Fünf Monate bis zur Ewigkeit
Vorwort
Mein Enkel hat die Feldpostbriefe beim Stöbern in einem Ordner entdeckt und liest und liest. Irgendwann sagt er: „Opa, Dein Papa war aber ein ganz ein Lieber!“
Aus dem gesamten Schriftverkehr zwischen meinem einunddreißigjährigen Vater, dem Soldat Friedrich Gutmann und seiner Familie, seiner Verwandtschaft und seinem großen Freundeskreis sind nur die Brief vom meinem Vater an sein Weible und seine Kinderle erhalten.
Bezug genommen wird natürlich auf den gesamten Schriftverkehr zwischen allen Beteiligten, so dass Fantasie gebraucht wird, aber auch manche Erläuterungen, um alles richtig einordnen zu können.
Die Banalitäten der Alltagbeschreibungen lassen oft vergessen, dass man sich mitten im Krieg befindet, bis wieder von Alarm, Mangelverwaltung etc. die Rede ist.
Christliches Zeugnis und Bekehrung mitten im Krieg spielt immer eine wichtige Rolle wie auch andere Themen wie „Warum erlaubt die Braut-Familie nicht, einen Krüppel zu heiraten, obwohl die Liebe noch da ist und vor der Verletzung die geplante Vermählung besprochen war!“.
Das Beispiel meiner Mutter, ihren "Schatz" geheimzuhalten bis zu ihrem Tode, war wohl einerseits zum Schutz der Dokumente gedacht, andererseits wollte sie vielleicht auch nicht, dass die letzten Worte ihres heiß geliebten Mannes diskutiert und zerredet werden.
Die Veröffentlichung zum heutigen Zeitpunkt ist sicher auch einfacher, da fast alle in den Briefen erwähnten Personen inzwischen verstorben sind bis auf uns "Kriegskinder-Generation", die damals noch sehr klein waren. So sind manche Peinlichkeiten inzwischen, nach fast 70 Jahren, nicht mehr wichtig.
Für die heutigen Schüler und Studenten, mit und ohne christlichen Hintergrund, sind diese Briefe eine wertvolle "Original"-Information über die Umstände in Kriegszeiten, über das Landser-Leben, Umgang zwischen Vorgesetzten und Untergebenen Soldaten, Kommentare über den Lebenswandel von Offizieren (Begründung im Lebenslauf) aus Sicht eines Betroffenen.
Erstaunlich, wie gut noch im sechsten Kriegsjahr die Post funktionierte und trotz harter Kämpfe noch Zeit genommen wurde, um die Angehörigen qualifiziert zu informieren. Auch beachtlich, wie 6 Monate vor Kriegsende noch systematisch ausgebildet und vorbereitet wurde, wenn auch mit hoher Intensität.
Wie kam ich zur Schreibmaschine?
Mit 15 Jahren war ich mal drei Wochen krank zu Hause und kramte in Sachen meines verstorbenen Vaters. Da fand ich eine Tastatur aus Papier und eine Schreibmaschinen-Schule zum Blindschreib-Lernen. Aus die Frage an meines Mutter, was dies soll, die Antwort: „Damit hat Dein Vater Blind-Schreibmaschinen-Schreiben gelernt!“
Da dachte ich, was mein Vater konnte, mache ich auch. So lernte ich in diesen 3 Wochen das Zehnfinger-Blind-Schreiben, zwar noch langsam, aber schon sicher.
Beim Studium war ich der einzige, der dies konnte und hatte so einen ständigen Zeitvorteil. Andere mussten erst die Freundin, die Schwester oder Mutter überreden, für sie etwas in Reinschrift zu schreiben, während ich direkt aus dem Kopf die Reinschrift machen konnte.
Ein Grundsatz, der gegen Ende der Briefe deutlich wird, war der Spruch meines Vaters: „Was andere können, kann ich auch – und vielleicht noch viel besser!“ Der hat mir viel in meiner beruflichen Entwicklung geholfen; immer, wenn man Angst und Zweifel vor schwierigen Situationen hatte, war diese Erinnerung hilfreich und brachte Sicherheit und Stärke.
Ich bin der Sohn des Briefeschreibers und habe meine Erinnerungen ausschließlich aus den Erzählungen meiner Mutter, die allerdings viel von unserem Vater erzählt hat. Von den Briefen erfuhr ich erst nach dem Tod meiner Mutter durch meine Schwester, die dann auch alles durch handschriftliche Abschrift leicht lesbar machte. Vielen Dank dafür.
Vom 16. September 1944 - bis zur Ewigkeit! - eine lückenlose, wenn auch einseitige, Dokumentation von einem sehr fleißigen Briefe- und Kartenschreiber, meinem Vater.
Rückblickend, mit fast 70 Jahren Abstand, sehr interessante Äußerungen und Berichte über alle Lebensumstände einer christlichen Soldatenfamilie mit Verwandtschaft und "Freundschaften"!
Münsterlager, den 16.09.44
Liebe Käthe mit Kindern.
Bin gegen Mittag gut angekommen, die Heide gefällt mir. Sie hat besondere Reize. Meine Klamotten habe ich bereits gefasst. Ich wurde zum Funkfahrer eingeteilt, weil ich in Halle ausgebildet wurde und den Hörfunk beherrsche. Meine Ausrüstung ist ganz neu. Das Essen war auch gut. In Stuttgart-Nord konnte ich (nach Fußmarsch ab LKW) den D-Zug bis Halle erreichen, dann Magdeburg-Hannover-Uelzen.
Herzlichen Gruß Frieder
Münster Lager, den 19.09.1944
Meine Lieben!
21 Uhr Feierabend. Einer näht, ein anderer streckt die Glieder in seiner primitiven Lagerfalle und die übrigen Kameraden schreiben kurze Brieflein an ihre Lieben Alle, was ich jetzt auch tun will. Die Stimmung unter den Insassen meiner Stube ist gedämpft. Jeden Tag kommen neue Kameraden, schlafen ein, zwei oder drei Tage hier und werden wieder versetzt. Ein Kommen und Gehen, der reinste Taubenschlag.
Der Taubenschlag sieht wie folgt aus: Bretterboden mit Lüneburger Heidesand überzogen, schwarz wie Ruß, Betten, bestehend aus Strohsack, kariertes Leintuch, 1 Decke. An den Seiten stehen noch kleine Spinde, für zwei Mann je einen, zwei niedere Fenster (dienen zugleich als Aus- und Eingang für Notfälle), zwei große, grobgezimmerte Tische, 16 Stühle (etwa wie Melkstühle) verstellen uns vollends den Weg. Große Kaffeekannen, Kanonenofen, Besen, eine Menge Reisekoffer und sonstiges Gerümpel füllen die letzte Ecke.
Hinzu der Klang von vielen Dialekten aller Kameraden aus ganz Deutschland zusammengewürfelt und die verschiedenen Düfte einschließlich der „akustischen“ geben dem mannshohen Raum die restliche Fülle.
Heute habe ich gut geschossen. Verpflegung gut, Schnapsflaschen leer. Einkleidung bis auf Gamaschen vollzogen, passt gut. Bin gesund und froh. Heute Abend fing ich an zu singen. Niemand macht mit. Sie sprechen lieber von Weibern!
Einer ist aus der Nähe von Aachen. Er meinte, seine Postleitzahl sei USA! Meine Mundharfe fehlt mir. In meinen Kommissachen im Kleiderschrank muss ein Vorhängeschloss sein, das ich gebrauchen könnte. Vielleicht kannst mir‘s schicken. Der Traubenzucker ist geschickt für den Kaffee und schmeckt vortrefflich.
Herzlich grüßt Dich, liebe Käthe und die lieben Kleinen sowie Lore, Heinz und alle im Haus usw.
Euer Frieder und Vater
Dresden, den 21.9.1944
Meine Lieben alle!
Ich bin unterwegs von Münsterlager nach Prag über Ülzen – Magdeburg – Leipzig – Dresden und verweile hier 12 Stunden, um Dresden zu sehen. In Dresden merkt man nichts vom Krieg. Keine Fensterscheibe ist zerbrochen. (Die wussten noch nicht, was ihnen bevor steht!!)
Leipzig dagegen sah böse aus.
In Dresden konnte ich vier Ritterkreuzträger grüßen. In Prag=Beraun bin ich zu einem Lehrgang kommandiert. Wie geht’s Euch alle? Ich bin gesund und es geht mir altem Wandervogel sehr gut!
Mit herzlichsten Grüßen Euer Vater.
Beraun, den 22.09.44
Liebe Käthe!
Jetzt bin ich am Bestimmungsort in Beraun.
Beraun liegt 30 km von Prag, Richtung Pilsen, also Richtung Heimat. Es ist jetzt 22:15. Gute Nacht.
Herzlichen Gruß Dein Frieder !
Neue Anschrift:
Gefreiter Gutmann, Beraun 11b Prot. Ausbildungskompanie 4
Beraun (b. Prag) 29.9.44 13:15
Liebe Käthe mit Kindern und Lore!
Wir haben schönes Herbstwetter hier. Es wird bald Zeit zum Einheizen, denn bei Nacht und gegen Morgen wird es etwas frisch. Seid ihr alle gesund, ihr Lieben alle?
Mir geht es recht gut. Regelmäßiger Schlaf (22:00 – 5:30) reißt mich immer heraus, wie ihr wisst. Die Verpflegung ist recht.
Manchmal gehen wir ins Städtle rein und trinken Kaffee zum Schachspiel oder essen etwas. Am letzten Sonntag habe ich mir einen Film angesehen, es war aber nichts vorzügliches; denn, es muss halt immer eine Liebesgeschichte damit verbunden sein, was mich ganz und gar nicht interessiert, sondern abstößt, weil ich meine eigene in anderer Form erlebt habe.
Die Menschen, Tschechen, sind nicht gerade freundlich gesinnt, so dass Vorsicht geboten ist.
Auf der Stube liegen 16 Mann, zusammengewürfelt wie damals in Halle. Demnach ist die Kameradschaft. Ich versuche, mit jedem gut auszukommen. Den Zweck meines Hierseins schreibe ich später einmal. Wir müssen hier in 14 Tagen so viel lernen, wie die anderen Lehrgänge in 10 Wochen. Am Sonntag ist deshalb auch Dienst, was ich ja gewohnt bin.
Die Post an Münsterlager wird wahrscheinlich zurückgegangen sein. Wenn ich auch nichts von Euch Lieben weiß, dann weiß ich trotzdem viel: Ihr seid unter Gottes Schutz!
In den letzten 2 Tagen musste ich an Deine Mutter (in Ehingen an der Donau) denken. Ob wohl etwas ist? Oder ist sie in Sorge um uns?
Hast Du mein Fahrrad wieder? Unserer Didi habe ich geschrieben.
Herzlich grüßt Euch alle Euer Vater
Mein Rauchfleisch habe ich gestern vollends gegessen, als letzten Heimatgruss!
Grüßt auch die anderen. Zum Schreiben habe ich nicht viel Zeit.
Beraun, den 4.10.44
Liebe Käthe!
Mittwochmittag 13:20
Ein herzliches Grüß Gott und auch an die kleinen Leutchen sowie Lore!
Wie geht es Euch allen, Ihr Lieben? Was wohl Martin (3 Jahre alt) und Erich 1 3/4 Jahre alt) machen und Elsbeth (4 ½ Jahre alt). Elsbeth und Martin werden mich sehr vermissen.
Erich wohl auch, aber ihm wird’s noch nicht so verständlich werden. Und das kleine Helmutle (6 Monate alt)? Das Strampelmännchen wird immer gewichtiger werden und sich umso mehr nach seinen Schoppen interessieren.
Wie war‘s in Stuttgart bei Lores Eltern? Sind sie noch gut weggekommen? Ihr werdet wohl viel Alarm haben? Bei uns ist tiefster Frieden. Einmal sind sie hier durchgeflogen.
Wie geht’s Dir, mein Schatz? Hoffentlich lässt Du Dir das Essen schmecken, denn das Markenverhältnis ist jetzt besser 4 zu 2! Mir geht es recht gut, dann musst Du’s Dir auch gut gehen lassen.
Der Maria Koppel in Kayh musst Du 10 RM schicken für die Träuble (= Johannisbeeren). Es fiel mir erst wieder ein. Schicke ihr einen Korb, damit sie Dir Zwetschgen schicken kann. Vielleicht kannst ihr Holundersaft schicken, wenn Lore mit dem Rad hinfahren würde.
Post habe ich noch keine. Grüße an alle im Haus und an den Freundeskreis.
Herzliche Grüße und Kuss Dein Frieder
Beraun, den 8.10.44
Meine Lieben!
Jetzt kommen auf einmal vier Briefe angeflogen. Da sollte ich eigentlich Urlaub einreichen, daß ich sie lesen und beantworten kann.
Bei uns geht’s immer durchaus fort. Unterricht, Übung und wieder Unterricht, von morgens 7:00 bis abends 19:00, ebenso samstags und sonntags. Es ist gut, daß die Briefbögle so klein sind, daß man die ganze Lieb- und Freundschaft mit Post versorgen kann.
Wenn ich nichts schreibe, kriege ich auch nichts, deshalb schreibe ich lieber kleine Brieflein und an alle. Ich freute mich natürlich sehr über Deine großen Briefe, Käthe. Das Kindergekritzel macht auch sehr Spaß. Daß die kleinen Schnapsflaschen als erster Gruß ankamen, habe ich meinen Kameraden erzählt. Das gab einen Lachorkan.
Sag auch Hans herzlichen Dank für die treuen Dienste. An Lydia H. schreibe ich. Die Mädel sollen nur in Gärtringen bleiben und schaffen. Wenn ihr sie heimlassen würdet, dann würdet ihr euch ja strafbar machen. „Pflichtjahr!“
Wenn Du Obst bekommen kannst, dann nehme nur so viel, als Du aufbewahren kannst. Am besten zuerst auf der Bühne lagern.
Ernst Sauter kann das Rad (ein NSU Quickly) nicht benützen, weil er niemals Benzin bekommt. Er muss sich bloß damit ärgern. Hans würde auch schimpfen, wenn es umsonst in Herrenberg stünde. Wenn er Dir hilft, dann musst Du halt ein Auge zudrücken, aber nur unter eigener Verantwortung fahren lassen.
Die Zeit ist um.
Herzliche Grüße Euer Vater
Achtung! Neue Anschrift ab 12.10.: 5. Werfer Ausbildungskompanie Abt. 4 20 Münsterlager (Lübeckerlager).
Gute Besserung den Rohrauer Leutlein (seine Eltern und Geschwister)!
Beraun, d. 10.10.1944
Meine Lieben!
Noch ein letztes Grüßle aus Beraun. Ich war eben beim Fotograf. Es
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Tag der Veröffentlichung: 11.07.2013 Alle Rechte vorbehalten Widmung:Impressum
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Meinem Vater, den ich durch die Erzählung meiner Mutter kennen- und schätzen gelernt habe.
Respekt vor meinem Vater, der von klein auf fast rund um die Uhr hart gearbeitet und trotzdem noch Zeit für viele Menschen gefunden hat.
Und die frohe Botschaft des Evangeliums mit Freude und Begeisterung weitergetragen hat, auch mitten im Krieg und als Soldat. Danke für das Selbstvertrauen, welches meine Mutter mir am Beispiel meines Vaters von klein auf anerzogen hat, und ihre unendliche Liebe.