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Operation „Attila“

Kosmische Migration -  Wanderbewegung der menschlichen Rasse im interstellaren Raum. Der Bau im Weltraum stationierter Superteleskope ermöglicht das Durchsuchen nahegelegener Sonnensysteme nach erdähnlichen Planeten. In den Spiralarmen der Milchstraße ist dabei im Umkreis von dreissig Lichtjahren mit etwa acht Sauerstoffplaneten in der habitablen Zone zu rechnen. Automatische Sonden, von wenigen Kilogramm Masse, werden auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und auf Kurs gebracht, um die entdeckten Welten aus der Nähe zu untersuchen. Ist ein Planet nach den zurückgesendeten Untersuchungsergebnissen zur menschlichen Besiedlung geeignet, wird eine Gruppe von vier bis sechs Siedlungsschiffen dorthin entsandt. Die Schiffe erreichen ein Viertel der Lichtgeschwindigkeit, während die Besatzungen den jahrzehntelangen Flug im Kältetiefschlaf überdauern. Am Ziel angelangt, werden die Siedler aus dem Tiefschlaf erweckt und beginnen auf der neuen Welt eine autonome Basiskultur aufzubauen. Von der Entdeckung eines geeigneten Planeten durch das Weltraumteleskop, bis zum Beginn seiner Besiedlung durch Menschen, vergehen durchschnittlich 100 Standardjahre. Nach weiteren 200 Standardjahren ist aus der kleinen Basiskultur von etwa 10.000 Menschen eine voll entwickelte globale Zivilisation mit Hunderten von Millionen Menschen geworden. Nun kann von der neuen Welt aus, die Besiedlung des Weltraums nach dem gleichen Verfahren fortgesetzt werden. Auf diese Weise hat die Menschheit in den vergangenen 8000 Standardjahren, in einem Raumgebiet von etwa 1000 Lichtjahren Ausdehnung, Tausende von Sauerstoffplaneten in Besitz genommen.

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„Ich begreife einfach nicht warum die Eingeborenen so an diesem öden Planeten hängen. Ich an deren Stelle wäre doch froh von hier weg zu kommen.“

Mit verschränkten Armen stand Oberdirektor Saltzmann vor der transparenten Außenwand seines weitläufigen luxuriösen Büros und blickte verstimmt auf die eintönigen Wälder und Hügel, jenseits der Stadtgrenzen von Sarazeen City. Die rötlich-blaue Dämmerung begann eben in die kurze und dunkle Nacht überzugehen. Auf der gigantischen Baustelle neben dem pyramidenförmigen Hauptgebäudes der COMEX-Gesellschaft flammte kalt-blaues Flutlicht auf. Rund um die Uhr bauten dort, wo vor wenigen Wochen noch das enge Gassengewirr eines quirligen  Altstadtviertels gewesen war, titanenhafte Maschinen mit raschen exakten Bewegungen an einer neuen, noch mächtigeren Pyramide aus Glas und Metall.

„Ich denke es ist die Angst vor der Veränderung. Die Angst vor dem Neuen und Unbekanntem. Eine alte Schwäche von uns Menschen. Wir lieben eben das Altbekannte und Vertraute.“

Deres Vox stand in ihrer enganliegenden schwarzen Uniform in straffer Haltung vor dem Visio-Pult. Eine große schlanke Frau mittleren Alters von strenger, abweisender Schönheit, das schwarze Haar zu einem kunstvollen Knoten hochgebunden.

Der ältere Mann mit dem breiten, energisch wirkenden Gesicht, wandte sich von der schwindelerregenden Aussicht ab. Der Oberdirektor der mächtigen und unfassbar reichen COMEX-Gesellschaft war, wie immer, edel und kostspielig gekleidet. Er trug heute ein kurzes, purpurfarbenes Jacket mit dunkelblauer Einfassung und hohem goldbesticktem Kragen. Auf der Brusttasche prangte glitzernd das goldene Emblem der Gesellschaft. Ein stilisiertes Auge in einer Pyramide. Seine vollen, kunstvoll frisierten, dunkelblonden Haare vervollkommneten den eleganten, gewinnenden Eindruck.

Saltzmann hob mit einem schiefen Lächeln den Blick und fixierte seine Gesprächspartnerin.  „Hat ja doch keinen Zweck sich über so was den Kopf zu zerbrechen. Sagen sie mir lieber wie’s mit Operation ‚Attila‘ vorangeht. Können wir diese lächerlichen Volksmilizen mit einem Schlag ausschalten? Haben sie die Köpfe dieser ominösen Untergrundorganisation endlich identifizieren können? Wir müssen diesen hinterhältigen Bastarden das Handwerk legen, bevor noch mehr Anschläge passieren.“

Deres Vox lächelte humorlos.  „Wir machen Fortschritte, Herr Oberdirektor. Vor zwei Tagen ist uns Seen-Distrikt endlich ein wichtiger Untergrundführer ins Netz gegangen. Wir haben dort einige Sympathisanten unter den Einheimischen gewinnen können, die uns mit Informationen versorgen. Natürlich hat der Gefangene unseren verschärften Befragungsmethoden nicht lange standgehalten. Und der Bursche wusste eine ganze Menge. Die geheimen Ausbildungs- und Waffenlager, die wahren Identitäten der Anführer, Anschlagspläne und so weiter. In vier, fünf Tagen, wenn wir die Informationen verifiziert haben, können wir die ganze Widerstands-Organisation der Pharser mit einem Schlag ausheben.“

Oberdirektor Saltzmann überlegte einen Moment und schüttelte langsam den Kopf.  „Nein, wenn wir mit dem großen Schlag zu lange warten, werden sie möglicherweise gewarnt und entwischen uns wieder. Außerdem lässt diese verfluchte Lady Dewitt einfach nicht locker. Sie will unbedingt eine friedliche Einigung mit den Pharsern und das passt mir gar nicht ins Konzept. Das ginge nicht ohne empfindliche Einschränkungen bei Exploration und Förderung. Ich gebe ihnen noch vierundzwanzig Stunden Zeit, Vox. Morgen, gleich nach der nächsten Sitzung mit diesen einfältigen Pharsern müssen sie soweit sein. Dann wird Operation ‚Attila‘ so oder so anlaufen.“

Deres Vox zuckte mit den Schultern. „Nun, die meisten meiner Einsatzgruppen sind schon aufgestellt und in Position. Aber einen vollen Erfolg kann ich bei der verkürzten Vorbereitung nicht versprechen. Für die Einsätze in den pharsischen Territorien brauche ich die Unterstützung der Schutztruppe. Ich schätze drei, vier Bataillone und eine Staffel Kampfgleiter. Das lässt sich nicht so ohne weiteres regeln. Schließlich ist mir General Canard nicht unterstellt.“

Saltzmann zog die Augenbrauen zusammen und drohte seiner Gesprächspartnerin mit erhobenem Zeigefinger.  „Sie als Leiterin des planetaren Sicherheitsdiensts, werden mir für den erfolgreichen Ablauf der Operation geradestehen. Sie hatten jetzt mehr als genug Zeit die Sache vorzubereiten. Um diesen Militärtrottel Canard werde ich mich selbst kümmern. Und gehen sie hart und rücksichtslos vor, meine Liebe. Auf ein paar Tote mehr oder weniger kommt es mir dabei nicht an. Sie haben meine volle Rückendeckung. Sie verstehen?“

Die Frau in der schwarzen Uniform lies sich keine Gefühlsregung anmerken.  „Sie kennen mich lange genug, Herr Oberdirektor. Es wird alles reibungslos ablaufen. Aber möglicherweise sind auf der morgigen Sitzung auch einige Mitglieder des Untergrunds unter den Delegierten. Sollen wir sie in die Aktion mit einbeziehen?“

„Aber natürlich. Kassieren sie sie gleich beim Verlassen des Gebäudes ein.“

„Das gibt aber bestimmt Probleme mit Botschafterin Dewitt. Schließlich hat sie jedem Delegierten freies Geleit zugesichert, solange der Waffenstillstand gilt.“

Saltzmann wischte den Einwand mit einer lässigen Handbewegung beiseite.  „Keine Probleme mit denen wir nicht fertig werden könnten. Diese alberne Lady Dewitt hat hier gar nichts zu sagen. Wir berufen uns auf Gefahr im Verzug und kündigen den Waffenstillstand einfach mit sofortiger Wirkung.“

„Sie kann sich immerhin an den Vorstand und ihre Taira-Verwandten im Aufsichtsrat wenden,“  gab die Sicherheitschefin zu bedenken.

„Bis der Vorstand reagiert und eine Untersuchung einleitet ist hier alles bereits vorbei. Wenn wir die neuen Produktionsanlagen auf Pharsalos dann anlaufen lassen, wird sich niemand groß für die Methoden interessieren, mit denen wir das zuwege gebracht haben. Auf Sarthag haben sie ganz andere Probleme. Das Schicksal von ein paar Millionen Eingeborenen interessiert doch niemanden, wenn so hohe Profite auf dem Spiel stehen.“

„Aber wenn wir einen langwierigen und verlustreichen Untergrundkrieg entfachen und mehr Militär anfordern müssen, wird man das nicht lange hinnehmen. Irgendwann wird man die Sache dann untersuchen und uns zur Verantwortung ziehen.“

„Sie vielleicht, aber nicht mich,“  erwiderte Oberdirektor Saltzmann mit gut gespielter Überzeugung in der Stimme.

„Beobachten sie die Sitzung morgen über Television. Wenn ich beim Hinausgehen das vereinbarte OK-Zeichen gebe, schlagen sie sofort los. Sie können jetzt gehen, Generalinspektorin Vox. Sie haben ja sicher noch eine Menge zu erledigen.“

„Allerdings. Nur noch eine winzige Frage, Herr Oberdirektor. Hat der Operations-Kode ‚Attila‘, irgendeine tiefere Bedeutung?“

Saltzmann lachte kurz und humorlos auf.  „Eine uralte Legende von Muttererde, aus der präkosmischen Zeit. Der Name eines blutrünstigen Eroberers, der damals den ganzen Planeten in Angst und Schrecken versetzte.“

„Scheint mir nicht unpassend. Gute Nacht. Herr Oberdirektor.“  Damit drehte sich Deres Vox abrupt um und ging mit raschen Schritten zum Lift, dessen vergoldete Türen sich lautlos vor ihr öffneten, und fuhr hinunter in ihr Büro, einige Geschosse unter dem luxuriösen Direktionsbüro.

 

Schwierige Verhandlungen

 

Raumzeit-Portale – Künstliche Singularitäten, geschaffen zur schnellen Überwindung interstellarer Entfernungen. Schon am Anfang der bekannten Geschichte kam man auf den Gedanken, mit Hilfe künstlicher Verformungen der Raumzeit, die unendlichen Weiten des Universums in wenigen Augenblicken zu überwinden und so Einsteins Beschränkung zu umgehen. Erst Meta-Materie, gewonnen aus supermassiven Schwarzen Löchern, lies diesen Traum vor etwa 5400 Standardjahren Wirklichkeit werden. Der Bau eines einzigen Portals erfordert aber die jahrzehntelange Anstrengung einer technisch und wirtschaftlich voll entwickelten, globalen Zivilisation. Doch die Überwindung der Verlorenheit im Universum, der Kontakt zu Hunderten und Tausenden von menschlichen Zivilisationen, rechtfertigt am Ende diesen enormen Aufwand. Heute umkreisen, auf elliptischen Umlaufbahnen außerhalb der Planetensphäre, Raumzeit-Portale die meisten der menschlich besiedelten Sonnensysteme und ermöglichen in wenigen Wochen Reisen zu Planeten in viele Lichtjahre entfernten Systemen.

Datei der Portalautorität

 

Wenn sie auf die wandfüllende 3D-Televisionsanlage blickte, hatte Deres Vox den Eindruck, als säße sie mit im nüchternen Konferenzraum des COMEX-Hauptgebäudes, einige Stockwerke unter ihr. Aber im Moment folgte sie den festgefahrenen Verhandlungen zwischen der Gesellschaft und den Erstkolonisten nur mit halber Aufmerksamkeit. Deres saß in ihrem spärlich eingerichteten Büro hinter dem Visio-Pult und überflog noch einmal die Listen der Zielpersonen und der Einsatzorte. Wieder stiegen instinktive Zweifel in ihr auf. Als Sicherheitsexpertin schmeckte ihr die überstürzte Aktion des Oberdirektors überhaupt nicht. Zu viele unbekannte Größen und im jetzigen Stadium zu brachial. So etwas ging nach ihrer Erfahrung meistens schief. Aber Saltzmann wollte es so und er war nun einmal auf Pharsalos der große Boss.

Als Deres wieder einmal auf den großen Wandschirm blickte, hatte gerade Ewa Garba, die Verhandlungsführerin der Pharser das Wort.

„...bei jeder Sitzung kommen sie uns mit den immer gleichen absurden Vorschlägen Herr Saltzmann. Seit Beginn der Verhandlungen sind sie nicht einen Millimeter von ihrer anmaßenden Linie abgewichen. Es scheint so, als ob sie uns zum Äußersten treiben wollten. Einen Freibrief zur unbeschränkten Ausplünderungen unseres Planeten werden sie von uns aber nie bekommen. Unter gar keinen Umständen!

Die Entschädigung die sie für die Schätze unseres Planeten zahlen wollen, ist einfach lächerlich. Sie würde nicht einmal für eine Umsiedlung in die geplanten Reservate im Norden reichen, geschweige denn für eine Migration zu anderen Planeten. Das wissen sie ganz genau.

Wenn auf Pharsalos Bodenschätze abgebaut werden, dann nur zu unseren Bedingungen. Nur wenn unsere Leute mitbestimmen können, wo und wie abgebaut wird. Und mindestens zwanzig Prozent des Gewinns müssen auf dem Planeten bleiben und den Pharser-Gemeinschaften zugute kommen. So und nicht anders!“

Der Oberdirektor zeigte nach Außen nicht die geringste Verärgerung wegen der scharfen Angriffe auf ihn. Er lehnte sich betont ruhig in seinem Sessel zurück, bevor er antwortete.

„Lassen wir doch diese Spielchen. Unser Angebot ist im Grunde sogar ausgesprochen großzügig. Genau genommen bräuchten wir ihnen nämlich überhaupt nichts für die wirtschaftliche Nutzung dieses Planeten zu geben. Rein rechtlich gehört er uns nämlich schon. Das geltende interstellare Rechts- und Wirtschaftssystem habe ich ihnen schon wiederholt zu erklären versucht. Aber das interessiert sie ja alles nicht. Wenn unsere Gesellschaft hier groß investieren will, braucht sie Planungssicherheit für die nächsten Jahrzehnte. Die Einmischung verbohrter Eingeborener können wir dabei nicht brauchen. Am Ende wird es ja auch zu eurem Nutzen sein. Wer die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkennt und mit uns zusammenarbeitet, kann sein Glück machen und verdammt reich werden.“

Deres wurde aufmerksam als ein schlanker, etwa dreißigjähriger Kolonist mit kurzen braunen Haaren aufstand und erregt das Wort ergriff.

„Wir wissen genau warum sie keine Kontrolle ihrer Machenschaften durch die pharsische Selbstverwaltung wollen, Herr Oberdirektor. Sie wollen Pharsalos ohne Rücksicht auf die Umwelt ausplündern! Wenn wir ihnen jetzt freie Hand geben, wird der Planet in wenigen Jahrzehnten nur noch eine öde Abraumhalde sein. Dagegen werden wir uns mit allen Mitteln wehren, Herr Oberdirektor.“

Das musste dieser Frachtpilot aus dem Südterritorium sein. Deres tippte auf das sensitive Display ihres Pults und holte seine Datei aus dem zentralen Server.

 

Name: Pieter Veserke

Geboren: 21.02.1459, Drindel/Südterritorium

Wohnort: Omris ST, Toliman-Route N2712

Tätigkeit: Lizensierter Frachtflieger

15.04.1491 Verhaftung wegen Beteiligung am Anschlag auf COMEX-NL Omris 12.04.1491

17.05.1491 Entlassung ohne Anklage; B1-Überwachung veranlasst

23.03.1492 Wahl in den Regionalrat von Omris

14.07.1492 Von Quelle SD-753 belastet; Zielliste OPERATION ATTILA

 

Das war nicht gerade viel, wenn man von der belastenden Aussage des kürzlich verhörten Renegaten absah. Schließlich waren fast alle Altkolonisten kritisch gegen die Gesellschaft eingestellt. Sollte Deres ihn wieder von der Zielliste nehmen? Ihr Bauchgefühl sagte ja, aber ihr Verstand entschied anders. Schließlich waren auch die Dossiers der meisten anderen Zielpersonen nicht viel umfangreicher. Wenn sie jetzt anfing schwankend zu werden, würde es in bloßer Willkür enden.

Im Konferenzsaal erhob Oberdirektor Saltzmann gerade die Stimme zu einer Erwiderung. Diesmal war ein leichter Unterton von Verärgerung nicht zu überhören.

„Sie stellen meine Geduld wieder auf eine harte Probe, meine Damen und Herren vom provisorischen Kolonistenrat. Aber vergessen sie eines nicht…“  Dabei hob er dramatisch den rechten Zeigefinger und legte eine sekundenlange Kunstpause ein, bevor er weitersprach.  „Wenn wir hier zu keiner befriedigenden Einigung kommen, hat die Gesellschaft Mittel und Wege, ihre Interessen auch ohne ihre Mitwirkung durchzusetzen. Dann geht die Entwicklung einfach über das Volk von Pharsalos hinweg. Dann geht ihr eben leer aus und fristet weiter euer ärmliches Dasein in irgendeiner tristen Ecke dieses Planeten. Das wollen wir doch alle nicht, oder?“

Ewa Garba fuhr erregt auf.  „Soll das wieder eine ihrer Drohungen mit Gewalt sein? Lady Dewitt, nehmen sie meinen schärfsten Protest gegen diese Art der Verhandlungsführung zur Kenntnis. Herr Saltzmann will uns offenbar mit der Androhung offener Gewalt zum Einlenken zwingen.“

Botschafterin Corona Dewitt vollführte elegant eine beschwichtigende Geste.  „Bitte beruhigen sie sich Rätin Garba. Ich versichere ihnen, dass Oberdirektor Saltzmann und die Gesellschaft alle Vereinbarungen des Waffenstillstands beachten werden. Wir sind hier, diesen heiklen Konflikt gewaltfrei zu lösen. Ich erinnere an meine Vorschläge zu einer partiellen Mitbestimmung der pharsischen Selbstverwaltung in Wirtschaftsfragen. Waren wir uns in der letzten Sitzung nicht einig, diesen erfolgversprechenden Weg weiter zu verfolgen?“

Deres Vox lachte kurz auf. Wenn diese naive Lady Dewitt wüsste, was Saltzmann von diesen endlosen Verhandlungen und dem Waffenstillstand wirklich hielt? Nun, die Taira waren zwar reich und mächtig, aber ohne Zweifel schon etwas dekadent und schwach. Wegen eines gewaltsamen Konflikts auf einem abgelegenen und dünn besiedelten Planeten, würden sie keinen großen Krach im Aufsichtsrat riskieren. Saltzmanns gewagte Rechnung könnte also tatsächlich aufgehen.

Ewa Garba hatte sich wieder etwas beruhigt.  „Wir haben ihre diesbezüglichen Vorschläge in der Zwischenzeit mit Interesse studiert Frau Botschafterin. Wir halten sie aber für nicht ausreichend. Einige Punkte, die wir für entscheidend halten, sind darin gar nicht berücksichtigt.“

Lady Dewitt lächelte fein und breitete begütigend ihre zarten weißen Hände aus.  „Versuchen wir doch zunächst bei den weniger strittigen Fragen zu einer Einigung zu kommen. Zum Beispiel beim Ausbau des planetaren Verkehrssystems. Rätin Garba würden sie bitte zu den Punkten Fünf bis Acht konkrete Vorschläge ausarbeiten und auf der Sitzung nächste Woche vorstellen.“

„Natürlich Lady Dewitt. Aber wenn wir in den grundsätzlichen Fragen keine Einigung erzielen können, werden unsere Anstrengungen am Ende umsonst sein. Irgendwann ist unsere Geduld am Ende.“

Oberdirektor Saltzmann sah demonstrativ zum Chronometer hinüber.  „Lady Dewitt, bitte bedenken sie dass uns die Zeit davonläuft. Ich habe noch eine Menge andere Arbeit zu erledigen.“

Lady Dewitt hob bedauernd die Arme.   „Nun gut, beenden wir die Verhandlungen für heute. Wir brauchen jetzt alle etwas Zeit, um in uns zu gehen und die Mitte wiederzufinden. Den genauen Termin für die nächste Sitzung wird mein Assistent  morgen mit ihren Büros festlegen. Ich danke ihnen allen und wünsche einen Guten Abend.“

Die Anwesenden erhoben sich und begannen langsam den Raum durch gegenüberliegende Türen zu verlassen. Oberdirektor Saltzmann sah dabei für einen Augenblick genau in die unsichtbare Kamera und gab Deres Vox unauffällig das vereinbarte Zeichen.

Die Sicherheitschefin nickte unwillkürlich bestätigend, obwohl der Direktor es nicht sehen konnte. Ein kurzes Gespräch mit ihrem Stabschef genügte, um die, später als so verhängnisvoll angesehene Operation „Attila“ ins Rollen zu bringen.

 

Die Außenwand des Büros in der obersten Etage der COMEX-Pyramide war transparent und bot eine grandiose Aussicht über das nächtlich beleuchtete Sarazeen City. Über die großflächigen Displays der anderen Wände huschten in schneller Folge bunte Grafiken, Bilder und Videosequenzen. Oberdirektor Saltzmann sass äußerlich ruhig hinter seinem luxuriösen Visio-Pult und sah amüsiert zur erregt auf und ab laufenden Lady Dewitt hinüber. Die Lady trug ein fließendes hellblaues Kleid, das gut zur bleichen Haut und den schlohweißen Haaren der hochgewachsenen Taira passte. Sie sah aus wie eine zornige Märchenfee, die einem dieser alten terranischen Fantasyfilmen entsprungen sein könnte.

„Ich habe den Pharsern mein Wort gegeben, dass jedes Mitglied ihrer Delegation während der Verhandlungen sicher ist. Haben sie das vergessen? Lassen sie die Delegierten Veserke und Ilsy sofort wieder frei und entschuldigen sie sich bei Garba offiziell für den Vorfall. Vielleicht können wir die Verhandlungen dann noch retten. Einfach unerhört was sie sich da geleistet haben!“

Der Oberdirektor schlug mit der flachen Hand klatschend auf das Pult.  „Die Zeit für Verhandlungen ist nun vorbei, werte Lady Dewitt! Soeben läuft eine große Aktion des GSD gegen die Terrororganisation ‚Patriotischer Untergrund‘ und die pharsischen Milizen an. Seit Mitternacht herrscht der Ausnahmezustand und der Waffenstillstand ist damit null und nichtig. Dieser Ilsy ist vom Sicherheitsdienst als Führungsmitglied des ‚Untergrunds‘ identifiziert worden. Er hat die meisten terroristischen Anschläge des letzten Jahres geplant und organisiert. Wußten sie das nicht? Und dieser Veserke war an Angriffen auf unsere Einrichtungen im Südterritorium beteiligt. Wir mussten sie unbedingt festsetzen, bevor sie wieder in den Ödländern untertauchen und neue Terrorakte aushecken.“

Lady Dewitt blieb überrascht stehen und fixierte den Oberdirektor mit ihren klaren gelblichen Katzenaugen. „Hat der Vorstand einer solchen Aktion überhaupt zugestimmt? Warum bin ich nicht vorab informiert worden?“

„Bei Gefahr im Verzug ist die Zustimmung des Vorstands nicht erforderlich. Da nach unseren Informationen in Kürze weitere verheerende Anschläge geplant waren, mussten wir schnell handeln. Und wenn wir sie vorher informiert hätten, wäre die Geheimhaltung gefährdet gewesen.“  Oberdirektor Saltzmann grinste der zornigen Botschafterin dabei herausfordernd ins Gesicht.

Lady Dewitt kämpfte einige Sekunden um ihre Fassung.  „Sie haben eine hohe Botschafterin der Taira schmählich hintergangen und lächerlich gemacht! Glauben sie wirklich, dass sie damit durchkommen werden?“  fragte sie schließlich gefährlich ruhig.

„Ich habe nie daran geglaubt, dass diese verbohrten Eingeborenen wirklich eine Einigung mit uns wollen. Sie missbrauchen die Verhandlungen und den Waffenstillstand nur, um sich neu zu organisieren und weitere Anschläge vorzubereiten. Diese ‚Untergrund‘-Fanatiker sind absolut skrupellos  und unbelehrbar. Sie wollen uns vernichten und die Gesellschaft von Pharsalos verjagen. Sie haben sogar den verrückten Plan gefasst das Raumzeit-Portal zu vernichten und den Planeten wieder zu isolieren. Beweise haben dafür wir genügend. Wir sind diesen Bastarden mit unserem großen Schlag aber zuvorgekommen. In ein paar Stunden wird es auf Pharsalos keinen ‚Patriotischen Untergrund‘ und keine Milizen mehr geben. Der bewaffnete Widerstand der Pharser wird damit ein für alle mal beendet sein.“  Zur Bekräftigung seiner Worte schlug der Oberdirektor mit der Faust auf das Pult.

Lady Dewitt ballte in ohnmächtiger Wut ihre zarten Hände.  „Sie haben die Verhandlungen also von Anfang an mit voller Absicht hintertrieben. Sie haben nur auf die Gelegenheit gewartet, meine Bemühungen zunichte zu machen. Gut, ich weiche diesmal der Gewalt, aber triumphieren sie nicht zu früh. Ich werde den nächsten Liner nach Sarthag nehmen und persönlich beim Vorstand intervenieren. Dann werden wir ja sehen ob man einer Abgesandten der Taira ungestraft ins Handwerk pfuschen darf.“

„Bitte, tun sie was sie nicht lassen können. Ich bedauere dass unsere Zusammenarbeit so enden musste. Aber auch sie werden schließlich einsehen müssen, dass ich nicht anders handeln konnte.“

„Leben sie wohl, Herr Oberdirektor. Wenn wir uns wiedersehen, wird es unter anderen Umständen sein und die werden nicht gerade angenehm für sie sein.“

Lady Dewitt wandte sich brüsk um, und eilte, umweht von ihrem weiten blauen Kleid zum Personenlift, um nach unten in die Lobby zu fahren. Sekunden später betrat Deres Vox durch eine bisher nicht sichtbare Tür das Büro des Oberdirektors. Sie hatte die stürmische Unterhaltung zwischen ihrem Chef und Lady Dewitt nebenan über Television verfolgt.

„Die erlauchte Lady war ganz schön aufgebracht. Das könnte gefährlich für uns werden. Sie hat gute Beziehungen zur Gesellschaft. Ihr Clan ist einer der größten Anteilseigner.“

Saltzmann macht eine verächtliche Handbewegung.  „Keine Sorge, Vox. Generaldirektor Tatoine ist einer von der harten Sorte. Er wird sich um das Gewinsel einer gescheiterten Taira-Vermittlerin nicht viel scheren. Wie ich diese blasierten überheblichen Taira hasse! Überall wollen sie ihre Nase hineinstecken.

Läuft Aktion ‚Attila‘ wie geplant? Haben wir schon erste Resultate?“

„Bis jetzt läuft alles wie vorgesehen. Nach den bisherigen Meldungen gibt es kaum Widerstand. Wir haben sie kalt erwischt. Bis Morgen früh müssten wir alle im Sack haben. Nur die Operationen der Mobilen Brigade in den Ödländern können sich noch zwei, drei Tage hinziehen. Die Milizionäre haben dort geheime Waffenlager in großen vulkanischen Höhlen angelegt.“

Der Oberdirektor legte die Fingerspitzen aneinander und überlegte einen Moment.  „Sehr gut. Wir brauchen einige Untergrundführer für eine öffentlich übertragene Gerichtsverhandlung. Suchen sie die miesesten und radikalsten Typen dafür aus und präparieren sie sie entsprechend. Am Ende darf es nur die Höchststrafe geben. Wir werden Medienberichte darüber auf allen Planeten der Föderation verbreiten. Wenn die Urteile gesprochen sind, darf niemand mehr an der Berechtigung unseres harten Durchgreifens zweifeln. Und die anderen Anführer lassen sie nach den Verhören still und heimlich im Konverter verschwinden. Keine Gerichtsverhandlungen, keine Leichen, keine Daten. Die harmloseren Burschen lassen wir im Bunker schmoren, bis sich der Staub wieder gelegt hat.“

„Das ist nicht gerade nach den offiziellen Richtlinien der Gesellschaft, Herr Oberdirektor,“ gab die Sicherheitschefin stirnrunzelnd zu bedenken.

„Haben sie ein Problem damit?“  versetzte Saltzmann in scharfem Ton.  „Ich weiß, das sie auf ‚Castor Gamma‘, schon ganz andere Sachen gemacht haben. Sie werden jetzt doch nicht weich werden, Vox.“

„Ich habe kein Problem damit, wenn der Vorstand still hält,“  beeilte sich Deres Vox zu versichern.

„Nun, dafür werde ich schon sorgen. Es dürfen nur keine schmutzigen Einzelheiten an die Öffentlichkeit dringen.“

„Keine Sorge. Für Diskretion ist gesorgt. Die Militäraktionen in den Territorien werden wir aber erklären müssen. Ich habe schon eine entsprechende Medienerklärung vorbereitet.“

Saltzmann schielte ungeduldig nach der Tür zu seinen Privaträumen, wo er bereits seit einiger Zeit von zwei schönen Kurtisanen erwartet wurde.

„Sonst noch etwas, Vox? Es war ein langer anstrengender Tag.“

Deres zögerte einige Sekunden, bevor sie ihr Anliegen vortrug.

„Meine Schwester benötigt für ihre biomedizinischen Experimente noch einige Versuchspersonen. Die Sache ist aber sehr riskant für die Probanden. Wäre es nicht möglich ihr einige der gefangenen Widerständler zur Verfügung zu stellen? Schließlich müssen wir viele davon sowieso verschwinden lassen.“

Saltzmann lächelte verstehend. „Die schöne und kluge Jercy hat also noch nicht aufgegeben und will weiter Supersoldaten für die Schutztruppe züchten. Angesichts der letzten Todesfälle kann ich ja verstehen, dass sie dafür keine Freiwilligen mehr findet.

Aber gut, meinetwegen. Sie soll ihre menschlichen Versuchskaninchen haben. Aber wenn sie diesmal erfolgreich sein sollte, wäre es empfehlenswert die Probanden zu beseitigen, sobald man sie nicht mehr benötigt. Schließlich wollen wir keine Renegaten mit Superkräften heranzüchten.“

Deres hatte insgeheim gehofft der Oberdirektor würde das moralisch fragwürdige Anliegen ihrer jüngeren Schwester ablehnen. Aber nach dem Einverständnis des Oberdirektor von Pharsalos liefen diese zweifelhaften und gefährlichen Experimente nun unter dem Deckmantel der Gesellschaft und sie war zumindest einen Großteil der Verantwortung dafür los.

„Ich werde Jercy informieren und einige der unauffälligeren Gefangenen dafür aussuchen. Außerdem werde ich zwei bewaffnete Sicherheitsleute im medizinischen Labor postieren, solange die Versuche laufen.

Ich muß zurück in die Sicherheitszentrale und den weiteren Verlauf der Operation überwachen. Haben sie noch Anweisungen für mich?“

„Nein, sie können gehen. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Gute Nacht.“ 

„Gute Nacht, Herr Oberdirektor.“

Oberdirektor Saltzmann erhob sich rasch und eilte mit langen Schritten zu seinen Privaträumen hinüber, ohne die Chefin seines Sicherheitsdiensts noch weiter zu beachten.

 

Tödliche Experimente

Zivilisationskrise – Nach etwa tausend Standardjahren einer kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung geraten die meisten neuen planetaren Zivilisationen in eine schwere existenzgefährdende Krise. Die ganze Oberfläche des neuen Planeten ist nun besiedelt und wirtschaftlich erschlossen. Nach Jahrhunderten des grenzenlosen Wachstums, sind Überbevölkerung, Ressourcenmangel und Umweltverschmutzung zum Problem geworden. Nach den großen Anstrengungen zur Besiedlung des Weltraums und zum Bau von Raumzeit-Portalen, ist die technische und kulturelle Schaffenskraft erschöpft. Gleichgültigkeit, Zynismus und Genusssucht greifen um sich. Öffentliche Ordnung und Infrastruktur beginnen zu verfallen. Es schlägt die Stunde der politischen Sektierer, der religiösen Fanatiker, der Demagogen und skrupellosen Populisten. Getrieben von radikalen Minderheiten zerfällt die globale Gesellschaft, in sich verbissen bekämpfende Machtgruppen, die in jahrzehntelangen erbarmungslosen Kriegen die Grundlagen ihrer Zivilisation vernichten und schließlich ihre Heimatwelt zur öden Wüste machen.

Fast die Hälfte aller neuen Zivilisationen findet so, nach etwa tausend Standardjahren, ein gewaltsames Ende in atomarer Selbstvernichtung. Andere Zivilisationen kommen vor der totalen Zerstörung noch zur Einsicht, beenden die blutigen Bruderkriege und beginnen wieder mit dem Aufbau einer globalen Gesellschaft. Nach einigen Jahrhunderten, wenn die inneren Kämpfe Geschichte geworden und ihre Zerstörungen beseitigt sind, erblüht eine neue globale Zivilisation.

Datei der Portalautorität

 

„Da auf den Stuhl mit ihm. Nun macht schon.“

Zwei Assistenten in den hellgrünen Mänteln der medizinischen Abteilung, schleiften einen unsicher torkelnden Mann im weißen Patientenkittel zum chromblitzenden Behandlungsstuhl und warfen ihn unsanft hinein. Dann fixierten sie Arme und Beine des sich windenden Mannes mit starken Kunststoffriemen, bis er sich sich kaum mehr bewegen konnte.

Jercy Vox nahm einen medizinischen Scanner vom Tisch und gab ihren Assistenten das Zeichen etwas beiseite zu treten. Mit kalter Mine trat sie näher und beugte sich über den Probanden um ihn oberflächlich zu untersuchen. Der Mann mit den strubbeligen braunen Haaren, blickte mit weit aufgerissenen Augen durch sie hindurch, stammelte im Delirium unverständliches Zeug und schien seine Umgebung überhaupt nicht wahrzunehmen.

„Seit wann ist er so. Habt ihr ihn unter Beruhigungsmittel gesetzt?“

„Der spielt jetzt seit ein, zwei Stunden verrückt, Doktor Vox. Die Anfälle kommen immer rascher. Jetzt so alle fünf bis zehn Minuten. Die Beruhigungsmittel, die wir ihm verabreicht haben, scheinen keine Wirkung mehr zu haben. Da hielten wir es für besser sie zu verständigen.“

„Schon gut. Hat er seit den letzten Injektionen etwas zu sich genommen?“

„Nein, gar nichts. Aber wir haben ihm, wie angeordnet, eine Infusion mit Nährlösung gegeben. Aber da war er noch ziemlich normal.“

Die zierliche blonde Frau im weißen Labormantel richtete sich wieder auf und winkte einen der Assistenten heran.  „Halt mal seinen Kopf gut fest, Cal. Ich kann mir schon denken was mit ihm los ist.“

Der angesprochene Assistent trat hinter den Stuhl und ergriff den Kopf des Sitzenden mit großer Kraft. Jercy richtete ihren Handscanner auf den Schädel des Probanden und aktivierte das Gerät. Leise summend glitt das grüne Licht des Scannerstrahls über die Schädeldecke des ängstlichen Mannes, der sich gegen den harten Griff des Assistenten panisch zu wehren versuchte.

Jercy deaktivierte den Scanner nach wenigen Sekunden wieder und ging hinüber zum großen Wandbildschirm. Mit wenigen Tastendrücken holte sie die soeben aufgenommenen Scannerbilder auf den Schirm.

„Wie ich befürchtet hatte. Eine ganze Menge kleinerer Neoplasien im Gehirn.“

Sie vergrößerte einen Bildausschnitt und trat etwas näher heran.  „Merkwürdig…sowas hab ich noch nie gesehen…diese hybriden Zellen müssen sich rasend schnell vermehrt haben.“

Grübelnd betrachtete Jercy die 3D-Aufnahmen eine Weile, bevor sie den großen Wandschirm abschaltete und sich wieder ihrem Probanden zuwandte.

„Gebt ihm noch ein starkes Analgetikum und steckt ihn in die Isolierzelle. Wir können sonst gar nichts mehr tun. Ist nur noch eine Frage von Stunden. Ich glaube nicht, das er den Morgen noch erleben wird. Aber seine Gewebeproben könnten noch einige hochinteressante Befunde liefern. Offenbar hat eine Rekombination mit der fremden DNA stattgefunden. Holt mich wenn es soweit ist. Ich bin nebenan in meinem Büro.“  Jercy nickte ihren Assistenten aufmunternd zu und verlies das medizinische Labor durch eine unauffällige Seitentür, die direkt in ihr privates Büro führte.

Nachdem einer von ihnen die Schmerzinjektion gesetzt hatte, hoben die beiden Assistenten den hilflosen Mann aus dem Sessel und führten ihn nebenan in eine kleine gepolsterte Isolierzelle. In der vollkommen kahlen Zelle ließen sie ihn unsanft auf den Boden plumpsen und gingen zurück in das Labor. Über Beobachtungsbildschirme und die Anzeigen der medizinischen Sensoren am Körper des Probanden verfolgten sie mit kaltem Interesse das Geschehenen in der Zelle.

In der ersten halben Stunde war der halbnackte Mann in der Zelle nur etwas unruhig, aber dann bäumte er sich urplötzlich auf, schrie laut und hysterisch auf. Mit Schaum vor dem Mund tobte und wand er sich auf dem weichen Zellenboden, um nach wenigen Minuten wieder in dumpfe Apathie zu verfallen.

 

Nach etwa zwei Stunden näherte sich der dramatische Todeskampf des Probanden offenbar seinem Ende und die Assistenten verständigten Doktor Vox. Sie kam gerade rechtzeitig um seine letzten Todeszuckungen mitzuerleben. Die medizinischenSensoren signalisierten mit einem durchdringenden Warnton das Ende der Vitalfunktionen. Der geschundene Mann lag leblos, in unnatürlich verrenkter Stellung auf dem Boden der Zelle.

Unbeeindruckt vom äußerst schmerzhaften Tod ihres Probanden, überflog Jercy die aufgezeichneten Sensoren-Daten. Etwas war diesmal anders gewesen, als bei den vorherigen Experimenten, aber sie wusste noch nicht genau was. Die junge Frau schüttelte zweifelnd ihren schönen schmalen Kopf. Was war diesmal schief gegangen? Wieder eine Enttäuschung oder doch ein Durchbruch zum Erfolg? Nach einigen Minuten riss sich Jercy von den Displays mit den graphischen Darstellungen und Tabellen los und rieb sich die schmerzenden Schläfen. Es war Zeit für heute aufzuhören. Vielleicht kam ihr heute nacht noch eine Erleuchtung.

Jercy wandte sich schließlich an ihre beiden Assistenten, die voller Ungeduld auf das Dienstende warteten. „Nehmt noch Proben von dem Fremdgewebe im Gehirn und macht die üblichen Tests. Dann steckt ihr ihn in die Kühlung. Gleich Morgen früh machen wir uns an die Gensequenzierung. Die beiden Wachen können auch gehen. Heute wird hier nichts mehr passieren. Guten Abend.“

Jercy stand müde auf und verlies enttäuscht ihr Labor im zwölften Tiefgeschoss der COMEX-Pyramide in Sarazeen City. Sie fuhr mit dem Lift nach oben in ihre kleine Dienstwohnung, spülte ihren Frust mit etwas weißem Rum hinunter und versuchte dann zu schlafen.

 

Die beiden Assistenten holten unterdessen den Leichnam aus der Isolierzelle und warfen ihn achtlos auf eine blanke Metallbahre. Sie arbeiteten rasch und routiniert, denn sie wollen nachher noch auf einen Drink ins „Moonlight-Casino“. Die Männer entkleideten den Toten und entfernten die nutzlosen Sensoren von seinem Körper, während sie die letzten Ergebnisse der Hoverball-Saison kommentierten.

Eben beugte sich einer der Männer über den nackten Körper, um eine Hohlnadel für Gewebeproben anzusetzen, da zuckte er mitten in der Bewegung zurück. Die weit aufgerissen Augen des Toten waren plötzlich genau auf ihn gerichtet und funkelten ihn unheimlich lebendig an. Die Hand, die mit unheimlicher Gewalt seinen Hals traf und seine Luftröhre zerschmetterte, war das letzte was der Mann im grünen Labormantel sah. Er wurde von der Wucht des Handkantenschlags einige Meter zurückgeschleudert, prallte gegen die Wand und blieb bewegungslos liegen.

Die andere Assistent, der eben am Terminal einige Eingaben machte, wurde durch den lauten Aufprall aufmerksam und wandte sich um.  Er sah den vermeintlichen Leichnam mit raschen, geschmeidigen Bewegungen von der Bahre gleiten. Da der Assistent unbewaffnet war und von plötzlicher Todesangst überschwemmt wurde, entschloß er sich zur Flucht um Alarm auszulösen. Doch seine Reaktionszeit war zu lang, um dem Verhängnis zu entgehen. Er hatte erst einige Schritte in Richtung Tür zurückgelegt, als der Untote absprang und wie ein Geschoss durch die Luft flog. Der Flüchtende wurde vom Körper des Angreifers mit großer Wucht im Rücken getroffen und zu Boden geschleudert. Der nackte Mann kam mit raubtierhafter Gewandtheit sofort wieder auf die Beine und griff den Gestürzten an. Er drückte den schreienden und sich verzweifelt wehrenden Mann mit unheimlichen Kräften zu Boden. Seine kräftigen Hände bekamen den Kopf des unter ihm Liegenden zu fassen und mit einem hässlichen Geräusch brach das Genick seines Opfers.

Als sich der Assistent nicht mehr bewegte, erhob sich der vermeintliche Tote langsam und blickte wild umher. Er ging zu dem anderen Mann im grünen Mantel hinüber und untersuchte ihn kurz. Aber auch der war tot und starrte mit leblosen Augen gegen die Decke.

Der nackte Mann kam leicht ins Taumeln und stützte sich schwer atmend auf die Metallbahre, auf der er noch vor wenigen Minuten kalt und leblos gelegen hatte. Langsam kam die Erinnerung daran, was in den letzten Stunden geschehen war und wer er einmal gewesen war. Vor diesem grauenhaften abscheulichen Alptraum. Er erinnerte sich dunkel an den Namen Pieter…Pieter Veserke. Doch wer oder was war er jetzt? Etwas Unbegreifliches war mit ihm passiert, seit er Gestern als hilfloser Gefangener in dieses Labor verschleppt worden war. Etwas an ihm fühlte sich jetzt fremd und eigenartig an. Da war ein grauenhafter reißender Schmerz gewesen. Noch viel grauenhafter als bei den Verhören durch den Sicherheitsdienst. Und dann ein alles beherrschendes weißes Licht, das von totaler Finsternis abgelöst worden war. Und dann...?

Pieter versuchte die grauenhaften Erinnerungen abzuschütteln und einen klaren Kopf zu bekommen. Jetzt musste er erst einmal von hier verschwinden. Er betrachtete die beiden Toten genauer und versuchte ihre Körpergrößen zu abzuschätzen. Schließlich entkleidete er hastig einen der Assistenten und zog sich dessen lindgrünen Anzug an. Er war zwar etwas zu weit, aber auf alle Fälle würde er so außerhalb des Labors weniger auffallen.

Dann schaffte er die beiden Toten in die Kühlkammer und beseitigte die Spuren des kurzen, tödlichen Kampfes. Da offenbar kein Alarm ausgelöst worden war, würde man die Beiden wahrscheinlich erst am nächsten Morgen bei Arbeitsbeginn entdecken. Er ging zur Tür, die sich automatisch vor ihm öffnete, und sah vorsichtig auf den Gang hinaus. Es war niemand zu sehen. Die meisten Mitarbeiter schienen das Gebäude schon verlassen zu haben. Er trat also hinaus und ging möglichst unauffällig in Richtung Lift davon. Die breite Tür schloss sich summend hinter ihm und im Labor blieb nur die Stille des Todes zurück.

 

Eine rätselhafte Flucht

Pharsalos – Vierter Planet der Sonne NIRAM im galaktischen Sektor CK-241; Trockenplanet der Klasse N; mittlerer Radius 6.890 km; Schwerkraft 1,12 g; mittlere Temperatur 16° Celsius; Entfernung nach SARTHAG 450 Lichtjahre.

PHARSALOS war einer der sieben Planeten, die von BROCK aus besiedelt wurden. Im Jahre 966 SZ wurde eine Raumzeit-Verbindung hergestellt und die Entwicklung der Kolonie verlief zunächst vielversprechend. Ab 2200 SZ stürzte die Zivilisation von PHARSALOS aber rasch in eine selbstzerstörerische Krise. Unruhen und Bürgerkriege brachten den Verkehr mit den Außenwelten zum Erliegen und um das Jahr 2240 SZ galt der Planet als verloren. Die Raumzeit-Verbindung wurde daraufhin gekappt und PHARSALOS versank für viele Jahrhunderte in Vergessenheit.

Im Jahr 3502 SZ erinnerte man sich angesichts der Rohstoffknappheit auf SARTHAG wieder an den verlorenen Planeten und aktivierte sein Raumzeit-Portal wieder. Die Erkunder der COMEX-Gesellschaft fanden PHARSALOS entgegen den Erwartungen aber nicht unbewohnt vor. Die Überlebenden der über tausend Standardjahre zurückliegenden Zivilisationskrise hatten in der Zwischenzeit eine streng konservative, religiös geprägte Kultur aufgebaut. Die Pharser begrüßten die Abgesandten von SARTHAG zunächst zwar herzlich, stellten aber bald klar, daß sie keine nähere Berührung mit der hochtechnisierten und in ihren Augen dekadenten Zivilisation der Außenwelten wünschten.

Datei der Portalautorität

 

 „Der Mann im grünen Laboranzug. Erkennst du ihn?“

Über die Wände des Büros von Deres Vox in der COMEX-Pyramide liefen ununterbrochen Bilder von Überwachungskameras überall auf dem Planeten und die zahllosen TV-Programme der Gesellschaft in einem verwirrenden Durcheinander. Außer dem Visiopult und einigen Sitzmöbeln enthielt der nüchtern kahle Arbeitsraum keine weiteren Einrichtungsgegenstände. Deres Vox beugte sich leicht vor und tippte auf ihr Visiopult. Sie lies die vergrößerte Video-Aufzeichnung in der Mitte der Wand um einige Minuten zurückstellen und wiederholen.

Jercy Vox tritt einen Schritt näher an die Displaywand und sah ungläubig genauer hin. „Unglaublich, er ist es wirklich! Ich schwör dir, er war klinisch tot als ich das Labor verlies.“

„Sieh genau hin. Der Sicherheitsoffizier geht jetzt auf ihn zu, um ihn überprüfen. Er will seinen Ausweis kontrollieren, aber anscheinend vergißt er es gleich wieder. Statt dessen lässt er sich von deinem Scheintoten in ein Gespräch verwickeln.“

 „Der Offizier hätte am Ausweis doch sofort erkennen müssen, das mit dem Burschen etwas nicht stimmt,“ meinte Jercy konsterniert.

„Siehst du seinen verwirrten und starren Gesichtsausdruck? Und es kommt noch besser. Gleich werden sie zusammen zum Flugdeck hinauffahren. Dort wird der Offizier mit dem Flüchtigen in einen firmeneigenen Fluggleiter steigen und einfach davonfliegen. Alle GSD-Offiziere haben eine Autorisierung ohne ausdrückliche Freigabe der Sicherheitszentrale zu fliegen wohin sie wollen.“

 „Ohne die Hilfe des Offiziers hätte er das Gebäude also kaum verlassen können.“

Deres nickte zustimmend.  „Zumindest nicht so ohne weiteres.“

„Dann muss dieser Sicherheitsoffizier ein Agent des Untergrunds sein.“

„Ein Thosa, der erst vor zwei Wochen direkt von Sarthag angekommen ist? Der Mann hat eine makellose Personaldatei mit einem einwandfreien Psychogramm. Ich halte es für ausgeschlossen das er irgendetwas mit den hiesigen Rebellen zu hat.“

Jercy wandte sich von den Kamerabilder ab und blickte bestürzt zu ihrer älteren Schwester hinüber.  „Dann bleibt eigentlich nur PSI-Beeinflussung und das ist ziemlich beunruhigend. Ist der Offizier inzwischen wieder aufgetaucht?“

„Ja, er wurde heute morgen in Sarazeen City aufgegriffen. Er benimmt sich äußerst merkwürdig und kann sich an nichts mehr erinnern. Nicht einmal daran wo er seinen merkwürdigen Fluggast abgesetzt hat. Wahrscheinlich irgendwo in den Randzonen der Ödländern. Natürlich hat unser Flüchtling das Navigationsgerät gründlich zerstört. Anhand des Energieverbrauchs konnten wir lediglich die zurückgelegte Flugstrecke abschätzen.

Wir versuchen die Erinnerungssperre des Offiziers mit psychotischen Drogen zu beseitigen, hatten bis jetzt aber keinen Erfolg damit. Wir werden wohl den PSI-Dienst der Gesellschaft einschalten müssen, was ich lieber vermieden hätte. Nun sag Schwesterchen, wie hast du diesen unheimlichen Zombie fabriziert?“

Die junge Ärztin richtete den Blick wieder auf die Videoaufzeichnung und überlegte einige Sekunden bevor sie antwortete.  „Ich habe ihm Vektorviren mit modifizierter DNA des Rendova-Wesens in die Blutbahn injiziert. Ich hoffte, sie würden sich mit den menschlichen Zellen verbinden und hybrides Gewebe mit neuen Eigenschaften erzeugen.“

Deres schüttelte missbilligend den Kopf.  „Oh Jercy, musst du immer so gruselige Sachen machen. Die Genetischen Konventionen scheinen dich überhaupt nicht zu kümmern. Die künstliche Erzeugung von Hybriden ist nicht ohne Grund streng verboten.

Wo waren übrigens die beiden Wachen, die ich dir zugeteilt habe? Und warum hat der automatische Alarm nicht angesprochen?“

„Nach dem offensichtlichen Tod des Probanden habe ich die Wachen weggeschickt. Den automatischen Alarm haben wir im Labor schon lange deaktiviert. Es gab einfach zu viele Fehlalarme.“

Deres schüttelte verweisend den Kopf.  „Sehr unvorsichtig, Schwesterchen. Wahrscheinlich kann ich dir eine ziemlich peinliche Untersuchung nicht ersparen. Du weißt was das bedeuten kann.“

Jercy machte eine wegwerfende Handbewegung.  „Damit werde ich schon fertig, Deres. Meine Supermenschen-Forschung ist zwar nicht offiziell genehmigt, aber für die Gesellschaft sehr wichtig. Der Erfolg kann einen Quantensprung in der menschlichen Entwicklung bringen. Ich glaube also nicht, das wir allzu große Unannehmlichkeiten zu erwarten haben. Vorausgesetzt wir können den geflohenen Probanden schnell wieder einfangen.“

„Du spielt wieder einmal um einen hohen Einsatz, Jercy. Und wenn du auf deine speziellen Beziehungen zu unserem allseits geliebten Oberdirektor setzt, muss ich dich warnen. Glaub ja nicht er würde noch etwas für dich empfinden. Wenn es in seinem Interesse ist, lässt er dich blitzschnell fallen und wirft dich den Goon Goons zum Frass vor.“

Deres Vox tippte wieder auf ihrem Visiopult herum und begann aufmerksam in einer Datei zu lesen. Nach einigen Minuten zog sie genervt die Augenbrauen in die Höhe.

„Ich kann mit diesem mikrobiologischen Kauderwelsch nichts anfangen, Jercy. Erklär mir in einfachen Worten was bei deinem Experiment schiefgegangen sein könnte.“ 

„Nun, wir haben schnell wuchernde Neoplasien in seinem Gehirn gescannt, bevor er den Abgang machte. Wahrscheinlich hybrides Gewebe, entstanden durch die verabreichte Fremd-DNA. In gewisser Beziehung war mein Experiment also ein Erfolg. Was genau passiert ist, konnte ich aus den aufgezeichneten Daten bisher noch nicht genau rekonstruieren. Leider konnten meine Assistenten keine Gewebeproben mehr nehmen, bevor…bevor er abgehauen ist. Ich bräuchte meinen Probanden also unbedingt zu weiteren Untersuchungen. Tot oder lebend…aber besser wäre lebend.“

„Habt ihr ihn vor dem Versuch psychomechanisch untersucht? Hatte der Mann einen auffälligen PSI-Index?“

Jercy schüttelte den Kopf.  „Sein PSI-Index war nur leicht über dem Durchschnitt. Dieser Pieter Veserke war auch sonst ziemlich durchschnittlich. Wir konnten an ihm nichts Ungewöhnliches feststellen. Aber wenn du meinst, werde ich mir seine Daten noch einmal vornehmen.“

Deres stand abrupt auf und ging, um das breite Pult herum, auf ihre Schwester zu. Sie versuchte einen betont optimistischen Eindruck zu vermitteln, obwohl sie momentan von dunklen Ahnungen geplagt wurde.

„Keine Sorge, Schwesterchen. Wir werden deinen Untoten bald haben. Weit kann er noch nicht gekommen sein. Meine Leute sind in den südlichen Territorien schon auf der Suche nach ihm. Sie finden ihn und wenn sie jeden Quadratmeter dieses verdammten Planeten scannen müssen. Ich werde jetzt Saltzmann verständigen müssen. Er wird bestimmt nicht begeistert sein.“

Jercy zuckte bedauernd mit den Schultern.  „Tut mir leid was da passiert ist, Deres. Besser ich mache mich gleich an die Arbeit und gehe alle Versuchsreihen mit der Rendova-DNA noch einmal genau durch. Irgend etwas muss ich übersehen haben.“

„Ich hoffe du hast Erfolg dabei. In den Genen von Fremdlebewesen könnten ungeahnte Möglichkeiten stecken. Vielleicht können wir damit eines Tages wirklich Supermenschen mit ungeahnten Fähigkeiten züchten.“

Die junge Ärztin lächelte hoffnungsvoll.  „Also bei diesem Rebellen scheint’s funktioniert zu haben. Hast du die unglaubliche Geschwindigkeit seiner Bewegungen gesehen? Er hat zwei große kräftige Männer innerhalb von Sekunden getötet! Offenbar haben wir da ein sehr gefährliches Hybridwesen geschaffen.“

„Hoffentlich kriegen wir dein Monster wieder unter Kontrolle, bevor die Sache größere Kreise zieht. Du hättest ruhig etwas vorsichtiger sein können. Gentechnische Experimente an Menschen sind schließlich nicht ohne Grund eingeschränkt worden. Ab sofort steht dein Labor rund um die Uhr unter Überwachung. Hast du mich verstanden!“

Jercy nickte erleichtert.  „Ja, natürlich. Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein. Brauchst du mich noch? Ich will gleich wieder ins Labor hinunter.“

Deres überlegte einen Moment.  „Nein, Jercy. Halte mich aber über deine Nachforschungen immer auf dem Laufenden.“

Jercy nickte ihrer Schwester zum Abschied kurz zu und eilte aus dem Büro. Deres stand noch einige Sekunden in Gedanken versunken da, nachdem ihre Schwester den Raum verlassen hatte. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins, spürte sie die kommende Bedrohung wie einen dunklen Schatten. So ein mysteriöser Fall war ihr in ihrer ganzen Laufbahn noch nicht untergekommen.

 

Das Monument

Goon Goon (Pteranodon pharsaloschia) - Flugechsenartiges Wirbeltier des Planeten Pharsalos im Niram-System; Eine der wenigen einheimischen Tierfamilien, die sich gegen die Invasion fremder Arten nach der Erstbesiedlung 966 SZ behaupten konnte.

Merkmale: kurzer Körper mit zurückgebildeten Beckenknochen, langer Hals mit großen Kopf, Hand mit drei Greiffingern und zwei stark verlängerten Flugfingern, die die Flügelmembran stützen. Im schuhförmigen Kiefern sitzen 300-400 kleine kegelförmige Zähne zum Zerkleinern von Pflanzennahrung. Goon Goons sind ausdauernde Flieger, die auf der Suche nach Nahrung große Strecken zurücklegen können; Manche Exemplare erreichen eine Spannweite von maximal 2,8 m; Die meisten der bisher erfassten Unterarten sind aber deutlich kleiner.

Goon Goons sind eierlegende Tiere, betreiben aber keine Brutpflege. Sie ernähren sich sowohl von einheimischen Pflanzen, als auch von eingeführten Pflanzenarten; Einheimische Farmer berichten, sie würden sich gelegentlich auch über tote Tiere hermachen.

Da die wissenschaftliche Exploration von Pharsalos derzeit noch nicht abgeschlossen ist, kann noch nichts Genaues über Verbreitung und Bestand dieser flugfähigen Reptilenähnlichen berichtet werden.

Enzyklopädia Universalis  

 

„Ich sag dir doch Chuck, da war nichts. Die Sensoren haben nichts registriert.“

Mit aufheulenden Rotoren zwang der Pilot den Polizei-Gleiter in eine enge Steilkurve, um den tiefen Canyon am Rand des südlichen Sandmeeres noch einmal zu durchfliegen. Die Strahlen, der fast senkrecht stehenden Sonne fielen bis zum kilometertiefen Grund des Canyon und zeichneten ein scharfes Bild der kahlen Felshänge, gebildet aus zahlreichen horizontalen Farbschichten von hellbraun bis tiefrot. Nur einige der steileren Nordhänge lagen noch in tiefen dunklen Schatten. Unten engten braune Schutthalden den ebenen Grund der Schlucht auf einen schmalen Streifen ein. Hier floss vor undenklichen Zeiten ein mächtiger Fluss, der diese grandiose Arena in Jahrtausenden in die Planetenkruste gegraben hatte. Aber jetzt waren die einstigen Wassermassen versiegt und nur an einigen schattigen Stellen waren die grün-braunen Spuren von spärlichem pflanzlichem Leben zu entdecken. Nichts schien sich dort unten in der lähmenden Mittagshitze von Pharsalos zu bewegen.

„Ich trau diesen elektronischen Wunderdingern nicht. Ich hab bestimmt was gesehen,“  brummte der Pilot und drückte den schnittigen Gleiter tiefer auf den Grund der Schlucht hinunter.

Der Beobachter beugte sich wieder über seine Bildschirme und tippte hektisch auf den Bedienfeldern herum. Nach kurzer Zeit gab er seine Bemühungen auf und schüttelte ratlos den Kopf.

„Wird wohl irgendein Tier gewesen sein. Ich glaub nicht dass der gesuchte Flüchtling sich hier versteckt hält. Der wär auch schön blöd. In dieser heißen Einöde überlebt keiner allzu lange. Ist bestimmt in irgendeiner Siedlung untergetaucht und wir gurken hier ganz umsonst durch die Landschaft. Möchte bloß wissen wer sich das wieder ausgedacht hat.“

Der Pilot schwieg verbissen und starrte durch die gewölbten Scheiben an der Unterseite des Pilotenkanzel angestrengt auf den Grund der Schlucht hinunter, der rasch unter dem Luftfahrzeug dahin glitt. Plötzlich tippte ihm der Beobachter kurz auf die Schulter und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf einige hohe Felsvorsprünge, die eben rechts voraus in Sicht kamen.  „Da sieh mal, Chuck. Ein ganzer Schwarm Goon Goons. Wahrscheinlich hast du vorhin einen von denen gesehen.“

Aufgescheucht durch den laut vorbei heulenden Gleiter, erhoben sich auf den Felsen Dutzende vogelartiger Lebewesen kreischend in die Luft und suchten heftig flatternd das Weite.

„Ich erkenne doch Goon Goons wen ich sie sehe,“  meinte der Pilot etwas kleinlaut.

„So viele von den verdammten Viechern hab ich noch nie zusammen gesehen,“ staunte der Beobachter.  „Dreh doch mal um. Das sehen wir uns genauer an.“

Der Pilot zögerte kurz, dann grinste er verlegen zu seinem Kameraden hinüber und zwang den wendigen Polizei-Gleiter erneut in eine gewagte Steilkurve.   „Na wenn du meinst. Jagen wir eben hinter Goon Goons her.“

 

Pieter sah dem abdrehenden Gleiter in den Farben der COMEX-Gesellschaft erleichtert hinterher. Nach einigen waghalsigen Flugmanövern, dicht an den rotbraunen Steilwänden entlang, verschwand er endlich um die nächste Windung des Canyons und das heulende Rotorengeräusch verstummte allmählich. Das war diesmal verdammt knapp gewesen. Jemand im Gleiter musste ihn flüchtig auf dem deckungslosen Boden der Schlucht wahrgenommen haben, bevor er sich unter diesen kümmerlichen Busch retten konnte.

Pieter kroch unter dem Busch hervor und klopfte Schmutz und Staub aus seiner Kleidung. Er trug immer noch den lindgrünen Anzug des Assistenten aus dem Labor in Zarazeen City. Nach den anstrengenden Tagen in der Wildnis, sah er inzwischen ziemlich abgerissen und verschmutzt aus.

Pieter nahm den selbstgebastelten kegelförmigen Strohhut vom Kopf und wischte sich mit dem rechten Ärmel den Schweiß von der Stirn. Er fühlte Schwäche in den Beinen, wankte leicht und musste einen kurzen Schwindelanfall unterdrücken. Von der unbändigen Energie, die kurz nach der Flucht in ihm gelodert hatte, war kaum noch etwas zu spüren. Es wurde höchste Zeit, das er endlich an Wasser und Nahrung kam.

Der erschöpfte Mann setzte den ungefügen Strohhut wieder auf, rückte den kleinen Schultersack zurecht und begann mühsam eine Geröllhalde hochzuklettern. Nach etwa einer halben Stunde war er oben angelangt und stand heftig atmend am Zugang zu einer der vielen kleinen Seitenschluchten, durch die früher Wasser von der Hochebene in den Canyon geströmt sein musste. Der Grund der Schlucht verlief allmählich ansteigend in die Berge hinein und war nur wenige Meter breit. Pieter kämpfte sich Schritt für Schritt tiefer in den wohltuend schattigen Felsspalt. Aus Erfahrung wusste er, dass in diesen kleinen Nebentälern meist immer noch etwas Wasser vom Hochplateau herab sickerte.

Aber immer mehr fühlte Pieter seine Kräfte schwinden. Immer öfter musste er sich an einer der Felswände abstützen und kurz verschnaufen. Aber immer wieder raffte er sich auf, setzte einen Fuss vor den anderen und taumelte weiter. Er hatte längst kein konkretes Ziel mehr. Nur Wasser und Nahrung finden, um die nächsten Stunden zu überleben. Nur noch den nächsten Morgen erleben! Dann würde man schon weitersehen.

Nach ein, zwei Stunden mühsamen Vorwärtskämpfens, stolperte Pieter kraftlos über einen Felsen und fiel der Länge nach hin. War das jetzt das Ende? Würde er hier in der Ödnis elend zugrunde gehen, nachdem es ihm auf so wunderbare Weise gelungen war, aus den Kerkern der Gesellschaft zu entkommen? Nein! Solange noch Leben in ihm war würde er nicht aufgeben. Aber fühlte er da nicht die Feuchtigkeit der Erde auf der er lag?

Wasser! War es möglich? In der Nähe musste es Wasser geben.

Pieter stemmte sich mühsam hoch und und schleppte sich auf allen Vieren weiter, bis er nach zehn, zwanzig Metern den Rand eines kleinen schlammigen Teiches erreichte, der sich auf dem Grund der Schlucht gesammelt hatte. Der Erschöpfte hatte immer noch genug Selbstbeherrschung, um die Stelle aufzusuchen, wo ein dünner Gebirgsquell in den Teich sickerte und das Wasser etwas sauberer war. Dort lies er sich erleichtert hinfallen und labte sich gierig an dem etwas metallisch schmeckenden Wasser. Schließlich benetzte er Gesicht und Nacken mit dem kostbaren Nass und besah sich seine Umgebung genauer.

Hier war der Grund der kleinen Schlucht etwa vierzig, fünfzig Meter breit und von steilen Felswänden gesäumt, die weit oben nur ein helles Band des Himmels freiließen. Nach seiner Schätzung war er immer noch etwa fünfhundert Meter unter dem Niveau des Hochplateaus, in das sich der Canyon vor Jahrmillionen tief eingegraben hatte. Ein uralter, halbverdorrter Baum erhob sich in der Mitte des sonnenbeschienenen Schluchtbodens. Wegen des Wassers wuchsen Büsche und Pflanzen hier dichter als im staubtrockenen Hauptcanyon. Aber die meisten dieser einheimischen Gewächse kannte Pieter nicht und wusste nicht ob sie überhaupt genießbar waren. Möglicherweise waren sie hochgiftig. Also rührte er sie lieber nicht an, obwohl er seit einiger Zeit nagenden Hunger verspürte. Er füllte nur seine kleine Wasserflasche aus dem Teich und legte sich eine Weile im Schatten der Felswände zur Ruhe. Nach einigen Minuten schlief er erschöpft ein.

 

Als Pieter mit einem jähen Ruck erwachte, schien die Tageszeit schon weit fortgeschritten. Er bedauerte den Umstand, in Sarazeen keinem der Toten den Kommunikator abgenommen zu haben. So konnte er die Tageszeit nur grob schätzen, da die Sonne in der engen Schlucht inzwischen nicht mehr zu sehen war. Nur der obere Teil der östlichen Schluchtwand war noch von gelblichen Sonnenstrahlen beschienen. Es musste also schon gegen Abend sein und in ein paar Stunden würde es am Grund der Schlucht zu dunkel zum Weitergehen sein.

Pieter erhob sich vorsichtig und spürte genug Kraft in den Beinen, um noch bis zur Dunkelheit weiterzugehen. Er trank noch einmal aus dem Teich und ging, auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf für die Nacht, weiter die enge Schlucht hinauf.

Nach einigen hundert Meter kam er an eine Engstelle, hinter der sich die Seitenschlucht zu einem kleinen Talkessel weitete. Auf dem etwas tiefer gelegenen Grund der flachen Senke gewahrte Pieter im Abendlicht etwas völlig Unerwartetes und blieb erschrocken stehen.

In der Mitte der etwa hundert Meter durchmessenden Fläche stand ein exakter Kreis aus rechteckig behauenen Steinstelen. Jemand musste diese etwa fünf Meter hohen, dunkelgrauen Steine hierhergeschafft, exakt ausgerichtet und aufrecht hingestellt haben. Das musste bereits vor langer Zeit geschehen sein, denn einige der Stelen standen schief und waren schon ziemlich abgebröckelt. Pflanzenwuchs hatten sich zwischen ihnen breit gemacht und und tat das Seine zum allmählichen Verfall dieses archaischen Steinmonuments. Es musste aus der Zeit der ersten Pioniere stammen. Vor tausend oder gar zweitausend Jahren. Aber warum war es dann vor sieben Jahren bei der orbitalen Kartierung des ganzen Planeten nicht entdeckt worden?

Das Faszinierendste an dieser Anlage, aber war das Objekt genau in der Mitte des verwitterten Steinkreises. Dort stand auf einem weißen Steinsockel eine makellose, metallisch schimmernde Kugel. Diese Kugel verlieh dem Platz eine fremde kosmische Aura, wie Pieter sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Es war so, als würde dieses mysteriöse Arrangement nicht auf diesen öden Planeten gehören. Er fühlte sich von der Kugel unwiderstehlich angezogen und ging nach kurzem Zögern die sanfte Böschung des Talkessels hinunter. Direkt vor ihm tat sich der schmale Eingang in den Steinkreis auf.

Pieter schritt andächtig durch die schmale Lücke und trat vorsichtig auf das unebene, stark verwitterte und teilweise bewachsene Steinpflaster im Inneren des Kreises hinaus. Außer der rätselhaften Metallkugel auf dem weißen Sockel konnte er nichts entdecken und der Durchgang hinter ihm war der einzige Zugang in den Kreis. Er trat vorsichtig näher an die mehr als mannshohe Kugel heran und bewegte sich in einigen Metern Abstand um sie herum. Dabei bemerkte er ein leises Summen, das stärker wurde, je näher er der geheimnisvollen Kugel kam. War sie etwa ein technisches Produkt, eine Maschine? Ihre kupferfarbene Oberfläche wirkte so makellos rein, als wäre sie erst vor einigen Stunden hier aufgestellt worden. Aber Schmutz und Pfanzenbewuchs an der Basis der glänzenden Kugel, dort wo sie auf einem weißen Sockel auflag, zeigten dass sie schon längere Zeit hier ruhen musste.

Pieter kannte die Geschichte seines Heimatplaneten ziemlich gut, aber von einem derartigen Monument hatte er noch nie etwas gelesen oder gehört. Waren Fremdintelligenzen vor undenklichen Zeit hier gewesen und hatten sie dieses Objekt als Vermächtnis hinterlassen? Er trat näher an die Kugel heran und streckte langsam den rechten Arm aus, um sie vorsichtig zu berühren. Das Summen war nun deutlicher vernehmbar und wirkte irgendwie moduliert. Wie eine vollkommen fremde Art von Musik oder Sprache.

Pieters Finger waren jetzt nur noch wenige Zentimeter von der glatten summenden Kugeloberfläche entfernt. Doch noch bevor seine Fingerspitzen die Kugel berühren konnten, passierte es. Ein grell-weißer Lichtblitz schien in seinen Körper zu fahren, löschte seine Sinneswahrnehmungen aus und schleuderte ihn hilflos in eine dunkle, eisige Unendlichkeit. Nach einem endlosen Moment furchterregender Ewigkeit umfing ihn gnädig die Bewusstlosigkeit.

Als Pieter nach unbestimmter Zeit wieder zu Bewusstsein kam, brauchte er einige Zeit um die fremdartige Perspektive seiner Wahrnehmung zu realisieren. Die Umgebung war merkwürdig farblos und unscharf geworden. Nur im Zentrum seines Gesichtsfeld war ein heller Kreis in dem alles gut erkennbar war. Er schien leicht und schwerelos etwa zehn Meter über dem Steinpflaster zu schweben und direkt auf die magische Kugel in der Kreismitte herabzusehen. Einige Meter daneben konnte er einen leblosen menschlichen Körper am Boden liegen sehen. Er brauchte einen Moment um zu begreifen, dass es sein eigener, vom Lichtblitz niedergestreckter Körper war. Eisige Panik stieg in Pieter auf. War er von dieser verdammten Kugel mit einem Strahlenblitz getötet worden, weil er sich zu nahe herangewagt hatte? War er dazu verdammt, als hilfloser Geist bis ans Ende der Zeit durch ein gleichgültiges Universum zu irren?

Pieter bemühte sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Kugel zu richten, die sich stark verändert hatte. Sie war jetzt durchsichtig und schimmerte in einem milden bernsteinfarbenen Ton. In ihrem trüben Inneren bewegten sich dunkle schemenhafte Formen, welche gravitätisch umeinander kreisten, manchmal kurz zur Oberfläche empor schwebten und wieder tiefer im Inneren der Kugel verschwanden. Der Rhythmus der summenden Musik schien sich synchron zu den Bewegungen der Formen zu verändern.

Plötzlich vernahm Pieter laut und deutlich eine sanfte Stimme in seinem Kopf. „Bist du suutul? Gehörst du zu den hermetischen Göttern?“

Die Kugel oder jemand in ihrem Inneren sprach zu ihm. Er brauchte einige Sekunden, um seine Überraschung zu überwinden und eine Antwort zu formulieren.

„Wer bist du? Ich weiß nicht, was du meinst.“  Pieter wusste nicht, ob er seine etwas hilflose Antwort nur gedacht oder laut ausgesprochen hatte. Aber die Bernstein-Kugel musste ihn verstanden haben, den sie begann jetzt heller zu strahlen und die Bewegungen in ihrem Inneren wurden schneller.

„Merkwürdig. Du bist ‚suutul‘ und du bist es auch wieder nicht. Erklären,“  verlangte die Stimme in einem bestimmteren Tonfall.

Pieter konzentrierte sich wieder auf seine Antwort.  „Ich heisse Pieter Veserke und bin ein Eingeborener dieses Planeten. Ich weiss leider nicht, was du mit ‚suutul‘ meinst. Kannst du es mir erklären?“

Die Bewegung der Formen in der Kugel wurde hektischer.  „Aber du musst es doch wissen. Du hast dich doch erst vor kurzer Zeit erneuert. Die Bewohner dieses Planeten haben nach meinen Informationen keine aktivierten Nexus-Gene.“

Pieter begann zu vermuten, dass „suutul“ etwas mit seiner Verwandlung nach dem fatalen Experiment in Sarazeen City zu tun haben könnte. „Ich trage möglicherweise Etwas in mir, der ‚suutul‘ ist. Aber ansonsten bin ich ein ganz normaler Mensch dieses Planeten.“

Die Kugel schien sich wieder etwas zu beruhigen. Die Bewegungen im Inneren wurden wieder ruhig und harmonisch, das Leuchten gedämpfter.  „Gut, das ist einigermaßen zufriedenstellend. Du bist also ‚suutul‘ und ein Sohn der ‚Großen Mutter‘. Ich bin übrigens Kustos, ein Bewahrer der kosmischen Ordnung.“

Pieter verspürte große Erleichterung und war gespannt mehr über die sprechende Kugel zu erfahren.  „Ich habe leider noch nie von dir gehört, Kustos. Woher stammst du? Wie bist du hierher gekommen?“

„Ich komme aus der großen Vereinigung und im Grunde war ich schon immer hier. Die Einschränkungen der Raumzeit, in denen ihr gefangen seit,  haben für mich keine Bedeutung.“

Pieter konnte wenig mit dieser Antwort anfangen, begann aber zu ahnen, das die Kugel über große Macht verfügen musste.  „Wie geht’s jetzt weiter? Was hast du mit mir vor, Kustos?“

„Ich habe dich aufgenommen, weil die „Große Mutter’ Hilfe braucht. Sie wird von einem gierigen Moloch ausgesaugt, der durch ein Loch in der Raumzeit kam. Kustos selbst darf nicht helfen. Das wäre gegen das dritte kosmische Gesetz. Was sagst du, Eingeborener? Wirst du helfen?“

Pieter überlegte und versuchte sich das Gehörte zusammen zu reimen. Das mit dem Moloch musste sich auf die COMEX-Gesellschaft beziehen. Mit dem Loch im Raum konnte nur das Raumzeit-Portal im Niram-System gemeint sein. Und die „Große Mutter“ war vermutlich eine Personifizierung der Biosphäre des Planeten. Eine unbestimmte Hoffnung begann in Pieter zu keimen und er formulierte in Gedanken seine Antwort.

„Ich hasse den Moloch, der vor acht Jahren durch das Weltraumportal gekommen ist. Er zerstört und plündert meine Heimat. Seine Handlager verfolgen und töten die Menschen, die sich ihnen zu widersetzen wagen. Erst vor wenigen Tagen haben sie mich gequält und beinahe umgebracht. Auch ich will den grausamen Moloch besiegen und von diesem Planeten verjagen. Aber sieh, ich bin allein und machtlos. Ich habe momentan nichts außer den bloßen Händen und meinem Verstand. Es tut mir leid Kustos, aber ich werde der ‚Großen Mutter‘ wohl wenig nützen können.“

Die Kugel strahlte einige Grade wärmer und schien damit ihre Zufriedenheit auszudrücken.

„Sei voller Zuversicht, Pieter. Du bist ‚suutul‘ und ich kann dir einen Weg aufzeigen, wie du den Moloch in drei Großzyklen besiegen und vertreiben kannst. Ich werde dir vom ‚Leuchtenden Pfad‘ erzählen. Wenn du ihm folgst, wirst du die zerstörerische Macht des Molochs gegen ihn selbst wenden können.“

 

Als Pieter wieder zu sich kam, war es Nacht. Er lag wieder am Boden neben der Kugel und das helle Sternenband des nahen Perseus-Arms funkelten auf herab. Die dicht stehenden Sterne verbreiteten genug Licht, um die Umgebung schemenhaft erkennen zu können. Pieter stand langsam auf und sah sich im dunklen und stillen Steinkreis um. Die große Kugel hatte aufgehört zu strahlen und war jetzt wieder eine leblose stumme Metallkugel. Auch das leise Summen war nicht mehr zu vernehmen.

Waren die Geschehnisse der letzten Stunden nur ein trügerischer Traum gewesen? Gab es diesen Kustos wirklich oder war er eine Einbildung seines gestörten Verstandes gewesen? Aber er konnte sich noch an jede kleine Einzelheit erinnern und alles hatte so real gewirkt. Träume hingegen verblassten nach dem Aufwachen allzu rasch. Konnte der „Leuchtende Pfad“ der so klar und deutlich vor ihm lag, nur ein leeres Hirngespinst sein?

Pieter griff nach der Schultertasche, holte die Wasserflasche hervor und nahm einen tiefen Schluck. 

Ja, er würde es auf alle Fälle versuchen und den mächtigen Moloch herausfordern. Vor allem diesem arroganten, eitlen Oberdirektor würde er zu gern das Fürchten lehren. Und wenn es schiefging, würde er eben den Tod finden. War er nicht schon einmal gestorben?

Bei Anbruch des Tages verlies ein einzelner, aber zu allem entschlossener Mann, mit festen Schritten den uralten Steinkreis und wanderte die kleine Seitenschlucht weiter hinauf zum Hochplateau.

 

Fünf Tage später.

Die vier Männer bewegten sich wegen der aufsteigenden Hitze des Vormittags langsam und bedächtig. Sie versuchten die kümmerlichen Obstbäume mit Schaufeln von den angewehten Sandmassen aus dem angrenzenden Sandmeer zu befreien. Ihre Bemühungen wirkten nicht gerade enthusiastisch und ab und zu war ein leiser Fluch zu hören.

Einer der Männer richtete sich auf und streckte stöhnend den schmerzenden Rücken durch. Dabei glitt sein Blick gleichgültig über den fernen ebenen Horizont. Plötzlich stutzte er und starrte angestrengt in das trostlose Sandmeer hinaus. Schließlich lehnte er seine Schaufel an einen Baumstamm und ging zu einem kleinen, schäbigen Lastwagen mit Ballonreifen hinüber. Er langte durch das offene Seitenfenster in das Führerhaus und holte ein altes abgestoßenes Fernglas hervor. Damit suchte er eine Weile den Horizont ab, bis er einen bestimmten Punkt in der Ferne fixierte.

„He, Lou. Willst dich wohl vor der Arbeit drücken. Was gibt’s denn so Interessantes da draußen?“  rief einer der anderen Männer ärgerlich herüber.

„Kaum zu glauben, aber da kommt einer mutterseelenallein mitten aus dem Sandmeer marschiert,“  rief der Mann mit dem Fernglas zurück. Die anderen drei legten nun ebenfalls ihre Schaufeln beiseite und eilten zum Laster hinüber. Abwechselnd blickten sie durch das Glas und überzeugten sich selbst.

„Wird wohl ein abgestürzter Gleiterpilot dieser verdammten Außenweltler sein.“

„Glaub ich nicht. Die haben doch alle Notsender dabei und werden bei einem Absturz sofort abgeholt.“

„Dann wird’s vielleicht der Bursche sein, den die GSD-Greifer hier letzte Woche gesucht haben,“ sagte der alte bärtige Mann, der der Vorarbeiter zu sein schien.

„Und wie sollte der so lange da draußen überlebt haben. Da gibt’s auf zweihundert Kilometer keinen Tropfen Wasser,“ meinte der lange hagere Lou skeptisch.

„Werden’s ja gleich erfahren. Er kommt genau hierher.“

In der folgenden Viertelstunde verfolgten die Männer im Schatten des Lastwagens müssig das Näherkommen des offenbar erschöpften Wüstenwanderers. Als er auf etwa hundert Meter herangekommen war, konnten sie erkennen, das er einen ziemlich abgerissenen lindgrünen Anzug trug und eine primitive Kopfbedeckung aus Pflanzenhalmen aufhatte. Er schien die Männer überhaupt nicht zu registrieren, bis er wenige Meter vor ihnen anhielt, den Blick erhob und sie schweratmend musterte.

„Wird wohl wieder ziemlich heiß heute,“ meinte er schließlich mit rauer Stimme.

Der Bärtige gab einem seiner Männer einen kurzen Wink und dieser reichte dem erschöpften Wanderer daraufhin eine halbvolle Wasserflasche. Dieser trank ohne Hast in kleinen Schlucken, reichte die leere Flasche zurück und nickte dem Bärtigen dankbar zu.

„Gern geschehen, Wüstenwanderer. Aber jetzt wollen wir wissen wer du bist und was du hier draußen verloren hast.“

„Bin wohl in der Nähe von Schwarzwasser? Stimmt’s?“

Der Bärtige überlegte einige Augenblicke, bevor er antwortete.  „Stimmt. Aber ich hab dich was gefragt.“

„Na, zu meinem Vergnügen bin ich nicht tagelang durch das große Sandmeer gelaufen. Der GSD ist hinter mir her. Habt wahrscheinlich schon davon gehört. Mein Name ist Pieter…Pieter Veserke und ich komme ursprünglich aus Omris.“  Dabei deutete er unbestimmt in Richtung Westen.

Der Wortführer der Arbeiter musterte sein Gegenüber abschätzend.  „Die verdammten GSD-Greifer waren vor ein paar Tagen da und haben einen ganz schönen Wind gemacht. Schwer zu glauben, das sie dich noch nicht geschnappt haben. Die hatten jede Menge Gleiter und sonstige Ausrüstung.“

„Ist eine lange Geschichte und irgendwann werd ich sie euch erzählen. Aber jetzt bringt mich lieber zu eurem Boss,“  sagte Pieter mit fester Stimme.

Der störrische Bärtige war nicht so leicht einzuschüchtern.  „Langsam, langsam. Ich weiß noch nicht ob wir dir trauen können. Kennt dich jemand hier in Schwarzwasser?“

Pieter blickte die vier Männer der Reihe nach durchdringend an, bevor er antwortete.  „Ihr seit bestimmt keine Freunde der Außenweltler aus dem Sternenmeer. Stimmt’s?“

„Und wenn es so wäre?“ brummte der Bärtige verbissen.

„Dann bin ich bei euch richtig. Ich kann euch nämlich zeigen, wie man sich erfolgreich gegen diese verfluchten Ausbeuter wehrt. Schließlich bin ich aus ihrem gut abgesicherten Hauptquartier in Sarazeen entwischt.“

Der lange Lou lachte verächtlich und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Die Sonne hat dir wohl das Hirn verbrannt. Das ist doch unmöglich. Wir sollten dich gleich im Irrenhaus von Omris abliefern.“

Der Bärtige rieb sich unsicher das Kinn und überlegte einige Augenblicke.  „Also gut, Leute. Wir bringen ihn erst mal zum Baschar. Soll der entscheiden, was mit diesem komischen Vogel geschehen soll.“

Zwei der Sandschaufler sprangen auf die Landfläche, während sich der Bärtige und Pieter mit dem Fahrer ins Führerhaus des kleinen Lasters zwängten. Nach einigen leiernden Umdrehungen sprang der Verbrennungsmotor polternd an und das alte Fahrzeug setzte sich qualmend in Bewegung. Der Fahrer hielt den wild hin und her schaukelnden Laster geschickt auf einem kaum erkennbaren Feldweg und kurvte einige Minuten durch die spärlich begrünten Hügel der Obstplantage. Nachdem er einen Hohlweg passiert hatte, öffnete sich der Blick auf eine kleine schäbige Siedlung, die sich in einer windgeschützten Senke ausbreitete.

Es handelte sich um einige Dutzend unscheinbare, ein- und zweigeschossige Bauten, die entlang einer breiten Hauptstraße und einiger Seitenstraßen lagen. Die lehmgrauen Häuser hatten flache Dächer und meist nur wenige schmale Tür- und Fensteröffnungen. Das markanteste Bauwerk war ein uralter, aus roten Lehmziegeln errichteter Vesta-Tempel, dessen von Wind und Wetter angenagter Rundturm dreissig, vierzig Meter in die Höhe ragte. 

Der Kleinlaster erreichte die befestigte Hauptstraße und rollte nun ruhiger und schneller in den staubigen Ort hinein. Die vorbeiziehenden Gebäude machten durchwegs einen schmutzigen und tristen Eindruck. Die wenigen Passanten nahmen von dem vorbeiratternden Fahrzeug kaum Notiz und grüßten die Insassen höchsten mit einem flüchtigen Kopfnicken. 

Hinter einem Marktplatz mit hölzernen Verkaufsbuden, bog der Fahrer von der Hauptstraße ab und fuhr in eine der engen Nebenstraßen. In der Nähe des Vesta-Tempels rollten sie schließlich auf einen kleinen Hinterhof, wo der Fahrer das Fahrzeug abstellte. Mit einigen gurgelnden Umdrehungen erstarb das laute Bullern des Motors.

Die Insassen stiegen aus und gingen zur Hintertür eines unscheinbaren zweigeschossigen Gebäudes. Dort klopfte der Bärtige dreimal, nachdem er sich gründlich nach allen Seiten umgesehen hatte. Nach einiger Zeit wurde die Tür einen Spalt geöffnet und eine junge Frau musterte die fünf Ankömmlinge misstrauisch.

„Du bist’s Lars. Wen hast du denn da mitgebracht?“  Dabei deutete sie mit dem Kopf in Pieters Richtung.

„Hallo, Oliv. Das ist ein Fremder, den wir bei den Obstbäumen am Rand des Sandmeers aufgegabelt haben. Wir müssen mit dem Baschar sprechen.“

Die Frau zögerte, dann öffnete sie die Tür ganz und bat die Männer herein. Die entsicherte Pistole, die sie bisher hinter dem Rücken verborgen gehalten hatte, lies sie unter ihrem weiten Kleid verschwinden.

„Ich geb ihm Bescheid. Geht schon mal rauf in’s Teezimmer.“

Die Männer gingen mit Pieter einen düsteren Gang entlang und dann eine steile Treppe hinauf. Das Teezimmer im Obergeschoss war spartanisch eingerichtet, aber das breite Fenster in der Seitenwand bot einen schönen Ausblick auf den pittoresken Vesta-Tempel. Einige alte abgeschossene Wandteppiche zeigten in naiver Darstellung Szenen dunkler uralter Legenden. Die Männer setzten sich schweigend auf das niedere Sofa in einer Ecke des Raumes oder nahmen vorsichtig auf den wackeligen Stühlen Platz.

Nach einigen Minuten waren vor der Tür feste Schritte zu vernehmen und ein großer Mann mittleren Alters trat in den Raum. Die Wartenden erhoben sich und begrüßten den Eintretenden respektvoll. Er war kräftig gebaut und neigte offenbar etwas zur Korpulenz. Das braune leicht gewellte Haar reichte ihm hinten bis auf die Schultern und wirkte gut gepflegt. Sein bartloses Gesicht mit der markanten Nase war wohlproportioniert und anziehend, zeigte momentan aber nicht, was er dachte.

„Seit willkommen in diesem bescheidenen Haus. Olivia kommt gleich mit Tee und etwas Gebäck.“

Mit einer Geste forderte er seine Gäste auf, wieder Platz zu nehmen.

Der Gastgeber setzte sich auf einen bequemen Lehnstuhl in der Fensterecke und musterte Pieter prüfend mit seinen hellen durchdringenden Augen.  „Ich sehe du hast einen Fremdling mitgebracht, Lars?“

Bevor der Bärtige zu einer Erklärung ansetzen konnte, stieß der große Braunhaarige einen leisen Ruf des Erstaunens aus.  „Bist du das Piet? Ich hab dich in diesem komischen Aufzug nicht gleich erkannt. Ich hörte du wärst auf Nimmerwiedersehen in den Bunkern unter der Pyramide verschwunden.“
Ein leichtes Lächeln huschte über Pieters Gesicht.  „Sieh einer an, der schlaue und unverwüstliche Greg Menere. Freut mich dich gesund und munter wiederzusehen. Hast die Landwirtschaft wohl endgültig aufgegeben. Baschar wirst du jetzt genannt. Willst du am Ende noch ein großer Kriegsherr werden?“

Ein Anflug von Missmut flog über das Gesicht von Baschar Menere.  „Weisst du noch nicht? Unsere Legionen sind von dieser verfluchten Gesellschaft alle aufgelöst worden. Viele Anführer sind in Haft und die meisten Waffen eingezogen oder vernichtet. Aber einiges an Ausrüstung haben wir retten und verstecken können. Wenn’s zum Äußersten kommen sollte, sind wir nicht ganz wehrlos.“

Greg Menere beugte sich vor und musterte den schmutzigen und abgerissen Pieter eingehend.  „Du hast dich ziemlich verändert, Piet. Hast wohl einiges durchgemacht. Wo habt ihr ihn den aufgelesen, Lars?“

Der Bärtige schilderte in kurzen Sätzen das überraschende Auftauchen Pieters aus den lebensfeindlichen Weiten des Sandmeers.

„Wie bist du nur den Häschern des GSD entkommen, Piet? Und wie bist du von Sarazeen durch’s Ödland bis hierher gekommen?“ fragte Greg mit Staunen und Zweifel in der Stimme.

„Nun, das ist ein wahres Wunder. Aber Wunder geschehen immer wieder, Baschar Menere. Und wenn wunderbare Dinge geschehen, stehen Zeiten des Wandels bevor. Ich bin gekommen, um euch den Weg zu zeigen, wie man den unbesiegbaren Moloch aus der Außenwelt besiegen und vertreiben kann.“

„Hab’s doch gleich gesagt. Der ist total verrückt!“ protestierte der lange Lou verärgert. „Und wenn er ein Agent des GSD ist? Sein Auftauchen hier ist doch sehr verdächtig. Am besten werfen wir ihn erst mal ins Loch.“

Pieter drehte sich halb zur Seite, um den feindseligen Lou ins Auge zu fassen.

„Kein Sicherheitschef würde sich für einen seiner Agenten eine so unwahrscheinliche und fantastische Geschichte ausdenken. Oder Lou? Glaub mir, diese gerissene Deres Vox hätte sich was viel Besseres ausgedacht.

Außerdem kann mein alter Freund hier bestätigen, das ich von Anfang an ein Gegner der Gesellschaft war. Und auch in Omris findet ihr eine Menge Leute, die für mich bürgen werden.“

Greg Menere nickte nach kurzem Zögern.  „Nun, ich glaube wir müssen dir erst mal vertrauen, Piet. Nun erzähl uns mal deine Geschichte.“

„Wie groß ist denn deine Truppe, Baschar? Ich schätze nicht mehr als ein paar hundert Männer mit alten Gewehren und einigen Geländewagen. Ein offener Kampf mit den gut ausgerüsteten Schutztruppen der Gesellschaft kommt da erst mal nicht in Frage. Die haben jede Menge Panzer, Gleiter und Drohnen.

Aber diese Fremdlinge sind nur in den großen Städten wirklich stark. In den Ödländern sind ihre Truppen so gut wie nicht präsent und auch ihre Luftüberwachung ist dort lückenhaft. Dort können wir ungestört eine Befreiungsarmee aufstellen und verbergen. Genügend Männer, die bereit sind für die Freiheit zu kämpfen und notfalls zu sterben, werden sich finden. Und wenn wir dann soweit sind, schlagen wir überraschend aus dem Hinterhalt zu. Mit einem vernichtenden Schlag können wir uns von den fremden Ausbeutern befreien. Die tatsächliche Kampfkraft ihrer militärischen Schutztruppe ist gar nicht so groß, wie immer behauptet wird.“

„Aber was ist mit Waffen und Ausrüstung? Wo bekommen wir die her, du Genie?“  warf der skeptische Lou ein.

„Die einfachen Waffen können wir selbst herstellen. Und was wir sonst noch an Technologie und Ausrüstung brauchen, holen wir uns von der Gesellschaft. Es gibt dort genug korrupte Angestellte, die für ein paar Soli die eigene Großmutter verkaufen würden.“

Baschar Menere kratzte sich zweifelnd am Kinn.  „Es kann Jahre dauern, bis wir eine Armee aufgebaut haben, die stark genug ist. Sollen wir denn in der Zwischenzeit ruhig dabei zusehen, wie sie unseren Planeten zu Grunde richten?“

Pieter schüttelte heftig den Kopf.  „Nein, Greg. Wir werden nämlich gleichzeitig in den Städten Terrorzellen aufbauen und jede Schwachstelle der Gesellschaft attackieren. Wir sabotieren ihre Infrastruktur, verbreiten Angst und Schrecken mit Bomben und Attentaten. Wir werden sie provozieren, bis sie den Verstand verlieren und Fehler begehen. Wenn die Repression der Gesellschaft zunimmt, wird der Bevölkerung bald nichts anderes übrig bleiben, als uns zu unterstützen. Die Fremdlinge glauben sie seien stark und mächtig, weil sie viel Geld und Technik haben, aber in Wirklichkeit sind sie erbärmlich schwach.“

Baschar Menere erhob sich erregt aus seinem bequemen Sessel. Er sah den anwesenden Männer prüfend in die Gesichter und sah die aufkeimende Hoffnung darin.  „Nun gut. Lasst uns sehen was wir tun können.“

 

Der Anschlag

Fremdintelligenzen – Warum ist die, weit in den interstellaren Raum vordringende Menschheit, in den vergangenen Jahrtausenden nie auf eine andere zivilisierte intelligente Lebensform gestoßen? Die meisten der exoterrestrischen Planeten, die bisher entdeckt und erforscht wurden, trugen nur einfache einheimische Lebensformen, wie Bakterien oder einfache Moose und Pflanzen. Auf einigen wenigen Planeten fanden sich auch höher entwickelte Lebensformen, wobei die imposanten Riesenechsen von PYHLOS eine Ausnahme darstellen. Die erhoffte oder auch befürchtete Begegnung mit fremden Intelligenzwesen ist bis jetzt aber ausgeblieben.

Die Diskussion über die Gründe für diese Tatsache spaltet die Wissenschaftler derzeit in zwei Lager. Die einen glauben an die Einmaligkeit der menschlichen Zivilisation im ganzen Universum. Die äonenalten Artefakte auf NEU DELOS, die auf eine untergegangene fremde Zivilisation hindeuten könnten, tun sie als Fälschungen ab und die Berichte über ähnliche Funde im SIRTIS-System als dunkle unbestätigte Legenden. Andere Wissenschaftler rechnen noch mit einen Zusammentreffen mit fremden Zivilisationen. Sie weisen dabei auf die unendlichen Weiten des Universums hin. Die Menschen haben erst einen verschwindenden Teil davon mit Raumfahrzeugen erreicht und genauer erforscht. Irgendwann in der Zukunft wird man sich möglicherweise doch noch mit, möglicherweise feindlichen Fremdintelligenzen auseinander zu setzen haben.

Datei der Portalautorität

 

Mit einem kaum hörbaren Zischen verschwand die Automatiktür blitzschnell in der Wand und die dezente Geräuschkulisse eines großen Geschäftsgebäudes drang plötzlich in das schallisolierte Direktionsbüro. Sicherheitschefin Deres Vox blickte überrascht von ihrem Visiopult auf und verzog das Gesicht kurz zur Andeutung eines verbindlichen Lächelns.

„Oh, Hallo. Du bemühst dich persönlich hierher. Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

Jercy Vox blieb einige Augenblicke im Eingang stehen, um ihre Augen an die gedämpfte Beleuchtung im Büro ihrer Schwester zu gewöhnen.

„Hallo Deres. Brauche ich denn einen besonderen Grund um meine große Schwester sehen? Wir arbeiten nur durch wenige Stockwerke getrennt im gleichen Gebäude, aber du scheinst mir in letzter Zeit aus dem Weg zu gehen. Du bist mir doch nicht wegen irgendetwas böse?“

Unaufgefordert trat Jercy näher und machte es sich auf einem der hohen Sitzpolster bequem. Mit leicht geneigtem Kopf und einem schelmischen Lächeln im Gesicht sah sie zu ihrer älteren Schwester hinüber.

„Du weist doch, das ich eine Menge um die Ohren habe,“ antwortete diese seufzend. „Bin gerade dabei den Umzug meiner Abteilung in das neue Direktionsgebäude zu organisieren. Wir dürfen deswegen aber keinen Augenblick handlungsunfähig werden. Außerdem macht mir die Sicherheitslage immer noch zu schaffen. Du bist daran ja nicht ganz unschuldig. Ist bei deinen Experimenten inzwischen etwas herausgekommen?“

Jercy zeigte entschuldigend die leeren Handflächen.  „Leider nein. Ich fürchte solange wir keine neuen Rendova-Zellen auftreiben, kommen wir nicht weiter. Wir haben zwar einige Gensequenzen der Rendova im Computer, aber das wird wohl nicht reichen. Wir kommen bei der Aufschlüsselung einfach nicht voran. Das ist um einige Größenklassen komplexer als der DNA-Code des terrestrischen Lebens. Sechs verschiedene Nucleotide! Und wir wissen kaum etwas über den Reproduktionsprozess und den Zellstoffwechsel. Um das richtig zu verstehen, brauchen wir noch Jahre.“

„Das ist wohl alles eine Nummer zu groß für dich geworden. Du hast dich mal wieder gewaltig überschätzt Schwesterchen,“ versetzte Deres etwas enttäuscht und ärgerlich.

„In den großen Biolabors auf ‚Maren IV‘ käme ich sicher besser voran. Hier auf ‚Pharsalos‘ sind meine Möglichkeiten doch ziemlich eingeschränkt. Ich bräuchte Zugang zu einer Super-KI. Aber wenn ich zum ‚Prometheus’-Projekt zurück will, müssten wir wohl oder übel offenlegen, was wir hier, im Verborgenen so alles gemacht haben. Und das will unser geliebter Oberdirektor bestimmt vermeiden.“

Deres starrte einige Augenblicke nachdenklich in Richtung der geschlossenen Automatiktür. Dann nickte sie leicht und blickte wieder zu ihrer Schwester hinüber.

„Auf offiziellem Wege sind keine weiteren dieser ominösen Rendova-Zellen zu bekommen. Saltzmann hat’s schon versucht. Angeblich sind keine mehr vorhanden. Außerdem fangen sie auf ‚Sarthag‘ schon an Fragen zu stellen. Aber vielleicht hilft’s wenn ich einen meiner eigenen Agenten nach ‚Rendova‘ schicke. Das dauert zwar einige Zeit, aber es ist unsere letzte Möglichkeit.“

„Gut und ich mache einstweilen weiter mit meinen Versuchsreihen. Vielleicht klappt’s ja doch noch. Zu dumm, das wir die sterblichen Überreste von Proband Zweiundvierzig  nicht mehr gefunden haben. Dann könnte ich wahrscheinlich feststellen, was die fremde DNA mit ihm angestellt hat.“

Deres stand hinter ihrem breiten Pult auf und begann unruhig auf und ab zu gehen. „Ich bin vom Tod deines entsprungenen Versuchskaninchens noch nicht ganz überzeugt. Wir haben zu wenig qualifiziertes Personal im Einsatz und die Möglichkeiten auf diesem unzivilisierten Planeten unterzutauchen sind einfach zu groß. Glaub mir, ich kenne mich mit sowas aus. Ich bin erst restlos überzeugt, wenn mir jemand seine sterblichen Überreste vorweisen kann.“

„Ach, mach dich nicht verrückt Deres,“ meinte Jercy leichthin. „Das ist jetzt schon mehr als ein halbes Jahr her. Bei den gravierenden Veränderungen in seiner Biologie ist er wahrscheinlich schon nach ein paar Tagen elendig krepiert. Sein Kadaver liegt wahrscheinlich irgendwo in der Wildnis herum oder ist von Goon Goons aufgefressen worden.“

„Kann schon sein. Aber ich bin, wie gesagt noch skeptisch. Auf alle Fälle bleiben alle verfügbaren Kräfte einstweilen an dem Fall dran. Irgendwann wird sich das Rätsel schon auf die eine oder andere Art aufklären. Ach, ich hasse offene Fälle!“

Jercy nahm auf dem Sitzpolster eine bequemere Haltung ein und folgte ihrer hin und her gehenden Schwester mit den Augen.  „Wirst schon wissen was du tust, Deres. Schließlich hat es seit eurer großen Verhaftungsaktion keine Anschläge mehr gegeben. Sieht ganz so aus, als hätte sich die lächerliche Untergrundorganisation der Pharser einfach in Luft aufgelöst.“

Deres Vox blieb abrupt stehen und drehte sich zum großen Außenbildschirm herum, damit Jercy den aufflammenden Ärger in ihrem Gesicht nicht sehen konnte. Den glitzernden Spiegel des Großen Salzsees und die fernen bläulichen Bergketten, die sie schon so oft bewundert hatte, nahm sie nur am Rande wahr.

„Gerade diese Ruhe macht mich stutzig. Meistens kommt es nach so einer Großaktion zu Verzweiflungstaten von Versprengten und Protesten von Sympathisanten. Aber hier? Gar nichts. Nur Gerüchte über geheimnisvolle Aktivitäten in den Siedlungen am Rand der Ödländer. Und wenn wir dann ein Kommando hinschicken und nachforschen ist nichts mehr festzustellen. Auch die psychomechanischen Verhöre verlaufen neuerdings alle erfolglos. Kannst du mir das erklären?“

Jercy stand mit einem Ruck auf und trat neben ihre Schwester. „Du bist doch nicht wirklich besorgt, Deres? Was können diese unterentwickelten Eingeborenen denn schon gegen uns unternehmen? Du hast ihnen doch die Anführer und die Waffen abgenommen.“

„Diese Eingeborenen, wie du sie nennst, sind gefährlicher als du denkst. Wir sollten sie nicht unterschätzen. Schließlich kennen sie diesen Planeten wie ihre Westentasche. Wir hingegen sind erst einige Jahre hier und an die Annehmlichkeiten einer technisierten Zivilisation gewohnt. Von dem, was in den besiedelten Territorien und den Ödländern wirklich vorgeht, haben wir trotz Raum- und Luftaufklärung wenig Ahnung. Wenn dieser Veserke doch überlebt hat und sich zu seinen Leuten durchschlagen konnte, können wir uns auf einiges gefasst machen. Er brütet vielleicht genau in diesem Moment eine gigantische Teufelei aus und wir können nichts dagegen tun, als abwarten. Das macht mich noch verrückt!“

Jercy legte ihrer besorgten Schwester die Hand auf die Schulter und wollte gerade einige beruhigende Worte sagen, als ein undeutlicher Schatten über den großen Außenbildschirm huschte. Im nächsten Moment ging ein harter Schlag durch das Gebäude und brachte Fussboden und Displaywände zum Erzittern. Die Außenmikrophone übertrugen ein dumpfes Grollen und Rumpeln. Einige der kleineren Wanddisplays erloschen und zeigten nur noch graue Störungsmuster.

Während der Alarmton laut gellend durch das Büro schallte, stürzte Deres an ihr Pult zurück und tippte mit rasenden Fingern auf einigen Schaltfeldern herum. Augenblicke später wechselte das Bild auf dem großen Wandschirm und zeigte nun die Aussicht von der Spitze der alten Pyramide in Richtung Süden über das Stadtzentrum von Sarazeen City. 

„Oh finsterer Mahlstrom der Raumzeit,“ entfuhr es ihr unwillkürlich, als sie Katastrophe erfasste, die sich ihren Augen darbot. Die neue, eben fertiggestellte Zentrale der Gesellschaft stand nur zweihundert Meter südlich der älteren COMEX-Pyramide, in der sich die beiden Schwestern gerade aufhielten. Die glatte glänzende Westseite des dreihundert Meter hohen pyramidenförmigen Gebäude wies auf halber Höhe einen hässlichen gezackten Krater auf, der unaufhörlich Massen von fettem dunkelgrauem Rauch ausspie, die sich über das Antlitz der Stadt zu legen begannen. Am Rand des hässlichen Loches schlugen helle Flammenzungen aus dem verwüsteten Inneren des Gebäudes. Einige grotesk verdrehte Trümmer der Fassade hingen noch am Rand des rauchenden Kraters, während andere Teile auf den Vorplatz der neuen Pyramide geschleudert worden waren, wo panische Menschen wild durcheinander liefen.

Nach einigen Sekunden löste sich die Schockstarre von Deres und sie drückte eine der fordernd blinkenden Schaltflächen auf ihrem Pult. Eine aufgeregte, sich fast überschlagende Männerstimme erfüllte den Raum.

„Hier spricht Wachmeister Keen, Hauptwache Gebäude Süd. Ein Passagiergleiter ist soeben mit hoher Geschwindigkeit in’s Gebäude gerast. Hab’s genau gesehen. Der hat nicht mal versucht auszuweichen. Hat sogar noch beschleunigt. Nicht zu fassen. Einfach nicht zu fassen.“

Deres unterbrach den geschockten Mann bevor er weiterreden konnte.  „Hören sie zu, Wachmeister. Sie müssen das Gebäude umgehend evakuieren lassen. Haben sie mich verstanden? Wo steckt überhaupt der Wachhabende?“

„Verstanden! Sofortige Evakuierung! Geht klar. Wo Inspektor Gersten steckt…“

„Schon gut Wachmeister Keen. Führen sie meinen Befehl aus. Ende.“

Deres unterbrach die Verbindung und schaltete sich in die Verbindung zur Sicherheitszentrale. Dort holte sie ihren Stellvertreter vor den Bildschirm.

„Hör zu, Brock. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Anschlag mit einem Fluggleiter. Wir müssen umgehend den Luftraum über der Stadt sperren und das Luftabwehr-System aktivieren. Kann sein, das noch weitere dieser fliegenden Bomben im Anflug sind.“

Der Mann auf dem Bildschirm starrte sie zunächst nur sprachlos an.

„Los mach schon! Sofort!“ herrschte Deres ihn wütend an.

Der Stellvertreter nickte verwirrt und verschwand vom Bildschirm. Im Hintergrund konnte Deres das Chaos in der verbunkerten Zentrale tief unter der älteren Pyramide erkennen. Leute in den schwarzen Uniformen des GSD liefen scheinbar sinn- und ziellos zwischen den Kontrollpulten hin und her. Der Tonkanal übertrug den entnervenden Ton von Alarmsirenen und die chaotischen Ausrufe des überforderten Personals.

„Sieh mal, Deres“, rief Jercy aufgeregt und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf einen der kleineren Bildschirme. „Da kommt was aus Norden genau auf uns zu!“

Deres drehte den Kopf in die angegebene Richtung und erstarrte im nächsten Moment. Ein kleiner Fleck am wolkenlosen Himmel wurde schnell größer und entpuppte sich bald als Umriss eines Fluggleiters, der direkt in den Bildschirm hinein zu rasen schien.

„Verdammt noch mal, wo bleibt bloß unsere Flugabwehr! Der trifft uns doch voll!“

In diesem Moment zuckte ein Blitz auf und schien für einen Augenblick eine gleißende Lichtbrücke zum Fluggleiter herzustellen. Dann blähte sich der Gleiter plötzlich zu einem blendenden Feuerball auf und Augenblicke später dröhnte eine mächtige Explosion aus den Lautsprechern. Gezackte Fragmente kamen aus der rasch expandierenden Explosionswolke zum Vorschein und schwirrten, dünne Rauch- und Flammenschweife hinter sich her ziehend, weiter auf das Gebäude zu. Drei, vier größere Trümmer schlugen krachend in die Fassade der Pyramide ein. Das Bild auf dem Schirm wurde kurz unscharf und erzitterte, bevor es sich wieder stabilisierte.

Deres stieß erleichtert den angehaltenen Atem aus.  „Oh, das war aber knapp!“

Auch Jercy löste sich aus ihrer Erstarrung und eilte zur aufgleitenden Tür. Unter dem Türrahmen wandte sie sich noch einmal zu ihrer Schwester um.  „Ich muss in die Notaufnahme. Gibt sicher eine Menge Schwerverletzte.“

„Stimmt. Du bist ja Ärztin. Hab ich in der Aufregung ganz vergessen,“ meinte Deres bedrückt. „Und ich geh besser in die Zentrale hinunter. Muss mich sofort um Gegenmaßnahmen kümmern.“

 

Wenige Stunden später.

In der militärischen Zentrale unter der Pyramide war die anfängliche Panik inzwischen fieberhafter Aktivität gewichen. Die Männer und Frauen saßen konzentriert auf ihren Plätzen, sprachen mit Außenstellen rund um den Planeten, nahmen Meldungen entgegen und erteilten Anweisungen.

Deres Vox hatte sich in eine kleine gläserne Kabine am Rand der Zentrale zurückgezogen, um ein Gespräch zu führen, das sich jetzt nicht mehr länger hinauszögern lies. Bevor sie die grüne Verbindungstaste berührte, holte sie noch einmal tief Luft. Schon nach wenigen Sekunden wurde der Bildschirm hell und zeigte das Zustandekommen der Verbindung an.

„Guten Tag, Herr Oberdirektor. Tut mir leid, das ich erst jetzt Zeit für sie habe. Aber die Lage ist ernst und ich muss mich um eine Menge Dinge kümmern.“

Das leicht gerötete Gesicht auf dem kleinen Bildschirm verriet überdeutlich den Ärger von Oberdirektor Saltzmann. „Sparen sie sich ihre Entschuldigungen, Deres. Ich will endlich wissen was bei euch drüben los ist. Hier in Miramar kursieren bereits die schauerlichsten Gerüchte.“

„Nun, es gab Selbstmordanschläge mit Fluggleitern, aber jetzt haben wir die Lage wieder unter Kontrolle.“  Deres bemühte sich möglichst sachlich und ruhig zu sprechen, obwohl ihr der Schock immer noch in den Knochen steckte.  „Die neue Pyramide ist schwer beschädigt worden. Es gab etwa zweihundertfünfzig Tote und sechshundert Verletzte. Endgültige Zahlen liegen noch nicht vor, da wir in einige Gebäudeteile noch nicht vordringen konnten. Ein Anschlag auf das alte Gebäude konnte zum Glück von der Flugabwehr im letzten Moment vereitelt werden.“

„Es stimmt also doch. Das waren bestimmt diese fanatischen Rebellen.“  Oberdirektor Saltzmann rang sichtlich um seine Fassung.

„Das ist noch nicht alles. Ein schwerer Lastgleiter ist mitten in’s Kraftwerk von Sarazeen geflogen und hat Block II schwer beschädigt. Inzwischen konnte Block I zwar wieder ans Netz gehen, aber die Energieversorgung von Sarazeen City kann nur auf einem minimalen Niveau aufrecht erhalten werden. Bis Block III fertiggestellt ist, werden wir uns also etwas einschränken müssen.“

„Verdammt, das kann wichtige Lieferungen verzögern. Und das gerade jetzt, wo die Sollzahlen wieder erhöht worden sind. Und wie sieht’s momentan bei euch aus? Besteht noch die Gefahr weiterer Anschläge?“

Deres versuchte Zuversicht zu vermitteln.  „Ich habe den Katastrophenfall ausgerufen und den Luftraum über Sarazeen City weiträumig sperren lassen. Kampfgleiter und Drohnen fliegen ununterbrochen Patrouille. Truppen und Sicherheitskräfte stehen in Bereitschaft. Seit zehn Uhr ist auch nichts mehr passiert. Ich glaube sie können mit entsprechendem Begleitschutz hierher zurückkehren.“

Der Oberdirektor überlegte einige Sekunden, dann straffte er sich und blickte mit unbewegter Mine in die Kamera.  „Ich werde mich gleich auf den Weg machen, wenn die Eskorte hier eingetroffen ist. Wissen sie schon wer hinter diesem ganzen Wahnsinn steckt? Sie sagten was von Selbstmordattentätern. Ist denn das zu fassen.“

Deres befeuchtete kurz ihre trockenen Lippen bevor sie antwortete. Sie musste nun mit einem weiteren heiklen Punkt herausrücken.  „Inzwischen kursieren ein Bekenner-Video und ein Manifest der Terroristen im Netz. Es scheint sich um eine neue ultraradikale Gruppe der rebellierenden Pharser zu handeln. Sie nennen sich das ‚Schwarze Banner‘ und haben uns soeben den Krieg bis zum Äussersten erklärt. Wir werden zur Kapitulation aufgefordert und sollen innerhalb von sechs Monaten den Planeten räumen. Außerdem soll das Raumzeit-Portal im Niram-System ihrer Kontrolle übergeben werden.“

Oberdirektor Satzmann lachte kurz und humorlos auf.  „Sind die komplett verrückt! ‚Schwarzes Banner‘, so was Albernes hab ich noch nie gehört. Wie ich diese pseudoreligiösen Spinner hasse. Aber die werden mich noch kennenlernen.“

„Wenn wir nicht innerhalb von drei Tagen kapitulieren, werden weitere Selbstmord-Angriffe angekündigt. Nötigenfalls wollen sie den ganzen Planeten verwüsten, um uns loszuwerden. Wenn sie mich fragen, ist das gar nicht so komisch, Herr Oberdirektor.“

„Schon gut, Deres. Komisch ist das wirklich nicht“,  meinte der Oberdirektor etwas ruhiger. 

„Da ist noch etwas sehr Beunruhigendes. Der Mann auf dem Bekenner-Video ist uns kein Unbekannter.“  Deres legte kleine Pause ein, um die Spannung zu steigern.  „Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Pieter Veserke. Sie wissen schon. Der Mutant der uns vor acht Monaten aus dem Biolabor entwischt ist. Anscheinend lebt er also noch und hat sich zum Anführer einer gefährlichen Terrororganisation aufgeschwungen.“

Der Oberdirektor schien zunächst nicht zu verstehen. Dann zeigte sich kurz Bestürzung auf seinen Gesichtszügen.  „Das kann doch nicht sein. Das Video ist sicher eine Fälschung.“

Deres schüttelte den Kopf.  „Die KI-Logikauswertung ergibt eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Authentizität des Videos. Und auch mein Gefühl sagt mir, das er es ist.“

Oberdirektor Satzmann schien sich rasch wieder gefangen zu haben.  „Ein Nachgeben kommt natürlich nicht in Frage. Keine Verhandlungen mit diesen Verrückten. Da hilft nur hartes, kompromissloses Vorgehen. Jetzt haben wir endlich einen guten Vorwand die ganze Macht der Gesellschaft gegen diese mörderischen Barbaren einzusetzen.“

Deres nickte zustimmend.  „Bin ganz ihrer Meinung, Oberdirektor. Aber wir werden natürlich Truppenverstärkung brauchen. Mindestens eine weitere Division und eine möglichst lückenlose Raum- und Luftüberwachung muss aufgebaut werden. Schließlich haben wir erst kleine Teile des Planeten richtig erschlossen. Ein großes Mutterschiff im Orbit wäre auch nicht schlecht.“

„Langsam, langsam. Deres. Darüber sprechen wir, wenn ich zurück bin. Schicken sie mir jetzt die Eskorte und bereiten sie für heute Abend eine Besprechung der Abteilungsleiter im Ausweichquartier vor.“

Deres blickte kurz auf die Zeitanzeige am unteren Bildschirmrand.  „Ich erwarte sie dann gegen zwanzig Uhr zurück. Es wird alles vorbereitet sein.“

Der Oberdirektor machte plötzlich einen müden, niedergeschlagenen Eindruck.  „Ach, es ist zum Verrücktwerden. Immer wenn man glaubt, alles läuft schön nach Plan, kommt so was dazwischen.“

 

Das Treffen im Suni-Kloster

Zwei Jahre später.

„Haben sie’s also auch noch geschafft, Baschar.“  Greg Menere grinste amüsiert, als er von der Pforte aus, auf den alten hageren Mann herabsah, der schwer atmend die letzten Stufen des steilen Treppenpfads nahm, der sich in zahlreichen Windung aus dem Tal heraufwand.

„Ausgerechnet ein abgelegenes Suni-Kloster, hoch in den Bergen muss er sich für das Treffen aussuchen. Ist das nicht eine Frechheit?“

Der alte Mann und sein Begleiter traten durch die schmale steinerne Pforte in den kleinen gepflasterten Hof. Eben verglühten die letzten Sonnenstrahlen prächtig an den zerklüfteten ockerfarbenen Berghängen. Der von hohen Mauern und Hauswänden umschlossene Innenhof lag bereits in tiefen Schatten und nur aus zwei schmalen hohen Fenstern fiel etwas Licht auf die drei Männer.

Baschar Sesotri grüßte mit einer nachlässigen Geste seiner rechten Hand und versuchte wieder zu Atem zu kommen.

„Hallo, Greg. Sind die anderen Delegierten auch schon eingetroffen? Haben sie ihn schon gesehen?“

„Die anderen sind schon da und warten drinnen im Berg. Janus soll sich im Kloster aufhalten, hat sich aber noch nicht gezeigt. Es kann also jeden Moment losgehen.“

Der alte Mann sah sich misstrauisch nach allen Seiten um.  „Sind die Sicherheitsvorkehrungen in Ordnung, Greg? Kann man den Leuten hier trauen?“

„Nun, die Suni-Mönche sind keine Freunde der Gesellschaft und die Polizisten im Ort unten gehören zu unseren Leuten. Der Sicherheitsdienst hat sich offenbar nie für das Kloster interessiert, trotz der vielen Pilger. Ich glaube einen besseren Platz für das große Treffen hätte Janus kaum finden können.“

„Na, hoffentlich haben sie recht, Greg. Kennen sie Lee schon? Meinen Leibwächter.“  Er zeigte dabei auf den großen Mann mit dem breiten verschlossenen Gesicht, der schweigend hinter ihm stand. Lee nickte Greg nur kurz zu und verzog keine Miene.

„Hallo, Lee. Warum gehen wir nicht rein, Baschar. Es wird langsam kühl hier draussen.“

Greg führte die Männer zu einem matt erleuchteten Durchgang, der ins Innere, des an die steile Bergwand gelehnten Klosters führte. Im Laufe der Jahrhunderte war der verschachtelte Komplex, Stück für Stück, rund um eine kleine Einsiedelei aus der Zeit der ersten Besiedelung entstanden. Zurzeit hielten sich aber nur wenige Mönche hier auf, da die große Pilgerzeit seit einigen Wochen vorüber war.

Im Gehen beugte sich Baschar Sesotri vertraulich zu Greg hinüber.  „Wissen sie schon Genaueres darüber, was Veserke, oder Janus wie ihr ihn nun nennt, von uns will?“

„Wahrscheinlich geht es um die bessere Koordinierung der verschiedenen Widerstandsgruppen. Man hört von gemeinsamen Aktionen. Manche munkeln auch von einer großen Vereinigung des Widerstands.“

Der alte Baschar lachte grimmig auf.  „Ja, eine Vereinigung unter seiner persönlichen Führung. Dieser Veserke will doch nur alles unter seine Kontrolle bringen. Aber nicht mit mir! Ich habe keine Angst vor diesem vielgesichtigen Magier.“

Die drei Männer stiegen eine steile Treppe hinauf und gelangten zum Eingang eines engen Stollens, der direkt in die Bergflanke hinein führte. Am Ende des gewundenen, etwa hundert Meter langen Stollens betraten sie eine hohe, karg eingerichtete Felskaverne. Der Boden, der etwa vierzig Meter weiten Höhle war exakt geebnet worden, während die Wände noch viele natürliche Unebenheiten und Spalten aufwiesen. Die gegenüberliegende Felswand war vom Boden bis zur düsteren Höhlendecke mit einem verblassten und verrußten Fresko bedeckt, das noch aus der Frühzeit der Besiedlung stammen musste. Es zeigte wilde Knäuel bestialischer Tiere, die eine blasphemische halbmenschliche Dämonengestalt in ihrer Mitte umschwärmten.

Vier Stehlampen beleuchteten einen Bereich in der Mitte der Höhle. Dort saßen bereits acht Personen um einen großen runden Tisch, unterbrachen ihre leisen Unterhaltungen und sahen gespannt zu den Eintretenden hin. Nach einer knappen Begrüßung, nahmen auch die drei neu Angekommenen am Tisch Platz. Nachdem man sich einige Minuten schweigend gemustert hatte, ergriff Baschar Sesotri schließlich die Initiative.

„Dieser Veserke hat sich da einen ziemlich obskuren Ort für unser Treffen ausgesucht. Dieser muffige Kultraum ist nicht gerade erhebend für das Gemüt. Wo steckt der große Magier überhaupt?“  Der Alte drehte sich herum und versuchte in den dunkleren Bereichen der Höhle etwas zu erkennen. „Ist keiner von seinen Leuten da? Verdammt! Sind wir ganz alleine hier?“

Die einzige Frau in der Runde, Richterin Tsui, beugte sich etwas vor und antwortete mit gedämpfter Stimme.  „Ich glaube, dass wir genau beobachtet und abgehört werden, Baschar. Veserke wird erst auftauchen, wenn er es für richtig hält. Er tritt erst auf, wenn die Spannung auf dem Höhepunkt ist.“

„Ich schätze solche Psychotricks gar nicht. War wahrscheinlich doch ein Fehler hierher zu kommen. Wenn er nicht bald erscheint, verschwinde ich wieder.“  Die letzten Worte sprach der General mit deutlich erhobener Stimme.

Greg sah den Moment gekommen, um in das Gespräch einzugreifen.  „Wir können in der Zwischenzeit ja schon mal die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen unseren Widerstandsgruppen ausloten. Dann können wir uns immer noch anhören, was Janus zu sagen hat.“

Der alte Baschar nickte gönnerhaft.  „Gut, Greg. Fangen wir schon mal an. Warum sollten wir Veserke überhaupt brauchen, um unseren Kampf zu koordinieren? Auf seinen Ruf als Wundertäter, den er beim einfachen Volk hat, gebe ich nicht viel.“

„Warum so skeptisch, Baschar? Glauben sie nicht an Wunder?“

Die Personen am Tisch fuhren überrascht auf. Hinter Baschar Sesotri war lautlos eine Gestalt in einem weiten, braunen Kapuzenmantel aus dem Schatten aufgetaucht. Der Mann war mittelgroß, hatte schulterlanges dunkles Haar und einen dichten Vollbart. Mit leisen Schritten kam er näher an den Tisch heran.

„Guten Abend. Ich freue mich, dass sie alle meiner Einladung gefolgt sind. Besonders ihr Erscheinen ehrt mich, Baschar Sesotri. Für die Beschwerlichkeiten, die ich ihnen zugemutet habe, möchte ich mich entschuldigen. Wir müssen eben sehr vorsichtig sein. Die Agenten der gefürchteten Deres Vox können überall sein.“

Der Neuankömmling schritt langsam um den Tisch herum und blickte dabei jedem der stummen Besucher kurz in die Augen. Der alte abgebrühte Baschar hatte sich als erster wieder in der Gewalt.

„Was soll dieser theatralische Auftritt, Herr Veserke? Glauben sie, sie können uns damit beeindrucken?  Sparen sie sich diesen Hokuspokus doch für ihre Gläubigen auf.“

Der Kapuzenmann hatte den Tisch jetzt fast umrundet und blieb dicht hinter Lee, dem Leibwächter des alten Baschars stehen. Lee zeigte plötzlich deutliche Anzeichen von Nervosität und begann zu schwitzen. Er ballte krampfhaft die Hände unter dem Tisch, drehte den Kopf leicht zur Seite und versuchte verstohlen hinter sich zu blicken.

„Was haben wir denn da. Einen Verräter am Rand der Panik,“  sagte der bärtige Mann hinter ihm, leise und bedrohlich.  „Hast du deinen Peilsender schon aktiviert?“

Lee sprang hoch und versuchte gleichzeitig mit der Rechten nach der Waffe unter seiner Jacke zu greifen.  „Du teuflische Missgeburt! Jetzt ist es aus mit dir!“ gellte es hallend durch die Felsenhöhle. Doch bevor die anderen Versammlungsteilnehmer begriffen hatten was geschah, lag Lee bereits stöhnend am Boden. Der Mann im Kapuzenmantel stand breitbeinig über ihm, die kurzläufige Flechette des Leibwächters, wie hingezaubert in der rechten Hand.

„Wo ist der Peilsender, den dir deine Chefin gegeben hat? Los, red schon, sonst wird es richtig unangenehm für dich.“

„Ein Schwarzes Loch soll dich verschlingen, du verdammter Hexer!“ stieß der am Boden Liegende mühsam hervor.

Der sinistre Kapuzenmann beugte sich tiefer zu dem Leibwächter hinunter und sah ihm tief in die Augen. Lee wand und verkrampfte sich unter dem durchdringenden Blick des Magiers. Nach etwa dreissig Sekunde entspannte er sich wieder und wurde ruhig.

„Also noch einmal. Was ist mit dem Sender?“

Der Leibwächter presste die Lippen aufeinander, aber schließlich begann er stockend und leise zu reden.

„Also gut…hör auf damit. Der Sender ist in der Innentasche der Jacke…Hab ihn noch nicht aktiviert…Musste erst sichergehen, das du auch wirklich hier bist…Die Generalinspektorin ist vor allem an dir interessiert. Sie will dich um jeden Preis ausschalten.“  Der grobschlächtige Lee verzog das Gesicht kurz zu einem schiefen Lächeln.  „Auch wenn’s heute Nacht nicht klappt. Einmal werden wir dich schon kriegen, du Missgeburt.“

Janus packte den schlaffen Leibwächter am Kragen seiner Jacke und riss ihn in die Höhe. Baschar Sesotri hatte seine Überraschung inzwischen überwunden, erhob sich und trat an die beiden Männer heran.  „Was soll das jetzt wieder, Herr Veserke? Soll das heißen, dass Lee für den Sicherheitsdienst der Gesellschaft arbeitet? Das glaub ich einfach nicht.“

Statt einer Antwort griff Janus unter die Jacke von Lee, zog nach einigem Suchen eine kleines längliches Gerät hervor und reichte es dem Baschar.  Der Alte nahm das kleine Ding vorsichtig in die Hand und betrachtete es von allen Seiten.

„Sie berühren besser keine von den kleinen Tasten. Sonst wird der Peilsender doch noch aktiviert, Baschar.“

Sesotri legte das kleine Ding sachte auf den Konferenztisch, damit auch die Anderen es sehen konnten.  „Ich kenne mich mit sowas nicht so gut aus. Scheint aber tatsächlich ein Peilsender der Außenweltler zu sein.“

Die Personen am Tisch starrten wie hypnotisiert auf das kleine Ding, als könnte es jeden Moment wie eine Bombe hochgehen.

„Das ist ja unglaublich! Wir sind unterwandert worden! Besser wir verschwinden gleich wieder von hier,“  stieß der alte Baschar schließlich erregt hervor und wandte sich zum Gehen.

„Immer mit der Ruhe, Baschar. Sie haben doch gehört, dass der Sender noch nicht aktiviert wurde. Solange der Sicherheitsdienst auf das Peilsignal wartet, sind wir hier ziemlich sicher. Wir haben also noch genug Zeit, um einige wichtige Dinge zu besprechen,“ beruhigte Janus die versammelten Anführer des Widerstands. Der alte Baschar überlegte einige Augenblicke, dann kehrte er auf seinen Platz am Tisch zurück.

„Also gut, machen wir weiter. Mal hören, was sie zu sagen haben. Aber machen sie’s kurz.“

Auf ein Handzeichen von Janus erschienen zwei Männer in braunen Kapuzenmänteln und brachten den teilnahmslosen Lee hinaus. Als sie im Zugangsstollen verschwunden waren, stellte Janus sich an das Kopfende des Tisches, sah jedem der Konferenzteilnehmer kurz in die Augen und begann zu reden.

„Ich glaube die Zeit ist reif, unsere Kräfte endlich zu vereinigen und einen großen Schlag gegen die unersättlichen Außenweltler zu führen. Gemeinsam sind wir stark.“

Baschar Sesotri lachte kurz und trocken auf, worauf Janus beschwichtigend eine Hand hob.

„Ich weiß sie sind skeptisch, Baschar. Sie glauben nicht, das wir viel gegen den hochtechnisierten Sicherheits- und Militärapparat der Gesellschaft ausrichten können. Aber gerade die technische Überlegenheit wird den Unterdrückern zum Verhängnis werden. Die Gesellschaft verlässt sich zu sehr auf Beobachtungssatelliten, Aufklärungsdrohnen, Intelligente Netzwerke, Künstliche Intelligenz und autonome Systeme. Aber wenn wir ihre großartige Technik neutralisieren können, sind sie hilflos. Dann müssen sie Mann gegen Mann kämpfen und da sind wir ihnen moralisch weit überlegen. Dann wird die Tyrannei der Gesellschaft wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen und wir sind wieder die Herren auf unserem Heimatplaneten!“

„Alles schön und gut, Herr Veserke. Im Prinzip mögen sie ja recht haben. Aber die Überwachungs- und Waffensysteme der Gesellschaft lassen sich nicht so einfach ausschalten. Wir haben nicht die Spezialisten dafür und auch keinen Zugang zu den Systemen, um sie sabotieren zu können. Also was soll der ganze Unsinn?“  Der alte Baschar lehnte sich verärgert zurück und verschränkte ablehnend die Arme vor der Brust.

Janus erhob den rechten Zeigerfinger.  „Oh nein, Baschar. Da täuschen sie sich. Kein Unsinn und auch kein Hirngespinst. In den letzten Monaten habe ich die nötigen Spezialisten…nun sagen wir, auf meine Art und Weise angeworben und an den entscheidenden Stellen in Sarazeen City in Stellung gebracht. Ich habe inzwischen Zugang zu den wichtigsten technischen Systemen der COMEX-Gesellschaft auf Pharsalos. Auch zu den militärischen Systemen von Sicherheitsdienst und Schutztruppe.“

Die anderen Konferenzteilnehmer konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Greg Menere, Anführer der Rebellen im Südterritorium, meldete sich zu Wort.  „Wenn das stimmt, hätten wir eine reelle Chance, einmal ordentlich zuzuschlagen. Wenn man all die Satelliten, Drohnen und autonomen Schreiter ausschalten könnte, wäre die militärische Überlegenheit der Gesellschaft zunichte gemacht.“

Baschar Sesotri zeigte sich nach wie vor skeptisch.  „Sie können viel behaupten, Herr Veserke. Aber selbst wenn sie in der Lage wären die Militärtechnik der Gesellschaft auf der Oberfläche unwirksam zu machen, ist da immer noch die Raumflotte mit ihren Schiffen im Orbit über dem Planeten. Nach meinen Informationen ein mittleres Mutterschiff und einige Korvetten. Von Sarazeen City aus kann man da nichts ausrichten. Wenn wir irgendwo Truppen zu einem Großangriff konzentrieren, haben sie uns ganz schnell ausgemacht und blasen uns mit ihren Orbos im Handumdrehen weg. Das ist doch Wahnsinn, das ist Selbstmord! Wir bleiben besser bei unserer bewährten Guerilla-Taktik. In kleinen Trupps zuschlagen und wieder verschwinden.“

Janus lies sich von den Einwänden des alten Baschars nicht aus der Ruhe bringen.  „Natürlich habe ich auch an die Bedrohung aus dem Weltraum gedacht. Und ich würde ihnen keine große Operation vorschlagen, wenn ich keine Lösung auch für dieses Problem hätte. Seit einigen Tagen habe ich meine Leute auch oben im Weltraum, auf dem Mutterschiff ‚Hopewell‘, das derzeit Pharsalos umkreist.“  Er schwieg einige Sekunden um die Nachricht wirken zu lassen.  „Sie sind gerade dabei in das KI-System der Raumflotte einzudringen. Im entscheidenden Moment wird das Mutterschiff vollkommen lahmgelegt, so das seine Orbitalbomber nicht einsetzbar sein werden.“

Baschar Sesotri beugte sich vor und blickte Janus unter seinen buschigen Augenbrauen skeptisch an.  „Ihnen ist schon klar, dass das schwer zu glauben ist? Wie haben sie denn so viele wichtige Angestellte der Gesellschaft umdrehen können, ohne bemerkt zu werden? An ihre übernatürlichen Kräfte kann ich, trotz der Demonstration von eben, nicht recht glauben. Was wenn sie ein Provokateur sind? Ausgeschickt von dieser Hexe Vox, um den Widerstand aus der Deckung zu locken.“  Die letzten Worte hatte der misstrauische Alte leise, und mit einem lauernden Unterton ausgesprochen.

Jetzt meldete sich Greg wieder zu Wort.  „Hören sie doch, Baschar. Ich arbeite seit über zwei Jahren mit Janus zusammen und habe schon viele Beispiele seiner außerordentlichen Fähigkeiten mit eigenen Augen gesehen.  Bei dem großen Schaden, den er der Gesellschaft bereits zugefügt hat, ist es einfach absurd, an ein abgekartetes Spiel zu glauben. Ich für meinen Teil bin bereit, mich vorbehaltlos hinter ihn zu stellen. Ich glaube es ist zu unser aller Nutzen, wenn wir uns Janus und seiner universellen Bewegung vorbehaltlos anschließen. Niemand von uns hier,  wird von der Bevölkerung von Pharsalos so verehrt, wie der unsterbliche Magier Janus.“

Richterin Tsui nickte und stimmte Greg zu.  „Ich habe meine eigenen geheimen Quellen in Sarazeen City, und die bestätigen mir die Glaubwürdigkeit von Janus. Der Oberdirektor ist ziemlich außer sich wegen der letzten Anschläge und wird immer nervöser. Das sieht mir alles nicht nach einer verdeckten Operation des GSD aus. Wenn wir unser Mißtrauen zu weit treiben, können wir am Ende  niemandem mehr trauen.“

Janus nickte zufrieden.  „Danke Richterin Tsui. Dank auch dir Greg, für dein Vertrauen.“

Der alte Baschar blickte verkniffen in die Runde.  „Also einmal angenommen, wir beschließen ihnen zu vertrauen. Wie sieht ihr famoser Plan dann eigentlich aus, Herr Veserke?“

Janus griff in die Innentasche seines weiten Kapuzenmantels und holte eine gefaltete Karte hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete.  „Ich nehme an, sie kennen alle das große Erzgebirge im Süden und die Okla-Minen. Das wäre hier.“  Dabei legte er seinen Zeigefinger auf einen Punkt in Äquatornähe. Die Versammlungsteilnehmer versammelten sich um die Karte und in der folgenden halben Stunde erläuterte ihnen Janus, nur von gelegentlichen Zwischenfragen unterbrochen, seinen Plan.

Baschar Sesotri rieb sich nachdenklich das stopplige Kinn.  „Hört sich alles ja ganz gut an. Aber selbst wenn wir die vollautomatischen Waffensysteme wirksam stören könnten, sind da immer noch die Kampfgleiter, die Panzerfahrzeuge und die bemannten Schreiter. Wenn wir die knacken wollen, brauchen wir schwere Waffen und von denen haben wir immer noch viel zu wenige. Aber wie ich sie kenne, haben sie auch daran gedacht. Lassen sie mal hören.“

Janus lächelte maliziös in die Runde.  „Sie werden bald alles haben was sie brauchen, Baschar. Leichte und schwere Minenwerfer, Killerdrohnen Typ ‚Hornet‘, zwölfer Leichtgeschütze, Strahlwaffen und sogar einige Plasmawerfer. Alles direkt aus den Depots der Schutztruppe. Wenn sie wollen auch noch einige Schreiter und gepanzerte Mannschaftswagen.“

Erstauntes Gemurmel in der Runde.  „Und wann soll’s losgehen, Herr Veserke?“

„Ich denke in sechs bis acht Wochen. Zu lange sollten wir nicht warten, sonst bekommt der Sicherheitsdienst noch Wind von der Sache.“

Die zehn Delegierten berieten sich noch eine Weile leise, bevor der alte Baschar das Wort ergriff.  „Gratuliere, Herr Veserke. Sie haben gewonnen, obwohl ich noch nicht restlos überzeugt bin. Aber es ist wahrscheinlich besser, jetzt alles auf eine Karte zu setzen. Bevor wir endgültig zusagen, ist aber noch die heikle Frage des Oberbefehls zu klären. Es ist ihnen ja wohl klar, dass wir Mitsprache bei allen wichtigen Angelegenheiten verlangen.“

Janus sah lächelnd in die Runde.  „Ich habe nicht vor, selbst den militärischen Oberbefehl zu übernehmen. Ich werde im Hintergrund weiter für die politische und psychologische Stoßkraft unserer Bewegung sorgen. Das Beste wird sein, wenn wir einen planetaren Kriegsrat aus Vertretern aller Territorien bilden. Baschar Sesotri sollte, als Anführer der stärksten und besten Legion, den Ratsvorsitz und den militärischen Oberbefehl übernehmen. Sind sie damit einverstanden?“

Die verschlossene Miene des alten Baschars hellte sich etwas auf.  „Ja, das hört sich ganz annehmbar an. Was meint ihr denn dazu? Wollen wir gleich jetzt abstimmen?“

Nachdem die anderen Delegierten anstandslos ihre Zustimmung bekundet hatten, ging die Runde an die Planung der ersten Maßnahmen zur Vereinigung ihrer Streitkräfte. Erst gegen Morgen, kurz vor Tagesanbruch, verliesen die Anführer des Widerstands von Pharsalos, still und heimlich, so wie sie gekommen waren, das einsame Suni-Kloster in den Bergen. So begann der Countdown zu einem Unternehmen, das die Wende im Kampf um den Planeten bringen sollte.

 

Der Hinterhalt

„Holen sie den General. Wir haben soeben die Aufklärungsdrohnen der Vorhut verloren. Da scheint sich was anzubahnen.“  Oberst Boeder wandte sich mit diesen Worten an einen Ordonanzoffizier in der mobilen Kommandozentrale der 7. Division. Der etwa dreißig Meter lange, mit Kommunikations- und Computertechnik vollgestopfte Kommandocontainer, konnte per Lufttransport innerhalb kürzester Zeit überall dorthin transportiert werden, wo sich ein genügend großer Stellplatz befand. Zur Zeit stand er am Rand der Oase Siwa, etwa achtzig Kilometer nördlich des großen Erzgebirges. Um die sandfarben getarnte Kommandozentrale war in den letzten zwölf Stunden ein provisorisches Militärlager aus hunderten von Containern und Fahrzeugen verschiedenster Art und Größe entstanden. Etwa tausend Meter entfernt, hatte man in der Wüste einen provisorischen Landeplatz planiert, auf dem etwa hundert Transport- und Kampfgleiter in der glühenden Sonne von Pharsalos vor sich hin brieten. Kaum einer der Soldaten lies sich jetzt, am frühen Nachmittag im Freien blicken. Militärlager und Flugfeld wirkten wie tot und ausgestorben.

„Verdammt, was ist den los, Boeder. Haben wir die Burschen endlich aufgescheucht?“  General Cone schloss hastig noch den Verschluss seiner Uniformjacke, als er durch die Schleusentür in den klimatisierten Raum der Kommandozentrale trat.  „Himmel, ist das wieder eine Hitze draussen.“

Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte Divisionsgeneral Cone, Kommandeur der 7. Mobilen Division, immer noch einen vollen rotblonden Haarschopf. Er spitzte seinen etwas zu kleinen Mund und starrte mit seinen kleinen graublauen Augen auf die Großbildschirme der Zentrale.  „Also Boeder, was ist denn los bei unserer Vorhut in den Bergen?“

Boeder, ein kleiner bulliger Offizier mit Boxernase, Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, trat neben seinen Vorgesetzten.  „Am Pass zur Hochebene haben wir beinahe gleichzeitig die Verbindung zu den beiden Drohnen über der Vorhut verloren. Sat-KOM scheint auch ausgefallen zu sein. Wir haben aber noch eine Direktverbindung mit Major Side…“

Lautes Geschrei und der Lärm von Explosionen drang plötzlich aus den Lautsprechern der Kommandozentrale.  „Wir werden angegriffen…hören sie mich, Zentrale? …Himmel, ein Volltreffer in Panzer Sieben! Bringen sie uns runter von der Piste und zwischen die Felsen. Machen sie schnell, Sergeant!“

Boeder trat rasch hinter den Kommunikations-Operator und beugte sich zum Pult vor.   „Hier spricht Oberst Boeder. Was ist los bei ihnen Side? Ich erwarte eine exakte Meldung.“  Zunächst drang nur weiterer Gefechtslärm aus den Lautsprechern. Nach etwa zehn Sekunden dann die aufgeregte Stimme eines Mannes.  „Hier Major Side. Wir sind kurz hinter dem Pass, etwa drei, vier Kilometer vor den Okla-Minen. Starkes Feuer aus Leichtgeschützen und Maschinenwaffen von rechts und von vorne…vermutlich auch Minenwerfer und Lenkwaffen. Gegnerische Stellungen nicht genau auszumachen. Wir haben schon eine Anzahl Schützenpanzer und Schreiter verloren.“

„Immer mit der Ruhe, Major. Was ist mit ihren autonomen Schreitern? Lassen sie unverzüglich die Autonomen angreifen und die gegnerischen Feuerstellungen ausschalten.“

„Moment, Herr Oberst.“

Auf ein Zeichen von Boeder, gab der Operator das Videobild aus Major Sides Kommandopanzer auf den Hauptbildschirm.  „Schalten sie auf die Außenkameras. Ich möchte selbst sehen, was da vorgeht.“

Das Panzerfahrzeug von Major Side stand im Schutz einiger großer Felsen, die zwar etwas Deckung gegen das feindliche Feuer boten, aber auch die Sicht einschränkten. Über die Frontkamera sah man den Ausschnitt eines kahlen brauen Taleinschnitts, in dem die brennenden und qualmenden Wracks einiger Schützenpanzer und Schreiter verstreut lagen. Dicker schwarzer Qualm lag über der wüsten Szenerie. Jetzt lief von rechts ein bipeder Schreiter ins Bild, verfolgt von den Glutstrichen einer Maschinenkanone. Hakenschlagend versuchte die bemannte Laufmaschine die Deckung der Felsen zu erreichen, aber zehn, zwanzig Meter vor dem Ziel riss ihr eine Feuergarbe die mechanischen Beine unter dem gepanzerten Leib weg und sie stürzte krachend hin.

Durch zischende Störgeräusche war wieder die Stimme von Major Side zu hören.  „Ich kann die Autonomen nicht erreichen. Sie senden keine Statusmeldungen mehr und nehmen keine Befehle an…ich weiß nicht, was da los ist. Wahrscheinlich wird unsere Kommunikation durch den Feind gestört. Wir brauchen dringend Luftunterstützung Herr Oberst!“

Boeder sah fragend zu General Cone hinüber, der nur stumm nickte.  „Luftoperator, schicken sie die Alarmstaffel zur Unterstützung hin. Wir brauchen Satellitenbilder in Echtzeit. Kümmern sie sich darum, aber schnell.“

Im nächsten Moment erfüllte die Videoübertragung vom Gebirgspass die Kommandozentrale mit einer infernalischen Geräuschkulisse. Eine Serie schwerer Einschläge wuchtete brüllend in den Talboden und näherte sich immer mehr den Deckung bietenden Felsen. Ein letzter dröhnender Einschlag fuhr mitten zwischen den Felsen in den Boden, rüttelte den Panzer von Major Side durch und überschüttete ihn mit Erde und Felsbrocken. Mit kreischendem Geräusch schrammten scharfe Metallsplitter über die Panzerung, dann brach die Videoverbindung abrupt ab.

„Major Side, können sie mich hören? Sind sie noch da?“  In der Kommandozentrale herrschte einige Sekunde bange Stille. Dann war die panische Stimme des Majors zu hören.

„Wir stehen unter Feuer schwerer Minenwerfer. Wir müssen schnell weg hier, sonst werden wir alle zusammengeschossen!“

„Hier spricht General Cone. Hören sie zu Major. Verlieren sie jetzt nicht die Nerven. Luftunterstützung ist schon unterwegs. Ziehen sie ihre Fahrzeuge einstweilen wieder hinter den Pass zurück. Machen sie’s so wie sie’s auf der Akademie gelernt haben. Eine Hälfte der Fahrzeuge hält den Feind unter Feuer, die andere Hälfte zieht sich währenddessen zurück. Und dann umgekehrt. Verstanden?“

„Ja, Herr General. machen wir“, kam es schwer verständlich aus dem Lautsprecher.

Über eine behelfsmäßige Videoverbindung konnten der General und sein Stabschef, Major Sides Rückzugsmanöver in Echtzeit mitverfolgen. Zum Glück begann das feindliche Feuer etwas nachzulassen und es gab kaum noch Verluste. Das heftige Abwehrfeuer der restlichen Schützenpanzer und Schreiter schien endlich Wirkung zu zeigen.

Boeder sah auf die Uhr und wandte sich erregt an den Luftoperator.  „Wo bleibt die Luftunterstützung? Was ist denn mit den Satellitenbildern, zum Teufel?“

Der angesprochene Offizier zuckte hilflos mit den Schultern.  „Die Alarmrotte ist schon im Anflug. Position jetzt bei Fünfzehn-vier zu Drei-zwölf. Noch etwa fünf Minuten bis zum Zielgebiet. Für die fast zweihundert Kilometer brauchen die Maschinen eben ihre Zeit. Aktuelle Satellitenbilder gibt’s momentan nicht. Die Aufklärungszentrale scheint da irgendein ein Problem zu haben.“

„Schon gut“, knurrte Boeder grimmig.  „Stellen sie eine Video- und Datenverbindung zur Alarmstaffel her und legen sie die Bilder auf den Hauptschirm. Dann werden wir schon einen Überblick bekommen. Geben sie ‚Feuer frei‘ auf alle erkannten Feindstellungen.“

„Jawohl, Herr Oberst!“

Nach wenigen Sekunden teilte sich der Hauptbildschirm und scharfe Luftbilder einer kargen Gebirgslandschaft erschienen. Am linken Rand waren die mächtigen Krater dreier erloschener Vulkane zu erkennen, deren steile Flanken sich inmitten ausgedehnter Lavafelder erhoben. Direkt voraus, gähnten, zwischen riesigen braunen Abraumhalden, drei mächtige, kilometertiefe Gruben im Boden. Dort hatten die frühen Siedler einst riesige Mengen von Metallen geschürft. Bei ihren späteren Nachfahren hatten die zyklopischen Okla-Minen einen schlechten Ruf und das Gebiet wurde normalerweise gemieden.

Schwarze Rauchsäulen stiegen aus dem flachen Tal auf, das von Norden her auf die titanischen Minengruben zuführte und in eine weite Hochebene auslief. Als die Gleiter verzögerten und tiefer gingen, begann Boeder, mit einem flauen Gefühl im Magen, die brennenden und qualmenden Wracks am Boden des Tales zu zählen.

„Acht, neun…Verdammt, das war ein ganz schönes Gemetzel.“

„Hier Rottenführer Bravo“, drang es laut und deutlich aus den Lautsprechern.  „Habe feindliche Stellung bei Höhe Acht-achtzig erkannt. Werde befehlsgemäß mit Lenkwaffen angreifen. Ende.“

Boeder trat rasch hinter den Luftoperator. „Bleiben sie wegen der Maschinenwaffen aber lieber auf Distanz, Bravo-Führer. Ende.“

„Verstanden, Division Haupt…Moment, das gibt’s doch nicht!“  Das Videobild aus dem dahin rasenden Kampfgleiter schwenkte herum und erfasste kurz eine wirbelnde und rauchende Trümmerwolke am Himmel.  „Verdammt, das war ‚Bravo Neun‘. Abdrehen, schnell abdrehen! Angriff abbrechen! Hat jemand gesehen woher das gekommen ist?“

Das Videobild begann wild zu tanzen, bevor es sich wieder stabilisierte. Die großen Vulkankegel standen jetzt auf der rechten Seite. Unvermittelt zuckte am linken Bildrand ein greller Feuerball auf, wo eben noch einer der schlanken Kampfgleiter im Steigflug zu sehen gewesen war. Ein Schwarm großer und kleiner Trümmer tauchte daraus hervor und näherte sich in parabolischer Flugbahn dem Boden.

„Hier spricht Oberst Boeder. Bravo-Führer treffen sie Abwehrmaßnahmen und verschwinden sie so schnell wie möglich. Es ist zu gefährlich. Rückkehr zum Stützpunkt. Ende.“

„Bravo-Führer verstanden. Ende“, klang es knapp aus den Lautsprechern.

General Cone starrte schweigend auf die Schirme und nickte zum Einverständnis. Die restlichen sechs Kampfgleiter setzten Täuschkörper aus und flogen ohne weitere Verluste nach Norden ab.

„Was nun Herr General? Der Feind setzt offenbar Killerdrohnen mit Tarntechnologie ein. Möchte bloss wissen, wo die Pharser, sowas her haben.“

Ein Adjutant trat zu Oberst Boeder und flüsterte ihm von der Seite etwas zu.

„Heute scheinen wir überhaupt kein Glück zu haben, Herr General. Die Zentrale in Sarazeen City meldet soeben eine schwerwiegende Störung im Aufklärungsnetzwerk. Die Überwachungssatelliten und Fernaufklärer stehen uns bis auf weiteres nicht zu Verfügung.

Ich schlage den Einsatz von kleinen Aufklärungsteams mit Spähpanzern und Beobachtungsdrohnen vor. Solange wir keine Klarheit über die Feindlage haben, ist ein Gegenangriff im Gebirge nicht zu empfehlen. Außerdem scheinen die Widerständler jetzt über moderne Waffen zu verfügen. Das könnte zu schweren Verlusten führen.“

General Cone hob die Hand, um seinem Stabschef anzudeuten, das er kurz nachdenken musste. Nach einigen Sekunden schien er sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben.  „Warten sie, Boeder. Das könnte die Chance sein, auf die wir schon so lange gewartet haben. Gehen wir hinüber in mein Büro.“

Die beiden Männer verliesen die Zentrale durch die Schleuse und gingen durch die grelle Nachmittagshitze die wenigen Meter hinüber zum Container des Generals. In seinem Büro warf sich der massige Cone in den bequemen Sessel hinter seinem Schreibtisch und sah mit gönnerhaftem Lächeln zu Oberst Boeder auf, der stehen geblieben war.

„Sehen sie, Boeder. Wenn sich die Terroristen endlich zum offenen Kampf stellen, müssen wir das unverzüglich nutzen. Wenn wir jetzt Zeit mit Aufklärungsmissionen verschwenden, sind sie wieder verschwunden, bevor wir zuschlagen können. Nein, wir werfen unverzüglich alles was wir haben in den Kampf!“

Der General tippte auf einige Sensortasten und zauberte ein Luftbild des großen Erzgebirges auf die Schreibtischoberfläche. Er zoomte auf ein Gebiet in der Nähe der Okla-Minen und deutete auf einen Höhenzug.  „Die Stellungen der Terroristen müssen etwa hier sein, auf der rechten Seite bei den Höhen Acht-achtzig und Neu-elf. Andere Kämpfer haben sich vermutlich auf der Hochebene, in den Okla-Minen verschanzt. Vielleicht befindet dort sogar ihr langgesuchtes Hauptquartier. Es soll dort eine Menge von Stollen und tiefen Kavernen geben.“

Oberst Boeder trat näher heran und beugte sich mit dem General über die farbige Landschaftskarte.  „Schon möglich. Aber so genau wissen wir das noch nicht.“

„Sei’s wie es sei. Wir greifen morgen früh massiert an. Die erste Brigade nimmt die Vorhut auf und greift von Norden her, direkt über den Pass an. Die luftbewegliche Brigade setzen wir in diesem breiten Tal im Süden der Hochebene ab. Sie besetzt die Höhen am Südrand der Ebene und nimmt dort Verteidigungspositionen ein. Wenn die Terroristen dann vor der ersten Brigade nach Süden ausweichen, werden sie genau in diese Bergstellung hineingetrieben und dort vernichtet. Sollten sie aber nach Westen ausweichen, müssen sie hier durch diese beiden Hochtäler. Dort können wir sie mit den Orbos fertigmachen. Nach Osten können sie meiner Meinung nach nicht entkommen. Da ist das unwegsame Vulkanmassiv.“

Der erfahrene Oberst wiegte zweifelnd den Kopf.  „Klingt gut, Herr General. Aber der Absetzpunkt der luftbeweglichen Brigade scheint mir etwas weit von dem zu besetzenden Höhenzug entfernt zu sein. Und was ist, wenn dort schon Rebellen verschanzt sind?“

„Die werden das schon schaffen. Ich möchte das die erste Brigaden morgen früh um null-achthundert zum Angriff antritt. Die Luftbewegliche muss ihr Operationsziel bis spätestens null-neunhundert besetzt haben. Die zweite Brigade wird als Eingreifreserve herangeführt.“

Boeder versuchte mit Hilfe seiner Handspanne die Entfernungen auf der Karte grob abzuschätzen.  „Das sind mehr als zwanzig Kilometer in schwerem Gelände. Ich glaube nicht, das die luftbewegliche Brigade das vor zehn Uhr schafft.“

„Also gut, sagen wir Angriffsbeginn null-neunhundert Uhr. Das Kampfgeschwader soll sich ab diesem Zeitpunkt für Bodenangriffe bereit halten. Wenn der Feind aus seinen Löchern kommt und versucht zu flüchten, werden wir ihn gnadenlos vernichten. So müssen wir sie kriegen!“  Der General schlug dabei begeistert mit der Faust auf die Schreibtischplatte.

Boeder waren die Zweifel deutlich am Gesicht abzulesen.  „Kommt ihnen dieser überraschende Überfall bei den Okla-Minen und die plötzliche Störung unserer Aufklärungssatelliten nicht verdächtig vor? Das kann doch kein Zufall sein. Kommt ihnen das ganze nicht wie eine Falle vor? Eine Falle in die wir gerade voll hineinlaufen!

Nach neusten GSD-Information hat dieser mysteriöse Janus, dem Aufstand mächtig Auftrieb gegeben und inzwischen eine planetenweite Organisation aufgebaut. Wer weiß, wie viele dieser fanatischen Rebellen sich in den Bergen versteckt halten? Also ich würde einstweilen nichts riskieren. Am besten wir lassen das Hauptquartier in Sarazeen City entscheiden, Herr General.“

„Ach was, Boeder. Sie sehen überall Gespenster. Auch wenn die Terroristen jetzt ein paar Minenwerfer und Killerdrohnen haben, sind wir ihnen immer noch haushoch überlegen. Wir müssen unsere voll ausgerüstete Division nur geschlossen und brutal einsetzen. Mit den Killerdrohnen werden wir schon fertig. Unsere KI-Spezialisten sollen sich unverzüglich darum kümmern. Wofür haben wir diese Burschen schließlich?“

General Cone verzog den Mund zu einem etwas verächtlichen Lächeln.  „Es bleibt dabei. Wir greifen morgen früh mit allem an, was wir zur Verfügung haben. Ich bin nicht Divisionsgeneral geworden, weil ich jedem Risiko aus dem Weg gehe, Boeder.“

Oberst Boeder schwieg etwas betreten. Er wurde sich in diesem Moment wieder einmal schmerzlich bewußt, das er es wahrscheinlich nie weiter, als bis zum Oberst bringen würde.

 

Die Schlacht um Pharsalos

Durch ein etwas altmodisches optisches Instrument blickte Muschir Sesotri zufrieden über das, mit zahllosen qualmenden Wracks und Trümmern, übersäte Schlachtfeld. Im Hintergrund, auf dem Bergkamm jenseits der Minengruben, waren die Explosionen und Feuergarben der letzten Gefechte eines blutigen und heißen Tages zu erkennen. Ein hunderte von Metern langer Flammenstrahl riss die Explosionswolken plötzlich auseinander, gefolgt von einem unheimlichen Fauchen.

„Baschar Sartie gibt den luftbeweglichen Truppen jetzt den Rest. Er setzt endlich den Plasmawerfer ein, den ich ihm rübergeschickt habe.“

Noch zweimal flammte der blendende Plasmastrahl auf und verwandelte die Berghänge in glühende Lava. Klein und undeutlich waren Radfahrzeuge, Schreiter und Scharen von Soldaten zu erkennen, die in der atomaren Glut wie Plastikspielzeug vergingen. Dann verbarg eine gewaltige dunkle Rauchwand gnädig die tödliche Vernichtung am Rand der Hochebene.

Im getarnten Beobachtungsstand am Hang von Höhe 880 nahm er alte Muschir befriedigt die Augen vom Scherenfernrohr und wandte sich zu Baschar Menere um.  „Wie sieht die Luftlage aus, Greg? Sind noch irgendwo feindliche Kampfgleiter am Himmel?“

„Seit etwa zwanzig Minuten haben wir keine feindlichen Anflüge mehr registriert, Muschir. Die Luftabwehr meldet bisher zweiundvierzig Abschüsse. Ich glaube, die haben genug und kommen so schnell nicht wieder.“

In diesem Moment sprang ein junger, mit Staub und Dreck bedeckter Offizier in den Beobachtungsstand unter dem sandfarbenen Tarnnetz. Der Mann, offenbar unmittelbar aus dem Kampf kommend, grüßte etwas nachlässig und legte ohne Worte, einen angesengten Helm mit breitem Purpur-Rand und einen beschädigten Handkommunikator auf den Klapptisch mit den Karten.

„Können sie mir sagen was das bedeuten soll, Sargent?“  fragte Muschir Sesotri etwas irritiert.

„Das haben wir in einem abgestürzten Gleiter, nur ungefähr fünfhundert Meter von hier, gefunden. Nach den Abzeichen war es der Gleiter von General Cone.“

Erst jetzt bemerkte der alte Muschir die beiden gelben Rauten auf der Vorderseite des Helms.

„Der Gleiter war ziemlich zerstört und hat noch gebrannt. Von den Insassen ist keiner mehr lebend rausgekommen. Auch der General muss sofort tot gewesen sein. Er sass noch angeschnallt auf seinem Sitz. Eine Strebe hatte ihm glatt den Kopf abrasiert.“  Dabei führte der junge Mann seine Handkante über den Hals und grinste bezeichnend.  „Wir konnten noch einige brauchbare Dinge bergen. Der Kommunikator hier gehörte Cone und könnte interessante Daten enthalten, Muschir.“

Sesotri nahm den Helm in die Hände und betrachtete ihn nachdenklich. An der Innenseite war geronnenes Blut zu erkennen.  „Wenigstens hatte dieser Dummkopf genug Mut, um den Tod auf dem Schlachtfeld zu finden. Immerhin ein Ende, das eines Generals würdig ist.“

Er hielt den Helm sodann theatralisch in die Höhe und wandte sich mit erhobener Stimme an die anwesenden Stabsoffiziere und Mannschaften.

„Seht her! Das ist der Beweis unseres großen Sieges! General Cone, der Schlächter von Pharsalos, ist tot!“

Angesicht der großen Anstrengungen des vergangenen Tages war der Jubel in dem engen Beobachtungsstand etwas verhalten. Die Anspannung der grausamen Schlacht war noch nicht von den Männern gewichen.

Der alte Muschir legte den Helm auf dem Tisch und wandte sich wieder dem jungen Frontoffizier zu.  „Gut gemacht, Sargent. Wie heißen sie? Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass sie eine angemessene Belohnung erhalten.“

„Erster Sargent Tepper, Muschir. Grünes Banner der ersten Legion, zweite Hundertschaft. Ich danke dem Muschir für die anerkennenden Worte, aber ich habe nur meine Pflicht getan, wie viele andere in meiner Einheit auch.“
Muschir Sesotri klopfte dem Offizier jovial auf die Schulter.  „Lobenswerte Einstellung, junger Mann. Mal sehen was ich für sie und ihre tapferen Kameraden tun kann. Haben sie sonst noch was zu melden?“

„Eigentlich nicht, Muschir. Ich bitte darum wieder zu meiner Einheit zurückkehren zu dürfen. Wir haben die Aufgabe erhalten, das Schlachtfeld nach Verwundeten und brauchbarer Ausrüstung abzusuchen.“

„Gut, sie können gehen. Richten sie ihren Kameraden meinen Dank und meine Anerkennung aus. Sie haben heute Geschichte geschrieben. Ein glorreicher Tag für Janus und Pharsalos.“

Der Sargent grüsste militärisch korrekt, drehte sich um und verschwand durch die Tarnnetze, um wieder auf das Schlachtfeld zurückzueilen.

Baschar Menere nahm vorsichtig den beschädigten Kommunikator auf und reichte ihn einem Ordonanzoffizier.  „Bringen sie das zum rückwärtigen Gefechtsstand. Die IT-Spezialisten sollen mal versuchen, ob sie noch was von den Daten können.“

Muschir Sesotri blickte wieder über das qualmende Schlachtfeld und stampfte mit dem rechten Fuss triumphierend auf den Boden.  „Ein totaler Vernichtungssieg! Wir haben diese verfluchte Mobile Division praktisch ausradiert!“

Stellvertreter Greg Menere, rieb sich nachdenklich das Kinn.  „Wir haben dafür allerdings einen hohen Preis bezahlt. Ich schätze, wir haben mindestens ein Viertel unserer Kämpfer verloren. Auch viele unserer schweren Waffen sind vernichtet oder unbrauchbar geworden. Wir haben fast keine Munition mehr. In der nächsten Zeit werden wir uns in keine größeren Kämpfe mehr einlassen können.“

Der alte Muschir schien sich davon nicht beeindruckt zu lassen.  „Das wird auch nicht notwendig sein. Sehen sie die Wetterzeichen da im Nordwesten? In den nächsten Tagen werden schwere Sandstürme toben. Gute Voraussetzungen für unseren heimlichen Abzug durch die Höhlen und Minenstollen. Die Schlappschwänze von der Schutztruppe bleiben bei einem solchen Extremwetter lieber in ihren Löchern. Wir werden unsere Truppen also wie geplant wieder aufteilen und zur Auffrischung in sichere Regionen verlegen. Unterdessen will unser Herrn und Meisters selbst in Aktion treten. Und wenn sein Plan klappt, wovon ich jetzt überzeugt bin, wird dieses Gemetzel hier sowieso die einzige größere Schlacht unseres Befreiungskampfes gewesen sein. Dann sehen wir uns in Kürze in Sarazeen City wieder, Greg.“

 

In der Höhle des Löwen

Sarthag – Sechster Planet der Sonne RUM Alpha in galaktischen Sektor CK-340; Wasserplanet der Klasse B; mittlerer Radius 5.910 km; Schwerkraft 0,96 g; mittlere Temperatur 11° Celsius.

SARTHAG wurde einst von CROMA aus besiedelt und entwickelte sich, seiner idealen Lebensbedingungen und seiner günstigen stellaren Lage wegen, bald zu einem wichtigen Knotenpunkt im interstellaren Handel. Die COMEX-Gesellschaft verlegte daraufhin im Jahr 2204 SZ ihre Zentrale nach SARTHAG. Seitdem gilt der Planet als der reichste und wichtigste im ganzen Quadranten.

Die Bevölkerung besteht derzeit zu 23% aus Migranten, die in den vergangenen Jahrhunderten, meist aus wirtschaftlichen Gründen, von anderen Planeten zugewandert sind. Den bedeutendsten Anteil stellen dabei die Taira vom Planeten AKKAD. Der wachsende wirtschaftliche und politische Einfluss der zugewanderten Bevölkerung verursacht wachsende Spannungen mit den Nachfahren der nativen Siedler, die ihre beherrschende Stellung in der planetaren Administration bedroht sehen. Manche Kommentatoren sagen eine gewaltsame Austragung dieses Konflikt für die nächsten Jahrzehnte voraus.

Datei der Portalautorität

 

Die große COMEX-Pyramide in Sarazeen City begann sich, wie jeden Morgen, langsam mit geschäftigem Leben zu füllen. Die schwarz uniformierten Wachmänner an den großen Expressliften musterten den braunhaarigen Mann in mittlerem Alter beim Betreten des Foyer der dritten Ebene nur kurz und flüchtig. Der Ausweis und die biometrischen Daten des unauffälligen Mannes in der blauen Kleidung eines mittleren Verwaltungsangestellten, waren von den Überwachungs-Sensoren im unteren Eingangsbereich überprüft und offenbar anstandslos akzeptiert worden. Warum also sollten sie ihn beachten?

Wie die anderen Angestellten der Gesellschaft, ging Janus eilig durch das Foyer zu den Expressliften, die zu den Stockwerken der oberen Ebene führten. Schweigend und mit ausdrucksloser Mine stieg er mit den anderen in einen der Personenlifte und fuhr in wenigen Sekunden fast bis ganz nach oben. Dort stieg er aus und versuchte sich so unauffällig wie möglich, anhand der Evakuierungspläne zu orientieren. Sein Informant hatte ihm nur über seinen eigenen Arbeitsbereich in der Finanzverwaltung genauere Auskunft geben können. Das Ziel von Janus war aber die Sicherheitsabteilung. Schließlich fuhr er mit einem Nebenlift wieder ein paar Etagen tiefer und trat aus der Kabine auf einen langen breiten Flur hinaus. Er ging an den Türen entlang und lass die Displays mit den Namen und Dienstbezeichnungen. Schließlich blieb vor einer davon stehen. „Oberinspektor Vilem Katomen – Stab Sicherheitsabteilung“, stand dort in blauer Schrift auf schwarzem Grund. Janus schloss die Augen und konzentrierte sich für einige Sekunden auf die bioelektrische Aura des Menschen, der hinter dieser Tür arbeitete. Die Übernahme würde ihm keine großen Schwierigkeiten bereiten. Seine geistigen Fähigkeiten und Kräfte waren seit der Flucht vor fast drei Jahren immer weiter gewachsen.

Janus öffnete die Augen und sah sich kurz um. Im Moment war niemand auf dem Korridor zu sehen. Ungefähr vierzig, fünfzig Meter weiter, am Ende des breiten Korridors, residierte hinter einer dicken Doppeltür Deres Vox, die Frau die ihm seit Jahren auf dem ganzen Planeten mit allen Mitteln nachjagte. Der Eindringling verzog den Mund kurz zu einem leichten Lächeln. Wenn die gute Deres wüsste, wie nahe ihr der verzweifelt gesuchte Feind im Moment war?

Janus konzentrierte sich wieder auf die Gedanken des Mannes hinter der Tür. Doch er konnte nur belanglose Gedankenfetzen auffangen und betätigte nach einigen Sekunden das Türsignal. Nach längerer Wartezeit öffnete sich die Tür endlich und er trat in ein altmodisches eingerichtetes Büro. Hinter dem massiven Visio-Pult sass ein dicklicher Mann mit Halbglatze, der wegen des unangemeldeten Besuchs zunächst etwas verwirrt zu sein schien.

„Hallo, was kann ich für sie tun? Hat sie die Personalabteilung geschickt, wegen des angeforderten Zusatzpersonals? Bei uns ist zur Zeit die Hölle los. Ich komme kaum noch raus hier. Wir müssen nach dem Desaster bei den Okla-Minen die Verluste ersetzen und das Personal in den Territorien aufstocken.“

„Sie sind der Stabschef des Sicherheitsdiensts?“ fragte Janus ohne auf die Anrede einzugehen.

Der Oberinspektor richtete sich hinter seinem Pult auf und musterte den angeblichen Verwaltungsangestellten prüfend. „Allerdings. Ich arbeite direkt für die Chefin. Also wer sind sie und was wollen sie?“

„Ich bin Hauptsekretär Pieter Sarac und würde gern im Stab des Sicherheitsdiensts arbeiten. Es müsste sich doch bestimmt ein angemessener Posten finden lassen.“

Oberinspektor Katomen lacht kurz auf. War dieser kleine Angestellte verrückt geworden? Man konnte doch nicht einfach zum Sicherheitsdienst gehen und einen Posten im Stab von Deres Vox verlangen. Aber plötzlich begannen die Gedanken des Oberinspektors abzuschweifen und ihren Zusammenhang zu verlieren. Für einige Sekunden schien der korpulente Mann hinter dem Visio-Pult völlig orientierungslos und blickte abwesend ins Leere. Dann fuhr er sich verwirrt über die Augen und sprach langsam und mit schwerer Zunge.  „Wie gesagt brauchen wir dringend Verstärkung. Sie kommen also wie gerufen. Was für Qualifikationen können sie denn vorweisen?“

„Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung in Kommunikations- und Sicherheitstechnik. Bis vor kurzem habe ich für die Telekommunikationsbehörde im Südterritorium gearbeitet.“

Katomen machte Eingaben auf dem Visiopult und prüfte einige Listen und Aufstellungen.  „Nun, einen zusätzlichen Inspektor für die elektronische Überwachung könnten wir gerade gut gebrauchen, Hauptsekretär Sarac. Sind sie Thosa oder Troianer? Wie lange sind sie schon auf Pharsalos?“

„Ich bin auf diesem Planeten geboren. In Omris im Südterritorium.“

Oberinspektor Katomen nickte nur und nahm diese ziemlich verdächtige Antwort ohne irgendeine Regung hin. Janus hatte offenbar seinen ersten Verbündeten in der Zentrale der Gesellschaft gewonnen und es war leichter gewesen als er angenommen hatte. Wenn er hier, im Allerheiligsten des Feindes, unerkannt wirken konnte, würde alles weitere jetzt schnell über die Bühne gehen. Eine gewisse Gefahr ging einzig von den Telepaten des PSI-Dienstes aus. Die würden nicht so leicht suggestiv zu beeinflussen sein. Aber auch dafür würde sich noch eine Lösung finden lassen.

„Wann könnten sie denn anfangen, Hauptsekretär Sarac?“

„Wenn’s recht ist, möchte ich gleich loslegen, Oberinspektor. Wenn sie mir bitte meinen neuen Arbeitsplatz zeigen könnten.“

Der Oberinspektor berührte einige Felder auf seinem Visio-Pult und starrte einige Sekunden auf ein aufgetauchtes Bildschirmfenster.

„Ah, hier, Sektion Kommunikationsstatistik. Ich bringe sie am Besten bei Inspektor Netter unter. Der kann sie gleich in ihren neuen Arbeitsbereich einführen. Ist übrigens alles streng geheim. Sie haben doch Sicherheitsstufe fünf?“

Janus nickte bestätigend. „Aber natürlich. Können wir gleich gehen?“

Der Oberinspektor schaltete das Visio-Pult ab, erhob sich etwas schwerfällig und kam um das Pult herum auf Janus zu.

„Ist nur eine Etage tiefer. Auf Ebene C elf, Raum elf-zwölf. Folgen sie mir bitte,“ sagte er freundlich mit einer einladenden Geste zur Tür hin. Als sie das Büro verliesen, sah Janus noch einmal kurz zur breiten Doppeltür am Ende des Korridors, bevor er seinem neuen Vertrauten zu den Liften folgte.

 

Nemesis

COMEX-Gesellschaft – Interstellare Entwicklungsgesellschaft auf kommerzieller Basis mit Sitz auf SARTHAG. Gegründet im Standardjahr 2021 auf dem Planeten CROMA. Haupteigentümer der Gesellschaft sind derzeit drei große Taira-Häuser und die Administrationen von SARTHAG und RUMAL. Ihre Hauptgeschäftszweige sind traditionell der interstellare Personen- und Gütertransport, sowie Unterhalt und Betrieb der Raumzeit-Portale. In den letzten Jahrzehnten sind allerdings lukrative planetare Entwicklungsprojekte, wie auf PHARSALOS, immer mehr in den Vordergrund gerückt. Die bösartige Kritik gewisser politischer Kreise an der angeblich rücksichtslosen Vorgehensweise bei diesen Projekten, wurde inzwischen von mehreren offiziellen Untersuchungskommissionen als reine Verleumdung entlarvt. Die Bilanzen der Standardjahre 3508-3510 wiesen die höchsten Gewinne seit hundert Jahren aus und auch der Ausblick auf die nächsten Jahre läßt auf weiter steigende Gewinne hoffen.

Datei der Portalautorität

 

Oberdirektor Saltzmann hatte nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag ausgesprochen schlechte Laune.

„Haben sie denn nicht alles bekommen was sie verlangt haben, Generalinspektorin Vox? Über zweitausend neue Sicherheitskräfte. Ein Dutzend neue Überwachungssatelliten. Telepaten des PSI-Diensts, die nach Lust und Laune in den Köpfen der Leute herumstöbern. Und was haben sie jetzt vorzuweisen? So gut wie nichts! Es ist als ob sie hinter einem Phantom her wären.“

 Deres Vox stand etwas steif und unbehaglich vor dem breiten Visiopult ihres Chefs.  „Ich habe ihnen ja von Anfang an gesagt, das ich keinen Erfolg versprechen kann. Dieser Janus ist eine Ausnahme-PSI-Begabung und kennt als ehemaliger Frachtpilot die Ödländer des Planeten wie kein anderer. Wir aber haben immer noch nicht genug Satelliten und Drohnen um den Planeten rund um die Uhr lückenlos zu überwachen. Die Pharser stehen inzwischen geschlossen auf seiner Seite und haben ihn als ihren Anführer akzeptiert. Die meisten Milizen und Terrorgruppen haben sich seinem Kommando unterstellt und bisher hat er als Rebellenführer sehr geschickt agiert. Ich fürchte uns bleibt nichts anderes übrig, als auf einen Fehler von ihm zu warten und dann rasch zuzuschlagen.“

„Das dachte dieser Militärtrottel Cone wohl auch und ist prompt in eine Falle gestolpert“, meinte Direktor Saltzmann sarkastisch.

„General Cone ist ein Risiko eingegangen und hat verloren. So was kommt im Krieg eben vor. Unsere militärischen Möglichkeiten sind durch die herben Verluste der Mobilen Division und die schwere Beschädigung des Mutterschiffs derzeit zwar etwas eingeschränkt, aber am Ende sind wir noch lange nicht. Das Hauptproblem ist, das es uns bisher nicht gelungen ist, Informanten in die Führung des Widerstands einzuschleusen. Wir können da und dort eine Zelle entdecken und ausschalten, aber die ganze Struktur des Widerstands ist uns bisher verborgen geblieben. Wir haben keine Ahnung wie stark die Rebellen tatsächlich sind und was sie als nächstes vorhaben.“

Saltzmann schlug mit der Faust auf den Tisch.  „Ihre ganzen Aktionen der letzten Monate waren also ein Schlag ins Wasser! Wenn wir den Widerstand wirklich zerschlagen wollen, müssen wir meiner Ansicht nach die ganze pharsische Bevölkerung in Konzentrationslager stecken oder am Besten gleich auf andere Planeten deportieren. Das wäre zwar ein Riesenaufwand, aber nur damit können wir diesen tödlichen Sumpf endlich austrocknen.

Ich habe gehört, das die Pharser diesen Veserke oder Janus inzwischen für so etwas wie einen Halbgott, einen Messias halten. Natürlich ist das blanker Unsinn. Aber diese pseudoreligiöse Komponente macht es uns sehr schwer, die Lage wieder in den Griff zu bekommen.“

Deres verzog keine Miene und antwortete ruhig.  „Ja, der von uns geschaffene Übermensch arbeitet unermüdlich an seinem Mythos. Im Moment stärkt das zwar den Widerstand der Pharser, aber wenn wir ihren Messias ausschalten können, ohne ihn zum Märtyrer zu machen, haben wir gewonnen. Dann zerfällt der organisierte Widerstand innerhalb kurzer Zeit. Und genau darauf arbeite ich im Moment hin. Wenn wir der Schlange den Kopf abschlagen, ist der ganze Spuk schnell vorbei.“

„Auf alle Fälle sind wir in Schwierigkeiten solange dieser Verrückte noch frei herumläuft. Der Vorstand hat inzwischen natürlich Wind von der desolaten Lage hier bekommen und fordert laufend neue Berichte. Vergessen sie nicht das Lady Dewitt auf Sarthag immer noch unermüdlich gegen uns intrigiert. Wenn wir die Lage nicht bald unter Kontrolle bekommen, sind wir erledigt. Und das alles nur, weil ihre kleine Schwester unbedingt Gott spielen wollte! Hat Jercy inzwischen etwas herausgefunden, was uns weiterhelfen könnte? Warum haben wir noch keinen eigenen loyalen Übermenschen züchten können?“

„Nein, leider keine brauchbaren Ergebnisse“, meinte Deres Vox kopfschüttelnd.  „Nur ein weiterer Todesfall bei der Wiederholung des Versuchs. Bei jeder Replikation des vorhandenen Rendova-Materials treten neue spontane Mutationen auf. So kann Jercy das verhängnisvolle Experiment von Fünfunddreissig-zehn unmöglich nachvollziehen. Das Genmaterial verändert sich einfach zu schnell und vollkommen unvorhersehbar. Ich fürchte Jercy kommt nicht weiter, solange wir Janus nicht in unsere Gewalt bekommen und genau untersuchen können. Ein weiterer guter Grund alle Anstrengungen auf ihn zu konzentrieren.“

Der Oberdirektor sah einige Sekunden mit leerem Blick aus dem Panoramafenster, bevor er ärgerlich die Stirn runzelte und sich erneut Deres zuwandte.  „Was war das übrigens für eine Schießerei heute vormittag? Ist ja unerhört. Sowas im Hauptgebäude der Gesellschaft. War das eine Aktion des Widerstands?“

Deres Vox wurde sichtlich nervös.  „Ein Wachmann der Gebäudesicherheit hat offenbar plötzlich durchgedreht und wild um sich geschossen. Er hat dabei einen anderen Wachmann, drei Angestellte und eine Telepatin des PSI-Diensts getötet. Als er dann auf Ebene B zwölf in die Enge getrieben wurde, hat er sich selbst getötet. Die Untersuchungen laufen zwar noch, aber ich gehe davon aus, das der Tod der Telepatin kein Zufall war.“

Saltzmann schlug mit der flachen Hand laut auf das Pult.  „Haben wir den Feind schon hier im Gebäude? Mitten unter uns. Das wäre ja ungeheuerlich!“

„Das ist nicht ausgeschlossen. Wir wissen wie leicht Janus bei seiner Flucht vor fast drei Jahren einen Offizier des Sicherheitsdiensts unter seine Kontrolle gebracht hat. Ich habe deshalb weitere Telepaten in das Gebäude beordert und die internen Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft.“

Direktor Saltzmann richtete den Zeigefinger drohend auf sein Gegenüber.  „Wenn ich einen kompetenten Ersatz für sie hätte, Vox, würde ich sie auf der Stelle in die Wüste schicken und den Goon Goons zum Frass vorwerfen. Aber sie werden mit mir die Suppe auslöffeln, die uns die Fahrlässigkeit ihrer Schwester eingebrockt hat. Ich gebe ihnen noch achtundvierzig Stunden Zeit diesen Janus so oder so zu erledigen. Gehen sie mit allen Mitteln vor. Nur der Erfolg zählt, egal wie! Wenn sie wieder mit leeren Händen kommen, werde ich die Sache persönlich in die Hand nehmen und sie können sich auf etwas gefasst machen.“

Die Sicherheitschefin protestierte vorsichtig.  „Der Unfall im biochemischen Labor war nun wirklich nicht mein Fehler. Das können sie mir nicht anlasten, Herr Oberdirektor.“

Doch Saltzmann wischte den Einwand einfach beiseite.  „Darum geht es doch gar nicht. So eine Angelegenheit muss man als Chefin der Sicherheit einfach regeln können. In genau achtundvierzig Stunden werde ich eine grosse Runde der Führungsebene einberufen. Wenn sie bis dahin keine greifbaren Erfolge vorzuweisen haben, wird es die letzte Sitzung sein, an der sie teilnehmen. Haben wir uns verstanden?“

Zornesröte verdüsterte das Gesicht von Deres Vox.  „Vergessen sie bitte eines nicht Herr Percy Saltzmann. Wenn ich falle, habe ich genug in der Hand, um sie mit in den Abgrund zu reißen. Sie stecken mindestens genauso tief drin wie ich. Und dann ist da noch die Sache auf Genesis Zwei. Schon vergessen?“

Der Oberdirektor lief rot an und stand offenbar kurz vor einem Zornausbruch. Doch dann besann er sich anders und atmete tief durch.  „Schon gut. Aber wenn es so weitergeht wie bisher, werden wir beide in Kürze in Schimpf und Schande davongejagt. In den nächsten Tagen muss unbedingt etwas geschehen, um das Blatt noch zu wenden.“

 

Zwei Tage später.

„Ich möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken,“  meinte Oberst Boeder und blickt kurz zu Deres Vox hinüber, die einsam am Konferenztisch sass und angestrengt auf ihr Kommunikationspad starrte. Die meisten der anderen Sitzungsteilnehmer standen noch in kleinen Gruppen in der Nähe des Eingangs herum und unterhielten sich leise, während sie auf den Beginn der Sitzung warteten.

„Abwarten Herr Oberst. Schließlich hängt der große Boss selbst bis über beide Ohren mit drin. Wenn der Vorstand endlich die Geduld verliert und Köpfe rollen lässt, ist der seine mit Sicherheit dabei.“  Oberinspektor Katomen blickte zum wiederholten Male nach der Uhr. Oberdirektor Saltzmann war nicht für Pünktlichkeit bekannt, aber diesmal lies er sie schon fast eine halbe Stunde warten.

„Sie glauben der Oberdirektor nimmt die Sache jetzt selbst in die Hand?“

„Wenn Saltzmann nicht noch einen letzten Trumpf aus dem Ärmel zaubert, ist er so gut wie erledigt“, flüsterte der Oberinspektor zurück.  „Die Kalamitäten mit diesem mysteriösen Janus sollen schon bis ganz nach oben durchgedrungen sein.“

Der Oberst kam nicht mehr dazu, mehr aus Katomen herauszuholen, denn Oberdirektor Saltzmann stürmte eben durch einen Nebeneingang in den großen Konferenzraum und eilte unverzüglich an seinen Platz am Kopfende des langen Tisches.

„Nehmen sie Platz meine Damen und Herren, wir wollen gleich anfangen.“

Die Leiter und Offiziere nahmen ihre Plätze am Tisch ein und die halblauten Gespräche verstummten. Der Oberdirektor wirkte angesichts der allgemeinen Krisenstimmung merkwürdig aufgekratzt, ja fast heiter.

“Guten Abend, meine Damen und Herren. Die allgemeine Lage dürfte ihnen ja bekannt sein. Im Großen und Ganzen hat sich in den letzten achtundvierzig Stunden nichts Neues ergeben. Allerdings wird es immer mehr zur Gewissheit, das sich die Streitkräfte der Terroristen, die sich bei den Okla-Minen als überraschend stark erwiesen haben, wieder in ihre Schlupfwinkel verzogen haben. Wahrscheinlich sind sie stark geschwächt und in der nächsten Zeit zu keinem neuen Großangriff mehr fähig. Die Masse der Pharser leistet bisher zwar nur passiven Widerstand, aber wir müssen auch die Möglichkeit eines Aufstands ins Auge fassen. Diese Nachfahren der Altkolonisten sind jetzt größtenteils Anhänger eines charismatischen Religionsführers, der sich Janus nennt, und sie schon bald in einen offenen Aufstand treiben könnte. Was dann los ist, können sie sich alle vorstellen.

Alle Maßnahmen unseres Sicherheitsdiensts diesen Janus unschädlich zu machen, waren bisher offenbar unzureichend. Es ist an der Zeit unserer Vorgehen in dieser Hinsicht gründlich zu überdenken und Generalinspektorin Vox neue Wege aufzuzeigen.“

Mancher Blick wanderte verstohlen zu Deres Vox, doch diese zeigte sich äußerlich kühl und beherrscht.

„Ich weise diesen Angriff auf meinen Fachbereich auf das Entschiedenste zurück! Die Sicherheitsorgane haben sich nichts vorzuwerfen. Einen so aussergewöhnlichen Fall konnten wir mit konventionellen Mittel einfach nicht unter Kontrolle bringen. Ich warne sie davor, mich hier zum Sündenbock machen zu wollen, Herr Oberdirektor! Sie haben den ganzen Schlamassel durch ihr übereiltes Vorgehen doch selbst verursacht.“

Deres Vox hatte sich in ihrem Sitz kerzengerade aufgerichtet und funkelte Saltzmann mit ihren grünen Augen drohend an.

Der Oberdirektor wirkte durch scharfen Angriff etwas überrascht. In leiserem Tonfall versuchte er die Emotionen wieder zu beruhigen.  „Das war kein persönlicher Angriff auf sie, Frau Vox. Aber über gewisse Fehler und Misserfolge in ihrem Verantwortungsbereich müssen wir jetzt einmal offen sprechen. Wir wollen sie doch nur unterstützen.“

„Unsere technischen und personellen Ressourcen waren von Anfang an unzureichend. Das wahre Ausmass der Gefahr wurde zu lange verkannt und wir alle hier wissen, wer letztlich die Verantwortung dafür trägt.“

Saltzmann wirkte unsicher und zögerte mit der Erwiderung. Oberst Boeder rettete ihn mit einem Einwurf aus der peinlichen Lage.

„Wir sollten uns angesichts der kritischen Lage nicht gegenseitig die Schuld zuschieben. Das bringt doch nichts. Konzentrieren wir uns lieber auf unser Problem. Noch haben wir die Lage auf Pharsalos einigermaßen unter Kontrolle. Auch wenn die Mobile Division praktisch aufgerieben ist und das Mutterschiff im Raumdock liegt, haben wir immer noch drei einsatzbereite Sicherungsdivisionen. Alle Bevölkerungszentren sich noch unter unserer Kontrolle und die Drohnen überwachen die Gebiete bis zum vierzigsten Breitengrad fast lückenlos aus der Luft.  Dieser Janus kann sich mit seinen Rebellen nur noch tief in den Ödländern verstecken. Wenn die Satellitenüberwachung wieder störungsfrei funktioniert, haben wir ihn auch da bald aufgestöbert. Was kann ein Einzelner, wie dieser Janus, denn schon gegen eine interstellare Organisation ausrichten?“

Ungehalten wandte sich Deres Vox dem Oberst auf der anderen Seite des Tisches zu.

„Haben sie denn schon vergessen, wie er sie bei den Okla-Minen vorgeführt hat? Ihr Militärs habt offensichtlich immer noch nicht begriffen mit was oder mit wem wir es hier zu tun haben. Unser Gegner verfügt inzwischen über unglaubliche PSI-Fähigkeiten. Von unserem PSI-Dienst kann es niemand mehr mit ihm aufnehmen. Er zwingt jedem innerhalb von Sekunden seinen Willen auf.

Janus könnte hier im Gebäude sitzen und in aller Ruhe gegen uns agieren. Er könnte unerkannt hier mit am Tisch sitzen und sich köstlich über unsere Hilflosigkeit amüsieren.“

Am unteren Ende des Tisches begann jemand laut und vernehmlich zu lachen. Irritiert wandte sich Deres Vox von Oberst Boeder ab und versuchte den störenden Lacher in der Runde auszumachen. Aber auch andere Konferenzteilnehmer fielen herzlich in das Lachen ein und bald hatte der unprovozierte Heiterkeitsausbruch die ganze, eben noch so ernste Runde ergriffen.

Deres Vox brachte kein Wort mehr heraus und sah hilflos zu Saltzmann hinüber, der schließlich mit der Faust laut auf den Tisch schlug.

„Darf ich bitten meine Damen und Herren! Was soll denn das! Das ist hier doch kein Kindergarten.“

Während das Lachen langsam verklang, erhob sich am Ende des Tisches, neben Oberinspektor Katomen ein unscheinbarer Sicherheitsbeamter. Niemand hatte ihn bisher beachtet, aber nun ruhten alle Blicke auf ihm, während er in aller Ruhe um den Tisch herum, zum Platz von Oberdirektor Saltzmann ging.

„Ich bin ganz ihrer Meinung, Herr Saltzmann. Es ist höchste Zeit diese miese Vorstellung zu beenden.“

Deres Vox begriff als erste. Sie sprang erregt auf, deutete auf den unbekannten Offizier und schrie laut: „Das ist doch Pieter Veserke…Janus!“

„Richtig, Frau Generalinspektorin. Aber bleiben sie ruhig sitzen. Ich werde gleich alles aufklären.“

Janus blieb ruhig neben dem konsternierten Oberdirektor stehen und wandte sich an die Sitzungsteilnehmer, die fassungslos auf ihren Plätzen verharrten. Deres Vox blieb wie angewurzelt stehen und brachte kein Wort mehr heraus.

„Hören sie mir gut zu, meine Damen und Herren. Die Herrschaft der COMEX-Gesellschaft auf diesem Planeten ist zu Ende. Ab heute steht auf Pharsalos alles unter meinem Kommando. Die ‚Planetare Befreiungsarmee‘ und mir ergebene Kräfte der COMEX werden meinen Befehlen Geltung verschaffen.

Als erstes werde ich sie Herr Saltzmann und alle anderen Repräsentanten der Gesellschaft, die hier überflüssig geworden sind, ausweisen und durch das Raumzeit-Portal nach Sarthag zurückschicken. Militär- und Sicherheitskräfte werden ebenfalls umgehend nach Sarthag evakuiert. Ihr verbrecherisches Ausbeutungsprojekt ist gescheitert, Herr Oberdirektor! Soll die COMEX-Gesellschaft selbst über sie richten. Wir machen uns nicht die Finger mit ihnen schmutzig.

Der Besitz der Gesellschaft auf diesem Planeten wird hiermit als Kompensation für die angerichteten Schäden, eingezogen. Die ausgewiesenen Mitarbeiter und Soldaten der Gesellschaft dürfen nur ihren privaten Besitz mitnehmen.

Sollte ihre überhebliche Gesellschaft durch das Portal einen militärischen Angriff auf uns versuchen, wird sie auf eine gut vorbereitete Abwehr treffen. Die Raumzeit-Ingenieure im Niram-System arbeiten bereits für mich und sind in der Lage das Portal jederzeit in eine vernichtende Falle zu verwandeln. Aber das wissen sie sicher besser als ich.

Ich will nichts weiter als Umwelt und Kultur meines Heimatplaneten bewahren. Es soll keinen großflächigen Abbau von Bodenschätzen und keine Lagerung von gefährlichen Abfallstoffen bei uns geben. Wir wollen nur in Frieden und Freiheit leben. Wenn die Gesellschaft vernünftig ist und unseren Wunsch anerkennt, wird es keine weiteren Gewalttaten geben. Wir streben nicht danach den Bewohnern anderer Planeten unseren Willen aufzuzwingen.

Geht die Gesellschaft, in ihrer Verblendung aber gewaltsam gegen mich und diesen Planeten vor, werde ich mit ganzer Macht gegen Sarthag vorgehen und einen totalen Krieg entfesseln. Totaler als sie ihn sich vorstellen können. Dieser Krieg wird mit der Vernichtung der COMEX-Gesellschaft und der Verwüstung vieler bewohnter Planeten enden.“

Oberdirektor Saltzmann war fassungslos und fand nur mühsam die Sprache wieder.

„Sie sind ja komplett verrückt! Was faseln sie da nur für dummes Zeug. Warum unternimmt den niemand etwas?“

Deres Vox hantierte möglichst unauffällig an ihrem Kommunikationspad. Aber keiner der anderen Sitzungsteilnehmer rührte auch nur einen Finger. Alle saßen wie gelähmt da und sahen zum Kopfende des Tisches, wo Janus unheildrohend vor dem Oderdirektor stand.

Saltzmann fasste sich wieder und versuchte ein überlegenes Lächeln.  „Sie unterschätzen die Möglichkeiten unserer Gesellschaft gewaltig, wenn sie glauben unserer Macht auch nur einen Tag widerstehen zu können, Janus. Einmal abgesehen davon, dass sie diesen Raum nur tot oder als mein Gefangener verlassen werden.“

Janus schloss für einige Sekunden die Augen und lies sein Gesicht in einem konzentrieren Ausdruck erstarren. Im nächsten Moment öffnete sich das grosse Eingangsportal des Sitzungssaals und einige Dutzend Bewaffnete drängten in den Raum. Einige trugen die dunkelblauen Uniformen der Gebäudesicherheit, die meisten aber die sandfarbene Militärkleidung der Rebellen. Auf ihren Ärmeln war das rote Emblem der ersten Rebellen-Legion zu erkennen.

Einige der Sitzungsteilnehmer, darunter Oberinspektor Katomen, standen jetzt auf und traten wie selbstverständlich zu den Bewaffneten. Die anderen Leiter der Gesellschaft sahen die Waffen der Eindringlinge auf sich gerichtet.

Deres Vox gab ihre vergeblichen Bemühungen mit dem Kommunikator wieder auf.  „Verrat in den eigenen Reihen,“ meinte sie bitter.  „Ihre suggestiven Kräfte müssen gewaltig sein, Janus. Man kann den Verrätern also nicht einmal einen Vorwurf machen. Unter diesen Umständen müssen wir uns wohl geschlagen geben. Aber wir sind jetzt gewarnt und eines Tages werden wir erbarmungslos zurückschlagen. Darauf können sie sich verlassen.“

Janus ignorierte die Drohung und wandte sich mit erhobener Stimme an alle Sitzungsteilnehmer.  „Diese Männer geleiten sie nun zu den Raumfähren und dann werden sie so schnell wie möglich durch das Portal fliegen. Berichten sie ihrem räuberischen Vorstand genau, was in den letzten drei Jahren auf Pharsalos geschehen ist. Überbringen sie ihren Oberen die Warnungen, die ich hier ausgesprochen habe. Es sind keine leeren Drohungen. Und nun wünsche ich eine gute Reise.“

Langsam erhob sich Oberdirektor Saltzmann aus seinem bequemen Sessel.  „Das werden sie noch bereuen, Janus. Die Gesellschaft wird nicht eher ruhen, bis sie und dieser armselige Planet ausradiert sind. Diese unverschämte Widersetzlichkeit wird sich der Vorstand nie und nimmer gefallen lassen. Sie sind tot, tot, tot!“ schrie er hysterisch in den Raum.

„Oh, keine Sorge. Ich kenne die Machtmittel der Gesellschaft nur zu genau. Aber sie wissen nichts über meine Möglichkeiten. Gar nichts wissen sie! Und wenn sie sich nicht besinnen und umkehren, werden sie in eine düstere Welt des Schmerzes und der Verzweiflung eintreten. Und jetzt raus mit ihnen.“

Saltzmann, Deres Vox und die anderen entmachteten Leiter der COMEX-Gesellschaft wurden von den Bewaffneten aus dem Raum geführt. Mit gesenkten Köpfen und hängenden Schultern trotteten sie nach draußen und niemand machte auch nur den leisesten Versuch Widerstand zu leisten. Der Umschwung war einfach zu schnell und zu überraschend gekommen.

 

Nachspiel auf Sarthag

Oberdirektor Saltzmann kannte den pompösen Empfangsraum an der Spitze der gigantischen COMEX-Pyramide auf Sarthag von früheren Besuchen her. Das Allerheiligste von Generaldirektor Tatoine war ein überladener, verschnörkelter Alptraum in Gold und Rot. Wie ein Kaiser der Altvorderenzeit sass der dürre faltige Mann mit verkniffenem Mund in seinem Lehnstuhl unter einem großen, reich vergoldeten Firmensymbol.

Deres Vox stand in aufrechter Haltung neben Saltzmann und trug ihren Bericht mit ruhiger emotionsloser Stimme vor.

„…und wir wissen immer noch zu wenig über seine paramentalen Fähigkeiten. Auf alle Fälle war Janus in der Lage unsere Position auf Pharsalos am Ende fast mühelos aus den Angeln zu heben. Der ganze hochtechnisierte Sicherheitsapparat und die Telepaten haben uns wenig genutzt. Er hat unsere Leute einfach umgedreht und gegen uns eingesetzt.“

Tatoine hob theatralisch den Zeigefinger.  „Das ist bedenklich, sehr bedenklich. Dazu diese finsteren Drohungen. Wir sollten das auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen. Konnten sie denn nicht mehr über die Natur seiner Verwandlung herausfinden, bevor sie Pharsalos verlassen mussten, Doktor Vox?“

Jercy Vox trat aus dem Hintergrund neben ihre Schwester.  „Ich konnte mit rekonstruierter Rendova-DNA noch einige Versuche und Untersuchungen anstellen, bin dabei aber kaum weitergekommen. Diese fremde DNA verändert sich unglaublich schnell und scheint ihre Wirkung nur bei Humanoiden mit einer bestimmten genetischen Ausstattung zu entfalten. Leider konnten wir die entscheidenden Gensequenzen noch nicht identifizieren. Bei Humanoiden mit passendem Genom werden die geistigen und körperlichen Fähigkeiten durch genetische Ergänzungen offenbar enorm gesteigert. Das bedeutet enorm beschleunigte Biomechanik, sowie starke telepathische und suggestive Fähigkeiten. Manche vermuten sogar die Gabe einer begrenzten Vorschau in der Zukunft. Aber das ist in meinen Augen unwissenschaftlich.

Um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, müssten wir Janus oder einen anderen Rendova-Mutanten, umfangreichen Test unterziehen. Bis dahin sind wir auf ungenaue Berichte über die Fähigkeiten dieses Janus angewiesen. Ein weiteres Problem für unsere Untersuchungen besteht darin, dass wir das Genom der Rendova-Wesen immer noch nicht vollständig entschlüsseln konnten. Vielleicht liegt das Geheimnis auch in ihrer andersartigen Protein-Synthese. Wir brauchen dringend neue, möglichst noch vitale Rendova-Zellen.“

Der Generaldirektor lehnte sich nachdenklich zurück, bevor er antwortete.

„Sie haben mit ihren ungenehmigten Human-Versuchen ein äusserst gefährliches Monstrum in die Welt gesetzt, Frau Doktor. Ihr Glück dass wir sie momentan noch brauchen. Sie begeben sich sofort nach Maren IV und setzen dort ihre Versuche mit Hochdruck fort. Eine Einsatzgruppe wird versuchen auf Rendova weiteres Fremdgewebe zu besorgen. Sie sind ab sofort wieder dem ‚Prometheus‘-Projekt zugeteilt und direkt Professor Zschoku unterstellt. Die Sache hat vom Vorstand oberste Priorität bekommen. Aber wenn nicht in Kürze Resultate vorliegen, werden wir uns überlegen müssen, ob wir sie wirklich noch brauchen Frau Doktor. Haben wir uns verstanden?“

Jercy Vox nickte erleichtert.  „Ich habe verstanden und danke für ihr Vertrauen in meine wissenschaftlichen Fähigkeiten. Ich werde sie nicht enttäuschen.“

Die junge Frau zog sich wieder in den Hintergrund zurück.

„Und nun zu ihnen, Generalinspektorin Vox. Der Vorstand ist sich über ihre weitere Verwendung noch nicht schlüssig geworden. Die Untersuchung zu ihrer Rolle bei diesem unseligen Desaster ist noch nicht abgeschlossen. Einstweilen sind sie vom Dienst suspendiert und halten sich hier auf Sarthag zur Verfügung.“

„Wenn sie die Berichte gelesen haben, wissen sie dass ich keine reelle Chance hatte, die Sache mit den zur Verfügung stehenden Mitteln unter Kontrolle zu bekommen, Herr Generaldirektor“, versuchte sich Deres Vox zu verteidigen.  „Oberdirektor Saltzmann, hätte viel früher Unterstützung anfordern müssen. Mir waren in dieser Hinsicht leider die Hände gebunden. Aber meine eindringlichen Warnungen sind in den Aufzeichnungen festgehalten.“

Der Generaldirektor beugte sich leicht vor und setzte eine strenge, undurchdringliche Mine auf. „Immerhin hätten sie die gefährlichen Versuche ihrer Schwester unterbinden oder wenigstens besser überwachen können. Aber sie haben sich bisher immer als loyale und kompetente Mitarbeiterin erwiesen und könnten uns bei der Invasion von Pharsalos von Nutzen sein. Schließlich kennen sie die Verhältnisse dort inzwischen ziemlich gut.“

Tatoine lehnte sich wieder entspannt zurück.  „Unsere Sonden haben inzwischen bestätigt, dass das Raumzeit-Portal im Niram-System in der Hand der Rebellen ist. Trotzdem bleibt uns keine andere Möglichkeit als ein massiver militärischer Angriff. Wenn wir uns auf Verhandlungen einlassen oder die Sache auf sich beruhen lassen, kann das unsere Machtposition auch auf anderen Planeten erschüttern. Ich hoffe unsere Raumzeit-Spezialisten werden eine Möglichkeit finden, das Portal wieder nutzbar zu machen. Dann kann die Kreuzweg-Flotte überraschend angreifen und die Zweite Mobile Armee auf Pharsalos absetzen. Mal sehen ob dieser Janus dann immer noch so selbstsicher auftritt. Notfalls wird die Flotte eben den Weg durch den Normalraum nehmen.“

„Aber so ein Flug durch den Normalraum kann dreissig oder vierzig Jahre dauern! Das nächste System mit einem Raumzeit-Portal ist mehr als zehn Lichtjahre von Pharsalos entfernt,“  gab Deres Vox überrascht zu bedenken.

Generaldirektor hob bekräftigend den Zeigefinger der rechten Hand.  „Das ja sein, aber wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Es sind bereits die phantastischsten Gerüchte über diesen Janus bis nach Sarthag gedrungen. Sie wissen, es gibt da gewisse dunkle Legenden und Prophezeiungen aus alter Zeit und das gemeine Volk ist ziemlich abergläubisch. Dem müssen wir unter allen Umständen den Boden entziehen. Koste es was es wolle.“

Oberdirektor Saltzmann trat entschlossen einen Schritt näher an den Pseudo-Thron des alten Mannes heran.  „Herr Generaldirektor, ich bitte um meine Verwendung bei den Vorbereitungen zum Angriff auf Pharsalos. Niemand kennt die Verhältnisse dort so gut wie ich. Ich bin mir meiner Mitverantwortung für diesen Rückschlag natürlich bewusst, bitte aber trotzdem um eine neue Chance zur Bewährung. Im übrigen weise ich die Anschuldigungen von Generalinspektorin Vox auf das Schärfste zurück. Ich bin von ihr und ihrer verantwortungslosen Schwester bei dieser Sache bewusst hinters Licht geführt worden.“

„Nein, Herr Saltzmann!“  Tatoine schlug mit der rechten Faust theatralisch auf die Sessellehne.  „Ich und meine Vorstandskollegen sind zu dem Schluss gekommen dass sie die Hauptschuld an diesem Desaster auf Pharsalos tragen. Sie waren der verantwortliche Oberdirektor und die Fehler ihrer Untergebenen fallen letztlich auf sie zurück. Betrachten sie sich als fristlos gekündigt. Weder die Gesellschaft noch irgendeine andere Organisation, die mit uns zusammenarbeitet, wird sie jemals wieder beschäftigten. Ausserdem werden wir ihr ganzes Vermögen, als kleinen Ausgleich für unsere Verluste auf Pharsalos, zu Gunsten der Gesellschaft einziehen.“

Saltzmann war einige Sekunden sprachlos und verwirrt, bevor er mit vor Wut verzerrtem Gesicht seinen Protest hervorstieß.   „Das ist doch nicht möglich! Das können sie mit mir nicht machen! Sie stürzen mich und meine Familie damit ins blanke Elend. Lassen sie mir doch wenigstens das Haus meiner Familie auf Nemos und ein kleines Guthaben, um menschenwürdig leben zu können.“

„Nun, möglicherweise wird noch mancher von uns, in den durch sie verschuldeten Verwicklungen, seine Existenzgrundlage verlieren. Sie sind eben der erste, den es trifft. Das ist doch nur gerecht. Seinen sie doch froh, dass sie wenigstens noch ein freier Mann sind und ihr Leben nicht auf einem unwirtlichen Strafplaneten beenden müssen.“  Generaldirektor Tatoine brach in ein heiseres boshaftes Lachen aus und seine ergebene Entourage fiel nach einigen Sekunden mit ein. 

 

Ein riskanter Handstreich

Acht Monate später.

Malik Harrach fühlte sich in der engen Pilotenkanzel der Raumbarkasse sichtlich unwohl. Er sprang von seinem beengten Notsitz auf und beugte sich weit über die, vor ihm aufragende Rückenlehne des Copilotensitzes, um aus einem der vorderen Sichtfenster, besser auf das sich nähernde Raumphänomen blicken zu können. Die große gebogene Nase und das vorspringende Kinn gaben dem Profil des etwa fünfzigjährigen Mannes in der schweren Kampfmontur etwas lauernd Raubtierhaftes.

„Sind wir nicht viel zu schnell, Pilotin? Wir stürzen ja mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit in das unheimliche Ding hinein.“

Der auf dem Platz des Copiloten sitzende Portal-Ingenieur drehte den Kopf herum und lächelte mitleidig.  „Sie sind wohl noch nie durch ein Raumzeit-Portal geflogen, Malik. Da ist gar nichts dabei. Ehe sie sich versehen, sind wir schon auf der anderen Seite. Sie werden gar nicht davon merken. Und wenn’s schiefgeht, werden wir so schnell in unsere Elementarteilchen zerlegt, dass sie davon gar nichts mehr mitkriegen.“

Portal-Ingenieur Alger lachte ungeniert über seinen etwas makabren Witz. Er war etwas korpulent, trug sein braunes Haar lang und hatte einen etwas ungepflegten Vollbart, der ihn vermutlich verwegen aussehen lassen sollte.  Alger schien noch etwas jung und unreif für seine herausgehobene Position zu sein und versuchte das durch sein unbekümmertes Selbstbewusstsein auszugleichen. Malik Harrach würdigte ihn keiner Antwort und starrte schweigend durch das Sichtfenster auf die gewölbte spiegelnde Oberfläche, die rasch auf die kaum dreissig Meter lange, zerbrechliche Raumbarkasse zukam. Das Raumzeit-Portal des Niram-Systems wirkte aus dieser Perspektive wie eine gigantische, kosmische Seifenblase, in der sich unzählige Sterne, Nebel und Galaxien spiegelten, deren Konstellationen sich immer rascher veränderten und verschoben. Ein Mini-Universum mit dem, nach astronomischen Maßstäben, lächerlichen Durchmesser von etwa achtzig Kilometern. 

Portal-Ingenieur Alger hatte seinem Heiterkeitsanfall inzwischen überwunden und lies sich zu seriöseren Erklärungen herab.  „Das Unterprogramm, das ich ins Portalsystem eingeschleust habe, wird in wenigen Augenblicken aktiv werden und die bestehende Sperre des Niram-Portals kurz aufheben. Aber das Portal wird nur für drei Komma zwei Sekunden nach ‚Kreuzweg II‘ geöffnet bleiben. Wenn wir den richtigen Zeitpunkt verpassen, werden wir zermalmt und auf der anderen Seite kommt nur noch eine Wolke von Elementarteilchen an.“
Er sah zur Pilotin hinüber, die konzentriert auf ihre Datendisplays starrte und keinen Blick für das Schauspiel im Weltraum übrig zu haben schien.  „Und wie sieht aus, Pentesilya? Sind wir im Zeitplan?“
Die junge Frau nickte kurz und nahm keinen Blick von den Anzeigen.  „Auf die Millisekunde, Herr Ingenieur.“

Malik Harrach starrte weiter andächtig in den Weltraum hinaus. In wenigen Sekunden würde der Eintritt in das Raumzeit-Portal erfolgen. Die Sterne am Rand der Gravitationsblase verzogen sich zu dünnen Lichtstreifen und formierten sich zu grell stechenden Lichtbündeln. Ihr Farbspektrum verschob zu intensivem Blau und Violet. Eine blendende Farborgie peinigte Harrachs Augen, kurz bevor ein leichter Ruck durch die Raumbarkasse ging und das optische Schauspiel plötzlich vorbei war. Das kleine Raumfahrzeug schwebte für einige Augenblicke scheinbar bewegungslos in einem unheimlichen tiefroten Universum. Nur direkt voraus war ein schwacher purpurner Fleck zu erkennen. Der Fleck wurde größer und größer und verschluckte die Barkasse schließlich. Übergangslos erblickte Harrach wieder den gewohnten, scheinbar bewegungslosen Sternenhimmel.  „Sind wir schon da?“

Portal-Ingenieur Alger hatte wieder einen seiner Heiterkeitsausbrüche.  „Scheint geklappt zu haben. Wir sind durch und noch am Stück. Ich bin eben doch ein verdammtes Genie.“

„Lassen sie die dummen Sprüche, Alger. Kümmern sie sich lieber um die Raumortung,“  schnauzte der Malik zurück.  „Sind noch andere Raumschiffe in der Nähe? Sind die anderen Barkassen auch heil durchgekommen?“

Alger beugte sich über seine Bildschirme und tippte auf dem Bedienfeld herum. Nach einigen Sekunden richtete er sich wieder auf und wandte sich mit zufriedener Mine zu Harrach um.  „Sieh gut aus, Malik. Scheinbar ist das Glück auf unserer Seite. Alle acht Barkassen sind noch hinter uns.“

„Um wie sieht’s mit COMEX-Kriegsschiffen aus?“

„Keine Kriegsschiffe zu orten. Janus scheint wieder mal richtig gelegen zu haben. Die fühlen sich hier absolut sicher und haben am Gegenportal keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Schließlich ist das Niram-Portal ja blockiert.“  Alger kicherte hämisch.

„Man soll den Tag nicht vor dem Ende loben,“ meinte der Malik trocken.  „Pilotin, nehmen sie Kurs auf die Kontrollstation und beschleunigen sie langsam auf dreissig Kilometer pro Sekunde.“

Die Angesprochene nickte nur kurz und machte sich an die Arbeit. Mit Algers Hilfe bestimmte sie Ausgangspunkt und Zielpunkt und lies den Navigationscomputer die nötigen Kursberechnungen durchführen. Dann übermittelte sie die errechneten Daten an die anderen Barkassen und wartete auf die Klarmeldung des Steuercomputers. Als ein grünes Symbol aufleuchte, tippte es die junge Pilotin nur kurz an und wenige Augenblicke später erfüllte das tiefe Brummen der beiden seitlichen Pulstriebwerke die kleine Pilotenkabine. Außer am langsamen Wandern der Sterne in den vier frontalen Sichtfenstern und den sich ändernden Kursanzeigen auf den Bedienpult, war von der Richtungs- und Geschwindigkeitsänderung weiter nichts zu bemerken. Die Antigrav der Barkasse arbeitete einwandfrei und kompensierte vollautomatisch die auftretenden Beschleunigungskräfte. Schon nach etwa zwanzig Sekunden verstummten die Triebwerke wieder und die Barkasse glitt wieder im freien Fall durch den endlosen tiefschwarzen Weltraum.

Malik Harrach löste seinen Blick von den Sichtfenstern und seufzte auf.  „Jetzt können wir nur noch hoffen, das die Besatzung der Kontrollstation nichts von unserem unautorisierten Durchgang mitbekommen hat. Aber das wäre wohl etwas viel verlangt.“

Portal-Ingenieur Alger lehnte sich selbstsicher in seinem bequemen Copilotensitz zurück.  „Keine Sorge, Malik. Meine Manipulationen sind so subtil, dass keiner von den Portal-Operatoren etwas merken wird. Wenn überhaupt, werden sie nur den Neustart eines System-Moduls feststellen. Bis sie hinter die Ursache kommen, sind wir schon da und drehen ihnen den Saft ab.“

„Wir wollen hoffen, das sie recht haben. Wenn auch nur eine einzige Korvette auftaucht, haben wir nichts mehr zu lachen. Wie sie wissen, verfügen unsere Barkassen über keinerlei Offensiv- und Defensivbewaffnung. Ein einziges Kriegsschiff kann uns in aller Ruhe, der Reihe nach, wie lahme Enten abschiessen,,“  meinte Malik Harrach sarkastisch. Er musste dabei an die Wahrscheinlichkeitsberechnungen der taktischen KI denken, die ihrem Unternehmen nur eine Erfolgsquote von etwa 23 Prozent gegeben hatte.

Alger schluckte den Kloss hinunter, der sich plötzlich in seiner Kehle gebildet hatte.  „Aber dafür sind unsere kleinen Raumschüsseln im antriebslosen Flug kaum zu orten. Wenn alles gut geht, kommen wir bis auf wenige hundert Kilometer heran, bevor sie was bemerken.“

Der Malik beugte sich wieder nach vorne und blickte angespannt auf den Ortungsschirm.  „Was sind denn das da für Anzeigen, Alger. Haben sie die schon überprüft?“

Der junge Portal-Ingenieur blickte nur kurz auf den Schirm bevor er ruhig antwortete.  „Keine Angst. Das sind alles nur Raumfrachter und Pendelschiffe, auf dem Weg von einem Portal zum nächsten. Die meisten Schiffe machen hier ja nur kurz Zwischenstation. Ein ganz normales Verkehrsaufkommen für so einen galaktischen Knotenpunkt.“

„Wie weit sind die von uns weg? Könnten die nicht was bemerkt haben?“

Alger tippte wieder auf einigen Symbolen seines Bedienpult herum, bevor er antwortete.  „Da sind etwa zehn größere Raumfahrzeuge in einem Umkreis von hunderttausend Kilometern. Das nächste ist nur zwanzigtausend Kilometer entfernt. Ein Megaliner der COMEX. Das Ding ist fast fünfzehnhundert Meter lang. Wegen einer eventuellen Ortung brauchen wir uns aber keine Sorgen zu  machen. Diese lässigen Frachterkapitäne achten im Bereich des Portal-Knotens kaum auf die Umgebung. Verlassen sich ganz auf den Autopiloten und die automatische Kollisionswarnung.“

Malik Harrach zog die Stirn in Falten und schien angestrengt zu überlegen.  „Wie nahe kommen wir beim jetzigen Kurs an den großen Megaliner heran? Er scheint etwa den gleichen Kurs zu steuern.“

Alger zauberte mit einigen flinken Fingerbewegungen eine Kursprojektion auf das Ortungsdisplay.  „Sie haben recht. Der Megaliner kommt ziemlich nahe an der Kontrollstation vorbei.“  Alger sah zu Harrach auf und grinste vergnügt.  „Ich glaube wir denken das gleiche, Chef. Wenn wird unseren Kurs um ein paar Grad ändern und die Geschwindigkeit etwas erhöhen, können wir den Riesenfrachter für eine Weile als Deckung benützen.“

Der Malik nickte langsam.  „Gut, machen sie es so.“

Alger und die Pilotin wechselten kurze Blicke und machten sich an die Arbeit.

 

Harrach versuchte den nahen Riesenfrachter durch die Sichtfenster mit bloßem Auge ausfindig zu machen. Aber die Entfernung war immer noch zu groß, um Details erkennen zu können. Das gigantische Schiff war im unendlichen Weltraum nichts weiter als ein schmaler Lichtbalken unter Myriaden von Lichtpunkten.

Alger blickte von seinem Ortungsdisplay auf.  „Näher sollten wir nicht heran gehen, sonst spricht da drüben noch die Kollisionswarnung an.“

„Schon gut. Das muss reichen.“  Der Blick des Maliks wanderte weiter durch dem umgebenden Weltraum und blieb an einem schwarzen runden Fleck, umgeben von einem gespenstischen tiefroten Strahlungsgürtel, hängen.  „Was ist denn das da drüben…“  entfuhr es ihm unwillkürlich.  „Das sieht ja richtig unheimlich aus.“

Alger blickte nur kurz hoch.  „Das ist das ‚Dämons Auge‘. Das massereiche schwarze Loch, um das der Portalknoten und das Kreuzweg-System kreisen.“

„Natürlich. Sie haben’s mir ja mal erklärt,“  meinte Harrach leise und starrte mit einem mulmigem Gefühl in das dunkle verschlingende Loch im Weltall.

Alger lies sich zu einer weiteren Erklärungen herab.  „Keine Angst, Malik. Wir sind weit genug weg davon und der Portal-Knoten bewegt sich auf einer sicheren Umlaufbahn. Die automatischen Fabrikanlagen der COMEX sind natürlich viel näher dran. Fremde Materie kann man nur unmittelbar am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs gewinnen. Die Schürfstationen der Gesellschaft sind wohl die großartigste technische Leistung der Menschheit,“  meinte der Portal-Ingenieur, nicht ohne einen gewissen Stolz auf seinen ehemaligen Arbeitgeber.  „Gibt ja auch nur zwei davon im ganzen Quadranten. Die hier im Kreuzweg-Sektor produziert einen großen Teil der Meta-Materie, die zum Bau von Raumzeit-Portalen gebraucht wird. Auch Antimaterie zur Energieerzeugung wird hier gewonnen und dann im ganzen Portalnetz verteilt. Janus hat verdammt recht. Wenn es uns gelingt das Kreuzweg-System und den Portalknoten zu erobern, kommt die COMEX in große Schwierigkeiten. Das wird in der ganzen Föderation seine Auswirkungen haben.“

Harrach löste seinen Blick vom Sichtfenster und besann sich wieder auf seine wichtige Mission.  „Eins nach dem anderen, Alger. Erst müssen wir die verdammte Kontrollstation in die Hand bekommen. Wie lange noch?“

„Zwei Stunden, fünfunddreissig Minuten,“ las die Pilotin laut von einem ihrer Displays ab.

 

 

Wie vorausberechnet, fielen die neun Raumbarkassen direkt auf die Kontrollstation im Zentrum der dreiundzwanzig ringförmig angeordneten Raumzeit-Portale zu. Im Moment war sie nur als fahler Balken vor dem schwarzen Weltraumhintergrund zu erkennen.

Nervös schlug der Malik mit der Hand auf die Lehne seines schmalen Notsitzes.  „Wie weit noch, Alger? Müssten wir jetzt nicht langsam mit dem Bremsmanöver beginnen?“

Alger schreckte aus irgendwelchen Gedanken hoch.  „Noch achthundert Kilometer. In sechzehn Sekunden beginnt das Bremsmanöver. Kurs stimmt exakt.“

Harrach hielt es nicht mehr auf seinem Platz aus und stellte sich hinter den Pilotensitz.  „Hat sich auf der Station schon was getan? Haben sie uns entdeckt?“

„Sieht nicht so aus,“  meinte Alger mit vor Anspannung heiserer Stimme.

Da begannen auch schon, vom Bordrechner auf die Nanosekunde genau aktiviert, die Pulstriebwerke der Barkasse im Umkehrschub zu arbeiten. Ein leichtes Schütteln und Vibrieren durchlief die leicht gebaute Zelle des Raumfahrzeugs. Spätestens jetzt mussten auf der Station die Ortungsgeräte die Annäherung der neun kleinen Raumfahrzeuge registrieren.

Die Station war inzwischen schnell größer geworden und immer mehr Details waren zu unterscheiden. Sie bestand aus einem schlanken zylindrischen Zentralteil, der etwa zweieinhalb Kilometer lang war und an der dicksten Stelle etwa vierhundert Meter durchmaß. In der Mitte des langen Zylinders lief eine, etwa zweihundert Meter breite Landeplattform kreisförmig um die Station.

Plötzlich schrie Alger erregt auf.  „Verdammt, da ist ein Zerstörer an der Station angedockt!“

Der Malik antwortete mit ruhiger Stimme.  „Keine Panik. Damit war zu rechnen. Wichtig ist jetzt nur, das wir runterkommen, bevor sie reagieren können. Wenn wir erst mal gelandet sind, können sie nicht mehr viel machen.“

Die leichtgebaute Barkasse schüttelte und rüttelte ziemlich heftig, als sie den elektromagnetischen Schirm der Kontrollstation durchdrang. Wenige Sekunden später setzte sie auch schon auf der fast leeren Landeplattform auf. Sie machte nach dem etwas harten Aufsetzen noch einen kleinen Hüpfer, bevor sie zum Stehen kam und sich magnetisch am Boden verankerte.

„Kaum zu glauben. Wir sind da,“  meinte Alger erleichtert.

Da zuckte ein blass-violetter Strahl von der Station über die gelandeten Barkassen hinweg in den Weltraum hinaus. Die Pilotin starrte entsetzt auf den Bildschirm mit der rückwärtigen Ansicht.

„Fetter Kometenschweif! Der hat einen von uns erwischt.“

Über die Außenbildschirme verfolgte Harrach das lautlose Drama im Weltraum mit einer Mischung aus Bestürzung und Faszination. Die letzte Barkasse der Formation war etwas weiter zurückgeblieben. Sie wurde von dem violetten Strahl zwar nur am Heck gestreift, aber das reichte aus, um ihr Schicksal zu besiegeln. Das kastenförmige Raumfahrtzeug begann zu taumeln, schlug mit viel zu hoher Restfahrt auf die Landeplattform und wurde wieder in den Weltraum hinausgeschleudert. Als die beschädigte Barkasse den Sicherheitsbereich über der Landeplattform wieder verlassen hatte, zuckte der vernichtende Strahl erneut auf und vollendete sein Zerstörungswerk. Mit einer lautlosen Lichtexplosion verging das kleine Raumfahrzeug und mit ihm vierunddreissig unerschrockene Raumsoldaten. Es blieben nur kleine Trümmerstücke und eine kurz nachleuchtende Gaswolke. Von dem, in Sekunden abgelaufenen Drama, war bald nichts mehr zu entdecken.

„Das war Barkasse Acht,“  meldete die erschrockene Pilotin tonlos.  „Aber die Anderen sind offenbar gut runtergekommen.“

Der Malik fasste sich rasch wieder.  „Wir dürfen keine Zeit verlieren, Leute.“  Mit einem Tastendruck stellte er eine Verbindung zu den anderen Barkassen her.  „Alle herhören. Es geht los. Barkasse Neun kümmert sich um den angedockten Zerstörer. Seht ob ihr ihn mit Minen ausschalten könnt. Kampfgruppe C übernimmt die Energiezentrale. Die Hangars sind erst mal nicht so wichtig. Die Gruppen A und B gehen wie geplant vor. Nur Mut, Männer! Wenn wir erst mal in der Station sind, können sie wenig gegen uns ausrichten. Die Abwehr der Station ist auf einen groß angelegten Angriff aus dem Raum ausgerichtet. Also vorwärts, Leute!“

Bevor sich Harrach durch das Schott nach hinten in den Laderaum der Barkasse begab, wandte er sich noch einmal an den Portal-Ingenieur.  „Was ist Alger? Haben sie ihren Trojaner aktiviert? Arbeitet er wie geplant?“

Der Angesprochene sah seinen Kommandeur einige Augenblicke verständnislos an. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen und er drückte schnell auf einige Symbole seines interaktiven Bedienpults. Nach einigen Sekunden meldete er erleichtert,  „Trojaner hat sich aktiviert und gibt Rückmeldung.“

„Gut, Alger. Dann kommen sie endlich. Wir haben nicht ewig Zeit.“

Auf der Landeplattform strebten inzwischen mehr als zweihundert Raumsoldaten in schweren Kampfmonturen zu den Zugangsschleusen der riesigen Raumstation. Sie benutzten in der Schwerelosigkeit über der Landplattform die Triebwerke ihrer Anzüge und erreichten so in wenigen Sekunden den walzenförmigen Zentralkörper der Station.

Harrach und Alger trafen kurz nach ihnen ein, schwebten zu Boden und verankerten sich mit ihren Gravitationsstiefel auf der Landeplattform. Augenblicke später erlosch die Flutlichtbeleuchtung, die das Landefeld bisher in ein helles, schattenloses Licht getaucht hatte. Bevor sie Ihre Helmlampen aktivierten, standen die Männer für Sekunden im scharfen Hell-Dunkel des luftleeren Weltraums.

In den Kommunikationslautsprechern der Anzüge klang die zufriedene Stimme des Portal-Ingenieurs auf.  „Na wer sagt’s denn. Der Trojaner hat die Station in den Notfallzustand versetzt.“

 Alger sah sich suchend um und zeigte schließlich auf eine kleine unscheinbare Nische am Übergang von der Plattform zum Zentralkörper.  „Da, ein Notausstieg. Die funktionieren auch beim Ausfall der Hauptenergie. Da kommen wir rein.“

Es dauerte einige Zeit, die Männer in kleinen Gruppen durch die enge, manuell bediente Schleuse zu bringen. Malik Harrach stand ungeduldig auf einem breiten geschwungenen Korridor im Innern der Station und sah besorgt auf seinen Anzug-Chronometer.  „Wir sind schon hinter dem Zeitplan, Leute. Los Kampfgruppe A, mir nach. Hauptmann Chandra, sie warten auf den Rest der Männer und versuchen’s dann durch den rechten Hauptkorridor.“  Harrach hob einen Arm und setzte sich nach links, den breiten Korridor hinunter in Bewegung. Alger und etwa sechzig Raumsoldaten folgten ihm. Sie lösten ihre Gravitationsstiefel vom Boden und setzten erneut die kleinen Pulstriebwerke ihrer Anzüge ein. Durch den Ausfall der Hauptenergie war im Inneren der Station die künstliche Schwerkraft ausgefallen.

In der düsteren Notbeleuchtung war niemand von der Besatzung auszumachen und die Außenbereiche der Station schienen vollkommen verlassen zu sein. Nur einige unbemannte Fahrzeuge und lose Ausrüstungsgegenstände schwebten gravitätisch durch den weiten Korridor. Die über tausend  Personen der Besatzung hatten offenbar eilends die Korridore geräumt und ihre Notfallstationen aufgesucht.

Nach einigen hundert Metern stoppte Alger seinen Tiefflug und zeigte in einen nach rechts abzweigenden Hauptkorridor.  „Hier hinein. Über diesen Radialkorridor kommen wir direkt zum großen Lastenschacht entlang der Zentralachse.“

Als die Raumsoldaten in den geraden Korridor einbogen, kamen gerade drei Besatzungsmitglieder in leichten Raumanzügen aus einem der anliegenden Räume und stießen fast mit den schwer bewaffneten Eindringlingen zusammen. Einer der Soldaten hob seine Waffe und wollte feuern. Malik Harrach konnte ihn gerade noch zurückhalten.  „Halt, nicht feuern! Die sind doch unbewaffnet. Lasst sie laufen.“

Was diese nach Überwindung einer Schrecksekunde, dann auch taten. In weiten Sätzen entfernten sie sich rasch mit Hilfe ihrer Gravitationsstiefel. Gut hundert Meter weiter, dort wo der breite Hauptkorridor durch ein stabiles Notschott versperrt war, liefen die drei Flüchtenden zu einer kleinen Notschleuse in der rechten Korridorwand und verschwanden darin.

Als die Raumsoldaten die Notschleuse erreichten, mussten sie feststellen, dass sich diese nicht mehr öffnen lies. Alger trat vor das stabile Schott und tippte wild auf der kleinen Schalttafel daneben herum.  „Zwecklos. Die Burschen haben die Schleuse auf der anderen Seite offenbar mechanisch blockiert. Wir hätten sie doch abballern sollen.“

Harrach legte Alger die rechte Hand auf die Schulter.  „Lassen sie’s gut sein. Hier kommen wir nicht mehr weiter. Besser wir suchen einen anderen Weg nach oben.“

Harrachs Truppe wandte sich in einem Nebengang, um durch die Wohnquartiere der Besatzung einen der anderen Radialkorridore zu erreichen. Nach einigen Minuten sprach das Kommunikationsgerät im Anzug des Kommandanten an.  „Hier Hauptmann Chandra. Ich rufe Führer Gruppe A,“ meldete sich eine aufgeregte Stimme.

„Ja ich höre Hauptmann. Was ist denn los?“

„Wir sind auf einige Killerdrohnen gestoßen und mussten runter vom Hauptkorridor. Aber wir sind hier im Südsektor auf einen Aufzugschacht gestoßen, der anscheinend bis ganz nach oben frei ist. Bitte um Erlaubnis den Schacht benutzen zu dürfen.“

„Wo stecken sie Chandra? Markieren sie ihre Position im Navi. Ich komme selbst und sehe mir die Sache an.“  Harrach lies sich den groben Grundriss der Station auf sein Helmvisier projizieren und suchte die blinkende gelbe Markierung.  „Ich hab sie, Chandra. Wir sind nicht weit weg. In ein paar Minuten sind wir da.“

„Gut Malik. Wir warten hier. Ende.“

Nach einer Abzweigung nach Links und einer nach Rechts, stieß Harrachs Truppe auf eine Art Foyer mit Teppichboden und bequemen Sitzgruppen an den Wänden. Um eine offene Tür an der linken Seite drängten sich etwa zwanzig Raumsoldaten. Der Malik schob sich durch die Soldaten bis zur Tür vor, hinter der sich ein schwach beleuchteter Aufzugsschacht auftat. Hauptmann Chandra stand ungeduldig neben der Öffnung und begrüßte seinen Vorgesetzten mit einem kurzen Nicken.

„Alles klar, Hauptmann? Was ist mit den Killerdrohnen?“

„Die haben wir erledigt, Malik. Hat uns allerdings drei Tote und einen Schwerverletzten gekostet. Fünf, sechs Männer werden vermisst.“

Harrach trat näher an die Tür heran und beugte sich etwas vor, um nach oben in den Schacht blicken zu können.  „Das ist etwas eng, aber es wird schon gehen. Wir versuchen es auf alle Fälle. Trupp zwei-vier bleibt einstweilen hier unten und gibt uns Rückdeckung, falls weitere Drohnen auftauchen sollten. Ihr könnt uns in einer Viertelstunde folgen, wenn es hier ruhig bleibt. Also los, Männer.“

Harrach sprang beherzt in den leeren Schacht und lies sich von seinem Pulstriebwerk schnell nach oben tragen. Der größte Teil seiner Truppe folgte ihm zügig in den Schacht. Am Ende blieben nur acht Soldaten im Foyer zurück und begannen bang die Minuten zu zählen.

Harrach beugte sich vor und sah prüfend nach links und rechts in den stark gekrümmten Gang hinein. Portal-Ingenieur Alger lugte vorsichtig hinter seinem Kommandeur hervor und nickte zufrieden.  „Hier sind wir goldrichtig, Malik. Das ist der Ringkorridor, der um die ganze Hauptzentrale herumführt. Es gibt hier zwei Eingänge in das Allerheiligste der Portalautorität.“

„Nach links oder rechts?“

Alger sah sich noch einmal um und meinte dann,  „Ich glaube das ist ziemlich egal.“

Harrach trat aus der Aufzugsnische auf den etwa zehn Meter breiten Gang hinaus und wandte sich ohne Zögern nach rechts. Auf ein Handzeichen folgten ihm seine Raumsoldaten und eilten hinter ihm durch den Gang. Schon nach wenigen Metern tauchte hinter der inneren Krümmung des Gangs eine Gruppe von fünf, sechs Wachmännern in den dunkelblauen Uniformen der Portalautorität auf. Die Wachmänner begannen sofort mit ihren Projektilwaffen zu feuern und schräg hinter dem voraus stürmenden Kommandeur brach einer der Soldaten im vollen Lauf zusammen. Augenblicke später erhielt Harrach einen harten Schlag gegen die Brust und warf sich zu Boden. Über ihn hinweg entlud sich das wilde Strahlenfeuer seiner Raumsoldaten. Aber schon nach wenigen Sekunden lies das Feuer nach und erstarb schließlich ganz.

Alger beugte sich besorgt über den am Boden liegenden Harrach. Doch der kam stöhnend wieder auf die Beine und blickte prüfend an sich herunter.  „Wieder mal Glück gehabt. Nur ein Prellschuss, der vom Brustpanzer absorbiert wurde.“

Weiter vorn versammelten sich die Raumsoldaten um die, von den Strahlschüssen ziemlich entstellten Leichen der Wachmänner, die leicht qualmend vor einem massiv wirkenden Schott durcheinander lagen. Alger trat zu einem Display neben dem Schott und tippte erfolglos darauf herum.  „Natürlich blockiert. Wie ich mir dachte.“  Grinsend sah er Harrach ins Gesicht.  „Aber das macht gar nichts. Ich kenne eine geheime Hintertür ins Allerheiligste.“

„Haben sie’s nicht gemerkt? Die künstliche Schwerkraft ist wieder da. Schätze, die da drinnen haben ihren Trojaner jetzt gefunden und ausgeschaltet.“

„Macht nichts. Jetzt ist es schon zu spät. In ein paar Minuten sind wir drin und können den ganzen Laden hochnehmen.“

Alger entfernte sich von dem Panzerschott und untersuchte die inneren Gangwand in etwa zwanzig Metern Entfernung. Schließlich legte die rechte Hand prüfend auf ein Wandsegment und begann immer fester dagegen zu drücken. Als sich nach mehreren Versuche nichts bewegte, winkte er einen der Raumsoldaten heran.  „Helfen sie mir mal. Fest nach innen drücken.“

Auch die gemeinen Bemühungen der beiden Männer schienen zunächst erfolglos zu bleiben. Doch dann stürzte das ganze Wandsegment plötzlich polternd nach innen und gab einen engen dunklen Hohlraum frei. Alger leuchtete mit seiner Helmlampe in die Dunkelheit und wandte sich nach kurzer Prüfung zufrieden zu seinem Kommandeur um.  „Ein vergessener Montageschacht, der noch aus der Bauzeit stammt. Ist zwar etwas eng, aber da durch kommen wir auf die Galerie im Inneren der Kontrollzentrale.“

Harrach holte tief Luft und verzog dabei schmerzhaft den Mund. Die Prellung im Brustbereich bereitete ihm stechende Schmerzen, doch als harter Soldat durfte er sich nichts anmerken lassen.  „Worauf warten sie noch, Alger? Gehen sie voraus. Hauptmann Chandra, sie übernehmen mit ihrer Gruppe die Nachhut.“

Alger stieg vorsichtig durch die Öffnung und verschwand im Dunkel des Schachts. Harrach und die Raumsoldaten folgten ihm dicht hintereinander in die Finsternis. Die Männer tasteten sich etwa fünfzig Meter weit, zwischen dicken Stahlträger und zahllosen Leitungen hindurch, bevor Alger ein weiteres Wandsegment aus der Halterung löste und mattes Licht in den Montageschacht fiel. Mit vorgehaltener Waffe stieg Harrach vorsichtig als erster durch die entstandene Öffnung. Er kam auf eine zwei Meter breite Galerie hinaus, die in etwa vier Metern Höhe um einen großen runden Saal herumführte. Die Hauptkontrollzentrale des Portalknotens „Kreuzweg II“, das „Allerheiligste“ der Portalautorität,  durchmaß ungefähr fünfzig, sechzig Meter. Die kuppelförmige Decke erreichte in der Mitte eine Höhe von etwa zwanzig Metern. Der Boden des Saals war fast ganz mit langen Reihen von Bedienpulten und Kontrollgeräten angefüllt. In die Wänden waren große Displays eingelassen, von denen die meisten allerdings immer noch tot waren oder nur statische Testbilder anzeigten. In den Gängen zwischen den Pulten eilten etwa vierzig, fünfzig Personen geschäftig hin und her. Um einige der Bedienpulte hatten sich heftig diskutierende Menschengruppen gebildet. Noch schien niemand die Raumsoldaten bemerkt zu haben, die sich auf der im Halbdunkel liegenden Galerie versammelten.

Harrach trat geduckt an die niedrige Brüstung heran und sah prüfend in den Saal hinunter.  „Ich kann keine Wachmänner oder sonstige Bewaffnete sehen,“ flüsterte er in die Kommunikationsanlage seines Anzugs.  „Also bringen wir es hinter uns, Männer. Nur Taser verwenden. Keines der Pulte darf beschädigt werden. Machen wir unserer Flotte den Weg durch das Portal frei, damit der alles entscheidende Kampf um Kreuzweg II beginnen kann. Vorwärts, Männer! Für Janus und unsere ruhmreiche Heimat Pharsalos!“

 

Wenige Stunden später.

Durch das geöffnete Hauptschott betrat Hauptmann Chandra müde und erschöpft die Hauptkontrollzentrale der Station. Zehn Schritte hinter dem Schott blieb er stehen und sah sich suchend um. Die geringen Schäden, die der kurze Kampf in der Zentrale verursacht hatte, waren nur bei genauerem Hinsehen zu bemerken. Da und dort waren geschwärzte oder gesplitterte Oberflächen zu erkennen. Kleinere Trümmerteile und Ausrüstungsgegenstände lagen über den Boden verstreut. Ein leichter Geruch nach Rauch und Ozon lag in der Luft. Einige Raumsoldaten hatten sich ihrer Helme entledigt und hantierten eifrig an Pulten und Kontrollgeräten herum. An der rechten Saalwand war ein Bereich freigeräumt worden, wo die Verletzten beider Seiten, so gut es ging, von Sanitätern versorgt wurden. Dort in der Nähe entdeckte Chandra auch seinen Kommandeur.

Zwei hochrangige Portalingenieure, an den dunkelblauen Anzügen mit den silbernen Abzeichen erkennbar, redeten eben heftig gestikulierend auf Harrach ein. Doch dieser zeigte sich davon wenig beeindruckt und schüttelte nur immer wieder den Kopf.

Chandra trat näher und versuchte sich bemerkbar zu machen.  „Malik…Malik Harrach.“

Nach einigen Sekunden bemerkte Harrach den Hauptmann, brachte die erregten Portalingenieure mit einer heftigen Geste zum Schweigen, und wandte sich zu ihm herum.

„Ah, Chandra. Da sind sie ja endlich. Wie sieht’s denn da draußen aus?“

Der erschöpfte Offizier versuchte Haltung anzunehmen.  „Die umliegenden Sektoren sind so weit gesichert, Malik. Die letzten Sicherheitskräfte haben sich offenbar in den oberen Wohnsektor zurückgezogen. Nur die überall herumschwirrenden Killerdrohnen machen mir noch Sorgen. Zum Glück scheinen sie etwas verwirrt zu sein, seit sie aus der Zentrale keine neuen Anweisungen mehr erhalten. Kann man sie denn von hier aus nicht ganz abschalten?“

Harrach nickte zustimmend.  „Unser großes Genie ist bereits nebenan in der Sicherheitszentrale und versucht sein Bestes. Kann aber trotzdem noch eine Weile dauern, bis wir diese verdammten Maschinen unter Kontrolle haben.

Hatten sie Verluste Chandra?“

Der Hauptmann seufzte tief auf.  „Melde den Ausfall von neun Männern. Wenn die Stationsbesatzung einen neuen Gegenangriff starten sollte, weiß ich nicht, ob ich ihn mit den verbliebenen Soldaten noch abwehren kann. Wir brauchen dringend Verstärkung. Haben sie denn noch nichts von Baschar Boeder gehört?“

Harrach zeigte bedauernd die offenen Handflächen.  „Das Portal ist jetzt seit fast zwei Stunden geöffnet, aber immer noch kein Anzeichen unserer Flotte. Allerdings sind die Kommunikations- und Ortungsanlagen der Station ziemlich beschädigt worden. Wir versuchen es jetzt mit den eigenen Geräten. Nur Mut, Hauptmann. Es wird schon gutgehen. Setzen sie sich erstmal hin und ruhen sie sich ein paar Minuten aus. Ich schicke ihnen nachher noch ein paar Männer, die ich hier drinnen zur Not entbehren kann.“

Der Hauptmann nickte nur stumm und trottete ergeben davon. Harrach wies, die ihn erneut bedrängenden Portalingenieure mit einer verächtlichen Geste zurück und wandte sich einfach ab. Ein Raumsoldat drängte die protestierenden Ingenieure mit vorgehaltener Waffe zur Seite.

Harrach eilte mit langen Schritten zur hufeisenförmigen Schaltanlage in der Mitte der Zentrale. Er blieb hinter einem Mann stehen, der konzentriert an einem der beschädigten Pulte arbeitete und dabei leise vor sich hin fluchte.

„Nun, wie sieht’s aus, Fadil? Können sie das Ding wieder in Gang setzen?“

Der Mann drehte sich nur kurz zu Harrach herum, ohne die Arbeit zu unterbrechen.  „Ich konnte die Ortungsanlage inzwischen wieder hochfahren, Malik. Hab’s aber noch nicht geschafft, den Output auf eines der unbeschädigten Displays umzuleiten. Kann aber nicht mehr lange dauern.“

Harrach wollte gerade zu ein paar aufmunternden Worten ansetzen, als er von hinten angerufen wurde.

„Malik…Malik, wir haben endlich Verbindung!“

Harrach stürzte zur anderen Seite des Hufeisens hinüber, wo zwei Männer bei einem kastenförmigen Gerät standen, das auf einem der Pulte abgestellt war. Sie deuteten auf einen kleinen Bildschirm, auf dem der breite Oberkörper eines Uniformierten erkennbar war. Harrach beugte sich zur Kameraerfassung des transportablen Kommunikationsgeräts hinunter und begann aufgeregt zu sprechen.

„Sind sie das Boeder? Können sie mich hören? Wurde auch Zeit das ihr endlich kommt.“

Der Uniformierte auf den Bildschirm verzog den Mund zu einem leichten Lächeln.  „Natürlich kann ich sie hören. Laut und  deutlich. Sie haben’s also geschafft. Harrach, sie alter Kampfhund. Wie sieht’s auf der Station aus? Brauchen sie noch etwas Hilfe oder können wir uns Zeit lassen?“

Harrach grinste erleichtert.  „Haupt- und Energiezentrale haben wir fest in unserer Hand. Aber unten in der Maschinensektion und in den Hangars ist die Lage noch etwas unübersichtlich. Außerdem haben wir erst einen Teil der Besatzung und der Drohnen außer Gefecht setzen können. Es gibt also noch genug für ihre Leute zu tun, Baschar.“

„Die Raumabwehr der Station habt ihr doch ausgeschaltet? Die ersten Verbände sind schon im Anflug auf die Station. Was ist mit dem Zerstörer auf der Landeplattform? Wenn uns der dazwischenfunkt…“

Harrach schüttelte leicht den Kopf.  „Den Raumabwehr-Systemen haben wir den Saft abgedreht und die Hangars der Raumjäger dürften blockiert sein. Aber garantieren kann ich für nichts. Der Zerstörer ist von einer meiner Gruppen geentert worden. Nach meinen Informationen ist er fest in unserer Hand.

Allerdings konnten wir die Raumortung noch nicht wieder in Betrieb setzen. Ich habe also keinen Überblick was im Raumsektor des Portalknotens gerade vor sich geht. Hat ihnen das Überwachungsgeschwader der Portalautorität beim Anflug Schwierigkeiten gemacht?“

Boeder lachte kurz auf.  „Zwei Korvetten und acht Raumjäger haben versucht, uns den Weg zur Station abzuschneiden. Aber als sie unsere zahlenmäßige Überlegenheit bemerkt haben, sind sie bald wieder verschwunden. Wir mussten nicht einmal unsere neue Superwaffe einsetzen. Und bis die Kreuzweg-Flotte der COMEX eingreifen kann, dürften wir hier alles fest im Griff haben.“

Harrach stimmte seinem Vorgesetzten erleichtert zu und begann gerade einige Details der nächsten Operationsphase zu besprechen, als er von den erregten Rufen einiger seiner Leute abgelenkt wurde.

„Seht doch! Da kommen sie!“  Dabei deuteten die Rufer auf einen der großen Wandbildschirme. Dieser zeigte einen Ausschnitt der Landeplattform und den freien Weltraum darüber. Zwei große kastenförmige Weltraumfahrzeuge glänzten dort im Scheinwerferlicht der Station und wurden schnell größer. Eben schälte sich weiter hinten ein dritter Raumtransporter aus der Finsternis des freien Weltalls. In exakten Kurven schwebten die beiden vorderen Transporter tiefer und setzten neben Harrachs kleinen Raumbarkassen lautlos auf der Plattform auf. Sofort öffneten sich die Schleusen und Hunderte von Raumsoldaten und Killerdrohnen quollen aus den Transportern, strömen in Scharen über die Landeplattform auf die Stationseingänge zu. Der Kampf um die Portal-Station im Kreuzweg-System war entschieden.

 

Die Hunde des Krieges

Und so schuf der Fünfte Prophet im Jahr 5666 der Dritten Epoche auf PHAROS die mächtige „Armee des Lichts“, um die seelenlosen Dämonen der Techno-Magier in die Leere zu treiben und die Große Insel von der Irrlehre der Maschinen-Anbeter zu säubern. Zum Ruhme der einzig wahren Lehre vom Ursprung, überwanden seine unbesiegbaren Legionen, geführt von erleuchteten Helden die kalten Abgründe zwischen den ewigen Sternen und eroberten Welt um Welt, Stadt um Stadt. Wer es wagte diesen heiligen Heerscharen zu trotzen, verfiel der totalen Vernichtung. Wer gedenkt nicht mit Schaudern des namenlosen Grauens, das die frevelhaften Sünder von FRAGILE strafte?

Vor der Macht der unüberwindlichen Heerführer des Propheten wurde der Übermut der Techno-Magier zu Schanden. Der „Schreckliche Boder“ siegte bei KREUZWEG und löschte die Flotten der Dämonen beim ENGLISCHEN TOR aus. Der „Große Grek“ nahm SAKEN, MAKROB und NEU DELOS mit einem Streich und der „Alte Muschir“ demütigte die Streitkräfte der stolzen Thoser bei JUIN HAFEN. Und im siebten Jahr erschien der Fünfte Prophet mit der „Armee des Lichts“ höchstselbst über SARTHAG, um die letzte Festung der verängstigten Feinde zu belagern…

Erstes Buch der Propheten, Epilog

 

Die Baschars Boeder und Menere traten aus dem weiten Tunnel im Kraterwall hinaus in die milde Abendsonne der Polarregion von Pharsalos. Sie blieben auf dem schmalen Absatz vor dem düsteren Tunnelende stehen und blickten aus der Höhe über eine Szenerie, wie sie der Planet seit seiner Besiedlung wohl noch nie gesehen hatte.

Das Halbrund des Tales im Kraterwall bildete mit den, aus den Felsen heraus gearbeiteten Terrassen, ein natürliches Amphitheater von fast vierhundert Metern Durchmesser. Gerade überdeckten die wohltuenden Schatten des Rothorns die Kopf an Kopf stehenden Menschenmassen, von denen ein beständiges Geräusch, wie Meeresrauschen, ausging. Dort wo sich das halbrunde Tal zur kargen Ebene im Innern des riesigen Kraters öffnete, war eine große Tribüne errichtet worden, flankiert von zwei Riesenbildschirmen, auf denen mit Musik untermalte Bilder von ausgelassenen Menschenmassen auf den großen Plätzen der Städte von Pharsalos gezeigt wurden. Der ganze Planet schien heute Abend auf den Beinen zu sein. Hinter der Tribüne bewegten sich vier riesige schwarz-rote Fahnen mit den Dreizack-Symbol des Propheten, an über hundert Meter hohen Masten träge im schwachen Abendwind.

Boeder überwand die Befangenheit angesichts des monumentalen Anblicks als erster.  „Wird langsam Zeit das es losgeht. Schätze, das sind jetzt mindestens zweihunderttausend Leute oder vielleicht sogar eine viertel Million. Und auf dem ganzen Planeten sind Millionen live zugeschaltet.“

„Der Prophet kommt, wenn es an der Zeit ist. Nicht früher und nicht später,“  antwortete Greg Menere ruhig.

„Und was wird Janus hier und heute Großes verkünden? Es kann eigentlich nur um den kommenden Krieg gegen Sarthag gehen. Aber warum macht er so ein Geheimnis aus der ganzen Sache?“ fragte Boeder mit einem leichten Anflug von Ärger.

„Ich weiß zwar auch nichts Genaues, aber ich glaube der Prophet will die Bevölkerung auf harte Zeiten einstimmen. Er ist jetzt entschlossen bis zum Äußersten zu kämpfen. Schließlich zeigen die auf Sarthag nicht das geringste Entgegenkommen. Was bleibt uns denn anderes übrig als zu kämpfen?“

Der Erste Baschar Boeder wischte einige Fussel von der Jacke seiner neuen dunklen Galauniform.  „Ja, vor jedem großen Kampf ist es für große Feldherren Sitte, sich den Truppen und dem Volk zu zeigen, um sich ihrer Kampfbereitschaft zu versichern. An Kampfmoral scheint’s in unserem Fall ja nicht zu fehlen. Die sind doch alle wie besoffen von unserem neuen Propheten. Die gehen für ihn buchstäblich durch’s Feuer. Aber wird das reichen, um gegen die schier unerschöpflichen Ressourcen der Gesellschaft bestehen zu können? Mit so leichten Erfolgen wie vor kurzem auf ‚Kreuzweg II‘ können wir nicht immer rechnen. Bald werden die zermürbenden Materialschlachten beginnen. Und die Truppen der Gesellschaft werden schnell dazulernen.“

Der Erste Baschar Menere wiegte abwägend den Kopf.  „Die Moral scheint auch in einem hochtechnisierten Krieg immer noch eine große Rolle zu spielen. Schließlich müssen immer noch Menschen die Entscheidungen treffen. Und was unsere Ressourcen betrifft, hat sich unsere Lage seit dem Handstreich auf den Portalknoten entscheidend verbessert. Wir sind jetzt nicht mehr vom Rest der Galaxis abgeschnitten. Seitdem kommen immer mehr Freiwillige nach ‚Kreuzweg II‘, um sich dem Kampf gegen das alte System anzuschließen. Bald werden wir viele neue Legionen aufstellen können. Auch eine kleine Raumflotte haben wir schon organisieren können. Einige Kapitäne der Explorer-Flotte sind mit Schiff und Mannschaft zu uns übergelaufen. Das heißt doch, wir werden immer stärker und sie immer schwächer.“

Boeder machte eine abwehrende Handbewegung.  „Das weiß ich doch alles, Greg. Aber Krieg ist nun mal ein hochriskantes Spiel mit unkalkulierbaren Größen. Man begibt sich dabei immer ein Stück weit in die Hand des Zufalls. Wie leicht kann einen das Glück mittendrin wieder verlassen.“

„Aber wir haben den Propheten,“  trumpfte Greg auf.  „Das muss doch auch zu etwas gut sein. Wir haben die Vorsehung auf unserer Seite!“

„Ach Greg, sie also auch schon,“ seufzte Boeder ergeben. „Aber vielleicht hat Janus ganz recht damit, wenn er meint, das die Zeit der Sarthag-Oligarchen vorbei ist und Platz für etwas Neues geschaffen werden muss. Die einfachen Leute haben es einfach satt. Nicht nur hier auf Pharsalos, sondern im ganzen Quadranten. Aber ich fürchte die Galaxis wird dabei im Blut ersaufen und sich nicht so schnell davon erholen. Und wir…wir werden am Ende die verhassten Schlächter und Totengräber sein.“

„Du bist eben ein alter Skeptiker, Marcus. Ich glaube wir treten gegen einen Koloss auf tönernen Füssen an. Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen…Ah, es scheint endlich loszugehen!“

Die Musik über die Akustik-Anlage der Arena wurde eben um einige Stufen lauter und feierlicher, um anzukündigen, das der große Auftritt des vielgesichtigen Propheten unmittelbar bevorstand. Die Großbildschirme zeigten jetzt den Ausgang des Tunnels und die große Freitreppe, die zum Boden der Arena hinunter führte.

Die beiden Baschars traten etwas zur Seite und sahen in das Innere des Tunnels, wo im Hintergrund Bewegung zu erkennen war. Zuerst erschienen acht Soldaten der persönlichen Leibgarde des Propheten, in purpurnen Waffenröcken und mit schwarzen breitrandigen Funkhelmen. Die doppelläufigen Kombiwaffen feuerbereit vor der Brust haltend, liesen sie ihre Blicke prüfend über die Menschenmenge schweifen.

Dann trat Janus selbst auf die kleine Plattform vor der Tunnelmündung und ohrenbetäubender Jubel brandete auf. Diesmal trug der ehemalige Frachtpilot aus Omris, statt des gewohnten braunen Kapuzenmantels, eine blendend weiße Ausführung dieses Kleidungsstücks. Außerdem war sein Bart frisch gestutzt und die Haare kunstvoll frisiert. Offenbar wollte er angesichts der begeisterten Menschenmassen einen betont majestätischen Eindruck erwecken.

Der siegreiche Prophet von Pharsalos hob den rechten Arm und grüßte huldvoll in die wogende Menschenmenge, was den Lärmpegel noch weiter anschwellen lies. Erst nach Minuten begann die Begeisterung etwas nachzulassen und Janus wandte sich zu seinen Baschars um.

„Was ist meine Herren, wollen wir gehen? Schließlich ist dieser Aufmarsch auch zu ihren Ehren organisiert worden. Folgen sie mir!“

Er gab seinen Leibgardisten ein Zeichen und die Gruppe setzte sich gemessenen Schrittes, in Richtung Arena, in Bewegung. Boeder und Menere zögerten kurz und folgten ihrem Anführer dann in einigen Metern Respektabstand. Den Abschluss bildeten acht weitere Leibgardisten, sowie einige Adjutanten in prächtigen weiß-goldenen Galauniformen. Die breite Freitreppe führte vom Tunnelausgang in der Steilwand des Renderbergs hinunter zum kreisförmigen Boden der Felsenarena und teilte die dicht besetzten Zuschauer-Ränge in zwei, etwa gleich große Hälften. Sie begann zwischen den gigantischen Füßen von zyklopischen Gestalten, die in den letzten Monaten aus der Bergflanke heraus geschmolzen worden waren. Die drei, fast zweihundert Meter hohen Figuren waren nach einem kleineren Vorbild aus der Zeit der Erstbesiedlung gestaltet worden und niemand wusste mehr genau wen oder was sie darstellen sollten. In ihrer vollen Größe konnte man diese tierköpfigen Götzenfiguren aus der grauen Vorzeit des Planeten, nur aus einiger Entfernung von der Ebene aus bewundern.

Am Ende der Freitreppe ging die Gruppe durch einen etwa zwanzig Meter breiten Korridor, den zwei Reihen von purpurnen Leibgardisten, in der am Arenaboden andrängenden Menschenmenge absperrten. Der Prophet hielt in seinem Gang zur Rednerbühne einige Male kurz inne und grüßte segnend in die begeisterte Menge. Schließlich erstieg er langsam die Tribüne und stellte sich hinter die Ton- und Bildaufnahmegeräte, die seine Ansprache planetenweit übertragen würden. Die Baschars postierten sich bescheiden einige Meter schräg hinter ihrem Herren, während die Gardisten einen lockeren Halbkreis um ihn bildeten.

Die Musik verstummte und der Prophet blickte einige Minuten reglos auf die lärmenden Menschenmassen. Als keine Ruhe einkehren wollte, hob er beide Arme und sorgte mit beruhigenden Gesten für relative Ruhe.

„Ich grüsse alle meine Freunde und Mitstreiter, die sich heute hier an diesem historischen Ort und überall auf dem ganzen Planeten vor ihren Wiedergabegeräten versammelt haben.“  Bei den ersten Worten klang die Stimme des Propheten etwas rau und zögerlich, aber dann wurde sie fester und lauter.

„Vor über zweitausend Jahren landeten auf der Ebene, hier hinter mir, die Schiffe der ersten Siedler…unsere Vorfahren! Sie fanden auf Pharsalos kein Paradies vor, wo Milch und Honig fließen. Wo das Leben leicht und gefahrlos ist. Ja, sie müssen zunächst ziemlich enttäuscht und mutlos gewesen sein. Wie wir aus den wenigen erhaltenen Aufzeichnungen der Frühzeit wissen, war das Leben in den ersten Jahrzehnten hart und entbehrungsreich. Mehr als einmal stand die Existenz der ganzen Siedlergemeinschaft auf dem Spiel. Nur mit knapper Not haben unsere Vorfahren die große Krise vor tausend Jahren überwunden. Aber trotzdem sind wir hier heimisch geworden, haben eine eigenständige Kultur aufgebaut und diesen kargen Planeten lieben gelernt. Ihr wisst alle wovon ich spreche.“  Spontaner Beifall unterbrach seine Ansprache.

„Ja und dann fielen vor zwölf Jahren die gefräßigen Heuschrecken der COMEX-Gesellschaft auf unserem friedlichen Planeten ein!“  Pfiffe und Wutgeschrei unterbrachen den Redner und erst nach einigen Minuten trat wieder Ruhe ein.

„Beinahe…ja beinahe hätten wir die Kontrolle über das eigene Leben verloren. Doch die Vorsehung hat es gefügt, das die verderblichen Pläne der gierigen Sarthag-Oligarchen vereitelt werden konnten.“  Wieder brandete zustimmender Beifall auf.

„Doch sie haben aus ihrer Niederlage nichts gelernt und wollen weiter gegen uns vorgehen. Und diesmal ist unsere totale Vernichtung das Ziel. Vor einigen Wochen versammelten die alten Autoritäten auf ‚Kreuzweg II‘ eine mächtige Invasionsstreitmacht und versuchten die Kontrolle über das Portal nach Pharsalos wieder zu erlangen. Doch mit dem glorreichen Sieg von Baschar Boeder auf ‚Kreuzweg‘ sind diese Angriffspläne erst einmal zunichte geworden.“

Der Prophet drehte sich kurz herum, um Boeder durch Gesten aufzufordern neben ihn zu treten. Etwas verlegt trat der alte Haudegen vor und nahm den tosenden Beifall der Menge entgegen. Schon nach kurzer Zeit zog er sich wieder in den Hintergrund zurück und der Prophet zeigte durch Heben der rechten Hand an, dass er weitersprechen wolle.

„Ja, dieser erste Angriff auf unsere wiedergewonnene Freiheit konnte abgewehrt werden. Aber die Ausbeuter auf Sarthag denken offenbar nicht daran wegen dieser Niederlage aufzugeben. Solange sie noch über starke Streitkräfte verfügen, werden sie einen Angriffsversuch nach dem anderen starten. Und eines Tages wird es ihnen vielleicht gelingen unsere Verteidigung zu überwinden. Was wir dann zu erwarten haben, könnt ihr euch wahrscheinlich vorstellen, meine lieben Freunde.“  Dumpfes Lärmen der Menschenmenge.

„Ich bin deshalb zu der Überzeugung gelangt, das wir nur dann in Sicherheit leben können, wenn wir das gefährliche Schlangennest auf Sarthag ausräuchern.“  Janus legte eine rhetorische Pause ein und blickte über die rauende Menge.  „Das ist unmöglich, das ist Wahnsinn werdet ihr jetzt denken. Aber ich sage euch, das die Tage des alten Systems gezählt sind. Es ist innerlich verfault und mehr als reif zum Fall!“  Wieder schwieg der Mann im weißen Kapuzenmantel einen Moment, um seine Worte wirken zu lassen. Nur zögernd und vereinzelt wurde in der Menge Zustimmung laut.

„Ich sage euch, schon bald werden wir über die Mittel und Wege verfügen die ersten großen Schläge gegen unsere erbarmungslosen Feinde zu führen. Ich verkünde hier und heute die Aufstellung einer ‚Armee des Lichts‘, die der gekneteten und ausgebeuteten Galaxis die verlorene Freiheit zurückgeben wird. Heute sind es erst zwölf Legionen, aber in kurzer Zeit werden es zwanzig, vierzig und noch mehr sein. Die Unterdrückten der Galaxis werden sich uns überall anschließen, um gegen die Kräfte der Dunkelheit anzukämpfen. Sie werden voll religiöser Inbrunst und fester Zuversicht in diesen Kampf gehen und die Waffen nicht eher aus der Hand legen, bis die verderbliche Blasphemie der Technokraten ausgelöscht ist.“

Der Prophet ballte die rechte Hand zur Faust und stieß sie kämpferisch in die Luft. Der Beifall der Menge schwoll langsam an. Der Lärm eines Geschwaders von siebenundzwanzig großen Orbos, die in zweitausend Metern Höhe mit großer Geschwindigkeit direkt über die Arena brausten, übertönte die Geräusche der Versammlung für einige Sekunden.

Die Gruppe um den weiß gekleideten Propheten wechselte anschließend auf die andere Seite der Rednerplattform, um den beginnenden Truppenaufmarsch in der großen Ebene zu verfolgen. Links und Rechts rollten gut ausgerichtete Rudel von schweren Panzern um die Bergflanken und fuhren auf das geebnete Aufmarschfeld gegenüber der Arena zu. Die gelb und rot markierten Führungsfahrzeuge rollten mit flatternden Standarten an den Antennen einige Meter vor ihren imposanten Bataillonen. Währenddessen vollführten im Luftraum über der Ebene dichte Schwärme von Beobachtungs- und Kampfdrohnen perfekt synchronisierte Manöver, bei denen das menschliche Auge den flinken wendigen Flugobjekten kaum zu folgen vermochte.

Ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Menschenmenge, als die riesigen plumpen Rohre von zwanzig mobilen Plasmawerfern auf breiten Raupenketten in die Ebene rollten. Mächtige, alles vernichtende Waffen, deren Einsatz umstritten war und die das Publikum auf Pharsalos bisher noch nie aus der Nähe zu Gesicht bekommen hatte.

Dann folgten Kolonnen mit hunderten, wenn nicht tausenden von bemannten und vollautonomen Schreitern. Das Typenspektrum reichte dabei von kaum einen Meter langen, achtbeinigen Spinnenläufern, über zahlreiche bipede Kampfschreiter bis hin zu schweren vierbeinigen Sturmböcken mit über hundert Tonnen Kampfgewicht.

Die ersten Formationen begannen mittlerweile exakt ausgerichtet vor der Tribüne Aufstellung zu nehmen, woraufhin die Besatzungen ausstiegen und vor ihren Fahrzeugen antraten. Ein Geschwader Kampfgleiter schwebte in einer eleganten Landekurve ein, setzte in exakten Abständen auf und spuckte über die offenen Laderampen in wenigen Sekunden ein ganzes Luftlande-Bataillon von etwa vierhundert Personen aus.

„Klappt ja besser als ich dachte,“ flüsterte Baschar Menere, dem neben ihm stehenden Boeder zu.

„Ja, ziemlich beeindruckend. Aber unsere neue ‚Armee des Lichts‘ wird sich erst noch im Kampf bewähren müssen. Unsere Ausrüstung ist zum Teil schon ziemlich veraltet und viele der neuen Soldaten haben keinerlei Erfahrung.“

„Ach, sein doch nicht immer so kritisch, Marcus. Genieße einfach das grandiose Schauspiel.“

Eben nahm ein Bataillon bipeder Schreiter, keine zweihundert Meter vor der Tribüne Aufstellung und präsentierte, auf die Millisekunde synchron die Waffen, während ein ohrenbetäubendes dreifaches „Hurra“ erdröhnte.

Boeder nickte anerkennend.  „Na ja, gar nicht so schlecht, was mit positronischer Hilfe möglich ist. Moment, was geht denn da vor…“

Aus einem der Drohnenschärme löste sich plötzlich eine einzelne Aufklärungsdrohne, stieg in die Höhe und schwenkte in Richtung auf die Arena ein. Der ovale, in den Strahlen der Abendsonne blitzende Metallkörper der unbewaffneten Drohne war etwa zwei Meter lang, stark gepanzert und durch elektro-magnetische Felder abgeschirmt.

„Wird wohl eine Fehlfunktion sein,“ meinte Baschar Menere etwas verwirrt.

„Nein, das glaube ich nicht. Die kommt doch direkt auf uns zu. Das ist ein Anschlag!“

Die Drohne begann mit aufheulenden Triebwerken stark zu beschleunigen und flog von schräg oben direkt auf die Gruppe um Janus zu. Sie war jetzt noch etwa drei- vierhundert Meter entfernt und kam rasch näher. In wenigen Sekunden musste sie die Tribüne erreichen.

„Alarm…ein Anschlag,“  schrie Boeder laut und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf die anfliegende Drohne.  „Schießt das Ding sofort ab. Runter von der Bühne.“

Die Gardisten erwachten eben aus ihrer Schockstarre und begannen wild zu feuern. Die meisten Garben aus ihren schweren Kombiwaffen gingen fehl, aber einige Schüsse streiften die Drohne und brachten sie ins Trudeln. Aber sie fing sich wieder, flog qualmend und funkensprühend weiter mit großer Geschwindigkeit auf ihr Ziel zu.

Wie in Zeitlupe verfolgte Boeder den unvermeidlichen Einschlag der Drohne in die Menschengruppe um den Propheten. Die kinetische Energie des massiven Drohnenkörpers war groß genug, menschliche Körper wie Spielzeug-Puppen Dutzende von Metern durch die Luft zu schleudern. Boeder und Menere entkamen dem tödlichen Geschoss nur, weil sie sich im letzten Augenblick kraftvoll zur Seite warfen.

Nach dem dröhnenden Aufschlag prallte die Drohne funkensprühend vom harten Tribünenboden ab und stürzte, sich überschlagend, in die Menschenmassen in der Arena. Dort blieb sie zertrümmert und brennend liegen, nachdem sie noch einmal Dutzende von Menschen getötet oder verletzt hatte. In der Arena brach Panik aus. Schreie des Entsetzens wurden laut. Menschen rannten wild durcheinander und versuchten dem Grauen zu entkommen.

Der zu Boden gestürzte Boeder zerrte einen leblosen Körper von seinen Beinen herunter und kam unsicher wieder auf die Füsse. Wie durch einen Schleier sah er, nicht weit entfernt, zehn, zwölf zerschmetterte Menschen leblos am Boden liegen. Einige furchtbar zugerichtete Schwerverletzte begannen sich vorsichtig zu bewegen und klagend um Hilfe zu rufen. Am Rand der Bühne sah Boeder auch die weiß gekleidete Gestalt des Propheten zerschmettert am Boden liegen. Einige unverletzt gebliebene Gardisten und Adjutanten rannten zu ihrem obersten Anführer und schirmten seinen unnatürlich verrenkten Körper gegen Blicke von Außen ab.

„Große Milchstraße! Der Prophet ist voll getroffen worden!“ schrie einer der Adjutanten laut heraus, so das es jeder hören konnte.

Boeder hatte sich inzwischen wieder gefasst und brachte mit einigen kurzen Befehlen Ordnung in das Chaos.  „Los, schafft die Verletzten von der Bühne. He, sie da. Stehen sie nicht so herum, sondern packen sie mit zu.

Greg, kümmere dich darum, das sofort alle Drohnen und autonomen Schreiter deaktiviert und überprüft werden. Das dritte Luftlande-Bataillon bekommt scharfe Munition und übernimmt die Sicherung der Arena. Los, mach schon!

Kann jemand eine Durchsage machen und die Leute beruhigen? Wir können jetzt keine Massenpanik brachen. Das war doch nur eine einzelne Drohne mit Fehlfunktion.“

Tatsächlich begann sich die Panik langsam zu legen, als in den nächsten Minuten nichts weiter geschah. Alle Drohnen gingen in der Ebene langsam zu Boden und wurden stillgelegt. Fluggleiter landeten vor der Rednertribüne, spuckten schwerbewaffnete Soldaten aus und begannen die Verletzten abzutransportieren. Gardisten in Felduniform und Luftlande-Soldaten umstellten die Rednerbühne und bildeten einen schützenden Ring.

Nachdem die nötigen Befehle erteilt waren, sah Boeder eine Weile in die Ebene hinaus und beobachtete eingehend die Paradetruppen, welche ihren Aufmarsch eben beendet hatten. Aber dort war alles ruhig und es schien keine unmittelbare Gefahr mehr zu bestehen. Schließlich waren zur Vorsicht die Waffen der angetretenen Truppen entladen und deaktiviert worden. Als der Baschar sich wieder der Arena zuwandte, bemerkte er die unnatürliche Stille. Etwas schien die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Dann sah er ungläubig eine weiße Gestalt zwischen den Gardisten und Adjutanten stehen. Janus hatte offenbar überlebt und war wieder auf den Beinen!

Seine weiße Kleidung war blutbefleckt. Der linke Arm hing schlaff und verdreht herab. Eine Weile stand der Prophet schwankend auf den Beinen, den Blick zu Boden gerichtet. Mit einer heftigen Geste wies der Verletzte Helfer, die ihn stützen wollten zurück. Dann hinkte er mühsam die wenigen Meter zu den Aufnahmegeräten hinüber, um zur Menge zu sprechen.

Als die Kameras das Gesicht des Propheten erfassten und in Großaufnahme auf die Bildschirme übertrugen, war Blut zu erkennen, das ihm von der Stirn über das bleiche Gesicht lief. Gleichzeitig war in seinen Zügen die übermenschliche Energie zu erkennen, die ihn aufrecht hielt. In der Menge wurden Ausrufe des Erschreckens und gleichzeitig der Freude laut. Auch Boeder konnte kaum glauben, das ein Mensch einen solch mörderischen Anprall überlebt haben sollte.

„Seht her, meine Freunde!“  krächzte der schwer Gezeichnete in die Mikrophone.  „Die hinterhältigen Feinde wollten mich von einer seelenlosen Maschine feige ermorden lassen und sind…wieder gescheitert!“

Frenetischer Jubel und Beifall in der Menge. Auch Boeder und die anderen Offiziere auf der Tribüne begannen spontan zu applaudieren.

„Wollt ihr den absoluten Krieg! Den Krieg bis zur totalen Vernichtung der Feinde! Krieg, nichts als Krieg!“  schrie der Prophet mit fester Stimme in die Mikrophone. Die Menge tobte, schrie wie von Sinnen und antwortete mit einem frenetischen, rhythmischen „JA, JA, JA…“.

Boeder beugte sich tief bewegt zu Menere hinüber.  „Jetzt ist es nicht mehr aufzuhalten.“

 

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 11.02.2022

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