Taptaptaptap... auf seinen kräftigen Hinterbeinen, den starken Steuerschwanz steil nach hinten gestreckt und die Ärmchen dicht an den Körper gelegt, fegte Sausewind über die weite Steppe jenseits des Wallbergs. Sein Ziel war eine kleine Gruppe von Riesenspeicherpflanzen, etwa zehn Große Längen vom Wallberg entfernt.
Taptaptaptap... langsam kam die Gruppe der Riesenpflanzen näher. Bevor er sich einer der Pflanzen näherte, umrundete Sausewind die einsame Ansammlung in der Ebene zweimal in verschiedenen Richtungen, um nach eventuell verborgenen Konkurrenten oder Feinden Ausschau zu halten. Hier draußen in der offenen Steppe fühlte er sich ansonsten sicherer als irgendwo anders. Seine überlegene Schnelligkeit und Ausdauer erlaubte es ihm, jedem Feind aus dem Weg zu gehen, vorausgesetzt er entdeckte ihn in der weiten Ebene rechtzeitig.
Als er sich sicher fühlte, näherte er sich bedächtig der Speicherpflanze, die er für sein Vorhaben am geeignetsten fand. Sausewind schätzte sie auf eine Höhe von etwa neunzig Längen und auf einen Durchmesser von etwa zwölf Längen. Wahrhaft ein schönes und stattliches Exemplar dieser höchst nützlichen Pflanze, lindgrün und mit harten Stacheln besetzt, die länger waren als Sauewind. In verschiedenen Höhen wuchsen rosafarbene Knospungen aus der leicht längsgekerbten, säulenförmigen Speicherpflanze. Der letzte Sturm hatte Halme von Steppenkraut in den Stacheln zurückgelassen, die sich bei jedem Windstoß leicht bewegten. Ein Schwarm karmesinroter Maulbeerpfeifer, den Sausewind aufgescheucht hatte, kehrte vorsichtig zurück und landete fiepend auf den Nachbarpflanzen.
Vorsichtig durch die Sandanwehungen am Fuß der Pflanze watend, blickte Sausewind an der gigantischen Säule in die Höhe. Seine gelben, längs geschlitzten Reptilienaugen suchten den besten Weg an der Pflanzensäule in die Höhe, während er ein dünnes, mit einem kreuzförmigen Anker versehenes Seil, aus seiner Umhängetasche nahm. Mit der Routine langer Praxis geworfen, wickelten sich Seil und Anker schon beim ersten Versuch um eine der untersten, festen Stacheln. Unter Zuhilfenahme seiner starken Hinterbeine kletterte Sausewind geschwind am Seil hoch, bis er die starken Stacheln, die in einer Höhe von etwa zehn Längen dichter wurden, wie eine Leiter benutzen konnte. Für den weiteren Aufstieg wurde das Seil nicht mehr benötigt und Sausewind verstaute es wieder in seiner Tasche. Trotz seiner langen Hinterbeine, die nicht zum Klettern geschaffen waren, erreichte Sausewind rasch die anvisierte Knospung, fast auf halber Höhe der Pflanze. Damit die Knospung einen sicheren und bequemen Standplatz bot, musste er erst einige störende Stacheln vorsichtig aus dem zähen Fleisch lösen. Nachdem Sausewind seine Tasche über einen dafür geeigneten Stachel gehängt hatte, drehte er sich um und erlaubte er sich vor Beginn der anstrengenden Arbeit noch einen weiten Rundblick von seinem luftigen Standort.
Da die Speicherpflanze am Rand der Gruppe stand, gestattete sie einen weiten Blick in die Steppe. Sausewind stellte jedoch schnell fest, dass sich dort, wie gewöhnlich, nichts Bemerkenswertes tat. Aber ein scharfer dunkler Umriss am Himmel, vier Händchen breit rechts von der fast im Zenit stehenden Sonne, zog seinen Blick bald magisch auf sich. Erstaunt und mit ein wenig Furcht registrierte Sausewind wie schnell der schwarze Fleck in den letzten Tagen an Größe zugenommen hatte. Er kannte den über den Himmel wandernden Fleck schon seit seinem In-Die-Welt-Treten und vor ihm hatten ihn seine Eltern gekannt und vor ihnen unzählige andere Generationen. Doch vor einigen Mega-Zyklen hatte er plötzlich zu wachsen begonnen. Nun war er so weit gewachsen, dass Sausewind deutlich seine längliche Form erkennen konnte und Irgendetwas in ihm wurde davon unangenehm berührt.
Kaum merklich bewegte sich die Tagseite des unbekannten Wüstenplaneten unter der, auf einem tiefen Orbit schwebenden MARO POLO weiter. Die matte Oberfläche zeigte zahllose gleichmäßige Ebenen in unendlichen Abstufungen von Braun bis Gelb. Dazwischen die fraktalen Verästelungen alter Gebirge und seit Äonen ausgetrockneter Wasserläufe und Seen. Ein öder und offenbar unbewohnter Planet der äußeren Randzone, der seine Geheimnisse und verborgenen Schätze bisher noch keiner genaueren Erforschung durch raumfahrende Rassen preisgeben musste.
Der zweiundsechzig Meter durchmessende stahlgraue Diskuskörper der MARO POLO war der bewährte Standardrumpf einer D60-Korvette, wie sie gewöhnlich von föderalen Trägerschiffen aus eingesetzt wurden. Kennzeichen und Transponder wiesen das Schiff als Erkunder CP-19 des schweren Patrouillen-Trägers CARUNTO B aus. Das reichte meistens einen nicht zu argwöhnischer Entdecker zu täuschen. Ein föderaler Raumkreuzer würde das Raumfahrzeug jedoch schnell als das identifizieren was es wirklich war. Nämlich das Schiff eines gesuchten Freibeuters und galaktischen Plünderers. Hier im entlegenen McLane's Sternhaufen, am äußeren Rand der Interstellaren Föderation war allerdings kaum mit einer solch gefährlichen Begegnung zu rechnen.
Schnell, aber klar akzentuiert, rasselte die Bord-KI der MARCO POLO die wichtigsten planetarischen Daten herunter, während diese gleichzeitig auf den Hauptbildschirm der Zentrale projiziert wurden.
„Entfernung zur Sonne 1,251 astronomische Einheiten; Durchmesser 10.676 Kilometer, Abplattung 1/260; Exzentrizität 0,01835; Bahngeschwindigkeit 28,37 Kilometer pro Sekunde; Neigung der Bahnebene 19 Grad; Umdrehungsdauer 24 Stunden und 57 Minuten; 0,825 Erdmassen; Schwerebeschleunigung 0,7129 g; Maximale Oberflächentemperatur 355 Grad Kelvin; Atembare Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre.“
Die Beleuchtung in der trapezförmigen, mit Zusatzgeräten, Konsolen, Bildschirmen und Anzeigen vollgestopften Zentrale der MARCO POLO war so weit herunter gedimmt, dass auch menschliche Augen die Einzelheiten auf dem Hauptbildschirm gut erkennen konnten. Auf seinem leicht erhöhten Kommandosessel vorgebeugt, verfolgte Danken Vildermut das langsame Anwachsen eines länglichen schwarzen Schattens in der Mitte des leicht gewölbten Großbildschirms, der die breite Frontseite der Zentrale ausfüllte. Der kräftige, etwa vierzigjährige Mann mit den kurzgeschorenen blonden Haaren wurde von seinen Gefährten meist nur Den genannt. Sein breites Gesicht wirkte etwas grob, war aber nicht unsympathisch und zeigte die Spuren einer bewegten Vergangenheit.
„He Marco, das muss das geortete orbitale Objekt sein. Der schwarze Schatten da in der Mitte. Kannst du mir eine Vergrößerung um den Faktor zehn liefern?“
„Aber natürlich Meister.“
„Heiliger Orkus, hast du dich bei den Abmessungen nicht um ein paar Stellen vertan?“
„Aber Meister, wie können sie nur an meinem nahezu perfekten Sensorsystem zweifeln. Sie haben es doch selbst adaptiert und eingebaut.“
Mit einem leicht beleidigten Unterton trug Marcos, eine Spur zu schrill klingende Kunststimme, die in Zweifel gezogenen Daten vor. „Länge über alles: 16.440 Meter; Größter Durchmesser: 3824 Meter; Höhe des oberen Fortsatzes: 2830 Meter.“
„Sieht aus wie ein nivellianisches Tauchschiff,“ meinte Den nachdenklich.
„Das ist weit hergeholt und nicht sehr hilfreich. Dafür ist das Objekt auch viel zu groß. Wahrscheinlich handelt es sich einfach um eine orbitale Raumstation oder ein ziemlich großes Raumschiff,“ antwortete die Stimme der Bord-KI etwas herablassend.
„Wer hat dich um deinen Kommentar gebeten?“
„Niemand Meister. Ich wollte doch nur behilflich sein.“
Den bereute es erneut, sich bei der Aufrüstung seines Schiffes, für eines der neusten Quantengehirne mit integrierten Emotions-Effekten entschieden zu haben. Sie benahmen sich einfach zu emotional und in manchen Situationen war das wirklich sehr lästig. Er glaubte nicht, dass sich solche KIs auf Raumschiffen allgemein durchsetzen würden.
Den fand wirklich, dass das entdeckte Riesenobjekt nach einem seinem Element entrissenen Unterseeboot aussah. Der längliche Hauptkörper war entfernt bootsähnlich und wies oben in der Mitte einen schmalen Turmaufbau auf, wie er für die meisten Tauchschiffe typisch war. Er hielt das Ding wegen seiner schnittigen Form eher für ein gigantisches Raumschiff als für eine feste Orbitalstation. Möglich dass dieses gigantische Fahrzeug für die Fortbewegung in beiden Elementen, Wasser und Weltraum, geeignet war. Den wagte schon die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, es könnte sich um ein aufgegebenes Schiff der legendären Alten Rasse handeln, die vor Millionen von Jahren den lokalen Galaxienhaufen dominiert hatte. Wahrscheinlich waren für intergalaktische Reisen solche riesigen Fahrzeuge nötig.
Die MARCO POLO war automatisch auf die Umlaufbahn des Giganten eingeschwenkt, befand sich jedoch noch etwas höher über dem Planeten, so das Den jetzt von schräg oben auf das fremde Schiff herab blickte, das den Bildschirm immer größer auszufüllen begann.
„He Marco, die Bahn des Riesendings kommt mir ziemlich tief vor?“
„Das stimmt Meister. Das fremde Objekt hat seine stabile Umlaufbahn verlassen und befindet sich nun im allmählichen Absturz auf den Wüstenplaneten. Es ist im Moment nur noch knapp über den oberen Schichten der Atmosphäre. Das Objekt wird jedoch mit Sicherheit in einigen Umläufen damit Berührung bekommen, wenn die Bahn nicht umgehend korrigiert wird. Aber außer einer leichten Neutrino-Strahlung habe ich keine Anzeichen für energetische Aktivität an Bord feststellen können. Es handelt sich offenbar um ein totes, längst aufgegebenes Wrack.“
Den stand auf und ging näher an den Hauptbildschirm heran. Nachdenklich starrte eine Weile auf das rätselhafte Objekt in der Bildschirmmitte, das seitlich von grellem Sonnenlicht bestrahlt wurde.
"Die Neutrinos könnten von leerlaufenden Maschinen herrühren,“ meinte Den leise und fuhr sich mit der rechten Hand durch die struppigen blonden Haare.
„Ziemlich unwahrscheinlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich nur um die Reststrahlung ausgebrannter Reaktoren,“ antwortete die besserwisserische Bord-KI.
Den nahm sich jetzt fest vor, den impertinenten Computer bei nächster Gelegenheit platt zu machen und vollkommen neu aufzusetzen.
„Wie lange dauert ein Umlauf des Objekts?“ fragte er resigniert.
„Drei Stunden und etwa sieben Minuten, Meister.“
„Wir haben also nicht viel Zeit.“
Mangel an Zeit war Den gewohnt. Als steckbrieflich gesuchter Freibeuter musste er, um überleben zu können, nicht nur die richtige Entscheidung treffen, er musste sie meist auch schnell treffen.
Mit der Möglichkeit, die Antriebssysteme des geheimnisvollen Riesen wieder zu aktivieren und ihn damit wieder auf eine stabile Umlaufbahn zu bringen, konnte Den nicht rechnen. Das dort unten war mit großer Wahrscheinlichkeit ein totes, energieloses Wrack, auch wenn kaum äußere Beschädigungen zu entdecken waren. Auch mit den bescheidenen Bordmitteln der MARCO POLO war bei der gigantischen Größe des Objekts kaum etwas auszurichten. Bis er Bergungshilfe von seiner Basis auf Tontoo hergeholt hatte, war das Ding bestimmt schon abgestürzt und in der Atmosphäre des Planeten verglüht. Außerdem würde die Föderation dann mit einiger Sicherheit Wind von der Sache bekommen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig als sich unverzüglich und ohne besondere Vorbereitungen, an Bord des geheimnisvollen Riesendings zu begeben. Er musste möglichst schnell herauszufinden, ob es sich womöglich um ein äonenaltes Raumschiff der sagenhaften Alten Rasse handelte. Vielleicht lies sich noch einiges von ihren sagenhaften Geheimnissen retten? Vielleicht fand er endlich den entscheidenden Hinweis auf Z, den legendären Planeten des Ewigen Lebens, nach dem er schon so lange suchte?
Den wusste nicht welche bösen Überraschungen ihn an Bord des fremden Schiffes erwarten würden. Er spürte wieder das wohlbekannte Kribbeln unter der Kopfhaut, wie vor jedem gefährlichen Außeneinsatz. Er musste sich wieder einmal eingestehen dass er Angst hatte. Aber auch das war er gewohnt und konnte gut damit umgehen.
Den musste an einen Ausspruch des legendären Generals Nikkopol denken. Er soll einmal gesagt haben, es gäbe grundsätzlich zwei Arten von Helden. Die einen bringen genug Willenskraft auf, um ihre natürliche Furcht um eines Zieles willen zu unterdrücken. Den rechnete sich, ohne sich etwas darauf einzubilden, zu dieser Gruppe von mutigen Leuten. Die anderen Helden sind entweder zu beschränkt oder zu phantasielos um Furcht zu empfinden. Sie ignorieren die Gefahren, in die sie sich unablässig stürzen. Der eigene Tod liegt vollkommen außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Solche Leute geben den Stoff ab, aus dem man gute Soldaten und Söldner macht, wie Den's tollkühnen Partner Jury.
Bei kritischen Situationen wie diesem, pflegte Jury sich hinter den Kontrollen für die Waffen und Schilde der MARCO POLO zu platzieren, obwohl ein Eingreifen in die vollautomatische Kampfführung nur im Falle eines Totalausfalls der Bord-KI sinnvoll wäre. Ein solcher Totalausfall aber war praktisch unmöglich. Dank doppelt- und dreifacher Absicherung waren die KIs großer Raumschiffe längst überlebensfähiger als Menschen oder die meisten anderen Intelligenzwesen. Eigentlich war bei Schiffen von der Größe der MARCO POLO jedes Besatzungsmitglied, außer dem Kommandanten, überflüssig. Raumschiffe mit modernen Quantengehirnen konnten jahrelange komplizierte Operationen auch vollkommen selbstständig durchfuhren. Der Glaube an die Überlegenheit der biologischen Intelligenz hatte jedoch bisher verhindert, dass künstliche Intelligenzen zu selbstständig gemacht wurden. Sicher spielte dabei auch die Angst, eines Tages als überflüssige biologische Spezies von den KIs verdrängt zu werden, eine große Rolle.
Das ausgeprägtes Kinn tatendurstig vorgereckt, drehte Jury sich zu seinem Kommandanten herum. Um seinen barbarischen Anspruch zu unterstreichen, hatte er von der Stirn bis in den Nacken nur einen schmalen Streifen kurzer borstiger Haare stehen lassen. Andere Kopfpartien und die bloßen Arme waren mit teilweise obszönen Tätowierungen bedeckt.
„Komm Lotse, das müssen wir uns mal genauer ansehen. Das ist doch die Gelegenheit auf die wir schon lange gewartet haben. Auf dem Kahn ist bestimmt noch was zu holen.“
Den zeigte mit keiner Miene, ob wegen der nicht gerade respektvollen Anrede mit seinem alten Spitznamen eingeschnappt war.
„Schätze wir müssen versuchen irgendwie an Bord des Riesenkastens zu kommen. Um den Planeten kümmern wir uns erst mal nicht. Sieht sowieso nicht sehr vielversprechend aus. Wir nehmen Tegt, Jonas, zwei der "Grenadiere" und eine der kleinen Sensor-Drohnen mit. In zehn Minuten. Linse Eins. Klar?“
„He Lotse, müssen wir das Klappergestell wirklich mitnehmen. Der doofe Blechheini ist doch nur im Weg,“ meinte Jury leicht verärgert.
Aus dem Hintergrund stakste eine skurrile Gestalt etwas steif in den besser beleuchteten Bereich der Zentrale. Sie entpuppte sich als ein etwa anderthalb Meter großer Android, dessen Hersteller-Gewährleistung schon einige Zeit abgelaufen sein musste. Der dürre Metallkörper von Jonas steckte zum größten Teil in einem etwas zu weiten und bunten Overall. Das Oberteil war grün-gelb gestreift, ein Hosenbein blau, das andere rot. Am eindrucksvollsten an dem Androiden waren die großen blauen Kunstaugen. Sie leuchteten hell aus einem mächtigen, weiß lackierten Metallschädel und vermittelten einen gewissen Eindruck von Weisheit und Intelligenz. Im Ganzen machte das intelligente Kunstwesen aber eher den Eindruck eines albernen Clowns.
"Ich muss Herrn Jury in diesem Fall beipflichten. Ich bleibe lieber an Bord und diskutierte mit Marco über metaphysische Konzepte des terranischen Altertums. Wir haben da noch einige Unstimmigkeiten bezüglich der Monaden-Lehre von Leibnitz."
Jonas sprudelte die Worte schnell und etwas monoton heraus, so das man Mühe hatte ihm zu folgen. Während er sprach bewegte sich sein schmaler Mund im Rhythmus zu den Worten, was meist etwas komisch und unnatürlich aussah. Wie bei schlecht animierten Figuren in alten Filmen.
"Nichts da. Du kommst als Maskottchen mit. Immer wenn du auf Außenmission dabei warst, ist es am Ende gut ausgegangen,“ meinte Den bestimmt und sah den kleinen Androiden streng an.
"Anscheinend ein beliebtes quasi-logisches Konzept biologischer Intelligenzformen. Natürlich komme ich in diesem Fall mit auf die Mission, was aber nicht bedeutet das ich ihren ... Glauben teile. Ich tue es nur um sie zufrieden zu stellen und die Moral zu stärken."
Den warf einen prüfenden Rundblick durch die Zentrale. "Wo steckt eigentlich Tegt schon wieder? Hast du ihn schon gesehen Jury?"
"Nö, keine Ahnung wo der kleine Bursche steckt."
Tegt war normalerweise die meiste Zeit unauffindbar. Er war nicht sehr gesellig und trieb sich in den verstecktesten Winkeln des Schiffs herum, um irgendwelchen geheimnisvollen Tätigkeiten nachzugehen. Den und Jury hatten es bald entnervt aufgegeben ihm nachzuspionieren, denn immer schien er ihnen eine Nase voraus zu sein.
Den drückte einige Tasten auf seinem Pult und prüfte die Anzeigen seines Displays. “Hat seinen Kommunikator wieder mal deaktiviert. Geh im Wohnbereich und den Arbeitsräumen nachsehen Jury. Vielleicht treibt er sich auch wieder in den Laderäumen herum.“
"Meinetwegen. Aber wenn er nicht auftaucht kann er mir gestohlen bleiben. Wir sind nicht auf ihn angewiesen."
"Marco, du näherst dich bis auf fünfhundert Kilometer Sicherheitsabstand an und versuchst das Innere des Objekts zu scannen. Dort bleibst du auf Position bis wir zurückkommen. Ansonsten gelten die üblichen Befehle bei solchen Außeneinsätzen. Verstanden?"
"Geht klar, großer Meister. Wünsche noch viel Erfolg."
"Also dann, um ... sagen wir 18:45 an Bord von Linse Eins Leute."
Als Jury, im Kampfanzug, mit zahlreichen Ausrüstungsgegenständen und Waffen behängt, in der sicheren Erwartung der Erste zu sein, in den Personenraum von Linse Eins stampfte, saß Tegt bereits angeschnallt und die Ausrüstung sauber unter dem Sitz verstaut auf seinem angestammten Platz. Wie angewurzelt blieb Jury stehen, als er den entfernt menschenähnlichen, glotzäugigen und triefnasigen Zwerg wahrnahm und erst nach einigen Sekunden des Staunens konnte er verdutzt fragen: "Wo hast du eigentlich die ganze Zeit gesteckt? Hast du die Durchsagen von Den und Marco nicht gehört? Warum hast du nicht geantwortet?“
Der Zwerg sah spöttisch zu ihm auf: „Wo soll ich schon gewesen sein? Muss man denn gleich wie ein aufgescheuchter Rotschwanz herumrennen, wenn es mal interessant wird. Momentan warte ich hier auf euch, wie du siehst."
Diese Antwort brachte Jury nur noch mehr aus der Fassung, bis ihm allmählich dämmerte das Tegt wahrscheinlich alles aus seinem Quartier heraus mitverfolgt hatte. Schließlich hatte er von dort aus Zugriff zum Bordnetz der MARCO POLO.
Unüberhörbar nahmen die beiden mittleren Kampfdroiden vom Typ BODE-6A, meist nur „Grenadiere“ genannt, ihre Plätze im hinteren Bereich der Personenkabine ein. Sie waren humanoid gebaut, mattschwarz lackiert, etwa zwei Meter groß und ziemlich furchterregend. In ihren großen langgestreckten Schädeln war ein umfangreiches Arsenal an tödlichen Strahlwaffen installiert.
Auch Jonas stellte sich pünktlich ein und nahm unbekümmert plappernd seinen Platz in der Personenkabine ein. Als der Android merkte, das niemand auf seine ziemlich belanglosen Bemerkungen einzugehen gedachte, stellte er sein Geplapper bald ein. Den erschien erst etwa fünf Minuten über der von ihm festgesetzten Zeit. Jury und Tegt enthielten sich demonstrativ jeder Bemerkung, was ihn wahrscheinlich mehr störte, als wenn sie ihn darauf abgesprochen hätten.
"So, alle da? Dann kann's ja losgehen. Bitte anschnallen und Rückenlehnen gerade stellen."
Mit nur wenigen Handbewegungen konnte Den den Ausschleusungsvorgang einleiten und die Linse auf den Weg bringen, da die Bord-KI der MARCO POLO den Navi-Rechner des Beiboots bereits mit den nötigen Daten und Anweisungen versorgt hatte.
Bei den beiden 10M-Linsen der MARCO POLO, handelte es sich um vergleichsweise einfache, aber unverzichtbare Raumfahrzeuge für kurze interplanetarische Flüge und zur Landung auf Planetenoberflächen. Der Personenraum und der kleine abgeteilte Pilotenraum nahmen fast den gesamten Innenraum des etwa zehn Meter durchmessenden linsenförmigen Rumpfes ein. Die kompakten Fusions-Generatoren und der gravimetrische Antrieb waren im Außenwulst, um den zentralen Personenraum herum eingebaut. Kontroll- und Navigationseinrichtungen konnten dank Miniaturisierung so platzsparend im Pilotenabteil untergebracht werden, dass sie dort kaum Raum wegnahmen.
Von Bord der sanft beschleunigenden Linse aus entstand der Eindruck, als würde die MARCO POLO langsam nach oben wegdrehen und dann immer schneller in die Weiten des interplanetaren Raumes rasen. Dieser Eindruck entstand durch die Trägheitsdämpfer des kleinen Beiboot, die alle Kräfte bei Beschleunigung, Verzögerung und Richtungsänderung automatisch neutralisierten und an Bord ein Gefühl der Bewegungslosigkeit erzeugten. Erst die allmähliche Annäherung an die lichtüberflutete Planetenoberfläche ließ die eigene Bewegung erahnen und nur die über die Schirme huschenden Werte über Beschleunigung und Geschwindigkeit lieferten eine Vorstellung von der Schnelligkeit, mit der sie sich ihrem Ziel näherten.
Nur wenige, dünne, weißliche Wolkenspiralen behinderten stellenweise die direkte Sicht auf die Oberfläche des Planeten und so war eine sinnverwirrende Menge von Einzelheiten auf ihr auszumachen. Verschiedene Anzeichen zähen pflanzlichen Lebens; glitzernde Salzpfannen; ausgetrocknete Flussläufe; einzelne seichte Binnenseen in der Polgegend; niedrige uralte Gebirgszüge und überall riesige gelbbraune Sand- und Felswüsten. Ein zyklopischer Sandsturm hatte in den nördlichen Regionen eine Menge Sand in die oberen Schichten der Atmosphäre geblasen. Auffallendstes Merkmal dieses Planeten waren zwei riesige Krater in den nördlichen Breiten, die aus der Ferne wie glotzende Augen wirkten. Zum Rand der Planetenscheibe hin verschwammen alle Konturen in der Helligkeit der planetaren Rückstrahlung.
Obwohl er schon viele male auf diese Weise auf eine fremde unbekannte Welt heruntergeblickt hatte, hatte Den, angesichts dieses immer wieder faszinierenden Eindrucks, Mühe sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Seinen drei schweigenden Begleitern ging es offenbar genauso.
Nach etwa zehn Minuten lautlosen Raumflugs, herunter bis in die Nähe der obersten Schichten der Atmosphäre, begann das fremde Riesenobjekt auch ohne Vergrößerung den größten Teil der Monitore auszufüllen und war weiter im Wachsen begriffen. Vor dem überwältigenden Anblick, der sich ihnen bot, begann auch der Zauber des Planeten zu verblassen. Die jetzt stark verzögernde Linse näherte sich von schräg hinten ihrem Ziel, das aus dieser Perspektive wie ein titanischer schwarzer Faustkeil wirkte, mit dem man klaffende Löcher in die Planetenoberfläche schlagen könnte. Aus größerer Nähe waren einige Unregelmäßigkeiten auf der aus der Entfernung glatt und eben erscheinenden Oberfläche zu erkennen - schmutzige Spuren des Verfalls. Da und dort hatten sich graue und grünliche Beläge auf der glatten Außenhaut angesammelt. Auch einige Krater und Schrammen durch Meteoritentreffer waren jetzt deutlich zu erkennen.
Den zog das Beiboot in eine Kurve und umrundete das fremde Ding in einigen Kilometern Entfernung. Dabei ließ er Scans auf verschiedenen Wellenbereichen durchlaufen, die den größten Teil des gigantischen Rumpfs erfassten. Das Ergebnis der Durchleuchtung schien zunächst beruhigend. Nichts regte auf dem unbekannten Raumschiff-Giganten, oder was immer es sein mochte. Aber die meisten Sektionen des Totenschiffs waren offenbar noch mit Luft gefüllt und die Innentemperatur lag bei etwa 280° K. Also mussten vor nicht allzu langer Zeit noch Maschinen zur Klimaregulierung gelaufen sein.
Den aktivierte das Interkom und rief die MARO POLO: "He Marco. Hast du inzwischen was Neues über den Riesenkasten herausgefunden?"
Die Antwort kam fast ohne Verzögerung. “Meine Scanner dringen nicht sehr tief ein, wegen der sehr dichten und dicken Hülle. Hier könnte nur ein Neutrino-Scan helfen, aber leider habe ich hier keine passende Neutrino-Quelle zur Verfügung. Ich übermittle meine Ergebnisse."
Den verfolgte die übermittelten Daten und Bilder auf dem Bildschirm und brummte unzufrieden. "Verdammt wenig zu erkennen.“
Doch dann rückte er näher an das Display heran und sah genauer hin. „Moment mal, was sind denn das für Schatten, die sich da im Turmbereich bewegen? Warum, zum Teufel hast du mich nicht gleich darauf aufmerksam gemacht, Marco?“
"Tut mir leid Meister, aber ich konnte diese Objekte bisher nicht einwandfrei identifizieren. Es könnten Interferenzmuster der kosmischen Strahlung sein."
Den trommelte mit den Fingern der rechten Hand nervös auf die Armlehne des Pilotensessels. “Könnten es nicht Lebewesen sein? Vielleicht sind noch einige Besatzungsmitglieder am Leben. Immerhin ist ja noch Luft im Schiff.“
Die Bord-KI verfiel wieder in ihren etwas herablassenden Ton. „Angesichts des offensichtlich großen Alters des Artefakts ist das sehr unwahrscheinlich. Außerdem sind die erfassten Muster für Lebewesen sehr untypisch und viel zu groß.“
Den rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wer so einen Riesenkasten baut, könnte ja selbst etwas größer sein als gewöhnlich. Schätze wir werden hinübergehen und es selbst herausfinden müssen. Die Kommandozentrale von dem Ding ist vermutlich ganz oben im Turmaufbau."
Jury, der im Kopilotensessel saß, beugte sich tiefer über sein Display. "Denke ich auch. Aber wie kommen wir bloß da rein? Vielleicht an einer beschädigten Stelle der Hülle."
Mit Marcos Hilfe fand sich die Lösung des Problems innerhalb weniger Minuten in Form einer offenstehenden Luftschleuse, die Den und Jury wegen ihrer relativ geringen Abmessungen zunächst entgangen war. Die Öffnung befand sich ein Stück vor dem Turm, etwa in der Mitte der Seitenwand. Den steuerte die Linse bis auf wenige hundert Meter an die Seitenwand heran und nun drangen die verstandraubenden Abmessungen des gigantischen Wracks erst richtig ins Bewusstsein der Raumfahrer. Eine grünlich-dunkle Wand die sich nach allen Seiten, nach oben und unten, bis in die schwarze Unendlichkeit ausdehnte. Die Schleuse, die zunächst wie ein winziges Mannluk gewirkt hatte, erwies sich als Tor von etwa zwanzig Metern Breite und dreißig Metern Höhe. Das kleine Beiboot der MARCO POLO ließ sich somit problemlos durch die Öffnung steuern und im dahinter liegenden Schleusenraum landen. Die Scheinwerfer erhellten eine Halle von etwa dem Querschnitt der Torfläche und rund fünfzig Metern Tiefe. Das luftdicht verschlossene Innentor befand sich erwartungsgemäß dem Außentor gegenüber. Den schickte die kleine flugfähige Sensor-Drohne nach draußen, um die Wände der Schleusenhalle näher zu untersuchen. Wahrscheinlich würde es wegen fehlender Energie unmöglich sein den Schleusenmechanismus wieder in Gang zu setzen und das massive innere Schott zu öffnen. Die Drohne fand jedoch in der linken Wand, knapp über dem Schleusenboden ein rundes, etwa ein Meter durchmessendes Schott. Offenbar eine Notschleuse, die auch manuell zu bedienen war, wie sie bei den Raumschiffen der meisten Rassen üblich war. Die Aufgabe der Drohne war damit vorerst erfüllt und sie wartete auf weitere Instruktionen. Den entschied nach kurzem Überlegen, das Tegt zur Sicherheit einstweilen bei der Linse bleiben sollte, was der kleine Perside ohne Kommentar akzeptierte. Die anderen würden mit den beiden „Grenadieren“ ins Innere vordringen, wobei Jonas über die Kommunikationsanlage der Linse den Kontakt zur der MARCO POLO halten sollte. Gewiss eine etwas improvisierte Erkundungsmission, aber was blieb ihnen angesichts der Eile anderes übrig.
In ihren schweren Raumanzügen verliesen Den und Jury die Linse und schwebten, angetrieben von den Manövrierdüsen, durch den schwerelosen Schleusenraum zum vermuteten Notschott hinüber. Jonas konnte aufgrund seiner künstlichen Konstitution auf einen Raumanzug verzichten und schwebte mit den beiden Kampfmaschinen hinterher. Den und Jury landeten elegant unmittelbar vor dem Schott und verankerten sich mit Hilfe ihrer magnetischen Stiefel am Boden. Nach kurzem Überlegen ergriff Jury das Bedienungsrad in der Mitte des runden Schotts fest mit beiden Händen und versuchte es vorsichtig zu bewegen. Zunächst schien es seinen Bemühungen erfolgreich zu widerstehen, aber als er fester zugriff und seine ganze Kraft einsetzte, löste es sich mit einem Ruck und das Schott schwang lautlos auf. Ein kleiner gähnend leerer Raum tat sich vor den Gefährten auf, als sie nähertraten und mit ihren Helmscheinwerfern hineinleuchteten. Gegenüber waren das runde Innenschott und einige Bedienungselemente zu erkennen.
Den wies mit einer einladenden Geste in das Innere der Kammer. "Also Kameraden, worauf warten wir noch?"
Die Kammer der Notschleuse erwies sich für die beiden Menschen in ihren dicken Raumanzügen, Jonas und die beiden humanoiden Robotern als etwas beengt. Nachdem Jury das Außenschott wieder fest verschlossen hatte, betätigte Den vorsichtig den Mechanismus des Innenschotts. Durch ein Ventil strömte zunächst Luft aus dem Schiffsinneren in die Schleusenkammer bis der Druckausgleich hergestellt war, erst dann ließ sich das Innenschott über ein Handrad öffnen. Nach kurzem Zögern stieg Den als erster über die Schwelle. Überraschenderweise erwartete ihn keine Dunkelheit, sondern eine riesige, durch rot leuchtende Bänder an den Wänden düster beleuchtete Halle. Der Anblick verschiedener, im herrschenden Halbdunkel unidentifizierbarer Anlagen, jagte ihm kalte Schauer über den Rücken.
Mit einiger Anstrengung hatte Sausewind den Kopf seiner Zapfsonde durch die harte Außenwand der Speicherpflanze getrieben. Nun ran endlich ein dünner Strahl milchiger Flüssigkeit aus dem hinteren Ende der Sonde. Vor Erschöpfung und Erleichterung hätte er fast den Halt verloren und wäre um ein Haar in die Tiefe gestürzt.
Auf den Schreck hin trank er in vorsichtigen Zügen aus dem Beutel, in dem sich der frische Speicherpflanzensaft sammelte. Bald war die Schlaffheit der Erschöpfung aus seinem Körper gewichen und die Energie kehrte zurück. Doch die Nebenwirkungen des unbehandelten Saftes ließen nicht lange auf sich warten. Immer schneller begannen sich die Gedanken im Echsenschädel von Sausewind zu bewegen. Jene Gedanken über die ungreifbare und fremde "Andere Wirklichkeit". Den Rücken gegen die Pflanzenwand gelehnt, saß Sausewind da und blickte fasziniert auf sein linkes vierfingriges Händchen, während er sich, ohne auf seine reale Umwelt zu achten, mit den fremden Gedanken treiben lies.
Er fühlte es jetzt wieder. Nie war er der Welt näher als in diesen Augenblicken, der nicht von ihm gedachten Gedanken. Keiner der Fragemänner seiner Sippe kannte diesen entrückten Zustand, denn sie genossen nur den behandelten Saft der grünen Speicherpflanze. Aber wie konnten sie dann die Welt richtig deuten und die „Wirklichkeit" festlegen? Warum waren sie in der Vergangenheit meistens erfolgreich damit gewesen? Die Fragemänner wussten von vielen Fällen zu berichten, in denen ihre "Wirklichkeit" sich den fremden Gedanken als überlegen gezeigt hatte. Doch warum änderte sich ihre "Wirklichkeit" fortlaufend, während diese anderen Gedanken blieben? Ein Problem dem die Fragemänner lieber aus dem Weg gingen.
Dieser wachsende schwarze Fleck am Himmel würde bald wieder eine neue "Wirklichkeit" erfordern. Die Fragemänner des Stammes hatten schon die Köpfe zusammengesteckt. Vielleicht würden sie sogar die Gelegenheit nutzen und die bestehende "Wirklichkeit" ganz auf den Kopf stellen.
Was sagten ihm die fremden Gedanken über die wahre Bedeutung des schwarzen Flecks am Himmel? Sie sagten ihm so etwas wie: "Er ist viel älter und größer als wir und er wird unser Dasein radikal verändern." Stand nicht in den alten Rollen: "Es gibt denkende Wesen auch jenseits der Himmel und der Gegenwart." Bot sich da nicht ein neuer Gedanken-Knoten an? Vielleicht würden die Fragemänner ihn in der nächsten "Wirklichkeit" berücksichtigen müssen?
Sausewind richtete, den nach außen gerichteten Teil seiner Aufmerksamkeit, von seinem zierlichen Händchen auf einen roten Feuerbrummer, der sich für seine Tasche zu interessieren schien. Das Schwirren der durchscheinenden Schwingen, das ruckweise vor und zurück, höher und tiefer Schweben des Insekts, die flüssigen Bewegungen der Fühler, schlugen ihn für einige Zeit so in Bann, dass sich die fremden Gedanken für eine Weile verlangsamten.
Wie sah wohl die Welt dieses Feuerbrummers aus? Der siebte Weise soll gesagt haben, Hartfüßer hätten nur eine "Wirklichkeit" für alle Zeiten und sie würde immer mit ihren Gedanken überein stimmen. Doch hatten Feuerbrummer überhaupt Gedanken? Sausewind bezweifelte es. Ein Feuerbrummer brauchte nicht dauernd in seinem Verstand Knoten knüpfen, um sie dann wieder zu lösen, wie der arme Sausewind.
Bald begann die Außenwelt immer mehr zu verblassen und zurückzutreten hinter der visionären Innenwelt von Sausewinds berauschtem Verstand. Unerhörte, erhabene Gedanken blitzten in seinem Reptilien-Gehirn auf, aber nachher hätte er nicht mehr zu sagen vermocht, was sie bedeuteten und was sie beinhalteten. Für einen Moment war der Vorhang vor den Dingen jenseits der "Wirklichkeit" gehoben worden, doch die Dinge dort hatten keine fassbare feste Form. Geheimnisse die nicht mitteilbar waren, aber großen Einfluss auf die "Wirklichkeit" haben mussten.
Als sich die Sonne bis auf drei Händchen breit dem Horizont genähert hatte, begannen die fremden Gedanken langsam zu versiegen und Sausewind konnte sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu widmen. Er verzichtete darauf weitere anstrengende Bohrungen zu versuchen, als der Saft aus der Sonde versiegt war. Ein kaum halb gefällter Beutel war zwar keine große Ausbeute, aber angesichts der vorgerückten Tageszeit musste es genug sein.
Schweigend standen Den und Jury vor dem geöffneten Schott der Innenschleuse und blickten gebannt in das düstere rote Zwielicht der dahinter liegenden Halle. Die bizarren Gebilde, die sich aus den dunklen Schatten schälten, entzogen sich jedem Vergleich mit bekannten Dingen, die Den und seine Gefährten je gesehen hatten. Noch am ehesten zu einzuordnen waren die dreizehn, etwa zwanzig Meter hohen flaschenförmigen, vollkommen durchsichtigen Behälter, die unterschiedliche Mengen einer dunkelgrauen körnigen Substanz enthielten. Bei näherer Betrachtung der Substanz glaubte man manchmal den flüchtigen Eindruck eines leichten Wallens und Brodelns wahrzunehmen. Bei jeder dieser scheinbaren Bewegungen glitt ein unbestimmtes Grauen, wie ein dunkler drohender Schatten durch Den’s Gehirn. War die Substanz in den Flaschen lebendig? Mit ihren tragbaren Sensoren war von außen nichts Genaues über die Natur des unheimlichen fremden Stoffes herauszubekommen und ein starker Widerwille hielt die Gefährten davon ab, Proben aus den Behältern zu entnehmen. Den verspürte eine unwillkürliche Furcht, den unheimlichen Riesenbehältern mit der Substanz, die aussah wie verfaulende organische Materie, zu nahe zu kommen. Jury und selbst dem künstlichen Wesen Jonas schien es genauso zu gehen.
Links ragte die durch mächtige vertikale Rippen verstärke Außenwand des Raumschiffs auf. An der rechten Wand, der etwa hundert Meter langen Halle rankte sich ein bizarres Etwas in die Höhe, dass entfernt an ein abstraktes Kunstwerk der Sagittarier erinnerte. Handelte es sich möglicherweise um die monströse Statue eines Erbauers dieses gigantischen Raumschiffs?
Als die Raumfahrer nähertraten, um das fantastische Ding näher zu betrachten, entdeckten sie daneben einen offenen bogenförmigen Durchgang, der auf einen etwa fünf Meter breiten, vollkommen geraden Korridor führte. Sie traten durch den Bogen und folgten dem dunklen Gang fast einen Kilometer weiter in das Schiffsinnere. Den und Jury nutzen dabei ihre Martens-Gravitationsstiefel, die ihnen in der Schwerelosigkeit ein rasches und sicheres Vorwärtskommen ermöglichten. Da sie möglichst rasch zur Zentrale vordringen wollten, kümmerten sie sich zunächst nicht um die Abzweigungen, die gelegentlich links und rechts auftauchten. Sie entschlossen sich dann aber doch, auch andere Räumlichkeiten zu untersuchen und verliesen den Korridor an einer Abzweigung. Aber nicht ohne in regelmäßigen Abständen Leuchtmarkierungen zu hinterlassen, die ihnen das Finden des Rückwegs zum breiten Korridor ermöglichen sollten. So wagten sie sich in ein scheinbar planloses Labyrinth winkeliger Gänge. Da die meisten Portale in den Gangwänden fest verschlossen waren, Den aber auf die Anwendung von roher Gewalt verzichten wollte, konnten sie nur durch ein paar offen stehende Durchgänge in andere Räumlichkeiten des Schiffs eindringen. Doch die dortigen Einrichtungen waren genauso wenig aufschlussreich wie in der großen Halle, durch die sie das Schiff betreten hatten. Auch von der Besatzung des Schiffes konnten sie hier keinerlei Spuren entdecken. Hatten die Fremden ihr Schiff nach einer Havarie verlassen und aufgegeben?
Die geheimnisvollen Erbauer des Schiffs schienen es bevorzugt zu haben, Maschinen und Einrichtungen an Decken und Wänden der Räumlichkeiten zu montieren. Das ergab den Vorteil erhöhter Bewegungsfreiheit am Boden. Die Anordnung der Durchgänge und Türen bestätigte diese Feststellung.
Nach kurzer Zeit kehrten Den und seine Gefährten, unbefriedigt vom Ergebnis ihrer Exkursion, auf den breiten Korridor zurück und liefen weiter in Richtung Schiffsmitte.
Plötzlich hielt Den an, um sich auf die Bilder und Daten zu konzentrieren, die die Sensor-Drohne auf sein Helmdisplay übertrug. Die Drohne hatte etwa fünfhundert Meter voraus einen der Haupt-Transporttunnel des Schiffes erreicht. Der etwa hundert Meter breite und vierzig Meter hohe Tunnel führte offenbar entlang der Längsachse des Schiffes, vollkommen gerade vom Heck zum Bug.
Den wandte sich zu Jonas um. „Hast du noch Kontakt zur MARCO POLO? Vielleicht kann uns Marco ja einen Tipp geben, wo wir den nächsten Schacht hinauf in den Turm finden."
"Die Verbindung ist wegen der dichten Hülle etwas schmalbandig. Aber Audio und langsame Datenübertragung sind möglich. Ich werde ihre Anfrage sofort weitergeben, Herr Vildermut,“ antwortete der kleine Android eifrig.
Nach wenigen Minuten lieferte die Bord-KI über Jonas die erhoffte Wegbeschreibung. Sie sollten an der Mündung des Korridors in den großen Transporttunnel, etwa zweitausend Meter nach links gehen. Dort sollte die Mündung des nächsten, aufwärts führenden Transportschachts sein.
Auf ein Handzeichen von Den setzte sich Jury sogleich in Bewegung, um mit den beiden Kampfrobotern die Spitze zu übernehmen. Den und Jonas folgten etwa zwanzig Meter hinter ihnen.
Bei ihrem zügigen Ausschreiten wirbelten die Raumfahrer eine Menge Staub und Dreck auf, der wegen der fehlenden Schwerkraft unaufhörlich zwischen den Wänden hin und her waberte. Die Materialien des Korridors dämpften jedes Geräusch, das sie bei ihrem Vordringen verursachten, ungewöhnlich stark. Zusammen mit der absoluten Fremdartigkeit der Umgebung erzeugte die Stille das Gefühl, sich wie in einem Traum zu bewegen. In einem ziemlich bizarren Alptraum.
Schon geraume Zeit hatten Den und seine Gefährten voraus einen roten Schimmer wahrgenommen. Schließlich traten sie durch einen schmalen Spalt auf den großen Transporttunnel hinaus, den die Drohne entdeckt hatte. Auch er war, wie die anderen größeren Räumlichkeiten an Bord, durch selbstleuchtenden Bänder in ein diffuses rotes Licht getaucht. Nach beiden Seiten verlor sich der titanische Schacht, der zum Transport größerer Frachten im Schiff gedient haben mochte, in rötlichem Halbdunkel.
Da Den und Jury seit der ersten Halle ihre Helmvisiere geöffnet hatten und die etwas abgestandene Luft des Schiffes atmeten, nahmen sie seit einiger Zeit einen unangenehmen Geruch wahr. Er hatte auf dem Weg hierher ständig zugenommen und hatte nun eine äußert ekelerregende Intensität erreicht. Der strenge Geruch ging offenbar von einer schwarzen öligen Substanz aus, die stellenweise an Boden, Wänden und Decke des Transporttunnels haftete. Es sah aus als hätte dort irgend ein aggressiver Stoff die Materialien des Schiffes angegriffen und teilweise aufgelöst. Den bückte sich zu einem kleineren ölig-schwarzen Fladen zu seinen Füßen und berührte die Substanz vorsichtig mit den Fingerspitzen. Wie elektrisiert zuckte er sofort zurück. Etwas von dem Stoff blieb an seinem Handschuh haften. Nachdem Den kurz erschreckt auf die fremdartige Substanz auf seinen Fingerspitzen gestarrt hatte, wischte er sie hastig an der nächsten Wand ab. Er wirkte etwas verwirrt als er sich Jury und Jonas zuwandte. „Das Zeug ist mir nicht geheuer. Ich glaube es hat sich von selbst bewegt.“
„Du spinnst doch. Ich hab nichts gesehen,“ brummte Jury verächtlich.
Den trat rückwärts einige Schritte von der ekelhaften Substanz weg. „Jonas, versuch doch mal das schwarze Zeugs zu analysieren. Nimm eine Probe, aber sei bloß vorsichtig dabei.“
"Oh je, Herr Vildermut. Chemische Analysen sind nicht gerade mein Spezialgebiet. Nur an Bord der MARCO POLO wäre eine genauere Untersuchung möglich.“
Trotzdem nahm der Android zaghaft eine winzige Probe und konnte schon nach wenigen Minuten mit einer ersten Analyse aufwarten.
"Es handelt sich offenbar um ein Konglomerat von Stoffen der Schiffseinrichtungen und verschiedenen langkettigen Molekülen auf Siliziumbasis. Da Silizium ähnliche chemische Eigenschaften wie Kohlenstoff aufweist, könnte es sich tatsächlich um eine exotische organische Substanz halten. Allerdings sind Mehrfachbindungen mit Silizium schwerer herzustellen und deutlicher starrer und inflexibler. Leben auf Siliziumbasis ist deshalb im Universum sehr selten auf natürlichem Weg entstanden. Es kann allerdings mit einigem Aufwand künstlich im Labor erzeugt werden, was meines Wissen allerdings nur mit einfachen Mikroorganismen gelungen ist. Interessanterweise ist der genetische Code von Silizium-Lebewesen..."
Ärgerlich unterbrach Jury den beginnenden Redeschwall des Androiden. "Quatsch hier keine Oper, Blechheini! Uns interessiert nur ob das Zeug irgendwie gefährlich für uns ist."
"Müssen sie immer so unfreundlich sein, Herr Jury? Ich will doch nur behilflich sein. Mit meinen bescheidenen Analysemöglichkeiten kann ich das biologische Gefahrenpotential leider nicht genau abschätzen. Das pathogene Risiko müsste aber gering sein, da die Biologie von Menschen auf Kohlenstoff beruht und somit inkompatibel zu eventuellen Keimen auf Siliziumbasis ist…“ Bevor Jonas zu einem weiteren Vortrag ansetzen konnte, stoppte ihn Den mit einer energischen Handbewegung. „Das reicht uns vorerst, Jonas. Danke.“
Er deutete den riesigen Transporttunnel entlang, in Richtung der einige hundert Meter voraus im roten Dämmerlicht matt blinkenden Sensor-Drohne.
„Schließen wir unsere Helme besser wieder, Jury. Los weiter. Wir werden uns doch von ein paar stinkenden Ölflecken nicht aufhalten lassen.“
Dicht zusammenbleibend bleibend, bewegte sich die Gruppe an der linken Wand entlang Richtung Bug. Manchmal mussten sie den schwarzen Fladen bis in die Mitte des Tunnels ausweichen, aber nach Möglichkeit suchten sie dicht an der Wand zu bleiben. Den gestand sich ein dumpfes Gefühl von Furcht ein, das mit jedem Schritt stärker zu werden schien. Unwillkürlich suchte er laufend nach einem Fluchtweg aus der deckungslosen Fläche des weiten Transporttunnels. Selbst dem furchtlosen Jury schien es genauso zu gehen. Einmal waren sie gezwungen, einen einige Meter breiten Streifen der schwarzen Substanz mit Hilfe ihrer Anzugtriebwerke zu überspringen. Es gelang ihnen nur nach Überwindung eines gewissen inneren Widerstands. Mit jedem Meter, den sie weiter vordrangen, wurde in Den der unbestimmte Drang stärker, einfach umzukehren und mit der Linse umgehend zur MARCO POLO zurückzukehren. Aber solange die Gefahr nicht konkreter wurde, war er noch nicht bereit einfach davon zu laufen.
Nach einigen hundert Metern machte Jury Den auf Beschädigungen an den Wänden und der Decke aufmerksam. „Sieh mal, die ganzen Dellen und Risse in der Wand. Hier muss was hart angeschlagen sein.“
Den zeigte voraus, wo vor der roter Dämmerung ein Gewirr scharfer Schatten die Fahrbahn des Tunnels blockierte. Er konzentrierte sich wieder auf das Helmdisplay, das ihm zeigte, was die Drohne einige hundert Meter vor ihnen, mit ihren optischen Sensoren erfasste.
"Scheinen einige verunglückte Fahrzeuge zu sein. Sehen ziemlich schwer beschädigt und zerfressen aus. Sehen wir uns das mal genauer an. Vielleicht finden wir was Interessantes,“ meinte er mit belegter Stimme.
Den und Jury deaktivierten ihre Gravitations-Stiefel wieder und legten die Strecke bis zu dem Hindernis mit ihren Anzugtriebwerken in wenigen Minuten zurück. Tatsächlich sahen sie im Licht ihrer Helmscheinwerfer nun die schwer beschädigten Wracks von fünf oder sechs großen Transportfahrzeugen, die sich wirr ineinander verkeilt hatten. Es ballten sich hier auch größere Mengen der unheimlichen schwarzen Substanz. Manche Strukturen der Fahrzeuge waren total zerfressen oder sahen wie in großer Hitze geschmolzen aus. In diesem desolaten Zustand war wenig von der Konstruktion oder dem Inhalt der Fahrzeuge zu erkennen.
Einer der Wagen war an der Seite aufgeschlitzt und aus seinem dunklen Innern ragte ein weißliches Geäst hervor, das Dens Aufmerksamkeit magisch anzog. Teilweise waren diese bleichen Gebilde, die offensichtlich nicht zum Fahrzeug selbst gehörten, mit einer grau-braunen Substanz überzogen, die auch ein Stück des Bodens vor dem zerstörten Wagen bedeckte. Auf der Oberfläche dieser Masse hatten sich Blasen und Aufwölbungen, wie obszöne Pilze gebildet.
Er winkte Jonas herbei. "Hier hab ich was Interessantes gefunden. Analysier doch mal was von dem brauen Zeug da."
Eifrig kam der kleine Androide herbei und machte sich unverzüglich ans Werk.
"Tatsächlich bemerkenswert, Herr Vildermut. Es handelt sich ohne Zweifel um organische Überreste. Aber diesmal auf Kohlenstoffbasis. Auf diesem Schiff scheinen sich zwei grundverschiedene Lebensformen begegnet zu sein."
Den ging vorsichtig näher, um die fremdartigen, unsymmetrischen Gerippe näher zu betrachten. “Könnten die traurigen Überreste der Schiffsbesatzung sein. Aber wie passt das mit den organischen Siliziummolekülen zusammen? Können Silizium-Lebewesen überhaupt in einer Kohlenstoffumgebung existieren?“
Nun war Jonas wieder ganz in seinem Element. "Nun, das ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Bei einem autotrophen Stoffwechsel, der Energie und Lebensbausteine aus anorganischen Stoffen gewinnt, können Lebewesen auf Siliziumbasis auch in einer Kohlenstoff-Biosphäre leben und sich vermehren. Silizium ist auch in so einer Umwelt ausreichend vorhanden. Hier auf dem Raumschiff zum Beispiel macht dieses Element schätzungsweise fünf bis acht Prozent der Gesamtmasse aus. Allerdings müsste es erst aus den zahlreichen Verbundstoffen extrahiert werden."
Den spürte einen dicken Kloß in seiner Kehle. Was der Androide, in seiner sorglosen Entdeckerbegeisterung daher plapperte, gefiel ihm aus Gründen, die ihm noch nicht ganz klar waren, überhaupt nicht. Er begann dunkel das zerstörerische Drama zu ahnen, das sich in diesen Hallen, Tunnels und Korridoren vor sehr langer Zeit abgespielt haben musste. Und vielleicht war der alte Schrecken ja noch nicht ganz aus dem Schiff verschwunden. Den begann jetzt ernsthaft über einen Abbruch des Unternehmens nachzudenken.
Bevor er sich zu einem Entschluss durchringen konnte, riss ihn Jury aus seinen dunklen Gedanken. „He Lotse, die Drohne hat endlich den Schacht gefunden. Vielleicht fünfhundert Meter voraus."
Den gab den Kampfrobotern die Anweisung die Spitze zu übernehmen, dann drangen die Raumfahrer weiter im Transporttunnel vor. Da sie wieder ihren Anzugantrieb benützen, brauchten sie nur wenige Minuten, bis sie vor einer etwa zwanzig breiten Öffnung in der rechten Tunnelwand landeten. Die ursprünglich vorhandene Tore waren offenbar samt Einfassung und Teilen der Schließmechanismen gewaltsam weggerissen worden. Die Trümmer trieben wahrscheinlich irgendwo durch den Transporttunnel, waren aber nicht mehr zu entdecken.
Den trat vor und blickte vorsichtig in den dahinter liegenden etwa vierzig Meter durchmessenden runden Schacht, der endlos nach oben und unten zu führen schien. Wie der Transporttunnel war er vom trübem rotem Notlicht spärlich beleuchtet.
"Scheint frei und unbeschädigt zu sein. Wollen wir es wagen, Jury?"
"Natürlich, was den sonst. Jetzt sind wir schon so weit gekommen. Aber erst schicken wir die Drohne nach oben."
Die Sensor-Drohne stieg mit etwa zehn Metern pro Sekunde nach oben und lieferte die ersten tausend Meter keine außergewöhnlichen Bilder. Nur leicht erodierte Schachtwände und in etwa fünfzig Meter Abstand umlaufende Galerien mit Ausstiegen, von denen die meisten verschlossen waren.
Doch plötzlich zuckte Den erschreckt zurück. War da nicht ein undeutlicher Schatten durch das von der Drohne übertragene Bild gehuscht? Er erinnerte sich wieder an die sich bewegenden Schatten, die Marco im Schiff geortet hatte. Den versuchte hektisch den Schatten wieder mit der Optik der Drohne einzufangen, aber er fand ihn nicht mehr.
"Hast du das auch gesehen, Jury?“
„Wird wohl eine Spiegelung oder Reflexion gewesen sein. Jetzt ist es jedenfalls weg. Du lässt dich doch von so was nicht erschrecken, Lotse. Oder glaubst du etwa an Gespenster?“
Den sah durch die Helmscheibe das unverschämte Grinsen auf Jurys Gesicht. Deshalb ließ er den Vorschlag, ihr weiteres Vorgehen zu überdenken, lieber unausgesprochen. Schließlich wollte er vor Jury auf keinen Fall als übervorsichtiger Angsthase dastehen. Das konnte ihn noch den letzten Rest seiner Autorität als Kommandant kosten.
"Was soll’s. Machen wir weiter. Wenn Marcos Angaben stimmen, müssen wir bis ganz nach oben. Etwa drei bis vier Kilometer. Dann müssten wir dicht bei der vermuteten Zentrale sein. Die Scanner zeigen in der Turmspitze einen größeren Raum an."
Zur Absicherung übernahmen die beiden „Grenadiere“ wieder die Spitze und glitten im Schacht nach oben. Als sie etwa hundert Meter über ihnen waren, stießen sich Den und Jury kräftig von der Plattform ab, und folgten ihnen nach oben. Jonas versuchte es ihnen lässig gleich zu tun, bewies dabei aber für einen Androiden erstaunlich wenig Geschicklichkeit und stieß schon nach wenigen Sekunden hart gegen die Schachtwand.
"Oh je, das gibt wieder neue Beulen."
Er prallte von der Schachtwand ab und begann, sich überschlagend und hilflos strampelnd, durch den Schacht zu taumeln. "Hilfe, ich kann es nicht mehr kontrollieren."
Den erwischte den ungeschickten Androiden gerade noch am Fuß und konnte ihn mit einiger Mühe in eine stabile Lage bringen. "Schätze, das werden wir noch üben müssen."
Jury konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen, dann schwebten die Gefährten schweigend im roten Dämmerlicht immer weiter und weiter nach oben.
Im Bann der fremden Gedanken hatte Sausewind nicht auf seine Umgebung geachtet, und so war ihm der aufziehende Staubsturm entgangen, bis es fast zu spät war. Erst jetzt nahm er die dunkle bedrohliche Sturmfront wahr, die den Horizont von Westen nach Norden zu überdecken begann. Eben blitzte die Sonne ein letztes Mal hell auf, bevor sie rasch hinter dunkelgrauen Wolkentürmen verschwand. Augenblicklich verdüsterte sich die Umgebung und Sausewind verspürte ein merkliches Sinken der Temperatur.
Es war höchste Zeit für ihn sich auf den Rückweg zum heimatlichen Höhlensiedlung zu machen. Rasch packte er seine Utensilien in die Tasche und machte sich an den Abstieg. Heil am Fuß der Speicherpflanze angekommen, sah er sorgenvoll nach der beständig wachsenden Staubwand im Nordwesten und machte sich dann eilig auf den Rückweg. Er musste dabei dem Sturm entgegen durch die flache Steppe nach Westen laufen, aber er hoffte es noch rechtzeitig zur schützenden Heimstatt am Wallberg zu schaffen.
Angesichts der rasch näher kommenden Sturmfront erhöhte Sausewind sein Lauftempo immer mehr, bis er an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit kam. Aber bei etwa der Hälfte der Strecke begann ihm klar zu werden, das er es nicht mehr rechtzeitig bis zur Heimstatt schaffen würde. Eine himmelhohe kompakte Wand aus Staub und Sand verdunkelte inzwischen den ganzen Horizont im Nordwesten. Es war düster geworden, wie zur Zeit der Abenddämmerung, obwohl die Sonne noch irgendwo hinter der Sturmfront über dem Horizont stehen musste. Sausewind hielt zum Verschnaufen kurz an und blickte verzweifelt auf das Verhängnis aus Staub und Sand vor ihm. Es musste ein außergewöhnlich mächtiger Staubsturm sein, wie Sausewind ihn nur aus den Erzählungen der Alten kannte. Ein Geistersturm, wie er nur alle hundert Zyklen vorkommt. In der offenen ungeschützten Steppe würde ihm der heiße Wind das Fleisch von den Knochen reißen. Das würde das frühe schreckliche Ende des armen Sausewind bedeuten.
Sausewind Blick ging nach Süden, wo er in Hoffnung verheißender Nähe die schwarzen Ränder des Großen Ringberges erkennen konnte. Ja, bis dahin konnte er es wahrscheinlich noch schaffen. Die uralte Heimstatt dort war zwar seit vielen tausend Zyklen verlassen, aber Schutz vor dem Staubsturm würde sie immer noch bieten. Der Große Ringberg war verbotenes Gebiet und Sausewind war noch nie auch nur in der Nähe der verfluchten alten Heimstatt gewesen. Aber wenn er weiter auf den Wallberg zulief, würde der Sturm ihn sicher bald ergreifen und zerschmettern. Also änderte Sausewind nach kurzem Überlegen die Richtung und lief nun, mit neuer Hoffnung und so schnell er konnte, nach Süden zum Großen Ringberg.
Inzwischen wirbelten die ersten Ausläufer des Sturms dünne Staubfahnen in die Luft, aber noch kam Sausewind rasch und ungehindert voran. Bald ragten die steilen schwarzen Wände des Großen Ringbergs unmittelbar vor ihm Hunderte von Längen in die Höhe. Als ihm eine Staubfahne in Gesicht wehte, blickte Sausewind kurz zu Boden und machte eine beunruhigende Entdeckung. Da waren die Fährten von etwa einem Dutzend Lebewesen, die sich aus Richtung Nordost vor Kurzem ebenfalls dem Großen Ringberg genähert hatten. Und diese großen vierfüßigen Lebewesen waren eindeutig nicht von Sausewinds Art. Es konnte sich dabei nur um ein Rudel der haarigen Bestien handeln, denen in der großen Ebene immer wieder einzelne Saftholer zum Opfer fielen. Doch Sausewind konnte jetzt nicht mehr zurück, auch wenn er noch so große Angst hatte. Er musste jetzt schnell einen sicheren Unterschlupf finden. Er brauchte umgehend Schutz vor dem zerstörerischen Sturm hinter ihm und den schrecklichen Bestien vor ihm.
Er lief schräg von der fremden Fährte weg, weiter auf die Wand des Ringberges zu. Dabei sah er sich immer wieder suchend um und entdeckte schließlich einen steinigen Pfad, der am Fuß der Wand entlangführte. Zu seiner Erleichterung konnte Sausewind keine Bestien-Fährten auf dem Pfad entdecken und folgte ihm nach rechts, in der Hoffnung bald auf den Eingang der alten Heimstatt zu stoßen. Der Wind nahm immer mehr zu und die dunkle wogende Wand des Sturms schien schon unmittelbar über ihm zu hängen. Die Sicht nahm durch den wirbelnden Staub immer mehr ab und bald würde Sausewind nichts mehr erkennen können.
Gerade noch rechtzeitig erreichte er den Eingang einer kleinen, etwa zwanzig Längen breiten Schlucht, die sich in die steile Wand des Großen Ringbergs schnitt. In der Ebene draußen hatte der Sturm gerade mit aller Gewalt zu toben begonnen. Er brauste und heulte jetzt ohrenbetäubend mit aller Gewalt. Die Luft schien undurchdringlich mit brüllendem Staub und Stand angefüllt. Nur in der engen Schlucht war es noch etwas ruhiger. Im düsteren Zwielicht des losdonnernden Sturms konnte Sausewind vage die Inschriften und rätselhaften Reliefs auf den geglätteten Wänden der Schlucht erkennen. Das war er also, der Eingang zur verbotenen uralten Heimstatt. Doch alle Verbote und Warnungen waren jetzt gleichgültig. Wenn er sein Leben noch retten wollte, musste er weiter hineingehen, bis er vor dem Sturm einigermaßen geschützt war. Hier in der Schlucht würde er sich nicht mehr lange aufhalten können.
Nach etwa zweihundert Längen erreichte Sausewind das Ende der engen und tiefen Schlucht und stand vor einer großen schwarzen Öffnung in der steilen Wand des Großen Ringberges. Links und Rechts des Durchgangs waren etwa zehn Längen hohe Halbreliefs von monströsen Gestalten in den Fels der Bergwand gemeißelt. Die steinernen Wächter der uralten Heimstatt, wie sie Sausewind von den Alten beschrieben worden waren. Er verspürte einen intensiven Widerwillen, die Schwelle dieser dunklen Pforte unter den starren Blicken der schrecklichen Wächter zu überschreiten. Doch das sich immer mehr steigernde Aufbrüllen des Sturmes lies ihm keine Wahl. Er trat nach einigem Zögern mit klopfendem Herzen in die beinahe körperlich spürbare Dunkelheit der Pforte und tastete sich an einer Wand entlang vorsichtig immer tiefer und tiefer in die undurchdringliche Schwärze dahinter. Die Größe des Ganges konnte Sausewind wegen der Dunkelheit nicht genau feststellen, aber er schätzte ihn auf zehn Längen Breite und etwa die selbe Höhe. Der Boden war leicht ansteigend, mit Geröll und Unrat bedeckt und führte ziemlich gerade immer tiefer in den Großen Ringberg hinein. Einmal stolperte Sausewind über ein Hindernis und fiel der Länge nach hin. Beim Aufstehen tastete er am Boden über einige längliche Gegenstände, deren Form ihn sofort an blanke Gebeine denken lies. Erschreckt sprang er auf und hastete schneller ins Innere des Bergwalls hinein.
Erst hinter einer Biegung des Gangs war das Toben des Sturmes gedämpfter zu vernehmen und Sausewind konnte wieder leichter atmen. Mit einem Aufseufzen lies er sich in fast vollkommener Dunkelheit auf den harten schmutzigen Boden sinken. Endlich etwas Ruhe und das trügerische Gefühl von Sicherheit.
Angespannt starrte Den auf die Bilder der Sensor-Drohne, die über sein Helmdisplay flimmerten. "Jetzt ist sie ganz oben. Scheint eine größere Halle mit vielen Ausgängen zu sein. Verdammt was ist jetzt los! Ich hab auf einmal kein Bild mehr. Vollkommen tot das blöde Ding."
Den hielt sich am Geländer einer umlaufenden Galerien fest und stoppte seinen Aufstieg nach oben. Jury aber lies sich an ihm vorbei, weiter nach oben treiben. "He Lotse, was ist los mit dir? Es ist nicht mehr weit nach oben. Wer weiß was mit der verdammten Drohne wieder los ist. Wird bestimmt irgendein technischer Defekt sein."
Den brummte einige unverständliche Worte und setzte seinen Aufstieg ebenfalls fort, obwohl sein Bauchgefühl immer stärker auf Gefahr hindeutete. Dieser verdammte Jury war einfach ein hoffnungsloser Draufgänger. Eines Tages würde das noch böse enden.
Ohne weitere Vorkommnisse erreichten die Gefährten die große Verteilerhalle am oberen Ende des Schachts. Die beiden „Grenadiere“ standen bereits kampfbereit am Rand des Schachts und sicherten mit aktivierten Waffen die Umgebung. Die runde Halle durchmaß etwa fünfzig oder sechzig Meter und war etwa zwanzig Meter hoch. Vierzehn, meist geschlossene Ausgänge gingen nach allen Richtungen ab. Auf den ersten Blick gab es hier keine Zerstörungen, aber der aufmerksame Jonas machte die beiden Raumfahrer auf unregelmäßige, etwa einen halben Meter durchmessende Löcher in Wänden und Decke aufmerksam. "Das sind keine Schäden, welche Strahlwaffen verursacht haben könnten, Herr Vildermut. Die Löcher sehen vielmehr wie geätzt oder ausgefressen aus. Es könnte sich dabei um Spuren der fremden Silizium-Lebewesen handeln."
"Was du immer für Horrorgeschichten auf Lager hast, Jonas,“ meinte Den mit belegter Stimme.
“Lass doch den Blödsinn, Blechheini. Sieh dich lieber nach der kaputten Drohne um. Die müsste doch hier irgendwo stecken,“ schimpfte Jury ärgerlich.
Doch die kleine kugelförmige Sensor-Drohne war nirgends zu sehen. Jonas konnte aber anhand der Daten, die ihm Marco übertragen hatte, den Ausgang ermitteln, der zur Zentrale im vorderen Teil des Turms führen musste. Zum Glück war das Schott dieses Ausgangs nicht verschlossen und die Gefährten konnte ihre Erkundung in dieser Richtung ungehindert fortsetzen. Wieder übernahmen die Kampfroboter die Spitze und drangen etwa hundert Meter vor Den, Jury und Jonas in einen breiten geraden Gang vor. Nach etwa fünfhundert Metern stießen sie auf eine massive metallene Barriere, die den Gang scheinbar vollkommen blockierte. Es stellte sich aber heraus, dass sich das Hindernis über schmale Durchgänge links und rechts leicht umgehen lies. Offenbar handelte es sich um ein Notschott das im Katastrophenfall die Zentrale schützen sollte. Fünfhundert Meter weiter stießen sie auf eine weitere Barriere gleicher Art, die ebenso problemlos zu umgehen war.
Dann erreichten die „Grenadiere“ ein massives doppeltes Portal, das halb offen stand und in der Mitte einen etwa zwei Meter breiten Spalt freiließ. Den schaltete die Bild-Sensoren eines der Roboter auf sein Helmdisplay. Als die Maschine durch den Spalt trat, sah er auf seinem kleinen Bildschirm eine riesige kuppelförmige Halle, deren Abmessungen Den wegen der begrenzten Qualität des Video-Bildes zunächst nur grob abschätzen konnte.
"Ich glaube wir sind am Ziel, Kameraden. Die Halle hinter dem Schott scheint ziemlich groß zu sein. Mann, das sieht aus wie eine alte terranische Theater-Arena.“
Jury lachte kurz und trocken auf. „Na Prima, Lotse. Vielleicht haben wir ja das Casino der Fremden entdeckt. Mal sehen ob die Bar noch auf hat.“
Die Raumfahrer eilten vor bis zum Portal, um das Ziel ihrer Suche endlich selbst in Augenschein zu nehmen. Sie traten gespannt durch den Spalt und blieben eine Weile schweigend stehen um die Eindrücke der düsteren Arena auf sich einwirken zu lassen.
Von ihrem Standort, unmittelbar vor dem großen Portal, senkten sich sechs ringförmige Ränge allmählich bis zum tiefsten Punkt im Zentrum der Halle. Dort erhob sich eine etwa zwanzig Meter durchmessende runde Empore. Offenbar der erhöhte Kommandostand von dem aus das Riesenschiff gelenkt worden war. Soweit Den in der Düsternis sehen konnte, waren die Ränge mit fremdartigen Geräten und Instrumenten vollgestellt. Dort waren vermutlich die Techniker und Wissenschaftler der Fremden ihren unbekannten Aufgaben nachgegangen. Wegen der schlechten Beleuchtung hob sich die Empore in der Mitte nur als schwarzer Schatten ab, und die andere Seite der Halle lag fast vollkommen im Dunkeln. Den schätzte den Durchmesser der fremdartigen und doch irgendwie vertrauten Arena auf etwa zweihundert Meter. Für ein Raumschiff dieser Dimensionen sicher eine angemessene Kommandozentrale. Die kuppelförmige Decke, die in der Mitte eine Höhe von etwa hundert Metern erreichte, war in viele sechseckige Flächen aufgeteilt. Den nahm an, dass es sich dabei um ein gigantisches Projektionssystem handelte, das der Besatzung in längst vergangenen Zeiten den umgebenden Weltraum und wichtige Daten angezeigt hatte. Ernsthafte Beschädigungen waren auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Nur Spuren des allmählichen Verfalls, wie dunkle Verfärbungen, Staubablagerungen und einige zusammen gebrochene Apparaturen.
Jury brach als erster das andächtige Schweigen. "Und was jetzt Lotse? Wie geht’s weiter?"
Den überlegte einige Sekunden bevor er antwortete. „Die Robots bleiben hier und sichern den Eingang. Wir gehen langsam runter in Richtung der Empore und sehen uns etwas um. Sucht vor allem nach Terminals für die Bord-KI. Vielleicht ist noch eins davon funktionsfähig und wir können ein paar Daten aus dem Speicherbänken kitzeln. Aber erst mal Vorsicht und nichts anfassen bevor wir's genauer untersucht haben."
Mit Hilfe ihrer Gravitations-Stiefel schritten Den und Jury die Rampe hinunter, die vom Eingang zur Empore hinunter führte. Sie gingen auch ein Stück weit auf die Ränge hinaus und besahen sich die dortigen Einrichtungen aus der Nähe. Aber deren Aussehen war so ungewöhnlich und fremdartig, dass sie die Funktion der einzelnen Installationen nicht einmal erraten konnten. Da waren Stiele mit Scheiben am oberen Ende, transparente Spiralen unterschiedlicher Größen, bunte Vielflächer und andere ungewöhnliche Formen.
Ratlos musterte Den ein Konglomerat durchsichtiger Kugeln, das wie erstarrter Schaum aussah. "Hab noch nichts entdecken können, was wie ein Terminal aussieht. Kannst du was zu dem Zeug hier sagen, Jonas?"
Der kleine Android blieb entgegen seinem sonstigen Verhalten zunächst eine Weile stumm. Jury fuhr ihn daraufhin barsch an: "He Klappergestell, der Boss hat dich was gefragt. Bist doch sonst nicht auf’s Maul gefallen."
"Oh. ich fürchte ich kann noch nichts Definitives berichten, Herr Vildermut. Wir haben es hier mit einer sehr fremdartigen und hochentwickelten Technologie zu tun. Ich finde dazu keine passenden Daten in meinen Speichern. Meiner Ansicht nach ist es übrigens nicht sehr sinnvoll, wenn wir uns allzu lange hier aufhalten."
"Da könnten wir den blechernen Schlaumeier einmal brauchen, dann redet er nur Blech." Jury lachte kurz und trocken über seinen schwachen Witz. Den aber war durch die letzte Bemerkung von Jonas nachdenklich geworden. Wusste der kleine Android etwas, das er vor seinen menschlichen Gefährten verbarg?
"Schauen wir uns noch auf der Empore etwas genauer um. Wenn's hier Terminals gibt, dann dort,“ meinte er und schritt weiter die breite Rampe hinunter.
Im unteren Rang führte eine Treppe mit flachen halbrunden Stufen auf die Empore, aber die Raumfahrer konnten die Höhe von etwa fünf, sechs Metern dank der fehlenden Schwerkraft mit einem einzigen Sprung überwinden. Auf der Empore standen ähnliche Gebilde wie auf den Rängen, hier überwogen aber etwa einen Meter hohe pilzartige Strukturen. Mit etwas Phantasie konnte man sie für etwas ungewöhnliche Bedienungspulte halten. Auch von der Empore aus konnte Den, in der dem Eingang gegenüberliegende Seite der Zentrale kaum etwas erkennen. Sie lag vollkommen im Dunkeln, da dort anscheinend auch die rötliche Notbeleuchtung ausgefallen war, die sonst noch überall im Schiff funktionierte. Den machte sich einstweilen keine Gedanken deswegen. Es würde dort wahrscheinlich nichts geben, was sie nicht schon auf ihrer Seite gesehen hatten.
Jonas stellte sich vor eines der pilzförmigen Pulte und begann es eingehender zu untersuchen. Er drückte dabei vorsichtig auf einige der kleinen Erhebungen, die gruppenweise auf der Oberfläche verteilt waren. Tatsächlich zeigte sich nach einigen Versuchen eine Reaktion. Unter der Staubschicht des Pilzes begannen plötzlich trübe gelbe und grüne Lichter unregelmäßig zu blinken.
"He Klappergestell, was hast du jetzt wieder angestellt," schrie Jury und stieß den kleinen Androiden grob von dem Pilz-Pult weg. „Der Boss hat doch gesagt: Nichts Anfassen!".
Jonas verlor hilflos strampelnd die Balance und stürzte hart gegen ein Gestell, das man mit einiger Phantasie für die Sitzgelegenheit eines fremdartigen Lebewesens halten konnte. "Oh je, das gibt wieder eine neue Beule. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, Herr Jury."
"He Jury, jetzt reicht's aber. Lass gefälligst den Droiden in Ruhe. Er will uns doch nur helfen," wies Den seinen menschlichen Gefährten scharf zurecht.
"Ach Den, du bist einfach zu weich und vertrauensselig. Das Mistding will uns doch nur einwickeln und bei passender Gelegenheit zieht er uns dann das Fell über die Ohren. Was wissen wir denn schon über diesen plappernden künstlichen Burschen."
"Jury, ich weiß ja das du seit der Sache auf „Muellers Welt“ deine Probleme mit Androiden hast. Aber jetzt gehst du einfach zu weit. Das ist krankhaft und paranoid."
Jury trat nahe an Den heran und starrte ihm durch die Helmscheiben böse in die Augen. "So ist das also. Du verbündest dich mit diesem blöden Androiden gegen deinen menschlichen Rassegefährten. So weit hat dich dieser hinterhältige Blechheini also schon gebracht. Na gut, wenn das so ist, gehe ich eben zurück zum Beiboot. Ich werde hier offenbar nicht mehr gebraucht. Macht doch was ihr wollt und werdet glücklich miteinander.“
Jury drehte sich um, sprang mit einem Satz von der Empore und stürmte die Rampe zum Eingang hinauf. Den rief ihm noch hinterher, er solle sich nicht so aufregen, aber dann war er auch schon ohne Antwort hinter dem Zentrale-Portal verschwunden. Die hallenden Schritte seiner Gravitations-Stiefel waren noch eine ganze Weile zu hören.
Jonas starrte dem davon stürmenden Jury mit seinen großen Augen traurig nach. "Oh je, was habe ich da wieder angerichtet."
"Du hast keine Schuld daran. Der beruhigt sich schon wieder.“ Den drehte sich wieder zu dem Pilz herum. „Sehen wir uns doch das blinkende Ding hier ein bisschen genauer an. Was hast du da eigentlich gemacht?"
Die Beiden bemühten sich noch eine Weile an der pilzförmigen Konsole, aber nach einigen Minuten erloschen die bunten Lichter wieder, ohne dass eine weitere Reaktion erfolgt wäre. Sie versuchten es noch an weiteren dieser Pilzkonsolen, aber ohne Erfolg.
"Ich fürchte Herr Vildermut, wir kommen so nicht weiter. Die Konsolen haben offenbar keine Energie mehr."
"Na schön, sehen wir uns noch eine bisschen um und dann verschwinden wir auch,“ meinte Den etwas enttäuscht. Er näherte sich dem gegenüberliegenden Rand der Empore und richtete seine Helmscheinwerfer in die dunkle Seite der Zentrale. Aber schon nach zehn, zwanzig Metern schien der bläuliche Lichtstrahl von einer schwarzen Barriere verschluckt zu werden. Ein beunruhigendes Phänomen, das sich Den nicht erklären konnte. Während er sich abwandte um wieder zu Jonas zurück zu gehen, glaubte er am Rande seines Sichtfeldes eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen und gleichzeitig lief ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinunter. Doch als er genauer hinsah war nichts mehr zu entdecken. In Den stieg kurz Panik hoch und der unbändige Drang einfach wegzurennen, aber nach einigen Sekunden hatte er sich wieder unter Kontrolle. Es war aber trotzdem besser, wenn sie jetzt den Rückzug antraten.
Etwa in der Mitte der Empore wurde Den auf einige kleine grünliche Scheibchen aufmerksam, die durch die Mikrogravitation, der nicht unbedeutenden Schiffsmasse am Boden hafteten. Er bückte sich, nahm eines der Scheibchen auf und betrachtete es genauer. Es war etwa so groß wie, die Edelmetall-Münzen die auf einigen freien Welten noch als Zahlungsmittel kursierten.
"Alarm Herr Vildermut, Alarm!" unterbrach Jonas plötzlich die Betrachtungen seines Kommandanten. "Marco meldet eben das Eintreten eines fremden Raumschiffs in das System. Es ist zwanzig Millionen Kilometer entfernt aus dem Subraum gefallen und nähert sich mit großer Geschwindigkeit dem Planeten. Eintreffen in etwa zwanzig Minuten."
"Hat Marco das Raumschiff schon identifizieren können. Ist es eine föderale Fregatte?"
"Oh, die Verbindung zu Marco ist etwas langsam. Aber soviel ich mitbekommen habe, ist das Raumschiff viel zu groß für einen föderalen Aufklärer. Allerdings ist es noch zu weit entfernt um Details feststellen zu können."
"Lass uns von hier verschwinden Jonas. Schnell zurück zur Linse,“ stieß der Raumfahrer hervor und sprang von der Empore auf die Rampe hinüber. Während er zum Portal hinauflief aktivierte er die Weitverbindung seines Anzugs. "Jury hörst du mich? Wir müssen schnellstens verschwinden. Ein fremdes Raumschiff ist im Anflug. Jury kannst du mich hören? Mann, wo steckst du denn?“
Den versuchte es noch einmal, aber sein Empfänger blieb stumm. Hatte Jury seine Kommunikationsanlage deaktiviert oder was war mit ihm los? Den setzte die beiden „Grenadiere“, die bisher am Eingang der Zentrale gewartet hatten, in Marsch. Sie sollten wieder die Vorhut übernehmen. Da Jury auf dem Weg zum Beiboot sein musste und erst vor wenigen Minuten aufgebrochen war, würde man ihn wahrscheinlich noch vorher einholen.
Den und Jonas eilten durch den Spalt im Portal hinaus, ohne sich noch einmal umzublicken. Als sie die zweite Barriere im Zugang zur Zentrale überwunden hatten, sahen sie voraus ein kleines gelbes Licht wild herum wirbeln und undeutliche, sich schnell bewegende Schatten.
"Hey Jury, wir sind direkt hinter dir. Verdammt, melde dich doch."
Den blieb stehen und schaltete auf das Video-Bild eines der Kampfroboter um. Was er bei den ersten Schwenks wahrnehmen konnte, lies ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er sah kurz die übel zugerichteten Überreste Jurys durch die Halle am Ende des vertikalen Schachts treiben. Sein Helm trieb allein herum und der Strahl des Helmscheinwerfers strich unkontrolliert über die Wände. Vor allem aber wimmelten in der Halle unzählige weißliche Lebewesen herum, die Den an die ekelhaften Larven von Ratten-Käfern erinnerten. Aber im Gegensatz zu den relativ harmlosen Insektoiden „Terra Novas“, waren diese unheimlichen Monster mindestens einen Meter lang und schienen mit der Schwerelosigkeit bestens klarzukommen. Sie bewegten sich erstaunlich schnell und geschickt, wie Fische im Wasser. Jetzt hatten die Riesen-Larven die „Grenadiere“ bemerkt und etwa ein Dutzend von ihnen schnellten sich sofort auf die Kampfmaschinen zu.
Kaum hatte Den den Robotern den Angriffsbefehl gegeben, war der erste von ihnen schon ausgeschaltet. Er hatte nur einen kurzen Feuerstoß aus seinem Plasmabrenner abgeben können, bevor er dem ätzenden Gift und den metallharten Zangen der fremden Wesen erlag. Der „Grenadier“ mit der Kennung MC-11 hatte etwas mehr Glück. Er grillte mit seinem Plasmabrenner mindestens ein Dutzend der unheimlichen Angreifer, bevor sie an ihn heran kommen konnten. Aber dann war es in wenigen Sekunden um ihn geschehen. Der ganze Kampf hatte nicht länger als zwei bis drei Minuten gedauert.
"Los Jonas! Zurück zur Zentrale. Hier kommen wir nicht weiter." Den wirbelte herum und begann zu laufen, so schnell es mit den Gravitations-Stiefel möglich war. An der Barriere blickte er sich kurz um, ob ihnen die unheimlichen Riesen-Larven folgten würden. Er sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Hinter ihnen wimmelte der ganze Gang schon von diesen offenbar ziemlich aggressiven Lebewesen, die imstande waren, ohne weiteres schwerbewaffnete Kampfroboter auszuschalten. Den konnte durch den Helm hindurch entnervende Klick- und Knackgeräusche wahrnehmen, die von den Verfolgern ausgehen mussten.
Hinter der Barriere ergriff Den den völlig verwirrten Jonas und schoss mit Hilfe der Anzugtriebwerke in halsbrecherischem Tempo durch den Gang. So schafften sie es bis zum Schott der Zentrale, ohne von den Verfolgern eingeholt zu werden.
"Schnell Jonas. Gibt es noch einen anderen Weg aus der Zentrale?"
"Ich habe die Scans von Marco schon studiert. Sie sind etwas ungenau aber..."
"Los sag schon. Wir haben wenig Zeit bis sie hier sind.“
"Auf der linken und rechten Seite führen Schächte nach oben, die in der Nähe der Außenhülle enden. Dort müsste es aller Wahrscheinlichkeit nach Schleusen geben, durch die wir unter Umständen nach außen gelangen könnten."
"Gut, versuchen wir's. Wo sind die Eingänge zu den Schächten?"
"Auf der oberen Galerie, etwa eine viertel Umrundung nach rechts oder links."
Den entschied sich ohne lange zu überlegen für die rechte Seite. Die Klick- und Knackgeräusche der Verfolger waren in den letzten Sekunden immer lauter und bedrohlicher geworden. Mit den Anzugtriebwerken überwanden Den und Jonas die ersten hundert Meter mit einem Sprung und landeten auf der oberen Galerie. Mit dem Helmscheinwerfer suchte Den in der Seitenwand fieberhaft nach der Öffnung des gesuchten Schachts. Jonas aber blickte in den dunklen Bereich der Zentrale und schien dort etwas entdeckt zu haben. "Oh je, es bewegt sich! Es lebt noch!“
Endlich traf Dens Scheinwerfer eine dunkle rechteckige Öffnung von etwa drei Metern Höhe. "Das muss der Schacht sein. Los komm, Jonas."
Der möglicherweise rettende Ausgang war nur noch etwa vierzig Meter entfernt, aber aus der Dunkelheit flog urplötzlich ein riesiger Schatten heran und landete wenige Meter vor den beiden Gefährten lautlos auf der Galerie. Den war später nicht mehr in der der Lage das schreckliche Ding, das ihnen den Weg zum rettenden Schacht versperrte, genauer zu beschreiben. Er erinnerte sich später nur noch an einen etwa zwanzig Meter langen weißlichen Leib, Dutzende von mehrgelenkigen Gliederpaaren und vor allem an einen kleinen dreieckigen Insektenkopf, aus den ihn vier große schwarze Facetten-Augen böse anglotzten. Das Ding, offenbar eine entartete Lebensform, richtete den Vorderteil seines monströsen Leibes langsam auf und bewegte ihn dabei wie eine Königskobra wiegend hin und her.
Den hatte im ersten Moment reflexartig seinen Blaster gezogen, aber nun stand er wie zur Säule erstarrt und konnte angesichts der starrenden Augen des Monsters keinen Finger mehr rühren. Glücklicherweise übernahm Jonas die Initiative für den schreckgelähmten Menschen. Der kleine Android trat mit hoch erhobenen Ärmchen einige Schritte auf das Monster zu.
"Stecken sie die Waffe wieder ein, Herr Vildermut. Schauen sie ihm auf keinen Fall direkt in die Augen."
Den gelang es mit einiger Willensanstrengung den Blick zu senken. Er wusste ohnehin, dass er mit seinem lächerlichen Handblaster wenig gegen das monströse Ding ausrichten konnte. Bevor er zu Boden blickte und damit dem schrecklichen Blick des obszönen Kopfes auswich, konnte Den erkennen das Jonas mit seinen Armen skurrile Gesten ausführte und dabei Worte in einer unbekannten, hart klingenden Sprache ausstieß.
"CUTULU RAGNA RA! CUTULU RAGNA RA!"
Damit lenkte der brave Android die Aufmerksamkeit des monströsen Dings von seinem Herrn ab, der plötzlich wieder bei klarem Verstand war und sich normal bewegen konnte. Ein vorsichtiger Blick zurück zeigte Den, das ihre grässlichen larvenartigen Verfolger schon auf der Galerie vor dem Schott herum wimmelten, aber nicht weiter vordrangen. Offenbar hatten auch sie einen gehörigen Respekt vor dem riesigen Zentrale-Monster. Doch wie lange würde Jonas das Ding ablenken können? Irgendetwas musste passieren und zwar schnell.
"CUTULU RAGNA RA! CUTULU RAGNA RA!"
Im Helmfunk vernahm Den wieder die leise Stimme des Androiden: "Vorsicht Herr Vildermut. Das fremde Schiff das vor kurzem im System aufgetaucht ist, beginnt das Wrack mit unbekannten Waffen zu beschießen. Halten sie sich irgendwo fest und machen sie sich in den nächsten Sekunden auf einige heftige Erschütterungen gefasst.“
Schon spürte Den einen leichten Ruck durch den Boden gehen. Er sprang zum Geländer der Galerie und hatte sich kaum daran festgeklammert, als das Schiff auch schon von einem gewaltigen Stoß erschüttert wurde. Losgerissene Apparaturen wirbelten wie Geschosse durch die Zentrale. Eines der Trümmerstücke verfehlte Den nur knapp. Als er aufblickte sah er das umher wirbelnde Zentrale-Monster gerade noch in der Dunkelheit jenseits der Empore verschwinden. "Jonas, wo steckst du? Wir müssen sofort hier weg, bevor dieses Ding wieder auftaucht."
"Hier Herr Vildermut, an der Schachtöffnung." Den sah zu Schachtöffnung hinüber, wo der kleine Android sich wie ein Affe mit Händen und Füßen an der Einfassung festklammerte.
"Bleib dort. Ich komm rüber." Den aktivierte kurz die Anzugtriebwerke und landete glücklich in der Öffnung, wobei er allerdings ziemlich heftig gegen eine der Einfassungen prallte. Jonas konnte sich grade noch in Sicherheit bringen, sonst wäre er mitgerissen worden. Wie Den gehofft hatte, begann wenige Metern hinter der Öffnung, ein etwa vier bis fünf Meter durchmessender vertikaler Schacht.
Mit Erleichterung stellte er fest, das der Schacht für das ekelhafte Ding in der Zentrale wahrscheinlich viel zu eng war. Die verdammten Weltraum-Larven mit ihrer ätzenden Säure und den tödlichen Zangen machten ihm allerdings mehr Sorgen. Der Raumfahrer stieß sich ab und mit einem kräftigen Triebwerksstoß erreichte er in wenigen Sekunden das obere Ende des Schachts, etwa zweihundert Meter weiter oben. Der Schacht endete dort in einer langen Halle, die vollkommen leer zu sein schien. Aber an der linken Seitenwand war eine Reihe von etwa zwanzig ovalen Türen eingelassen.
Als Jonas ebenfalls glücklich das obere Schachtende erreicht hatte, begann Den die Türen zu untersuchen. Die ersten Fünf waren verschlossen, aber hinter der Sechsten war ein kurzer Durchgang und dann ein etwa zehn Meter langer düsterer Raum mit Bänken und verschiedenen Haltevorrichtungen. Der Raumfahrer drehte sich etwa ratlos zu seinem mechanischen Gefährten um. „Und wie soll's jetzt weitergehen."
Der Android sah mit seinen nachtsichtigen Augen in den dunklen Raum hinter der Tür und blickte dann zufrieden zu Den auf. Das heißt, soweit man einen solchen Ausdruck auf seinem künstlichen Gesicht überhaupt zu erkennen vermochte.
„Das ist besser als ich erwartet hatte, Herr Vildermut. Das sind bestimmt Rettungskapseln."
Den trat durch die Tür in den Innenraum der Kapsel und fand im Licht seines Helmscheinwerfers neben dem Durchgang eine Art von Schalttafel.
"Die Kapseln müssten eigentlich eine eigene Energieversorgung haben. Schließlich sollen sie auch dann noch funktionierten wenn die Energieversorgung des Schiffes total ausgefallen ist. Versuchen wir einfach unser Glück,“ meinte er hoffnungsvoll.
Er versuchte einige der Schalter und halbrunden Knöpfe zu betätigen, aber ohne Erfolg. Frustriert schlug er nach einigen Minuten mit der Faust auf die Schalttafel. "So ein Mist. Scheinen auch tot zu sein."
Jonas schien sich nicht so leicht entmutigen zu lassen. "Vielleicht versuchen wir es mit den nächsten Kapseln. Eine davon könnte doch noch funktionsfähig sein, Herr Vildermut."
Als die Beiden wieder in die lange Halle hinaustraten, sahen sie am Ausgang des Schachts, der von der Zentrale heraufführte, eine flüchtige Bewegung. Offenbar waren ihnen die tödlichen Verfolger weiter auf den Fersen. Wahrscheinlich blieb ihnen nur noch eine Galgenfrist von wenigen Minuten, bevor es hier von diesen schrecklichen Weltraum-Larven nur so wimmelte. Den feuerte mit seinem kleinen Blaster wütend in die Richtung der Bewegung, konnte aber nicht feststellen ob er etwas getroffen hatte. Wenigstens schien der Beschuss durch das plötzlich aufgetauchte Raumschiff aufgehört zu haben. Seit dem Verlassen des Schacht hatte sie keine schweren Erschütterungen mehr bemerkt.
Jonas war derweil schon flink in die nächste Rettungskapsel geschlüpft. "Kommen sie, Herr Vildermut. Diese Kapsel hier scheint noch zu funktionieren."
Den sprang durch die Öffnung in die Kapsel und schob den Androiden von der Schalttafel weg, auf der tatsächlich einige matte gelbe Lichter leuchteten. Jonas zeigte mit einem seiner dürren Metallfinger auf einen großen halbrunden Knopf. "Ich glaube, sie müssen auf diesen Knopf hier drücken, Herr Vildermut."
Tatsächlich begann der besagte Knopf nach der Betätigung zu blinken und ein massives Schott begann beängstigend langsam von Oben her in den Durchgang zur Halle zu gleiten. Bei jedem kurzen Zögern und Rucken des Schotts schien Den das Herz stehen zu bleiben. Aber nach einigen schier endlos scheinenden Sekunden rastete das Schott schließlich spürbar ein und der Knopf begann in trüben Blau zu leuchten.
"So weit so gut, aber was jetzt, Jonas?"
"Drücken sie einfach nochmal auf den Knopf, Herr Vildermut."
Gesagt getan, aber zunächst geschah nichts. Den drückte immer hektischer auf den blauen Knopf, aber keine Reaktion. "So ein verdammter Mist! Soll's das jetzt gewesen sein?"
Wütend schlug er mit der geballten Faust krachend auf die Schalttafel, mit dem Erfolg das er augenblicklich ziemlich unsanft gegen die schmale Rückwand der Rettungskapsel geschleudert wurde. Der zum Glück nicht sehr schwere Android landete unsanft auf ihm. Nur Sekunden später herrschte wieder Schwerelosigkeit in der Kapsel und Den richtete sich schwer atmend auf.
"Scheint doch noch geklappt zu haben. Ist hier irgendwo ein Sichtfenster, Jonas? Sind wir tatsächlich gut rausgekommen? Mir scheint das Ding schlingert ziemlich heftig."
Jonas hangelte sich wie ein Affe im Urwald durch die Kapsel und fand im vorderen Teil des Innenraums ein kleines ovales Bullauge, das schon etwas trüb geworden war. Er sah eine Weile angestrengt hinaus.
"Die Kapsel taumelt etwas, aber ich kann unter mir die Planetenoberfläche erkennen. Offenbar sind wir gut freigekommen."
Den stieß einen kurzen Freudenschrei aus, drängte sich neben den Androiden und versuchte ebenfalls hinauszusehen. Doch durch das trübe Bullauge sah er nur ab und zu die Planetenoberfläche undeutlich vorbei huschen. “Jetzt müssen wir erst mal Kontakt zu Tegt oder Marco bekommen. Die sollen uns hier schleunigst rausholen. Ich glaube nicht dass wir mit dem schrottreifen Ding irgendwo landen können."
"Ich habe leider die Verbindung zu Marco verloren, als das Wrack angegriffen wurde. Ich versuche sie gerade wieder herzustellen."
Nach einigen endlos scheinenden Minuten bangen Wartens hatte Jonas Erfolg und konnte Verbindung zu Tegt aufnehmen. Den fiel ein Stein vom Herzen. Rettung war in Sicht.
"Ihr seit also auch noch rausgekommen," schallte laut und deutlich die Stimme des Zwergs aus seinem Helmlautsprecher. „Seit wohl in der komischen Kapsel, die einige Kilometer über dem Wrack treibt?“
„Ja stimmt, Tegt. Wieder verdammtes Glück gehabt. Und wo steckst du? Was ist mit dem fremden Schiff das uns vorhin beschossen hat?"
"Ich hab mit der Linse die Schleuse verlassen, kurz bevor der Beschuss begann. Zum Glück hat das fremde Schiff mich und die MARCO POLO total ignoriert. Also sind wir in der Nähe geblieben. Das Wrack ist aber übel zugerichtet. Beginnt auseinander zu brechen und stürzt in die Atmosphäre des Planeten. Ihr seit buchstäblich im letzten Moment rausgekommen. Das Walzenschiff hat sich nach dem Angriff sofort zurückgezogen und ist jetzt schon wieder einige Millionen Kilometer entfernt. Die wollen zum Glück gar nichts von uns."
"Das sind gute Nachrichten. Aber leider wir haben in dem verdammten Wrack den armen Jury verloren. Ich erzähl's dir nachher. Jetzt hol uns erst mal hier raus."
"Bin schon unterwegs, Boss.“
Als Sausewind erwachte, war das Brausen und Heulen des Staubsturms verstummt. Als sich seine Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, konnte er Einzelheiten seiner Umgebung erkennen. Es musste inzwischen ein neuer Tag angebrochen sein, denn durch einige Öffnungen fiel Sonnenlicht in die riesige Höhle.
Sausewind hatte auf dem grob geglätteten Boden, am Rand einer großen unterirdischen Halle geschlafen, deren Ende er in der Düsternis nicht erkennen konnte. Aufragende Felsnadeln und von der Decke hängende Zapfen zauberten tiefe unheimliche Schatten. Ein in den Fels gehauener Pfad, führte von der geglätteten Fläche am Eingang tiefer in die Höhle hinein. Es wäre jetzt wohl am klügsten gewesen, die Höhle sofort zu verlassen und zum heimatlichen Berg zurück zu laufen. Aber nach kurzem Überlegen siegte die Neugier über Sausewind's natürliche Vorsicht. Was konnte es schon schaden, wenn er die Alte Heimstatt etwas erkundete, da er schon einmal hier war? Er würde seinen Brüdern und Schwestern endlich wieder etwas Aufregendes zu erzählen haben.
Also beschritt er vorsichtig den Pfad und drang weiter in die dunkle Höhle vor. Er bog um zwei der hohen Felskegel und stand nach ein paar hundert Längen am Rand eines tiefen bodenlosen Spalts, den der Pfad über eine schmale Steinbrücke querte. Sausewind blickte vorsichtig in den dunklen Abgrund hinunter und spürte den warmen abgestandenen Hauch der ihm daraus entgegenwehte. Sein erster Gedanke war, unverzüglich umzukehren. Aber wieder siegten Neugier und Abenteuerlust und Sausewind wagte sich auf die bröckelige Steinbrücke. Nachdem er sie vorsichtig und ohne Unfall überquert hatte, fühlte er sich stark und kühn wie Peppi der Beherzte. Und da er nun glücklich jenseits der Schlucht war, warum sollte er dann nicht noch weiter in das Unbekannte vordringen.
Der Pfad führte jenseits der Brücke weiter und verlies die große Höhle bald durch einen schräg aufwärts führenden Gang. Mutig geworden, wagte sich Sausewind auch in diesen Gang. Er nahm nämlich an, dieser müsste ihn rasch wieder an die Oberfläche führen. Er geriet jedoch bald in ein dunkles Labyrinth von engen Stollen und kleinen, in den Fels gehauenen Kammern. Er untersuchte einige der dunklen Kammern, fand dort aber nur ein paar alte zerfetzte Lumpen und verstaubte Trümmerstücke von Truhen und Möbelstücken. Keine Spur von wertvollen Schätzen wie Sausewind insgeheim gehofft hatte.
In das Ganglabyrinth drang inzwischen kaum noch Licht und Sausewind musste mit Schrecken erkennen, das er die Richtung verloren hatte und den Rückweg zur großen Höhle wohl nur noch mit viel Glück finden würde. Aber besten würde es wohl sein, wenn er immer dem Lichtschimmer vor ihm nachging. Aber halt was war das? Hatte er da nicht das leise Tappen von Schritten gehört? Mit Erschrecken fielen Sausewind wieder die Spuren der Bestien ein, die er gestern in der Ebene bemerkt hatte. Hatten sie nicht zur Alten Heimstatt geführt? Da war das Tappen wieder. Jetzt schon deutlicher und merklich näher.
Plötzlich von Panik ergriffen, stürzte Sausewind in den nächsten düsteren Gang, der von den tappenden Schritten wegzuführen schien. Bald bewegte er sich in vollständiger Dunkelheit, prallte immer wieder gegen Wände und war gezwungen mehrmals planlos die Richtung zu ändern. Wenn Sausewind kurz anhielt um zu lauschen, konnte er hören wie ihm das beängstigende Tappen immer noch beharrlich folgte. Bestien sollten ja ein gutes Gehör und einen fabelhaften Geruchssinn haben. Wenn nicht ein Wunder geschah war der arme Sausewind verloren.
Sausewind wusste nicht mehr, wie lange er durch die Gänge geirrt war, als er rechts von sich wieder einen schwachen Lichtschimmer bemerkte. Er änderte sofort die Richtung und zu seiner Erleichterung wurde der Lichtfleck immer größer und heller. Schon konnte er ein Stück des Himmels erkennen. Es musste ein Ausgang oder zumindest ein großes Luftloch sein. Nach zwei- oder dreihundert Längen erreichte Sausewind tatsächlich einem halb verschütteten Ausgang, durch den er sich mit einiger Mühe nach draußen arbeiten konnte. Schwer atmend stand er schließlich auf einer etwa zehn Schritte breiten Terrasse an der steilen Innenwand des Ringberges. Von hier aus sah er auf eine runde flache Ebene mit einem kleinen Hügel genau in der Mitte hinunter. Die steilen Wände des Ringbergs versperrten die Aussicht auf die großen Ebenen. Der Himmel darüber war wieder klar und wolkenlos. Die rote Sonne stand bereits hoch über den Bergen und näherte sich ihrem Scheitelpunkt. In der Heimstatt würde man sich bestimmt schon Sorgen um Sausewind machen. Es war höchste Zeit sich auf den Rückweg zu machen.
Aber die Gefahr war für den armen Sausewind noch lange nicht vorbei. Hinter sich vernahm er wieder deutlicher das Tappen und Trappeln, dazu ein kehliges Keuchen und Schnaufen. Der einzige Fluchtweg war ein Pfad, der auf der einen Seite zur runden Ebene hinunterführte und auf der anderen zum Kamm des Ringbergs hinaufführte. Sausewind entschied sich für den Weg aufwärts, da er vom Kamm aus auf die große Ebene zu gelangen hoffte.
Nach einigen hundert Längen sah Sausewind sich kurz nach den Verfolgern um. Was er sah, lies ihm das Blut in den Adern erstarren. Eben sprangen zwei riesige Bestien aus dem halbverschütteten Gang auf die Terrasse hinaus und nahmen nach kurzem Orientieren mit lautem Gebrüll die Verfolgung des armen Sausewind auf. Jedes der haarigen vierbeinigen Monster war mindestens doppelt so lang wie Sausewind. Er versuchte sein Lauftempo auf das Äußerte zu steigern, um seinen Vorsprung zu vergrößern, wusste aber, das er diese Anstrengung nicht lange durchstehen würde. Schon war Sausewind dicht unter dem Kamm, als er etwas sah, das ihm die letzte Hoffnung zu nehmen schien. Vor ihm auf dem Kamm tauchte wie ein Spuk eine weitere Bestie auf, die ihm den Weg abzuschneiden versuchte.
Sausewind hielt zu Tode erschrocken an und machte sich schon auf ein schnelles Ende gefasst. Da entdeckte er eine dunkle Felsspalte, dicht unter dem Kamm des Ringbergs. Vielleicht konnte er sie noch erreichen, bevor er von den drei Bestien geschnappt und zerfleischt wurde. Er konnte sich dort unter Umständen noch eine Weile zur Wehr setzen. Auf alle Fälle war es besser das Ende noch möglichst lange hinaus zu zögern. Also änderte Sausewind die Richtung und rannte auf die nur etwa hundert Längen entfernte Spalte zu. Das letzte Stück musste er ziemlich gewagt von Fels zu Fels hüpfen. Aber dann erreichte er den engen dunklen Spalt in der Felswand und zwängte sich mit dem Schwanz voran hinein. Zwar war die Höhlung nicht sehr tief, aber zum Glück so schmal, dass nur eine der Bestien von vorn an ihn herankommen konnte. Kaum war Sausewind in der Spalte verschwunden, als die Untiere auch schon heran waren und nach ihm schnappten. Er zerrte die Zapfvorrichtung aus der Umhängetasche und stieß mit dem spitzen Ende nach dem großen stinkenden Maul, das ihn zu packen versuchte. Er sah die riesigen gelblichen Fleischfresserzähne und die weit aufgerissenen roten Augen des Ungeheuers nur wenige Handspannen vor sich. Panisch stieß er mit seiner behelfsmäßigen Waffe immer wieder zu und traf die Bestie schließlich voll an der empfindlichen Schnauze. Mit einem lauten Aufheulen sprang das Raubtier zurück und wischte sich mit einer Vordertatze das Blut von der Schnauze. Ein anderer böse knurrender Raubtierschädel erschien in der Öffnung der Spalte, hielt aber Distanz zur Spitze von Sausewind's improvisierter Waffe. Offenbar verzichteten die Angreifer einstweilen auf den Frontalangriff und verlegten sich auf’s Abwarten. Irgendwie würden sie schon an das leckere Reptil, das sich in der Felsspalte verkrochen hatte, herankommen. Sausewind wusste dass er in der Falle saß und ihn eigentlich nur noch ein kosmisches Wunder retten konnte.
Es war etwa ein halber Zyklus ohne neue Angriffe der Bestien vergangen, als Sausewind bemerkte, das vor seiner kleinen Höhle etwas Ungewöhnliches vorging. Die Bestien zogen sich offenbar etwas vom Eingang des Spalts zurück und begannen leise zu heulen. Etwas anderes als der arme Sausewind, gefangen in seiner Felsspalte, schien ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Dann begann das Licht draußen deutlich heller zu werden. In der Ferne war ein anschwellendes Brausen und Gurgeln zu vernehmen. Im Nu verstärkte sich das Tageslicht so sehr, das nun auch Sausewind's Höhle hell erleuchtet war. Das leise Brausen und Gurgeln wurde schnell zu einem ohrenbetäubenden Donnern und Dröhnen. Die Quelle des offensichtlichen schnell näher kommenden Unheils aber konnte Sausewind aus seiner Spalte heraus nicht erkennen.
Dann blitzte es blendend auf und wenige Augenblicke später lief eine erste starke Erschütterung durch die Felsen des Ringbergs. Sausewind konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Einige Augenblicke später folgte ein ohrenbetäubender Knall und ein starker Windstoß fegte Sand und Staub in den Spalt. Von der nächsten, noch stärkeren Erschütterung des Bodens, wurde Sausewind hart gegen die Wand des Spalts geschleudert und verlor das Bewusstsein. Den Lärm und die Verwüstung der vernichtenden Explosion nahm er schon nicht mehr wahr.
Sausewind erwachte erst einige Zyklen später, halb unter Staub und Felstrümmern begraben. Es war totenstill draußen und das hereinfallende Licht war düster und grau, wie an einem stürmischen Tag. Er erhob sich mühsam und stellte zu seiner Erleichterung fest, das er zwar viele Schrammen und Beulen abbekommen hatte, ansonsten aber nicht ernstlich verletzt war.
Sausewind wagte sich vorsichtig nach draußen vor den Spalt und fand eine Szenerie vor, die nicht mehr wieder zu erkennen war. Der Himmel war jetzt von Horizont zu Horizont von einer düster leuchtenden Wolke überzogen. Es war vollkommen windstill und das Sonnenlicht war stark gedämpft und kraftlos. Die runde Ebene unter ihm war mit unzähligen schwarzen Brocken und größeren gezackten Trümmern übersät, von denen da und dort noch dünne Rauchsäulen aufstiegen. Schräg gegenüber, im Südwesten fehlte ein ganzes Stück im Wall des Ringbergs und gab den Blick auf die große Ebene dahinter frei. Doch das Furchtbarste war der gigantische schwarze Berg, der jetzt unmittelbar hinter dem Ringberg, tausende von Längen hoch, bedrohlich aufragte. Dieser neue Berg rauchte und qualmte aus verschiedenen Löchern und Schlünden, wie einer der Feuerberge im fernen Süden von denen Sausewind gehört hatte. Scharfe Zacken und Spitzen stachen an verschiedenen Stellen aus der ansonsten glatten Oberfläche des Giganten hervor.
Sausewind lies sich überwältigt auf den harten Boden sinken und starrte auf die alptraumhafte Szenerie, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Das von den drei schrecklichen Bestien weit und breit nichts mehr zu sehen war, drang gar nicht mehr in sein Bewusstsein. Was würde in dieser total veränderten Wirklichkeit jetzt aus dem armen Sausewind werden? Existierte seine geliebte Heimstatt überhaupt noch?
Der geschockte Sausewind glaubte nach einiger Zeit eine wimmelnde Bewegung auf dem neu entstandenen schwarzen Berg zu erkennen. Wenn seine Augen schärfer gewesen wären, hätte er sehen können, wie weißliche, halbblind in das trübe Licht witternde Lebewesen, in großer Zahl aus verschiedenen dunklen Öffnungen und Spalten des schwarzen Bergs hervorkrochen. Manche glitten an der Oberfläche des Berges ab und stürzten ohne Laut in die Tiefe. Aber zu viele der fremdartigen Lebewesen ertasteten sich mit Fühlern und Gliederfüssen den Weg auf die Oberfläche von Sausewinds, dem Untergang geweihter Welt.
"Das Wrack ist vor kurzem in die Atmosphäre eingetreten und in mehreren Teilen in Äquatornähe aufgeschlagen. Einige der Trümmer waren groß genug um erhebliche Schäden anzurichten, Meister.“
Den stand in der grauen Unterkleidung des Raumanzugs, müde und erschöpft, vor dem Großbildschirm in der Zentrale der MARCO POLO. Auf dem gezeigten Ausschnitt der Planetenoberfläche waren drei runde rötliche Wolken zu erkennen, die sich langsam auszubreiten begannen.
"Mann, das hat ja ganz schön reingehauen. Da wird wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein." Den dachte kurz an das ekelhafte Zentrale-Monster, verdrängte die Vorstellung daran aber rasch wieder.
"Und was ist mit dem geheimnisvollen Angreifer, Marco?“ fragte er. "Ist das fremde Raumschiff noch im System?"
"Es hat sich jetzt 4,2 Millionen Kilometer hinter die Planetenbahn zurückgezogen und scheint dort zu abzuwarten. Ich konnte leider nur wenige Details über Bauart und Technik des fremden Schiffs ermitteln. Es ist etwa walzenförmig, zwischen 840 und 860 Meter lang und hat einem Durchmesser von etwa 180 Metern. Die gemessenen Beschleunigungs- und Verzögerungswerte sind aussergewöhnlich hoch. Das Walzenschiff scheint neben den bekannten Partikel- und Strahlwaffen auch über starke gravimetrische Waffen zu verfügen. Es ist zudem durch lückenlose und extrem starke EM-Schilde geschützt. Also wahrscheinlich ein Raumschiff der ‚Taira‘. Auf meine wiederholten Kontaktversuche haben sie aber nicht reagiert. Angesichts unserer offensichtlichen Unterlegenheit rate ich dringend zum unverzüglichen Rückzug. Die ‚Taira‘ sind unberechenbar, auch wenn sie uns bisher nicht behelligt haben. Ich hoffe sie kommen nicht auf dumme Gedanken, Meister.“
"Schon gut Marco. Mir reicht’s für heute. Wir haben hier schon Jury und zwei teure Kampfmaschinen verloren. Hauen wir ab, bevor diese verdammten ‚Taira‘ es sich anders überlegt. Nimm unverzüglich mit maximaler Marschgeschwindigkeit Kurs auf TONTOO."
"Verstanden Meister. Ich beschleunige mit 6000 Metern pro Sekundenquadrat. Eintritt in den Subraum in 47 Minuten, 22 Sekunden. Mit Überlichtfaktor K 1.5 beträgt die Flugzeit bis TONTOO 72 Tage und 18 Stunden. Mehr ist leider nicht drin. Wir sind schon verdammt knapp an Reaktionsmasse.“
"Schon gut, Marco. Gib Energie und weg von hier! Wir haben genug Artefakte und Fund-Daten gesammelt, um unsere Vorräte zu ergänzen und das Schiff wieder zu überholen zu können. Wahrscheinlich bleibt auch noch genug, um ein paar Wochen lang auf TONTOO die Sau rauszulassen. Schließlich bleibt uns jetzt der Anteil von Jury.“
Von der Beschleunigung der MARCO POLO war in der Zentrale nichts zu verspüren. Nur auf dem Bildschirm begann die Planetenoberfläche langsam auszuwandern und kleiner zu werden. Schließlich waren in Flugrichtung nur mehr gleißende Sterne und farbig schimmernde Nebel zu erkennen.
Dens Gedanken gingen zurück zu den Ereignissen der letzten Stunden. Er musste an das schreckliche und abrupte Ende seines Partners denken. Jury hatte sich manchmal wie ein richtiger Idiot benommen, aber meist war er doch ein guter und verlässlicher Kampfgefährte gewesen. Für eine enge Freundschaft waren ihre emotionalen Unterschiede sowieso zu groß gewesen. Trotzdem bedauerte es Den sehr, dass Jury im Streit von ihnen gegangen war.
Dens Gedanken wanderten weiter zu den turbulenten Ereignissen in der Zentrale des Wracks. Er drehte sich zu Jonas um, der unschuldig und ungewohnt still schräg hinter ihm stand.
"Sag mal Jonas, was war das eigentlich für eine schräge Zauberpriester-Vorstellung, die du da vor dem Monster in der Zentrale abgezogen hast? Weist du was über dieses ekelhafte Ding in der Zentrale?"
"Oh, Herr Vildermut ich habe mich dabei nur auf den antiken Cutulu-Mythos von Alt-Terra bezogen. Etwas Passenderes konnte ich in meinen xenoethnischen Speicherzellen zur damaligen Situation nicht finden. Aber wie sie bemerkt haben, hat es erstaunlich gut funktioniert. Wenn sie etwas Zeit haben, kann ich sie mit den verschiedenen Cutulu-Legenden vertraut machen, die auf einer ganzen Anzahl von Planeten im Umlauf sind."
"Na ja, vielleicht später einmal. Einstweilen muss ich anerkennen, das du da drinnen wirklich eine große Hilfe warst. Ohne dich und das Eingreifen des Taira-Raumers wären wir wohl nicht mehr heil rausgekommen. Danke.“
Der kleine Android schien vor Stolz einige Zentimeter zu wachsen. "Keine Ursache, Herr Vildermut. Es war mir eine Freude ihnen behilflich sein zu können."
Den beugte sich über die Bildschirme des Steuerpult und prüfte Kurs und Beschleunigung der MARCO POLO. Schließlich nickte er zufrieden. "Du kommst jetzt sicher auch alleine klar, Marco. Ich zieh mich jetzt zurück und leg mich auf's Ohr. War wirklich ein langer und verdammt anstrengender Tag heute."
Den drehte sich um und ging mit müden Schritten zum Schott der Zentrale. Draußen auf dem Gang, schon auf dem Weg zu seiner Kabine, blieb er noch einmal stehen und überlegte kurz. Dann drehte er um und ging zum wissenschaftlichen Labor der MARCO POLO. Dort griff er in eine der Taschen seiner Unterkleidung, holte eine Handvoll kleiner grünlicher Scheibchen hervor und legte sie vorsichtig auf einen Labortisch. Es waren die münzenartigen Scheibchen, die er in der Zentrale des Wracks gefunden hatte, kurz bevor es dort richtig rund ging. Den nahm eine der kleinen Scheiben vorsichtig zwischen die Finger und hielt sie nahe vor die Augen. Einige Minuten lang drehte er das Ding langsam herum und betrachtete es fasziniert aus der Nähe. Schließlich legte er es sachte in das Fach des Mikroscanners, nahm einige Einstellungen vor und aktivierte das Gerät. Nach etwa drei Minuten erschien das Ergebnis der Analyse auf dem Bildschirm. Gespannt überflog Den den Bildschirmtext und nach wenigen Sekunden zeigte sich ein kurzes Lächeln auf seinem abgespannten Gesicht.
„Wusst ich's doch. Das sind antike Datenträger und noch dazu ziemlich gut erhaltene. Vielleicht war das ganze Desaster doch nicht ganz umsonst!"
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2019
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