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Ankunft

17:00 Uhr.

Er war spät.

Hier in Irland gab es kaum mal einen Bus, der dann ankam, wann er sollte, aber mir kam die viertel Stunde wie eine Ewigkeit vor.
Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen.

Ich wollte gar nicht daran denken, dass Er auch erst in dreißig Minuten oder noch später kommen könnte.

Kurz darauf kam dann doch der alte Bus um die Ecke und fuhr auf den kleinen Platz am Fuß des Berges, an dem ich an mein Auto gelehnt stand. Die Reifen gaben ein knirschendes Geräusch von sich, als sie schließlich auf dem Kies zum halten kamen.
Die Türen öffneten sich langsam und mir schlug das Herz bis zum Hals, als die ersten ausstiegen.


Dann stieg Er aus. Endlich.
Er sah anders aus, als vor sieben Jahren, bei unseren letzten Treffen auf genau diesem Platz.
Älter. Erwachsener. Vor seiner Abreise damals, war er noch ein dürrer Junge, doch jetzt sah er viel sportlicher aus, soweit ich das durch seinen Pullover beurteilen konnte.
Er sah sich kurz um und kam dann grinsend auf mich zu.
„Hey Daran, wie schön dich wieder zu sehen!“ lächelnd zog er mich mit seinem freien Arm in eine halbe Umarmung. In der anderen Hand hielt er noch seinen riesigen Koffer.
Ich brachte nur ein „Hi Cori“ raus.
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete das Gefährt, an dem ich gelehnt hatte.
„Ist das dein Auto?“
Ich nickte nur. Es war ein sehr altes Auto, das bereits mein Vater vor langem gebraucht gekauft hatte.
Drei Jahren zuvor hatte es scheinbar ganz den Geist aufgegeben und er hat es mir zum basteln überlassen. Ich hatte es geschafft es wieder einigermaßen Fahrtüchtig zu machen.

"Klasse!" Cori hievte seinen riesigen Koffer auf die Ladeflächen „lass uns fahren“ meinte er fröhlich und wir stiegen ein.

 

Während der Fahrt konnte ich nicht anders, als immer wieder zu ihm zu schauen, wenn ich besser auf die Straße geguckt hätte.
Cori und ich sind in dieselbe Klasse gegangen, wie alle aus unserem Dorf, die im selben Alter gewesen sind. Es gab in der Nähe nur eine Schule. Wir waren beste Freunde und ich war ziemlich in ihn verknallt gewesen. Davon hatte er natürlich keine Ahnung.
Kaum hatten wir unseren Schulabschluss ist er dann weg von hier.

Ein Großteil der jungen Menschen hier beschloss früher oder später in eine größere Stadt zu ziehen oder gar auszuwandern. So war auch Cori davon überzeugt, dass es für ihn nur besser werden konnte, wenn er erstmal hier weg kam. Seine Eltern waren beide verstorben, als er 12 war. Von da an lebte er in dem kleinen Waisenhaus neben der Schule.
Er wollte nach Kanada und dahin ging er letztendlich auch.
Anfangs hatten wir uns regelmäßig E-mails geschrieben und telefoniert, doch das wurde immer weniger, bis der Kontakt ganz abriss.
Fast sechs Jahre lang hatten wir nichts voneinander gehört, bis er vor einer Woche über Instagram wieder den Kontakt aufgenommen hatte. Cori wollte mal wieder nach Irland kommen. In die Heimat Kerry und ich bot ihm an, er könne bei mir wohnen.

 

Da saßen wir also; Ich, der noch nie von Irland weggekommen ist, und Cori, der wie es schien die ganze Welt gesehen hatte. Während der gesamten Fahrt erzählte er mir von seine Reisen.

„Wohnst du gar nicht wieder bei deinen Eltern?“ fragte er, als wir durch das Dorf fuhren.
„ Nach dem College bin ich wieder zu meinen Eltern, aber nur bis ich was anderes gefunden hab. Ich hab jetzt ein eigenes Haus etwas weiter Abseits“ verriet ich.
„Noch weiter Abseits?“ fragte er und lachte. Im Gründe war hier alles außerhalb von Cork irgendwie Abseits.
Es war schön sein lachen zu hören. Auch nach der langen Zeit, hatte ich ihn immer mal wieder vermisst.

„Was hast du am College studiert? War das nicht irgendwas mit Medizin?“
„Pharmazie“ verbesserte ich. „Ich arbeite jetzt In der Apotheke unten am Wasser.“
„Die neben der Eisdiele?“
„Genau die … ist immer noch die einzige Apotheke hier“
wieder lachte Cori. „Hier hat sich nichts im geringsten verändert…“ 

2

Fast drei Wochen war Cori nun schon bei mir. Er machte den Haushalt, half mir beim kochen, soweit es ging. Er ging viel spazieren und kam mich ab und zu bei der Arbeit besuchen. Zweimal gingen wir abends in den Pub, aber beide male verabschiedete er sich früh am Abend um spazieren zu gehen.

Er war im Gegensatz zu früher viel ruhiger geworden. Nicht, dass wir uns nicht unterhielten, Er redete sehr viel. Aber lange nicht so begeistert und beschwingt, wie ich einmal von ihm gewohnt war. Auch schien er nur über Belanglosigkeiten sprechen zu wollen und ernsteren Themen auszuweichen. Und diese ständigen Spaziergänge!

Nur das eine mal, als wir in meiner Pause gemeinsam am Wasser saßen und Die Boote beobachteten sah ich für einen Moment, das glitzern in seinen Augen, das ich früher oft gesehen hatte, bevor er mit einer Wahnsinnigen Idee ankam.

Am Sonntag wollte ich ihn zur Rede stellen. Irgendetwas machte ihm zu schaffen.

 

Wir hatten eine kleine Wanderung geplant auf einen Berg ganz in der Nähe von unserer Schule, auf dem wir als Teenager oft unsere Freizeit verbracht hatten. Ich packte etwas zu Essen ein und eine Flasche Whiskey, Cori nahm noch ein Paar Dosen Guinnes mit. „Ganz wie früher“ grinste er. Damals haben wir des öfteren auf unsere Wanderungen Alkohol mitgenommen, den ich aus dem Vorrat meiner Eltern schmuggelte.

Wir hatten Glück mit dem Wetter. Es regnete zwar auf dem Weg, allerdings nicht besonders stark und als wir unser Ziel erreichten, schien sogar die Sonne.
Wir machten es uns auf ein Paar Felsen bequem und fingen an zu essen. Kurz darauf wurden auch die ersten Dosen ausgepackt.

„Jetzt mal ehrlich Cori. Was treibt dich nach Sieben Jahren hierher zurück?“ begann ich zögernd.
„Ich wollte einfach mal wieder etwas grünes zu Gesicht bekommen“ er lächelte. „In der Stadt, in der ich gewohnt hab, gibt es vielleicht fünf Bäume… das war ich irgendwie Leid“
Ich nahm meinen Blick von seinen Lippen, die ich in letzter Zeit etwas zu oft und zu lange angestarrt hatte und blicke in seine Augen.
„gewohnt hab? Bist du wieder umgezogen?“
„Naja so ähnlich,.. ich hab es quasi vor“ lächeltet er schief. „Eigentlich bin ich deshalb hier. In der Großstadt war es zwar abenteuerlich, aber…“
„ Aber was, ich dachte das Abenteuer ist das, was dir am wichtigsten ist“ Ich erinnerte mich nur an die Schulzeit, als Cori ständig verrückte Ideen hatte und es jedes mal kaum abwarten konnte, etwas neues zu erleben.
„Natürlich ich liebe Abenteuer..“ er zögerte etwas und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Aber ehrlich gesagt, möchte ich genau so sehr etwas Beständigkeit… und jemanden, dem ich von meinen Abenteuern erzählen kann, wenn wir sie nicht gar gemeinsam erleben.“
„Okay das versteh ich gut.. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass es in Kanada nicht Reihenweise Frauen gegeben hätte, die genau das selbe wollten“ grinste ich ihn an.
Cori verzog kurz das Gesicht, dann nahm er die Whiskey Flasche,nippte daran und stand auf.
„Wohnt Kaley eigentlich noch hier?“ fragte er nachdem er einige Zeit das Land und die Klippen betrachtet hatte, die von unserem Punkt aus zu sehen waren.
„Sie wollte doch im Kindergarten arbeiten, habt ihr noch Kontakt?“
„Ich seh sie nur noch ab und zu, wenn sie mit dem Bus vorbeikommt und Touristen rumführt“ erwiderte ich etwas Irritiert von dem Themenwechsel. Kaley war für vier Monate meine Freundin gewesen in der achten Klasse. Die einzige Beziehung die ich je mit einem Mädchen hatte.

„Cori was ist los, warum wechselst du ständig das Thema?“
Er seufzte und nahm noch einen großen Schluck aus der Flasche, die er noch immer in der Hand hielt. „Okay folgendes, ich hab ne echt beschissene Zeit hinter mir. Meine Beziehung ist den Bach runtergegangen und ich treibe mich seit einer ganzen Weile überall rum, ohne zu wissen was ich tue. .. Selbst nach den vielen Jahren im Ausland, gehör ich da nicht hin. In den letzten Monaten hab ich immer daran gedacht, dass ich nachhause will, aber das existiert gar nicht.“ Ich hatte gehofft, dass der Alkohol seine Zunge lockern würde, doch der Redefluss überraschte mich doch.

„ Und weißt du was mir dann klar geworden ist?“ er fing an mit der Flasche in der Hand auf und abzugehen. „Ich hatte nie ein richtiges Zuhause! Bei meinen Eltern war es die Hölle und ist doch irgendwie klar, dass man das Waisenhaus nicht als richtiges zuhause ansehen kann, oder? “
Erstaunt sah ich ihn an. Er hatte noch nie schlecht über seine Eltern geredet.. oder überhaupt.

„Um ehrlich zu sein war dein Elternhaus das, was einem zuhause am nächsten kam.“
„Du hast früher nie etwas erwähnt… wir hätten öfter was mit meinen Elter unternehmen können…“
„Es lag doch gar nicht an deinen ..“ plötzlich verstummte er und sah mich nachdenklich an.
Er stellte sich ein paar Meter vor mich und sah auf das Tal, das vor uns lag.
Ab und zu nahm er noch weitere Schlucke aus der Flasche in seiner Hand, doch er sagte nichts mehr.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, aber du kannst trotzdem mit mir reden Cori. Du kannst mir alles anvertrauen. So wie früher“
„Erinnerst du dich noch an Heather’s Abschiedsparty?“
„Ich erinnre mich daran, wie betrunken wir beide waren“ lächelte ich. Heather war eine Mitschülerin von uns gewesen und hatte mitten in unserem Abschlussjahr mit ihren Eltern umziehen müssen und eine riesige Party veranstaltet um sich von allen zu
„Verabschieden“ aber es war ein einziges Saufgelage.
„Ich weiß noch, dass wir bei mir übernachten wollten und dann sind wir hier hoch gekommen, damit meine Eltern nicht mitkriegen, dass wir getrunken hatten.“

 

"Ich hab an dem abend mit Kaley geschlafen."

Nun war ich doch sprachlos. Er hat Kaley nie gemocht. zumindest hat er das mir gegenüber immer behauptet, sagte Sie sei zu anhänglich.. wie ein Hund. 

"Keine Ahnung wie es dazu gekommen ist, wir waren beide so betrunken. Du und alle anderen waren mit Tanzen und irgendwelchen Sachen beschäftigt, dass es niemandem aufgefallen ist, als wir hochgegangen sind." 

 

Ich saß noch immer schweigend da. Was sollte ich groß dazu sagen. Kaley und ich waren nie in einer ernsthaften Beziehung und selbst das, was wir hatten ist zu dem Zeitpunkt schon längst Geschichte gewesen. 

Und warum erzählte Cori mir das überhaupt. Machte ihn nach so vielen Jahren zu schaffen, dass er damals ein Geheimnis vor mir hatte?

 

"Es ging sehr schnell. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern. Nur dass sie mir direkt danach eingetrichtert hat, es niemandem zu erzählen. Sie wollte ja mit Sam nach Dublin, hätte der davon erfahren, hätte er direkt schluss gemacht."

Cori kramte noch eine Bierdose aus dem Rucksack und öffnete sie.

"Warum ich dir das eigentlich erzähle; Es war ja einige Zeit vergangen, als wir oben waren und als ich wieder ins Wohnzimmer kam hab ich dich gesehen."

 

"Oh nein.. ich glaub meine Erinnerungen kommen wieder" Ich hatte wieder vage Bilder von jenem Abend im Kopf. Cori sah mich an und lachte.

"Du hattest deine Jeans im Spiel verloren und hast am Klavier gesessen. Was hast du nochmal gesungen?"

"Piano Man" murmelte ich. Wie peinlich, dass er sich ausgerechnet daran erinnern konnte. Ich kann und konnte damals weder Klavier spielen, noch singen.

"Ja genau! Dein Gesang war... furchtbar"

"Danke, dass du drauf rumreitest"

"jedenfalls ist mir in dem Moment klar geworden, dass Kaley gar nicht so unrecht hat. Nicht mit dem "Ich gebe meine Zukunft auf um einem Mann hinterherzureisen wie ein Welpe" sondern damit, dass man nicht allein in die weite Welt reist. Von dem Moment an hatte ich immer gehofft, dass du auf die Idee kommst mit mir zu kommen. Ich wusste ich kann dich nicht bitten, aber trotzdem hab ich gehofft, dass du es tust."

"Oh" Ja Oh. Ich hatte tatsächlich darüber nachgedacht, aber ich konnte es mir beim besten willen nicht vorstellen, in einem anderen Land zu Leben.

"Naja, als ich dann weg war, bin ich froh gewesen, alles hinter mir zu lassen. Ein neuer Start oder was auch immer. Und trotzdem hab ich dich vermisst. Egal wie viele Leute ich kennen gelernt habe, keiner war wie du." er seufzte

"Und deshalb bin ich hergekommen. Ich hab meinen besten Freund gebraucht. Ich wollte dich einfach wiedersehen."

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Tag der Veröffentlichung: 09.01.2021

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