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Kapitel 1

Kapitel 1

David

 

Ich bin ruhelos, wie immer nach einer fast durchwachten Nacht. Von der Frühstücksbar meiner Küche aus lasse ich den Blick durch den offen gestalteten Wohnbereich schweifen. Nach wie vor dringt kein Geräusch durch die angelehnte Schlafzimmertür und ich schiele nervös auf die Uhr meines Smartphones. Mr. Ich-bring’s-die-ganze-Nacht könnte langsam mal aufstehen. Oh ja, Lars hat sein Versprechen wahr gemacht: Ich fühle mich durch und durch befriedigt und spüre die letzten Stunden in allen Knochen. Und wie alle One-Night-Stands durfte auch er bleiben. Ich halte nicht viel davon, meine Bettpartner direkt nach dem Sex rauszuschmeißen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass Lars am nächsten Tag schläft wie ein Stein. Es gibt Leute, die arbeiten müssen. Okay, es ist Sonntag, normalerweise kein Anlass zur Eile, doch ich möchte endlich los und ich bin kurz davor, ihn zu wecken. An den Wochenenden ist es ruhig in der Steuerkanzlei, die beste Gelegenheit, dringende Mandantenanforderungen abzuarbeiten.

Ich bemerke, wie mein Bein nervös auf und ab wippt. Genervt von meiner Unruhe, versuche ich es still zu halten. In dem Moment wird die Tür aufgezogen. Bei dem Anblick, den mein Übernachtungsgast mir bietet, wird es umgehend eng in meiner Hose. Er ist splitterfasernackt. Sein dunkelblondes Haar ist zerzaust, hängt ihm halb vor den müde blinzelnden Augen. Demonstrativ lehnt er sich an den Rahmen, gähnt herzhaft und fasst sich in den Schritt.

„Morgen“, murmelt er. „Kommst du wieder zurück ins Bett?“

Automatisch ruckle ich mich auf dem Barhocker breitbeinig in Position, um meiner Erektion mehr Platz zu verschaffen, und mein Plan, heute noch in die Kanzlei zu fahren, löst sich in Luft auf. „Morgen. Möchtest du nicht erst mal einen Kaffee?“ Ich beiße mir auf die Wange, sehe mich schon wieder in meinem Bett. Mit ihm.

„Total gern. Darf ich das Bad benutzen?“

Mann! Ich hätte nicht fragen sollen, das dauert viel zu lange. Ich will ihn jetzt. Sofort! Gut, er läuft nicht weg, das muss reichen. „Ja, geh duschen, ich mach dir den Kaffee dann frisch.“

„Und danach?“

Süffisant grinse ich ihm entgegen. Er lacht, versteht den Wink.

„Aber dass eines klar ist, bis heute Abend bist du verschwunden.“

„Kommt dein Freund von einem Wochenendseminar nach Hause?“ Spott klingt in seinen Worten mit und ein Dolch bohrt sich tief in mein Herz. Wortlos schüttle ich den Kopf. Nein, er ist und war nie mein Freund – dafür aber mein bester. Philipp hat eine Liebe und wohnt in Düsseldorf, mit genügend Abstand zu mir nach Köln. Besser für uns. Und es ist gut, wieder eine Wohnung ganz für mich allein zu haben. Ungeahnte Freiheiten haben sich dadurch ergeben.

„Vielleicht solltest du doch bleiben“, rufe ich meinem Gast hinterher. „Aber morgen früh muss ich um fünf raus.“

Lars guckt um die Ecke der Badezimmertür. Die Leichtigkeit und Lust sind aus seinem Gesicht verschwunden. Er mustert mich und klopft nachdenklich mit der flachen Hand an den Rahmen. „Nichts für ungut, David, aber ich steh echt nicht auf Wiederholungen von One-Night-Stands. Daraus entwickeln sich meist komplizierte Geschichten, die ich nicht gebrauchen kann.“

Perplex sehe ich ihn an, während er die Schultern entschuldigend nach oben zieht und erneut aus meinem Blickfeld verschwindet. Das war ein astreiner Korb. Doch seine Ansage lässt mich erschreckend kalt. Nicht einmal mein gerade aufgeflammtes Verlangen ebbt ab. Im Gegenteil: Jetzt weiß ich wieder, warum meine Wahl gestern Abend im Club ausgerechnet auf Lars gefallen ist. Der tickt wie ich. Er will Spaß haben, sich keine Verpflichtungen ans Bein binden.

Gedankenverloren drehe ich meine Kaffeetasse in den Händen und lausche den Geräuschen aus dem Bad. Der Toilettendeckel klappt, die Spülung rauscht, Wasser plätschert ins Waschbecken. Ich höre Schubladen ratschen und Schranktüren zufallen. Sicher hat er nun gefunden, was er sucht: ein frisches Handtuch. Ein paar Sekunden ist es still, dann wird die Dusche angestellt.

Mit jeder Minute, die ich hier sitze, steigert sich meine Lust. Fest greife ich mir in den Schritt. Verdammt will ich sein, wenn ich meine Chance auf eine weitere Runde mit Lars nicht nutze! Er wird mein Appartement erst verlassen, wenn wir beide nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Hastig gleite ich vom Hocker, nehme einen weiteren Schluck Kaffee und spucke ihn angewidert in die Spüle. Meine Hand krampft sich zur Faust und ich presse die Kiefer aufeinander. Das ist alles Philipps Schuld! Früher habe ich Kaffee sogar eiskalt getrunken. Aber mein bester Freund und seine nicht diskutable Einstellung zu Lebensmitteln haben es mir vermiest. Er schwört auf Frisches! Ganz egal, ob es darum geht, was auf dem Teller liegt oder darum, was sich in der Kaffeetasse befindet.

„Nicht an Philipp denken, nicht in etwas hineinsteigern, was vorbei und abgehakt ist“, mahne ich mich und trinke auch noch den Rest der kalten Brühe. Bereuen tue ich es noch in derselben Sekunde. Ich muss mir nichts beweisen.

„David? Brauchst du eine Extraeinladung?“

Ertappt wirble ich herum, doch die Tür zum Bad ist nach wie vor geschlossen. Ich lausche, aber es folgt kein weiterer Ruf. Kurzerhand greife ich an meinen Gürtel und überbrücke die Distanz zum Badezimmer. Noch bevor ich die Klinke herunterdrücke, trete ich die Hose von meinen Beinen und versuche, mit einer Hand die Knöpfe meines Hemds zu öffnen.

 

~~~

 

„Hier. Der Letzte für heute.“ Der Barkeeper schiebt mir einen Whisky über den Tresen und stößt mit seinem Glas gegen meines. „Schließzeit. Endlich Feierabend!“ Dabei sieht er mich fragend an. „Und du? Bist du immer am Arbeiten?“

„Ich verstehe nicht.“

„Du sitzt jeden Sonntag hier in meiner Bar. Stets akkurat gekleidet.“

„Letzte Woche war ich nicht da.“ Lars hatte mich wunderbar abgelenkt vom Alltagsstress.

„Stimmt, ich habe mich schon gewundert“, erwidert er und zwinkert mir zu. „Aber das war auch das erste Mal seit … Wie lange? Einem halben Jahr?“

„Klär mich mal auf, ja?“, hake ich brummelig nach. „Was genau stört dich? Dass ich hier sitze oder dass ich einen Anzug anhabe, während ich hier sitze?“

„Nichts von beidem. Ich mag deine Gewohnheit, jeden Sonntag hier aufzutauchen. Zudem steht dir der Anzug. Siehst sexy darin aus.“

„Ach!“

„Aber es deutet auch darauf hin, dass du mit deiner Arbeit verheiratet bist. So lernt man keinen Mann kennen.“

„Wer sagt denn, dass ich einen kennenlernen will?“

„Nicht?“ Eindeutig fragend fixiert er meinen Blick. „Viele einsame Seelen, die in Bars sitzen und bis zur Schließzeit ausharren, wünschen sich das.“

„Ich gehöre nicht dazu.“ Gut, er muss es wissen. Tagein, tagaus bekommt er vermutlich die seltsamsten Typen zu sehen und die haarsträubendsten Geschichten erzählt. „Ich ficke, wenn ich ficken will. Und ich habe auch keine Probleme, jemanden für mein Bett zu finden. Alles andere ist mir zu anstrengend.“

Lächelnd hält mir der Barkeeper seinen Drink hin und diesmal stoßen wir richtig an. Heute hat mir kein Lars einen Strich durch die Rechnung gemacht, wie letzten Sonntag, als er mich von der Arbeit, entsprechend auch von meinem Feierabenddrink in dieser Kneipe abgehalten hat. Gut so. Sehr gut, vor allem, wenn ich mir den Barkeeper betrachte.

„Sven“, stellt er sich vor und leert sein Glas in einem Zug. „Warte kurz, ich mache vorn dicht. Dann können wir weiterreden.“

Reden? Ich spreche vom Vögeln und er will reden? Ich drehe den Tumbler in den Händen, bis die goldbraune Flüssigkeit rotiert, und sehe Sven hinterher. Er ist breitschultrig und massig. Sein T-Shirt spannt über den Oberarmen, sein Arsch füllt die dunkle Jeans optimal aus. Er wirkt durch und durch trainiert und kräftig. Die Glatze steht ihm. Vermutlich ist er jünger als ich. Größentechnisch überragt er mich wahrscheinlich auch. Ich setze das Glas an die Lippen und beobachte ihn über den Rand hinweg, als er zu mir zurückkehrt. Er läuft genauso langsam, wie der Whisky meine Kehle hinabrinnt. Ein warmes Kribbeln breitet sich bis in meine Fingerspitzen aus. Sein Blick liegt fest auf mir. Wir wissen beide, was jetzt folgt. Nur, wer hinhalten muss, wird sich erst in den nächsten Sekunden klären. Seit Philipp gab es keinen Mann mehr, der mich nehmen durfte. Gut, da ist noch Stefan, mein Chef, und Kilian durfte ebenfalls ran, aber … sie kommen nicht an Philipp heran.

Wie immer sticht es. Ich kann es nicht lassen, mich mindestens einmal täglich mit einem Gedanken an ihn zu geißeln. Unbeholfen reibe ich mir über die Brust.

Mein Schwanz steht dennoch wie eine Eins, als sich Sven zwischen meine Beine stellt, mich am Hintern packt und mit einem Ruck an seinen Unterleib zieht. „Und wie heißt er jetzt, der einsame Anzugträger?“

Gott verdammt, mir ist heiß. Allein sein Blick verrät mir, dass er sich mir nicht passiv hingeben wird. „David.“ Aus Mangel an Luft lockere ich die Krawatte und greife fest an Svens Nacken. Vorstellungsrunde beendet. „Du willst mich also ficken?“

Irgendwie ist der Gedanke befreiend. Hätte mich jemand gefragt, was ich mir wünsche, wäre meine Antwort mit Sicherheit eine andere gewesen. Doch nun greife ich auffordernd in seinen Schritt. Hinzuhalten heißt nicht, das Kommando abgeben zu müssen. Was ich zu fassen bekomme, ist nicht zu verachten. Perfekt. „Dann mach es mir. Und mach es gründlich.“


 

Kapitel 2 Henry

Kapitel 2

Henry

 

Ich greife zum Duschbad und schäume mein Haar ein, mache automatisch mit meinem Körper weiter. Befreie mich gründlich von Schweiß, Rauch, Alkohol, dem klebrigen Sirup und allem, was sonst noch berufsbedingt nach einer langen Nachtschicht an mir haftet. Müde lehne ich die Stirn an die Fliesen und schließe für einen Moment meine brennenden Augen, während das Wasser den Schaum von mir spült. Mein Gehirn ist wie leer gefegt. Im Queenz war es voll, stimmungsgeladen und zwischendurch ziemlich heiß. Das warme Maiwetter macht gute Laune. Heute Nacht wollte alle Welt bei uns im Club feiern und tanzen und vor allem an der Bar Cocktails trinken. So viele Getränke habe ich an einem Donnerstag schon lange nicht mehr gemixt und über die Theke geschoben. Meine Beine sind schwer wie Blei, meine Arme müde und kraftlos. Ich bin gern Barkeeper, trotzdem war ich froh, als Eik, unser Sicherheitsmann, um sechs endlich den letzten Besucher vor die Tür gesetzt hat. Mein Trinkgeld war nicht zu verachten. Und ich brauche jeden Cent, um mir meine eigene kleine Wohnung leisten zu können, denn Düsseldorf ist ein teures Pflaster.

Noch einmal kontrolliere ich, ob die letzten Shampoo-Reste aus den widerspenstigen Locken gespült sind, bevor ich das Wasser abdrehe und nach dem Handtuch greife.

Die Sonne strahlt durch das Badezimmerfenster und lässt die Staubpartikel über dem kleinen Duschvorleger tanzen. Vermutlich sollte ich mal wieder saugen, aber gerade gibt es nur eine Sache, die mir wichtig ist: mein Bett. Ich gähne wiederholt, trockne mich ab und schaffe es gerade noch so, das Handtuch über einen Stuhl zu schmeißen, bevor ich mich in die Kissen fallen lasse. Ein Blick auf den Wecker sagt mir, dass es acht Uhr ist und somit in zwölf Stunden meine nächste Schicht beginnt.

 

~~~

 

Das penetrante Klingeln meines Handys reißt mich aus dem Tiefschlaf. Oh Mann, wer zur Hölle ist das? Ich kriege kaum meine Augen auf und könnte mich selbst in den Hintern treten, weil ich vergessen habe, das Telefon vor dem Einschlafen auszuschalten. Ich blinzle und taste nach dem Übeltäter, doch der Ton verstummt. Ohne nachzuschauen, wer mich gerade erreichen wollte, drehe ich mich noch einmal um und versuche, wieder einzuschlafen. Doch wenige Minuten später, als es erneut losbimmelt, gebe ich mich geschlagen und nehme den Anruf entgegen.

„Was gibt’s?“, fahre ich den unliebsamen Anrufer an.

„Henry?“ Kilians volle Bassstimme dröhnt mir entgegen. „Was ist denn mit dir los?“

„Du hast mich geweckt.“ Ich richte mich langsam auf, reibe mir über die Augen und werfe einen Blick in Richtung Wecker: Immerhin kann ich sechs Stunden Schlaf verbuchen.

„Mal wieder eine lange Nacht gehabt?“ Der süffisante Unterton ist nicht zu überhören. Wenn Kilians Fantasie eines ist, dann dreckig. Ich glaube, viel mehr als Sex hatte er in den letzten Monaten nicht im Kopf. Noch schlimmer als früher. Seitdem David nach Köln abgehauen ist, hat mehr oder weniger die gesamte schwule Bevölkerung im Einzugsgebiet Düsseldorfs von Kilians Unersättlichkeit profitiert. Mich eingeschlossen. Kilian ist immer für schnellen, unkomplizierten Sex zu haben. Perfekt und befriedigend für mich. Was will ich mehr? Und wenn er mal keine Zeit hat, habe ich eine Handvoll ausgewählter Männer, die mich gern wiedersehen wollen. Mit Wildfremden kann ich nichts mehr anfangen. Früher war das anders, aber meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich mehr davon habe, wenn ich den anderen kenne. Ich mag Vertrautheit.

„Ja, ich hab ’ne lange Nachtschicht hinter mir, falls du das meinst“, gehe ich schmunzelnd auf Kilians Frage ein.

„Oh, ach so ...“ Jetzt klingt er ein bisschen enttäuscht.

„Was gibt’s denn?“

„Ach, ist nicht so wichtig.“

„Und wegen ‚nicht so wichtig‘ weckst du mich?“ Ich schlage die Decke zurück und setze mich auf, lehne mich an das Kopfteil des Bettes.

„Vergiss es einfach. Begleitest du mich heute Abend ins McLaughlins?“

„Tut mir leid, geht nicht. Ich muss arbeiten – wie immer.“ Meine Stimme trieft vor Ironie. Kilian kennt mich lange genug, das sollte er wissen.

„Schade. Magst du danach noch zu mir kommen?“, schlägt er vor, wieder mit diesem anzüglichen Ton.

Warum eigentlich nicht? Lust auf ihn hätte ich durchaus. „Wenn du bis dahin nicht anderweitig beschäftigt bist“, gebe ich zu bedenken. Kenne ich ihn doch auch ganz gut.

„David ist am Wochenende in der Stadt.“

„David?“, hake ich nach, obwohl ich den Namen genau verstanden habe. Aber seit Monaten haben wir nichts von ihm gehört. Das ist also der Grund für Kilians Anruf. Ich habe geahnt, dass irgendetwas in der Luft liegt, wenn er sich so früh bei mir meldet.

„Ja, David!“, bellt Kilian ins Telefon. „Du weißt schon, etwas kleiner als ich, braunes Haar, grüne Augen, eine Granate im B...“, abrupt unterbricht er sich.

Ich atme tief durch. „Also hast du mich seinetwegen aus dem Bett geschmissen?“

„Ja, irgendwie schon“, gibt er zu meiner Verblüffung nach kurzem Zögern zu.

Okay, Kilian will reden. Über David! Es kommt ja selten genug vor, dass er sein Herz ausschüttet. „Bist du etwa immer noch nicht über ihn hinweg?“

„Natürlich bin ich über ihn hinweg!“, plärrt er und ich halte das Handy ein Stück von meinem Ohr weg.

„Na dann ist es ja gut.“

„Er ist heute Abend bei Liams Gig.“

Ich muss unwillkürlich grinsen. Liam ist ein verliebter Träumer. Anscheinend hofft er immer noch, dass David und Kilian sich irgendwann finden. Geschickter Schachzug, David zum Gig einzuladen, wo er doch weiß, dass Kilian regelmäßig zu seinen Auftritten geht. Und so langsam dämmert mir, warum Kilian mich dabei haben wollte: Ich sollte offenbar sein Händchen halten. „Und? Gehst du hin?“

„Nee, ich hab keinen Bock.“

„Okay“, sage ich gedehnt. „Wegen David?“

„Ja, nein … vielleicht.“

„Warum probierst du es nicht? Geh doch hin, David wird dir weder den Kopf abreißen noch die kalte Schulter zeigen. Plaudere ein wenig mit ihm und komm anschließend zu mir in den Club“, schlage ich ihm vor. „Es sind Monate vergangen, seit ihr zwei miteinander geschlafen habt. Irgendwann müsst ihr doch wieder normal miteinander umgehen.“

„Hm, mal sehen.“ Sehr überzeugt klingt er nicht und für einen Moment wird es still in der Leitung.

Ich lege mich zurück und ziehe die Decke wieder über mich. Die Müdigkeit steckt mir immer noch in den Knochen. „Ich sollte wirklich noch ’ne Runde pennen.“

Er lacht auf, scheint wieder ganz der Alte zu sein. „Mach das, damit du später fit bist.“

„Ja, ja. Vergiss mich nicht heute Nacht!“, verabschiede ich mich von ihm und grinse noch breiter als zuvor.

Statt wieder einzuschlafen, fliegen meine Gedanken zu David. Seine Aktion vor über einem Jahr, als er mich nach meiner Nacht mit Philipp unsanft auf die Straße gesetzt hat, war fies, daran habe ich lange geknabbert. Denn ich hätte Philipp schon gern wiedergesehen, weil ich seine ruhige, beständige Art mochte, aber mir fehlten die Argumente und der Mut, mich in ihre Freundschaft zu drängen und mich somit gegen David zu stellen. Liam besaß da wesentlich mehr Ehrgeiz. Vermutlich hatte er mir auch einfach voraus, dass er sich Hals über Kopf in Philipp verliebt hatte und sich deswegen nicht vertreiben lassen wollte.

Bei dem Gedanken an ihn muss ich unwillkürlich grinsen. Liam tut Philipp verdammt gut. Sie passen toll zusammen. Mit ihm habe ich zudem einen wertvollen Freund hinzugewonnen.

Ich erinnere mich noch genau an die total verrückte Nacht, in der ich das erste Mal mit Liam zu tun hatte. Kilian und ich haben David aus der Wohnung gezerrt, um Liam den Weg zu Philipp zu ebnen. Das war auch die Nacht, in der Kilian seinen heißersehnten Fick mit David bekommen und mich dafür in den Wind geschossen hat. Wenige Tage später war der dann aus Düsseldorf verschwunden. Pech für Kilian. Schlimm für Philipp. Gut für Liam.

Ich presse die Lippen zusammen und entlasse die Luft aus meinen aufgeplusterten Wangen. Nach Monaten kommt David also zu Besuch nach Düsseldorf. Wegen Philipp ging es ihm ja letzten Herbst ziemlich mies. Wie es ihm wohl inzwischen geht?

Ich schüttle den Gedanken an ihn ab. Wie auch immer, ich muss noch mal schlafen, damit ich die nächste Schicht überstehe. Und wenn Kilian mich danach noch mit nach Hause nehmen will, dann erst recht. Ich drehe mich auf den Bauch und schließe die Augen. Umsonst. Erneut fängt mein Handy an zu bimmeln und ich verfluche Kilian.

„Was gibt’s denn jetzt noch?“, motze ich in den Hörer.

„Äh, Henry?“ Die Fragezeichen in Liams Stimme sind nicht zu überhören. Ich atme mehrmals tief durch und versuche mich zu beruhigen. „Alles klar bei dir?“, hakt er nach. „Hab ich dich etwa geweckt?“

„Ja, hast du“, knurre ich zurück. „Bist aber nicht der Erste heute.“

„Das tut mir echt leid. Soll ich später wieder anrufen?“ Liam klingt kleinlaut und gleich tut es mir leid, ihn so angegiftet zu haben.

„Schon okay. Was gibt’s denn?“

„Eigentlich wollte ich nur fragen, ob du Lust und Zeit hast, heute Abend bei meinem Gig dabei zu sein? David kommt seit Langem mal wieder aus Köln und Kilian hat sich auch angekündigt und ich dachte, wir könnten uns alle zusammen einen schönen Abend machen. Es ist jetzt schon so lange her, seitdem …“ Schon wieder David. Genervt rolle ich die Augen. David kommt und ganz Düsseldorf steht Kopf, oder was?

„Seitdem David mich aus der Wohnung gejagt hat?“, beende ich seinen Satz. „Oder seitdem Kilian David mir vorgezogen hat?“ Einen Augenblick lang ist es still in der Leitung.

„Tut mir leid, war eine blöde Idee.“ Er klingt ziemlich betreten. „Es ist nur … ich fände es toll, wenn wir wieder alle miteinander klarkämen.“

„Lass mal gut sein. Es kann nicht immer alles perfekt sein. Außerdem hab ich David schon längst verziehen. Das Ganze ist ewig her. Sieh es doch mal positiv: Wenn er nicht gewesen wäre, wer weiß, was dann aus Philipp und mir geworden wäre.“

Liam lacht leise. „Dafür bin ich ihm auch ewig dankbar.“

„Und was Kilian und David angeht: Die zwei werden sich auch wieder einkriegen, aber das müssen sie unter sich ausmachen“, spreche ich ihm Mut zu.

„Hm … du hast ja recht. Also, würdest du heute Abend kommen?“

„Ich kann nicht, ich muss arbeiten. Das habe ich Kilian eben schon gesagt. Ist schon ein starkes Stück, dass ihr alle meine Arbeitszeiten vergesst, kaum, dass David in euren Köpfen herumspukt.“

„Oh … Jetzt machst du mir ein schlechtes Gewissen. Sorry. Tut mir echt leid.“

„Schon okay.“ Liam kann schon echt süß sein.

„Super.“ Sein erleichtertes Aufatmen dringt durch den Hörer. „Vielleicht ein anderes Mal.“

„Ja, bestimmt. Bis dann, Liam. Dir viel Erfolg heute Abend.“

„Danke. Wir hören uns bald.“

Ich lasse mein Handy sinken und denke kurz über einen weiteren Versuch nach, die Augen zu schließen, aber mein Magen knurrt verdächtig. Lernen muss ich wohl oder übel in den nächsten Stunden auch noch. Das Semester befindet sich in der Endphase. Studieren und arbeiten gleichzeitig ist stellenweise ganz schön anstrengend. Wie gut, dass ich die beiden kommenden Wochenenden frei habe. Da werde ich mich ganz und gar meinen Büchern widmen und mir jegliche Ablenkung verbieten. Aber heute Nacht werde ich Kilians Bitte nachkommen. Der Gedanke beflügelt mich und ich springe gut gelaunt aus dem Bett.

Kapitel 3 David

 

Kapitel 3

David

 

Mitten in der Fußgängerpassage, direkt vor dem McLaughlins, bleibe ich stehen und lege den Kopf in den Nacken. Alles ist wie immer. Nicht einmal die Tatsache, dass über Düsseldorf genauso wenige Sterne am Himmel leuchten wie über Köln, hat sich geändert. Ich ziehe den Kragen meiner Jacke ein wenig höher, beginne plötzlich zu frösteln. Obwohl tagsüber langsam sommerliche Temperaturen herrschen, sind die Nächte noch empfindlich kalt. Eigentlich mag ich diese Jahreszeit, ich kann mich so gut mit ihr identifizieren. Sie ist so halb … So halb, wie ich mich seit Monaten fühle. Ich atme tief durch und versuche, meine aufkommende Nervosität zurückzudrängen.

Ertappt zucke ich zusammen, als mein Handy in der Hosentasche vibriert, und sehe zum Pub. Die Nachricht kann nur von Philipp sein. Ich bin verdammt spät dran. Habe noch lange im Büro gesessen und mit mir gehadert, überhaupt herzufahren.

Die Entscheidung, mir in Köln ein neues Leben aufzubauen, bereue ich keine Sekunde. Nur Philipp fehlt mir. Schnell entsperre ich den Bildschirm und lese die eingegangene Nachricht. Wo bleibst du?

„Bin schon da, mein Lieber“, nuschle ich und schiebe das Smartphone zurück in die Hosentasche. Gönne mir einen letzten tiefen Atemzug der Düsseldorfer Luft, die ich von Kindesbeinen an eingeatmet habe, und ziehe die schwere Holztür auf. Rauchschwaden und Stimmengewirr schlagen mir entgegen. Die Bar ist wie immer voll, ein Magnet für Studenten und generell für Musikbegeisterte. Beinahe täglich spielen unbekannte Musiker auf der kleinen Bühne, deren Repertoire in der Regel hörenswert ist. Auch Liam hatte hier erstmals die Chance bekommen, sich zu beweisen und von seiner Musik zu überzeugen. Seit einigen Monaten ist der Freitag sein Abend. Er hat es sich redlich verdient. Philipp ist vor Stolz beinahe geplatzt, als er mir das erzählt hat. Doch von Liam höre ich gerade nichts. Eine mir unbekannte Band tönt durch die Lausprecher und beschallt den Raum. Ist sein Gig schon zu Ende?

Ich bahne mir einen Weg durch die vollen Gänge und suche die Tische ab. Nach dem dritten Rundumblick sehe ich direkt in Philipps Augen. Er zieht seine Mundwinkel nach oben, sein Blick nimmt mich gefangen und mir wird warm ums Herz. Gleich darauf sagt er etwas zu Liam, der direkt neben ihm sitzt. Auch dieser sieht nun auf und versucht sich an einem Lächeln, das seine Augen aber nicht ganz erreicht. Er gibt sich Mühe. Und genau das tue ich auch. Für Philipp!

Ich straffe die Schultern, dränge mich an ein paar Leuten vorbei und mir wird noch ein Stück wärmer, als Philipp aufsteht und mir die letzten Schritte entgegenkommt. Er legt die Arme um mich und drückt mich fest an sich. „Mann, ich bin so froh, dass du endlich da bist.“

Ich weiß genau, was er meint. Viele Monate habe ich Düsseldorf gemieden, Philipp musste zu mir nach Köln kommen. Was leider nicht so oft geklappt hat, wie wir uns das gewünscht hatten.

Sein Geruch hüllt mich ein und ich erwidere die Umarmung. „Tut mir leid, es ging nicht eher“, beantworte ich seine Aussage absichtlich falsch, „ich war noch im Büro und natürlich gab es Stau unterwegs.“

Philipp lässt mich los und tritt einen Schritt zurück, um mich ansehen zu können. Seine Umarmung war, wie sie sein sollte: rein freundschaftlich. Ich kann nicht mal mit Gewissheit sagen, ob ich mir mehr gewünscht hätte. „Ich dachte schon, du hast es dir in letzter Sekunde anders überlegt. Liams Gig ist schon zu Ende.“

„Allem voran bin ich deinetwegen hier, auch wenn ich versprochen hatte, heute in den Pub zu kommen.“

Philipp nickt verhalten. Versteht er mich? „Komm, sag den beiden ‚Hallo‘. Kilian ist auf dem Sprung und Liam freut sich, dich wiederzusehen. Er hat seine Instrumente in jeder freien Ecke der Wohnung verstaut, damit du dein ehemaliges Zimmer nutzen kannst, falls du doch bei uns übernachten möchtest.“

Ich schüttle den Kopf, so weit bin ich noch nicht. Mit ihrer Beziehung komme ich klar, aber ich will nicht bei ihnen schlafen. Auch Kilian wäre ich gern noch eine Weile aus dem Weg gegangen. Dennoch lasse ich mich von meinem besten Freund mitziehen und drücke im Gehen einen Kuss auf seine Schläfe. „Wir haben darüber gesprochen, mein Lieber. Ich werde mich nicht umentscheiden“, murmle ich, sodass er es gerade noch hört, bevor wir am Tisch ankommen. Der Blick, den er mir zuwirft, spricht Bände. Eine Antwort erspart er uns.

„Hey, David.“ Liam umarmt mich kurz und ich erwidere den knappen Gruß.

„Schade, dass ich deinen Gig verpasst habe.“ Und das meine ich ehrlich. Liam spielt fantastisch, nur war ich zu feige, um meinen Hintern rechtzeitig hierher zu bewegen.

„Halb so wild.“ Er winkt ab, wirkt nach dem bisschen Small Talk gleich ein wenig lockerer. „Es ist nur blöd, dass ihr jetzt gar keine Zeit hattet, ein wenig zu plaudern.“

„Nicht?“

„Na ja … eigentlich haben wir schon gezahlt und …“ Liam druckst rum und bricht ab, als er merkt, dass ich über seine Schulter zu Kilian sehe. Dieser kann meinem Blick kaum standhalten und erhebt sich nur langsam, seine Augen huschen von links nach rechts.

„Hey.“ Zögernd hält er mir seine Hand entgegen, die ich mit gleichem Zögern ergreife, um dann auch ihn in eine Umarmung ziehe. Es ist an der Zeit, Vergangenes hinter uns zu lassen. Ich hoffe, er hat die letzten Monate ebenfalls genutzt und sich Gedanken gemacht. Vor allem hoffe ich, er hat seinen irrsinnigen Wunsch, mit mir eine Beziehung eingehen zu wollen, aufgegeben.

„Geht es dir gut?“ Forschend sehe ich ihm ins Gesicht. „Mit dir habe ich heute Abend gar nicht gerechnet.“

Ich erhalte ein Nicken, gleich darauf ein „Ja, alles bestens!“ als Antwort. „Wir sind gerade im Aufbruch. Hast du Lust, noch was trinken zu gehen?“

Zweifelnd betrachte ich Philipp und Liam, die in einem Kuss versinken. Eigentlich hatte ich gehofft, hier noch den Abend mit Philipp ausklingen lassen zu können. Er ist der Grund, weshalb ich überhaupt in Düsseldorf bin. Meine Hoffnung schwindet allerdings, als die beiden sich gleichzeitig zu mir drehen und ihre Finger verflochten haben. „Wir möchten gern nach Hause. Ich hatte gehofft, dich doch noch überreden zu können, bei uns zu schlafen.“ Sein Blick hält meinen gefangen, Liebe spricht daraus, dennoch sieht er zerknirscht aus. Als hätte er nun ein schlechtes Gewissen mir gegenüber. „Liam muss morgen früh arbeiten und meine Schicht steckt mir in den Knochen. Es tut mir echt leid, David, aber ich bin fix und alle.“

„Ist okay“, versichere ich schnell, obwohl ich es schon schade finde. Ich bin gerade erst angekommen und soll bereits jetzt auf meinen besten Freund verzichten. Allerdings verstehe ich Philipp nur zu gut. Als Küchenchef und Teamleiter im Squisito, einem der exquisitesten Düsseldorfer Cateringunternehmen, übernimmt er sich bei seinen Arbeitszeiten des Öfteren. Aber mir kommt der Gedanke, dass er in diesem Fall seine Schicht als vorgeschobenen Grund nutzt, sich aus der Affäre zu ziehen. Jetzt zu viert um die Häuser zu ziehen, liegt ihm überhaupt nicht. Daran kann auch die Beziehung zu seinem sozial geprägten Freund nichts ändern.

„Wollt ihr vielleicht noch auf ein Bier mitkommen? Kilian und du? Und danach erst weiterziehen?“

Ich schüttle den Kopf und mir gelingt sogar ein Lächeln. „Lass uns das auf morgen verschieben“, antworte ich, noch bevor Kilian es tun kann. „Es rennt uns ja nicht weg und wir haben den Samstagabend für uns. Ein Grund mehr, mich auf morgen zu freuen, wenn ich heute schon nichts von dir habe.“

Philipps Augen glitzern verräterisch und er kaut sich wie so oft die Innenseite seiner Wange wund. „Du hast recht“, stimmt er widerwillig zu. „Wir sehen uns morgen. Und ich habe auch schon eine Idee, wo wir hingehen werden. Wo schläfst du eigentlich? Bei deiner Mutter?“

„Ich habe mir ein Hotelzimmer gebucht.“ Die Option, zurück nach Köln zu fahren, bestünde natürlich auch. Aber auf die nächtliche Fahrerei hatte ich wenig Lust. Und bei Monika habe ich keine Nacht mehr verbracht, seit ich ausgezogen bin. Sie würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie von meinem ausschweifenden Lebensstil Kenntnis bekäme. Und jetzt, da ich weiß, dass der Abend anders verläuft als gewünscht, werde ich mir vielleicht noch einen netten Ausklang suchen – Sex ist ein guter Weg, anstrengende Arbeitswochen hinter mir zu lassen. Möglicherweise werde ich das Hotelzimmer heute nicht mehr beziehen. Je nachdem, was sich ergibt.

Philipps Blick hält mich gefangen, als könne er meine Gedanken lesen. Genauso wie ich weiß, dass er nicht zu müde ist, um mit mir noch wegzugehen, ahnt er vermutlich, dass ich heute noch nach unverbindlichem Sex suchen werde.

„Wir sehen uns morgen“, verabschiede ich mich letztendlich. „Viel Spaß in eurer Liebeshöhle.“

Liam schnappt nach Luft, während Philipp neben ihm schmunzelt. Beiden lege ich die Hand auf die Schulter, drücke erst Liam, dann meinem besten Freund einen Kuss auf die Wange. „Ich werde mit Kilian was trinken gehen. Wir haben uns auch lange nicht gesehen.“ Über Liams Schulter hinweg mustere ich meinen damaligen Kumpel und komme nicht umhin, mich auf ein paar Stunden mit ihm zu freuen. Es war immer unbeschwert mit ihm zu feiern. Vielleicht kann es wieder so werden.

Nach der Verabschiedung sehe ich den beiden Turteltauben hinterher. Sie bahnen sich einen Weg durch die engen Gänge und ich nehme aus dem Augenwinkel heraus wahr, dass Kilian sich neben mich gestellt hat.

„Sie tun sich gut.“ Zeitgleich mit seinen Worten zieht er die Schultern nach oben, als wäre es für ihn genauso unverständlich wie für mich damals. „So, und nun? Hast du schon eingecheckt oder willst du das noch machen, bevor wir losgehen?“

„Nein, später. Die Rezeption ist rund um die Uhr besetzt. Was hast du geplant?“

„Eigentlich wollte ich ins Queenz. Aber … wir könnten auch zu mir.“

Langsam wende ich den Kopf, sehe, wie er schluckt.

„Keine gute Idee“, interpretiert er meinen Blick und ich erwidere nichts. Die lebhafte Erinnerung an unsere gemeinsame Nacht ist genauso präsent wie die monatelange Funkstille danach. Allerdings kann ich sein Angebot gerade nicht einschätzen. Möchte er einfach nur einen guten Fick wiederholen oder verspricht er sich doch wieder mehr? Auf beides habe ich keine Lust. Eigentlich weiß Kilian auch, dass ich kein Wiederholungstäter bin.

„Abwarten, was sich ergibt“, mildere ich meinen Seitenblick ab. „Also ins Queenz?“

„Ja, Henry freut sich immer über ein wenig Gesellschaft an der Bar, auch wenn er alle Hände voll zu tun hat. Außerdem …“

Henry arbeitet dort! Das hatte ich komplett verdrängt, eine Ahnung macht sich in mir breit. „Außerdem“, ergänze ich Kilians Satz, „habt ihr seinen Feierabend bereits verplant. Wieso fragst du mich überhaupt, ob ich mit zu dir komme? Dann ist doch alles klar. Du nimmst Henry mit und ich werde anderweitig fündig. Und wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter.“ Ich rolle spaßeshalber mit den Augen und stupse Kilian mit der Schulter an. Er beißt sich auf die Unterlippe, grinst und erspart uns eine Antwort. So kenne ich ihn, es ist befreiend, so ungezwungen mit ihm umgehen zu können.

Dass Kilian und Henry häufiger das Bett teilen, wusste ich schon, als ich noch in Düsseldorf gewohnt habe. Irgendwann fing es an. Erstaunlich jedoch, dass es immer noch anhält. Und eine Erinnerung steigt in mir auf: Henry und Kilian wollten die Nacht, in der ich mit Kilian das erste und einzige Mal geschlafen habe, ursprünglich miteinander verbringen. Deswegen hat Henry auch wie eine Klette an uns gehangen. Allerdings sind wir nur zu zweit in Kilians Penthouse gelandet, wo Henry plötzlich abgeblieben war, habe ich nicht mitbekommen. Verdammt will ich sein, wenn ich ihm eine weitere Verabredung mit Kilian streitig mache. Ob er mir das verziehen hat, weiß ich nicht, ebenso entzieht sich meiner Kenntnis, wie er nach der Sache mit Philipp über mich denkt.

„Lass uns fahren“, fordere ich Kilian auf und bin sagenhaft erleichtert, dass mir die spätere Auseinandersetzung mit ihm erspart bleibt. Henry geht mit Kilian heim, Punkt.

 

~~~

 

Im Queenz dröhnt der Bass und übertönt damit sämtliche Nebengeräusche. Ich schiebe mich vor Kilian die spärlich beleuchteten Stufen zur Bar hinauf. Ein schwieriges Unterfangen. Der Laden ist gerammelt voll. Mein Hemd klebt jetzt schon an meinem Körper und während ich mich nach oben kämpfe, knöpfe ich es weiter auf, löse die Manschetten und kremple die Ärmel hoch. Hier drinnen steht die Luft. Zudem streift Kilians warmer Atem immer wieder über meinen Nacken. Mich stört es nicht. Ganz im Gegenteil: Kilian riecht gut. Der Duft seines Rasierwassers zieht mir in die Nase, und auch sein fester Körper, den ich immer wieder an meinem Rücken spüre, ist angenehm. Ich erinnere mich sehr gut an seine warme, glatte Haut und die ausgeprägte Muskulatur. Beinahe schade, dass er Henry bereits zugesagt hat, ihn mit nach Hause zu nehmen, aber eigentlich auch besser so. Kein zweites Mal, das ist meine Devise. Und es erspart uns ein nächstes Desaster. Vollkommen ausreichend, dass monatelang Funkstille geherrscht hat, obwohl wir früher so gut miteinander klarkamen. Hier mit ihm zu sein, ist doch ein guter Anfang, Vergangenes ruhen zu lassen. Oben angekommen, drängt mich Kilian mit der Hand an meiner Hüfte direkt nach links. Tuchfühlung? Will er die Zeit bis zu Henrys Feierabend überbrücken?

„Dort hinten“, schreit er mir ins Ohr und zieht mich mit sich. „Henry sieht gelangweilt aus.“

Ich sehe in die angedeutete Richtung und grinse. Henry sieht definitiv nicht aus, als wäre ihm langweilig. Vielmehr ist die Bar vor seinem Bereich unüberschaubar voll und er mixt Longdrinks am laufenden Band. Soeben fliegt eine Flasche durch die Luft, die er gekonnt auffängt, bevor er einen reichlichen Schuss in ein Glas kippt. Krasse Mischung. Vermutlich beschwert sich hier niemand über die Drinks. Kein Wunder, dass es an der Bar so voll ist. Henry versteht sein Handwerk offensichtlich. Und das wohl nicht nur in seinem Job. Soweit ich mich erinnere, macht er gern mal die Nächte zum Tag und ist anschließenden One-Night-Stands nicht abgeneigt. Ich habe ihn nie ohne einen Kerl an der Seite von einer Party verschwinden sehen.

Nein, er wäre definitiv nichts für Philipp gewesen. Gedanklich klopfe ich mir auf die Schulter und dränge mich durch die Menge. Je näher wir Henry kommen, umso faszinierter bin ich von seinem Anblick. Er ist ständig in Bewegung und wirkt verdammt sexy in seiner Arbeitskleidung. Ich kann meinen Blick kaum von ihm abwenden und ärgere mich ein wenig darüber. Ich sehe ihn ja nicht das erste Mal. Aber auf die Art ist er mir noch nie aufgefallen, ich bin überrascht. Kilian ruft quer über die Theke und selbst diese Ablenkung scheint Henry ohne Weiteres wegzustecken. Er nickt uns zu, lächelt und schiebt drei Drinks über die grafitfarbene Marmorplatte. Auffordernd hält er dem Gast die Hand hin und zieht den Geldwert von der hingestreckten Karte ab. Gleich darauf gibt er seinem Kollegen ein Zeichen und wischt sich die Finger an einem Handtuch ab. Die aufgebrachten, wartenden Gäste überlässt er den anderen Barkeepern und lotst uns zu einem ruhigeren Bereich der Bar.

Kilian schlägt in die dargebotene Hand ein, bevor Henrys Blick auf mich fällt. Spöttisch wandern seine Mundwinkel nach oben. „Der verloren gegangene Freund. Schön, dich wiederzusehen, David. Dein Besuch in Düsseldorf wurde bereits angekündigt.“

Flurfunk! Wie ich das liebe. Immerhin scheint er auf mich nicht mehr sauer zu sein. Ganz im Gegenteil. Ähnlich wie bei Kilian habe ich das Gefühl, die Funkstille hat uns allen gutgetan. Henry ist ja nicht verkehrt und alles andere als langweilig. Er hat lediglich den Fehler gemacht, seine Finger nach Philipp auszustrecken und mit ihm ins Bett zu gehen. Da habe ich rot gesehen. Ich halte meine Faust hin und Henry dockt mit seiner dagegen. „Freut mich auch“, erwidere ich ehrlich und deute zu seinem Arbeitsbereich. „Du machst dir gerade Feinde.“

Henry lacht auf und greift nach zwei Longdrinkgläsern. „Die werden von den Kollegen mitbedient, da mache ich mir keine Sorgen. Also, was möchtet ihr trinken? Ich gebe einen aus.“

„Ein Kölsch für mich“, bitte ich provokativ und bin mir des Frevels vollkommen bewusst. Henrys Augen werden groß, gleich darauf grinst er. „Willst du mich verarschen? So eine Brühe haben wir hier nicht. Das kannst du da trinken, wo du herkommst. Hier sind wir in Düsseldorf und ich mixe dir den besten Cocktail, den du je hattest. Lass dich überraschen.“ Er zwinkert verräterisch und macht sich ans Werk. Immer wieder fliegt mir sein funkelnder Blick zu, während er aus dem Effeff die Getränke zubereitet.

Henrys Stimmung ist ansteckend. Schon ohne Alkohol im Blut regt sich bei mir was. In seinem Outfit sieht er schlank und sehnig aus. Die Muskeln an seinen Unterarmen spannen sich bei jedem Handgriff an. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Eine kleine Perle läuft über die Schläfe, den Hals hinab und verschwindet im Ausschnitt seines grauen Hemdes. Er strahlt Sex pur aus. In meiner Jeans wird es eng. Was ist das, verdammt? Seit wann reagiere ich auf Henry? Ausgerechnet!

Mit einer Pobacke setze ich mich auf den einzigen Barhocker in dieser Ecke und stütze mich auf die Theke. Fasziniert beobachte ich ihn, wie er eine Flasche nach der anderen greift, alles in einen Standmixer kippt und Eiswürfel dazu schmeißt.

Kilian steht neben mir und sieht genauso gebannt zu. „Machst du mir das Gleiche?“ Er reibt sich die Hände und knufft mich in die Schulter. „Warte ab, David, am Ende kommst du nicht drum herum, mich später zu begleiten. Henrys Spezialdrinks haben es in sich.“ Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen und verliert sich offensichtlich in einer Erinnerung, denn sein Blick ist kurz abwesend. „Noch bin ich nicht dahintergekommen, was er zusätzlich hineinmixt. Aber es zeigt Wirkung.“ Demonstrativ wandert seine Hand in den Schritt und er leckt sich über die Lippen. Ich lache auf, seine Anmachen waren schon besser. Dennoch komme ich nicht umhin, meine Position zu verlagern, um mir etwas Freiraum in der Jeans zu verschaffen. Verdammte Kerle.

Henry sieht es, ploppt mit der Zunge in die Wange und lacht uns an. „Du bist ein Arsch, Kilian, echt. Verbreite bloß keine Lügenmärchen. In dem Drink ist alles nur vom Feinsten.“

Er lehnt sich weit über die Theke zu mir. Sein Kaugummi-Atem weht mir entgegen, so nah ist er plötzlich. Seine Augen glitzern herausfordernd, seine Zungenspitze stiehlt sich zwischen den Schneidezähnen hervor und ohne Berührungsängste streichelt er über meinen Arm. Noch ein paar Zentimeter und unsere Lippen würden sich berühren.

„Keine Sorge, David“, wispert er gerade so laut, dass nur ich es hören kann. „Ich pansche nicht. Aber ich kenne Rezepte für gute, lange Nächte. Du siehst aus, als könntest du ein bisschen Spaß vertragen.“

Wow! Was wird das? Ein kleiner Racheakt, weil ich ihm zweimal sprichwörtlich ans Bein gepinkelt habe?

„Bist du immer so forsch?“, frage ich unverblümt und lege meine Hand auf seine. Will das verdammte Streicheln unterbinden, das mir Gänsehaut beschert. Wegschieben möchte ich seine Finger aber nicht. Dafür fühlen sie sich zu gut auf meiner erhitzten Haut an. Rau irgendwie, und doch sanft. Automatisch streiche ich über seinen Handrücken, ich kann nicht anders. Bin jetzt schon angefixt von seiner Ausstrahlung, die hier, an seinem Arbeitsplatz, doppelt intensiv wirkt wie andernorts. Einer direkten Anmache kann ich selten widerstehen. Vor allem dann nicht, wenn der Typ dermaßen heiß ist.

„Ich bin nur nett.“ Amüsiert kommt er noch näher und haucht mir gegen die Lippen: „Komm schon, David, vergiss, was war. Das ist lange her. Ein kleiner Flirt hebt die Gemüter.“

„Bei mir hebt er was anderes“, kontere ich, überbrücke den letzten Abstand, den letzten Zentimeter und fahre mit der Zungenspitze seinen Mundwinkel entlang. „Sieh dich vor, Henry, pass vor allem auf deinen geilen Arsch auf. Wenn du so weitermachst, kann ich für nichts garantieren.“

Er atmet schnell und zieht sich ein wenig zurück, um mich ansehen zu können. Sein Grinsen verschwindet, stattdessen beißt er sich verrucht auf die Unterlippe. Rrrr! „Ich habe feste Bettpartner, David, aber für dich würde ich glatt eine Ausnahme machen.“

„Seit wann bist du wählerisch?“ Das ist mir neu!

Henry lächelt sanft. „Seit ich gemerkt habe, dass ich mehr Spaß habe, wenn meine Partner wissen, was ich mag. Außerdem minimiert es das Risiko, an den Falschen zu geraten. Ist zwar nicht so, dass ich mich nicht wehren könnte, aber herausfordern muss ich mein Glück auch nicht.“

„Dann verpasst du vielleicht was …“

„Dich zum Beispiel?“, fragt er unschuldig. „Ich lasse mich gern überzeugen.“

Mir stockt der Atem, doch ich kann nichts mehr erwidern. „Hey ihr zwei, was wird das?“ Kilian drängt sich neben mich, es wird eng. Das in der Luft liegende Knistern verpufft allerdings nicht. „So war das nicht gedacht.“

„Henry spielt gerade mit dem Feuer“, knurre ich und umfasse seine Finger fester, bevor er noch auf die Idee kommt, sie wegzuziehen. „Ist er immer so drauf?“

Henry presst seine Lippen aufeinander, Kilian gluckst. „Glaubst du, ich hole mir Langweiler ins Bett? Frag mal deinen Freund Philipp, der kann das auch beurteilen. Ich befürchte, mit Henry hast du dir was entgehen lassen.“

Krass, der spinnt! War mir eben schon so warm? Ich glühe. Am liebsten würde ich mir das Hemd vom Leib reißen. Henrys Blick hilft mir wenig, er zieht mich förmlich aus.

Sekundenlang starrt er mich an, dann geht ein Ruck durch ihn, als hätte er etwas mit sich selbst vereinbart. „Du willst also David mit ins Penthouse nehmen? Vergiss nicht, dass wir verabredet waren.“ Er grinst Kilian an und nickt, ohne eine Antwort abzuwarten. „Heute komme ich mit, denk nicht mal drüber nach, mich stehenzulassen. Wenn David mit soll, dann gehen wir zu dritt.“

 

Kapitel 4 Henry

 

Kapitel 4

Henry

 

David zuckt zusammen. Seine Finger zerquetschen meine beinahe. Scheiße, hat der Kraft. Was mache ich hier eigentlich? Ich flirte auf Teufel komm raus mit ihm. Dabei weiß ich nicht einmal genau, was ich von ihm halten soll. Es ist alles lange her, aber wir haben uns nie ausgesprochen. Für mich ist die Sache vergessen – jetzt wo er vor mir steht, erst recht. Zwischen uns liegt ein Knistern in der Luft, das ich kaum begreifen kann. Aber ich liebe es, liebe diesen Abend, die Stimmung hier im Club, die angeheizt wird vom Testosteron.

„Macht nur so weiter“, murmelt David, seine Lippen sind geöffnet, auch er atmet schneller als normal. Und sieht dabei umwerfend aus. Das etwas längere Haar verrät, dass er heute schon mehrfach durchgefahren ist. Um seine Augen liegen Schatten. Schlecht geschlafen? Oder generell eine schwere Zeit? Liam sagt, er arbeitet viel, steht immer unter Strom. Zu gern würde ich dafür sorgen, dass er abschalten kann. Und wenn ich seinen Blick richtig deute, wünscht er sich genau das Gleiche. Einen Fick, der alles andere in den Hintergrund schiebt. Mit einem Mal kann ich es kaum erwarten, meine Schicht zu beenden.

„War das eine Aufforderung?“ Ich zwinkere und winde meine Finger unter seinen hervor, leider ruft die Arbeit.

Er will etwas erwidern, lächelt stattdessen aber nur. „Ich habe Durst. Willst du die Getränke warm werden lassen?“ Okay, eins nach dem anderen. Erst die Drinks, dann weiterflirten. Meine Hand zittert leicht, als ich den Standmixer nehme und meinen Spezialmix in die bereitgestellten Longdrinkgläser fülle. Ich bin froh, dass mein Beruf mir in Fleisch und Blut übergegangen ist, sonst wären diese Getränke ein Reinfall geworden. Strohhalm rein und fertig sind sie. Ich schiebe ein Glas in Richtung Kilian und stelle das zweite vor David ab.

Seine Zeit in Köln scheint ihn verändert zu haben. Ihn umgibt nicht mehr diese Arroganz, die ihn so unnahbar wirken ließ. Offenbar sieht er es ähnlich wie ich: Es ist genug Zeit vergangen, um das, was passiert ist, abzuhaken. Und wenn wir später zu dritt unterwegs sind, schaffen wir es bestimmt, uns zu unterhalten, bevor wir … Ich grinse los. Das wird abenteuerlich, aber sicher auch extrem befriedigend. Mir gefällt meine Idee immer besser, mit den beiden nachher mitzugehen. Scheiße, mein Kopfkino spielt gerade verrückt. Kilians Qualitäten sind schon ziemlich perfekt, ob David Vergleichbares bieten kann?

„Henry.“ Ein Prickeln breitet sich bis in meine Fingerspitzen aus, als er mich anspricht. Unsere Blicke treffen sich und ich beuge mich abermals zu ihm, um wegen des Dröhnens des Basses nicht schreien zu müssen. David greift in meinen Nacken, bis wir dicht beieinander sind, wispert in mein Ohr. „Jederzeit gern.“ Flüssige Lava rollt meine Wirbelsäule hinab, scheiße, das war eine Ansage. Allerdings lässt er sofort wieder von mir ab, spricht normal laut weiter. „Aber heute eher nicht. Ich bin mir sicher, dass wir alle unseren Spaß haben werden. Egal in welchem Bett.“

Zur Demonstration lässt er den Blick über die anderen Gäste schweifen. Und ich bin mehr als enttäuscht, der Kick, den er mir eben noch verpasst hat, ebbt schneller ab, als mir lieb ist. Wie zuvor berühre ich seinen Arm, um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. „Wo liegt das Problem? Ich glaube, wir würden uns bestens verstehen.“

Seine Augen blitzen bei meinen Worten auf und er drückt seine Zunge mit einer eindeutigen Bewegung in die Wange. Macht meine Enttäuschung geradewegs wieder zunichte. Was hält ihn noch ab, einfach zuzustimmen?

„Das glaube ich auch“, mischt sich Kilian ein. „David ziert sich allerdings noch ein bisschen und sucht nach ’nem willigeren Arsch.“

Ungerührt zuckt David mit den Schultern. „Das hat einen Grund, Kilian, den du am allerbesten kennen solltest. Eigentlich sollte es mir scheißegal sein, ob du immer noch in mich verliebt bist oder nicht, aber du bist mir nun mal nicht egal. Willst du es wirklich wiederholen? Ich denke, unsere Freundschaft hat genug gelitten.“

„Verliebt?“ Kilian winkt ab. „Das ist doch längst Schnee von gestern.“

Daher weht der Wind? Oh, Mann, Kilian. Davids Unentschlossenheit liegt also nicht an mir. ,Jederzeit gern!‘ Das war ein Versprechen, wenn auch nicht für heute.

David geht nicht weiter auf das Thema ein, riecht an dem Getränk und prostet Kilian und mir zu. „Wirklich keine Drogen?“, versichert er sich, bevor er den Strohhalm zwischen die Lippen nimmt und daran zieht. „Lecker. Was ist da drin?“

Ich schüttle belustigt den Kopf. „Keine Chance. Das wird nicht verraten.“

„In Köln hab ich noch nichts Vergleichbares getrunken.“ Über Davids Gesicht huscht ein undefinierbarer Ausdruck. Seine Worte stacheln mein Interesse noch mehr an. Seitdem er hier aufgetaucht ist, bin ich neugierig darauf zu erfahren, wie es ihm die letzten Monate ergangen ist.

„Wie geht’s dir eigentlich dort? Vermisst du Düsseldorf gar nicht?“

David zieht arrogant die Augenbrauen in die Höhe. „Alles bestens.“

So schnell gebe ich nicht auf, auch wenn seine ablehnende Antwort meine Stimmung ein wenig dämpft. „Also bist du dort rundum glücklich? Ein Steuerbüro neu aufzuziehen ist sicherlich ein Knochenjob, oder? Aber vielleicht hast du ja heiße Kerle und eine nette Bar für zwischendurch gefunden.“ Ich schaue ihn heraufordernd an.

Er schluckt. Hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn weiter löchere und braucht einen Moment, bis er antwortet. „Was ist schon Glück? Wie du bereits festgestellt hast: Über Langeweile kann ich in Köln nicht klagen.“

Das klingt weniger nach Spaß und eher so, als würde er sich in Arbeit vergraben. „Auf alle Fälle ist es schön, dass du uns nach so langer Zeit mal wieder beehrst“, sage ich mit einem vielsagenden Grinsen und verstehe nicht, dass ich gar nicht aufhören kann, mit ihm zu flirten.

„Wie gesagt, was Vergleichbares habe ich dort noch nicht gefunden.“ Ohne seinen Blick von mir zu nehmen, zieht er erneut an dem Strohhalm. Dabei bin ich mir ganz sicher, dass er mit dem letzten Satz nicht den Drink gemeint hat.

„Henry!“ Der flehende Ruf von Sam erinnert mich daran, dass meine Pause längst vorbei ist. Ich atme tief durch. Später … Vielleicht taut David noch ein wenig auf. „Also dann Jungs, genießt eure Drinks. Ich muss leider weiterarbeiten.“ Mit dem Daumen deute ich auf die Menge, die sich weiter vorn am Tresen drängelt. Meine beiden Kollegen haben alle Hände voll zu tun und ich habe sie lange genug im Stich gelassen.

Ich eile zurück an meinen Platz, nehme Bestellungen entgegen und mixe einen Cocktail nach dem anderen. Es ist gut, dass ich fortwährend beschäftigt bin, denn so bleibt mir kaum Zeit, meiner Fantasie eines Dreiers weiteren Raum zu geben. Hin und wieder schaue ich zu den beiden. Sie stecken die Köpfe zusammen und scheinen sich zu amüsieren, oder diskutieren sie? Sam, der näher bei ihnen steht, versorgt sie mit neuen Getränken. Fast hätte ich ihn darum gebeten, zu tauschen, aber die Ablenkung würde meiner Arbeit nicht guttun. So genieße ich die beiden von Weitem. Ich mag Davids leicht gebräunte Haut, sein Haar, das er etwas länger trägt und die einzelne Strähne, die er immer wieder aus dem Gesicht streicht, während er mit Kilian redet. Seine Schultern sind ein bisschen breiter als meine. Ob er wohl regelmäßig im Fitnessstudio Gewichte stemmt? Zumindest scheint er nicht nur im Büro zu sitzen, sondern auch auf seinen Körper zu achten. Das ist mir sogar schon in der Vergangenheit aufgefallen, obwohl ich eher Augen für Philipp hatte.

„Heißer Typ, der da neben Kilian sitzt.“ Ertappt wende ich mich um und schaue über den Tresen zu Nico, der gerade einen Barhocker erobert hat und sich darauf niederlässt. „Vielleicht könnte ich bei dem mal mein Glück versuchen?“, sinniert er und schaut mich fragend an. Er redet gern mit mir und fragt nach meiner Meinung, wenn er einen Typen für die Nacht klar machen will. Soll ich ihm jetzt grünes Licht geben? Wohl eher nicht. Auch wenn David gemeint hat, er würde heute Nacht nicht mit Kilian und mir nach Hause gehen, gebe ich noch nicht auf. Erst recht sehe ich nicht ein, ihm ein Date für die Nacht zuzuschieben. Besonders nicht so einen Jungspund.

„Der ist viel zu alt für dich“, erkläre ich ihm schärfer als beabsichtigt und um meinen Ton abzumildern, zwinkere ich ihm zu. „Du mit deinen süßen neunzehn solltest lieber in jüngeren Gefilden fischen. Guck mal, vielleicht ist da drüben jemand für dich dabei.“ Unbestimmt deute ich in die Gegenrichtung, möglichst weit weg von David und Kilian.

Nico folgt meinem Fingerzeig. „Hast du jemand bestimmtes im Auge?“

Schnell scanne ich den Raum. „Wie wäre es mit dem Schwarzhaarigen da hinten, der mit den hellblauen, engen Jeans und dem dunkelgrünen Shirt. Der sieht doch ganz heiß aus.“ Nicos Blick wandert suchend über die Menge. Der Typ steht mit dem Rücken zu uns.

„Na ich weiß nicht.“ Unbestimmt wackelt Nico mit dem Kopf. „Der ist ein bisschen klein.“

,Du bist ja auch nicht der Größte‘, rutscht mir beinahe raus, aber beleidigen will ich ihn nicht. „Er hat einen geilen Arsch.“ Irgendwie muss ich ihn locken. Nicht, dass er doch noch auf die blöde Idee kommt und wieder David ins Visier nimmt. Heute Nacht hätte ich das Duo da drüben gern für mich! Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich David zu einem Ja überreden kann.

„Nö.“ Nico schüttelt den Kopf und wendet sich wieder der Bar zu. „Du weißt doch, mich interessiert ein geiler Schwanz viel mehr.“ Wieder schielt er in Richtung David. „Alt ist mir schnuppe, eigentlich sogar lieber und der da sieht aus, als hätte er ordentlich was in der Hose.“ Anzüglich fährt er mit der Zungenspitze über seine Lippen und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Ich probier’s mal.“

Nicht mit mir! Nicht heute Nacht! Ich bekomme in gerade noch so am Arm zu fassen, bevor er sich aus dem Staub machen kann. „Glaub mir, der ist nichts für dich.“

„Warum nicht?“ Fieberhaft suche ich nach einer plausiblen Erklärung. „Weil … viel hat er nicht in der Hose“, platze ich ohne lang nachzudenken heraus und beiße mir anschließend auf die Zunge.

„Ach, du kennst ihn?“

„Ja.“ Scheiße, David wird mich umbringen, sollte er jemals davon Wind bekommen.

„Und du hast schon mal mit ihm gefickt?“, bohrt Nico neugierig weiter. Er stützt seine Ellbogen auf den Tresen, legt sein Gesicht in die Hände und wartet sensationsgierig auf weitere Informationen.

„Nein“, gebe ich zähneknirschend zu.

„Woher weißt du das dann?“

„Du kennst doch Kilian. Der weiß alles und …“ Was mache ich hier eigentlich? Ich reite mich immer weiter rein.

„… und fickt alles“, setzt Nico meinen Satz ungerührt fort. „Und Kilian hat dir erzählt, dass der Typ einen kleinen Schwanz hat?“

„Wer hat einen kleinen Schwanz?“

Doppelscheiße! David steht plötzlich dicht neben Nico und schaut belustigt zwischen uns hin und her, bevor er sich an mich wendet. „Mixt du mir noch so einen leckeren Drink? So einen wie vorhin?“

Mechanisch nicke ich. Die Hitze schießt mir ins Gesicht und ich schaue Nico vielsagend an. Halt ja die Klappe, Kleiner! Er beachtet mich allerdings nicht. Mit offenem Mund starrt er zu David hoch, bevor er ihn von oben bis unten mustert, an seinem Schritt länger hängen bleibt. Dann guckt er mir geradewegs ins Gesicht. „Ich glaube, du hast ’ne Fehlinformation.“

Das ist jetzt nicht sein ernst. Flehend schüttle ich den Kopf und das Glas in meiner Hand zittert. Nico redet ungerührt weiter. „Machst du mir das gleiche?“

Mit einem knappen Nicken drehe ich mich weg und hole frische Eiswürfel von der Eismaschine. Wie viel hat David von dem Gespräch mitbekommen? Und wie reagiert er auf so was? Besonders humorvoll habe ich ihn nicht in Erinnerung.

Außerdem, warum bin ich so erpicht auf ihn? Soll er doch mit Nico abhauen, ich gehe mit Kilian heim. Sogleich strafe ich meine Gedanken Lügen. David reizt mich. Seine Blicke und seine Stimme heizen mir ein, seine Haut unter meiner Handfläche hat sich nach mehr angefühlt. Das Spiel zu dritt. Während meine Gedanken davonfliegen, greife ich automatisch nach den Utensilien, um die bestellten Drinks zu mixen. Als ich fertig bin, möchte ich mich gar nicht umdrehen. Vermutlich hängt Nico schon an Davids Lippen. David nimmt alles mit, so kenne ich ihn aus der Vergangenheit. Und hat Kilian nicht gesagt, er sucht nach einem Willigen? Nico ist jung und süß, nur wenige können seinem Angebot widerstehen. Im Gegensatz zu mir ist er außerdem sofort verfügbar.

Mit den Cocktails in der Hand und einem gewinnbringenden Lächeln im Gesicht, wende ich mich langsam zu den beiden um. Das Bild, das sich mir zeigt, ist genau das, was ich nicht sehen wollte. Mein Lächeln gefriert. Eng presst sich Nico an Davids Körper und die zwei sind in einem leidenschaftlichen Kuss vertieft. Diese kleine Schlampe konnte echt keine Minute warten, David die Zunge in den Hals zu stecken. Der scheint es auch noch zu genießen, denn seine Augen sind geschlossen und seine Hände befinden sich auf Wanderschaft über Nicos Körper. So viel zu meiner Fantasie eines Dreiers. Kilian hatte recht: David sucht sich lieber einen anderen Kerl. Den Flirt mit mir habe ich dann wohl überbewertet.

Mit einem heftigen Knall stelle ich die Gläser vor ihnen ab, was sie nicht einmal zucken lässt. „Hier eure Cocktails. Wer zahlt?“ David besitzt die Dreistigkeit mir seine Karte über den Tisch zu schieben, ohne den Kuss zu unterbrechen.

Ich verbuche den Betrag und lege die Karte zurück. „Sucht euch ein Zimmer.“

Ah, der Satz kommt endlich an. Atemlos löst sich Nico von David. „Gute Idee. Wollen wir zu dir?“

„Sorry, Kleiner.“ Belustigt strubbelt David Nico durchs Haar. „Ich wohne in Köln. Daraus wird wohl nichts.“

Autsch, da haben die beiden ein Problem. Ich weiß nämlich von Nico, dass er noch bei seinem Vater lebt. Schadenfroh sehe ich Nico an, der die Unterlippe nach vorn schiebt. „Bei mir geht’s auch nicht“, sagt er leise. „In meiner WG ist die Hölle los.“ Er schießt einen tödlichen Blick in meine Richtung ab. Hat wohl Angst, dass ich ihn verrate. Werde ich nicht, auch wenn ich ihn gern dafür leiden lassen würde, dass er mir David so dreist weggeschnappt hat.

Ich balle die Hände zu Fäusten und versuche mich wieder in den Griff zu bekommen. Warum lasse ich mich von David so aus der Ruhe bringen? Heute Nacht habe ich Kilian. Wenn David den Kleinen unbedingt ficken will, soll er doch. Entschieden trete ich ein paar Schritte zurück und deute Sam an, dass ich mit ihm tauschen möchte. Er gibt mir sein Okay, während er noch eine Bestellung abwickelt. Ich möchte nicht länger hier herumstehen, während die beiden ausdiskutieren, wo sie hingehen sollen. „Gute Nacht euch noch.“

Ich bin mir sicher, meine wird besser. Ich werde mir Kilian schnappen, mit ihm ist es einfach, denn wir wissen, was wir voneinander wollen. Unser Arrangement läuft gut und hat sich als wirklich praktisch und äußerst befriedigend für uns beide erwiesen.

Apropos Kilian, wo ist der überhaupt? Er sitzt nicht mehr auf seinem Platz. Suchend schaue ich mich um und sehe ihn die Treppe hochkommen. Sein Blick fällt beinahe sofort auf die sich inzwischen wieder küssenden Turteltauben an der Bar und seine Miene verfinstert sich. Oh, oh, Kilian ist mal wieder auf Krawall gebürstet.

Schnell tritt er hinter Nico, packt ihn wie ein junges Kätzchen im Nacken und zieht ihn, seine Protestlaute ignorierend, von David weg. Ungehalten schaut er diesen an. „Was hast du eigentlich für ein Problem, David? Es geht um einen verdammt scharfen Dreier und du zierst dich wie ein Mädchen. Es soll nur ein Fick werden und kein verdammter Heiratsantrag.“

 

Kapitel 5 David

 

Kapitel 5

David

 

Nico wehrt sich gegen Kilians Griff und wirft mir einen irritierten Blick zu. Ich ziehe an dem Strohhalm meines Drinks und muss mir ein Grinsen verkneifen, als er wie eine Marionette vom Barhocker gezogen und weggeschoben wird. Chancenlos. Diese Szene, der süße Twink und der Riese Kilian im Wettstreit um den Platz neben mir, ist filmreif. Kilian scheint nicht aufgeben zu wollen, mich für diese Nacht klarzumachen. Desinteressiert sehe ich Nico nach, der angepisst in Richtung Tanzfläche stapft. Er ist nicht wichtig. Gut, er kann küssen und ist flink und forsch mit der Zunge. Blasen kann er daher sicher auch ganz hervorragend und zum Warmwerden war diese Einlage okay, aber mehr auch nicht. Ich lasse mich von Teenagern nicht gern um den Finger wickeln. Von jenen, die meinen, sich in unser gerade begonnenes Spiel drängen zu können, erst recht nicht.

Nico muss noch viel lernen. Bären wie Kilian muss man ganz anders begegnen. Schlagfertiger und mit durchgedrücktem Rücken. Und flirrenden Barkeepern wie Henry sollte man nicht in den Rücken fallen, wenn man Stammgast bleiben will. Er hat es darauf angelegt, Henry zu provozieren – gut, ich auch. Aber Nico spielt nicht in unserer Liga. Das sah eher danach aus, als wolle er Henry eins auswischen, ich hingegen wollte Henry noch ein Stück mehr hinter dem Ofen hervorlocken und herausfinden, wie ernst sein Flirtversuch mit mir zu nehmen war. Er kann doch nicht vergessen haben, in welche Scheißsituationen ich ihn schon gebracht habe. Oder sinnt er doch auf Rache? Im Moment kann ich ihn schwer einschätzen, obwohl vieles darauf hindeutet, dass er einfach nur Spaß haben will. Wenn er so weiter macht, geht sein Plan auf. Erneut ballt sich Lust in meinem Unterleib, als ich an die Anmache von ihm denke.

„Was ist jetzt, David. Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Kilian reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe ihn herausfordernd an. „Ich bin nicht interessiert. Haben dir die letzten sechs Monate Funkstille nicht gereicht?“

Henry gibt ein „Autsch“ von sich, das ich sogar über die Theke hinweg höre.

„Hör schon auf, David“, schnaubt Kilian. „Du sagst selbst, es ist ewig her. Außerdem quatschen die anderen zu viel. Wenn ich immer noch in dich verliebt wäre, würde ich es dir sagen. Dafür hätte ich gern meinen alten Kumpel wieder. Und wenn wir da weitermachen können, wo wir aufgehört haben, wäre das … heiß. Komm schon, Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Er tritt einen Schritt näher zu mir. So nah, dass ich tatsächlich leicht zu ihm hochschauen muss. Braucht er wohl. „Willst du dir die Gelegenheit wirklich entgehen lassen? Zufälligerweise weiß ich, dass dein letzter Versuch eines Dreiers missglückt ist.“

Ich zucke zusammen. Spielt er auf Philipp und Liam an? Arsch! „Woher willst du das wissen, hm? Vielleicht hatte ich ja noch weitere Gelegenheiten?“

„Vielleicht habe ich ja Kameras in deinem Loft installiert?“ Kilian wackelt mit den Augenbrauen und leckt sich so unerotisch über die Lippen, dass ich loslachen muss. So kenne ich ihn. Allerdings sind mir seine momentanen Absichten nicht ganz klar.

„Okay, angenommen du hast recht und der Dreier reizt mich. Was genau erwartest du von mir in dieser Konstellation?“ Ich muss nur Henry ansehen und weiß zumindest, was ich mir davon erhoffe. Einen heißen Fick mit ihm. Und ich werde nicht hinhalten! „Drück dich konkreter aus, dann kann ich über den Vorschlag nachdenken und dir meine Antwort geben.“

„Jungs! Wollt ihr jetzt Verträge abschließen?“ Henry schüttelt den Kopf. Klingt sichtlich angespannt. „Vielleicht klären wir das, wenn wir hier raus sind.“

„Nein, wir klären das jetzt“, fährt Kilian ihn an und Henry seufzt. Gleich darauf ist er aus meinem Blickfeld verschwunden.

„Also? Ich höre, Kilian.“

„Ich bin nicht in dich verliebt!“, zischt er leise. „Reicht dir das? Ich will einfach nur Spaß haben und abschalten. Mit dir und Henry ginge das hervorragend. Ich habe auch schon eine Vision von uns dreien.“

Automatisch grinse ich. Ich ahne, wie seine Vision aussieht, meine allerdings hebt sich gravierend von seiner ab. Für mich wird es verlockend, wenn ich mir Henry als Puffer zwischen uns vorstelle. In aller Seelenruhe ziehe ich den Hocker hinter mir zurecht und setze mich halb darauf. „Ich bin nicht abgeneigt“, beginne ich wohlüberlegt. „Aber ich will etwas klarstellen, bevor ich mitkomme.“

Er schnaubt, tut es mir aber gleich und setzt sich. So dicht, dass er sein Knie zwischen meine Schenkel schieben muss. Zeitgleich greifen wir zu meinem Cocktail. Eigentlich haben wir beide genug. Ich ziehe meine Hand zurück und beobachte, wie er den Drink in wenigen Zügen leert.

„Also?“ Unsanft stellt er das Glas auf dem Tresen ab.

„Wir gehen zu dir“, verspreche ich ihm, „und lassen es auf uns zukommen. Wenn es nicht klappt, brechen wir ab. Und keine Vorwürfe hinterher.“

Kilian nickt euphorisch. Zu euphorisch für meinen Geschmack. Seine Augen funkeln geradezu. „Damit kann ich leben. Es wird gut gehen.“

Im gleichen Moment gesellt sich Henry zu uns und legt seine Hände auf unsere Schultern. „Kein Streit an der Bar, okay?“

„Kein Streit an der Bar.“ Wenigstens das kann ich versichern. Ob es zwischen Kilian und mir klappt, steht noch in den Sternen. Seine offensichtliche Begierde auf mich steigert mein Unwohlsein leider noch. Ich sollte Abstand von der Sache nehmen. Dennoch hake ich einen Finger in Henrys Gürtelschlaufe und ziehe ihn zu mir, stehe auf und drehe ihn, bis er Kilian gegenübersteht. Er lässt es geschehen, sehr gut. Dabei verströmt er einen Mix aus Aftershave, Sirup und Kaugummi. Intensiver als ich es vorhin wahrgenommen habe. Verlockend.

Ausgerechnet Henry! Philipp wird mich auslachen. Aber das stecke ich weg. Schlimmer wiegt mein zweites Problem: Wie kann ich Kilian von mir fernhalten und dennoch das Zusammensein mit Henry genießen? Denn um ihn erleben zu können, bleibt mir nur, tatsächlich mit den beiden zu gehen.

Langsam streiche ich an Henrys Hüfte hinab und lege meinen Arm fest um seinen Unterleib. Er bebt kurz. Eine verheißungsvolle Antwort. Eine Einladung, mich dichter an ihn zu drängen, und ihn spüren zu lassen, was ihn in dieser Nacht erwartet. Immerhin hat er es drauf angelegt, dass ich mir keinen anderen Kerl für die Nacht suche, er darf also gern für Entschädigung sorgen. Ich sehe Kilian herausfordernd an. „Wir drei, ja? Das ist es, was du willst?“ Und was ich will, werde ich mir nehmen: Henry!

Dieser stößt den Atem aus, will sich in meinem Arm drehen, doch ich lasse es nicht zu, dränge ihn stattdessen zwischen Kilians Beine. Mit einem Griff in seinen Nacken ziehe ich Kilians Kopf nah an mich heran. Nur wenige Zentimeter trennen unsere Lippen. „Ja oder nein?“

Bevor Kilian antworten kann, drückt Henry ihm seine Lippen auf den Mund, dreht danach den Kopf und küsst mich ebenfalls. „Doch nicht Nico?“

„Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Glück für euch.“ Amüsiert überwinde ich den kleinen Abstand zu Kilian, lecke über seinen Mundwinkel und nutze seinen perplexen Moment, dränge meine Zunge zwischen seine Lippen. Sofort geht er auf meine Aufforderung ein und kommt mir begierig nach, als ich mich wieder von ihm löse und süffisant grinse. Kilian hat genug getankt, weit mehr als ich. Ich denke, ich kann es wagen, mitzugehen und den Abend zu steuern. Henry bleibt zwischen uns. Die ganze Zeit. So müsste es funktionieren.

„Jungs“, wispert Henry direkt an meinem Ohr, „ihr seid euch anscheinend einig. Lasst uns verschwinden. Ich habe Feierabend gemacht und hier ist gleich Sperrstunde.“ Rau ist seine Stimme. Und emotionsgeladen. Das macht mich nur noch mehr an. Ein Schauer kriecht mir über den Rücken.

Statt eine Antwort zu geben, greife ich in seine drahtig wirkenden Locken und drehe seinen Kopf zu mir, warte, bis er mir direkt in die Augen sieht. Dunkelbraun sind seine. Wirken sanft und tiefgründig, obwohl die Neonbeleuchtung der Bar sich darin widerspiegelt. Sachte drücke ich meine Lippen auf seine und küsse ihn. Richtig diesmal. Ausgiebig. Ich genieße seine Erwiderung und spüre an jedem Berührungspunkt unserer Körper, wie seine Anspannung von ihm abfällt. Der Kaugummigeruch, den ich wahrgenommen habe, verwandelt sich in echten Kaugummigeschmack. Zitrone, mit einem Hauch Schärfe. Ingwer? Ich lockere meinen Griff und Henry nutzt die Chance, dreht sich halb zu mir und legt seinen Arm auf meiner Schulter ab. Er vertieft den Kuss, so schnell und bestimmt, dass mir sämtliches Blut in den Unterleib schießt. Mann, der Kerl legt es darauf an, mich heiß zu machen. Abermals schnappe ich nach seinen Lippen, sauge seine Zunge in den Mund und liebkose sie mit meiner. Ich lasse mir dabei Zeit, will ihn genauso willensschwach machen, wie ich mich fühle. Ein langer Morgen steht mir bevor. Henry ist gut im Bett, daran zweifle ich keine Sekunde. Und nach meinem letzten Wochenende mit Sven, steigt die Begierde in mir noch weiter an. Heute werde ich nicht passiv sein … sicher nicht. Ich spüre Finger, die sich meinen Schenkel entlang tasten, Finger, die meine Seite streicheln und Finger, die meinen Rücken hinauf wandern. Zu viele auf einmal. Verdammt, das wird ein anstrengendes Unterfangen, Kilian von mir fernzuhalten. Doch dieser drängt Henry nun seinerseits gegen mich, bis ich den Hocker erneut unter meiner Pobacke spüre, Henrys Erektion an meinen Schenkel gedrückt wird und sein Keuchen so vielversprechend klingt, dass ich bereue, Nico vor seinen Augen geküsst zu haben.

„Okay“, krächzt Kilian. „Deal!“

„Was für ein Deal?“ Henry zieht den Kopf zurück und sieht uns abwechselnd an. „Was habt ihr vereinbart?“

„Dass wir aufhören, falls einer von uns das Gefühl hat, es geht nicht.“ Kilian zwinkert Henry zu. „Oder willst du jetzt kneifen?“

Ich sehe an Henry herab, seine schwarze Jeans sitzt knackig, geiler Arsch. Leider hat er das figurbetonte, graue Hemd gewechselt. Aber sein Shirt ist ebenfalls eng, lässt gut erahnen, wie er darunter aussieht. Auch dieser Stoff klebt bereits an ihm. Er ist durch und durch verschwitzt. Strahlt dabei Sex pur aus und gibt eine wunderbare Wärme ab. Um eine Dusche wird er bei Kilian dennoch nicht herumkommen. Und ich auch nicht, ich bin seit gestern morgen auf den Beinen. Ohne Unterlass wippt Henry auf seinen Füßen vor und zurück. Nervös?

Er schreit etwas über die Theke und wenig später schiebt sein Kollege drei Schnapsgläser zu uns und stellt eine halbvolle Flasche Tequila daneben. Allein bei dem Anblick rebelliert mein Magen. Ich habe heute noch nicht viel gegessen. Dennoch nehme ich ein Glas entgegen und proste den beiden zu.

„Auf diese Nacht“, kommentiert Henry und kippt die beißende Flüssigkeit mit einem Schluck runter. Kilian auch. Ich hadere mit mir und stelle das Glas wieder ab, greife stattdessen nach meinem Handy. „Ich ruf uns ein Taxi.“ Kilians aufkommenden Protest ersticke ich im Keim. „Von uns fährt keiner mehr Auto.“

„Aber ich kann noch.“ Henry grinst anzüglich, schiebt seine Hand meinen Schenkel hinauf, tastet nach etwas in meiner Hosentasche, und mit jeder verstreichenden Sekunde schwindet das Grinsen wieder aus seinem Gesicht. Die Luft zwischen uns flirrt, ich wage kaum zu atmen. Ja, ein Stück weiter zur Mitte … Es ist, als höre er meine Gedanken. So ist es gut, noch ein Stück …

Über Henrys rechter Augenbraue zuckt ein Muskel, angestrengt presst er die Kiefer aufeinander, lässt meinen Blick aber nicht los. Er hat längst gefunden, was er sucht. Nur kommt er nicht ran. An beides nicht.

„Nimm bitte meinen Wagen. Mir wäre es ganz lieb, wenn der nicht mitten in der Stadt stehen bliebe.“ Kilian drängt sich dazwischen und wedelt gleich darauf mit seinem Autoschlüssel vor unseren Gesichtern herum. Zerstört die Seifenblase, in der wir gerade gemeinsam geschwebt sind.

„Garagenwagen“, vermute ich laut und räuspere mich, um meine Stimme wieder klingen zu lassen. Es hilft nicht. Der Frosch im Hals sitzt fest. Die Hitze in mir und um mich herum macht mich träge. Vorsichtig schüttle ich den Kopf, versuche, den Schwindel zu vertreiben und schiebe Henry von mir, um aufzustehen. „Ist dein Schätzchen nicht versichert, wenn es in der Stadt vergessen wird?“

„Du kennst dich aus“, spottet Kilian.

„In allen Bereichen, ja“, kontere ich. „Hast du daran gezweifelt?“

Henry lacht auf und stupst Kilian belustigt an. „Dann lass uns hier keine Wurzeln schlagen. Bringen wir dein Baby nach Hause.“

Guter Plan. Das lässt sich auch Kilian nicht zweimal sagen, legt einen Arm um Henrys Schultern und stapft mit ihm auf die Treppen zu. Die beiden so zu sehen, stört mich – aber ich kann nicht festmachen, warum das so ist. Ein letztes Mal drehe ich mich um. Nico steht nur wenige Meter von mir entfernt und sieht beleidigt weg, als er meinen Blick bemerkt. Sorry, Kleiner.

 

~~~

 

Eine halbe Stunde später öffnen sich die Fahrstuhltüren zu Kilians Penthouse. Tageslicht dringt durch die Oberlichter, gleich darauf flammen in der Küche zusätzlich Spotlights auf. Henry legt seine Jacke über den Tresen und schiebt mit einem amüsierten Zug in den Mundwinkeln die Ärmel seines Shirts nach oben. „Dann wollen wir mal. Kilian, ich hoffe, deine Getränke sind wieder aufgefüllt.“

Das klingt nach durchzechten Nächten. Vermutlich kennt sich Henry in Kilians Bar besser aus, als er selbst. Kilian schleppt sich zu seinem Sofa und lässt sich der Länge nach darauf fallen. Mit der Hand unter dem Kopf als Stütze legt er seine Beine hoch und streift die Schuhe von den Füßen. „Gleicher Drink wie immer“, stöhnt er. „Und du könntest dich vorher ausziehen. Ich liebe es, dich nackt in meiner Küche hantieren zu sehen.“

Mein Blick fliegt zu Henry, der belustigt den Kopf schüttelt, sich aber ohne Umschweife das Shirt über den Kopf zieht. Ich stehe unbewegt vor der Anlage und sehe, ohne Luft zu holen, Henry bei seinem Striptease zu. Er befreit sich von seinen Schuhen und auch von den Socken, zieht den Gürtel aus seiner Hose und lässt ihn klappernd auf die Fliesen fallen. „Das muss erst mal reichen, Jungs. Ihr könnt wieder atmen.“

Augenblicklich entlasse ich meine angehaltene Luft und sehe, wie sich Kilian in den Schritt greift. Und wie seine Augenlider dabei flattern, als könne er keinen Punkt mehr fixieren. Wow, der hat genug intus.

Mit dieser Erkenntnis kommt mir eine weitere Idee. Schnell sorge ich für leise Musik, trete hinter Henry und versenke meine Nase in seinen Locken. „Du riechst gut“, murmle ich und spüre das leichte Beben, das ihn erfasst. Ich streife mit den Lippen über seinen Hals und seine Schulter und greife links und rechts von ihm an die Arbeitsplatte. Er legt den Kopf in den Nacken und keucht leise auf, genießt meine Berührungen. „Mach weiter“, flüstere ich. „Kilian wartet auf sein Getränk.“ Henry gibt einen Laut von sich, der mich nur noch mehr anmacht. Ich lecke über seine puckernde Halsschlagader und beiße sanft in die weiche, schwitzende Haut. Zuzusehen, wie ich ihn damit aus dem Gleichgewicht bringe, törnt mich noch mehr an. Mit nicht mehr ganz so automatisierten Handgriffen füllt er drei Gläser. Als er zu etwas Hochprozentigem greift, lege ich meine Finger über seine, stoppe ihn beim ersten und zweiten Glas nach einem kleinen Schuss und halte beim dritten Glas seine Hand gesenkt. Mehrmals will er die Flasche absetzen, doch ich unterbinde seinen aufkommenden Protest, indem ich meinen Unterleib an seinen Hintern drücke. Erst als er schnaubt und sich mit aller Kraft gegen meinen eisernen Griff sträubt, gebe ich nach.

„Bist du verrückt?“ Er keucht leise auf. „Wer soll denn das trinken?“

„Kilian verträgt das“, hauche ich an sein Ohr.

„Das wird ihn umhauen“, wispert er zurück und ich fasse in seinen Schritt. Ein Grollen folgt aus der Tiefe seiner Kehle. Umständlich drückt er sich an mich und legt den Kopf an meiner Schulter ab. „Kaum zu glauben, dass wir uns seit Jahren kennen und nie gemeinsam im Bett gelandet sind.“

„Daran dachte ich auch schon.“ Ich lecke über seine Ohrmuschel, reibe mich immer weiter an ihm und hebe seine Hand erneut an. Diesmal ohne Gegenwehr setzt er die Flasche über dem dritten Glas an und ein weiterer, guter Schuss landet in der krassen Mischung. „Lass uns das Versäumte jetzt nachholen. Ich will dich allein“, raune ich. „Kilian darf gern kurz mitmischen, aber ich vermute, er wird bald aussteigen.“

„Das wird er uns übel nehmen.“

„Definitiv!“

„Was flüstert ihr da?“ Schwankend erhebt sich Kilian, die klare Luft unseres kurzen Spaziergangs hat die Wirkung des Alkohols bei ihm ordentlich verstärkt. Zum Glück habe ich mich im Club zurückgehalten.

„Nichts“, antworte ich und ohne mit der Wimper zu zucken, schiebe ich seinen Spezialmix über die Arbeitsplatte und hebe eines der anderen Gläser an. „Wir stimmen uns gerade ein. Prost. Auf die nächsten, vielversprechenden Stunden.“

Henry schluckt, ich höre es, so nah ist er mir. Auch er hebt sein Glas und stößt mit uns an. Zum Trinken kommen wir allerdings nicht. Fasziniert beobachten wir Kilian, wie er sich mehrere lange Schlucke gönnt. „Hast es ganz schön gut gemeint mit dem Alkohol“, lallt er gleich darauf. „Fiese Mischung.“

Anschließend wankt er um den Tresen herum und ich drehe mich automatisch mit Henry. Irgendetwas in mir sträubt sich bei dem Gedanken, ihn an mich heranzulassen. Dabei war es damals gut zwischen uns. Mehr als das sogar. Aber die Nacht war kein halbes Jahr Funkstille wert.

Kilian scheint es für den Moment egal zu sein, er greift nach Henry. Wölbt seine Hand um dessen Härte und der wird butterweich in meinen Armen. Laut saugt er Luft zwischen die Zähne, lehnt sich an mich.

Sollen die beiden sich gegenseitig anheizen. Ich habe Zeit. Es ist gerade mal halb sieben. Wenn Kilian erst mal ausgeknockt ist, begrüßen wir gemeinsam den neuen Tag. Bei dem Gedanken grinse ich, packe um Henry herum an Kilians Hose und öffne sie ohne Umschweife. Vielleicht kann ich es beschleunigen … Ich greife in Kilians Pants und umfasse den warmen, harten Schaft. Er krampft seine Finger um die Theke und hält sich gleichzeitig an Henry fest. Presst seine Lippen auf dessen Mund und allein Henrys körperliche Reaktionen lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Mit langsamen Bewegungen heize ich Kilian ein, während er Henry streichelt, seine Lippen verlässt und sich über seinen Hals nach unten küsst.

„David, Kilian.“ Leise bremst Henry uns. „Lasst uns austrinken und auf die Couch übersiedeln.

 

 

Ende der Leseprobe!

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Tag der Veröffentlichung: 05.03.2018

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