denke wir sollten ihn vertreiben!“
„Aber Vater, wenn ich ein Djin wäre, dann hätte ich euch längst verzaubert. Ihr habt euch beide einen Sohn gewünscht, glaubt ihr, die Götter erfüllen den Menschen so einfach ihre Wünsche?“
Mandres nickte. „Soll er bleiben! Ein Bett braust du wohl nicht!“
„Nein, aber Sorab könntest du eins bauen!“
„Dem Hasen? Wir sollten ihn essen!“
„Tu das lieber nicht Vater, wenn er weg ist, dann verschwinde ich auch.“ die Augen des Jungen funkelten. „Die Götter geben einem nichts umsonst. Und einen Hasen zu versorgen, dürfte doch kein Problem für dich sein.“
Wieder nickte der Mann bloß. Sollte er haben was er wolle, vielleicht würde er ja diesen kleinen Kerl lieb gewinnen. Seine Frau schien ihn zu lieben, aber Frauen verschenkten ihre Herzen schnell. Mandres schnitzte nachts für den Hasen ein Bett, in welches sich das Nagetier, wie ein kleiner Mensch legte. Sausag schlief draußen. Sorana brachte ihm jeden Abend eine Schüssel mit kalter Ziegenmilch.
Mandres ging jeden Morgen in das Dorf und tauschte seine Waren. Einmal brachte er Sausag einen Ball mit. Als die Leute ihm danach fragten, sagte er, der Ball sei für den Hund. Der Mann konnte Sausag nicht als sein Sohn betrachten. Je länger er Sausag sah, umso mehr verschloss sich sein Herz: Es war nicht sein Junge, nur ein lebender Eiszapfen, den ihm die Götter als Trostpreis für Fleisch und Blut schenkten. So wurde er immer garstiger zu ihm. Er stritt sich mit Sorana, die den Jungen wie eine Löwenmutter beschützte und ging immer öfter in das Teehaus, wo es auch gerne mal Anisschnaps gab.
Als das Frühjahr kam, und der Schnee schmolz, wurde Sausag krank: Wie Schnee schmolz er.
„Was kann ich tun?“, fragte seine Mutter verzweifelt.
„Bring mich in die höheren Berge!“, hauchte er im Fieberwahn.
Mandres sagte entschlossen:„Das war es Frau, er verlässt uns. Wir sollten ihn gehen lassen! Es ist nicht unser Sohn! Die Götter narren uns! Sie lachen über die Dummheit der Menschen!“
„Er ist unser Sohn! Er wurde uns von den Göttern geschickt!“
Sie brachte ihn in die höheren Berge, wo der Schnee nie verschwand. Sie baute einen kleinen Unterschlupf für sich, mit einer Feuerstelle. Am Tage saß sie viele Stunden da, ging des Abends zu ihrer Hütte und versorgte ihren Mann und das Vieh. Eines Abends war Mandres nicht mehr daheim, den darauf folgenden Tag, kam er auch nicht heim und blieb verschwunden.
Mandres hatte auf dem Markt eine Witwe kennen gelernt. Ihr Mann war im Winter gestorben und hatte die junge Frau zusammen mit seinem Sohn zurück gelassen. Der Junge war schon fast ein Mann und war von der ersten Frau des Mannes geboren worden. Die Witwe suchte nun einen neuen Mann, der sie und den fremden Jungen ernährte. Mandres dachte sich, dass der Sohn eines Fremden immer noch besser sei, als ein Kind aus Eis und Schnee. Er ließ Sorana eine Nachricht zukommen, sie solle doch mit Sausag glücklich werden, er brauche eine wirkliche Familie.
So vergingen fünf Jahre. Sorana streifte mit Sausag, der nicht älter werden wollte, Sorab und dem Hund über die Schnee verwehten Berge des Hindukusch. Sie war glücklich, und was sie so hörte, war es ihr ehemaliger Mann wohl auch. Nur Sausag vermisste seinen Vater und eines Nachts wachte er schreiend auf. Er hatte noch nie geträumt, doch in dieser Nacht träumte ihm, dass der Stiefsohn seines Vaters, den Vater umbringen wolle. Die Götter zeigten ihm die Heimtücke der jungen Frau die sich während Mandres arbeiten ging, mit dem Sohn ihres verstorbenen Mannes vergnügte. Die Witwe brauchte Mandres nicht mehr, da der Junge nun alt genug war und der alte Tölpel, nur noch störte.
Sausag verließ sein Lager und rutschte wie eine Lawine in das Tal hinab. Mittlerweile war es Frühling geworden und das Wasser lief den Jungen in die Augen. Er lief durch das Dorf und suchte das Haus seines Vaters. „Ich werde zu spät kommen! Sie bringen ihn schon um!“, dachte er.
Als er das Haus erreichte, hatte die Frau ihre Arme um Mandres Hals geschlungen und der junge Mann hatte schon das große Messer gezogen und wollte auf den Alten ein stechen.
„Nein!“ schrie Sausag und ein Schwall eiskalter Luft glitt durch das Haus.
Die Frau und ihr Stiefsohn erstarrten vor Kälte. Sie konnten ihre Hände und Beine nicht bewegen, sie standen nur da, wie zwei Eisfiguren. Sausag befreite seinen Vater aus dem eisigen Griff der hinterhältigen Hyäne und brach schwitzend vor seinen Füßen zusammen. Mandres beugte sich über den jetzt milchig verfärbten Jungen und rief: „Mein Sohn! Du hast mir das Leben gerettet.“
Der kleine Junge, der jetzt leicht und klebrig war, lächelte glücklich und hauchte: „Vater!“
Mandres lief mit Sausag auf dem Arm aus dem Dorf. Nahm die Straße zu seinem Haus. Sausags Beine fielen herunter und lösten sich in einer kleine Pfütze auf. „Stirb mir nicht mein Sohn!“, rief der Vater. Doch der Junge sprach kein Wort mehr. Nach Stunden, erreichte Mandres mit einem Klumpen, der langsam wieder härter wurde den Unterschlupf von Sorana. Die Frau erblickte den Eisklumpen und weinte aufschreiend: „Mein Junge...“
„Er hat mich gerettet!“, weinte Mandres bitterlich. „Ich habe euch verlassen!“
Aus letzten Kräften nahm Sausag ihre Hände in die seinen und sein Lächeln ließ sein Gesicht wie den Mond leuchten. „Ihr seid gute Eltern! Vergesst das nicht. Findet eure Liebe wieder. Die Götter sind euch wohl gesonnen!“
Er löste sich erst in Eiskristalle, dann in leuchtend blaues Wasser auf.
„Die Liebe hat ihn verbrannt!“, sagte Sorana und küsste den Schnee.
„Ich schäme mich so!“ Mandres nahm sie in die Arme. „Kannst du mir verzeihen?“
„Du warst immer mein Mann. Ich hatte einige Jahre einen liebenswerten Sohn, schade dass du ihn nicht auch so erleben konntest wie ich, aber er hat dich geliebt. Wie kann ich dich hassen?“
Sie gingen in den Unterschlupf, in dem ein kleines Feuer brannte und legten sich auf das schmale Lager. Neben ihnen stand das kleine Bettchen des Hasen. Sie nahmen den weißen Hasen und schliefen mit ihm in den Armen ein.
Als sie am nächsten Morgen erwachten, war aus dem Hasen ein Junge geworden. Er hatte eisblaue Augen und er sah auch genauso aus wie Sausag. Doch die Haut des Jungen war warm und sein Atem roch nach Frühlingskräutern. Die Götter gaben ihnen eine zweite Chance.


Copyright by Michael und Hariwa Masomi 2008

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Tag der Veröffentlichung: 10.07.2009

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