Cover

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Die hohen Wände des Saals reflektieren die Stimmen der vielen Menschen, die bereits auf den quietschenden Stühlen Platz genommen haben oder gerade durch die weißen Flügeltüren eintreten. Die Männer kommen in maßgeschneiderten Anzügen, die Frauen tragen Kostüme oder lange dunkle Kleider. Augen schweifen nach Bekanntschaften suchend durch die Menge, und vor dem Eingang klirren die Gläser beim Sektempfang, wenn sich die alten Freunde wiedergefunden haben. Die Banner an den Wänden, die viel für den Abend versprechen, werden ehrfürchtig betrachtet. Es sind noch fünfzehn Minuten Zeit, bis die junge Frau, die die Namen der Besucher mit der Gästeliste vergleicht, die Türen schließen wird. Noch gibt sie freundliche Hinweise, wo die Toiletten zu finden sind und achtet darauf, dass niemand versucht, in den Hinterraum des Saals einzutreten, wo sich der Redner vorbereitet.

Jener ordnet gerade seine Vortragsnotizen, während seine Managerin ihm den Ablauf des Abends ein letztes Mal erläutert. In dem kleinen Hinterzimmer herrscht Chaos, Menschen brüllen sich gegenseitig schnelle Anweisungen zu und ein Geruch von Parfum und Aftershave liegt in der Luft. Alles arbeitet angestrengt an den letzten Vorbereitungen. Nur der Redner wippt nervös auf seinen Füßen, seine Managerin hat es inzwischen übernommen, seine Notizen zu sortieren. Die Stimmen aus dem Saal nebenan sind bedrohlich laut zu hören, so laut, dass beinahe niemand das Klingeln eines Handys bemerkt. Der Professor, der heute seine Arbeitsergebnisse präsentieren soll, zieht es aus der Tasche, blickt auf das Display und verschwindet ungeachtet des Protestes seiner Managerin in eine stillere Ecke, um den Anruf entgegenzunehmen.

Inzwischen hat sich der Saal beruhigt, die Türen wurden endgültig geschlossen. Die Besucher sitzen auf ihren Plätzen und hören dem Spiel des Pianisten zu, der zur Einleitung des Abends engagiert wurde. Alles wartet gespannt auf den Redner, bereit, seine Arbeitsergebnisse nachzuvollziehen und gegebenenfalls kritische Fragen zu stellen, vor allem aber neugierig auf das, was so sensationell angekündigt wurde, eine neue, bedeutsame Erkenntnis, die die Wissenschaft verändern wird.

Zur gleichen Zeit, als diese Wahrheit darauf wartet, endlich ins Licht der Öffentlichkeit gerückt zu werden, offenbart sich dem Redner am Telefon eine andere, düstere Erkenntnis. Als er auflegt, blicken seine Augen starr. Mechanisch geht er zurück zu seiner Agentin, die ihn fragend anschaut, mit den Schultern zuckt, als er nicht antwortet und sich daran macht, seine Krawatte zu richten. „Sind Sie bereit?“, fragt sie ihn, und Enthusiasmus schillert in ihrem Gesicht. Der Professor gibt noch immer keine Antwort, er scheint sie gar nicht gehört zu haben. „Ist etwas los mit Ihnen?“, sagt die Managerin, nun in einem besorgten Ton. Er starrt nur auf das Handy, das auf einer Ablage vor ihm liegt. Sie folgt seinem Blick, und als sie ihm wieder in die Augen schaut, weiß sie, was geschehen ist. Ihre Augen weiten sich vor Entsetzen, ihr Mund öffnet sich, wie um etwas zu sagen, ein Wort des Verständnisses oder des Mitleids. Doch sie bleibt stumm, und das tut sie auch weiterhin, als ein anderer Mann im hinteren Teil des Raumes von zehn herunterzählt und den Professor danach energisch auf die Bühne herausleitet, damit dieser von der Wahrheit erzählen kann, während er die seine in seinem Inneren abzutöten versucht.

Impressum

Bildmaterialien: Cover: http://www.deviantart.com/art/Beyond-the-veil-176561308
Tag der Veröffentlichung: 03.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all die elitären Snobs.

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