Cover

Die Sonne kitzelte Moritz an der Nase.
Grunzend drehte er sich zur Seite, es war eindeutig zu früh um aufzustehen.
Sein kleines, rundes Zimmer wurde immer heller und bald sah er das Licht durch seine geschlossenen Lieder. Nur noch ein bisschen. Ein bisschen Schlaf, wünschte er sich.
„Momo!“ Ein Schlag ließ ihn aufschrecken und ein plötzliches Gewicht drückte sich auf seine Decke.
Das Gewicht sprang auf und ab und schüttelte Moritz durch.
„Man, Jenny. Hau ab.“ Moritz war genervt aber rappelte sich auf, da Jenny nicht daran dachte aufzuhören. „Jen-Jen soll Momo wecken!“ „Ja ist ja gut.“ Moritz packte Jenny, hob sie hoch und stellte sie vor sein Bett.
„Und jetzt geh weg.“
Jenny hüpfte vor seinem Bett auf und ab und lachte.
„Momo, komm schon!“
„Man!“
Moritz strich seine Haare aus dem Gesicht und rieb sich die Augen.
Ob er früher auch immer so ein Theater gemacht hatte? Es war doch nur Neuland-Tag.
Er ließ sich von Jenny aus dem Zimmer ziehen und ließ sich auf die Eckbank fallen.
„Guten Morgen, Schätzchen. Willst du Eier?“
„Mit Speck?“
„Natürlich.“
Moritz Mutter war eine ründliche, in seinen Augen viel zu fürsorgliche Frau.
„Und mein kleines Jen-Jen?“ Sie beugte sich hinab und kniff Jenny in die Backe.
„Mom, sie heißt Jenny.“
„Momo ist so ein Spielverderber, nicht wahr Jen-Jen?“
Moritz rollte mit den Augen
„Warum seid ihr jedes Jahr aufs Neue so hibbelig? Ihr müsstet doch alles schon auswendig kennen was heute passiert!“
Moritz Mutter wandte sich von Jenny ab und sah ihn ernst an.
„Moritz, der Tag ist unser wichtigster Feiertag und du musst lernen, ihn zu ehren! Außerdem ist er vor allem für dich heute speziell! Und nun iss deine Eier, wir wollen bald los!“
Während Moritz seine Eier verspeiste und Jenny ihr Müsli aß, packte ihre Mutter Klamotten aus dem Kleiderschrank aus.
Als Moritz sah, was seine Mutter hinaus holte, fiel ihm die Gabel auf den Teller.
„Nwein Momf!“, rief er mit vollem Mund. „Bitmme Nichtf!“
Seine Mutter wurde rot aber ließ sich nicht stören. Sie glättete die Klamotten und legte sie gefaltet auf einen Stuhl.
Moritz seufzte. Ihm blieb heute gar nichts erspart.
Eine halbe Stunde später stand seine Mutter ganz in hellgrün vor ihm und überredete ihn heftig, seinen hellgrünen Anzug anzuziehen.
„Nein Mom.“
„Jeder zieht das heute an, du wirst kaum auffallen!“
„Es ist peinlich, ich will normal rumlaufen!“
„Jen-Jen ist auch grün!“
„Sie ist ja auch erst Fünf!“
„Ja und? Du bist elf und du wirst das jetzt anziehen!“
Sie rangelten einen Augenblick miteinander, dann gab seine Mutter stöhnend auf.
„Verflixte Jugendliche!“
Moritz rannte ins Bad und schloss sich ein um sich fertig zu machen.
Während er sich die Haare absichtlich verwuschelte, kam ein wenig Glitzer unter der Tür hindurch.
Es wäre ihm gar nicht aufgefallen, wenn nicht gerade die Sonne dorthin geschienen hätte.
Oh nein, dachte er sich.
Die Sonne verschwand hinter einer Wolke und das Glitzern mit ihr.
Oh, oh, dachte Moritz sich noch einmal.
Er wich zur Seite und kletterte auf den Badewannenrand.
Nach einem kurzen Augenblick wusste er, dass es nichts nützte.
An seinen Handgelenken formten sich kleine, grüne Armreifen und kurze Zeit später hatte er einen grünen Hut auf.
Er sah in den Spiegel und riss ihn sich vom Kopf.
Dann schloss er wütend die Badezimmertüre auf und lief ins Wohnzimmer.
„Mom! Hör auf mich zu zwingen! Die Armreifen ok, aber nicht so ein dämlicher, grüner Hut!“
„Wenn du dich nun einmal so stur stellst, muss ich halt Zauberei anwenden. Für die sind Türen und Dickköpfe nun einmal kein Hindernis!“
Moritz warf den Hut weg, der sich im Fluge zu Glitzerstaub verteilte.
„Ui, schön!“, rief Jenny, „Nochmal, nochmal!“
„Nichts da, noch mal.“, grummelte Moritz.
Er ging in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett.
Blöde Zauberei. Er würde heute eh nicht ausgewählt werden. Noch nie hatte er ausversehen gezaubert oder hatte etwas Derartiges erlebt.
Warscheinlich waren diese Kräfte direkt über ihn drüber gesprungen zu Jenny.
Und wenn er nicht mit Seth und Jacky mitkommen konnte, dann würde er auch noch seine Freunde verlieren.
Er hatte wirklich überhaupt keine Lust auf dieses Fest zu gehen und sich vor allen Leuten zu blamieren.

Zehn Minuten später reif seine Mutter und er stand wiederwillig auf.
Moritz Levers, ein Junge der bereit war, sich zu blamieren. Der normal blieb unter all seinen Freunden die nicht normal waren. Der ein normales Handwerk erlernen musste und zum Gespött der Familie wurde. Noch nie hatte es in seiner Familie keinen Zauberer oder keine Hexe gegeben. Und es war ja nicht so, dass er nicht wollte. Er spürte nur keine Kraft, die alle anderen schon eher gespürt hatten. Er erlebte keine komischen Ereignisse oder Taten. Es musste so sein, er hatte keine Kräfte.
Und heute würde es das ganze Dorf erfahren.
Na ganz klasse.
Er folgte seiner Mutter und Jenny zur Türe hinaus und ließ sie mit einem letzten Seufzer zufallen.

Neuland-Tag

„Mo! Hier her!“ Jacky sprang auf und ab und winkte ihn zu sich herüber.
Seth stand gutgelaunt neben Jacky und grinste ihn an.
Immer noch schlecht gelaunt ließ er seine Mutter und Jenny stehen und ging zu seinen Freunden hinüber.
„Hi.“
„Oje, was ist denn mit dir los?“
„Nichts.“
„Klar, ich merke doch, dass etwas los ist.“
Moritz sah Jacky genervt an. Ihre hellbraunen Haare hatte sie sich zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden und hielt den Pony mit einem Haarreifen zurück. Ihre braunen Augen sahen ihn besorgt an.
„Sag schon.“
„Man Jacky, jetzt lass Mo doch mal gehen.“
Jacky schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust.
Mo sah Seth dankbar an. Sein Freund war ein blonder Junge mit braunen Augen. Seine Haare waren kurz und ungemacht. Seth lief immer so herum, wie kurz nach dem Aufstehen. Auch seine Art war dementsprechend genauso locker, im Gegensatz zu Jackys. Sie bemerkte immer sofort alles und machte sich gleich Sorgen.
Einen Augenblick lang schwiegen sich die drei Freunde an, doch dann krisch Jacky auf:
„Es geht los!“ Sie sprang in die Luft und jubelte. Das ganze Dorf tat es mit ihr. Selbst Seth klatschte.
Doch Moritz war nicht zum Klatschen zumute.
Ein alter Mann mit langem, grauen Bart und ganz in hellgrün gekleidet, stieg auf ein Podest und hielt die Hände nach oben, als Zeichen seiner Dankbarkeit und seiner Begrüßung.
Die Jubelschreie wurden langsam weniger und der alte Mann rief:
„Seid herzlich Willkommen! Und einen schönen Neuland-Tag!“
Die Menge krisch und klatschte. Einige Pfiffen.
„Was ist Neuland-Tag? Nun, das werde ich, Olaf Shan Gidmore, gleich erläutern.
Aber davor, lasst uns die preisen, die dafür verantwortlich waren, dass wir heute so leben, wie wir leben!“
Die Menge wurde still.
Und Gidmore setzte an:
„Danket, all jenen.“
Und die Menge fiel ein:
„Danket all jenen,
die bereit waren ihr Leben zu opfern.
Das sie hatten und haben sollten.
Danket all jenen, die Neuland dazu sagten und daran glaubten.
Danket all jenen, die an Geister und Zauberei glaubten.
Und danket all jenen,
die es geschafft haben,
und zu erretten.
Danke. Dafür, dass wir so leben können wie in diesem Augenblick.
Danke.

Einen kurzen Moment blieb es still, dann brach ein Tumult aus. Die Menge applaudierte und pfiff. Jubelnd und schreiend wurden mehrere Namen hintereinander gerufen.
„Amos!“
„Lucia!“
„David!“
„Celine!“
„Evan!“
Immer und immer wieder.

„Unsere Vorfahren,“ rief Gidmore über die Menge hinweg, „Amos, Lucia, David, Celine und Evan.
Diese Fünf, haben erreicht, was wir sind.“ Er riss die Arme nach oben und Rauch stieg auf.
Er schien lila, pink und grau und glitzerte. In ihm, nahm etwas Gestalt an.
Und die Bilder formten sich zu seinen Worten.
„Vor vielen Jahren, man schrieb das Jahr 1805, hatten unsere Fünf einen Traum.“
Fünf gestalten wanderten im Nebel umher.
„Sie besaßen Kräfte, so stark und so mächtig, wie kein anderer Mensch zuvor.“
Die fünf Menschen ließen Glitzer regnen und sprühen.
„Die Menschen damals, glaubten nicht an Zauberei. Sie verfolgten uns mit Feuer und Speeren.“
Die Fünf Gestalten flüchteten nun vor einer Menschenmenge.
„Doch unsere Fünf, wollten ihre Kräfte nicht verstecken. Und so ließen sie sich fangen,“
Das Bild veränderte sich, es blieb plötzlich stehen und die fünf Gestalten standen nebeneinander in einer Reihe.
„und wurden qualvoll verbrannt.“
Die Fünf Menschen wurden von zingelnden Flammen umwoben und die Menge krisch, so eindrucksvoll war dieses Bild.
„Doch wären die Menschen nicht so dumm und siegestrunken gewesen, hätten sie gemerkt, dass Ihresgleichen dort oben schmorte. Unsere Fünf, waren von dort an tot. Tot in den Augen dessen, die auch die Zauberei für tot hielten.
Amos, der mächtigste von allen Fünf, ließ die Erde erzittern. Und schwarze Nacht legte sich um unsere Vorfahren.“
Gidmore ließ die Erde wackeln und es dunkler werden. Nun sah man nur noch den wabernden Rauch über Gidmore. Die Menge hielt die Luft an.
„Und als die Sonne wieder aufging, waren die Fünf in einem Tal, was sie Neuland nannten. Ein Gebiet, nur für Ihresgleichen, ohne normale Menschen. Hier konnten sie leben und zaubern. Und das Tal, welches sie für sich einnahmen, nahmen sie in diesem Moment auch für uns ein! Für uns, ganze 204 Jahre später!“
Das Bild zeigte nun ein giftgrünes Tal und fünf Menschen die zauberten. Sie ließen Raketen los und sprühten Funken. Die Menge tobte.
„Und nun, lasset uns diese von uns auswählen, die seit ihrer Geburt an auserwählt waren, in die Fußstapfen unserer großen Fünf Gründer zu treten. Neue Gesichter, neue Menschen, die wir lehren wollen, die große Kunst des Zauberns. Und die uns lehren wollen, was neu und modern ist.
Tretet vor!“
Die Menge applaudierte und an manchen Stellen setzten sich Leute in Bewegung.
Diese Leute waren noch kleiner als die Erwachsenen um sie herum. Sie waren Elf- und Zwölfjährige, die sich auf den Weg zu Gidmore machten.
Manche Siegessicher, manche Verschüchtert.
Moritz wollte eigentlich gar nicht gehen. Doch er sah Jackys vor Aufregung glühendes Gesicht und Seth strahlen. Es war ihr Moment und würde er nicht mitgehen, so würden sie auch nicht gehen.
Nein, er wollte ihnen den großen Tag nicht kaputt machen. Und so ließ er sich von Jacky mitziehen und stieg mit ihnen zusammen auf das Podest. Als auch die Letzten oben waren, wurde es wieder still.
Gidmore breitete die Arme aus, als wolle er alle Anwesenden umarmen.
„Willkommen, meine Söhne und Töchter!“
Die Menge applaudierte. Zwischendurch riefen Geschwister oder Eltern die Namen ihrer Kinder.
„Welche von euch, spürten schon immer das Feuer des Zaubers in sich? Tretet vor!“
Jacky und Seth traten mit vielen anderen entschlossen vor. Mo jedoch war einer von den Wenigen, die Zurück blieben.
Als Jacky dies bemerkte, drehte sie sich um und sah Mo enttäuscht an. „Mo?“, formten ihre Lippen.
Doch er schüttelte nur den Kopf und lächelte sie gezwungen an.
Jacky drehte sich wieder um, da Gidmore wieder anfing zu reden.
„Nun, wie heißt du mein Lieber?“ Er sprach einen stämmigen Jungen an, der ganz vorne stand.
„Jason Ping.“
„Nun Jason, erzähl uns von deinem Feuer. Wie hast du es gespürt?“
Jason schwellte die Brust und erzählte: „Meine kleine Schwester ist aus dem Fenster gefallen. Ich konnte sie mit den Händen nicht mehr greifen, aber ihr ist nichts passiert. Wie aus dem Nichts hat sie mitten im Flug abgebremst und ich spürte einen Druck in mir. Sobald meine Schwester sicher gelandet war, verschwand der Druck.“
„Beeindruckend! Sehr beeindruckend! Geh bitte hier herüber.“
Er wies auf eine Stuhlgruppe hinter dem Podest. Jason folgte der Richtung, die Gidmore gewiesen hatte und nahm Platz.
„Jacky meine Liebe. Natürlich kenne ich dich schon. Ein wahres Naturtalent. Hast du deine Fähigkeiten für dich behalten, wie wir es besprochen hatten?“
„Ja, Sir.“ Jacky trat entschlossen vor. Ein Raunen ging durch die Menge und Mo riss die Augen auf. Eine Gabe? Jacky? Nur die Wenigsten hatten eine Gabe. Es kam eigentlich so gut wie nie vor.
„Nun ist die Zeit gekommen, anderen zu erzählen, was du besitzt. Lass sie teil haben.“
Jacky schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch.
Immer noch mit geschlossenen Augen fing sie langsam zu erzählen an.
„Es geschieht schon, seit ich mich erinnern kann. Ich spürte damals jedes Gefühl so intensiv, dass ich dachte, ich würde innerlich verbrennen, wenn ich wütend war. Oder bei Freude dachte ich, ich würde platzen. Damals ging ich zu Olaf Shan Gidmore, in Gewissheit, dass mit mir etwas nicht stimmte. Doch er erkannte mehr. Etwas viel Wertvolleres.“ Bei ihren letzten Worten riss Jacky die Augen auf und sah aus, als wäre sie in Trance.
„Auch jetzt spüre ich es. Ich freue mich so. So sehr, dass ihr es euch nicht vorstellen mögt.“ Sie schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken. „Ich freue mich so sehr, dass ich abheben könnte...“ Und vor allen Augen der Menschen vor ihr, hob Jacky tatsächlich ab.
Die Menge raunte, manche schrien. Manche klatschten Beifall.
„Es ist nicht das, was ihr seht,“ sagte Gidmore. „Sie ist in einer Art Trance. Seht ihre Augen…“ Mo erkannte, dass Jackys Augen wieder geöffnet waren und gen Himmel blickten.
„Sie ist bei Bewusstsein, und doch noch so viel mehr. Sie hat die Gabe, dass was sie fühlt, tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen. Und nicht nur das. Sie fühlt die Emotionen von euch allen hier. Kann sie selbst fremden Personen zuordnen.“ Gidmore legte kurz eine Pause ein.
„Jacky?“ Er berührte sie kurz an der Hand.
Jacky schwebte herab und landete, sanft wie eine Elfe, wieder auf dem Podest.
„Bitte zeige uns, was ich gerade erklärt habe.“
„Ja.“ Sie ging auf die Schülerreihen zu und blieb vor Mo stehen.
Ihr Blick wurde klar und ihre Augen tiefschwarz. Sie hob ihre zierlichen Hände und strich vor Mos Gesicht eine unsichtbare Wand ab.
Dann fing sie an zu sprechen, doch es war wieder die gleiche, andere, helle und klare Stimme, die sie eben schon benutzt hatte, als sie ihre Gefühle beschrieben hatte.
„Ich spüre eine tiefe Ungewissheit. Spüre Angst und Zweifel. Du denkst, du bist nicht der Richtige. Du hast Angst, es nicht zu schaffen. Es nicht zu können.“
Mo konnte kaum den Blick von Jackys veränderten Augen abwenden. Sie schienen sich auf der einen Seite in ihn zu bohren, jedoch auf der anderen Seite so sanft ihn anblicken, als ob er ein kleines, zerbrechliches Baby wäre.
Sie schwieg kurz, dann sprach sie weiter.
„Doch so ist es nicht. Sieh in dich hinein. Höre auf das, was aus dir spricht. Du bist zu mehr fähig als du denkst. Deine Kraft will hinaus, ich spüre sie gegen deine Angst kämpfen.“
Ihre Augen waren jetzt nicht mehr in dem Trancezustand, sondern wurden weicher und wieder brauner. Jacky sah ihn halb gequält, halb aufmunternd an. Dann flüsterte sie: „Mo.“ Und legte ihre Hand auf seine Brust.
„Du hast ein schweres Los gezogen. Doch ich habe dich auserwählt. Ich habe es immer gespürt. Du besitzt eine Kraft, so rein und stark, wie kein Anderer hier. Sie schreit mich aus deinem Innern förmlich an. Du musst sie befreien.“
Ihre Hand glitt von seiner Brust ab und Mo starrte sie entsetzt an.
Unfähig etwas zu sagen war er froh, dass Gidmore das Wort ergriff.
„Meine Freunde. Nun konntet ihr sehen, welch wunderbare Gabe das Mädchen vor euren Augen besitzt. Sie schaut euch in die Seele, spürt Negatives wie Positives auf. Sie weiß von Gefühlen, von denen ihr bisher noch nichts wusstet. Und sie spürte etwas Großes und Mächtiges, als sie diesen jungen Mann hier traf.“
Mo dachte an den Tag, an dem er Jacky traf. Er war acht Jahre alt gewesen und spielte draußen vor dem Haus mit Seth. Als Jacky kam und mitspielen wollte, lehnten sie sie ab, da sie Mädchen in dem Alter doof fanden. Doch Jacky war so penetrant gewesen, war ihnen gefolgt und hatte sie immer besucht, bis sie sie irgendwann akzeptiert hatten. Nun fiel bei ihm der Groschen, warum.
Gidmore packte Mo an der Schulter und zog ihn zu sich. Dann drehte er ihn so, dass er die Menge ansehen musste.
„Junger Freund. Du sagst, du spürtest bis zum heutigen Tag kein Feuer in dir?“
„Nein.“ Mo schüttelte den Kopf. Was hatte das alles hier zu bedeuten?
„Nun, dies ist nicht ungewöhnlich. Die stärksten Mächte kommen oft erst später zum Vorschein.
Doch ich will dir erklären, was du bist.“
Gidmore drehte Mo zu sich herum und starrte ihm in die Augen.
„Du bist ein Krieger. Doch kein gewöhnlicher, wie du kennst und denkst. Nein, du bist ein Kopfkrieger. Lass Taten, Erfolge und Strategien in deinem Kopf erblühen und du wirst sehen, dass sie sich bewahrheiten werden. Blicke in die Köpfe anderer und du wirst erfahren, was du brauchst. Gestärkt durch zwei Gefährten, wirst du deinen Weg finden und uns alle erlösen, von allem Schrecken was uns bevorstehen tut. Eine Seherin, die euch besser kennen wird, als ihr es jeh tun werdet. Und einen treuen Weggefährten, der gleichsam Beschützer und Freund ist.“
Mos Gehirn ratterte. Dies musste ein Traum sein. Unmöglich konnte dies wahr sein.
Eine Seherin? Jacky? Und einen was? Einen Gefährten der gleichsam Beschützer und Freund war? Aber das konnte doch nur…?“ Mo sah zu Seth herüber. Dieser grinste ihn an und zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: „Konnte es dir bis jetzt leider nicht erzählen, tut mir Leid man.“
Er ging auf Seth zu. „Was soll das bedeuten, Beschützer?“
Seth sah zu Gidmore hinüber, dieser nickte kaum merklich. Dann verschwamm Seth für einen Augenblick und kurz darauf stand an seiner Stelle ein riesenhafter Hund, so groß wie ein kleineres Pferd. Er war schwarz und zottelig und hechelte ihn fröhlich an. Dann, ohne Vorwarnung, schleckte er Mo über sein erschrockenes Gesicht und bellte einmal laut auf. Die Menge lachte, doch Mo war immer noch erstarrt.
Nein, ganz sicher, dies musste ein Traum sein.
Doch Jacky nahm seine Hand und flüsterte ihm ins Ohr: „ Es ist real. Wir werden auf die Zaubererschule gehen und ausgebildet werden. Deine Kräfte werden irgendwann austreten, glaub mir.“
„Ich denke,“ sagte Gidmore schließlich, „Mo hat für heute genug erfahren. Bitte, geht zusammen zu Jason und setzt euch.“
Seth verwandelte sich zurück und grinste Mo an.
„Blödmann!“, sagte Mo und schubste Seth kumpelhaft. „Mir einfach so übers Gesicht zu lecken!“
Seth lachte lauf auf und nahm auf einem Stuhl Platz. „Sei nett zu mir, schließlich muss ich dich doch beschützen!“
Mo und Jacky setzten sich auch.
„Wie lang wisst ihr davon schon?“
„Naja, bei mir weißt du es ja.“, sagte Jacky.
„Naja und ich….also, es war nicht von Anfang an so. Jacky hatte dich entdeckt und es Gidmore gesagt. Es war von Anfang an klar, dass du einen Beschützer brauchtest. Naja, mit Acht kann man dass noch nicht entscheiden, aber mit zehn Jahren habe ich mein Ok gegeben“, erklärte Seth.
„Wie dein Ok? Zu was?“
„Naja, Gidmore hat mir diese Gabe übermittelt. Ich wurde zu einem Gestaltenwandler und zu deinem engsten Kameraden. Egal was geschehen wird, ich werde immer zu dir halten, es mit dir durchstehen und dich vor Gefahren schützen.“
„Du willst mich vor Gefahren schützen? Was soll das heißen?“
„Man Mo, das heißt dass ich mich egal wann immer vor dich schmeißen würde, wenn du angegriffen wirst. Das ich mein Leben für dich auf das Spiel setzen würde. Das musste ich schwören.“
Mo war entsetzt. Seth konnte doch sein Leben nicht für ihn aufs Spiel setzen! Er war doch nur ein gewöhnlicher Junge. Nichts Besonderes wie Jacky. Oder Seth. Ein leichtes Grummeln machte sich in seinem Magen breit. Ein bisschen sauer war er schon, dass beide seiner Freunde eine Gabe hatten. Natürlich, anscheinend besaß er auch eine. Aber wann würde er sie bemerken? In zwanzig Jahren? Er wollte jetzt auch schon eine Gabe haben, auch besonders sein.
„Tut uns übrigens Leid, dass wir das alles so verheimlichen mussten bis heute.“ Jacky strich ihm fürsorglich die Haare aus dem Gesicht. „Ich habe als gespürt, wie elend dir zumute war, doch wir durften nicht. Wir mussten ein Versprechen abgeben.“
„Ja man, tut uns wirklich leid. Es war ganz schön schwer, das alles vor dir geheim zu halten. Besonders für Jacky. Sie musste ja immer so tun als wüsste sie nicht genau was in dir vorgeht.“
„Na toll. Also hat man vor dir keine Geheimnisse?“
Jacky lachte. „Natürlich. Aber ich spüre sofort wenn du etwas geheim hältst. Ich weiß nur nicht was.“
„Wenigstens etwas.“
Die drei hörten noch weiter zu wie es immer mehr angehende Zauberer wurden und beklatschten diese kräftig.
Ein besonders aufgeregtes Mädchen kam zu ihnen herüber.
„Wow. Ihr seid es also. Mein Urgroßvater hat schon so etwas angedeutet. Und jetzt weiß ich was er gemeint hat.“
„Ach ja? Was denn?“, fragte Seth gelangweilt.
„Na dass ihr besonders seid! Das es sozusagen-„ und ihre Stimmte sengte sich geheimnistuerisch- „naja, dass ihr sozusagen die Elite seid.“ Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand, schaute aber so, als ob sie das alles ernst meinte.
Seth lachte sich schlapp. „Die Elite? Du spinnst doch!“
Das Mädchen sah in gekränkt aus. „Vielleicht seid ihr doch nicht so toll wie alle sagen.“
Und sie stampfte mit hüpfenden blonden Locken davon.
„Was war dass denn für eine komische Kuh?“, fragte Jacky.
„Eine komische Kuh? Seit wann redest du so über Leute?“ Mo klappte der Mund auf. Jacky war sonst höflich und freundlich. Das kannte er gar nicht von ihr.
Jacky verdrehte die Augen. „Gott sei Dank kann ich euch jetzt immer einweihen. Naja, sie hat gehofft dass wir sie bei uns aufnehmen und naja…. Sie steht auf Mo. Aber auf eine ganz hinterhältige Weise. Sie will auch berühmt und bewundert werden. Und bei wem könnte sie das besser als bei uns?“
„Sie steht auf Mo?“, Seth sah sie verdattert an.
„Ist das so unfassbar? Er wird noch mehr Anhängerinnen bekommen. Er ist jetzt ein guter Fang.“
„Könnt ihr jetzt vielleicht mal damit aufhören so über mich zu reden als ob ich ein blöder Gaul auf einem Auktionswagen wäre, der eh nichts davon versteht was ihr sagt?“
Jacky und Seth sahen betreten zu Boden.
„`Tschuldigung“, nuschelten sie beide.
Gidmore ging herum und verteilte Briefe.
Mo öffnete seinen und las:

Sehr geehrter Mr. Levers

Wir begrüßen Sie herzlich an unserer Zaubererschule.
Ihr erster Schultag beginnt morgen um 9:00 Uhr.
Da sie eine Gabe besitzen, werden sie nicht am gewöhnlichen Geschehen der Schule teilnehmen, daher ist ihr extra Klassenraum der A505.
Bitte finden sie sich pünktlich ein.

Mit freundlichen Grüßen,

Marietta Crashbourne
Schuldirektorin

„Ein extra Klassenraum?“ Mo sah von seinem Blatt auf.„Nicht im ernst.“
„Uh, ist das aufregend!“ Jacky strahlte vor Begeisterung. „Wir werden so viel mehr lernen und erfahren!“
„Gibt es noch mehr Leute mit einer Gabe?“ Seth sah sich um als könne er irgendwo jemanden Besonderen entdecken.
„Nein. Wir sind schon drei. Eigentlich gibt es nie mehr als einen mit einer Gabe pro Jahr. Manchmal auch gar keinen. Wir werden tatsächlich nur mit der Elite ausgebildet. Das Mädchen vorhin hatte recht. Oh Gott wenn ich daran denke was alles auf uns wartet! Erinnert ihr euch an den Jungen letztes Jahr? Der mit bloßem Blick etwas in Brand stecken konnte? Wie viel wir von ihm lernen werden! Ich bin gespannt was er jetzt noch alles kann!“
„Wie? Lernt er noch mehr Gaben?“ Mo sah begierig auf. Vielleicht konnte er ja eine lernen.
„Nein… Hörst du denn nie zu? Wir erweitern unsere Gaben nur.“
„Achso.“
„Was will man an mir erweitern? Ich mein, es ist ja nicht meine echte Gabe. Sie wurde mir nur aufgelegt. Und noch mehr als verwandeln kann ich mich nicht. Obwohl, vielleicht werde ich ja unsichtbar! Das wär cool!“ Seth sah verträumt in den Himmel. Warscheinlich stellte er sich gerade vor, wie er damit unzählige Streiche spielen könnte.
„Und was ist mit mir? Was soll ich denn sagen? Ich habe meine Gabe ja noch nicht mal. Was werd ich denn bloß lernen?“
Jacky machte große Augen. „Du wirst ganz viel lernen! Warscheinlich werden sie erst einmal versuchen deine Gabe heraus zu kitzeln. Und dann darauf immer weiter aufbauen.“
In Mos Kopf entstand ein Bild, in dem er am Boden lag und sich vor Lachen wälzte. Über ihm stand Gidmore und kitzelte ihn mit ein paar Helfern durch wobei er immer rief: „Entdecke deine Gabe! Entdecke deine Gabe!“ Mo schauderte es.

„So, wir sollten gehen. Unsere Familien brennen bestimmt schon darauf, mit uns zu feiern!“
Sie standen von ihren Sitzplätzen auf und reihten sich in die lange Schlange die von dem Podest runter führte ein. Mo sah sich in der Menge um. Etwas weiter hinter sich stand das Mädchen, dass sie vorhin angesprochen hatte. Sie lächelte ihm zu und winkte. Mo lächelte zurück.
Hübsch war sie ja…
„Oh man Mo!“ Jacky drehte sich genervt zu ihm um.
„Hast du nicht zugehört, was ich eben über sie gesagt hab?“
„Ähm..“
„Sie mag dich nur weil du berühmt sein wirst!“
Mo drehte den Kopf wieder zurück. Ja und? , dachte er sich.

Der erste Schultag

„Stell dich nicht so an!“
„Doch! Lass das!“
„Willst du so etwa zur Schule gehen?“
„Ja!“
Mos Mutter stöhnte auf. Sie stand mit einer Tube Gel und einer Bürste vor ihrem Sohn.
„Das du immer so verstrubbelte Haare haben musst! Das sieht unmöglich aus!“
„Sie sind nicht verstrubbelt! Sie sind einfach nur gekonnt gegelt!“
„Lass mich doch nur einmal richtig dran!“
„MOM! Wir haben eh keine Zeit mehr!“
Mo tauchte unter ihrem Arm hinweg durch und lief zur anderen Seite des Zimmers.
Dort packte er seinen fertig gepackten Koffer, zog seine Jacke an und ging zur Tür.
„Ok, du hast gewonnen. Aber verabschiede dich wenigstens von mir!“
Sie ging auf ihren Sohn zu, drückte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Sei schön brav, lerne viel und stell nichts Dummes an.“
„Ja Mom.“
„Bring dich nicht selbst in Gefahr und halte Ordnung!“
„Ja Mom.“
Endlich lies sie ihn los.
„Wir sehen uns Weihnachten.“
„Ja Mom.“
Sie sah ihren Sohn noch einmal stolz an.
„Du wirst ein guter Schüler sein, ich weiß es.“
Sie umarmte ihn noch einmal feste, dann schob sie ihn zur Türe hinaus.
„Beeil dich, sonst verpasst du die Abreise!“
„Tschüss Mom! Drück Jenny von mir!“
„Tu ich! Tschüss Mo! Sei brav!“
Mo drehte sich um und zog den Koffer hinter sich her. Könnte er nur schon zaubern, dachte er sich.
Fünf Minuten später kam er am Treffpunkt an und hielt nach seinen Freunden Ausschau.
Es war schwer die beiden ausfindig zu machen, da überall aufgeregte neue und alte Schüler herumliefen.
Jemand tippte ihm auf die Schulter.
Es war das blonde, lockige Mädchen von gestern.
„Hi. Suchst du jemanden?“
„Ja.“, sagte Mo knapp.
„Du kannst doch so lange mit mir hier warten, sie werden bestimmt irgendwann vorbei kommen.“
Sie grinste ihn an und zum ersten Mal sah Mo, dass sie hübsche hellblaue Augen hatte.
Er wunderte sich, dass sie ihm erst jetzt aufgefallen waren. Sie stachen aus ihrem Gesicht hervor und machten es mehr als komplett.
Völlig in ihren Bann gezogen blieb Mo bei ihr stehen und lächelte ebenso.

Ein lautes Seufzen kündigte Jacky und Seth an. „Oh man, Mo.“
Jacky packte ihn am Arm und zog ihn mit sich.
„Also wenn das erste, wovor ich dich beschützen muss, ein ganz normales Mädchen ist, tret ich aus!“
Seth sah genauso entnervt aus wie Jacky.
Jetzt, wo Mo nicht mehr in die blauen Augen des Mädchens gucken musste, kam ihm alles viel klarer vor.
„Ich wollte ja gar nicht...“, setzte er an, aber Jacky fiel ihm dazwischen.
„Ja Mo. Ich weiß. Sie besitzt eine klitzekleine Gabe, die aber zu klein und zu ungenau ist.
„Was?“ Damit hatte Mo jetzt nicht gerechnet. Sie waren doch die einzigen mit einer Gabe!
„Lass mich doch mal ausreden. Ihre Gabe- Leute zu ihrem Gunsten zu beeinflussen- ist nur minimal vorhanden und wirkt nicht bei jedem. Sie hat Glück, dass sie anscheinend auf dich wirkt.“
„Ist ja ätzend.“
„Ja Seth.“
Eine Weile standen sie schweigend beieinander. Dann ging ein Raunen durch die Menge.
Es ging los.
Mehrere Schüler zeigten mit ihren Fingern nach oben.
Aufgeregtes Getuschel war zu hören.
Mo sah nach oben. Riesige Kugeln schwebten zu ihnen herab, begleitet von kleinen, fliegenden Wesen. Die Kugeln wurden langsamer und ein Wesen kam auf die Schülermenge zugeflogen.
Nun, da es näher kam, konnte Mo sie endlich erkennen. Es war eine kleine Elfe, ihre Haut schimmerte blau-grünlich, sie hatte lange dünne Finger und Füße. Ihre Haare waren lang und hell und ihre Augen waren von einem ähnlichen hellblau, wie von dem Mädchen.
Die kleine Elfe hatte ein silbernes Kleid an und hinten am Rücken flatterten schnell, wie bei einem Kolibri, zwei kleine eisblaue Flügelchen.
Das Wesen öffnete den Mund und begann zu sprechen: „ Stellt euch bitte einzeln auf. Ihr müsst Platz haben um euch herum. Verteilt euch bitte.“
Die älteren Schüler hatten es von Anfang an aus Gewohnheit so gemacht. Bei den neuen Schülern gab es ein bisschen Chaos, doch dann standen sie alle etwas getrennt voneinander.
Mo war aufgeregt. Wie würden sie zur Schule kommen?
Die kleine Elfe schnippte mit den Fingern, und die Blasen setzen sich wieder in Bewegung.
Sie kamen näher und erinnerten Mo an riesige Seifenblasen. Sie waren durchsichtig aber schimmerten rosa und blau. Die Kugeln kamen immer näher, gleich würden sie auf ihre Köpfe fallen. Mo sah sich um. Die älteren Schüler hatten sich auf eine Erhöhung gestellt und kamen als erste mit den Blasen in Berührung. Sie setzen sich auf die Schüler drauf und schlossen sie ganz ein. War ein Schüler vollständig von der Blase umgeben, wurde sie automatisch schwarz. Nun konnte man nicht mehr hinein sehen. Die Blase hob ab und trug den Schüler mit sich fort.
Mo sah noch kurz wie Jackys Blase gerade ihre Füße umschloss, dann wurde auch ihre Blase schwarz.
Er sah nach oben um zu schauen, wann seine Blase endlich kam. Da bemerkte er, dass er schon halb in einer drin war.
Er hatte gedacht, es würde sich komisch anfühlen oder man würde es merken, wenn die Blase sich auf einen drückte und einen einschloss. Aber so war es nicht. Er konnte atmen und sehen, genau wie vorher auch. Er spürte die Blase nicht, er sah nur ab und zu das rosane oder blaue Glitzern um sich herum. Seine Blase schloss nun auch seine Beine und Füße mit ein und mit einem leisen Plop, stieg sie wieder nach oben und wurde dunkel.
Er wusste, dass seine Blase für andere schwarz war. Doch wenn man in ihr war, so sah es nur aus, als wäre ein dunkler Sonnenschutz auf die Blase gelegt worden. Er sah sich um, schaute unter sich und entdeckte, nun da er schon ziemlich weit empor geschwebt war, sein Haus. Er legte die Hände an die Blasenwand und drückte seine Nase dagegen. Seine Mutter stand vor dem Haus und winkte den Blasen zu. Er winkte auch, doch dann fiel ihm ein, dass sie ihn nicht sehen konnte.
Immer höher flogen die Blasen und rauschten schon bald über das Land hinweg.
Mo konnte den Blick nicht abwenden. Satte grüne Farben sprangen ihm ins Auge, kleine Dörfer und Urwälder. Große Tiere rannten unter ihnen, so klein wie Ameisen. Sie mussten wirklich hoch sein. Mo fragte sich gerade, wo die Schule eigentlich war, da schwebten die Blasen gerade durch die Wolkendecke. Er sah nichts außer weiß. Und als seine Blase endlich die Wolkendecke durchstieß, klappte ihm der Mund auf.
Über den Wolken war eine zweite Welt.
Ein großes Schloß stand dort, viele Seen und Wiesen. Es gab viele knorrige Bäume und überall flatterten kleine Elfen und Feen. Der Himmel war von einem satten Blau und die Sonne schien von oben hinab und tauchte alles in goldenes Licht.

Die Blasen schwebten dem riesigen Schloß entgegen, passierten ein goldenes Tor und verloren dann an Höhe. Auf einem weiten, grünen Feld wurden die Blasen wieder durchsichtig und setzten ihre Menschen behutsam wieder ab. Mo konnte gar nicht genug von allem sehen. Nun, da er gelandet war, sahen seine Augen noch viel mehr.
Er sah die Farben nicht mehr verdunkelt und das Licht der Sonne war nicht mehr golden, sondern hell gelb. Alles um ihn herum schien fröhlich und friedlich.
„Ist das nicht unglaublich?“ Mo zuckte kurz zusammen, als er Jackys Stimme direkt hinter sich hörte.
Ihre großen, braunen Augen sahen sich um, genau wie Seth. Alle neuen Schüler standen wie angewurzelt auf ihren Plätzen. Die Älteren gingen ihren gewohnten Weg, hinauf zum Schloß.
„Los, lasst uns endlich reingehen!“ Seth gab ihnen lachend einen Schubs und rannte dann den Älteren hinterher über die Wiese. Sein Rennen ähnelte eher an riesenhafte Sprünge und kurz darauf war nur noch ein gelb- brauner verwischter Fleck zu sehen.
„Er muss wirklich üben, dass in den Griff zu kriegen.“
„Was?“
Der verwischte gelb, braune Fleck wendete und rannte wieder auf sie zu. Zu schnell für ein gewöhnliches Auge.
„Die Verwandlungen. Er kann sich nicht immer einfach verwandeln wenn es ihm grad passt.“
Der Fleck kam so schnell auf sie zu, dass Mo dachte, er würde sie umrennen. Doch kurz vor ihnen blieb er stehen und er sah sich einem Leoparden gegenüber.
Er betrachtete ihn genauer und erkannte Seths Augen. „Seth?“
Der Leopard legte den Kopf schief. Dann zog er die Lefzen hoch, als würde er lachen und stupste ihn an. Jacky verdrehte die Augen. „Wer soll es sonst sein? Los, werd wieder ein Mensch, die anderen gucken ja schon!“
Natürlich war Seth Verwandlung nicht unentdeckt geblieben. Manche sahen Seth mit dem Ausdruck äußerster Furcht an, manche, und vor allem waren es Mädchen, schauten erstaunt und hingerissen zugleich.
„Man ey, du bist echt irgendwie gruselig so. Du machst einem richtig angst!“
Seth verwandelte sich zurück. „So soll es ja auch sein!“
Er schlug ihm kumpelhaft mit der Faust an den Arm und die drei gingen gemeinsam zum Schloß.

Ein alter Mann stand am Portal und begrüßte sie.
„Ah, die Auserwählten.“ Mos Magen zog sich bei diesen Worten ärgerlich und leicht peinlich berührt zusammen. Würden sie jetzt immer so genannt werden?
„Ja, für sie gelten am ersten Tag eigentlich die gleichen Regeln wie für die anderen. Lorielle wird ihnen ihr Schlafgemach zeigen und sie dann herumführen.“ Bei seinen Worten schwebte eine kleine Fee herbei und verneigte sich.
„Am Abend ist dann das Eröffnungsfest und sie bekommen ihre Stundenpläne.“
Die drei Freunde nickten und gingen dann Lorielle hinterher.
„Ihr habt euren Schlafsaal im südlichsten Turm. Das ist der Turm, in denen nur Hexen und Zauberer mit Gaben schlafen.“ Lorielle zeigte mit ihrem Finger auf eine Treppe.
Sie stiegen sie hinauf, bis sie vor einer grauen Wand stehen blieben.
Mo dachte, es wäre ein Scherz, doch die Fee landete davor und lächelte sie auffordernd an.
„Wenn ihr eine Hand auf die Mauer legt, wird sie euch einlassen. Sie erkennt eure Gaben und lässt nur denjenigen durch, der auch eine hat und sie bewiesen hat.
Seth trat vor und legte seine Hand auf den Stein.
Eine weiche, samtene Stimme sagte: „ Als Mensch gefährdet, als Tier gefürchtet.“
Seth ging durch die Wand, als wäre sie aus Luft. Nichts deutete darauf hin, dass eben ein Mensch durch sie gegangen war.
Nun trat Jacky vor und legte ihre Hand auf.
Wieder meldete sich die weiche Samtstimme: „Die wahrsten Gefühle sind die, die nicht laut ausgesprochen werden.“
Mo überkam leichte Furcht. Sein Talent war noch nicht hervor getreten. Würde die Wand ihn überhaupt durchlassen? Kurz schweifte er ab in Gedanken, die er schon seit Stunden zurück hielt.
„Nun Sir, sie sind an der Reihe.“ Die piepsige, hohe Stimme der Fee holte ihn in die Gegenwart zurück.
Jacky war bereits verschwunden.
Mo atmete tief ein, dann legte auch er die Hand auf den Stein. Sie war kühl.
Und zu seiner Erleichterung sprach auch die Stimme zu ihm: „Lobet den Krieger, der uns alle Erlösen mag!“
Die Wand wurde plötzlich wärmer und schon hatte er ein Gefühl von Nichts unter der Handoberfläche. Obwohl sie visuell immer noch auf der Mauer ruhte, spürte er sie nicht. Er schritt durch sie hindurch und trat in einen großen, gemütlichen Raum.
Es war sehr hell hier drinnen, fast alle Wände waren durch große, goldgerahmte Fenster ersetzt worden. Die Sonne schien durch sie hindurch und lies alles in einem Glanz erscheinen.
Überall standen bequeme hellblaue Sofa und Sessel, kleine Tische zum lernen und sogar eine große Hollywoodschaukel stand auf dem riesigen, gartenähnlichem Balkon.
Auf dem Boden waren große Bilder aus Mosaik gefertigt und die Steinwände waren mit luftigen Tüchern dekoriert. Alles schimmerte hellblau und golden.
„Es ist traumhaft.“ Jacky ging geradewegs auf die große Balkontüre zu. Sie öffnete sie und ein leichter Windhauch kam hinein. Seth und Mo folgten ihr. Der Balkon war riesig, überall waren kleine Blumenbeete angelegt, aus Büschen waren Gestalten geformt worden und es gab einen Springbrunnen. Unter kleinen Bäumen standen Bänke und überall wuchsen die interessantesten Pflanzen. Eine, ziemlich nahe an einer Bank, machte sich ganz lang, als die drei näher kamen. Sie hatte einen dünnen Stängel, jedoch eine große, noch nicht geöffnete Blüte, die wie ein Maul aussah. Sie raschelte mit ihren Blättern und streckte sich Jacky entgegen.
„Huch, wer bist du denn?“ „Nein Jacky, nicht..“ „Ach Mo, du brauchst keine Angst zu haben. Das ist eine Septoela. Die tut nichts.“
Jacky ging weiter auf die Pflanze zu und streckte ihre Hand aus. Sie streichelte der Pflanze ein paar Mal über die Blüte, dann öffnete sie sich. Kaum war die Blüte nur einen Spaltbreit offen, entflog ihr ein winziger Kolibri. „Ich wusste doch, dass du etwas verheimlichst!“ Die Septoela lies schuldbewusst den Kopf und die Blätter hängen.
Seth beugte sich zu Mo rüber. „Redet sie jetzt schon mit Pflanzen?“
„Das hab ich gehört!“ Jacky kam wieder auf sie zu.
„Eine Septoela ist dafür gemacht, dass man mit ihr spricht! Sie blüht nur, wenn es wirklich wichtig ist. Wenn man sich neben sie setzt, und ihr euer Herz ausschüttet, dann zeigt sie euch in schlimmen Fällen, dass es noch Hoffnung gibt. Sie blüht, damit ihr wieder Freude am Leben habt und weiter kämpft.
„Nur durch den bloßen Anblick einer blöden Blume?“ Seth sah argwöhnisch auf die Pflanze hinunter.
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
„Nein du Blödmann.“ Jacky haute Seth an den Hinterkopf. „Sie singt dabei.“
„Sie singt?“ Jetzt war Mo an der Reihe, Jacky nicht zu glauben.
„Ach, ihr werdet es schon selber erfahren. Irgendwann.“
Seth schnaubte leise. „Bis ich soweit bin und einer Blume mein Herz ausschütte, muss schon viel passiert sein. Die Hölle zufrieren zum Beispiel. Sie wandten sich um, um Jacky wieder nach drinnen zu folgen. „Au!“, rief Seth und sprang ein wenig nach oben. „Was ist los?“ „Das blöde Ding hat mir in den Hintern gebissen!“ Seth rieb die Stelle mit bösem Blick und Mo war sich fast sicher, ein hämisches Lachen aus der Pflanze zu hören.

„Und, gefällt es Ihnen?“
„Es ist großartig Lorielle. Wer kümmert sich um den Garten?“
„Um die Gärten kümmert sich niemand anderes, als die Sonne und die Vögel.“
„Erstaunlich.“ Jacky machte große Augen. Dann folgten sie der Fee weiter.
„Wenn sie die Treppe hier hochgehen, finden sie ihr Schlafzimmer.“
Die drei stiegen die Treppe hinauf. Sie kamen in ein achteckiges Zimmer. Zuerst fielen Mo die drei Himmelbetten auf. Jedes Himmelbett hatte seine eigene, kleine Nische die etwa so groß war, wie ein kleineres Zimmer. Die Nischen wurden voneinander abgetrennt mit schweren, dunkelblauen Samtvorhängen, die man zuziehen oder offen lassen konnte. In jeder Nische standen außer dem Bett ein großer Spiegel, eine kleine Kommode für Klamotten und ein Nachttisch mit einer Lampe.
Als Mo den Blick abwendete und sich genauer umsah, sah er auf der Tapete kleine Sterne. Man sah sie kaum doch er war sich fast sicher, dass sie in der Nacht leuchteten und einem das Gefühl gaben, im Universum oder unter freiem Himmel zu schlafen. Er drehte sich langsam im Kreis und sah noch zwei Türen. Die eine führte in ein modernes, stilvolles Badezimmer, die andere, sie war durchsichtig, führte wieder auf einen kleinen Balkon. Hier standen drei bequeme Liegestühle und ein runder Tisch.
„Es ist…wahnsinnig.“ Seth war die ganze Zeit mit offenem Mund herum gelaufen.
„Nun, jetzt haben sie das Wichtigste gesehen. Folgen sie nachher einfach ihren Mitschülern, dann erreichen sie die Gemeinschaftshalle.“
„Danke Lorielle.“ Jacky ließ sich auf ein großes Bett fallen.
„Das ist meins!“
Kaum hatte sie das gesagt, erschien ihr Koffer am Bettende.
„Cool“, sagten alle drei auf einmal. „Vielleicht bekommen wir alles was wir sagen?“ Seth Augen wurden groß bei der Vorstellung. „Ich hätte jetzt Lust auf…hmm…ein Erdnussbuttersandwich!“ Er starrte erwartungsvoll auf seine Hände. „Na komm schon!“
„Gib`s auf Seth. Das klappt nicht.“
„Schade.“


Nachdem sie ihre Koffer ausgeräumt hatten machten sich die drei auf den Weg in den Gemeinschaftsraum. Ein paar Mitschüler saßen bereits in Sesseln und lasen, oder standen in Dreiergrüppchen herum und unterhielten sich.
Alle verstummten und blickten auf, als sie die drei erkannten. Ein großer, wesentlich älterer Schüler stand von seinem Sessel auf und ging auf die drei zu.
„Ihr müsst Moritz, Jacky und Seth sein.“, er schüttelte ihnen die Hände. „Wir waren schon sehr gespannt auf euch.“ Als Zustimmung nickten die anderen eifrig mit den Köpfen.
„Und, gefällt es euch hier?“
„Es ist prima!“
Eine kurze Stille trat ein. Dann fing Seth zu reden an.
„Was kannst du so besonderes? Welche Gabe hast du?“
Jacky stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.
„Autsch!“
„Sei nicht so neugierig!“
Der große Junge lachte. „Ist doch kein Problem. Jeder hier ist neugierig, was die anderen so können. Aber ich denke, wir sollten sowieso eine Vorstellungsrunde machen.“
Die anderen nickten wieder zustimmend. Sie lächelten jetzt und kamen ebenfalls näher.
„Ok,“ der große Junge klatschte in die Hände, „dann wird ich mal anfangen. Ich heiße Drake. Bin in der fünften Stufe und naja, was ich kann….“ Er verstummte und sah sich um. Sein Blick fiel auf den nächstbesten Sessel. Augenblicklich ging er in Flammen auf.
Mo machte große Augen. „Du bist das??? Wow!“
Drake grinste. Jacky dagegen bekam Panik. „Mach es aus! Es wird den Sessel zerstören und sich ausbreiten!“
„Keine Angst!“ Drake lächelte jetzt noch mehr. „Ich habe hier gelernt das Feuer zu bestimmen. Siehst du, es tut dem Sessel nichts. Und es bleibt da, wo ich es haben will. Keine Sorge.“ Augenblicklich erlosch das Feuer. Der Sessel sah aus wie neu.
„Ok, machen wir weiter.“ Er sah nach links zu einem Mädchen.
„HI, ich bin Jesse. Und meine Gabe ist es Dinge zu bewegen, ohne sie anfassen zu müssen.“
„Wow.“, sagten die drei wieder.
„Gut, dann mach ich mal weiter. Ich bin Joey. Meine Gabe ist ganz einfach, ich kann Gedanken lesen.“
Mo klappte der Mund auf, Jacky riss die Augen auf und Seth sagte nur: „Ne oder.“
„Willst du den Beweis? Du denkst gerade darüber nach, was du am besten in meiner Gegenwart nicht mehr denken solltest.“ „Krass.“
„das war doch nicht schwer oder? Ich denke, jeder denkt bei dem Satz sofort darüber nach. Mach den Test mit mir!“ Jacky sah ihn prüfend an, dann sah sie hoch als ob sie nachdenken würde.
„Jetzt denkst du an Billard, jetzt an Pusteblumen…ja und jetzt an Kirschbäume.“
„Verdammt.“
Joey lachte.
„Keine Angst, man gewöhnt sich dran.“ Ein dunkelhäutiges Mädchen mit braunen Locken legte Mo die Hand auf die Schulter.

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Tag der Veröffentlichung: 27.02.2010

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