Cover

Vorwort.

Die Zukunft liegt im Dunkeln der Gezeiten. Seit dem Anfang der Menschheit haben wir Visionen von ihr. H.G. Wells hatte seine Träume, über eine Zeitmaschine, die Invasion Außerirdischer auf unseren Planeten, Jules Verne ersann ein U-Boot und träumte von Menschen auf dem Mond, Philip K. Dick hatte Angst vor einem atomaren Krieg und der Sowjetunion (Hätte er zu Lebzeiten gedacht, dass die sich in Luft auflöst?), erdachte Geschichten von flüchtigen Droiden, die von einer rassistischen Polizei über eine fast tote Erde gejagt wurden und träumte von der Besiedlung des Mars.
U-Boote, Mondreisen, selbst die Eroberung des Mars sind heute keine Fiktion mehr. Sie gehören ganz selbstverständlich zu unserem Leben. Die Kybernetik macht täglich Fortschritte. Aus Visionen wird Wahrheit. Hoffen wir, dass nicht alle wahr werden.
Dieser Geschichtenband, mit sechs futuristischen Kurzgeschichten behandelt die dunkle Seite der Zukunft. In DAS RENNEN muss ein junger Mann um sein Leben laufen. Der Sieger des Matches wird aus den Internierungslager einer Armeeregierung entlassen und darf frei leben. Doch seit Jahren gibt es keine Sieger mehr. In DOWNLOAD muss Kommissar Schmitz feststellen, das die Technik nicht das menschliche Gefühl überwinden kann, schon gar nicht auf der Suche nach einen gefährlichen Frauenmörder. Auch nicht wenn der Staat die totale Überwachung ausübt. J.A.G. Mazumi erfährt in LEB' UND LASS STERBEN, dass in einer Gesellschaft, die von Konzernen dominiert wird, alles zu haben ist, selbst seine Organe. In RÜCKWIRKEND stellt sich die Frage nach dem Recht auf das Leben seiner Kinder, die vor einem Gericht verhandelt wird, ob das Alter bei rückwirkender Abtreibung unbegrenzt hoch gesetzt werden darf. In dem überfüllten England in JÄGERROULETTE wird jedes Jahr durch Losung eine andere ethnische Volksgruppe gejagt. Für O' Brian ist klar , dieses Mal sind die Iren dran.
Einzig die Story MEIN KRIEG entführt sie auf einen fremden Planeten, wo sich eine religiöse Volksgruppe mit einer technisch hoch entwickelten Volksgruppe einen Krieg liefert, der kein Ende findet.

Das Rennen S. 7-16
Download S. 16-32
Leb' und lass sterben S. 32-46
Rückwirkend S. 47-57
Mein Krieg S. 57-63
Jägerroulette S. 63-70

Das Rennen
31.03.07


Fünf Stunden. Fünf verdammte Stunden! Solange hatte niemand vor ihm durchgehalten. Fünf. Sascha könnte es vielleicht sogar schaffen. Nach fast fünf Jahren würde ein Läufer das Match mal wieder gewinnen. Er hatte vier Jäger erledigt und ihre Waffen kassiert. Blieben noch fünf. Die magische Zahl fünf. Vielleicht hatte er Glück. Primzahlen lagen ihm, schon damals in der alten Zeit in der Schule. In der fünften Klasse, für ihn die letzte Schulklasse vor der Klimakatastrophe und der Machtergreifung der Militärs. Deutschland hatte wieder einen Führer. Die ganze Welt hatte Führer, aber in diesem Land, so hatte er von seinem Vater gelernt, sollte es nie wieder Führer geben.
Sein Vater war tot, genau wie seine Mutter. Er kam ins Umerziehungslager, danach ins Internierungslager, die nur bessere KZ’ s waren. Der Führer Mitteleuropas hatte das Match eingeführt, um die Internierungslager zu leeren. Damit sie wieder neue internieren konnten. Sascha war noch in der Freiheit aufgewachsen, jetzt war Freiheit ein Wort, das aus dem Duden gestrichen wurde. Das Ziel. Am Ziel würde er Absolution erhalten und er könnte am Leben hier, oder an einem Leben auf den Weiten des Meeres teilnehmen, wo die Ausgestoßenen waren. Der Oberst des Rheinlandes würde ihm die Papiere aushändigen und er würde frei sein. Frei! Unschuldig. Ein neuer Mensch.
Die Salve aus einem MG brachte ihn zurück in die Realität. Sie wurde über seinen Kopf hinweg geführt. Sie war eine Warnung. Die nächste würde den Container, hinter dem er sich verkroch, zersiebten. Die Soldaten griffen immer nur ein, wenn ein Läufer länger als fünfzehn Minuten verschnaufte. Er hob die Uzi über seinen Kopf und feuerte, dann sprang er auf und spurtete los. Seine Füße platschen in dem knöchelhohem Wasser.
Das Rheinland war überflutet, die Städte am Rhein standen mehr als einen Meter unter Wasser. Köln und Düsseldorf waren das neue Venedig, genau wie die anderen Rheinanlieger. Seine Stadt lag etwas höher, außer dem Vorort Ürdingen waren in seiner Stadt die Straßen nur leicht überflutet, nur bei Hochwasser musste man mit Boten fahren. Er hatte als Kind am Hülserberg gewohnt. Als er vom Internierungslager nach Hellskitchen gebracht wurde, sah er, dass sein Elternhaus trocken und trotzend da stand. So trotzend wie sein Vater.
Hellskitchen, der Bezirk im Süden war in seiner Stadt für das Match ausgesucht worden. Von da ging es nach Fischeln und dann hinter der Stadt würde er frei sein. Er verließ Hellskitchen gerade und sah die alte Brauerei die die imaginäre Grenze zwischen Hellskitchen und Fischeln darstellte. Dort war der tiefste Punkt seiner Stadt und das Wasser stand brusthoch.
Er drehte sich um. Da waren sie. Die Jäger. Sie wurden von der umher stehenden Menge bejubelt. Die vier Bürger, die Sascha mit der Uzi nieder gemäht hatte, wurden gerade weggeschafft. Jedes Jahr starben hunderte Schaulustige. Das war das Risiko.
Der Jubel den Jägern gegenüber war lauter, als die Buhrufe gegen ihn. Sie waren ohrenbetäubend, als sie noch zwanzig waren, aber gegen eine Person hatte das Volk nicht soviel Luft. Für jeden Läufer kamen neun Jäger. Und nur diese Jäger durften ihr Opfer zur Strecke bringen. War ein Läufer ausgeschieden, machten seine Verfolger Feierabend. Zwanzig Läufer, hundertachtzig Jäger. Die meisten waren in Hellskitchen drauf gegangen. Sie versteckten sich in den Seitenstraßen der Gladbacher, in denen es viele Schlupflöcher gibt, aber sie wurden alle gefunden.
Sascha und drei andere schafften es auf den alten Friedhof. Sie versteckten sich hinter den alten Grabsteinen, von denen viele größer als ein Mann waren und warteten. Frank wurde von den Soldaten zur Strecke gebracht, als er zulange wartete. Die Kugel rissen faustgroße Löscher in seinen Oberkörper, seine zerrissenen Gedärme klatschten gegen die alten Steine und besudelten Sascha mit Blut.
Micha war der erste, der sich zur Wehr setzte. Er kauerte hinter einer Engelsfigur, die Soldaten sahen ihn, aber die Jäger waren genauso von der Dunkelheit betroffen, wie die Läufer. Chancengleichheit nannte das die Führung. Er sprang einen Verfolger an, schmetterte ihn mit dem Kopf gegen den Stein und raubte seine Waffen. Sieben seiner Jäger machte er den Gar aus, verteilte ihre Waffen an seine beiden Mitläufer, als die beiden Letzten ihn ins Kreuzfeuer nahmen. Micha starb mit erhoben Armen und schrie mit einen Röcheln: „Fickt euch! Bastarde!“
Dann brach er blutend zusammen.
Sascha und Georg schossen ins Dunkle und beide trafen einen ihrer Hascher. Sie liefen, duckten sich und schossen. Versteckten sich. Einmal dachten sie ihre Jäger wären hinter ihnen, doch es waren Soldaten, die sie im Auge hielten. Sie schossen die Männer nieder, die sofort von anderen mit erleuchteten Helmen ersetzt worden. Einer zischte ihnen zu: „Totes Fleisch!“
Sie kletterten über den alten Eisenzaun und waren bei der Eisenbahnstrecke.
„Wo lang?“ fragte Sascha.
„Da, nach Süden!“
Die beiden joggten locker nebeneinander her. Jeder ein Sturmgewehr, drei Pistolen, zwei Messer und eine Uzi.
„Das gab es lange nicht!“ Sascha lachte und versuchte seine Geschwindigkeit zuhalten.
„Ja! Die meisten wurden in den letzten Jahren direkt vor der Haustüre meiner Eltern erschossen. Wenn du den Start überlebst, hast du eine Chance.“ Georg rieb sich über seinen kahlen Kopf.
Wasser und Matsch wollten sie aufhalten. Die Bäume gaben ihnen Schutz. Die Soldaten liefen mit ihren Lichtern neben ihnen. Ihnen schien es nichts auszumachen, die Stiefel voll Wasser zu haben. Sascha hasste das Gefühl in seinen Nikes. Vor dem großen Gau war es warm und trocken, dann kam das Wasser. Die Schulen wurden geschlossen und die Regierungen gestürzt. Die Armeen hatten in den vergangen Jahren immer öfter zusammen gearbeitet. UN- Einsätze nannten sie das, doch die Armeen verbrüderten sich und nach Irak-, Iran- und Afghanistankrieg erhoben sie sich immer häufiger. Sie übernahmen die Macht und ihre Führer setzten sich zusammen.
Einer für Europa, einer für Asien, einer für die arabischen Länder, einer für China, einer für Indien, einer für Süd-, einer für Nordamerika. Nur der Pazifik war frei von ihnen. Sie schienen sich auch nicht dafür zu interessieren. Australien war nur noch eine kleine Insel, auf der wegen dem Ozonloch alle Überlebenden starben, die Philippinen und ihre Nachbarstaaten waren von Erdbeben und dem Meer verschluckt.
Georg lief voraus.
„Stopp!“ rief Sascha. „Ein Grenzpfahl!“
Grenzpfähle standen überall da, wo die Läufer nicht hin durften. Sie wurden im Abstand von zwölf Metern aufgestellt und ihre Peilsender blinkten zart rosa und piepten. Sie waren mit den Implantaten in ihren Gehirnen verbunden. Überschritt ein Läufer die Pfähle, kochten Mikrowellen sein Hirn weich. Georg war dran vorbei. Trotz der Dunkelheit sah Sascha die Panik in seinen Augen. Dann platzten diese und der junge Mann sackte auf die Knie. Blut lief aus den Augenhöhlen. Sein Gesicht klatschte in das modrige Wasser. Tot!
Sascha hatte überlebt.
Da war die Brauerei. Das Wasser glitzerte im Morgengrauen. Hinter ihm platschte es. Ein Jäger. Der Schuss knallte und die Kugel durchschlug seine Schulter. Er taumelte. Die Menge schrie. Im fallen hob er die Uzi, drückte ab. Die letzten Kugeln im Magazin erledigten drei seiner Verfolger und vier Zuschauer, die ihnen hinterher liefen. Er rappelte sich auf, schmiss die Maschinenpistole weg, zog die Beretta und feuerte wild hinter sich. Ein Soldat brach getroffen zusammen. Sascha hechtete ins Wasser und tauchte. Sofort setzten sich Schlauchboote mit Motoren in Bewegung, auf denen die Soldaten saßen. Er tauchte auf, schwamm mit nur einem Arm paddelnd in Richtung Fischeln. Nach einer halben Stunde war die Tiefe überwunden und er konnte wieder laufen. Auf der Straße standen die Schaulustigen. Sie buhten ihn aus, schmissen Bierdosen nach ihm. Er feuerte in die Menge, einige brachen zusammen. Ein Soldat richtete sein Gewehr auf ihn und schrie: „Weiter! Das ist verboten! Beim nächsten Mal gibt’ s den Kanickelfangschuss, Wichser!“
Der Blutverlust vernebelte Sascha die Sicht. Er wollte es schaffen. Er ließ die Pistole sinken und lief in Richtung Marienplatz. Hier war, als er ein Kind war, immer die kleine Kirmes. Drei Fahrgeschäfte, sieben Buden fürs Essen, ein Schießstand und eine Losbude. Sein Vater ging jedes Mal mit ihm dahin. Sie fuhren Autoskooter, aßen Pommes mit Fisch und schossen für Mama Rosen.
„Genieße dein Leben, Junge!“
Sein Vater wollte sein Leben immer genießen. Er trat für seine Freiheit ein, er und Mutter wurden abgeführt. Sascha hatte sein Leben nie genossen. Es gab nur Wasser und Brot, abends Suppe mit alter Wurst.
„Lernt euer Land zulieben!“ sagte der Oberst des Rheinlandes immer im TV.
„Ich hasse mein Land!“ schrie Sascha nun und taumelte im Brackwasser der Straße.
Wieder ein Schuss. Die Kugel streifte seine rechte Wange, auch die Jäger, die beiden, die noch da waren, gingen auf dem Zahnfleisch.
Freiheit! Wenn du durch hältst, bist du frei!
„Frei sein ist alles mein Sohn!“ hörte er die Stimme seines Vaters, als dieser sich mit seinen Freunden auf den Weg machte, den Anschlag auszuführen. „Freiheit Junge!“
Er gab Mutter einen Kuss auf die Stirn.
Sie holten ihn und sie. Sascha kam ins Lager, er war noch jung, Heidi, seine große Schwester, gerade sechzehn, kam in den Armeepuff. Ob sie noch lebte, wusste er nicht.
Beim Start hatte er Simone gesehen. Sie stand bei den anderen weiblichen Läufern, die starben, als der Startschuss fiel. Simone hatte er im Lager geliebt. Mit ihr fühlte er sich frei. Sie war zu hässlich für den Puff, so sagte der Oberst. Für Sascha war das große, dicke Mädchen eine Göttin, die ihn hin und wieder in die Arme schloss. Er liebte sie, wenn es so etwas wie Liebe gab.
Liebe und Freiheit. Mehr braucht ein Mann nicht!
Auch ein Spruch seines Vaters.
Sascha rannte, seine Beinmuskeln brannten, Blut quoll immer noch aus der Schulter. Der gesunde Arm wurde taub und er ließ die Pistole, seine letzte Waffe fallen. Der Aufschlag hatte zur Folge, dass sich ein Schuss löste und die Kugel in den Unterschenkel Jägers Nummer zwei schlug, der Mann schrie auf und brach brüllend auf den Boden zusammen. Sascha hörte dessen Gewehr hart aufschlagen.
Er selbst trudelte, da war ein Grenzpfahl, er taumelte weg und blickte hinter sich. Der letzte Jäger humpelte hinter ihm her, er war keine zwei Meter von ihm entfernt, hob die Hand mit einer Pistole und drückte ab.
Das war’ s! Ich werde kurz vorm Ziel erschossen.
Klick!
Die Waffe war leer. Leer verdammt. Der Mann stolperte mit verdutztem Gesicht auf Sascha zu. Der griff die ausgestreckte Hand und stieß mit dem Kopf auf die Nase des Angreifers. Blut spritzte ihm aus der Nase, besudelte das Gesicht des Läufers und der Jäger ging auf die Knie. Sascha trat mit letzter Kraft in den Kerl und er fiel zu Boden.
Taumelnd drehte er sich weg und schaute nach vorn. ZIEL! Da vorne, knappe zehn Meter hing die Fahne mit dem Wort Z I E L. Er war da. Frei, er wurde frei sein wie sein Vater. Er würde in den Pazifik reisen. Vielleicht würde er in einer Flossstadt Unterschlupf finden.
Fünf Meter bis zum Ende. Vier, drei zwei.
Der Jäger sprang ihn von hinten an. Sascha sah das Blitzen des Messers in der aufgehenden Sonne. Dann spürte er den Schmerz und er war frei.


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30.11.07


Schmitz blickte Becker abschätzend an. Sie hatten nichts gegen ihn in der Hand, seine Fingerabdrücke waren an vielen Tatorten gefunden worden, doch der Brainscan hatte ihm ein unumstößliches Alibi verschaffen. Immer war Becker in der Nähe der Opfer gewesen, doch kurz vor der Tat verließ er sie. Lebendig.
Die Cybglasses, eine kybernetische Brille, die die Netzhaut des menschlichen Auges als Schnittstelle zwischen Hirn und den Anschluss an einen Computer umfunktionierte, versagte nie. Die Erinnerungen der Menschen sind auf dem Gehirn, wie Daten auf einer Festplatte gespeichert, mit Hilfe der Cybglasses, kann man diese lesen, wie jede X-beliebige Datei.
Daher wusste Schmitz, dass Becker es nicht war, der die sieben Frauen abgeschlachtet hatte. Das System irrte sich nie!
Doch das Gefühl in seinem Bauch, dieses Ziehen, was jeder gute Ermittler spürt, wenn ihm etwas nicht koscher erscheint, schlug Alarm. Becker lächelte mitfühlend, vielleicht sogar scheinheilig. Er faltete die Bügel der Brille zusammen und legte das kleine Hightechwunder auf den Schreibtisch des Polizisten.
„Ich verstehe Sie Herr Kommissar. Es ist mir auch schon fast peinlich, dass ich die Opfer flüchtig kennen gelernt habe, aber was soll ich machen? Für mein Aussehen kann ich nichts!“ Er erhob sich von dem harten Kunststoffstuhl.
Klar, dachte Schmitz, dir laufen die Muschis die Tür ein! Er griff nach der Brille und verstaute sie in ihr Etui. „Und Ihnen fällt auch niemand ein, der Ihnen etwas anhängen will?“
„Ich sagte Ihnen schon, Herr Kommissar, ich habe keine Feinde. Ich habe Frau Winter bei einem Lokalbesuch kennen gelernt. Wir waren uns sympathisch und haben mit einander geschlafen, dann bin ich nach Hause gefahren und habe geduscht. Das haben Sie doch gerade auf dem Bildschirm gesehen. Das Hirn kann man nicht austricksen.“
„Ich weiß, tut mir leid.“
„Muss Ihnen nicht leid tun. Ich helfe gerne. Ist doch meine Bürgerpflicht. Das Problem sind diese Liberalen, die das Wohnungsgesetz gekippt haben, sonst dürften Sie auch die Wohnungen beobachten...“
„Na, na, Herr Becker! Ich bin zwar Polizist, aber auch ich denke ein wenig Privatsphäre brauchen wir schon noch. Die Straßen sind sicher, Die Häuser, die Höfe und dann noch Brainscan. So haben wir wenigstens einen kleinen Rückzugsraum.“
„Ich denke ein Bürger, der nichts illegales tut, hat auch nichts zu verheimlichen.“
„Noch sind wir eine Demokratie.“
„Ja, noch. Aber wer weiß wie lange noch?“ Mit diesen Worten verließ er das Büro des Ermittlers, auf dem Flur drehte er sich noch einmal um und sagte: „Wir sollten mal zusammen essen. Schließlich kennen wir uns jetzt ein Jahr.“
„So lange in einem Fall die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, in dem Sie der einzige Verdächtige sind, ist mir das leider untersagt, Bürger.“
Becker nickte. Dann ging er.
Schmitz blieb stehen, schaute ihm nach. Dieses Pochen in der Magengegend, dass er einen Schuldigen gehen ließ, ein Monstrum, ließ nicht nach. Er ging zu seinem Schreibtisch, strich mit den Fingerkuppen über das Holz, dann über den Bildschirm des PC und bewegte sich zum großen Fenster auf der anderen Seite seines Büros. Draußen sah er Becker über den Parkplatz zu seinem Solarflitzer stolzieren. Schleimiger Wichser!
„Und?“ fragte Kai Wininger, der die Tür zu Schmitz' Büro öffnete. „Wieder nichts?“
„Nada! Der Typ ist raus. Zwei Minuten bevor das Mädchen gestorben ist, hat der Wichser das Haus verlassen. Der Brainscan war sauber, die Bilder waren alle sauber. Sieh es dir selbst an!“
Die beiden Polizisten setzten sich an Schmitz' Schreibtisch und jeder holte eine Brille hervor und setzte sie auf. Die Cybglasses aktivierten sich und tasteten die Netzhaut ab. Schmitz dachte an Becker, dann an das Mädchen und die beiden Polizisten, jeder für sich, saßen in einer Bar und Janette Winter massierte ihren Oberschenkel.
„Du bist nett!“ sagte das Mädchen zu ihnen.
„Nett? Das ist eine Beleidigung. Männer, die nett sind, sind schwul, ich bin nicht schwul!“ Sie hörten die Stimme Beckers in ihren Ohren und ihre Adamsäpfel zuckten, als würden sie sie selbst sprechen.
„Ich weiß das du nicht schwul bist!“
„Du glaubst es Süße!“ Ihre Hand streichelte das zarte Gesicht der jungen Frau.
Totale, dachte Schmitz und sie schossen aus den Körper raus und sahen die ganze Szene von oben. Die Bilder der Überwachungskameras waren kristallklar und der Ton war 1A. Sie suchten die Gäste der Bar ab, doch niemand schien sich für Becker und das Mädchen zu interessieren.
„Niemand. Niemand nimmt Notiz von ihnen!“ sagte Schmitz zu Winninger.
„Justin, einer muss da sein!“ Er ließ sich die Totale geben zoomte Gesichter heran, verglich sie mit der Datenbank maß die Augenlinien, ob nicht doch jemand flüchtig hinsah und dessen Gesichtszüge ihn verraten konnten. Termo, dachte Winninger. Alle hatten normale Temperatur, bis auf das Paar, das sich mitten im Paarungsritual befand und einem Mann, der wütend darüber war, dass Bayern das Spiel gegen Freiburg verloren hatte.
Vorwerts! Sie schauten sich die Szenerie in dreifacher Geschwindigkeit an, verspürten eine Emotion, dass die Kleine sehr heiß sei, schalteten wieder auf die Totale und verfolgten, wie sie das Lokal verließen, auf der Straße gingen, dann waren sie wieder in ihm und schmeckten den guten Wein und die kommende Erektion in der Hose. Als sie in ihrer Wohnung waren, küssten sie sie. Sie schmeckte süß, fast wie Honig. Sie zogen sie aus, knutschten und leckten ihr über den nackten Körper, sahen wie ihr Schwanz im Halbdunkeln in ihrem Kopf verschwand und spürten Verlangen. Sie fickten Janette Winter in drei verschiedenen Stellungen, schauten dabei des öfteren auf ihr Genital, wenn es in die junge Frau eindrang und freuten sich. Spritzten ab und küssten sie auf die Schulter. Zogen sich an und verließen sie. Totale auf der Straße. Justin holte die Kleidung Beckers ran. Der Fokus der Kameras war hochauflösend. Zeit! 23: 45 Uhr. 03.05.56! Kein Blut. Ein wenig aus dem Atem, aber nicht blutverschmiert. 0 : 50 Uhr. 04.05.56. Polizeivideo. Die Leiche der Janette Winter auf bluttriefenden Lacken, ausgeweidet. 12 : 56 Uhr. 04.05.56. Autopsiebericht. Dr. Brinkendan. „So kommen ich zu dem Schluss, nach allen Auswertungen der Labortests, dass Janette Winter, AKZ00012e3466345-56, um 23 : 47 verstarb.“
Die Kameras vor dem Haus und in dem Hausflur des Opfers liefen nur in hundertfachen Tempo von 23: 45 bis zwei Tage später zur selben Zeit.
„Da war niemand!“ sagte Kai.
„Das ist es. Nur Becker. Der hat sie gefickt, doch nicht aufgeschnitten. Keiner ist raus aus dem Zimmer, außer unseren Leuten. Der Typ ist ein Phantom!“
Sie schauten sich noch einmal an, wie Becker duschte, dann überflogen sie noch einmal den Beischlaf und die Menschen in der Bar. Nichts!
„Schick ihm eine Drohne nach.“
Ein Fenster ging auf und irgendwo in der Stadt flog eine computergelenkte Minirakete los, die mit einer hochauflösenden Kamera bestückt war. Die Kameras auf den Straßen, auf denen Becker fuhr, zeichneten alles auf.
„Vielleicht will ihn einer ficken?“

Justin Schmitz schritt durch die Straßen von Mönchen Gladbach, er wusste, dass jeder Schritt , den er machte, von Überwachungskameras beobachtet wurde, das war der Preis für absolute Sicherheit. George Orwells Zukunftsvision war zur Normalität geworden. Man war zwar noch frei, doch man stand ständig unter Beobachtung. Ging man über rot, erreichte einem am nächsten Tag eine Zahlungsaufforderung von 15 ¤, betrog man seine Frau, oder seinen Mann, bekam man eine Mitteilung, dass alle Daten öffentlich waren und von Privatdetektiven einzusehen seien. Bei Verbrechen kamen einen die Robocops direkt abholen und sperrten einen weg. Seit der Einführung von Brainscan gab es keine Verbrechen mehr, das waren jetzt fünf Jahre. Durch Brainscan blieben die Kameras vor dem Privatraum zurück. Auch die Sicherheit der Beamten war gewährleistet, sie mussten nicht mehr auf die Straße um Verbrecher zu verhaften, so wurden sie nicht mehr angeschossen. Roboter, die über WLAN direkte Befehle über Computer von den Gehirnen, der ermittelnden Beamten erhielten, machten die gefährliche Arbeit.
Innerhalb von fünf Jahren sank die Verbrechensrate auf quasi Null. Die, die trotzdem noch raubten wurden nach kurzen Verhandlungen verurteilt und die wenigen Morde, die geschahen, endeten meist im Suizid des Mörders. Unschuldige wurden nicht mehr verhaftet, oder verurteilt.
Auf der Straße ging so gut wie nichts mehr. Dennoch bekam sogar Justin seinen Whiskey nach Hause geliefert, von einem zwielichtigem Pizzaservice. Der Privatraum war heilig. Und nur so konnten Männer starken Schnaps trinken, mit ihren Frauen Pornos drehen und sie auf Toiletten tauschen. Und was sagten die, die die Gesetze machten? Sie sagten, ein wenig Sünde müsse sein. Sollten die Bürger zu hause ruhig einen Joint rauchen, einen Weinbrand trinken und eine Nutte bezahlen. So lange sie das nicht auf der Straße taten, oder Amok liefen, sei es ihnen gegönnt.
Sie waren auf der Datenautobahn, in ihren PCs, auf ihren Handys, hörten Telefonate und Gespräche auf der Straße ab und scanten die Bürger, falls sie doch unter Verdacht gerieten.
Sie hatten die Freiheit zu wählen, ob sie in den Knast wandern wollten, oder nicht. Dafür lebten sie in absoluter Sicherheit. Es gab keine Terroristen mehr und die Mordrate sank.
Doch diese Frauen waren trotzdem ermordet worden. Und es gab keinen Täter. Nur einen Verdächtigen, der nach dem Scan keiner mehr war. Konnte man die Kameras manipulieren? Ihre Uhren? Becker müsste ein wahnsinns Hacker sein. Und die Kameratechnik war durch doppelte Firewalls geschützt, die wieder rum von Fachpersonal beobachtet wurden.
Schmitz gab auf. Es war fast 22 Uhr und sein Dienst war vorbei. Als er aufschaute, stand er vor einer Bar, die sich Kulisse nannte. Hier ging er oft hin, um ein Glas Wein zutrinken und vom Grill etwas zu essen. Er betrat sie und setzte sich in eine Ecke. Bestellte einen Grauburgunder, ein synthetisches Steak und Ökofritten. Die Bestellung war zwei Minuten später an seinem Tisch und lustlos begann er zu speisen. Die Pommes waren fingerdick und schmeckten leicht scharf. Der Wein war gut im Abgang und Justin entspannte sich etwas. Irgendwann würde der Mörder einen Fehler machen. Ein Androide fragte ihn, ob er Zigaretten kaufen wolle, die er dann später zu hause rauchen könne. Justin schüttelte den Kopf.
Nach dem Essen kramte er in seinen Taschen nach dem Pocket-PC und setzte seine Cybglasses auf. Er logte sich in den Polizeicomputer ein und ließ sich die Bilder der Drohne übermitteln. Er spuckte den Wein fast aus, als er erkannte, dass die Drohne vor dem Lokal flog, indem er sich befand. Er nahm die Brille von der Nase und blickte sich um. Da sah er auch schon die perlmutfarbenden Zähne im Lächeln von Hans Becker.
„Herr Kommissar. Verfolgen Sie mich?“ Er reichte Justin die Hand.
Justin ließ ihn stehen und erwiderte: „Wohl ehr Sie mich!“
„Nein, war nur ein Spaß. Sie waren vor mir hier. Ich bin gerade erst gekommen und sah Sie hier sitzen. Haben Sie dienstfrei?“
„Ja. Ich bin jetzt Bürger wie Sie.“ Justin verzog das Gesicht.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Justin wollte erst den Kopf schütteln, doch dann überlegte er es sich anders.
„Wieso nicht? Ist ein freies Land!“
„Selbst verständlich.“ Becker lächelte snopisch.
Er bestellte sich einen guten Merlot, doch nichts zu Essen und für Justin noch einen Burgunder.
„Entschuldigung, Herr Kommissar...“
„Herr Schmitz! Ich bin nicht im Dienst!“
„...Herr Schmitz! - Ich muss Ihnen erst sagen, dass ich ein totaler Filmvernatiger bin. Ich habe eine riesige Sammlung von Bluraydisks. Von allen Jahrzehnten der Filmgeschichte. Ich habe sogar den Nosferatu und den ersten King Kong. Die anderen zwar auch aber...“
„Kommen Sie zum Punkt!“
„Ja, Sie, Herr Kom...Schmitz erinnern mich an Heinz Rühmann! Den jungen Rühmann.
„Na da bin ich aber froh, dass Sie mir das erzählen!“ Abschätzig trank er den Wein und lachte bitter.
„Wussten Sie, dass der noch in Nazi- Deutschland gedreht hat?“
„Mein Großvater berichtete mir dies! Mann...“
„Schon gut! Schon gut. Finden Sie das nicht auch lustig? Früher haben uns die Nachbarn und Freunde denunziert, heute schafft der Staat das ganz alleine.“
„Tut mir leid, Herr Becker. Ich weiß sie sind unschuldig, ich habe es selbst gesehen. Aber Sie können einer Katze das Mäusejagen nicht abgewöhnen.“
„Alte Polizistenkrankheit?“
„Hmhm!“
„Es ist schwer, wenn einem die Technik die Arbeit weg nimmt. Ich kenne das. Ein Computer hat jetzt meinen Job. Na ja, dafür bekam ich eine großzügige Abfindung.“
Sie unterhielten sich noch eine Weile über Technik und die Berechtigung des Menschen auf Freiheit, Wohlstand und Sicherheit und tranken noch eine Flasche Wein, die Becker bestellte, als der den Kommissar fragte: „Wie ist eigentlich Ihr Vorname?“
„Justin!“
„Na da stand Mama wohl auf den Timberlake.“
„Wer damals nicht? Er war schließlich der Einzige, der Elvis überflügelte.“
„Wie alt waren Sie?“
„Als er starb? Ich glaube zehn. Das ist jetzt gut sechsundzwanzig Jahre her.“
Sie lachten. Sprachen eine Weile über ihre Kindheit. Dann war Sperrstunde.
„Kommen Sie noch mit zu mir!“ schlug Becker auf der Straße vor.
„Sie wissen was mit Leuten passiert, die sich nach dem trinken mit Ihnen abgeben?“
„Ich bin nicht schwul!“
„Ich weiß. Muss ich leider mit Neid zugeben.“
Sie lachten gemeinsam. Er war wirklich nett. Justin hatte außer Kai keine Freunde und wenn sie weggingen, unterhielten sie sich nur über den Job.
„Kommen Sie! Ich hab' noch einen guten Scotch zu hause!“

Justin saß auf dem Sofa, das gemütlich und weich war. In seiner Hand hielt er ein Glas mit Scotch in dem die Eiswürfel klimperten. Aus einer Musikanlage spielte Mendelssohn, Becker hatte Stil. Das musste er ihm lassen. Er hatte den neusten Touchscreen – PC von Apple und die Wohnung war geschmackvoll eingerichtet.
Draußen würde die Drohne vor dem Fenster schweben und versuchen durch den Vorhang zugucken. Becker war in der Küche und bereitete Fingerfood zu.
„Magst du Titten?“ rief er von da.
„Welcher Hete mag die nicht?“ Justin trank seinen Whiskey und kicherte, wie ein Schuljunge.
„Ich hab welche auf dem PC. Kannste dir angucken, bis ich wieder da bin.“
„Willst mich heiß machen?“
Ein Lachen.
Schmitz schaltete das Programm hoch und ging auf Eigene Dateien. „Weiber“ stand auf einer. Nahm er seine Betthäschen auf? War er so einer? Würde er ihm welche anbieten, damit er auf sie wichsen konnte?
„Lucy und ich unter der Dusche“ war eine Unterdatei. Er öffnete sie. Eine vollbusige Blondine erschien. Sie hatte tolle Titten und Justin musste grinsen, die hätte er auch gerne vernascht. Dann stieg Becker aus der Dusche. Der Atem stockte dem Polizisten. Die Szene kannte er. Die war auf der Protokolldisk!
Er kramte PC und Brille aus seiner Tasche und logte sich ein, nach wenigen Sekunden sah er die Szene, die er gerade betrachtet hatte, nur ohne Blondine. Er fror das Bild auf Beckers PC ein, zoomte heran und schaute in den Spiegel. Sie hatte auf alles geachtet, jeden Menschen durch die Fahndung geschickt, doch das Bild im Bad hatten sie sich nicht genau betrachtet. Das Bild auf seinem Computer war besser, als auf dem Apple, doch es verriet ihm auch nur das, was er schon auf dem Bürger – PC gesehen hatte.
Becker trug eine Brille! Cybglasses!
„Ich wusste, du würdest irgendwann drauf kommen.“ Er grinste und hielt ein Küchenhandtuch in den Händen.
Verhaften! War alles was Justin dachte und sofort machten sich Robocops auf den Weg zu Beckers Wohnung. Becker war schnell, er wickelte Justin das Handtuch um die Handgelenke und die Arme auf den Rücken. Becker holte einen Pocket- PC aus seiner Tasche und steckte ein USB- Kabel hinein. Er verbannt seinen PC mit dem von Schmitz und der Polizist verlor die Kontrolle über das kleine Stückchen Technik.
„Was soll das?“ fragte er Becker. „Wie kommst du an einen MS44 und die Brille?“
„Noch vor Jahren konnte man über das Internet alles beziehen. Selbst euer geheimes Spielzeug.
Diese Brille wird dich eines Tages ersetzen, wie der scheiß Computer mich. Dir wird er sogar das Leben nehmen. Bulle! Staatsmann!“
Er steckte einen Speicherstick in seinen PC und drückte Justin die Brille bis zur Nasenwurzel. Sein Bildschirm verschwand und die Robocops hielten an. Blau war alles was er sah. Dann erschienen die Wörter DOWNLOAD STARTEN und ein weißer Balken baute sich vor seinem Auge auf. Prozentzahlen rasten herauf dann DOWNLOAD ABGESCHLOSSEN. Er tippte noch einige Befehle in seinen PC und löschte Erinnerungen, dann entfernte er das USB-Kabel und befreite Justin von seiner Fessel.
„Was?“ Schmitz torkelte und griff nach seiner Waffe. Verhaften und die Robocops setzten sich wieder in Bewegung. „Ich bring dich um du Schwein!“
Dann explodierten die Erinnerungen in seinem Gehirn. Er sah, wie er die Frauen um brachte. Er schnitt ihnen die Bäuche auf, die Gedärme quollen heraus und ihm ging einer ab. Sie lebten noch genau zwei Minuten, die Zeit, die er brauchte. Denn sie konnten herausfinden, wann der Tod eintrat, aber nicht, wann er sie auf schnitt. Er lachte weil er wusste, wenn sie sich nicht auf Cybglasses verlassen würden, war er der, der für die Morde verantwortlich war, doch durch das System konnte er allen entkommen, denn nach ihrer Meinung war das Gehirn nicht zu manipulieren. Doch er hatte es geschafft. Mit einem ganz einfachen Download und einer Löschung von Daten.
Er Justin war der Mörder und das Superhirn. Er wollte diesen Becker nur als Verdächtigen abstempeln. Justin schoss in die Wand hinter Becker, schlug sich mit der schweren Pistole gegen die Schläfe und schrie etwas, was niemand verstand. Er verlor seinen Verstand, wurde ein Mörder und er jagte einen Mörder. Er...
Als die Robocops das Haus, indem Becker seine Wohnung hatte erreichten, sprang Kommissar Justin Schmitz durch das geschlossene Fenster im dritten Stock und landete im Glasregen auf der Straße und war sofort tot. Die Robocops verhafteten Becker und hielten ihn fest bis Kommissar Kai Winninger am Tatort erschien und die Aussage Beckers aufnahm. Danach ging er zu der Leiche, die in ihrem Blut lag, welches langsam in die Kanalisation floss und setzte ihr seine Brille auf.
Informationen konnten sie auch aus toten Gehirnen holen, wenn sie noch frisch waren, nach einer Stunde wären sie gelöscht.
Kai schüttelte den Kopf. Sein Freund und Kollege war der gesuchte Frauenmörder! Er wusste zwar nicht wie er es angestellt haben konnte, dass die Aufzeichnungen der Überwachungskameras manipuliert wurden, doch das Gehirn log nie. Erinnerungen waren immer da.


Leb' und lass sterben
11.11.07


„Na, Schatz wie war dein Besuch beim Arzt?“ Cindy Mazumi sah ihren Mann abschätzend an.
„So wie' s aussieht, bin ich arbeitsfähig und erfreue mich bester Gesundheit!“ Junus Andrea Garcia Mazumi stellte die Papiertüte auf den beigefarbenen Hocker und gab seiner hübschen Frau einen Kuss auf den Hals.
Sie erwiderte seinen Kuss und streichelte ihm über die Wange, wobei sie eine seiner langen Locken aus seinem Gesicht wischte. Sie bereitete gerade eine neue Nahrungseinheit zu, die angeblich nach Fisch in Senfsauce schmecken sollte. Der Küchencomputer weigerte sich aber ihre Garzeit anzunehmen, da er diese besser wisse, als sie. „Verdammtes scheiß Ding!“
„Ärgert MAX dich wieder?“
„Wen ärgert dieses scheiß Ding nicht? Im Fernsehen bringen sie nichts darüber. Nur wie toll dieses scheiß System ist und dass wir weitere Microsoft/Apple/Xenox – Produkte kaufen sollen. Schatz ich sag es dir, ich glaube deine Mutter hatte nie solche Probleme. Meine auch nicht. Die haben einfach einen Topf auf den Herd gestellt und fertig.“
„Tja, dafür hatte meine Mom meinen Dad und meine Schwester. Ich glaube, dass war schlimmer als MAX!“
„'Tschuldige JAG, wie konnte ich nur. Es war nur eine Floskel. Ich wollte nicht von... von deiner Familie sprechen. Tut mir leid.“
„Schon gut, Schatz ist nicht deine Schuld, dass ich mit Terroristen verwandt bin.“ Das Gesicht seiner großen Schwester und seines Vaters flimmerten kurz vor seinem dritten Auge auf.
Du hast nichts mit ihnen zu tun! Du funktionierst, du bist nicht wie er. Er wollte nie seine Pflicht tun, er war damals schon schwierig! Erinnere dich, wie oft Mama geweint hat, weil er ohne Geld nach Hause kam und den Xten Job verloren hatte.
„Wovon sollen wir leben? Was sollen deine Kinder essen?“ schrie Mutter.
„Habe ich je nicht für sie gesorgt? Glaubst du der Scheiß wächst auf Bäumen?“
JAG musste zugeben, dass es ihm nie an Spielsachen, oder Essen mangelte, die Schränke waren voll damit, aber nur weil sie horteten. Sonst hatten sie nichts. Und das was sie hatten, brachte er von dubiosen Geschäften mit. Er war schon im Gefängnis gewesen, als es noch die Bundesrepublik gab. Wollte sich nie unterordnen und der alte Che hing noch an seiner Wand, nachdem die Konzerne die Führung übernahmen. Vater war sein Leben lang nie in der Gewerkschaft gewesen, als sie dann verboten wurden, gründete er eine. So war er! Nie mit dem Schwarm schwimmen, immer gegen den Wind pissen. Und Sam?
Sie eiferte ihren Vater nach. Ob sie noch lebte, wusste er nicht, doch Vater war schon fünfzehn Jahre tot, erschossen von einem Werkschutzbeamten. Auf der Flucht erschossen, während er eine Bombe in einem MAX- Gebäude installierte.
Mutter brach es das Herz und ihr japanisches Gesicht wurde noch blasser, als es sowieso ihr ganzes Leben war.
„Schatz!“ Cindy blickte ihn fragend an.
JAG zuckte zusammen. „Was ist?“
„Bist du noch auf unserer guten Erde, oder schon in der Umlaufbahn? Machst du die Kerzen an, habe ich gefragt?“
„Klar Liebes. War in Gedanken. Die Kerzen...sofort.“ Er ging in das Esszimmer, stellte die Kerzen auf das weiße Tischtuch, dass mit dem besten Service bestellt war und zündete die Kerzendornen an.
„Und? Was sagte der Arzt über deine Organe? Was ist mit deiner Leber?“
„Also dafür, dass ich eins dieser Mattelkinder bin, ist sie ganz Okay, bin ja kein Trinker, wie mein Vater einer war. Meine Nieren sind sogar 1A!“ Er lachte und ging zum Fenster. Draußen regnete es in Strömen. Zu mindestens war es nicht kalt, 19 Grad war für Dezember ganz anständig. Als sein Vater in seinem Alter war, gab es in München noch Schnee, den kannte JAG nur aus dem Fernsehen. In Alaska sollte es noch große Gebiete geben und natürlich an den Polen. Cindy hatte wieder was gesagt.
„Was denn?“
„Ich sagte, wenn wir Bill aus dem Internat holen, könnten wir ja ins MexxDome gehen und einen Film sehen. Ich habe gehört sie bringen eine digitale Neuüberarbeitung von Casablanca raus. JAG mochte Filme über Nazis, Nazis selbst mochte er nicht, aber die waren ja zum Glück genauso illegal wie Linke und Ökos. Und Gewerkschaften.
Doch die Filme über solche Bösewichte fand er toll. Die bösen Deutschen und die gerissenen Anderen, die sie jedes Mal besiegten. Nun, Geschichte war ein fester Punkt, daran konnte auch die Wirtschaft nicht rütteln. Ansonsten wurden nur Filme gezeigt, die das Wirtschaftsklima widerspiegelten.
Gehirnwäsche hätte das sein Vater genannt. Bollywood nannte es Onkel Dany. Onkel Dany. Er war nicht mal sein wirklicher Onkel, aber er war alles, was ihm von seiner Familie geblieben war. Er war etwas verschroben, wie Cindy sagte, deswegen saß er auch in einer Art Sanatorium. Bewachtes Wohnen nannte Onkel Dany das.
„Ja, warum nicht?“ JAG fragte sich, ob seine Eltern auch ein so gleichgültiges Verhältnis zu ihm hatten, er konnte sich nicht erinnern. Vater war immer mit ihm beschäftigt, hatte schon früh versucht ihm Philosophie beizubringen, seine Philosophie natürlich und Mama schreckte jedes Mal zusammen, wenn er fiel. Doch er hatte zu Bill gar kein Verhältnis, der Junge war ihm egal, hatte ihn so gut wie nie gesehen. Er war direkt nach seiner Geburt ins Internat gekommen, damit er funktionieren würde, nicht so wie seine Eltern, die noch verseucht von der alten Welt waren...
Es klingelte.
„Wer mag das sein?“ fragte Cindy.
„Ich hab niemanden eingeladen. Du?“
„Nö! Meine Eltern kommen erst am 26. und sonst...?“
JAG ging zur Türe und schaute durch den Spion. „Die Polizei.“
„Was wollen die? Hast du den Wagen falsch geparkt?“
„Denke nicht! Der Werkschutz ist auch dabei. Ich hab meinen Arzttermin doch mitgeteilt. Kann eigentlich nur ein Irrtum sein.“ Er öffnete die Türe.
„Junus Andrea Garcia Mazumi?“ Der Polizist blickte auf einen Computerpad an seinem Ärmel, wo JAG noch im Augenwinkel sein Bild drauf erkennen konnte.
Mutter Huriva Mazumi, Geburtsort Tokio, 1984. Vater Michael Andersson-Sanchez, Geburtsort Bremen, 1971?“
„Ja? Worum geht es?“ JAG blickte über die Schulter des Polizisten und sprach den Werkschutzbeamten direkt an: „Ich hab dem Konzern heute Morgen eine Mail geschickt. Ich war beim Arzt, ich habe ein Artest...“
„Wir haben Ihre Schwester. Dürfen wir reinkommen, oder brauchen Sie erst ein Memo?“
Sie warteten seine Antwort nicht ab und schoben ihn zur Seite und betraten seine Wohnung.
„Sam?“ er ließ den Kopf hängen. Jetzt nehmen sie dich auch mit, weil jemand aus deiner Familie nicht funktioniert.
Einer der Werkschutzbeamten hatte einen Scanner in der Hand und ließ ihn kurz über JAGs Körper gleiten und nickte. Dann scannte er Cindy und schüttelte den Kopf.
„Was wollen Sie?“ fragte die Blondine.
Der Beamte erwiderte nichts. Er zog nur seine Dienstwaffe und schoss Cindy in den Kopf. Blut und Hirn sprenkelten die Wand des Esszimmers und JAG dröhnte der Schuss in den Ohren.
Er bekam noch mit, dass er den Namen seiner Frau rief, als diese tot zu Boden fiel, dann spürte er einen Schmerz, der ihn lähmen wollte, der jede Faser seines Körpers durchströmte. Es wurde dunkel.

Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer Bahre und starrte in ein steriles Licht, das ihn blenden wollte.
„...war eine niedrige Amperezahl. Dürfte ein wenig gekribbelt haben.“ Ein Mann mit einer Atemmaske stand neben ihm und begutachtete seine Augen.
„Wenn du sie beschädigt hast, bist du deinen Job los!“ Ein anderer.
„Hier guck. Der Wichser macht die Augen auf!“
„Wo? ...Sam?...Cindy?“ stammelte JAG.
„Kaum ist der Arschficker wach, denkt der schon ans Vögeln mit zwei Fotzen. Darf ich dem eine rein knallen? Seine Fresse is ja wohl nicht wichtig.“
„Brech ihm nicht die Nase. Die können wir bei Ebay verticken. Da gibt’s immer welche, die eine Neue brauchen.“
„Von einem Japsen?“ der erste Mann lachte gemein.
„Hab gehört sein Alter war der Führer der Gewerkschaft für Besen- und Flurpersonal. Die dann zur Gruppe D wurde. Seine Schwester soll da immer noch mitmischen.“
„Verkackte Terroristenschlampe. Und der hier, ist gerade gelaufen?“ der andere Schüttelte den Kopf.
JAG verstand nicht, worum es ging, er merkte erst jetzt, dass er an der Bahre fixiert war, er konnte sich nicht rühren. „Hören Sie... Ich habe nichts mit meiner Familie zu tun! Ich war loyal! Ich habe für den Konzern zehn Jahre gearbeitet und ich war allen Unterstellungen gewachsen. Ich bin doch ein Mitarbeiter!“
„Jetzt nicht mehr mein Freund!“ Der erste lachte wieder. „Tja, der Doc hat festgestellt, dass deine Böhnchen kompatibel sind. Was wären wir nur ohne Netz?“
Böhnchen? Was wollten diese Männer von ihm. Welche Böhnchen? Seine Eier?
„Sollen wir den betäuben?“
„Wofür? Ohne kann der eh nicht mehr leben.“
„Ohne was kann ich nicht mehr leben?“ fragte JAG
„Deine Nieren mein Freund. Das Ärztegeheimnis ist auch nicht mehr was es mal war. Wenn mich mein Boss zum Doc schicken würde, würde ich Fersengeld geben.“
„Ja, aber du bist Insider!“ Jetzt kicherte der Andere.
Mann Nummer zwei hielt ein Laserskalpell in seiner Hand und näherte sich JAG bedrohlich. „Machen wir' s von Vorne, oder von Hinten?“
„Von Hinten ist weniger Schweinerei, doch dafür müssen wir den Arschficker erst wieder los schneiden.“
Mann zwei löste die Fesseln, Mann eins zog seine Waffe und hielt sie JAG an die Schläfe.
„Ich schieß' dir die Rübe weg, wie deiner hübschen Schlampe, wenn du Blödsinn machst!“
JAG überlegte noch, ob er schnell erschossen werden, oder bestialisch aufgeschnitten werden wollte, als sein Körper schon automatisch in dass überwechselte, was sein Vater ihm beigebracht hatte. Seine linke Hand griff nach dem Laserskalpell und sein Körper rutschte zur selben Zeit von der Bahre. Mann Nummer zwei fluchte noch, dann schnitt das Skalpell Mann Nummer eins die Hand ab und ein Schuss löste sich. Blut spritzte JAG ins Gesicht und er sah die warmen Gedärme des Chirurgen zerfetzt auf den Boden klatschen. Der Laser verschweißte die Wunde Mann Nummer eins, doch der Schmerz musste ihn wahnsinnig machen. Er hüpfte herum und kreischte. JAG zog sich wieder hoch, seine Beine beschrieben einen Halbkreis und mit Schwung mähten sie den schreienden Mann von den Beinen. Dieser hämmerte gegen die sterile Stahlwand und tillte von ihr wieder ab. Immer noch den Arm haltend, stolperte er auf den PATIENTEN zu, der ihm den Laser in die Stirn rammte.
Die Türe zu der Folterkammer wurde geöffnet und ein Wachposten kam herein gerannt. „Was zur Hölle...“
JAG rollte sich über die Bahre und kickte sie dem Angreifer in den Bauch, der verlor sein Maschinengewehr und blieb schwer atmend auf der Metalltrage liegen. JAG hob die Waffe auf und schlug ihm den Kolben in den Nacken.
Verdammt, sie hatten recht! Der Mensch war nichts mehr Wert!
Er hatte so lange versucht die Worte seines Vaters zu vergessen. Seinen eigenen Weg zu gehen, er war ein funktionierendes Mitglied dieser Gesellschaft. Er schaffte für die Gesellschaft, er war Teil des Betriebes. Mit Auszeichnung. Er war nie wie Dad und Sam und jetzt musste er feststellen, dass sie Recht hatten! Seine Nieren wurden für einen anderen gebraucht, für einen Funktionär?
Bestimmt. Nur die von Oben hatten genug Macht um einen Menschen auszuweiden.
Er hielt das Gewehr in seinen Händen, als weitere Wachmänner in den Komplex traten und das Feuer auf ihn eröffneten. Mit einem Hechtsprung rettete er sich aus der Schusslinie.
„Stellt das Feuer ein! Wir brauchen ihn lebend!“ brüllte ein Vorgesetzter.
JAG schnellte hervor, feuerte auf seine Häscher und rannte nur in Unterhosen und Barfuß den kalten Flur des Gebäudes herunter. Wo befand er sich? In welchem Haus? In welcher Anstalt? Verstört schaute er sich um. Es kam ihm nichts bekannt vor. Dann erinnerte er sich an einen Bericht im Fernsehen, hier war dass Hauptgebäude, der Forschung bei MAX. Hier wurden Computer neu entwickelt, Medizin und Nahrungseinheiten hergestellt. Hier machten sie einfach alles, was die Konzerne entwickelten. Von Waffen bis zur Hautcreme.
Seine nackten Füße schlugen auf dem glatten, kalten Boden auf und er spürte jeden Schritt in seinem Rückgrat. Seine Verfolger riegelten das Gebäude ab, eine Gruppe war hinter ihm, die anderen liefen zu den Ausgängen.
Verdammt. Er saß in der Falle, hier würde ihm nicht einmal das Training mit seinem Dad helfen. Vater hatte schon früh angefangen, sie auszubilden. Sie waren gerade im Kindergarten, die alte Ordnung stand noch, doch die Menschen zerfleischten sich auf den Straßen und sie sollten sich wehren können. Von irgendwo her hatte sein Vater Waffen. Pistolen, Sturmgewehre und sogar ein Scharfschützengewehr. Sie gingen zum Üben in einen abgelegen Wald, außerdem brachte er ihnen noch Thai Chi und Karate bei. Sein Leben lang hatte sein Vater unter Verfolgungswahn gelitten, als die Konzerne die Macht übernahmen, war für ihn klar, dass es nicht um sonst war.
„Das haben sie schon vorbereitet, als dein Urgroßvater noch im Bergbau arbeitete.“ sagte er. „Glaubt mir. Nach dem alten Bismarck und die Demokratisierung des Landes, haben sie daran gearbeitet. Die EU war ihre Idee. So konnten sie uns besser kontrollieren und wieder versklaven.“
So sprach sein Vater und JAG hatte ihm nie geglaubt. Und jetzt wollten diese Leute, die seinen Vater getötet hatten und seine Schwester verfolgten, seine Nieren. Seinen Tod. Sie hatten Cindy ermordet. Sie hatte nie jemanden was getan!
Er feuerte eine Salve auf die Werkschutzmänner, einige fielen blutend zu Boden, andere verschanzten sich hinter Ecken und Säulen. Dann hörte er das SIIEEEP! und etwas stach in seinem Arm. Ein Betäubungspfeil, abgeschossen aus einer Luftdruckpistole.
Er sackte zusammen, die Waffe glitt ihm aus den Händen, seine Zunge versteifte sich und Schaum lief von seinem Mundwinkel herunter. Tropfte kalt auf seine Brust und außer zum Atmen, war sein Körper nicht mehr in der Lage irgendeine Bewegung zu machen.
Einer der Wachmänner trat ihm gegen die Schulter und er rutschte über den blanken Boden. Es quietschte eklig und er spürte den Brand der Reibung.
„Du Drecksack!“ schnaufte der Mann.
Zwei Paar Hände packten ihn unter den Schultern und schliffen ihn davon. Die Mitarbeiter in dem Gebäude guckten ihn verachtend an. Dieser Terrorist, sagten ihre Augen. Er war keiner, er war wie sie! Ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde.
In einem kahlen Raum wurde er auf einen Sessel geschmettert. An der Wand gegenüber hing ein riesiger Monitor, auf dem sich ein Bild manifestierte. Es war der Sohn des großen Computermogul, der damals die Macht an sich riss und die Regierungen der Erde auflöste, der alle Konzerne unter einen Mutterkonzern vereinigte. Brighton Gates-Smith!
„Junus! Ich darf Sie doch Junus nennen?“ Er schien aus dem Bildschirm heraus treten zu wollen. „Seien Sie nicht böse mit mir, aber es geht um das Leben meines Vaters. Wir haben ihn dank der Technologie von MAX lange am Leben gehalten, doch jetzt versagen seine Organe. Stellen Sie sich vor, wie glücklich ich war, als mir die Firma mitteilte, dass Ihre genau zu ihm passen. Sie haben fast das selbe Blutbild, mein junger Freund. Es tut mir leid, dass es Sie getroffen hat, Sie müssen wissen, ich habe die ganze Welt abgesucht. So ist wohl das Schicksal? Ich weiß Sie haben viel durchgemacht. Einen verrückten Vater, eine Mutter die Selbstmord begannen hat, dann der Tod Ihres Vaters und eine Schwester, die sich in den Alpen versteckt und eine Terroristin ist. Es fiel mir nicht leicht Sie noch tiefer ins Verderben zu stoßen, aber was soll ich sagen?“
„Ähhh!“ grunzte JAG. In seinem Kopf verfluchte er den Amerikaner, der ohne Akzent zu ihm sprach.
„Wirklich glauben Sie mir, ich habe Ihre Akte gut studiert. Sie sind hervorragend in unserem Unternehmen intrigiert gewesen und es tut mir in der Seele weh, einen so guten Mitarbeiter zu verlieren. Aber wie mein Vater zu sagen pflegt: Leb' und lass sterben. An diese Maxime halte ich mich, seit wir die Geschäfte der Regierungen übernommen haben. Sie erinnern sich vielleicht, wir wären, als Sie ein Kind waren fast in den 3. Weltkrieg geraten. Wir mussten etwas tun. Die Arbeitslosigkeit hat die Menschen depressiv gemacht und überall herrschte Rezession. Menschen wie Ihr Vater hatten es fast geschafft, dass niemand mehr das Ruder halten konnte. Wir wären in Anarchie untergegangen. Wir mussten etwas tun. Dafür hat mein Vater doch, das längst mögliche Leben verdient? Finden Sie nicht?“
„Mhhuooh!“ Fick dich du Arsch!
„Es freut mich, dass Sie auch so denken!“
Der Monitor erlosch. Die Männer rissen ihn vom Sessel hoch und schleppten ihn in einen anderen Raum, wo Männer in grünen Kitteln standen und seine Nieren haben wollten. Das letzte was er dachte war, dass sein Vater recht gehabt hatte. Er war nicht verrückt.


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Rückwirkend
19.07.07

Die Fesseln aus Metall klirrten leise, als der Wachmann Jason an der Anklagebank fest kettete. Die kleinen Ösen der Kette baumelten vor seinen Knien, die bestimmt blau waren, aber durch das Orange des Trainingsanzuges nicht zu sehen waren. Im Gerichtssaal saßen mindestens vierhundert Bürger, die alle darauf warteten, wie das Urteil in diesem neuen Beispielverfahren wohl ausgehen würde. Das Leben vieler Menschen hing von diesem Urteil ab. Sein Leben hing von diesem Urteil ab. Der Roboteranwalt nahm surrend neben ihm Platz.
„Hallo Jason!“ begrüßte er den Mann.
„Hallo Anwalt!“ sagte Jason lasch. Jason hasste Roboter. Sie waren keine Menschen, sie waren nur Dinger. Intelligente Dinger, aber dennoch nur Dinger, ohne Leben. Er hatte ein Leben und das stand auf der Kippe.
Ein Raunen ging durch den Saal, als die alte Frau ihn durch den Haupteingang betrat. Sie hatte sich sehr verändert, als Jason sie das letzte Mal sah. Das war vor fünf Jahren. Ihr Haar war jetzt total grau und die Falten hatten mehrere Autobahnen mit kompletten Kreuzen in ihrem Gesicht gebildet. Furchen wäre das richtige Wort dafür. Ihre Augen waren blass und der Mann wettete, dass sie schon heute Morgen in ihren silbernen Flachmann geschaut hatte. Sein Vetter hatte ihm erzählt, dass sie vor zwei Jahren einen leichten Schlaganfall erlitten hatte, der ließ ihr Gesicht etwas schief erscheinen.
Der Roboter stieß Jason sanft in die Rippen. „Machen Sie schon!“
Jason räusperte sich und stand von seinem Platz auf, dabei klirrten seine Ketten, wie die eines Schlossgespenstes. „Mutter, ich...Bitte...So hör doch, das ist doch nicht...“
Die alte Frau guckte ihn bitterböse an und setzte sich auf die Zeugenbank.
„Mutter!?“
Sie starrte düster auf das leere Richterpult vor sich und ignorierte ihn.
„Es hat keinen Zweck!“ sagte er zu sich selbst, als zu der Maschine, die ihn verteidigen sollte.
Schwere Stiefel gingen durch den Raum, dieses Mal waren alle Anwesenden mucks mäuschen Still. Jason drehte sich vorsichtig um und erhaschte einen Blick in das hagere Gesicht des Vollstreckers. Der Mann war um die Fünfzig, hatte Schultern wie ein Gorilla und sein weißes Haar hing schnöde bis in den Nacken. Er trug eine pechschwarze Brille auf seiner Hackennase und eine riesige Narbe zierte die rechte, fast gräulich schlaffe Wange. Er war ein Jäger, der kein Pardon kannte. Seine schwere Strahlenwaffe hing an einem Lederband über seine Schulter. Er stapfte bis neben das Richterpult und schien ins Leere zu starren, wenn man seine Augen hätte erahnen können.
Jason lief es kalt den Rücken herunter. Das konnten sie doch nicht machen, das Gesetz galt doch nur bei schwer erziehbaren Kids. Er war über 35, seine Mutter wollte einen Präzedenzfall. Kinder sind Kinder, egal wie alt sie seien. Ob ein froschähnlicher Embryo, oder ein fünfzigjähriger Priester. Wenn sie die Eltern nicht ehrten, waren sie alle gleich! So plädierte seine Mutter vor dem obersten Gericht in München. Der dortige Richter übergab den Fall an das ethische Gericht in Hamburg, die Jasons Verhaftung veranlassten. Das war jetzt länger als ein Jahr her.
Die automatische Schwebetür an der linken Seite öffnete sich mit einem Rauschen und der Roboter der Anklage schritt auf seinen Platz. Seit mehr als fünfzig Jahren waren Maschinen die Advokaten des Volkes, da ihre lebenden Kollegen immer wieder von wilden Ehemänner, oder – Frauen, Terroristen, Banditen und sonstigem kriminellen Elementen umgebracht worden und die Kosten für den Staat in die Hohe trieben. Jason sah den kalten, kastenförmigen Androiden an. Er war eins der billigeren Modelle, die nichts menschliches an sich hatten, er hätte auch ein Colaautomat sein können. Es fehlte nur die Werbetafel. Sein Anwalt war da schon besser durchdacht. Damit sie Vertrauen wecken konnten, waren sie alle human, nur wenn man sie anfasste, spürte man, dass es keine Haut sondern Metall war. Ein Zinnmann, lachte Jason, aber ich bin nicht Dorothy und hab auch keine roten Schuhe an, die mich von hier wegbringen.
Die Panzerglasscheibe wurde vor dem Richterpult heruntergefahren und eine Computerstimme erklang: „Erheben Sie sich! Der höchste Richter des Ethikgerichts Richter Professor, Doktor, Doktor der Geistlichkeit Röben, betritt den Saal!“
Ein kleiner, geknickter, alter Mann in einer roten Robe tauchte hinter dem Pult auf. Wurde wie ein Rockstar aus den Katakomben nach oben gefahren und er blickte böse in den Gerichtssaal. Plötzlich sprang aus den Reihen der Besucher ein Mann auf, rannte durch die Massen auf die Glasscheibe zu und öffnete seinen Mantel. Er entblößte ein Dutzend Rohrbomben, die er sich wie einen Gürtel um den Bauch gebunden hatte und schrie: „Abtreibung ist Mord!“
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr eine Glasglocke von oben herab und stülpte sich über den Mann, als dieser den Bombengürtel zündete. Die Explosion verpuffte geräuschlos und die Fleischfetzen liefen an dem glatten Glas herunter.
„So, können wir nach dieser kleinen Showeinlage beginnen?“ fragte Röben, seine Stimme klang, als wären seine Stimmbänder aus Stacheldraht. „Herr Staatsanwalt, was verhandeln wir heute?“
„Wir verhandeln heute den Antrag der Zeugin Möller, über ihr Recht der rückwirkenden Abtreibung. Das oberste Gericht in München verwies Aktenzeichen 2077 an den ehrenwerten Richter Röber um Klärung in der ethischen Frage. Und sollte das Ergebnis im Sinne der Zeugin sein, zur Vollstreckung des Urteils. Dazu steht Oberjagdtmeister Steiner bereit Euer Ehren.“
Röber hustete kurz. „Wie steht die Staatsanwaltschaft dazu?“
„Der Logik zufolge müsste das Gericht den Antrag stattgeben. Paragraph 218 Abschnitt D 34 hat den Eltern dieses Landes die alleinige Entscheidungsgewalt über das Leben ihrer selbst geborenen und leiblichen Kinder überschrieben. 2147 hat das Ethikgericht unter der Leitung des ehrenwerten Richters März das Tötungsalter von 18 auf 23 festgelegt, nach dem das Zusatzgesetz über die absolute Verehrung der Eltern im Paragraphen 314 bestimmt wurde. Eltern die mit dem Lebenswandel ihrer Sprösslinge nicht zufrieden waren, bekamen nach Klärung am hiesigen Gericht die Erlaubnis für 218D34 zugesprochen. Die Zeugin Frau Möller hat Beweise, dass der Angeklagte gegen Paragraph 314 verstoßen hat.“ Der Colaautomat ratterte zwei Mal und schwieg dann.
Röben massierte sein spitzes Kinn mit Daumen und Zeigefinger. Blickte mitleidig auf Frau Möller und mit hasserfüllten Augen auf Jason. „314? Ja? Sie denken, Sie müssen Vater und Mutter nicht ehren? Hm?“
Bevor ihn der Roboteranwalt zurück halten konnte, sagte Jason: „Mein Vater ist lange tot! Diese Frau hat ihn in den Tod getrieben!“
„Die Staatsanwaltschaft nimmt dies als Tatbestand auf. §314 erlaubt den Kindern nicht unpfleglich mit ihren Eltern umzugehen. Dies hat Herr Möller vor 399 Bürgern gemacht. Die Staatsanwaltschaft ruft das Gericht auf sich über §218D34 in diesen Fall zu äußern und eine Erweiterung ins Gesetzbuch zu veranlassen.“ Der Roboter piepte noch einmal, dann war er nur noch ein Stück Metall, was sich nicht rührte.
Röber wandte sich an den Anwalt. „Verteidiger was sagen Sie dazu?“
„Euer Ehren, ich möchte diesen Antrag ablehnen, weil es das Leben beleidigt. Sie wissen, dass ich gegen jegliche Art von Abtreibung bin. Die Logik, die mein Kollege anführte, verbietet es, dass Leben einfach so ausgelöscht werden darf. Der Mensch fragt seine Eltern nicht nach der Erlaubnis zu leben. Er wird einfach in die Welt gesetzt ob er will, oder nicht. Paragraph 218 verurteilt ihn auch zu einem ungefragten Tod. Die Gentechnik hat immer mehr Erfolg dabei, das Leben der Menschen zu verlängern. Herr Möller ist 35, seine Mutter 75, ihre Mutter könnte nach heutigem Stand der Dinge noch Leben. Wie lange sollen Eltern das Recht auf Tötung ihres Kindes erhalten?
Nehmen wir an, ein sechzigjähriger Demenzkranker vergisst, wer seine Eltern sind, die weit über Hundert, aber noch fit im Kopf sind, könnten auf die Idee kommen und §218 für sich s in Anspruch nehmen. Wo soll das enden Euer Ehren?“
Jason war überrascht, dass eine Maschine so für das Leben eintrat. Seine Frau hatte ihm die beste Verteidigung besorgt, die sie für ihr Geld bekamen. Die Roboter der Seriennummer 354 Gysi009 waren einem der Mitbegründer der Linkspartei nachempfunden, der selbst jahrelang als Anwalt tätig war, bevor er 2010 zum Kanzler gewählt wurde. Der Androide hob die Lippen von seinen Zähnen aus weiß getünchten Granit und lächelte seinen Mandanten siegessicher an.
„Ihre Ablehnung wird abgelehnt!“ verkündete Röber.
„Die nehmen nie eine Ablehnung an!“ Der Roboteranwalt sackte in sich zusammen. „Faschistenstaat!“
„Das haben wir gehört. Das gibt einen weiteren Punkt, auf Ihrer Lizenz, Kollege!“
Der Richter nahm den Hammer und schlug auf das Pult.
„Es ergeht folgender Beschluss: Das Gesetzbuch wird um einen Zusatz erweitert. Eltern soll es erlaubt werden, egal in welchem Alter sich ihre Kinder befinden, einen Antrag auf 218 zustellen, sollte 314 bestätigt werden. Ab Stichtag Heute, 0900 Uhr nach der förderistischen Zeittafel der Regierung in Deutschland.“
Die Förderisten waren ein Volk aus einer anderen Galaxis, die die Erde als ihr Eigentum ansahen und dementsprechend verwalteten. Sie waren eine Quallenart und konnten auf dem eroberten Planeten nicht leben, so ernannten sie Statthalter aus anderen eroberten Planeten. Zur Zeit war es ein Stammesfürst aus Afghanistan. Der erste Mensch seit fünfzig Jahren, der diesen Posten inne hatte.
„Nun wollen wir uns der Klärung des Falles Möller annehmen, Ihre Anträge?“
„Schuldig im Sinne 314!“ Der Colaautomat.
„Nicht schuldig!“ Der Advokat.
„Hören wir die Zeugin.“ der Richter wies auf Jasons Mutter.
„Mein Sohn hat mich seit fünf Jahren nicht mehr besucht. Er und seine Frau weigern sich mir Enkelkinder zu schenken. Sie treiben jedes Mal ab, wenn seine hübsche Schlampe schwanger ist. Meinen Enkel, der vor sieben Jahren geboren wurde, trieben sie rückwirkend ab, weil seine DNA aussagte, dass er nur als Fischer tauge. Sie hatten angst, dass dies die förderistische Regierung verstimmen könnte. Vor zwei Jahren hatte ich einen Schlaganfall, mein Neffe kümmerte sich die ganze Zeit um mich und mein feiner Herr Sohn kam mich nicht einmal besuchen, selbst als ihn das Krankenhaus zwang, schickte er nur sein Weibchen. Ich möchte daher die rückwirkende Abtreibung beantragen.“
„Du hast mich Wahnsinnig gemacht! Wie Papa!“
„Angeklagter, mäßigen Sie sich!“ schrie Röber.
„Ich habe dich geboren! Ich habe dich gewickelt, ich habe meine Figur an dich verschenkt! Du bist undankbar, verdorben und du hast meinen Lukas umgebracht. Wäre er halt ohne Arbeit durchs Leben gezogen, dass machen doch so viele. Aber euch war er zu viel Arbeit. Ihr wolltet eure Zeit nicht mit dem Erziehen von Kinder vertrödeln. Ich fordere für mich das selbe Recht, wie ihr!“ Der Kopf der alten Frau lief rot an.
„Euer Ehren!“ meldete sich der Advokat. „Ich beantrage die Befangenheit der Zeugin festzustellen. Ich vermute niedrige Beweggründe in ihrem Handeln.“
„Antrag abgelehnt!“
„Euer Ehren!“
„Sie halten den Mund! Sie haben noch zwei Gutscheine, dann sind sie raus! Also wollen Sie die für ihre Kampagne nutzen gegen dieses Gesetz, oder für diesen Fall? Sie wissen, dass Sie verschrottet werden!“
Der Anwalt schwieg.
„Es ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte wird schuldig gesprochen im Sinne §314. Die rückwirkende Abtreibung wird hiermit genehmigt und ausgeführt.“
Der Vollstrecker rührte sich kurz, die Waffe rutschte von seinen Schultern und landete gekonnt in seinen behandschuhten Händen. Der Blitzstrahl leuchtete auf und traf Jason mit voller Wucht und verdampfte ihn. Der Mann schrie nicht einmal. Der schwarze Mantel des Vollstreckers bauschte sich auf. Kondenswasser spritzte auf den humanen Roboteranwalt und bedeckte dessen Stirn. Die leeren Ketten fielen klirrend zu Boden. Jason Möller war nicht mehr da.
„Die Verhandlung ist geschlossen. Dem deutschen Volke wurde Recht gewehrt!“ verkündete die Computerstimme. Richter Röber versank wieder in dem Boden, aus dem er aufgestiegen war und der Colaautomat trat aus der Seitentüre. Die Glasscheibe wurde hochgefahren und die 399 Menschen verließen den Saal.
Nur der Androide und die Mutter blieben zurück.
„So viel Verschwendung von Leben. Es tut mir Leid um Ihren Sohn, wenn ich weinen könnte, würde ich es tun!“ er schritt an ihr vorbei aus dem Gerichtssaal.
„Ja, er war ein guter Junge!“ Sie schlurfte über den Kachelboden.


Mein Krieg


Ich weiß nicht mehr, wann und warum der Krieg ausgebrochen ist, ich weiß nur, dass ich mitten drin stecke und mir eine Mine ein Bein weggerissen hat.
Auf unserem Planeten gibt es zwei Kontinente und nur drei verschiedene Volksstämme, die sich optisch stark unterscheiden.
Wir sind Human und wir nennen uns selbst die Leute aus dem Osten und unser Land nennen wir Ostland. Wir leben halt im Osten, wir sind halt nicht sehr erfindungsreich. Die meisten Errungenschaften haben wir von den Skilz kopiert. Die Skils sind eine echsenartige Lebensform, wir nennen sie auch die Drachen aus dem Westen. Sie sind sehr fortschrittlich und uns hoch überlegen. Sie gehören der größten Population unseres Planeten an.
Wir haben gehört, dass auf ihren Kontinent noch andere Lebensformen gelebt haben sollen, doch die wurden verdrängt. Evolution nennen die Skilz diesen Vorgang. Mein Volk nennt es Holocaust! Die Skilz stehen auch als einzige Fraktion im Galaktischen Kreis, einen losen Volksverbund, der Galaxienreisenden. Unsere Schiffe schaffen gerade mal eine Reise zu unseren Monden, (Wenn wir denn dort hin dürften.) ihre machen den so genannten Hypersprung.
Bei uns leben noch die Baluren. Sie sind eine quallenartige Lebensform, die an unseren Küsten leben. Es ist ein Naturvölkchen, das sich nur durch Zellteilung vermehrt. Sie sind sehr friedlich und kennen sich sehr gut in Fragen der Heilkunde aus. Viele von ihnen haben unsere Religion angenommen und treiben mit uns Handel, was den Fischfang angeht. Unter uns gibt es keine Fischer, weil wir die Meere einfach den Baluren überlassen. Sie sind im Wasser so schnell wie die Jagdgleiter der Skilz.
Wir laden diese glitschigen Küstenbewohner sehr gerne, weil sie viel zu berichten haben und uns immer vor den Invasionen der Skilz schützen, indem sie die schwimmenden Eier der westlichen Drachen fressen. Die natürlich rein zufällig ins Meer gelangen, wenn wir dem Skilzkanzler glauben würden. Die Baluren erhalten von uns Getreide und Zitrusfrüchte im Tausch gegen ihre Fische und Informationen.
Die Skilz sind genetisch manipuliert. Sie haben es geschafft, dass sie nichts mehr lernen müssen. Jeder geschlüpfte Skilz, weiß von seiner Geburt alles, was sein Volk bis dato erreicht hat und dessen Generation, kann so wieder neues dazu lernen und es seinen Kindern weitergeben.
Das ist auch der Grund, warum mein Volk soviel über sie weiß und ihre Techniken nachahmen kann. Die Baluren absorbieren ihre Eier und somit auch ihr Wissen. So konnten wir Computer, Gleiter, Waffen und Raketen nachbauen. Doch viele der physikalischen Errungenschaften überschreiten einfach unseren Intellekt. Wir verstehen nichts vom Hypersprung und solchen Sachen. Auch selber erfinden wir überhaupt nichts, die Quallenwesen müssen uns alles in vielen Stunden beibringen. Vieles, was wir nachgebaut haben funktioniert nicht, weil keiner mehr weiß, wie es betrieben wird. Diese Informationen sind im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen.
Doch die Skilz lernen immer wieder dazu und sie schießen unsere Raumgleiter ab.
Unsere Religion verbietet uns die Waffen unserer Feinde zu stehlen, so haben wir immer das Nachsehen.
Wir glauben an einen einzigen und wahren Gott. Unser Prophet Ejaia hat über ihn geschrieben, dass er jedes Leben im Universum erschaffen hat. So müssen wir jedes Leben achten, das ist vielleicht der Grund, dass wir so gut mit den Baluren auskommen.

Wir waren sehr traurig, als wir von den vielen toten Baluren hörten, die an unsere Strände gespült wurden, weil die Skilz ihre Eier vergifteten. Durch diese List schafften es vereinzelte Eier an unsere Küsten. Unsere Kinder sammelten sie zuerst und hielten sie für fantastische Steine aus dem Meer, doch als aus ihnen die ersten Skilz schlüpften und ihnen die Kehlen durchbissen, da wussten wir worum es sich handelte.
Unser Botschafter rief ihren Botschafter an und die Skilz schickten eine Delegation, die die ungeschlüpften Eier abholen sollten und uns versichern sollten, dass sie keine kriegerischen Absichten hätten.
Unser Kaiser pries den Namen des Herrn und forderte den Botschafter Kuran auf, keine vergifteten Eier mehr ins Meer zulassen. Botschafter Kuran entschuldigte sich für die toten Baluren und für die Mordorgien seiner Jungen. Wir sollten aber wissen, dass es das skilzsche Leben verlange nach dessen Geburt alles Andersartige zumassakrieren, weil ihnen alles Fleisch als Nahrung diente. Sie hatten festgestellt, dass wir wohl intelligent waren und strichen uns so von ihrem Speiseplan. Die Baluren seien ihre natürlichen Feinde, weil sie noch über ihnen in der Nahrungskette lägen.
„Ejaia hat gesagt, alles Leben ist heilig. Auch wir essen Fisch, aber wir opfern die Hälfte unserem Gott!“ sagte unser Kaiser.
„Ejaia? Gott? Was ist denn das für ein Quatsch?“
„Quatsch?“ der Kaiser schaute den Botschafter erschrocken an. „Der einzig und wahre Gott und dessen Prophet, Quatsch?“
Nun gibt es verschiedene Aussagen, denn der Krieg geht schon viele Jahrzehnte und die Leute sind müde. Es heißt entweder, der Botschafter Kuran und seine Mannen würden erschlagen, weil sie nicht unseren Glauben annehmen wollten, oder sie wurden erschlagen, weil sie versucht hatten nach ihrer Läuterung unseren Kaiser anzugreifen. Auf jeden Fall wurden sie erschlagen und die gefundenen Eier wurden verbrannt.
Die Skilz schickten darauf hin ihre Jagdgleiter und unsere Hauptstadt plus des kaiserlichen Palastes brannten hundert Tage.
Unsere Hohenpriester riefen nach dem Sakrileg zum heiligen Krieg auf und wir schickten unsererseits Drohnen mit Sprengstoff in ihre Städte, von denen die meisten aber abgefangen wurden. Sie warnten uns noch einmal freundlich und luden eine Delegation ein, um alles zu besprechen. Wir sandten unsere heiligsten Männer, die alle Sprengstoff um die Hüften trugen, und da sie nicht weiter als der Flughafen kamen, sprengten sie sich dort in die Luft.
Die Baluren, die unsere Verbündeten waren, griffen sie vom Seeweg aus an. Sie hatten flüssigen Sprengstoff getrunken und versenkten ihre Fischerschiffe, Marine und verbrannten die Hafenstädte.
Der Galaktische Kreis, gab den Skilz die Erlaubnis sich ihres Konflikts zu entledigen und sie marschierten mit mehreren Divisionen bei uns ein. Nach wenigen Wochen hatten wir die Schlacht verloren und ergaben uns. Die Skilz töteten uns nicht. Sie richteten bloß unseren Kaiser hin und dessen Politiker und sagten, wir sollten jetzt auch ein freies, wirtschaftlich unabhängiges Mitglied im Galaktischen Kreis werden.
„Eure Religion ist veraltet. Sie hindert euch am Weiterkommen eurer Zivilisation.“ Sprach der Kanzler vor den Fernsehkameras.
Diese Rede heizte das Volksbegehren auf, die fremden Machthaber zu verdrängen.
Seit dem Tag kämpfen wir für unsere Freiheit, unsrem Glauben und unsere Kultur. Ich liege hier. Mein Bein ist abgerissen, aber ich werde jeden Ungläubigen vernichten, der denkt, dass Gott nicht existiert und der seinen Namen missbraucht.
Gott ist groß und ihr fahrt zur Hölle!


Jägerroulette
17.08.08


Patrick O'Brian öffnete schwer atmend die massive Eichentür. Seine Frau hatte die Riegel davor weg gezogen, doch in ihren Zustand konnte sie sie unmöglich aufmachen. Carry war im siebten Monat schwanger und selbst das Laufen viel ihr schwer.
Patrick hatte in seinen Armen zwei große Papiertüten mit Lebensmitteln und sein Gewehr. Milch, eisenhaltige Nahrung und sogar Folsäure hatten sie ihm für seine Kredite gegeben. Er stellte die Tüten auf den kargen Tisch, auf dem für ihn eine Sojasuppe mit Maisbrot wartete.
Auf der gegenüberliegenden Seite leuchtete die kleine, rote Lampe auf, die ihn darauf aufmerksam machte, dass er sein Gewehr zurück in die Halterung zulegen hatte. Er ignorierte sie und nach einer Minute meldete sich die Computerstimme: „Bitte die Waffe an ihrem Platz!“
Patrick schlurfte gemächlich zur Halterung. Sie ließen es nicht zu, dass irgendjemand betrügen könnte. Die Sensoren waren so eingestellt dass sie jeden Betrugsversuch, sofort aufdeckten. Er drückte den Knopf neben der Halterung und sprach in das intrigierte Mikrophon : „Bitte meine Frau ist schwanger! Ich muss sie schützen!“
„Die Regeln sehen dies nicht vor!“ War die kalte Antwort der Maschine, die irgendwo im Zentrum Londons beheimatet war.
„Bitte wir bekommen ein Kind!“
„Kinder haben keinen geschützten Status! Genauso wenig wie Schwangere!“
„Aber...“
„Kein Aber Bürger! Die Regeln stehen seit Jahren fest! Legen Sie die Waffe an ihren Platz!“
Widerwillig machte Patrick das Gewehr an die Bolzen fest. Ein Surren und das Gewehr verschwand in der Wand. Frustriert marschierte der rothaarige Mann zurück zum Tisch und setzte sich vor seine lauwarme Suppe. Das Brot war knusprig und die Brühe war salzig, doch beides machte satt. Carry brauchte nun alle Vitamine. Die blonde Frau löste gerade eine Eisentablette in dem Wasser auf. „Du hast Blut im Gesicht!“
„Wasch ich mir gleich weg. Ich hab so einen Hunger Schatz.“
„Wie viele waren es heute?“ fragte sie mit gebrochener Stimme.
„Sechsunddreißig“ schnaubte Pat. „Ich denke zwölf aus Afrika, drei aus Sri Lanka, vier vielleicht aus Bangladesh, der Rest von den Inseln, vielleicht Jamaika? Es wären aber mehr geworden, wenn mich dieses verdammte Schlitzauge nicht beschissen hätte. Zwei Komplette Familien mit einer illegalen Uzi vor meinen Augen. Aber ich halte mich nicht an die Regeln!? Fuck! Als die Kanaken dran waren, wäre ich fast drauf gegangen, weil diese Wichser überall Knarren verstecken. Doch ich darf meine Frau nicht beschützen? Ich kann nicht noch ein Kind verlieren, geschweige denn eine Frau!“
Sie griff nach seiner freien Hand und streichelte sie. „Und wie viele Kinder?“
„Vier! Du weiß ich hasse es, aber sie sind mir quasi vor die Mündung gelaufen. Ich....möge Gott mir verzeihen!“
„Du machst die Gesetze nicht Liebling! Es...“
„Gott sollte das Gesetz sein! 'Du sollst nicht töten!' Da steht 'Du sollst nicht töten!' , aber was machen wir? Wir bringen uns gegenseitig um! Im Namen des Gesetzes!“
„Hör zu! Wir werden weiterhin Glück haben.“
„Schatz es sind nicht mehr viele zur Auswahl. Vor vier Jahren waren es die Schlitzaugen, letztes Jahr waren es die Nigger, davor Inder und Latinos. Es sind nur noch wir und die Südländer im Topf...“
„Du vergisst den skandinavischen Typ...“ warf Carry ein.
„Die machen doch die Gesetze. Die werden sich nicht selbst dezimieren!“ Er löffelte die Suppe leer und nahm die Flasche Draft mit zu der zerschlissen Couch.
Als Carry sich neben ihn setzte knarrten die Federn in dem alten Sofa laut. Sie tätschelte sein Knie und machte den TV-Sender an. Das staatliche Fernsehen zeigte Bilder von den Jagden. Die Kameras hielten auf das Geschehen wie seelenlose Ungeheuer. Pat lief kurz durch das Bild, als sie Aufnahmen von London zeigten. Nur wenige der Gejagten fügten sich in ihr Schicksal und ließen sich von einem sauberen Genickschuss töten, die meisten rannten um ihr Leben und nicht wenige versuchten ihre Häscher zu töten. Die Gefahr bestand immer, trotz der Regeln.
Die Menschen, die in diesem Jahr sterben mussten würden in vier Stunden ermittelt werden. Die größte Show im Jahr, war die Auslosung des nächsten ethnischen Opfers.
Auf dem Bildschirm waren eine Gruppe von Türken, Iren und Vietnamesen zusehen, die wahrlos Schwarze nieder schossen. Blut spritzte gegen die Linsen der Kameras und verzerrte die Bilder. Dabei fiel Pat ein, dass er noch mit Blut eines Jungen besudelt war. Er stand auf und ging ins Bad.
Die nackte Glühlampe zeigte sein weißes Gesicht in dem milchigen Spiegel und der ausgemergelte Mann sah sich aus toten Augen an. Er hatte etwas von einem Zombie, aber nichts menschliches mehr an sich. Und eigentlich war er auch nicht mehr als ein Zombie. Er musste Menschen töten, um selbst leben zu können. Für zehn Menschenleben gab es einen Kredit. Mit drei Krediten waren Carry und er für einen Tag satt. Es war ein Segen für sie, dachte er sarkastisch, dass die Schwarzen dran waren. Von ihnen gab es genug, genau wie von den Kanaken. Sie vermehrten sich in den Megacitys und dies war auch der Grund, dass die Obigen die Regeln entwarfen. Nur so konnte der Explosion der Menschen entgegen gewirkt werden.
Die Spiele wie sie die Gesetzgeber nannten kamen aus den USA. Nach dem die Weltbevölkerung nicht mehr von der Erde ernährt werden konnte, überlegten sich die Mächtigen, wie man die Bevölkerungsexplosion eindämmen könnte. Im ersten Jahr traf es die Urvölker, im zweiten die Juden.
Die Europäer, vor allem das britische Königreich übernahm die Regeln und das Abschlachten begann. Zuerst wurden jeden Monat die Ethnien ausgetauscht, dann überlegten sie sich das ganze auf ein Jahr zu verlängern. Es kam einer Ausrottung gleich. Als im vergangen Jahr die Schwarzen ausgerufen wurden, da schoss man an einem Tag gut dreihundert von ihnen. Mittlerweile schaffte man, wenn man gut war knapp fünfzig. Doch Menschen erwehren sich ihrer Haut und in den Megacitys wie London gibt es genügend Möglichkeiten unterzutauchen.
Je weniger Menschen einer Art, um so gefährlicher ihre Jagd. Und dann feindliches Feuer.
Pat lag fast zwei Monate im Krankenhaus, weil ihm ein Afghane in die Hüfte schoss. Verdammte Kanaken!
Und jetzt hing das Damoklesschwert über seinem irischen Kopf. Sein Sohn und seine erste Frau waren bei den monatlichen „Spielen“ umgekommen. Und jetzt? Da er eine neue Familie hatte, war diese von der heutigen Fernsehshow bedroht und er konnte sie nicht beschützen, weil an jedem Ende der Jagdsession die Waffen eingesammelt wurden.
Er wusch sich das getrocknete Blut von der Wange und überlegte was er machen würde, wenn doch der skandinavische Typ dran wäre. Carry war zwar Irin, aber sie war durch die Vermischung im 20. Jahrhundert beiden Volksstämmen zu zuordnen. Er konnte sie unmöglich töten, also mussten sie die Sicherheit der Wohnung verstärken. Er konnte nicht so häufig raus um zu jagen. Vielleicht würden sie verhungern?
Er ging zurück in den Livingroom und setzte sich wieder neben seine Frau und trank das Draft.
Es kamen noch zwei Reportagen. Eine zeigte, wie die Staaten der Erde daran arbeiteten mit Hilfe der Genforschung Nahrung herzustellen, die andere berichtete, dass die Menschheit noch zwei Jahre vor der ersten Marsreise standen. Vielleicht gab es ja zwischen den Sternen Hoffnung?
Dann kam der große Auftritt von Mr Howard Bernstein. Wie zu den Zeiten, als die Menschen noch vor den großen Lottoshows sich die Nase platt drückten, so saßen an diesem Abend Milliarden im British Kingdom vor ihren Plasmabildschirmen und warteten auf die nächste Jagdzeit.
Die Bilder der letzten drei Volksgruppen, die noch nicht bejagt wurden waren auf einem überdimensionalen Rouletterad geklebt und Bernstein warf die Kugel.
Pat fragte sich, ob er Spanier und Italiener töten konnte, schließlich waren sie wie er katholisch. Mit Türken, die für ihn zu den Kanaken zählten, hatte er keine Probleme, genauso wenig wie mit den Niggern. Aber er betete, dass es nicht der blonde Typ sein würde und schon gar kein Ire. Da blieben ja nur noch die Südeuropäer. Ja, es musste sie treffen! Von ihnen lebten noch eine Unzahl in den überfluteten Straßen Altlondons. Sie mussten es einfach sein. Er hatte doch eine Frau und bald wieder ein Kind....
Die Kugel holperte über die Kammern, wurde langsamer und blieb dann stehen.
„Der irische Typ!“ rief Bernstein.
„Fuck!“ schnaufte Patrick O'Brian.
Carry O'Brian griff unter ihr Schwangerschaftskleid und eine kleine Pistole lag in ihrer Hand. Die Mündung berührte ganz sanft Patricks Schläfe, als der Schuss sein Hirn über das schäbige Sofa verteilte.
Iren waren nicht so leicht auszumachen wie Nigger, aber mit ein wenig Glück bekam sie heute noch dreißig zusammen. Schließlich hatte sie ein Kind, um das sie sich kümmern musste.
Das Gewehr schob sich surrend aus der Wand. Schwerfällig stand die blonde Frau von der Couch auf.

Impressum

Texte: All Rights by Michael Masomi 2008
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Philip K. Dick, H.G. Wells und Jules Vernes die in ihren Tagen die Zukunft spinnten, in der wir heute zum Teil leben. Visionen werden zur Wirklichkeit

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