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Kapitel 1 und 2

Adam und Eva(n)

... ich höre das Wasser im Badezimmer rauschen. Verwundert schleiche ich auf nackten Füßen zur Tür, stoße diese ganz langsam auf... und was ich dann zu sehen bekomme, lässt mein Blut in südlichere Gefilde rauschen.
Hinter der beschlagenen Duschwand kann ich eine wunderschöne Rückansicht bewundern. Ich fange, an den Körper vor mir von unten nach oben abzuscannen.
Lange, schlanke Beine, die an einem wahrhaft leckeren und knackigen Po enden, sehr schmale Hüften und ein von zarten Muskeln gezeichneter Rücken, lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Vom grazilen Nacken bis hinunter zum Knackarsch zieht sich über die gesamte Wirbelsäule ein Tattoo. Durch das beschlagene Glas nicht gut zu erkennen, aber es scheinen asiatische Schriftzeichen zu sein. Jetzt werden die Arme über den Kopf gehoben und ich beobachte fasziniert das Spiel der Oberarmmuskeln, die sich anspannen, als die Finger mit Shampoo benetzt durch die vollen, etwa schulterlangen schwarzen Haare streichen. Die Haut hat einen zarten Pfirsichton und ich habe Lust, meine Lippen und Zunge entlang der Wirbelkörper langsam von oben nach unten gleiten zu lassen um zu erfahren, ob die Haut so zart ist, wie es von hier den Anschein hat.
Als sich der Schaum einen Weg nach unten bahnt und zwischen den knackigen Hälften verschwindet, keuche ich auf. Schon längst steht mein ganzer Körper unter Strom und mein Schwanz ist so hart, dass es wehtut.
Scheinbar wurde ich bemerkt, denn langsam wird der Kopf in meine Richtung gedreht. Gleich kann ich das Gesicht sehen- nur noch ein ganz winziges Stück weiter und dann...

Erschrocken fahre ich hoch. Mein Herz rast, als ob ich einen Marathon gelaufen wäre. Schon wieder knallt es laut. Scheinbar hängt bei meinen Nachbarn der Haussegen so schief, dass mal wieder die Zimmertüren die Leidtragenden sind. Ich schüttle meinen Kopf. Was... Mist, wie spät ist es? Mein Blick richtet sich auf die Wand vor mir und ich kriege den nächsten Schreck. In nicht mal fünfzehn Minuten muss ich auf der Arbeit sein. Noch ein wenig benommen stelle ich fest, dass ich offensichtlich heute Nacht über meinen Anatomiebüchern am Schreibtisch eingeschlafen bin.
Ich hatte gestern nach dem Abendessen noch beschlossen, für die bevorstehende Prüfung zu lernen, damit es in der nächsten Woche nicht zu viel Stoff wird, den ich mir merken muss. Leider scheint mich die Müdigkeit eingeholt und Morpheus mir diesen unglaublichen Traum geschenkt zu haben. Niemand außer mir steht unter meiner Dusche. Seit ich Tim mit seinem besten Kumpel in unserem Bett erwischt habe, bin ich wieder Single. Es tut noch immer schrecklich weh, an ihn zu denken. Gut, die Trennung ist erst 6 Wochen her und war auch nicht wirklich freundschaftlich. Nein, nicht was ihr denkt.  



Ich parke mein Auto vor unserer Haustür. Tierisch freue ich mich auf Tim's überraschtes Gesicht, wenn ich 2 Tage früher als erwartet nach Hause komme. Im Rahmen meines tiermedizinischen Studiums, musste der ganze Kurs für eine Woche nach Chicago. Vierhundertfünfzig Meilen getrennt von meinem Liebsten. Gestern Abend noch, kurz bevor ich mich ins Auto gesetzt habe, haben wir noch miteinander telefoniert und Tim säuselte zum Abschied mit trauriger Stimme: " Ich vermisse dich so wahnsinnig, mein Schatz.“ Da stand für mich fest, dass ich die letzte Vorlesung einfach sausen lasse und zurück nach Detroit fahre. Denn auch ich vermisste ihn. Mit der Tüte von Tim's Lieblingsbäcker, gefüllt mit Schokocroissant, die er am liebsten mag, öffne ich umständlich die Haustür. Ich wundere mich noch über die Unordnung im Wohnzimmer. Ist Tim doch wie ich selber auch sehr ordentlich. Die Tür zum Schlafzimmer ist noch geschlossen, was bedeutet, dass mein Schatz noch schläft. Nun ja, es ist auch erst kurz vor sieben Uhr und Tim kein Frühaufsteher. Also schnell in die  Küche den Kaffee aufsetzen und dann meinen Schatz wecken. Ich öffne vorsichtig die Tür mit einer Tasse Kaffee und einem Croissant bewaffnet und gehe auf unser Bett zu. Das, was ich allerdings zu sehen bekomme, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Die Liebe meines Lebens liegt eng an seinem besten Freund gekuschelt, der sein Gesicht im Nacken von Tim vergraben hat und ich kann die leisen Töne, welche Zufriedenheit bei ihm ausdrücken, deutlich hören. Sämtliche Haare auf meinem Körper streiten sich plötzlich um einen Stehplatz und der Laut, der sich aus meiner Kehle seinen Weg nach draussen bahnt, klingt wie der eines verletzten Tieres. Überrascht reißt Tim seine Augen auf und den Ausdruck darin habe ich noch niemals bei ihm gesehen. Er schaut so gehässig, dass ich noch immer keine Worte finde. Dafür aber Benedikt. " Oh, hey Evan. Du bist aber früh wieder zurück. Schön, dann erfährst du eben auf diesem Weg, dass Tim keine Lust mehr hat, mit einem Stück Kohle in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Kriech am besten einfach in die Höhle zurück aus der du gekommen bist. Nigger sind hier nicht erwünscht!"
Ich schaue noch immer völlig ungläubig zu Tim und hoffe auf eine Erklärung, die ich scheinbar nun auch bekommen soll. "Meine Sachen habe ich schon gepackt und morgen komme ich mit Bene und Sebastian die Kisten abholen und dann brauch ich deinen Anblick nicht mehr zu ertragen. Schade, dass du zu früh zurück gekommen bist, denn leider kann ich dir die Wohnung nun nicht mehr leer räumen. Ich habe gestern mein Diplom bekommen und habe auch schon eine Anstellung in der besten Werbeagentur in der Stadt und brauche somit niemanden mehr, der mich aushält, während ich studiere. Wie du weisst, ist das Studium zum Grafikdesigner nicht gerade billig und ich hatte auch nicht wirklich Lust, so wie du zwei Nebenjobs zu haben und mich nebenher auch noch auf das Studium zu konzentrieren. Aber da jetzt alles in Sack und Tüten ist..." er lacht gehässig. Benedikt steht auf und bleibt nackt wie er ist vor mir stehen. " Weißt du, freie Kost und Logis, eine Putzfrau und immer etwas zum Ficken, wenn einem danach ist, findet man nicht so leicht. Auch, wenn deine Hautfarbe ein echtes Manko ist…aber wer's mag."
Meine Starre löst sich und die Tasse und das Gebäck landen vor meinen Füßen auf dem Boden. Ich kann nicht verhindern, dass sich in meinen Augen Tränen sammeln, obwohl Tim scheinbar keine einzige davon wert ist.

 

Aber zurück in die Gegenwart. Ich renne wie der Blitz ins Badezimmer, um schnell meine Zähne zu putzen und zu duschen. Vor dem Waschbecken stehend, starre ich kurz in den Spiegel. Ich sehe helle, blaue Augen, die ich meiner Mam verdanke, hohe Wangenknochen, eine gerade, etwas breiter geratene Nase- das Erbe meines afrikanischen Vaters - und geschwungene, volle Lippen. Meine Haut sieht laut meiner besten Freundin aus wie Milchschokolade. Viel heller als die Haut meines Vaters, da meine Mutter eine Weiße ist. Ja ihr habt richtig gehört, ich bin ein ca. ein Meter neunzig großer, schlanker 'Mischling'. Mittlerweile kann ich ein paar ordentliche Muskeln mein eigen nennen, da ich es satt hatte, immer als Boxsack herhalten zu müssen. Ist es schon schlimm genug als Kind von Eltern mit zwei verschiedenen Hautfarben zu stammen, dann könnt ihr euch sicher vorstellen wie toll es wird, wenn herauskommt, dass man auf das eigene Geschlecht steht. Mir war das schon mit vierzehn ziemlich klar.   

 

Nachdem ich meine Zähne geschrubbt habe, befreie ich mich schnell von meiner Panty und stelle fest, dass die Auswirkung meines Traums noch immer vorhanden ist. Mir bleibt heute aber auch nichts erspart! Also Zähne zusammenbeißen und ab unter die Dusche. Als ich unter dem eisigem Strahl stehe, entkommt mir ein unmännliches Quieken. Heilige Scheiße! Allerdings bin ich nun vollends wach.
Schnell abtrocknen und anziehen. Haare trockenrubbeln und mit den Fingern einmal durch….das muss reichen. Für mehr ist einfach keine Zeit, wie ich mit Blick auf die Uhr feststelle.
Schuhe anziehen, einen Apfel aus der Obstschale greifen und den Schlüsselbund krallen sind alles eins und schon finde ich mich in meinem Auto wieder. Gott sei Dank ist die Straße am Samstagmorgen nicht so voll und ich stehe mit einer Verspätung von vier Minuten endlich auf dem Parkplatz vor dem Hallenbad. Da allerdings so ein Witzbold sein Auto auf zwei Parkplätzen abgestellt hat, passe ich nicht mehr auf den für die Angestellten. Also heißt es, ganz am anderen Ende auf dem Gelände parken. Ich schnappe mir schnell meine Tasche, die ich schon gestern in weiser Voraussicht in den Wagen gelegt habe und sprinte auf den Eingang zu.
Abrupt wird mein Sprint unterbrochen, indem ich mit etwas oder besser gesagt mit jemanden zusammenstoße. Zum Glück für mein Gegenüber habe ich eine ziemlich gute Reaktion, sodass ich schnell meine Arme um den Oberkörper desjenigen schlinge, mit dem ich kollidiert bin.
Ich nehme mir nun doch die Zeit, ihn genauer anzusehen, denn während ich noch versuche das Gleichgewicht zu halten, steigt mir ein wunderbarer Duft in die Nase. Nach Pfirsich, frischem Holz und nach Mann. Ich  beginne wie immer von unten nach oben zu scannen. Schlanke, lange Beine, die in einer hautengen, schwarzen Jeans stecken. Darüber eine etwas mehr als hüftlange dicke Jacke und aus den Ärmeln schauen zierliche Hände heraus, die die Vorderseite  meiner Jacke so fest umklammert halten, dass sie schon ganz weiss sind. Mein  Blick wandert höher und ich versinke in den unglaublichsten, mandelförmigen braunen Augen, die ich je gesehen habe. Die Farbe erinnert an flüssige Zartbitterschokolade. Am äußersten Rand sind sie fast schwarz und um die Pupille sind kleine, goldene Sprenkel zu sehen. Die Augen sind umrahmt von einem Kranz dichter langer Wimpern, die jedes Mädchen neidisch werden lassen. In meinen Armen halte ich einen wahrhaft wunderschönen, zierlichen, schwarzhaarigen jungen Mann. Mein Herz scheint für einen Augenblick stehenzubleiben, um dann mit dreifacher Geschwindigkeit weiter zu donnern.
Ich kann mich gar nicht so recht überwinden, ihn losu lassen. Allerdings bin ich noch immer in Eile. Ich stammele eine Entschuldigung, drehe mich schnell um und bin schon auf dem Weg zum Eingang. Ich kann gerade noch hören, wie die Begleiter meines Traummannes fragen ob alles ok ist, aber dann bin ich auch schon auf dem Weg in die Mitarbeiterräume. Will  ich meine Chefin doch nicht gänzlich verärgern. Der Zusammenstoß gerade hat scheinbar nur kurze Zeit beansprucht, da ich, nachdem ich umgezogen bin, nur sieben Minuten zu spät dran bin.

 

Adam
Meine Güte, was war das denn? Ich höre neben mir David fragen, ob mit mir alles in Ordnung ist und bin noch immer zu keiner Reaktion fähig.Das eben war mit Abstand das schönste Wesen, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Noch nie habe ich einen offensichtlich Farbigen mit solchen hellen, blauen Augen gesehen. Ich kann noch immer seine starken Arme fühlen, die meinen Sturz verhindert haben. Ich habe leider keine Ahnung, wie der Rest dieses unglaublichen Mannes ausgesehen hat, da mich der traurige Ausdruck in diesem schönen Gesicht gefangen enommen hat. In mir reift der Wunsch, diesem Traum das Strahlen in seine Augen zurückzugeben. "... de an Adam", bekomme ich nun endlich noch einen halben, an mich gerichteten Satz, mit. Mein bester Freund und beinahe Schwager Markus steht wild mit seinen Armen wedelnd vor mir und grinst mich von einem Ohr zum anderen amüsiert an. " Na, bist du auch endlich wieder ansprechbar?" Ich nicke ihm kurz zu, traue ich meiner Stimme noch nicht so recht über den Weg. " Ist mit dir wirklich alles ok?", will meine große Schwester Kiara wissen. " I... ich glaube schon. Kennt einer von euch den jungen Mann von eben?" Alle drei schütteln mit dem Kopf. "Wieso?"
" Mensch Kia, frag doch nicht so blöd! Ist dir denn der Ausdruck auf dem Gesicht deines Bruders entgangen?", feixt Markus. David steht mit einem wissenden Gesichtsausdruck vor mir. Allerdings sollte er mal mit seinem Wissen rausrücken, denn ich habe absolut keinen Plan, was hier eigentlich wirklich passiert ist. "Eh Leute, was…."
"Mann Adam, das nennt man dann wohl Liebe auf dem ersten Blick. Wusste ich doch, dass du eher am eigenen Ufer fischst", tut David dann doch noch sein Wissen kund.
"Wie bitte? Ich bin doch nicht....", aber der Rest des Satzes bleibt mir sprichwörtlich im Hals stecken.
Wieder sehe ich das schöne Gesicht mit den traurigen Augen vor mir. Ich sehe volle, rote Lippen, die ich am liebsten kosten möchte und ich habe mich in seinen Armen so beschützt und wohl gefühlt,  wie noch nie in meinem Leben. Ich bin wohl doch schwul oder nicht? Meine Gedanken überschlagen sich. Ist das vielleicht der Grund, dass ich nichts empfinde, wenn mir meine Tanzpartnerin Emma auf der Uni  nach erfolgreicher Choreo einen Kuss auf meine Lippen drückt? Aber wenn ich mit meinen Kommilitonen unter der Dusche stehe, ist mir noch nicht aufgefallen, dass ich an den Körpern der anderen Tänzer interessiert gewesen wäre. Vielleicht habe ich auch nur noch nicht den richtigen Menschen für mich getroffen. Aber ich muss David leider Recht geben, denn ich habe deutlich eine ganze Armada Schmetterlinge im Bauch. Ist schon irgendwie traurig, dass ich mit meinen fast neunzehn Jahren noch nie verliebt war. Denn dieses Gefühl in meinem Bauch ist absolut neu.   

Kapitel 3

Während David und ich noch hier draußen stehenbleiben, um auf den Fünften im Bunde zu warten, gehen Kia und Markus Hand in Hand schon mal voraus. "Hast du das Auto gesehen, mit dem der Süße gekommen ist?"
"Oh bitte David, ich hab ihn ja noch nicht mal bemerkt, bevor wir miteinander kollidiert sind. Wie bitte soll ich dann gesehen haben, mit welchem Auto er gefahren ist?" Nicht jeder ist so ein Autoverrückter wie er. Ich mache mir da echt nichts draus. Ein Dach mit vorzugsweise vier Rädern, damit man trocken und nach Möglichkeit schnell von A nach B kommt.
"Du meine Güte, Adam! Der Typ fährt einen absolut oberhammermäßigen ultracoolen, nachtschwarzen Ford Mustang GT 500! Schade ist allerdings, dass an der Beifahrerseite der Lack beschädigt ist. Da scheint sich jemand mit einem Schlüssel oder ähnlichem darauf verewigt zu haben. Sehr schade." David hat mal wieder diesen entrückten Gesichtsausdruck drauf, der meistens nichts Gutes bedeutet. "Kannst du mir mal verraten, was dir schon wieder im Kopf rumschwirrt? Immer, wenn du so guckst, endet es meistens in einer Katastrophe." Plötzlich breitet sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, das einer 1000 Watt Birne Konkurrenz machen könnte.
"Ich habe den perfekten Vorwand gefunden, damit du deinen Traumprinzen ansprechen kannst, ohne dass du Angst haben musst, dass er dir eine verpasst, sollte er nicht auf Knirpse stehen."
"Ey, ich geb dir gleich einen für Knirps. Sag mal, geht's noch?"
"Adam, Süßer. Du bist mit Abstand der Kleinste in unserer Runde. Okay, Lee ist nur drei Zentimeter größer als du, aber bei ihm ist seine Abstammung noch deutlicher zu sehen als bei dir. "
Ein wenig eingeschnappt habe ich doch tatsächlich vergessen, den Traumprinzen abzustreiten. Ich bin immer etwas empfindlich, wenn mich jemand mit meiner Herkunft aufzieht. Lee und ich sind Cousins. Sein Vater und meine Mutter kommen ursprünglich aus Japan. Sie haben bis zu ihrem siebten und fünften Geburtstag in einem Vorort von Akita gewohnt. Da mein Großvater aber seinen Kindern ein besseres Leben bieten wollte und er als IT- Spezialist eine Stelle in Amsterdam angeboten bekam, hat er nicht lange überlegt. Zehn Jahre später hat seine Firma dann in die USA expandiert und seitdem sind wir Wang- Fu' s in Detroit. Unsere Großeltern leben in einem Vorort in einer kleinen Villa mit kleinem Vorgarten, aber dafür umso größeren Garten hinter dem Haus. Lee und ich haben als Kinder viel Unsinn darin angestellt und Großmutter Anzu hat uns ziemlich oft die Ohren lang gezogen. Die japanischen Gene haben sich bei Lee und mir sehr dominant weitervererbt. Lee sieht meinem Onkel sehr ähnlich. Schlanker Körperbau, aber nicht übermäßig zierlich, die typischen blauschwarzen, glatten Haare und dunkelbraune, beinahe schwarz wirkende mandelförmige Augen. Allerdings ist er für einen Halbjapaner sehr groß mit seinen eins achtundsiebzig. Ich bin der eher androgyne Typ. Meine Augenfarbe ist deutlich heller als seine, meine Haare sind auch schwarz, aber ohne den Blaustich darin, dafür aber wellig. Ich bin, wie schon erwähnt, drei Zentimeter kleiner und im Gegensatz zu Lee habe ich auch keine asiatisch aussehenden Augen. Meine sind, außer der Mandelform, die eines Europäers. Und deshalb sieht man mir weniger stark meine japanischen Gene an. Da wir es während der Collage-Zeit nicht leicht hatten, es gibt immer ein paar Idioten die meinen alles was nicht nach Amerikaner aussieht gehört gemobbt, reagiere ich immer etwas verschnupft, wenn es um meine Herkunft geht. Natürlich hat David gut lachen, ist er mit eins achtundachtzig ganze fünfzehn Zentimeter größer als ich. Am schlimmsten ist es, dass meine große Schwester, außer im Körperbau, ansonsten nach unserem Vater schlägt. Soll heißen, hellbraune lange, lockige Haare, graublaue Augen, schlank mit den richtigen Kurven an den richtigen Stellen und nur acht Zentimeter kleiner als David. Ich habe keine Ahnung, was mit den Spermien meines Dad‘s in den vier Jahren, die zwischen uns liegen, passiert ist, was uns nicht wie Geschwister aussehen lässt.
Während unserer kleinen Zankerei kündigt mein Handy eine SMS von Lee an. Wieder mal, sehr typisch für ihn, wird er sich um mindestens eine halbe Stunde verspäten. Nachdem ich David die frohe Botschaft verkündet habe, beschließen wir nun auch, nach drinnen zu gehen.

 

 

Evan
Dass ich mich ausgerechnet heute verspätet habe, scheint mir Grace, eigentlich Graciana, echt übel zu nehmen. In ihrer ganzen Haltung spiegelt sich ihr spanisches Temperament wieder. Sie kommt zügig auf mich zu und schon von weitem beginnt sie mit ihrer Schimpftirade. " Zum Teufel Ev, wo hast du denn gesteckt? Nein, eigentlich will ich gar nichts über dein Liebesleben wissen... Du wusstest doch, dass ich heute auf die Babyshower-Party meiner Schwester will und das zur Abwechslung auch mal pünktlich. Zur Strafe habe ich dich mit Alex nach unten geplant und Isa mit Kev oben bei den Rutschen."
"Ey, Gracy. Das kannst du Isa und mir doch nicht antun!" Grace hat im Normalfall ein Herz für ihre Angestellten. Ihr ist bewusst, dass Isabel und ich nicht mit Alexander dem Großkotz und Kevin dem Schleimbeutel können. Isa ärgert sich immer darüber, dass Kev sie penetrant anbaggert.  Und Alex kann sich rassistische und homophobe Sprüche einfach nicht verkneifen. Außerdem ist Kevin bei den Rutschen völlig fehl am Platz, da die meisten Zwerge ihn nicht ernst nehmen. Er kann aber auch überhaupt nicht mit den Kids umgehen.
Von oben kommt ein lauter Pfiff und als ich hoch schaue, kann ich mich fast nicht mehr beherrschen. Isabel steht an der Treppe mit einem qualvoll verzogenem Gesicht, als müsse sie sich gleich einer dreifachen Wurzelbehandlung ohne Betäubung unterziehen. Aber wenn ich mir nicht ihren Zorn zuziehen will, sollte ich mir nichts anmerken lassen, sonst hab ich echt verschissen.
Der davoneilenden Grace hinterher schauend, greife ich mir das Funkgerät und frage vorsichtig nach, was der Schleimbeutel denn schon wieder angestellt hat. Ihre Antwort geht aber in Alex Gemecker unter.
"Hey Brikett, schwingst du deinen schwulen Arsch endlich mal hier runter und machst vielleicht auch mal deine Arbeit? Du wirst schließlich nicht fürs Rumstehen und Schwätzchen halten bezahlt!"
Ich frage mich gerade, wer den denn zum Chef befördert hat, als mir die Kinnlade runterfällt. Ich glaube, ich brauch eine Brille. Hab ich eine Erscheinung oder was? Keine fünf Meter vor mir auf der Treppe steht mein zu Fleisch gewordener Traum von heute Morgen. Lange schlanke Beine, knackiger Po, schmale Hüften und das Tattoo fehlt auch nicht. Ich glaube, mich muss mal jemand kneifen. Stehe ich doch tatsächlich hier und sabber statt zum ach so tollen Alex nach unten zu gehen um zu arbeiten. Der Süße dreht sich nun etwas zur Seite und ich bin total verwirrt. Denn da oben steht der Kleine, den ich vor dem Eingang über den Haufen gerannt habe. Mein Herz beginnt zu stolpern. Dann höre ich oben eine junge Frau rufen:" Sweety, hey Ad, hier sind wir!" Sogenannter dreht sich um, um mit strahlendem Lächeln auf die Brünette zuzugehen. Diese hat nichts Besseres zu tun, als Ad, wie ich nun weiß, einen Schmatzer auf seinen verlockenden Mund zu drücken. Mein Herz zersplittert augenblicklich in tausend Scherben und ich bekomme kaum noch Luft. Was passiert hier eigentlich? Dermaßen verwirrt bleibt mir doch glatt eine blöde Erwiderung auf Alex Stichelei im Halse stecken.
Wer bitte hat behauptet ' Liebe ist ein tolles Gefühl'? Dem kann ich beim besten Willen nicht zustimmen.
Äh, Moment mal. Wie, was? Liebe? Hab ich, notorisch vor jedweden Gefühlen Angst habender Trottel mir eingestanden, dass ich verliebt bin? Das kann es doch gar nicht geben. Ich habe auf die harte Tour erfahren müssen, dass es so etwas wie wahre Liebe nicht gibt. Aber warum zum Kuckuck tut es dann so furchtbar weh, dass diese, zugegebenermaßen hübsche junge Frau, ihn geküsst hat? Da finde ich nach dieser schrecklichen Zeit voller Selbstzweifel und Selbsthass wieder Gefallen an einem anderen Mann und dann ist dieser natürlich hetero und nicht mehr frei. Mit einem tiefen Seufzer wende ich mich ab und gehe endlich an die Arbeit.  

Kapitel 4

 Adam
Typisch meine große Schwester. Nichts als Blödsinn im Kopf und dabei sollte sie mit ihren vierundzwanzig Jahren doch ein wenig erwachsener sein. Nun, mancher ist mit sechzig noch nicht erwachsen. Hinter mir höre ich jemanden tief seufzen. Als ich mich ein wenig umdrehe, sehe ich direkt in die Augen des jungen Mannes, der in mich reingerannt war. Ich bilde mir ein, dass sie noch trauriger als sowieso schon aussehen. Kurz kann ich es zwischen seinen Lippen aufblitzen sehen. Oh du meine Güte, hat er etwa ein Zungenpiercing? Bei dem Gedanken wird mir gerade ziemlich warm. Wie es sich wohl anfühlt, wenn man jemanden mit einem Piercing küsst? Nicht, dass ich bisher überhaupt schon mal von jemanden anderen als meiner Schwester oder Emma einen Kuss bekommen hätte. Aber irgendwie warte ich auf die große Liebe. Das ist sicher etwas altmodisch, aber ich glaube die Geschichten, die Granny Anzu uns immer erzählt hat, haben bei Kiara und mir schwer Eindruck gemacht. Grandpa Tian hat immer zu uns gesagt:" Kinder, denkt immer daran, im Leben eines jeden Menschen gibt es die eine große Liebe, seinen Gegenpart, mit dem man sich vollständig fühlt. Wenn ihr dieser Person begegnet, werdet ihr es merken. Vielleicht nicht sofort, aber ihr werdet euch selbst in den verschrobensten Eigenschaften ergänzen oder gleichen, er oder sie bringt euch zum Lachen, ihr fühlt euch beschützt und wollt beschützen, ihr würdet ohne zu Zögern euer Leben für das Ihre oder Seine geben, wenn es nötig wäre. Diese eine Person, wenn ihr sie denn gefunden habt, haltet für immer fest. So wie ich eure Granny." Ja und genau deswegen habe ich den Glauben, dass ich diesen einen besonderen Menschen noch finden werde, bisher noch nicht aufgegeben.
Unterdessen ist auch unser chronisch unpünktlicher Cousin eingetroffen und zu fünft haben wir vor allen bei den Rutschen sehr viel Spaß.
Irgendwann hören wir ein Riesengeschrei, es kommt von der Rutsche mit den Reifen. Kia, die immer schrecklich neugierig ist, will nun unbedingt herausfinden, was da los ist. Also begleite ich meine unverbesserliche Schwester. Eigentlich ist das, was wir zu sehen bekommen, unfreiwillig komisch. Ich muss mich ziemlich zusammenreißen, damit ich nicht lauthals loslache. Auch Kia verkneift sich ihr Lachen und grinst lieber zu der jungen Frau, die sich zwischen einen kleinen Jungen und einen weiteren Mitarbeiter des Bades gestellt hat. Als wir ankommen, können wir gerade so noch sehen, wie das kleine Kerlchen den großen Kerl ganz schön heftig gegen das Schienbein getreten hat. Die freundliche Mitarbeiterin hat sich daraufhin zwischen die beiden Streithähne gestellt und beinahe die Ohrfeige abbekommen, die für den Knirps gedacht war.
"Evan, kannst du bitte mal ganz schnell her kommen?" Von unten kommt nun der gut aussehende Farbige von heute Morgen. Evan heißt er also. Ein schöner Name, wie ich finde, er passt sehr gut zu ihm. Zum ersten Mal höre ich nun seine samtige Stimme und mir läuft ein Schauer über den Rücken.
"Was ist denn hier los? Isabel?" Er lächelt und beugt sich zu dem kleinen Jungen runter. "Wie heißt du denn, Großer?" Der Kleine grinst über das ganze Gesicht und sieht einfach nur zum Knuddeln aus. "Mein Name ist Logan, Logan Parker." Ein Schatten legt sich kurz über sein Gesicht, allerdings lächelt er nun den kleinen Logan schon wieder an, sodass ich mir nicht sicher bin, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe. "Und wer bist du?", will der Kleine jetzt auch wissen. "Mein Name ist Evan Carter. Kannst du mir sagen, was hier passiert ist?" 

"Ja, kann ich." Ein wenig trotzig schiebt der Kleine sein Kinn vor. Jetzt kann ich mir das Lachen echt nicht mehr verkneifen und Evan schaut mich an. Auch er lacht, sein Gesicht strahlt regelrecht und mein Herz macht einen Sprung. "Würdest du es mir dann auch verraten?" Während Logan also erzählt, was vorgefallen ist, quatscht der andere Kerl ständig dazwischen, bis es Evan scheinbar zu viel wird. "Kevin, jetzt halt doch endlich den Mund! Niemand hat dich gefragt. Geh am besten nach unten zu Alex und mach dich da mal nützlich." Der so Angesprochene knurrt, macht sich dann aber auf den Weg zur Treppe. Isabel, Evans Kollegin, verdreht die Augen. "Danke Ev, du hast was gut bei mir. Noch fünf Minuten länger und ich hätte dem Kotzbrocken auch noch vor sein anderes Schienbein getreten." Mit diesen Worten zwinkert sie Logan zu, der sichtlich um Fassung ringt. "Darf ich dann nun endlich den Reifen für die Rutsche haben? Ich bin wirklich schon acht und meine Mamma hat es mir erlaubt." Ein klein wenig verunsichert scheint er aber durch die ganze Sache doch zu sein.
"Kein Problem. Hör mal, Isa nimmt dich mit zu den Reifen, damit du rutschen kannst und ich unterhalte mich mal mit dem jungen Mann hier." Er macht einen Schritt auf mich zu und ich will eigentlich einen Schritt zurück machen. Allerdings gehorchen mir meine Beine nicht. Isabel geht mit dem kleinen Logan an der Hand in Richtung Rutsche.
"Kannst du mir sagen was oder wieviel du gesehen hast?" Jetzt muss ich ungewollt doch schmunzeln. "Ja, kann ich", wiederhole ich die Worte von Logan. Wir sehen uns an und brechen beide in Gelächter aus. "So, tust du es auch?" Fragend schaut er mich an. "Mein Name ist Adam. Ich bin hierher gegangen, weil wir einen Streit gehört haben und die liebe Kiara furchtbar neugierig ist." Ein wenig beschämt drehe ich mich zu meiner Schwester um, hatte ich sie doch seit der Ankunft von Evan völlig vergessen. Allerdings grinst sie mich an, was bedeutet, dass sie mir nicht böse ist.
"Hallo Evan, ich bin Kia. Wir kamen gerade noch rechtzeitig hier an um mitzubekommen, wie sich deine Kollegin Isabel zwischen Logen und den ungehobelten Kerl gestellt hat. Dabei hat sie sich beinahe eine Ohrfeige von dem Idioten eingefangen."
"Er hat was? Das darf doch echt nicht wahr sein! Ich werde morgen mit Grace reden. Dieser Großkotz ist nicht tragbar. Hätte fast einen Achtjährigen geschlagen." Evan schaut fassungslos und äußerst wütend drein, rauft sich die Haare. Wenn er so weitermacht, reißt er sich noch seine Haare aus und das wäre schade um seine Frisur. Die mir übrigens erst jetzt so wirklich auffällt. Er hat einen Undercut an den Seiten und am Hinterkopf und oben eine gelockte Mähne, die ihm ziemlich oft ins Gesicht fällt. Lässt ihn ein wenig frech aussehen.
"Ich werde wohl am Montag mit meiner Chefin reden. Adam kannst du mir bitte eine Telefonnummer da lassen unter der Grace dich erreichen kann, falls Sie eure Version hören möchte?"
Kia, die ein wenig hinter Evan steht, grinst nun von einem Ohr zum anderen, zieht die linke Augenbraue nach oben und formt hinter seinem Rücken mit den Händen ein Herz.
Ich kann mich gerade so noch davon abhalten meine Augen zu verdrehen, da er natürlich nicht sehen kann, was meine bekloppte Schwester da hinter seinem Rücken macht. Und natürlich will ich nicht, dass er denkt, es wäre eine Reaktion auf seine Frage. "Wenn du mir was zum Schreiben besorgen kannst, dann gebe ich dir meine Nummer." Er lächelt mich an. "Kannst du eben kurz warten? Bin sofort wieder bei dir." Als er weg ist, schaue ich zu Kia, die noch immer grinsend an der gleichen Stelle steht. "Sag mal, was bitte sollte das?"

"Was denn Brüderchen?", fragt sie scheinheilig. "Deine blöden Gesten und überhaupt!" So langsam werde ich echt wütend. "Süßer, der Hübsche steht auf dich. Hast du das denn nicht bemerkt? Er ist eifersüchtig, weil er denkt, ich wäre deine Freundin. Schau mal genauer hin, Schatz. Außerdem würde ich ihn an deiner Stelle noch ein wenig in dem Glauben lassen. Das... ich geh dann mal zu den anderen." Noch bevor ich etwas sagen kann, geht sie an mir vorbei und dreht mich währenddessen um. Nun kann ich Evan in Hörweite sehen. Er hält mir ein Blatt und einen Kugelschreiber entgegen. "Ich gebe dir unseren Festnetzanschluss, da mein Handy entweder zu Hause rumliegt oder der Akku leer ist... Ich bin noch nicht so wirklich im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen, laut meinen Freunden. Wenn die was von mir wollen, rufen sie Kia an oder eben auf dem Festnetz. Den Blechtrottel höre ich eben doch regelmäßig ab." Er zieht fragend seine Stirn in Falten. "Blechtrottel?"
"Oh, äh", jetzt muss ich wieder lachen, "ja, so nenne ich den Anrufbeantworter." Er schaut noch immer fragend drein. "Nun ja, wenn da jemand drauf gesprochen hat, klingt es blechern und da das Teil schließlich keine eigene Intelligenz hat- Trottel" Erst schaut er mich ein wenig skeptisch an und bricht dann in schallendes Gelächter aus. "Du bist echt witzig, man so viel hab ich schon seit Wochen nicht mehr gelacht." Er legt mir seine warme, große Hand auf meine nackte Schulter. Mich überzieht eine Gänsehaut vom feinsten und ausgehend von seinen schlanken Fingern fängt es an zu kribbeln. Es fühlt sich an, als wäre eine Ameisenarmee auf dem Weg zu meinem Bauch. Ich keuche leise auf und just in diesem Moment nimmt er seine Hand weg, als hätte er sich verbrannt. Allerdings steht eher mein ganzer Körper in Flammen. Ich kann fühlen, wie sich meine Wangen rot verfärben. Ich hasse das, aber leider kriege ich das absolut nicht unter Kontrolle.

Kapitel 5

 

Evan
Ein wenig panisch kann ich Isabel nach mir rufen hören. Als ich bei ihr ankomme, habe ich nur Augen für den zarten Körper vor mir. Mir fällt auf, dass das Tattoo auf dem Rücken nicht das einzige ist, was er hat. Auf seiner rechten Hüfte über die Seite und auf der Brust bis hin zum Schlüsselbein ziert ihn ein weiteres Tattoo. Dieses ist in Farbe und da er seinen rechten Arm teilweise darüber liegen hat, nicht gut zu erkennen. Es scheint ein Drache zu sein, allerdings bin ich mir da nicht sicher.
Da es mir verdammt schwer fällt meine Finger nicht über die filigranen Linien streichen zu lassen, wende ich mich erst mal dem kleinen Kerl vor mir zu, der scheinbar der Auslöser des Tumults ist.
Als der Kleine seinen Namen sagt, muss ich kurz mit meiner Beherrschung kämpfen. Mein Dad hieß auch Logan. Er ist vor 2 Wochen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Wir hatten ein sehr freundschaftliches Verhältnis und selbst mein Outing hat ihn nicht geschockt. Er hat mich einfach in den Arm genommen und mir gesagt, dass er mich liebt, egal wen ich liebe. Er war es auch, der mir die erste Zeit nach Tim's Verrat durch meine Trauer, Wut und die Selbstzweifel geholfen hat. Kurz, er war immer für mich da, wenn ich ihn gebraucht habe.
Ich höre mir Logan's Sicht auf das Geschehen an und schicke diesen mit Isa dann zu den Rutschen. Nun möchte ich gerne noch wissen, was beziehungsweise wie viel der junge Mann und dessen Freundin mitbekommen haben. Er beantwortet meine Frage mit der gleichen Ironie wie zuvor schon der kleine Logan und plötzlich brechen wir beide in Gelächter aus. Es passiert nicht oft, dass man mich so leicht zum Lachen bringt, aber ich mag seinen Humor. Er wird mir immer sympathischer und ich glaube für mein Herz wird es langsam eng. Ich sollte ihn mir aus dem Kopf schlagen und aus dem Herzen reißen, denn dieser wunderschöne, humorvolle junge Mann ist nicht frei. Und wenn ich eines mit Sicherheit nicht tue, dann ist es eine Beziehung zu zerstören. Nur am Rande bekomme ich mit, dass er mir seinen Namen sagt. Adam. Ich nehme die sich mir entgegenstreckende Hand in die meine und versuche, ihn nicht näher an meinen Körper zu ziehen. Ich muss meine ganze Willenskraft einsetzen um dies nicht zu tun. Adam, ja das passt perfekt, ist er doch die reinste Versuchung für mich. Jetzt spricht mich auch die junge Frau an, von der ich annehme, dass sie Adam's Freundin ist.
Sie stellt sich als Kia vor und erzählt mir, was hier passiert ist. Ich kann nur meine Haare raufen. So viel Blödheit gehört echt bestraft. Wusste ich doch, dass Kevin nicht mit Kindern umgehen kann, aber dass er sie auch schlagen würde. Ich muss wirklich sehr dringend mit Grace reden. Obwohl ich es nicht möchte, ist mir Kia wirklich sympathisch. Sie hat eine angenehm sanfte Stimme und ist zurückhaltend. Die meisten Frauen finde ich furchtbar. Laut, quietschig, aufdringlich, kurz gesagt, sie fallen mir tierisch auf den Wecker. Kia scheint da ganz anders zu sein, ein wenig wie meine beste Freundin Isabel. Ich frage Adam nach seiner Telefonnummer, natürlich nur, falls Grace eine Bestätigung braucht. Klar hat er keinen Stift oder Papier bei sich, wer hat das in einem Schwimmbad schon? Mir in Gedanken gegen die Stirn schlagend, mache ich mich auf den Weg in den Mitarbeiterbereich. Als die Tür mit der Aufschrift 'Privat' hinter mir ins Schloss fällt, gleite ich erschöpft an selbiger nach unten, bis ich auf dem Boden sitze. Meine Gedanken rasen durch mein Gehirn. Schlussendlich beschließe ich, mich um seine Freundschaft zu bemühen, wenn ich ihn schon nicht haben kann, denn Adam ist mir sehr sympathisch. Ich mag ihn wirklich, nicht nur körperlich, sondern auch als Person spricht er mich an. Und da ich mir meine Freunde sehr gewissenhaft aussuche, habe ich zwar nur wenige, dafür aber echte. Noch einmal tief durchatmend nehme ich mir Schreibzeug und gehe wieder nach draußen. Kia und Adam scheinen etwas zu diskutieren, aber als ich dicht genug dran bin um etwas zu verstehen, verabschiedet sie sich und dreht im Vorbeigehen Adam noch in meine Richtung.
Wir unterhalten uns ein wenig und schon wieder bringt er mich zum Lachen. Sein Humor ist so trocken wie die Sahara und ohne nachzudenken lege ich meine Hand auf seine Schulter. Ein Gefühl wie tausend Nadeln schießt durch meinen Körper. Ich fühle mich wie vom Blitz getroffen und ziehe schnell meine Hand wieder weg. Oh mein Gott, wie bitte soll ich seine Nähe aushalten falls wir uns anfreunden können? Ich kann ja jetzt schon meine Finger nicht bei mir behalten, was soll das erst werden wenn ich ihn näher kennen gelernt habe? Auf seinen Wangen erscheint wie aus dem Nichts plötzlich ein zarter Rotschimmer. Absolut niedlich. Ich sterbe gerade. Da ich nicht weiß wie ich es fertig bringen soll, mich weiterhin zu beherrschen, beende ich unseren Smalltalk und erkläre ihm, dass ich weiterarbeiten muss, da ich sonst noch Ärger mit meiner Chefin bekomme. Er nickt mir verstehend zu. "Vielleicht sieht man sich mal wieder?" höre ich ihn leise fragen. "Ganz bestimmt", antworte ich ihm lächelnd und bekomme ein schüchternes Lächeln zurück.

Den Rest des Tages habe ich so viel zu tun, dass ich nicht mal bemerkt habe, als Adam mit seinen Freunden gegangen ist. Schade, dass er sich nicht verabschiedet hat.
Später sitze ich mit Isa auf meinem Sofa und wir lassen uns den Nudelauflauf schmecken. Wir hatten beide keine Lust auf Pizza und so habe ich uns den eingefroren Rest vom Auflauf von Anfang der Woche warm gemacht. "Mmh, schmeckt wie immer total lecker." Als ich nicht reagiere, sieht mich meine Freundin fragend an. "Was ist los Ev? Du stehst heute schon den ganzen Tag total neben dir. Keine bissigen Bemerkungen gegenüber Alex oder Kevin, du isst kaum etwas, hörst mir nur halb zu – also, was hast du auf dem Herzen, Großer? Mit mir kannst du über alles reden. Hat es mit dem kleinen Kerl zu tun, der den gleichen Namen hat wie dein Vater?" Ich schüttle meinen Kopf und ziehe gleichzeitig meine Schultern hoch. "Ja….nein….ach ich habe doch selber keine Ahnung! Er bringt mich total durcheinander. Er bringt mich zum Lachen, ich möchte ihn beschützen, ihn halten, küssen und noch ganz andere Dinge tun, aber er ist nicht frei und dazu auch noch hetero!", platzt es aus mir heraus. Im ersten Moment ist Isa verwirrt, schlägt sich dann die Hand vor die Stirn und lächelt mich dann an. "Oh, Süßer. Du hast dich in den schnuckeligen Asiaten verguckt, kann das sein?" "Nein!" und leiser dann "ja... glaub schon." Isabel nimmt mich in den Arm. "Wie ist denn das passiert, hmm?" Und so erzähle ich alles. Wirklich alles, angefangen bei meinem Traum. "Ich werde mich um eine Freundschaft bemühen. Er ist mir so unglaublich sympathisch und ich denke, dass wir uns wirklich gut verstehen würden. Ich habe das Gefühl ihn schon Ewigkeiten zu kennen, schon als wir uns zum ersten Mal begegnet sind." Isabel hört mir aufmerksam zu. "Oh Mann, Evan. Was machen wir denn jetzt? Bist du dir sicher, dass du mit einer Freundschaft umgehen kannst?" Sie sieht mich traurig an. "Ich habe keine Ahnung, aber Fakt ist, dass ich ihn gerne um mich habe. In seiner Gegenwart kann ich ein wenig die Trauer um Papa vergessen. So blöd es klingt, aber ich habe gerade eben erst wieder daran gedacht." Isa streicht mir vorsichtig über mein Gesicht. Ihre Finger sind nass. Mir war nicht bewusst, dass ich schon wieder weine. Sie greift sich ein Taschentuch aus der Box und wischt mir zärtlich die Tränen von den Wangen. "Warum bloß kann ich nicht auf Mädchen stehen? Es wäre alles so viel einfacher." Jetzt ist es Isa, der die Tränen in Augen stehen. Mental schlage ich meinen Kopf gegen die Wand. Etwas betreten sehe ich sie an. " Es tut mir leid, Süße." Sie versucht tapfer zu lächeln. " Wie kommst du damit klar?", frage ich sie nun. " Weißt du, es hat lange Zeit sehr weh getan.", sagt sie so leise, dass ich genau hinhören muss, um sie zu verstehen, "Dadurch dass meine Konkurrenz keine anderen Mädchen sind, ich dir nicht geben kann ,was du brauchst und du ein wunderbarer Mensch bist, habe ich gelernt, damit zu leben. Allerdings liebe ich dich noch immer. Es macht mich fertig, dich so traurig zu sehen." Ich hauche ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich liebe dich auch Kleines, allerdings wie meine Schwester."
Sie lächelt mich an. "Ich weiß Ev, ich weiß. Du bist ein toller bester Freund. Und ich bin mir sicher, dass auch auf mich jemand wartet.“ Noch einmal nimmt sie mich fest in den Arm und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Wir beschließen, das Thema heute ad acta zu legen. Dicht aneinander gekuschelt sehen wir uns noch einen Film an, bevor Isabel sich auf den Weg nach Hause macht.

Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen. Meine Anatomieprüfung ist mit einer zwei plus gar nicht mal so schlecht ausgefallen. Obwohl ich auf eine eins minus gehofft habe. Es fällt mir in der letzten Zeit allerdings auch sehr schwer, mich zu konzentrieren. Wen wundert's? Jede Nacht träume ich von Adam und diese Träume sind definitiv FSK 18. Heute ist Sonntag und ich habe beschlossen, nach meiner Schicht im Café noch hier zu bleiben und etwas für mein Studium zu tun. Im Café 'Black Rose' gibt es für die Gäste gratis WiFi. Seit Tim weg ist, habe ich meinen Internetanschluss gekündigt, da ich in der Uni und eben hier im Café gratis online sein kann. Ich versuche, soviel als irgend möglich zu sparen. In der Zeit, in der ich mit Tim zusammen war, musste ich alle Kosten wie Miete und alle anderen Nebenkosten alleine tragen. Neben meinem Studium habe ich noch zwei Jobs. Von Dienstag bis Freitag arbeite ich nach der Uni und am Sonntag, so wie ich gebraucht werde, im 'Black Rose' und samstags im Schwimmbad. Nur am Montag habe ich nach der Uni Zeit, die ich meist mit Lernen oder gemeinsam mit Isa verbringe.

Kapitel 6

Adam
Mein Zusammenstoß mit Evan ist mittlerweile sechs Tage her. Bisher habe ich von der Chefin vom Schwimmbad noch nichts gehört. Leider hat er sich auch noch nicht gemeldet. In letzter Zeit schlafe ich sehr schlecht. Als ich mich heute Morgen im Spiegel gesehen habe, war ich ganz schön erschrocken. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Augenringe. Da mir auch der Appetit abhandengekommen ist, bin ich etwas schmaler geworden. Kia und Markus machen sich Sorgen. Sie sagen nichts, aber ich kann es ihnen deutlich ansehen.
Da wir drei zusammen wohnen ist ihnen eben aufgefallen, dass ich nachts oft auf dem Balkon sitze. Ich habe, seitdem ich Evan gesehen habe, erotische Träume. Wäre ja kein Problem, wenn ich oder er ein Mädchen wären, aber dem ist nun mal nicht so. Auch mein Studium leidet darunter. Emma hat sich schon beim Dekan über meine mangelnde Motivation beschwert. Kia hat sich tierisch darüber aufgeregt, dass - so O- Ton - die dumme Pute vielleicht erst mal zu mir etwas hätte sagen müssen. Dabei bin ich mir nicht mal sicher, ob ich es geschnallt hätte.
Ich bin auf dem Weg in ein Café, das mir von einem meiner Kommilitonen wärmstens ans Herz gelegt wurde. Später wollen Kia, Markus, Lee und ich uns dort treffen. Ich bin viel zu früh dran und setze mich am Rand eines kleinen Parks gegenüber vom Café auf eine Bank in die Sonne. Meine Augen habe ich geschlossen und mit in dem Kopf im Nacken genieße ich die warmen Sonnenstrahlen, die mein Gesicht streicheln. Das erinnert mich an meinen Traum, den ich letzte Nacht hatte.

 

Ich kann seine Stimme hören. Er flüstert mir in mein Ohr. "Lass deine Augen geschlossen und lass dich fallen, ich fange dich auf. Genieße es einfach und halte nichts zurück. Ich möchte deine Lust hören." Sein Atem an meinem Ohr verursacht eine Gänsehaut. Zart streichen seine Finger über meinen Hals nach unten. Als er an meinem Schlüsselbein angekommen ist, ersetzt er seine Finger durch seine Lippen und seiner Zunge. Er leckt, küsst und knabbert an mir, als ob ich eine Leckerei wäre. Ich kann mein Keuchen und Stöhnen nicht zurückhalten. Das fühlt sich so unbeschreiblich gut an. Wenn ich könnte, würde ich schnurren wie mein Kater. Unterdessen sind seine Finger am unteren Rand meines T- Shirts angekommen und noch bevor ich es realisiert habe, bin ich es los. Mein Oberkörper wird vorsichtig nach hinten geschoben, bis ich zum Liegen komme. Noch immer halte ich meine Augen geschlossen. Er setzt seine Erkundung auf meinem gesamten Oberkörper fort. Mit seinen Zähnen knabbert er zärtlich abwechselnd an meinen beiden, mittlerweile harten Brustwarzen und mit seinen Fingern streichelt er überaus sanft über meine Hüfte. Die Geräusche, die meinen Mund verlassen, sind mir fremd, aber es lässt sich nicht steuern. Als Evan sich mit seinem wunderbaren Mund den Weg in Richtung Bauchnabel küsst, bäume ich mich auf. Mein tiefes Stöhnen wird mit einem leisen Lachen quittiert. Seine Finger haben mich meiner Boxershorts beraubt. Mit seiner Zunge stupst er in meinen Bauchnabel und bahnt sich nach kurzer Verschnaufpause seinen Weg weiter nach unten. Er wird doch nicht...? Als ich seinen Atem auf meiner Erektion spüre, steht mein Körper in Flammen. Ehrlich, ich brenne. Mein Verstand hat sich gerade verabschiedet. Seine Zunge fühlt sich kalt an im Gegensatz zu meinem heißen Schwanz. Als er mich komplett in seinem Mund aufnimmt, kann ich nur noch laut seinen Namen keuchen. Für mehr ist keine Luft mehr vorhanden. Er saugt mich tief ein, stößt seine Zunge in die kleine Öffnung, leckt die ersten Lusttropfen von der Spitze. Es ist ein geiles Gefühl. Ich winde mich, kralle meine Finger in seine weichen Haare und als er meine Hoden sanft zu kneten beginnt, kann ich den Orgasmus nicht mehr zurückhalten. Mit seinem Namen auf den Lippen komme ich so heftig wie nie zuvor.

 

An dieser Stelle bin ich heute mitten in der Nacht wach geworden. Wie ein pubertierender, hormongeplagter Teenager bin ich mit einer nassen Unterhose aufgewacht. Zuerst habe ich mich dafür geschämt, dass ich einen feuchten Traum hatte, dann, dass dieser durch Mann verursacht wurde und später, weil ich es wirklich genossen habe, so mit Zärtlichkeit überschüttet zu werden. Aber gerade weil mir das in meinen Träumen so gut gefällt, bin ich am Zweifeln. Es setzt meinen eigentlichen Lebensplan außer Kraft. Habe ich mir doch vorgestellt, mit einer netten jungen Frau zusammenzuleben. Später natürlich Kinder, die mit denen von Kiara und Markus im Garten spielen und auf die meine Eltern und Großeltern stolz sind. Kann und will ich mit einem Mann zusammen sein? Wie reagiert meine Familie? Ich zerbreche mir den Kopf und komme kein Stück weiter. Aber diese Gedanken sind es, die mich nicht mehr einschlafen lassen und die mir auf dem Magen liegen.
Resigniert mache ich mich auf den Weg ins Café, da mir langsam doch ein wenig kalt wird. Schnell noch eine Nachricht an Kia sendend, betrete ich das 'Black Rose'. Als ich mein Handy einstecke, muss ich ein wenig Schmunzeln, da es - hätte Markus es nicht geladen und Kia es mir nicht heute Morgen noch extra in die Hand gedrückt - mal wieder mit leerem Akku und vergessen auf dem Schreibtisch liegen würde.
Als ich mich nach einem Platz umsehe, glaube ich zu Träumen. Im hintersten Winkel hinter, einem Laptop versteckt, sitzt Evan. Er ist in das, womit er sich gerade beschäftigt, vertieft und hat mich noch nicht gesehen. An der Theke bestelle ich mir einen Latte Macchiato und einen Schokocookie und bitte die Bedienung, mir das Gleiche zu bringen, was Evan getrunken hat. Sie sieht mich ein wenig skeptisch an. Als ich ihr dann aber sage, dass ich Ev kenne, stellt sie mir doch einen Cappuccino auf mein Tablett.
Ich atme nochmals tief durch, bevor ich mich zu Evan an den Tisch begebe. Ohne von seiner Arbeit aufzusehen sagt er: "Verzeihung, hier ist bese...". Er sieht mich nun doch an, ein Lächeln legt sich auf sein übermüdetes Gesicht. "Oh Adam, du bist es. Setz dich doch bitte. Ich freue mich, dass wir uns hier begegnen. Dich habe ich hier im Café noch nie gesehen. Oder kommst du immer an meinen freien Tagen hierher?"
Scheinbar sehe ich ihn irritiert an, denn er erklärt mir nun, dass er hier arbeitet. "Ach so, nein, ich bin hier mit Lee, Markus und Kia verabredet. Das 'Black Rose' ist eine Empfehlung eines Kommilitonen von mir." Ich bilde mir ein, dass beim Erwähnen Kiara's seine Augen traurig aussehen. Aber da er mich jetzt regelrecht anstrahlt, als ich ihm den Cappuccino vor die Nase halte, kann es auch Einbildung gewesen sein. Er klappt seinen Laptop zu und wir unterhalten uns über Gott und die Welt, unser Studium und unsere beruflichen Zukunftspläne. Als er mir mitteilt, dass er Tierarzt für Kleintiere werden will, erzähle ich ihm, dass wir zu Hause einen reinrassigen Birma-Kater haben und er schon mal seinen ersten festen Patienten hat. Lachend erklärt er mir dann, dass sich unser Katerchen hinter seinem Huskymischling 'Snow' anstellen muss. "Wo ist er denn jetzt? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du deinen Hund, der ja viel Bewegung nötig hat, zu Hause in der Wohnung eingesperrt hast." Mit Tränen in den Augen sieht er mich nun an. "Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nah treten", rudere ich zurück. "Nein, schon okay. Kannst du ja nicht wissen." Und dann erzählt er mir von seinen Eltern, die sich bisher um 'Snow' gekümmert haben, dass sein Vater vor kurzem bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist und seine Mom demnächst zur Kur muss und er noch keinen Plan hat, was dann mit seinem Hund wird. Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, nehme ich einfach eine seiner Hände in meine. Er sieht mich verwundert an und dann sage ich einfach das, was ich selber in so einer Situation gerne hören würde. "Wenn du mal jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da. Egal wann." Und dann überrascht er mich, indem er hauchzart, als wäre ich aus feinstem zerbrechlichem Porzellan, mit dem Zeigefinger seiner freien Hand über meine Wange streichelt. "Ich danke dir von Herzen Adam, du bist ein wunderbarer Mensch. Bitte weine nicht meine Tränen, das kann ich nicht ertragen, es zerreißt mir das Herz. Ich mag dich wirklich sehr. Könntest du dir eine Freundschaft mit mir vorstellen? Ich glaube, du hast schon mitbekommen, dass ich schwul bin, aber du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich nicht anfallen." Beinahe hätte ich ihn gefragt was wäre, wenn genau das mein Wunsch wäre. "Ja Evan, ich bin an einer Freundschaft ganz sicher interessiert, denn auch ich mag dich nach der kurzen Zeit, die wir uns nun kennen, sehr." Genau in diesem Moment tritt meine Familie an unseren Tisch und Evan zieht hastig seine Hand aus meiner. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich sie noch immer umschlossen hatte. Es hat sich so richtig angefühlt.

 

Kapitel 7

 Kiara

Wir sind fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit am 'Black Rose' angekommen. Während Markus sein Handy aus der Jackentasche fischt, wage ich schon mal einen Blick ins Innere des Cafés. Ich habe Adam sofort gesehen. Oh, sieh an, mit wem unterhält er sich denn da? Das sieht mir ganz nach einem intimen Gespräch mit dem Traumprinzen meines kleinen Bruders aus. Schade, dass er vermutlich noch nicht einsieht, dass dieser Evan genau der Richtige für ihn ist. Bisher haben alle in der Familie unser Nesthäkchen für ein asexuelles Wesen gehalten, da er sich so gar nicht für jemanden begeistern konnte. Ich hätte jedenfalls kein Problem damit, sollte Adam schwul sein. Aber Markus und ich denken, dass er es eben selbst erst mal erkennen muss und wir ihm erst dann weiter helfen können. Seine Angst ist vollkommen unbegründet, denn wenn er Evan unseren Eltern und Großeltern vorstellen würde, könnten diese nämlich sehen, was meinem Schatz und mir schon lange klar ist. Evan ist für Adam der eine Mensch, der ihn komplett werden lässt, diese eine große Liebe, von der Grandpa immer geredet hat. Ich habe ihn noch nie so oft lachen sehen wie mit Evan. Auch führt er niemals längere Gespräche in denen es nicht um sein Studium geht. Er bringt nie Freunde oder Kommilitonen mit nach Hause, obwohl ich ihm das schon so oft angeboten habe. Mit einem Seufzer drehe ich mich zu Markus um. "Wer hat denn geschrieben?", will ich von ihm wissen. Er verdreht seine Augen, "Na, was denkst du?", grinst mich dabei aber an. "Sag nicht, dass mein blöder Cousin sich schon wieder verspätet? Ich habe extra eine halbe Stunde früher gesagt als eigentlich abgesprochen war. Wann ist er denn nun hier?" Mir wird die Nachricht unter die Nase gehalten. "Seine fünf Minuten kenne ich schon. Mach mal eher zehn draus. Aber egal, ich möchte gerne mit dir hier draußen warten und wenn Lee sich dann endlich mal her bequemt hat, hier im vorderen Bereich einen Tisch suchen." Ich erhalte einen verwirrten Blick von meinem Verlobten. "Wieso? Ist Adam doch noch nicht da? Er hat dir doch geschrieben, dass er schon mal nach einem Tisch sucht."
"Doch, er ist schon hier, aber schau mal, mit wem er zusammen sitzt. Ich möchte ihnen noch etwas Privatsphäre gönnen und dann erst später zu ihnen gehen. Die beiden sehen so verliebt aus und ich glaube, zumindest mein Bruder hat keine Ahnung, was er bei seinem Gegenüber auslöst." Als mir Markus antworten will sehen wir, wie Lee um die Ecke gerannt kommt. Diesen weihen wir noch in unseren Plan ein. "Ich finde das aber keine gute Idee.", mault er, "Adam ist doch nicht schwul, das kann doch nicht sein, hätten wir nicht schon früher was merken müssen wenn es so wäre?" Er verzieht sein eigentlich hübsches Gesicht. Mir platzt gleich die Hutschnur. Ich hätte ihn echt nicht für homophob gehalten. Aber bevor ich auch nur Luft holen kann, hat sich Markus den Kragen von Lee's Jacke geschnappt und zieht ihn dicht an sich heran. "Mein Lieber", knurrt er regelrecht, "falls du deine Meinung nicht für dich behalten kannst oder eventuell noch mal überdenkst, dann halte dich gefälligst in der nächsten Zeit von Adam fern. Seit Josh nicht mehr da ist, habe ich unseren Kleinen nicht mehr so gelöst und unbeschwert gesehen wie mit Evan. Dass Evan in ihn verliebt ist, sieht ein Blinder mit Krückstock, außer dir vielleicht, aber Adam kämpft noch gegen seine Gefühle an. Und solange er nicht sicher ist, was er tun will, hältst du dich gefälligst da raus! Haben wir uns verstanden?"
Lee ist bei dieser Ansage ganz blass geworden. "Wow, Markus, immer mit der Ruhe. Wenn der Kerl da meinem Adam über den Verlust von Joshua hinweg helfen kann bin ich der letzte, der da was dagegen unternehmen würde. Ich habe Großvater nämlich auch zugehört."
Nun hake ich mich bei den beiden Jungs ein. "Lasst uns nach drinnen gehen und den beiden noch eine halbe Stunde oder so alleine geben und dann sehen wir weiter, ja?" Und genau das tun wir dann auch.
Während wir unsere Getränke und den leckeren Kuchen genießen, unterhalten wir uns wieder ganz entspannt. Ich denke, dass Lee keine Schwierigkeiten machen wird. Er hat nur Angst, dass Adam nach dem Verlust von Josh es nicht verkraftet wenn er nach einem Outing Probleme auf der Uni haben sollte. Er weiß genau wie wir, dass Ad seine Sexualität definitiv nicht verleugnen würde. Einmal entschieden seinem Herzen zu folgen, gibt er nichts auf das Gerede anderer und würde sich demzufolge nicht verstecken.
Etwas mehr als die anberaumte halbe Stunde ist vergangen, währenddessen ich die beiden ein wenig beobachtet habe. Mir ist allerdings nicht entgangen, dass sie traurig aussehen und denke, ein wenig Ablenkung wäre  jetzt genau das Richtige. Deshalb nehme ich meine beiden Jungs und wir gesellen uns zu den anderen. Sobald Evan mich sieht, zieht er seine Hand aus der Umklammerung meines Bruders, als hätten die beiden etwas Verbotenes getan. Adam wird ein wenig rot, wie immer in solchen Situationen, und Evan schaut mich ein wenig eifersüchtig an.

Kapitel 8

 Adam

Kiara legt ihre Hand auf Evan's Schulter. "Hallo Evan" und leiser, während sie mir einen Kuss auf die Wange haucht, "Hei Hachidori, alles okay?" Es ist selten, dass sie japanisch mit mir redet. Und auch 'Kolibri' nennt sie mich nur, wenn sie mich trösten will oder wir sehr emotional sind.
"Hallo ihr drei, ist es denn schon so spät? Wir wollten uns doch erst... Oh schon fast sechs Uhr?", stelle ich mit einem Blick auf meine Uhr fest. Während ich mich mit Evan unterhalten habe ist mir gar nicht aufgefallen, dass die Zeit so schnell vergangen ist. "Hallo, setzt euch doch bitte", kommt es leise von Evan, der die beiden jungen Männer an Kiara's Seite mustert. "Vielen Dank", sagt mein Beinahe-Schwager, Evan die Hand gebend. "Ich bin Markus Brown, Adam's bester Freund und das neben mir ist Lee Wang- Fu, Adam's Cousin." Evan gibt auch Lee die Hand. "Hallo Markus, hallo Lee, freut mich, euch kennen zu lernen." Ich kann sehen, dass das wirklich der Wahrheit entspricht, denn auf seinem Gesicht macht sich ein zaghaftes Lächeln breit. "Kiara, darf ich dich etwas fragen?", seine blauen Augen scheinen meine Schwester hypnotisieren zu wollen. "Selbstverständlich", kommt es ein wenig irritiert von Kia. "Was war das für eine Sprache? Oder warte, war das japanisch? Es klang wunderschön, was bedeutet es?" Eine leichte Röte zieht sich über Evan's Wangen und ich kann sehen, dass sich Kiara über seine Fragen wirklich freut. Zeigt es doch, dass er Interesse daran hat, mehr über uns zu erfahren. "Ja, das war japanisch. Hei heißt Hallo und Hachidori bedeutet Kolibri." Deutlich ist Evan anzusehen, dass er erst mal nachdenken muss. Nach kurzer Zeit scheint er sich entschieden zu haben, weiterhin seinen Wissensdurst stillen zu wollen. "Wieso gerade Kolibri?", leise setzt er noch hinzu: "Also falls es zu privat ist, dann brauchst du nicht zu antworten.“ Kiara schaut kurz in meine Richtung. Unauffällig nicke ich ihr zu, aber noch bevor sie eine Antwort geben kann, steht eine der Bedienungen und somit Evan's Arbeitskollegin am Tisch und fragt nach unseren Wünschen. Nachdem jeder seine Bestellung aufgegeben hat, lässt sie uns wieder allein. "Nun, Kolibri steht für Kraft, Bedürftigkeit, Liebe, Flexibilität und Gewandtheit. All dies ist deutlich Adam. Er hat eine unglaubliche psychische Kraft, er ist manchmal bedürftig im Sinne von jemanden an seiner Seite nötig zu haben, er liebt und wird zurück geliebt und als Tänzer ist er ganz natürlich flexibel und gewandt. Kurz, welcher Name passt dann besser als dieser?" Während Kiara ihre Erklärung zu meinem Spitznamen losgeworden ist, haben Evan's Augen begonnen, regelrecht zu funkeln. Gefesselt von diesem Anblick ist mir gar nicht aufgefallen, dass er mir die ganze Zeit in die Augen sieht. Er lächelt und fügt dann hinzu: "Und er ist ebenso zierlich, zerbrechlich und genau so schön." Entsetzt weiten sich seine Augen als ihm bewusst wird, was er da gesagt hat. Kiara kichert und auch Markus und Lee sehen sehr amüsiert aus. Das alles bekommt Evan nicht mit, da er sein Gesicht in seinen Händen verborgen hat. "Oh Gott, es... Adam, es tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wo das jetzt herkam." Ich lege meine Hände auf seine Handgelenke und ziehe sie von seinem Gesicht. "Alles okay, hörst du? Eigentlich kann ich mich doch geehrt fühlen, wenn du so über mich denkst. Also, vielen Dank." Jetzt beginnt er, doch wieder zu lächeln. Lee sieht ein wenig genervt von einem zum anderen. "Gehen wir heute noch zum Billardspielen oder wird das nichts mehr?" Markus winkt die Bedienung an den Tisch, um um die Rechnung zu bitten und sagt dann: "Natürlich gehen wir zum Billard. Evan, du kommst doch mit, oder?" Kiara nickt. "Das ist eine super Idee Markus. Oder hast du schon etwas anderes vor?" Evan nickt und schüttelt fast im gleichen Moment seinen Kopf, bis er meine Verwirrung bemerkt. "Also, ja ich komme gerne mit, falls ich nicht störe, ich würde euch alle sehr gerne weiter kennenlernen und nein ich habe heute nichts weiter vor. Außerdem ist morgen Samstag und ich brauche nicht im Schwimmbad zu arbeiten, weil morgen Monteure da sind. Irgendwas stimmt nicht mit dem Gerät, das die Chlorkonzentration im Wasser regelt. Das wird überprüft und wenn möglich gleich wieder repariert. Deshalb ist an einem Samstag geschlossen. Grace war so was von sauer, dass niemand eher Zeit hatte!" Als Evan bemerkt, dass Markus uns alle eingeladen hat, lächelt er ihn ein wenig verlegen an. "Vielen Dank für den Cappuccino, Markus." Dieser zieht Kiara und mich aus den zugegebenermaßen extrem bequemen 'Lümmelstühlen' und winkt Lee und Evan hinter uns her. "Gern geschehen. Du bist mir total sympathisch und ich hoffe doch, dass wir alle uns jetzt öfter sehen. Dann kannst du auch mal ein Bier ausgeben oder so." Evan wirkt etwas verlegen. Räuspert sich: "Das ist gar keine so schlechte Idee. Und ihr seid mir übrigens auch alle sehr sympathisch. Ich würde mich geehrt fühlen, euch besser kennenzulernen und öfter zu sehen. Vielleicht habt ihr ja Lust, meine beste Freundin auch einmal zu treffen denn ich glaube dass Isabel und Kiara sich bestimmt gut verstehen würden und Kiara wäre dann nicht das einzige Mädchen in der Männerrunde." Kia schaut tatsächlich sehr begeistert und ich ahne Schlimmes. Augenverdrehend sehe ich zu Markus und auch dieser macht gerade ein äußerst leidendes Gesicht. "Oha, da haben wir den Salat!", schmunzelt Lee, "Schluss mit ruhigen Männerabenden oder gewissen Damen in der Unterzahl. Du musst wissen Evan, unsere liebe Kia ist ein Goldschatz, solange sich kein anderes weibliches Wesen in ihrer Nähe aufhält. Mag sie dieses auch noch, nun, dann wird es echt übel.", spricht's und flüchtet förmlich aus dem Café. "Kommt ihr nun endlich?"
Es wird ein echt toller Abend. Wir fünf haben tierischen Spaß. Evan kann super spielen und bei einem Männerdoppel gewinnen wir beide haushoch gegen Markus und Lee. Wir haben alle deutlich mehr Alkohol getrunken als uns gut tut. Klar, wenn man pauschal 20 € per Tisch für 3 Stunden bezahlt und die leichten alkoholischen Getränke sowie Softdrinks inclusive sind. Zu Fuß machen wir uns auf den Weg nach Hause. Markus hat beschlossen, Evan zu seinem neuen besten Freund zu machen und stapft, ihm seinen Arm über die Schulter gelegt, voraus. Er hat bestimmt, dass Ev auf unserem Sofa nächtigen muss, da mittlerweile keine Busse mehr fahren, ein Taxi zu teuer ist und unser Sofa echt bequem ist und überhaupt.
Lee wohnt nur einen Eingang weiter und versucht gerade, möglichst würdevoll die Haustür aufzubekommen. Ich muss sicher nicht erwähnen, dass das nicht so richtig klappen will. Evan, der scheinbar am wenigsten von allen getrunken hat, hilft ihm schlussendlich, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen, bevor der noch das Zeitliche segnet.
Während mein Cousin förmlich in den Hausflur stolpert, kann ich meine Tante im zweiten Stock schon fluchen hören. Mit einem etwas debilen Gesichtsausdruck verabschiedet Lee sich von uns und wir können auch endlich nach drinnen gehen. Ich bin todmüde. Es war ein toller Tag, aber auch total anstrengend. Außerdem sind echt viele Eindrücke auf mich eingestürzt, sodass ich viel Zeit zum Nachdenken brauche. Ich bin, wie meine Eltern sagen, ein 'Kopfmensch'. Trotzdem haben wir beschlossen, noch schnell einen Kaffee zu trinken. Während ich mit Evan noch in der Küche sitze, haben Kiara und Markus schon mal das Weite gesucht und sich nach einem fixen Abstecher ins Feuchtbiotop, genannt Badezimmer, in die Waagerechte begeben. Vorher hat Kia freundlicherweise noch ein T- Shirt und eine Shorts von Markus für Evan im Bad deponiert. In der Zeit, die er im Badezimmer verbringt, richte ich ihm sein Schlaflager auf dem Sofa her. Mit einem schüchtern gehauchten "Schlaf gut und träum süß, Hachidori.", wickelt er sich in seine Decke ein. Jetzt ist es an mir, ein wenig debil zu grinsen, kann er ja ohne Licht eh nichts sehen.
Mich in meinem Bett unruhig umherwälzend, habe ich Mühe, trotz Müdigkeit einzuschlafen. Als es mir endlich gelingt, träume ich, oh Wunder, natürlich von 'unserem' sexy Schlafgast. Genervt, weil total übernächtigt, stehe ich um acht Uhr unter der Dusche.

Kapitel 9

 

Evan

 

Nachdem mich Morpheus endlich in sein Reich eingelassen hat, kann ich Markus nur zustimmen. Das Sofa ist wirklich sehr bequem. Ich habe mich schon lange nicht mehr so ausgeruht gefühlt. Mag auch daran liegen, dass das Kopfkissen ein wenig nach Adam duftet. Pfirsich, frisches Holz und eben typisch Adam-mäßig. Lecker halt. Dieser Duft macht mich total an. Man sagt ja, man kann jemanden gut riechen oder eben nicht, aber dass alleine der Geruch, so vage er auch wahrnehmbar ist, dafür sorgen kann, dass eine ganze Armee kleiner Krabbelviecher sich im Körper breit macht, ist doch total irre. Sehr erholt wache ich am Samstagmorgen um kurz nach neun auf. Ich rieche leckeren Kaffeeduft als ich, frisch geduscht und mit meinen Klamotten vom Vortag am Leib, aus dem Bad komme. Lustigerweise bin ich scheinbar nicht der einzige, der mehrere Ersatzzahnbürsten auf Vorrat hat. Mein Glück, denn ich hasse es, mit ungeputzten Zähnen zu essen oder trinken. Da Kaffee jetzt genau das Richtige für mich ist, mache ich mich auf den Weg in die Küche. Oh mein Gott! Mit dem Rücken zu mir steht Adam an der Küchentheke. Nun ja, stehen trifft es nicht wirklich. Scheinbar hört er mit einem MP3 Player Musik, denn er bewegt sich so unglaublich anmutig zu einer Melodie, welche ich nicht hören kann, dass mir dabei beinahe mein Herz stehen bleibt. Ich kann mich nicht dazu überwinden, ihn zu stören, denn ich kann mich einfach nicht sattsehen. Elfengleich schwebt er förmlich am Tresen entlang, hat bei Drehungen glücklicherweise seine  Augen geschlossen und ist hoch konzentriert. Wenn ich mich nicht schon in ihn verliebt hätte, wäre es spätestens jetzt um mich geschehen. Noch immer stehe ich wie angewurzelt im Türrahmen. Nach fast fünfzehn Minuten, wie mir die Uhr an der Wand gegenüber verrät, werden die Bewegungen ruhiger. Wie in Trance gehe ich auf Adam zu. Um ihn nicht zu erschrecken, schlinge ich sehr vorsichtig meine Arme um das göttergleiche Wesen vor mir. Meine Hände kommen auf seinem flachen, festen Bauch zum liegen. Ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken, was ich hier eigentlich mache, senke ich meinen Kopf und berühre mit meinen Lippen sein rechtes Ohr. Knabbernd gleite ich an diesem nach unten und stoppe erst, als ich unterhalb des Ohrläppchens die zarte Haut vom Hals erreicht habe. Adam legt seinen Kopf ein klein wenig mehr nach links und noch immer hat sich mein Gehirn nicht eingeschaltet. Adam seufzt leise. Dieses Geräusch fährt mir direkt in den Bauch. Während ich mit meinen Zähnen und der Zunge weiter seine Haut erkunde, lässt sich Adam vertrauensvoll gegen meinen Körper sinken. Als er sich in meinen Armen dreht und mich mit diesen dunklen Augen ansieht, kann ich mich nicht mehr beherrschen. Ich muss jetzt sofort von diesen Lippen kosten, sonst sterbe ich. Da bin ich mir sehr sicher. Gleichzeitig nähern sich unsere Gesichter, ich kann schon seinen  Atem auf meiner Haut spüren. Adam fallen die Augen zu und auch mir fällt es schwer, meine nicht zu schließen. Ich kapituliere, als sich unsere Münder das erste Mal berühren. Ganz vorsichtig fahre ich über seine Lippen, streiche mit der Zungenspitze über die weichen Kissen, die sich augenblicklich für mich öffnen. Als unsere Zungen sich zaghaft treffen, entbrennt ein Kampf, den keiner für sich entscheiden kann. Sein Geschmack - so süß und fruchtig - explodiert förmlich in meinem Mund. Ich stöhne leise. Auch Adam vertieft unseren Kuss und kann sein Stöhnen nicht zurückhalten. Plötzlich werde ich wieder in die Gegenwart zurückgeholt, denn Kiara stürmt in die Küche: "Adam, hast du... Oh Schei... Tschuldigung..." Und weg ist sie. Adam und ich springen wortwörtlich auseinander. Seine Wangen sind rot angehaucht. Ich brauche nur Bruchteile von Sekunden und schon bin ich aus der Tür. Meine Jacke und Schuhe an mich genommen, haste ich eiligst aus der Haustür und die Treppen hinab. Unten angekommen, steige ich rasend schnell in meine Schuhe. Noch bevor die Tür vom Treppenhaus hinter mir zuschlägt, kann ich Adam meinen Namen rufen hören. Mit verschleiertem Blick renne ich durch die Straßen. Erst als ich die Treppe zur U- Bahn sehen kann, werde ich langsamer. In der Bahn schlage ich meinen Kopf gegen die Scheibe. Schließlich  lasse ich meine Stirn dagegen fallen und plötzlich wird mir mehr als bewusst, was ich gerade getan habe. So eine verfluchte Kacke! Hatte ich Adam nicht versprochen, meine Finger bei mir zu behalten? Was muss er denn nun von mir denken? Und wieso hat Kiara so komisch reagiert? Würde ich meinen Freund mit jemand anderen küssend vorfinden, gäbe es ganz sicher Tote. Aber vielleicht denke ich ja nur so verquer, weil Tim so eine Scheiße mit mir abgezogen hat. Gebranntes Kind scheut das Feuer. Meine Gedanken rasen durch mein Gehirn. Hätte sich das nicht mal etwas früher zu Wort melden können? Ist ja nicht so, dass da nichts wäre. Studiere ja auch nicht umsonst Tiermedizin. 

Zu Hause angekommen schaffe es gerade so, die Haustür hinter mir zu schließen und rutsche heulend wie ein Kleinkind am Türblatt nach unten. Ein paarmal schlage ich meinen Hinterkopf gegen die Tür, aber außer einem Brummschädel bringt es mir keine neuen Erkenntnisse ein. Ich bin so ein Idiot! Mit meiner Aktion habe ich mir die beginnende Freundschaft zu Adam komplett versaut. Der will doch niemals wieder was von mir wissen.

Ich fühle mich hundeelend. Und dann nicht mal den Mut zu haben, um mich mit ihm auseinanderzusetzten wie er es verdient hat, ist schon ganz schön mies. Wie muss er sich denn jetzt fühlen? Überrumpelt, ausgenutzt und weggeworfen wie ein altes Spielzeug. Ich fühle mich so schrecklich schuldig. Schnell hole ich mein Telefon aus der Jacke, um wenigstens eine Entschuldigung zu schicken. Drei Anrufe in Abwesenheit. Die Nummer ist mir nicht bekannt. Allerdings kann ich mir denken wer da versucht, mich zu erreichen. Habe ich gestern doch mit Adam und Markus Telefonnummern ausgetauscht. Da ich mir denken kann, was sie sagen werden und ich das ganz sicher jetzt nicht verkrafte, schreibe ich nur schnell eine SMS an Adam und schalte das Gerät dann aus. Erst überlege ich noch, Isa anzurufen, aber erstens glaube ich nicht, dass ich einen Ton hervorbringe und zweitens ist sie bei ihren Eltern. Ich will sie dort nicht mit meinem Problem belasten. Außerdem ist es ihr gegenüber sehr egoistisch, ihr mit Adam und was er für mich bedeutet in den Ohren zu liegen, obwohl ich genau weiß, dass sie noch immer in mich verliebt ist. Völlig fertig mit der Welt schleppe ich mich ins Bad, mache mich bettfertig und kuschele mich in meine Decke.

Irgendwie laufen die Tränen einfach weiter über meine Wangen, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen könnte. Nach einiger Zeit bin ich scheinbar eingeschlafen, denn als ich wieder erwache, ist es draußen schon dunkel. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen, mir ist furchtbar übel und meine Nase ist total verstopft. Aber all das nehme ich gerne in Kauf, wenn es nur Adam gut geht. Ich habe schreckliche Angst, weil ich nicht weiß, wie er unseren Kuss verkraftet hat. Aber er hat mich doch zurückgeküsst. Oder habe ich mir das nur eingebildet? Irgendwie ist das aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich gehe noch mal ein Glas Wasser trinken und dann wieder schlafen. Sofern das geht. Und morgen, nein heute, ist ja schließlich schon nach Mitternacht, stelle ich mich Adam und seinen Freunden. Warum müssen mir nur immer meine Gefühle ständig im Weg stehen? Scheinbar habe ich es nicht verdient glücklich zu sein...

 

Kapitel 10

 

Adam

 

Nachdem ich das Badezimmer verlassen habe, mache ich mich leise, um die anderen nicht zu wecken, auf den Weg in die Küche. Kurz bleibe ich im Wohnzimmer stehen. Evan liegt, mit seiner Nase tief in meinem zweiten Kopfkissen vergraben, bäuchlings auf dem Sofa. Er lächelt leicht im Schlaf und ich wünsche ihm einen süßen Traum. Die Decke liegt nur noch über seinen Beinen und der Rest von ihr auf dem Boden. Die Short sitzt sehr tief auf seiner Hüfte. Markus ist eben doch ein wenig breiter gebaut als Evan. Wahrscheinlich durch seine Bewegungen während des Schlafens, ist das Shirt nach oben gerutscht und lässt einen Streifen getönte Haut sehen. Die Farbe von Milchschokolade und der zarte Glanz ziehen mich wie magisch an. Am liebsten würde ich mit meinen Fingern sanft über seine Haut gleiten nur um zu sehen, ob sie so weich und zart ist, wie es für mich den Anschein hat. Sein leichtes Seufzen holt mich in die Gegenwart zurück. Schnell und auf leisen Sohlen verlasse ich Evan und gehe nun endlich doch noch in die Küche, um mir eine heiße Schokolade zu machen. Diese, mit kleinen Mini-Marshmallows versehen, ist das Geheimrezept meiner Granny. Vertreibt Kummer und Sorgen und hilft beim Nachdenken. Mir total egal, denn ich mag einfach den Geschmack und außerdem bin ich bekennender Schokoladiker. Wenn es so was wie die anonymen Alkoholiker für Schokoladenabhängige gäbe, wäre ich wohl das erste Mitglied. Allerdings will ich von meiner Sucht gar nicht geheilt werden. Und geheim halten tu ich sie auch nicht. Heute hilft mir der warme Trunk leider nicht beim Nachdenken. Mit einem Blick auf die Küchenuhr stelle ich fest, dass es schon viertel vor neun ist und da meine Familie eher zum Frühaufstehen neigt, will ich mal nicht so sein und das Frühstück für alle vorbereiten. Schnell stöpsle ich mir die Kopfhörer meines MP3 Players ein und suche das Stück, zu welchem mir noch keine passende Choreografie eingefallen ist. Während ich die Zutaten für den Teig für leichte Crêpes zusammensuche und diesen anrühre, bewege ich mich fast von selbst. Leicht und beschwingt tanze ich, total in meine Musik vertieft, am Küchentresen. Für Außenstehende muss ich wirklich ein komisches Bild abgegeben, aber meine Familie ist das schon von mir gewöhnt. Tanze ich doch schon so lange wie ich denken kann. Der Teig ist fertig und ich schneide gerade Obst für die Beilage, als ich nach circa zwanzig Minuten an der Stelle im Musikstück ankomme, die mir am meisten Kopfschmerzen bereitet. Meine Bewegungen werden ruhiger und ich bin gerade am Nachdenken, was ich tanztechnisch machen könnte, als sich zwei warme und starke Arme um mich schlingen. Evan's wunderbarer Geruch umhüllt mich wie ein warmer Mantel. Ganz vorsichtig, als wäre ich aus feinstem Porzellan, streichen seine Hände über meine Seiten nach vorn und bleiben dann auf meinem Bauch liegen. Ich bin nur kurz irritiert, doch glücklicherweise bin ich nicht so extrem schreckhaft, sodass ich jetzt ganz still stehenbleibe. Die plötzliche sanfte Berührung an meinem Ohr geht mir so sehr unter die Haut. Ich habe keine Ahnung, was hier mit mir passiert aber, Evan's Zärtlichkeiten fühlen sich so richtig an. Den Seufzer kann ich nicht unterdrücken. Will ich aber auch gar nicht. Feucht, warm und unendlich sanft schlängelt er mit seiner Zunge an meinem Hals entlang und mein Körper wird von tausenden Schmetterlingen in Besitz genommen. Ich lasse mich komplett in seine Berührungen fallen und als ich es nicht mehr aushalte, drehe ich mich in seinen Armen um. Seine wunderschönen blauen Augen sehen nun gar nicht mehr traurig aus. In ihnen scheint ein Sturm zu toben. Eine Farbe wie aufgepeitschtes Meer in einem Orkan. Sie sind dunkel und funkeln geheimnisvoll. Seine Lippen sind glänzend und leicht geöffnet, sein Atem geht sehr schnell und in diesem Augenblick wird mir bewusst, dass ich der Grund für all diese Veränderungen bin. Der Wunsch, ihn zu küssen, wird übermächtig. Auch er kommt mir entgegen. Als seine Lippen die meinen berühren, so unglaublich zärtlich, vorsichtig, ängstlich gar, scheint meine Welt Kopf zu stehen. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie ich all die Jahre ohne dieses Gefühl leben konnte. Wir stöhnen beide leise von unseren Mündern gedämpft in den Kuss. Seine Hände auf meinem Rücken drücken mich sacht gegen seinen muskulösen Körper und ich will gerade meine Finger in seiner Mähne verhaken, als uns Kiara auseinander fahren lässt. Ohne dass ich eine Gelegenheit habe  in irgendeiner Weise zu reagieren, dreht er sich hastig um und verlässt in einem Wahnsinns-Tempo die Wohnung. So schnell es mir meine Verwirrung möglich macht, eile ich hinterher. Ich sehe ins Treppenhaus hinunter und rufe seinen Namen in der Hoffnung, dass er das Haus noch nicht gänzlich verlassen hat. Es kommt keinerlei Reaktion. Darum haste ich nun zum Fenster, vielleicht erreiche ich ihn auf diesem Weg. Aber ich kann ihn nur noch um die Häuserecke rennen sehen. Völlig überfordert mit meinen Gedanken und seiner Reaktion schaffe ich gerade mal noch einen Schritt vom Fenster weg, bevor ich in mich zusammenfalle. Ich schlinge meine Arme um meine Beine und lasse meinen Kopf nach vorne fallen. Als ich laut aufschluchze, fühle ich eine kleine Hand, die mir über meinen Kopf streicht. Dann setzt Kiara sich neben mich und nimmt mich in den Arm. "Hontōni gomen'nasai, Hachidori. Es tut mir so leid, so schrecklich leid. Kolibri, sag doch bitte was. Ich bin eine Idiotin. Schlag mich oder schrei mich an, aber bitte weine nicht mehr. Das ertrage ich nicht." Sie hat mittlerweile selbst angefangen zu weinen. Als ich ihre Tränen auf meinem Arm spüre, fällt mir wieder ein, dass ich nie wieder der Grund für ihre Tränen sein wollte. Nach Josh's Tod hätte ich mit meiner Verzweiflung und Trauer beinahe die Beziehung zu meiner Schwester kaputt gemacht, weil sie so furchtbar darunter gelitten hat, dass ich mich selbst fast aufgegeben hatte. Irgendwann hat Markus dann ein Machtwort gesprochen und mich ohne mein Wissen oder Einverständnis einfach in die Praxis einer guten Psychologin verfrachtet und während des ersten Gesprächs draußen auf mich gewartet. Viele Besuche bei Dr. van den Bos und drei Monate später ging es mir etwas besser und Kiara, Markus und ich haben zusammen eine WG gegründet. Dies gehörte auch zur Therapie und hat uns allen wirklich sehr gut getan. Während mir dies durch den Kopf geht, streiche ich Kia sanft über die Wangen und wische die Tränen fort. Ohne ein Wort zu wechseln, erheben wir uns und setzen uns in die Küche. Hier stehen schon drei Tassen heiße Schokolade bereit und ohne dass wir es wollen, müssen wir doch lachen. Markus kommt zu uns und legt jedem einen Arm um die Schulter. "So, meine beiden Süßen. Kann mir mal bitte einer von euch verraten, was denn diesen Katzenjammer ausgelöst hat?" Da ich noch zu durcheinander bin, übernimmt Kia das Reden und bringt ihn auf den neuesten Stand.

Kapitel 11

 

Kiara 

 

Wir sitzen zusammen am Küchentisch. Jeder von uns hat eine Hand auf dem Tisch liegen. Unsere Finger berühren sich. Das ist eines der Rituale, die aus der Zeit mit Joshua stammen. So fühlt man sich mit seinem gegenüber verbunden. Auch wenn man nicht dazu in der Lage ist den anderen anzuschauen, kann man sicher sein, dass sein Gegenüber zu hundert Prozent bei dir ist. Nachdem ich Markus alles aus meiner Sicht erklärt habe, ist es einen Augenblick still. Nach einer Weile will er dann wissen: "Was hast du gefühlt, als er dich geküsst hat?" Adam überlegt kurz. "Ich habe mich unglaublich gefühlt, schwach und gleichzeitig stark, ängstlich und doch mutig, halb und auch wieder ganz. Es hat sich richtig angefühlt. Mein ganzer Körper hat vibriert. Mir war schlagartig heiß. Außer uns beiden war nichts mehr existent." Markus lächelt mich über den Tisch an. "Auch auf die Gefahr hin mich jetzt bei dir unbeliebt zu machen, Süßer, du bist bis über deine hübschen Ohren in Evan verliebt." Adam schüttelt den Kopf. "Ich kann nicht...geht nicht...ich...Josh..." Er scheint sehr durcheinander zu sein. Ich nehme ihn in den Arm. "Hachidori, nicht an Joshua denken. Er ist tot. Ich bin mir ganz sicher, dass er sich auch wünschen würde, dass du endlich wieder richtig lebst und vor allem glücklich wirst. Denk an Evan und an dich. Ich bitte dich, lehn es nicht von vornherein ab. Er bringt dich zu einem Lächeln, bei dem auch deine Augen wieder mitlachen. Bitte rede mit uns oder mit Dr. van den Bos."

Er schaut mich nun ganz entsetzt an. "Mein Gott, Evan! Wie muss er sich denn jetzt fühlen? Er hat mir doch versprochen, dass er mich nicht 'anfällt'. Aber er war es doch nicht alleine und er denkt doch, du wärst meine Freundin. Scheiße, ich habe keine Ahnung wo er wohnt. Kia, was machen wir denn jetzt? Ich kann das doch nicht so stehen lasse,n ganz unabhängig davon, was ich schlussendlich eigentlich will. Er hatte zum ersten Mal nicht diesen furchtbar traurigen Ausdruck in seinen Augen." Adam ist wirklich sehr verzweifelt und denkt natürlich mal wieder nicht in erster Linie an sich selbst. Aber auch ich hatte mir schon so meine Gedanken darüber gemacht. "Markus, kann ich bitte kurz dein Telefon haben?" Die Jungs hatten gestern Abend noch die Nummern ausgetauscht und ich hoffe wenn er von einer unbekannten Nummer angerufen wird, dass er das nicht sofort mit uns in Verbindung bringt. Ich lasse es ein paarmal klingeln, aber leider nimmt er nicht ab. Nach dem dritten Versuch warte ich etwas länger, bevor ich es nochmals probieren will. In diesem Moment kündigt sich eine Nachricht auf Adam's Handy an.

 

 'Lieber Adam, ich möchte dich aufrichtig um Entschuldigung bitten. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, dass ich dein Vertrauen missbraucht habe. Ich habe leider in diesem für mich magischen Moment nicht mein eigentlich vorhandenes Gehirn eingeschaltet. Ich bin vermutlich, durch gewisse Umstände, normalerweise der letzte Mensch der sich zwischen zwei sich Liebende stellt und Streit oder Schlimmeres verursachen möchte. Vergebung habe ich nicht verdient und darum werde ich diese auch nicht von dir noch von Kiara erbitten. Ich bitte dich nur über meine Entschuldigung nachzudenken und mich nicht zu hassen, denn das könnte ich nicht ertragen. Ich werde mich von dir fern halten. Wenn du allerdings ein Gespräch wünschst, bin ich der letzte, der dir dies verwehrt. Leb wohl und sag Kiara, dass es ganz allein meine Schuld war. Evan'

 

 Nachdem Adam dies vorgelesen hat bin ich mir sicher, dass ich Evan unbedingt erreichen muss, um zumindest ein paar grundlegende Dinge zurechtzurücken. Leider ist sein Telefon ausgeschaltet. Im 'Black Rose'  wird er morgen leider nicht zu finden sein, da er nur dort arbeitet, wenn dies nötig ist. Ich kann höchstens versuchen, seine Adresse darüber irgendwie ausfindig zu machen. Aber ich mache mir da wenig Hoffnung. Ich würde auch keine Adresse an jemanden herausgeben, den ich nicht kenne. Also, das 'Problem' Evan wird darum erst einmal auf Eis gelegt. Kümmern wir uns um Adam. "Was fasziniert dich so an ihm? Und ich bitte dich den Umstand, dass er eben ein er und keine sie ist mal außen vor zu lassen." Nun, ich sehe seine traurigen, wunderschönen, blauen Augen die ich zum Strahlen bringen möchte. Ich mag wie er riecht. Ich mag wie er mir unter die Haut geht. Ich mag den Farbton seiner Haut und dass sie wie Seide aussieht." Und so leise, dass wir ihn fast nicht verstehen können. "Ich mag es, von ihm geküsst zu werden und wie zärtlich er sein kann." Markus hat lange geschwiegen. "Adam, du bist wirklich voll verknallt. Bitte denke gut nach, bevor du eine Entscheidung triffst, die euch beiden weh tut. Auch, wenn du das alles schon gehört hast oder vielleicht tief in deinem Inneren selber weißt. Mach dein Glück nicht von Josh's Unglück abhängig. Denn dass du das tust, steht für uns alle völlig außer Frage." 

Ich möchte eine für mich wichtige Information doch noch hinterfragen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob mir die Antwort gefällt. "Wie riecht Evan für dich?" Adam denkt lange über meine Frage nach. Als ich schon denke, keine Antwort mehr zu bekommen, sagt er schließlich: "Kannst du dich noch an den einen Tag im Dezember erinnern, als Joshua, du und ich zur Lichtung ins Wäldchen hinter Granny's Haus gegangen sind? Josh und ich waren fünfzehn. In genau dem Augenblick, als wir auf die Lichtung getreten sind, hatte es aufgehört zu regnen und die Sonne schien in unsere Gesichter. So wie dieser kalte Wintertag mit frisch 'gewaschener' Luft und der Wärme, die die Sonne auch bei drei Grad plus haben kann, so empfinde ich seinen Duft. Er riecht wie Geborgenheit, Wärme und nach Hause kommen. Er macht mich süchtig. Ich bin nicht nur nach Schokolade und Kaffee süchtig, sondern auch nach 'Eau de Evan' das ist doch verrückt." 

Ich wusste doch, dass die Antwort wieder mal etwas mit Josh zu tun hat. Adam kann ihn einfach nicht loslassen. Das ist auch der Grund, warum ich der Meinung bin, dass er unbedingt mit seiner Psychologin reden muss. Adam greift sich mit der einen Hand gegen die Stirn schlagend sein Handy. Markus und ich schauen uns verständnislos an. "Mann, bin ich blöd. Ich kann ihm doch auf seine SMS antworten, auch wenn sein Handy aus ist. Irgendwann wird er es wohl wieder einschalten, oder?" Er schaut nachdenklich zu Markus. "Was willst du ihm denn genau schreiben? Manche Dinge sagt man besser persönlich, findest du nicht?" Er fängt an auf seinem Handy zu tippen und hält es mir dann entgegen.

 

'Lieber Evan, ich habe nichts zu entschuldigen. Ich habe dich nicht gestoppt, nicht weil ich es nicht konnte, sondern weil ich es nicht WOLLTE. Ja ich gebe zu, ich bin verwirrt und solange ich mir nicht sicher bin, was ich will, denke ich auch, dass es besser ist, wenn wir uns nicht sehen. Aber ich will auf jeden Fall noch immer deine Freundschaft. Ich möchte dich bitten Kia die Möglichkeit zu geben, mit dir zu reden. Niemand ist hier auf dich sauer. Melde dich bitte, damit ich weiß, dass du die SMS erhalten und gelesen hast. Adam'

 

Ich halte Markus kurz den Text vor die Nase, bevor ich auf senden klicke. Adam schaut mich an, strafft seine Schultern und beschließt, dass wir jetzt erst mal alle einen Kaffee nötig haben. Ich beschließe für mich, dass ich, falls Evan sich bis Mittwoch nicht gemeldet hat, dann zu ihm ins Café gehe um mit ihm zu reden. Ich mag ihn und will nicht, dass er sich wegen etwas, das nicht wahr ist, schlecht fühlt.

Kapitel 12

 

Dr. van den Bos

 

"Guten Morgen Emilia" höre ich, als ich die Praxis betrete. Ich bin froh, dass Anna endlich dieses blöde 'Frau Doktor' abgelegt hat. Hat ja nur 4 Jahre gedauert. Aber in Deutschland, wo Anna geboren ist und nach der Ausbildung auch gearbeitet hat, ist es scheinbar normal, dass die Herren und Frauen Doktoren ihren Titel wie ein Schutzschild vor sich hertragen. Ich kann da sehr gut drauf verzichten. Mir ist ein gutes Betriebsklima wesentlich wichtiger als irgendwelche Hierarchien. Meine drei Schwestern spreche ich auch nicht mit ihrem Titel an, obwohl auch diese eine Approbation haben. Mit einem Lächeln antworte ich ihr: "Guten Morgen Anna, irgendwelche Vorkommnisse? Ist mein erster Klient schon da oder habe ich noch Zeit für einen Kaffee?" 

Ja, ich finde die Menschen, die bei mir Rat und Hilfe suchen, sind Klienten und keine Patienten. Neunzig Prozent sind nämlich nicht krank, sondern nur verwirrt und haben jemanden nötig der ihnen hilft, den Knoten in ihrem Gehirn zu lösen oder zumindest den Anfang findet. Anna lacht. " Der Kaffee kommt sofort und Herr Canter hat gerade angerufen, dass er sich um fünf Minuten verspäten wird. Er steht mal wieder im Stau. Ich habe dir eine Akte auf den Schreibtisch gelegt. Ich soll einen Termin vergeben, aber da es kein neuer Klient ist dachte ich, dass du mir sicher sagen kannst, wieviel Zeit ich einplanen muss. Es scheint dringend zu sein." Mit diesen Sätzen neugierig gemacht und mit einem gemurmelten Danke bin ich schon auf dem Weg in mein Zimmer und zum Schreibtisch. Die Akte, die ganz oben aufliegt, ist von Adam Moore. Ein hübsches Kerlchen. Er war vor beinahe einem Jahr hier. Ich brauche nicht in die Akte zu sehen, denn an ihn kann ich mich noch sehr gut erinnern. Sein bester Freund und seine Schwester waren damals hier und haben das erste Gespräch mit mir geführt. Beide waren mehr als besorgt über den psychischen und physischen Zustand von Adam.

 

"Guten Tag, mein Name ist Emilia van den Bos, aber bitte nennen Sie mich doch Emilia. Und sie sind Adam, richtig?" Der junge Mann vor mir hat seine schönen, asiatisch aussehenden Augen auf seine Füße gerichtet. Ich bekomme beinahe fünf Minuten lang keine Antwort. Dann seufzt er herzzerreißend auf. "Hallo Emilia, ja ich bin Adam. Könnten Sie bitte du sagen? Ich bin erst sechzehn und fühle mich nicht wohl, wenn ich gesiezt werde." Seine Stimme wird zum Ende hin immer leiser. Ich kann nun die Sorge von Markus Brown und Kiara Moore gut verstehen. Denn, ehrlich gesagt, macht mir der zierliche Adam jetzt schon Sorge. Durch das Vorgespräch bin ich im Bilde was passiert ist, aber ich will es einfach von meinem Gegenüber hören. Ob er dazu allerdings in der Lage ist, wage ich zu bezweifeln. Er hat tiefe Augenringe, sein ohnehin schmaler Körper sieht ausgemergelt aus. Ganz offensichtlich hat er schon länger nicht vernünftig gegessen und geschlafen. Seine Augen sind stumpf und ohne richtiges Leben. "Das ist kein Problem Adam. Kannst du mir sagen, was dich zu mir führt?", versuche ich vorsichtig mein Glück. "Nun, mein bester Freund hat mich hierher geschleppt, weil er meinte, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Seine Worte, nicht meine. Ich habe keinen Plan, was er eigentlich von mir will." Ein wenig trotzig kommt seine Antwort nach kurzer Zeit.

"Möchtest du mir nicht etwas über Joshua erzählen?" Er schüttelt mit noch traurigerem Gesichtsausdruck seinen Kopf. "Wenn ich ehrlich sein will, dann nicht." So oder so ähnlich laufen die ersten Sitzungen immer ab. Bis Adam sich bei einer dieser Gespräche im Zimmer umschaut und dann das Foto auf meinem Tisch entdeckt. Ich kann deutlich sehen, wie es in ihm arbeitet. Das Foto steckt in einem schwarzen Rahmen und seitlich ist eine schwarze getrocknete Rose befestigt. Er schaut die anderen Bilder meiner Familie an, die auf dem Schreibtisch stehen oder an der Wand hängen. Ihm scheint aufgefallen zu sein, dass der schwarze Rahmen nicht zur Einrichtung oder zum Rest passt. Ich drehe ihm das Foto entgegen. "Das ist Amanda. Auf diesem Foto war sie gerade siebzehn Jahre alt." Adam schaut es sich lange an. Meine Tochter hatte da durch die Chemotherapie schon keine Haare mehr. Sie trägt ein hübsches Bandana, welches ihr schönes Gesicht gut zur Geltung bringt. Bis zum Schluss war sie unheimlich fröhlich. "Sie ist genau so hübsch wie Sie." Ich kämpfe mit den Tränen. "Sie war, Amanda ist keine zwei Wochen nach diesem Foto an Leukämie gestorben. Weder ihr kleiner Bruder noch mein Mann oder ich waren als Knochenmarkspender geeignet." Nun laufen mir doch ein paar Tränen über mein Gesicht. Dieser unglaubliche junge Mann steht einfach auf und nimmt mich in den Arm. "Hört es irgendwann auf so schrecklich weh zu tun?" fragt er vorsichtig. "Es wird immer wehtun, wenn der, der gegangen ist von uns geliebt wurde, aber es wird etwas leichter. Wichtig ist, dass man denjenigen in seinem Herzen festhält und vor allem an die glücklichen Zeiten denkt. Das hilft etwas." Das war der Ta,g an dem er mir zum ersten Mal von seinem Zwillingsbruder erzählt hat.

 

Als es leise an der Tür klopft, schrecke ich aus meinen Gedanken. Ich habe die Akte noch immer ungeöffnet auf dem Tisch liegen. Nach einer von mir gemurmelten Zustimmung öffnet Anna die Tür um mir mitzuteilen, dass mein Klient gerade eben etwas abgehetzt eingetroffen ist. "Kannst du bitte Herrn Canter einen Tee oder Kaffee anbieten? In der Küche liegen auch noch Kekse. Ich möchte mit Herrn Moore wegen des Termins selber sprechen. Er kommt nicht nur mal so. Da scheint etwas passiert zu sein und ich will wissen, ob ich ihn heute noch sehen muss. Mein Terminkalender im Rechner ist aktuell nehme ich an?" Anna schaut ein wenig skeptisch. "Selbstverständlich Emilia. Ich habe heute Morgen alles selber noch synchronisiert. Daphne ist am Freitag nicht mehr dazu gekommen. Sie hat übrigens angerufen. Ihr Mann darf am Mittwoch aus dem Krankenhaus und sie würde dann am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen." Ich muss lächeln und schüttle gleichzeitig meinen Kopf. "Bitte ruf sie an und sage ihr, dass ich sie frühestens nächsten Montag hier sehen möchte und schicke doch bitte einen großen Blumenstrauß von uns allen am Mittwochnachmittag zu ihr nach Hause mit Genesungswünschen für ihren Mann. Leider kann ich nicht persönlich hin, denn mein Kalender ist proppenvoll." Anna nickt kurz und schließt die Tür. Ich suche derweil die Telefonnummer von Adam raus um herauszufinden, wie dringend er einen Termin haben muss.

Leider erreiche ich nur seine Schwester, die meint, dass es zwar nicht unbedingt heute sein müsste, aber wenn möglich noch diese Woche. Das klingt doch schon sehr ernst. Daraufhin gebe ich ihr meine private Handynummer, damit Adam mich heute nach seiner Probe noch erreichen kann. Als ich aufgelegt habe, ist mein Kaffee mittlerweile schon kalt. Schnell trinke ich die Tasse aus und gebe Anna Bescheid, dass ich nun für meinen ersten Klienten an diesem kuriosen Montag bereit bin. 

Der Tag heute will sich gar nicht verabschieden. Anna und Leon, der hier bei uns seine Ausbildung macht, sind schon vor einer Stunde nach Hause gegangen. Meine letzte Klientin für heute ist eine junge Mutter, deren Ehemann im Alter von einunddreißig Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, der sie selber in den Rollstuhl gebracht hat und deren dreijährige Tochter nun unter Angstzuständen leidet. Eine schwere Bürde für die Neunundzwanzig jährige. Nach einem unserer Gespräche brauche selbst ich, die wirklich schon selber viel erlebt und noch mehr gehört hat, eine Atempause.

Gerade als ich die Praxis abschließen will, klingelt mein Handy. "Hallo Doktor Emilia, entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber meine Schwester meinte ich könnte Sie noch anrufen, wenn ich nach der Probe fertig bin. Ich brauche ein Gespräch, um etwas mehr Klarheit in meine Gefühlswelt zu bringen und dem Chaos in meinem Hirn Herr zu werden. Hätten Sie demnächst ein wenig Zeit für mich?" Er klingt müde und ein wenig traurig. Hoffentlich hat er keinen Rückfall. "Aber selbstverständlich Adam," antworte ich ihm, "für dich habe ich immer Zeit." Mit diesen Worten ist der Computer auch schon wieder betriebsbereit, sodass wir einen Termin absprechen können.

Kapitel 13

 

Evan

 

Ich erwache mit einem Brummschädel erster Klasse. So schlecht habe ich mich selbst nach der Trennung von Tim nicht mal gefühlt. Zum Glück ist heute Sonntag und ich werde nicht im Café gebraucht. Vorsichtig richte ich mich auf, um die Minizwerge in meinem Hirn nicht noch mehr zu erzürnen. Noch mehr Presslufthammer im Kopf ertrage ich nämlich nicht. Mein erster Weg führt mich ins Badezimmer. Nachdem ich mich erleichtert habe, putze ich erst noch meine Zähne, bevor ich in meinem Spiegelschrank nach den Medikamenten suche. Eine Packung Aspirin kann ich noch finden. Zu meinem Glück ist da auch tatsächlich noch eine einzige Tablette drin. Mit dieser in meiner Hand schlurfe ich in die Küche. Schnell die Schmerztablette einwerfen und dann noch einen Kaffee. Danach gehe ich wieder in mein Bett. Recht schnell bin ich wieder in Morpheus Arme gesunken. Ich träume schon wieder mal von Adam. Unser erster gemeinsamer Abend und auch das vorangegangene Gespräch im 'Black Rose' sehe ich wieder vor mir. Mein Traum endet abrupt vor unserem Kuss. Ich brauche einige Zeit bis mir bewusst wird, was mich aus dem Schlaf gerissen hat. Es klingelt an der Tür. Als ich nachsehen will wie spät es ist, fällt mir auf, dass ich mein Handy noch immer nicht eingeschaltet habe. Da es nun Sturm klingelt, gehe ich endlich nachsehen wer da ist. Eine äußerst schlecht gelaunte Isabel funkelt mich an, als ich die Tür einen Spalt weit geöffnet habe. "Was fällt dir egoistischen Hornochsen eigentlich ein? Ich habe zum Donnerkuckuck noch mal seit gestern keine Möglichkeit dich zu erreichen. Was denkst du di... Oh, Ev. Was ist mit dir los? Bist du krank? Du siehst echt bescheiden aus, wenn ich ehrlich sein darf."

Ich brauche eben einen Moment, um mich von ihrer Schimpftirade zu erholen. "Schön dich zu sehen, Isa. Komm doch rein. Magst du dich nicht zu den Minizwergen gesellen und auch ein wenig mit einem Presslufthammer spielen...?" Bei meinen, zugegebenermaßen gekrächzten, Worten schleicht sich ein Schmunzeln in ihr Gesicht. "Na, na. Wer wird denn sarkastisch werden? Komm lass uns auf dein Sofa lümmeln und du erzählst mir, was hier passiert ist. Hast du schon eine Schmerztablette genommen?" Mein Blick scheint Bände zu sprechen. 

Sie schiebt mich aufs Sofa, wickelt mich einer Mumie gleich in meine Kuscheldecke und macht sich dann in der Küche ans Tee kochen. Wenig später kommt Isa mit zwei dampfenden Tassen und einem Glas auf dem Tablett zu mir zurück. Sie sucht eine Weile in ihrer Handtasche und hält mir dann eine Schmerztablette und das Wasser vor meine Nase. "Hier, nimm eine von meinen. In deinem Schrank im Bad habe ich keine mehr gefunden." Dankbar nehme ich Glas und Tablette entgegen. "Habe vorhin die letzte Aspirin genommen." Sie nickt nur. Eine ganze Weile sitzen wir nur aneinander gekuschelt da und trinken unseren Tee. Es tut gut, nicht allein mit seinen Gedanken zu sein. Isa wartet geduldig bis ich bereit bin ihr zu erzählen, warum es mir so schlecht geht. Nachdem der Tee getrunken ist und die Kopfschmerzen auf ein erträgliches Niveau gesunken sind, beginne ich dann doch leise über die letzten zwei Tage zu berichten. 

"Am Freitag habe ich Adam im 'Black Rose' wiedergesehen. Wir haben uns eine ganze Weile unterhalten. Haben beide gar nicht mitbekommen wie schnell die Zeit vergangen ist. Wir haben festgestellt, dass wir uns sympathisch finden und uns besser kennenlernen möchten. Ich habe ihm schließlich gesagt, da er es sowieso schon im Schwimmbad mitbekommen hatte, dass ich auf Männer stehe und ihm versprochen, nicht über ihn herzufallen. Seine Freundin, sein bester Freund und sein Cousin sind dann zu uns gestoßen und später sind wir dann gemeinsam zum Billardspielen in eine Bar gegangen. Es war ein recht feuchtfröhlicher Abend und Markus, das ist Adam's bester Freund, hat mir angeboten auf dem Sofa zu schlafen, da es schon sehr spät oder eher früh war. Als ich morgens aus dem Bad kam, stand Adam schon in der Küche. Oh Isabel, du hättest ihn sehen müssen. Es tanzte, nein, schwebte an der Küchentheke entlang, während er Frühstück vorbereitet hat. So viel Anmut habe ich noch nie gesehen. Er bewegte sich einer Elfe gleich zur Musik die nur er hören konnte, da er Kopfhörer trug. Ich stand sehr lange im Türrahmen bis sich mein Gehirn verabschiedete und ich von hinten meine Arme um ihn schlang. Sein für ihn so typischer Duft stieg mir in die Nase und ich habe nur noch gehandelt. Ich konnte nur noch meine Lippen, Zunge und Zähne an seinem Ohr entlang wandern lassen. An der zarten Haut in der Halsbeuge knabbern. Nach einem Seufzer hat er sich dann in meinen Armen umgedreht und mich angesehen. Diesen Ausdruck werde ich nie vergessen. Ich konnte gar nicht anders als ihn zu küssen. Ich bilde mir ein, dass er mich zurückgeküsst hat, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Als plötzlich seine Freundin auftauchte und irgendwas gestammelt hat, sind wir auseinander gesprungen. Kiara war schon wieder verschwunden, aber ich hasste mich in diesem Moment so sehr, dass ich einfach..." Isabel fällt mir, für sie völlig untypisch, ins Wort. "Du bist weggelaufen, richtig?" Ich kann nur stumm nicken. "Boah Evan, wann begreifst du denn endlich, dass man vor seinen Gefühlen nicht davonlaufen kann? Und dass zu einem Kuss immer zwei gehören? Als ich dich küssen wollte hast du mir, wenn auch auf sehr zartfühlende Weise, klar gemacht, dass das mit uns nichts werden kann, da du nun einmal ausschließlich auf Männer stehst. Du hast mir deine Freundschaft angeboten. Genau das Gleiche hätte Adam getan, da bin ich mir sehr sicher. Hast du denn schon mal nachgesehen, ob er auf deine SMS geantwortet hat?" Noch über ihre Worte nachdenkend, schüttle ich meinen Kopf. Sie unterdessen steht auf um das Handy aus dem Flur zu holen, wo ich es gestern einfach habe liegen lassen. Eingeschaltet drückt sie es mir in die Hand, sodass ich nur noch meine PIN eingeben muss. Sofort sind mehrere Anrufe in Abwesenheit und drei SMS zu sehen. Eine ist, so wie einige der Anrufe übrigens auch, von Isabel. Diese teilt mir nur mit, dass sie sich jetzt äußerst wütend auf den Weg zu mir macht. Eine der Nachrichten ist von Adam und eine von Kiara. Ich gebe Isa das Telefon, damit diese die Nachrichten liest, denn ich fühle mich dazu nicht in der Lage. Sie öffnet natürlich zuerst die SMS von Adam. Mit einem kleinen Lächeln reicht sie mir mein Telefon. Ich muss tatsächlich zweimal lesen bevor der Inhalt zu mir durchdringt.

 

'Lieber Evan, ich habe nichts zu entschuldigen. Ich habe dich nicht gestoppt, nicht weil ich es nicht konnte, sondern weil ich es nicht WOLLTE. Ja ich gebe zu, ich bin verwirrt und solange ich mir nicht sicher bin, was ich will, denke ich auch, dass es besser ist, wenn wir uns nicht sehen. Aber ich will auf jeden Fall noch immer deine Freundschaft. Ich möchte dich bitten Kia die Möglichkeit zu geben, mit dir zu reden. Niemand ist hier auf dich sauer. Melde dich bitte, damit ich weiß, dass du die SMS erhalten und gelesen hast. Adam'

 

Kiara's Nachricht lese ich nun doch selber und gebe Isabel dann das Handy. 

 

'Evan, ich möchte dich bitten, dich mit mir zu treffen. Ich glaube ich bin dir eine Erklärung schuldig. Bitte gib mir Bescheid, wann ich dich am Montag im Café treffen kann. LG Kia'

 

Noch immer über beide Nachrichten nachdenkend, sehe ich Isa an. "Was willst du jetzt machen? Also ich kann dir sagen, was du tun solltest, aber ob du das möchtest ist natürlich die Frage." Nickend antworte ich ihr: "Ich denke, ich werde das tun, was ich sollte. Außerdem bleibt mir keine andere Wahl, wenn ich Adam nicht als Freund verlieren möchte und ich bin immer noch der Meinung, dass du dich mit Kiara toll verstehen würdest." Somit nehme ich mir mein Handy und tippe eine Antwort für Kia ein.

Kapitel 14

 

Kiara

 

Gestern hatte ich noch eine SMS von Evan bekommen. 'Hallo Kiara, am Montag brauche ich nicht im Café zu arbeiten, aber ich werde nach der Uni bis zum Abend dort sein, um für die Uni zu lernen. Verzeih mir bitte. Evan'

 

Dr. van den Bos hatte sich wegen eines Termins gemeldet und mir für Adam ihre private Handynummer dagelassen. Hoffentlich kann sie Adam ein wenig aus seinem Gefühlschaos heraushelfen. Ich lege Adam eine Nachricht auf den Küchentisch, dass er sich wegen des Termins heute noch melden kann und dass ich nach der Arbeit noch etwas erledigen muss und erst später zu Hause sein werde. Markus bekommt noch eine SMS, damit auch er Bescheid weiß und sich um das Abendessen kümmert. Danach mache ich mich auf den Weg in mein Geschäft. Ich habe nach dem Abi von meinen Großeltern mein Erbe ausgezahlt bekommen und mir von diesem Geld meinen Traum vom eigenen Laden verwirklicht. Bei mir kann man geschmackvolle Dekoration für sein Zuhause und Möbel, die nicht ganz alltäglich sind, bekommen. Des Weiteren bin ich auch als Innenarchitektin tätig, obwohl ich dahingehend nicht studiert habe. Dazu kam ich wie die Jungfrau Maria zu ihrem Kind. Ich hatte einer netten Dame beratend zur Seite gestanden als diese mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, bei ihr zu Hause ein paar Räume nach gut dünken und mit wenig Vorgaben komplett einzurichten. Als ich dann vor dem Haus stand, welches eigentlich eher eine Vorstadtvilla war, war ich mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Schlussendlich habe ich ein Schlafzimmer, ein Gästezimmer, den Salon und die Bibliothek einrichten dürfen. Ihren Freundinnen und Bekannten hatte sie so von meiner Leistung vorgeschwärmt, dass ich für die nächsten zwei Jahre mit Aufträgen ausgebucht bin. Ein tolles Gefühl, auch wenn Markus und mein kleiner Bruder dadurch etwas zurückstecken müssen. Ich nehme mir also vor, heute wirklich pünktlich den Laden zu schließen, damit ich Evan im Café noch erwische.

 

Nach einem anstrengenden Arbeitstag und etlichen Stunden später stehe ich ziemlich hungrig endlich vor dem 'Black Rose'  und kann Evan wieder an einem der hinteren Tische sitzen sehen. Er ist völlig in seine Arbeit am Laptop vertieft und erschrickt leicht, als ich ihn anspreche. "Hallo Evan, schön, dass ich dich noch erwische. Was darf ich dir zu trinken bestellen?" Sein überraschter Gesichtsausdruck spricht Bände. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Er fühlt sich sichtlich unwohl. Scheinbar hat er auch sehr schlecht geschlafen, denn tiefe Augenringe zieren sein hübsches Gesicht. Er will gerade anfangen zu reden, als sich eine Bedienung an unseren Tisch gesellt. "Ich hätte gerne einen großen Latte Macchiato und kann ich auch etwas zu essen bekommen?" Luise, wie mir ihr Namensschild verrät, lächelt mich an. "Selbstverständlich. Etwas Herzhaftes oder lieber etwas Süßes?", werde ich gefragt. "Ich glaube ein vegetarisches Sandwich wäre jetzt genau das Richtige. Evan möchtest du noch einen Cappuccino?" Evan, der bisher noch immer nichts gesagt hat, nickt nur. "Dann also ein Veggie, einen großen Latte und einen großen Cappu?" Nun ist es an mir zu nicken. "Kein Problem, kommt sofort." Und schon ist Luise wieder verschwunden. Evan unterdessen will gerade wieder mit ziemlich zerknirschtem Gesichtsausdruck anfangen zu reden. Da ich aber meinen Finger auf seine Lippen lege, kommt er nicht weit.

Vorsichtig lächle ich ihn an. "Lass mich bitte reden. Als erstes muss ich ein Missverständnis aus der Welt schaffen. Ich bin mir sicher du glaubst, dass Adam und ich ein Paar sind, dem ist nicht so. Ich bin mit Adam's bestem Freund Markus verlobt. Adam ist mein kleiner Bruder. Gewisse familiäre Umstände lassen unserem Kleinen an seiner Gefühlswelt verzweifeln. Ich bin mir absolut sicher, dass er dich wirklich sehr mag. Mir tut es schrecklich leid, dass ich zu so einem ungünstigen Zeitpunkt in die Küche gestürmt kam. Wenn er noch etwas mehr Zeit gehabt hätte eure Zweisamkeit zu genießen, wäre er vielleicht nicht so schrecklich unsicher." 

Da inzwischen unsere Bestellung am Tisch eingetroffen ist, mache ich mich über mein Sandwich her. Evan ist sichtlich verwirrt. "Das bedeutet Adam ist nicht dein Freund, sondern dein Bruder aber trotzdem hetero? Nur zum besseren Verständnis." Da mein Mund noch voll ist, kann ich im Augenblick nur nuscheln und da der Ausdruck in Evan's Gesicht sich nicht verändert hat, gehe ich mal davon aus, dass ich ziemlich undeutlich war. Ich bitte ihn mit ein paar Gesten, sich ein wenig zu gedulden. "Tja, ab zwanzig Gramm im Mund wird's undeutlich. Scheint zu stimmen. Ja, Adam ist mein Bruder. Aber ob er wirklich hetero ist, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube nämlich, dass du mit dem Kuss an seinem Weltbild gerüttelt hast. Er wollte immer eine liebe Frau und ein oder zwei Kinder, die mit meinen und Markus Kindern im Garten unserer Großeltern spielen. Wäre er aber wirklich so hetero wie er selber glaubt, dann hätte er sich nicht so fallenlassen. Du hast ihm seinen ersten richtigen Kuss geschenkt. Adam, Markus, Lee und ich haben eine schwere Zeit durchgemacht, an der vor allem mein Kleiner fast zerbrochen wäre. Wenn Markus zu der Zeit nicht auf die Idee gekommen wäre, ihn zu einer Psychologin zu schicken, würde er wahrscheinlich nicht mehr leben. Er hat kaum noch geschlafen, geschweige denn etwas gegessen. Das ist jetzt drei Jahre her und durch die Gefühle für dich sieht er sich jetzt mit der Ursache konfrontiert. Leider kann ich dir nicht mehr dazu erzählen, denn das sollte er besser selber tun, sofern er dazu bereit ist." Evan nickt mir zu. "Ich gebe zu, dass ich wahnsinnig erleichtert bin, dass Adam nicht vergeben ist. Ich glaube, damit du meine Reaktion vom Samstag verstehst, muss ich dir etwas erzählen. Bis vor circa sieben Wochen war ich in einer Beziehung. Tim und ich wohnten zusammen seit ich achtzehn war. Er ist zwei Jahre älter als ich und studierte zu dem Zeitpunkt schon. Tim fand, dass es doch besser sei, gemeinsam eine Wohnung zu haben als zwei und sich den Weg von der einen zu der anderen auch noch zu sparen. Öffentliche Verkehrsmittel oder aber auch mein Auto kosten schließlich Geld. So zogen wir in die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung, in der ich heute immer noch wohne. Mir fiel eigentlich gar nicht auf, dass er nichts zum Unterhalt beigetragen hat. Tim war nur mit seinem Studium zum Grafikdesigner beschäftigt. Gab das Geld, welches er von seinen Eltern zur Unterstützung bekam, für teures Equipment aus und überließ es mir, für einen vollen Kühlschrank, Internetverbindung und alle anderen Nebenkosten zu sorgen. Ich hatte also schon während meiner Abizeit zwei Arbeitsstellen und des Weiteren dafür zuständig dass etwas zum Abendessen gekocht war, wenn der Herr nach Hause kam. Und natürlich durfte ich auch dafür herhalten, dass die Wohnung geputzt und aufgeräumt wurde. Isabel hat mir immer wieder gesagt, dass Tim mich nicht liebt und nur ausnutzt, aber ich habe ihr nicht geglaubt. Bis zu dem Tag, als ich es mit eigenen Augen sehen musste. Mein Kurs hatte ein Praktikum außerhalb zu absolvieren, bei dem wir ein paar Tage in Chicago bleiben mussten. Da ich aber nach unserem letzten Telefonat solche Sehnsucht hatte, habe ich mich früher als beabsichtigt auf den Weg nach Hause gemacht. Beim Lieblingsbäcker von Tim noch einen kurzen Stopp eingelegt, um die von ihm heiß geliebten Schokocroissant zu besorgen. Als ich dann ins Wohnzimmer kam, traf mich fast der Schlag. So eine Unordnung habe ich in unserer Wohnung noch nie gesehen. Es war noch recht früh am Morgen und so hatte ich erst mal Kaffee gemacht, um Tim mit einer Tasse davon und einem Croissant zu überraschen. Der Überraschte war dann wohl ich, denn mein Freund, der mir am Abend vorher noch heiße Liebesschwüre durch das Telefon geflüstert hat, lag mit seinem besten Freund in unserem Bett. Dieser machte mir unmissverständlich klar, dass ich nur eine billige Putzfrau, Köchin und willige Matratze für Tim gewesen bin. Außerdem reagierten beide schrecklich rassistisch. Tim teilte mir dann noch mit, dass er es schade fände, dass ich so früh zurückgekehrt sei, da er nun leider meine Möbel und Elektronik nicht mehr aus der Wohnung schaffen könne. Ich war am Boden zerstört und habe  mir vorgenommen, mich niemals wieder zu verlieben. Nun ja und dann traf ich Adam. Aber nun kannst du dir vorstellen, warum ich weggelaufen bin, denn ich wollte nicht zwischen euch stehen. Ich würde mir niemals verzeihen, wenn ich eine Beziehung auf dem Gewissen hätte." 

Während Evan's Erklärung hatte ich meine Hand auf seine gelegt. Dies schien ihm erst jetzt aufzufallen, nachdem ich die Seine vorsichtig gedrückt habe. Ich brauchte erst mal einen Moment, um das Gehörte zu verdauen. Ganz schön harter Tobak. Wir unterhielten uns noch lange an diesem Abend und ich verließ das Café mit einem sichtlich erleichterten Evan und einem guten Gefühl. Wenn Adam zu dem Schluss kommt, dass er sich eine Zukunft mit Evan vorstellen kann, dann bin ich mir sicher, dass die beiden wirklich den richtigen Menschen an ihrer Seite haben. Also schauen wir mal was die Zukunft bringt.

Kapitel 15

 Adam

Zu meinem Glück hatte Dr. van den Bos am Donnerstagabend für mich Zeit. Mir war bewusst, dass sie extra für mich länger in der Praxis bleiben wollte. Das machte sie mir noch sympathischer als ohnehin schon.
Auf Kiara's Nachricht, welche ich heute Nachmittag, als ich kurz zu Hause war, in der Küche gefunden hatte, stand auch, dass sie sich verspäten würde. Leider habe ich wie so oft vergessen, mein Handy einzupacken. Hätte ich dieses jetzt bei mir, könnte ich Markus fragen, ob er schon zu Hause ist und was wir zu Abend essen wollen. Eigentlich habe ich keinen Hunger. Heute ist es aber auch wieder sehr spät geworden. Wir proben momentan für die erste der drei wichtigsten Prüfungen in diesem Halbjahr. Emma hatte an der Choreo ständig etwas auszusetzen, aber keine eigenen Ideen parat und mein Vorschlag Andrew, einen unserer Kommilitonen, mit ins Boot zu holen, wurde rigoros von ihr abgelehnt. Dabei hatten wir eine tolle Idee.

Als Josh und ich unseren fünften Geburtstag feierten, haben wir von unseren Großeltern Musikinstrumente bekommen. Josh ein tolles Keyboard und ich eine Violine. Damit wir auch etwas damit anfangen konnten, gingen wir zusammen zweimal in der Woche zum Unterricht. Josh und ich hatten wahnsinnig viel Spaß und waren im Gegensatz zu Kiara, die nie die Intention hatte ein Instrument zu erlernen, mit kindlichem Ehrgeiz immer voll und ganz bei der Sache. Lange Zeit nachdem Josh gestorben war, hatte ich nicht mehr gespielt. Das letzte Mal auf der Beerdigung von ihm. Seit einem Jahr aber nehme ich hin und wieder die Geige zur Hand, um die Melodien in meinem Kopf herauszulassen. Es tut gut, sich gänzlich der Musik hinzugeben.

Andrew meinte nämlich, wir sollten in unseren Tanz mein Violinenspiel mit einbauen, ähnlich wie die Performance von Lindsey Sherling. Ich finde die Idee echt toll, allerdings muss ich bei Emma noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten.
So in Gedanken ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich schon beinahe zu Hause bin. Oben in der Wohnung brennt Licht, also ist zumindest einer meiner beiden Mittbewohner zu Hause. Als ich die Wohnungstür öffne, strömt mir ein leckerer Duft aus der Küche entgegen. Noch bevor ich die Zeit habe meine Schuhe auszuziehen, kommt mir ein über das ganze Gesicht strahlender Markus entgegen. Er schließt mich in seine Arme und haucht mir einen Kuss auf die Stirn. "Hey Kleiner, wie war dein Tag? So wie ich dich kenne hast du wieder mal viel zu wenig gegessen und jetzt keinen Hunger... aber ich habe einen leichten Salat mit gebratenen Putenbruststreifen und deinem Lieblingsjoghurtdressing  vorbereitet."
Ich kann gar nicht anders, als meinen besten Freund anzulächeln. "Hallo Großer. Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, das Abendessen vorzubereiten und auch noch darüber nachgedacht hast, was ich gerne mag. Du kennst mich einfach zu gut. Die Probe war wiedermal sehr anstrengend, was leider zum größten Teil an Emma liegt. Ich habe keine Ahnung was sie für ein Problem hat aber ich kann Ihr derzeit nichts recht machen und doch kommt keinerlei Initiative von ihrer Seite her." Markus legt seinen Kopf schief und schaut mich nachdenklich an. "Kann es sein, dass sie sich von eurer Zusammenarbeit mehr erhofft hat? Als die Gruppen gebildet wurden, hatte sie sich doch freiwillig mit dir zusammengetan. Oder nicht?"
Ich überlege einen Moment. "Jetzt wo du es sagst. Sie benimmt sich erst so sonderbar, seitdem ich ihr gesagt habe, sie möchte mich bitte nicht immer küssen. Mir war das jedes Mal total unangenehm."
Markus brabbelt, während er schon wieder in Richtung Küche läuft, noch etwas vor sich hin. "Was hast du gesagt?", erkundige ich mich. Aber ich bekomme keine Antwort. Als wir in trauter Zweisamkeit uns unser Abendessen schmecken lassen, kommt eine gutgelaunte Kia zur Tür herein. "Guten Abend, meine Lieblingsmänner. Lasst es euch schmecken. Ist auch noch etwas für mich übrig?" Spricht's und setzt sich frech auf Markus Schoß. "Ja, es ist noch genug für dich da, da dein kleiner Bruder wieder mal nur eine Kinderportion gegessen hat und im Übrigen verfügen wir über genügend Sitzmöglichkeiten, sodass du nicht mich belagern musst, mein Sonnenschein." Mit solch seichtem Geplänkel geht der Tag zu Ende.

Bevor ich es recht begreifen kann, ist schon Donnerstagabend und ich stehe vor der Praxis von Emilia van den Bos.
"Guten Abend Adam. Wie geht es Ihnen?", werde ich von Emilia begrüßt. Ich reiche ihr die Hand. "Ihnen auch einen guten Abend, bitte bleiben Sie doch bei dem Du, auch wenn ich mittlerweile neunzehn bin, so fühle ich mich damit besser. Nun, da ich Ihre Hilfe in Anspruch nehmen muss, kann ich wohl nicht reinen Gewissens behaupten, dass es mir gut geht. Aber es geht mir nicht schlecht." Sie mustert mich eindringlich. "Möchtest du noch etwas trinken? Oder sollen gleich wir beginnen?" Ich überlege einen Augenblick. "Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir gleich beginnen." Emilia nickt mir kurz zu. Das ist mein Zeichen um zu beginnen und so fange ich einfach mit dem an, was mir am meisten auf der Seele brennt.
"Ich glaube ich habe mich verliebt. Also ich glaube und auch meine Schwester und mein bester Freund glauben sicher zu wissen, dass dem so ist." So gar nicht ihrer Art entsprechend, werde ich von ihr unterbrochen. "Adam, ich glaube du musst ein wenig mehr ausholen. Ich habe dich schon länger nicht mehr gesprochen. Bevor du, damit ich alles verstehe, noch einmal von vorne beginnen musst, solltest du etwas ausführlicher berichten." Ich nicke ihr zu. "Nun, dann will ich es mal probieren. Also vor einiger Zeit war ich mit Kiara, Markus, David und Lee vor dem Schwimmbad verabredet. Da Lee wie immer zu spät dran war, standen wir vor dem Gebäude auf dem Weg. Und scheinbar auch im Weg, denn nach kurzer Zeit wurde ich umgerannt. Damit ich nicht auf dem Boden aufschlage, wurde ich von meinem Gegenüber fest mit den Armen umschlungen. Als ich aufblickte, hat es mir förmlich den Atem verschlagen. Ich sah das wohl schönste Wesen mit den traurigsten Augen, die ich jemals gesehen habe. Und der Duft erst! Haut wie etwas dunklere Milchschokolade und so seidig glänzend. Und dann dieses helle Blau der Augen. Ich habe noch niemals Farbige Menschen mit blauen Augen gesehen. So ein blau wie die wunderschönen Huskys haben. Ich konnte nicht mal die Frage beantworten, ob es mir gut geht, denn es hatte mir sprichwörtlich die Sprache verschlagen." Hier muss ich erst mal eine kleine Pause machen da mich die Gefühle, die ich zu diesem Zeitpunkt hatte, wieder einholten.
"Das klingt für mich auch so, als hättest du dein Herz verschenkt. Erwidert sie deine Gefühle nicht oder warum bist du so durcheinander?" Ich wurde auf meinem Sessel etwas kleiner. "Tja, das Problem ist wohl eher, dass es ein junger Mann ist, der meine Gefühlswelt Kopf stehen lässt und nicht ein Mädchen. Ich hätte nicht wirklich ein Problem, wenn ich homosexuell bin, allerdings ist da noch die Sache mit Josh und mein eigentlicher Lebensplan. Sie wissen,  ich wollte unbedingt Kinder, die mit denen meiner Schwester zusammen aufwachsen können. Das kann ich dann wohl vergessen. Aber mein größtes Problem ist und bleibt Joshua. Ich habe Ihnen damals nicht alles erzählt. Ich denke es ist an der Zeit, Ihnen die komplette Geschichte zu erzählen, damit ihr Rat auch auf allen Fakten beruht. Denn nach seinem Tod konnte ich das noch nicht. Sind sie bereit, mit mir ein paar Jahre in die Vergangenheit zu reisen?"

Kapitel 16

 Dr. van den Bos

Nun erst recht neugierig gemacht, nicke ich Adam zu. Mit seiner zurückhaltenden und ruhigen Art beginnt er.

'Wie Sie wissen,  ist... nein war Josh mein Zwillingsbruder. Wir waren wie Pech und Schwefel, Himmel und Hölle, schwarz und weiß. Unzertrennlich, gleich und doch total verschieden. Wir haben alles zusammen gemacht. Er war mein Ebenbild und doch wieder nicht. Er war größer, seine Schultern breiter, muskulös, wo ich nur sehnig bin. Sein Gesicht etwas kantiger, männlicher. Er war sehr mutig, wo ich ängstlich war. Wir liebten uns wie man sich unter Geschwistern nur lieben konnte. Wir liebten auch Kiara, aber weniger intensiv. Granny sagte immer, dass dies die Verbindung macht, wie sie nur eineiige Zwillinge haben. Er war sehr beliebt in der Schule und hatte mit fünfzehn seine zweite Freundin. Wollte sich ausprobieren, während mir das vollkommen egal war. An einem Sonntag im Dezember kam er zu Kia und mir und teilte uns mit, dass er ganz dringend mit uns beiden reden müsste und zwar am besten auf der Lichtung, da dort die Gefahr praktisch nicht vorhanden war, dass ungewollte Ohren mithören können. Auf dem Weg zur Lichtung hatte es etwas geregnet, ich hätte ja lieber Schnee gehabt, aber bei drei Grad über null. Genau in dem Moment, als wir die Lichtung betreten haben, hörte es zu regnen auf und die Sonne erwärmte unsere Gesichter. Josh erzählte uns, dass mit seiner Freundin Schluss sei. Kiara wollte wissen, wer von beiden denn die Beziehung beendet hat, weil sie davon ausging, dass wir ihn in seinem Liebeskummer trösten sollten. Aber was er uns dann erzählte, hätten wir niemals gedacht. Joshua berichtete, dass er mit Mara, dem Mädchen, welches zu dem Zeitpunkt noch seine Freundin war, bei ihr zu Hause verabredet war. Mara's großer Bruder öffnete die Tür und teilte ihm mit, dass Mara noch mit ihrer besten Freundin unterwegs sei, er aber Zeit hätte. Josh und Linus vertrieben sich die Zeit mit Videogamen. Eigentlich war mein Bruder darin unschlagbar, aber gegen Mara's Bruder hatte er, wie er uns erzählte, keine Chance. Als er schmollend neben Linus saß, beugte dieser sich einfach zu ihm und küsste Josh. Während seiner Erzählung leuchteten Joshua's Augen. "Adam, ich habe noch nie so etwas gefühlt wie in dem Moment, als Linus seine schmalen und festen Lippen auf die meinen legte. Und um mehr von ihm zu bekommen, rutschte ich rittlings auf seinen Schoß. Wir küssten uns immer leidenschaftlicher. In meiner Hose wurde es ganz schön eng und das nur vom Küssen. Das ist mir bei einem Mädchen noch nie passiert. Mir wurde langsam klar, dass ich lieber mit Linus als mit Mara eine Beziehung führen würde. Leider kam ich nicht dazu mit Mara zu reden, da sie uns beide überrascht hat."
Er teilte uns also mit, dass er wohl homosexuell sei und er hoffte, dass sich zwischen uns nichts ändern würde. Vor allem vor meiner Reaktion hätte er Angst gehabt. Schliefen wir so lange wir denken können schon in unseren zu einem großen Bett zusammen geschobenen Betten. Begrüßten und verabschiedeten wir drei uns mit einem Kuss auf den Mund, umarmten uns sehr oft. Ich versicherte ihm, dass sich aus meiner Sicht nichts ändern würde. Er war und blieb mein Bruder, ob er nun lieber Frauen oder Männer liebt. Kiara sah dies ganz genauso.
Aus Linus und Josh wurde kein Paar, da Mara's Bruder eine offene Beziehung führen wollte, aber Josh dies absolut nicht wollte. Für uns war und ist Treue gleichbedeutend mit Vertrauen und ohne Vertrauen kann man keine Beziehung führen.
Er lernte aber in einer 'Schwulenbar' seinen Freund Dean kennen. Sie waren schon eine ganze Weile zusammen. Eines Abends, als sie aus einem der Clubs kamen , in denen fast nur Homosexuelle zu finden sind, wurden sie von ein paar Schlägern verfolgt. Keiner der Beiden hat sie bemerkt. In der Nähe eines Parks wurden sie angegriffen. Dean war so schwer verletzt, dass er noch an Ort und Stelle verstarb. Josh wurde im Krankenhaus vier Stunden an seinen inneren Verletzungen operiert und lag dann mehrere Wochen im Koma. Er hatte sehr schwere Kopfverletzungen, die von Anfang an Grund zur Sorge gaben. Er war an manchen Tagen schrecklich unruhig. Extubierte sich selbst, riss sich den venösen Zugang raus, sein Herz machte zu diesem Zeitpunkt stets Überstunden. Nur, wenn ich dann mit meiner Violine an seinem Bett für ihn spielte, beruhigte er sich sofort. Zweimal wurde er reanimiert. Schlussendlich schaffte er es nicht. Nach sieben Wochen im Koma gab sein Körper den Kampf auf. Mein Leben war zeitgleich mit dem seinen zu Ende."

An dieser Stelle brach Adam ab. Dicke Tränen liefen über sein zartes Gesicht. "Adam, ich glaube wir haben beide eine Pause nötig. Ich mache uns eine heiße Schokolade. Ich bin gleich wieder bei dir. Okay?" Ich bekomme zwar nur ein Nicken, aber ich glaube, dass er die fünf Minuten für sich alleine gut gebrauchen kann, um sich wieder zu fangen.
Als ich wiederkomme, scheint es etwas besser zu sein.
 "Verstehen Sie jetzt, warum ich nicht weiß, was ich tun soll? Evan, so ist sein Name, bringt mich völlig durcheinander. Ich möchte ihn so wahnsinnig gerne besser kennenlernen und ja, vielleicht auch in sexueller Hinsicht, aber ich habe Angst, dass ihn das gleiche Schicksal ereilt wie Joshua. Ich würde solch einen Verlust kein zweites Mal überstehen."

Ich reiche ihm eine Tasse heiße Schokolade und nehme von meiner auch erst mal einen großen Schluck, um etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Das, was ich jetzt zu Adam sage, wird viel Einfluss auf sein und Evan's weiteres Leben haben. Also sollte ich es gut durchdacht haben. "Ist die Verlustangst das einzige Problem, das du in einer homosexuellen Beziehung siehst?", will ich dann doch noch von ihm wissen. Adam überlegt recht lange.

"Ich glaube schon. Es ist nicht so einfach zu erklären. Ich werde versuchen deutlich zu machen, was für mich ein großes Problem zu sein scheint. Ich habe kein Problem damit, dass Evan ein Mann ist. Wenn er mit einer einzigen Berührung und einem einzigen Kuss solche Empfindungen in mir hervorrufen kann, kann es nicht falsch sein. Aber ich habe sehr wohl Angst mich darauf einzulassen, weil ich immer Josh vor Augen habe, der durch seine offen ausgelebte Homosexualität angegriffen und tödlich verletzt worden ist. Ich bin definitiv nicht bereit, eine heimliche Beziehung zu führen. Wenn ich jemanden liebe, möchte ich das auch offen leben können. Hinzu kommt, dass er ein Farbiger ist. Allein schon deshalb zieht er die Aufmerksamkeit rassistischer Idioten auf sich, aber schwarz und schwul? Das macht mir Angst. Die Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs macht mir Angst. Jemanden wieder so sehr zu lieben macht mir Angst... Das alles zusammen ist es, was mich so verzweifeln lässt. Ich möchte schrecklich gerne mehr von ihm erfahren. Derjenige sein, der seine wunderschönen Augen zum Strahlen bringt, mit meinem Lächeln ein Lachen auf die sündigen Lippen zaubern. Und doch habe ich Angst davor. Das ist doch verrückt."

Sehr wohl habe ich bemerkt wie sich Adam's Stimme verändert hat, während er über Evan redet. Wie sein Gesicht leuchtet, seine Augen sehnsüchtig in die Ferne sehen. Ich bin der gleichen Meinung wie seine Schwester und deren Freund. Adam ist eindeutig bis über beide Ohren in Evan verliebt. So langsam werde ich echt neugierig auf den jungen Mann der es geschafft hat, in dieser kurzen Zeit das Herz von Adam zu erobern. Daher denke ich, dass ich mit meinem Ratschlag nicht völlig daneben liegen werde. "Adam, denkst du nicht, dass dich auch der Verlust einer geliebten Frau völlig aus der Bahn werfen würde? Das Risiko, dass ein Mensch stirbt, ob in Folge eines Verbrechens oder eines Unfalls, ist für Männer und Frauen das Gleiche. Nur, wenn du keinerlei Liebe zulassen würdest, könntest du dich davor schützen. Aber lebst du dann auch oder existierst du dann bloß? Ich möchte dir raten, lerne Evan auf platonischer Ebene besser kennen. Erfahre mehr über seinen Charakter, welche Fehler und Eigenarten er hat und ob du diese akzeptieren oder vielleicht lieben lernen kannst. Und wenn du dir sicher bist, dass du mehr willst als Freundschaft, dann lass dich darauf ein. Und nur dann. Ich würde mir wünschen, dass wir einmal in vier Wochen miteinander telefonieren und wenn du mir allein mitteilst, dass es dir gut geht. Wenn du ein Problem hast, bei dem ich dir zur Seite stehen kann, meldest du dich einfach, egal wann. Dein Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen. Du erinnerst mich an Amanda. Meine Tochter hätte dich sehr gemocht. Ich bedaure, dass du sie nie kennenlernen durftest." Ein wehmütiger Ausdruck legt sich auf sein Gesicht.
 "Ich hätte sie wirklich gerne kennen gelernt. Wenn sie nur halb so war wie Sie, dann hätte ich sie sicher gemocht. Ich werde über Ihren Rat noch einmal in Ruhe nachdenken. Den telefonischen Kontakt finde ich gut. Damit bin ich auf jeden Fall einverstanden."

Bevor wir uns für heute voneinander verabschieden, trinken wir noch aus und bringen die Tassen in die Küche. Gemeinsam mit Adam verlasse ich die Praxis. Mit noch etwas gemischten Gefühlen sehe ich dem zierlichen jungen Mann hinterher. "Ich wünsche dir viel Glück", sage ich leise zu seiner immer kleiner werdenden Gestalt und wende mich ab, um auch nach Hause zu gehen.

Kapitel 17

 

Evan

 

Mit einem wesentlich besseren Gefühl als in den letzten Tagen verlasse ich kurz nach Kiara das Café. Noch auf dem Weg nach Hause schnappe ich mir mein Handy und rufe Isa an. Nachdem sie mir eindrucksvoll klar gemacht hat, dass ich sie gefälligst auf dem Laufenden zu halten habe, will ich dieses Mal nicht wieder ihren Zorn auf mich ziehen.

Nach dem zweiten Klingeln ist sie schon dran. "Hallo Süßer, was gibt es denn?", fragt Isabel sofort. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. "Was, wenn jemand anders am Telefon gewesen wäre?" Kurz ist es am anderen Ende still und dann muss ich blitzschnell das Handy vom Ohr weg halten, um einem Hörsturz zu entgehen. Isa's Lachen ist so laut, dass ich es noch immer hören kann, obwohl ich das Telefon an meinem ausgestreckten Arm von mir weghalte. Als sie sich etwas beruhigt hat, höre ich sie auch schon sagen: "Wer bitte, wenn nicht du, soll mich denn anrufen? Ich habe praktisch kein Privatleben, suche mir meine Freunde äußerst akribisch aus und habe nur einen besten Freund, der zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten anruft. Womit kann ich dienen, der Herr?" Mit einem leisen Knurren wegen der unmöglichen Zeiten bringe ich Isa auf den neuesten Stand. Eine Weile ist es still am anderen Ende der Leitung und ich schaue irritiert auf das Display, um zu sehen, ob es ein Problem mit der Verbindung gibt. Doch dann kann ich hören, wie sie tief einatmet. "Isa, was ist los? Ist mit dir alles in Ordnung?" So leise, dass ich sie kaum verstehen kann, sagt sie: "Ich freue mich für dich... aber..." Noch immer irritiert frage ich: "Was aber? Ich kann gerade nicht verstehen was los ist. Bitte rede mit mir." Am anderen Ende hört es sich an, als ob Isabel weinen würde und noch bevor ich nachfragen kann, hat sie einfach aufgelegt. Das ist mir bei ihr noch nie passiert. Was hat sie denn bloß? Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, mache ich mich, trotz später Stunde, auf den Weg zu Isa's Wohnung. Unterwegs gehe ich noch schnell Eis holen, unser Allheilmittel gegen Kummer jeglicher Art und stehe nun eine Dreiviertelstunde nach unserem Gespräch noch immer etwas ratlos vor ihrer Haustür. Auf mein Klingeln wird nicht reagiert, deshalb benutze ich den Ersatzschlüssel, den ich von Isa für Notfälle bekommen habe. Ich beschließe, dass dies ein Notfall ist.

Oben an der Wohnungstür klopfe ich nochmals an, um ihr die Chance zu geben selber die Tür zu öffnen oder zumindest anzukündigen, dass ich vor der Tür stehe und gleich hereinkomme.

Es reagiert noch immer niemand, also lasse ich mich selbst in die Wohnung. In der Küche und auch im Wohnzimmer kann ich den feuerroten Haarschopf von Isa nirgends entdecken. Darum mache ich einen Rundgang durch die anderen Räume. Auch im Bad und im Arbeitszimmer kann ich ihre rote Mähne nicht ausmachen. Bleibt nur noch das Schlafzimmer. In diesem Raum bin ich bisher aus gutem Grund noch nicht gewesen. Leider habe ich nun keine Wahl, wenn ich wissen will, was mit meiner besten Freundin los ist. Leise, um sie nicht zu erschrecken, klopfe ich an die Tür. Es kommt keinerlei Reaktion. So langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Vorsichtig betrete ich diesen doch sehr privaten Raum. Isabel liegt wie ein Fötus eingerollt auf ihrem Bett. Sie starrt starr vor sich hin. Ihre schönen grünen Augen sind sehr stark gerötet. Scheinbar hat sie lange geweint. Ich gehe zu ihr und setze mich auf den Rand ihres Bettes. Mit meiner Hand streiche ich ihr über ihr volles Haar. "Was ist denn los Kleines?", will ich von ihr wissen. Es dauert eine ganze Weile, bis meine Worte bei ihr angekommen sind. Sie sieht mich an und wirft sich dann regelrecht in meine Arme, sodass wir zusammen auf das Bett fallen. Ich finde nicht, dass dies eine gute Position ist und will mich gemeinsam mit ihr wieder aufrichten. Allerdings scheint Isa da anderer Meinung zu sein, denn sie drückt mich wieder zurück auf die Matratze und presst, sehr zu meinem Erstaunen, ihre Lippen fest auf die meinen. Erst als sie versucht, mit ihrer Zunge in meinen Mund vorzudringen, gelingt es mir, ihren 'Angriff' abzuwehren. Für so eine zarte Person hat sie ganz schön viel Kraft. Ich nehme sie fest in den Arm, auch wenn sie mit Händen und Füßen versucht, sich dagegen zu wehren. "Süße, was hast du denn bloß? Bitte rede mit mir. Du weißt, dass ich immer für dich da bin. Aber wenn ich keine Ahnung habe, was passiert ist, dann kann ich dir nicht helfen." Sie schluchzt herzzerreißend auf. Heiße Tränen rinnen über ihr hübsches Gesicht. Auf ihren Sommersprossen wirken die salzigen Perlen wie ein Vergrößerungsglas. Mir fällt wieder einmal auf, wie hübsch Isabel eigentlich ist. Eine beneidenswerte volle feuerrote Mähne, wahnsinnig süße Sommersprossen im Gesicht, vor allem auf ihrer kleinen Stupsnase, traumhaft schöne grüne Augen, die für Rothaarige typische Blässe und einen schlanken Körper. Sie ist ungefähr so groß wie Adam, aber nicht so zierlich wie dieser. Alles in allem ist sie wirklich eine Schönheit. Ich kann verstehen, warum Kevin sie ständig anbaggert. Würde ich auf Frauen stehen, wäre Isabel sicher schon lange meine Partnerin. Ich kann sehen, wie es in ihr arbeitet. Jetzt reißt sie ihre Augen weit auf als ihr bewusst wird, dass sie mich gerade geküsst hat und sie diesen Kuss nicht platonisch halten wollte. "Oh mein Gott. Evan, bitte…ich…es tut mir leid. Ich hatte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Das wollte ich nicht. Ich bin eine fürchterliche beste Freundin. Ich habe dich gar nicht verdient." Noch immer habe ich null Schnall, was denn nun das eigentliche Problem ist. Daher probiere ich es nun noch einmal. "Bitte Isa, was ist denn los? Rede doch endlich mit mir." Sie schaut mich mit traurigen, vom Weinen geröteten Augen an. "Ich habe dich wirklich nicht verdient. Ich bin so schrecklich eifersüchtig auf Adam und dazu habe ich nicht mal das Recht. Es ist mir furchtbar peinlich, dass ich dir einen Kuss aufdrängen wollte. Entschuldige bitte. Ich sollte mich als deine beste Freundin für dich freuen, wenn du Chancen bei Adam hast, aber nachdem mir bewusst geworden ist, wie ernst es ist, habe ich überreagiert. Es tut mir aufrichtig leid. Bitte verzeih mir." 

"Dir muss absolut nichts leidtun. Ich kann dich sogar sehr gut verstehen, habe ich aus der Situation heraus auch einfach Adam geküsst. Allerdings hoffe ich, dass dies nicht so oft vorkommt, ich fühle mich dabei nicht wirklich gut." Isa kuschelt sich noch fester in meine Arme. "Ich verspreche dir, dass das nicht noch einmal passiert. Ich hatte mich einfach nicht unter Kontrolle. Ach Ev, es ist so furchtbar schwer, du bist mir so nah aber doch unerreichbar." Langsam streiche ich mit meiner Hand ihren Rücken auf und ab, bis sie sich wieder etwas gefangen hat. Sie hebt ihren Kopf und lächelt mich vorsichtig an. Ich lächle zurück und drehe ihren Kopf so, dass sie direkt auf den Nachttisch sieht. Darauf hatte ich beim Hereinkommen das Eis abgestellt. Grinsend kommt von ihr: "Ernsthaft, Schokolade? Das bedeutet wieder eine Einheit mehr im Studio, du scheinst nicht daran zu denken, dass Kalorien bei Frauen andere Auswirkungen haben als bei Männern." Auch ich muss nun grinsen. "Weißt du, was Kalorien sind?" Sie schüttelt ihre Mähne. "Kalorien sind kleine Tierchen, die nachts die Kleidung enger nähen..." Erst schaut sie mich verdutzt an und wenige Sekunden später bricht sie in Lachen aus. So gelöst gehen wir nun ins Wohnzimmer. Während Isa im Bad ihr Gesicht ein wenig frisch macht, hole ich aus der Küche zwei große Löffel, mache ein paar Kerzen an und auch gleich noch das Radio. Auf Fernsehen habe ich keine Lust und ich glaube, dass wir auch noch das ein oder andere bereden sollten. Isabel scheint da mit mir einer Meinung zu sein, denn als sie das Wohnzimmer betritt, nickt sie mir zu und nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. So geht auch dieser aufregende Tag zu Ende.

Kapitel 18

 

Markus

 

Kiara und ich waren uns einig, dass einer von uns zu Hause ist, wenn Adam von Dr. van den Bos kommt. Beide hoffen wir, dass es ihn nicht wieder so aufwühlt wie damals, als er mit seiner Therapie begann. Gestern habe ich lange mit Kia überlegt, was ich ihm Gutes tun kann. "Sei einfach für ihn da. Fang ihn auf und verwöhne meinen Kleinen ein wenig. Das hat mein wundervolles Brüderchen nämlich verdient." 

Ich muss zugeben, dass mein Engel da ganz eindeutig Recht hat. Mal wieder schleichen sich die Erinnerungen in mein Gehirn, welche verqueren Umstände dazu geführt haben, dass wir uns kennenlernen konnten. Und natürlich auch unser Kennenlernen als solches.

 

 

Ein paar Tage nach meinem siebten Geburtstag verkündeten meine ach so tollen Eltern, nein Erzeuger trifft es wohl besser, dass wir meine Großeltern in Detroit besuchen fahren. Die Eltern meines Vaters waren schon länger nicht mehr am Leben. Welche Umstände zu ihrem Tod geführt haben, wurde mir nie mitgeteilt. Die Eltern meiner Mum hatte ich bisher noch nicht kennengelernt. Mir war nicht wirklich klar, was es bedeutet, Großeltern zu haben. Ich fand es sehr aufregend, mit dem Pickup meines Dad's quer durchs Land zu reisen. In dem Wohnaufsatz zu 'wohnen' und zu schlafen. Allerdings war mir nicht bewusst, dass ich New York so schnell nicht wieder sehen sollte. Gerne hätte ich mich noch von meinen Freunden verabschiedet. Wenigstens meinen Hund Rusty durfte ich mitnehmen. Ein kleiner süßer Mischling mit rostrotem Fell und einem gutmütigen Wesen. Für mein Zeitgefühl waren wir Jahre unterwegs, auch wenn es in Wahrheit nur ein paar Wochen waren. Nie werde ich den Augenblick vergessen, als Grandma mich mit einem warmen Lächeln, welches sogar ihre Augen erreicht hat, in ihre Arme schloss. "Mein Junge, wie sehr freue ich mich, dich endlich kennenlernen zu dürfen. Was bist du doch für ein hübsches Bürschchen." Sie entlässt mich aus ihrer Umarmung nur, um mir danach durch mein etwas zu langes Haar zu streichen. Geht dann neben mir in die Hocke, um auch Rusty zu begrüßen. "Und wen hast du mir da noch mitgebracht? Was bist du denn für ein drolliges Kerlchen?" Während sie Rusty ausführlich streichelt, sieht sie mich mit ihren warmen Augen an. "Das ist Rusty, mein Freund und ich bin Markus. Darf Rusty bitte auch mit ins Haus?" In diesem Moment geht die Tür noch etwas weiter auf und ein großer Mann schiebt meine Mum ein wenig zur Seite. "Lis, was ist hier los?" Meine Grandma dreht sich wieder zu mir und schlägt sich selbst vor die Stirn. "Meine Güte, wo sind denn bloß meine Manieren geblieben. Markus, Rusty, ich bin Elisabeth, aber alle nennen mich Lis und das ist dein Grandpa Walter oder Walt. An meinem, für dich sicher etwas komischen Akzent, wirst du dich, denke ich, schnell gewöhnen. Ich stamme aus Deutschland und das kann man leider noch immer ein wenig hören." Walter sieht mich an, sodass ich mich frage, was ich schreckliches angestellt habe. Ich ziehe Rusty etwas dichter an mich ran und verstecke mich halb hinter Lis. Diese streicht mir wieder durch's Haar. "Keine Angst mein Junge, er bellt bloß und beißt nicht." Erst verstehe ich nicht wirklich, was sie damit meint, aber dann muss ich doch Schmunzeln. In diesem Moment sieht Grandpa mich an und zwinkert mir zu. Ich glaube, ich mag meine Großeltern. Sie scheinen sehr freundliche, liebe und ehrliche Menschen zu sein. An diesem Tag bin ich viel zu müde, um mir noch über irgendwas Sorgen oder Gedanken zu machen und nachdem wir etwas gegessen haben, liege ich im Bett im Gästezimmer und Rusty am Fußende und wir sind beide recht schnell im Land der Träume. Am nächsten Morgen frühstücke ich mit Lis alleine, da Walt arbeiten ist und meine Eltern noch im Pickup schlafen. Grandma will mit mir zum Einkaufen und zum Friseur gehen. Direkt nach dem Frühstück geht es los. Rusty darf auch mit und das macht mich wahnsinnig glücklich. Zu Hause musste er nämlich immer zurückbleiben. Lis ist sehr witzig und der Tag vergeht rasend schnell. Als wir wieder zurück sind, ist außer Walt, der eine sehr ernste Miene macht, niemand zu sehen. Das Auto meiner Eltern ist nicht mehr da, aber im Augenblick ist alles so neu und aufregend, dass ich mir darüber keine Gedanken mache. Nach dem Abendessen sind Mum und Dad immer noch nicht zurück. Ich darf noch in die Badewanne und danach bin ich schon wieder so fertig, dass ich zusammen mit Rusty schlafen gehe. Irgendwann werde ich von einem Geräusch wach. Draußen ist es dunkel. Neugierig wie ich nun mal bin, gehe ich nachsehen, was mich geweckt hat. Lis sitzt weinend in der Küche, mit einem Brief in der Hand und schaut mich traurig an. "Komm mal her zu mir, mein Großer. Ich habe hier einen Brief von deinen Eltern. Sie haben beschlossen, alleine weiter zu reisen und dich hier bei uns zu lassen. Was meinst du, kannst du dir vorstellen, hier bei uns zu leben?" Ich will nicht, dass sie traurig ist. Die letzten zwei Tage waren die besten seit langem. "Ich glaube, dass ich mich bei dir und Grandpa wohlfühlen kann, so lange Rusty bei mir bleiben darf. Aber wo werde ich denn zur Schule gehen?" Walt hat wohl schon die ganze Zeit hinter mir gestanden, denn er legt mir seine große Hand auf die Schulter und drückt diese. "Mein lieber Junge, es ist mir ein Rätsel, wie zwei so verantwortungslose Menschen so einen tollen Sohn bekommen konnten. Selbstverständlich darf dein Hund auch hier bleiben. Und eine Schule wird sich sicher auch finden. Kennst du das Sprichwort: 'Kommt Zeit, kommt Rat.'?" Ich schüttle mit dem Kopf. So etwas habe ich noch nicht gehört. Grandpa nimmt mich auf seinen Schoß und beginnt, mir geduldig zu erklären, was es bedeutet. Das ist auch wieder eine neue Erfahrung für mich, denn gewöhnlich werde ich mit 'das erkläre ich dir, wenn du älter bist' abgespeist. Es ist toll, so behandelt zu werden.

Eine Woche später sind die Papiere meiner Schule aus New York angekommen und ich in einer Schule ganz in der Nähe angemeldet. Lis und Walt waren gemeinsam mit mir und Rusty Schulsachen und Kleidung kaufen und haben mir mehrmals den Weg zur Schule und zurück erklärt und gezeigt. Ich denke, dass ich das auch alleine hinbekommen werde. Lis arbeitet als Krankenschwester im 'Henry Ford Hospital' und Walt im DPD (Detroit Police Department) der Polizei in Detroit. Das bedeutet, dass ich manchmal morgens oder mittags alleine den Weg gehen muss. Wenn Lis gerade keine Schicht hat, will sie mich begleiten. Für Montag hat sie extra den Dienst getauscht, sodass wir zusammen zum Sekretariat gehen können.

Meine neue Schule ist nicht so riesig wie die in New York, aber trotzdem nicht weniger furchteinflößend. Der Direktor scheint streng, aber gerecht zu sein. Während dieser mit Lis im Gespräch ist, werde ich von der Sekretärin in meine neue Klasse begleitet. Ich fühle mich einfach schrecklich. Die eine Hälfte der Klasse sieht mich missbilligend an und die andere ignoriert mich geflissentlich. Das kann ja was werden! Zuhause hatte ich einen recht großen Freundeskreis, da ich mit einigen der Jungs aufgewachsen bin. Zudem hat mein bester Freund keine Probleme, auf andere zuzugehen und neue Freundschaften zu schließen, ganz im Gegensatz zu mir. Ich bin einfach zu schüchtern. Nun denn, Augen zu und durch, wie es so schön heißt. Da ich jetzt leider keinen Nigel an meiner Seite mehr habe, muss ich selber versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.09.2015

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